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Die Arbeitswelt in den Beständen des Wirtschaftsarchivs Baden-Württemberg 1 bis 5│ Die Plakate aus der rund 150 Motive umfassenden Sammlung dienten Unternehmen in Deutschland zum Aushang am Schwarzen Brett. In den 1930er bis 1950er Jahren sollte damit die Belegschaft entsprechend motiviert und diszipliniert werden. Vorlagen: Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg Bestand Y 99 Pino Pharmazeutische Präparate, Freudenstadt Hintergrund│ 1885 gründete Jakob Sigle die Salamander AG in Kornwestheim. Für seine Schuhe führte er ein neuartiges Herstellungs-, Vertriebsund Preiskonzept ein. Bald wurde die Marke Salamander zu eine der bekanntesten Marken Deutschlands. Die Aufnahme aus der Stepperei von 1910 veranschaulicht, wie in der Leder- und Textilverarbeitung vorrangig Frauen beschäftigt waren. Vorlage: Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg B 150 Salamander AG, Kornwestheim Seit 1980 ist das Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg, eine Stiftung der Industrie- und Handelskammern und des Landes an der Universität Hohenheim, das zentrale Archiv für Dokumente aus dem Wirtschaftsleben unseres Landes. Bis heute übernahm es mit etwa 12.000 laufenden Metern die archivwürdigen Unterlagen von rund 550 Unternehmen, den Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, von Verbänden und Privatpersonen. Mit diesen Archivbeständen ist ein breites Spektrum aus allen Bereichen des Wirtschafts- und Soziallebens aus rund vier Jahrhunderten überliefert. Dabei nehmen die Archivalien zum Thema Arbeit zwangsläufig einen besonders breiten Raum ein. An erster Stelle steht selbstredend der Personalbereich. Dazu finden sich in den Beständen vielfältige Dokumente: Lohn- und Gehaltsbücher mit Angaben über den Lohn und die jeweiligen Abzüge für Steuern und Sozialversicherungen. Sie bieten sich u. a. für einen Vergleich der verschiedenen Tätigkeiten oder der Entlohnung von Frauen und Männer an. Ein- und Austrittsbücher enthalten häufig auch Angaben zur familiären, beruflichen und räumlichen Herkunft sowie dem Grund des Austritts. Daneben finden sich Personalakten, Bewerbungen und Arbeitszeugnisse. Personalstatistiken geben, häufig über viele Jahrzehnte hinweg, Auskunft über die Entwicklung der Mitarbeiterzahlen oder der Zusammensetzung des Personals in den Abteilungen. Arbeitsordnungen enthalten Regelungen über die Arbeitszeit, die Pflichten und Vorschriften am Arbeitsplatz oder über Urlaubsansprüche. In sogenannten Strafenbüchern ist minutiös notiert, wer sich welchen Vergehens gegen die Fabrikordnung schuldig gemacht hat und welche Strafe derjenige dafür vom Lohn abgezogen bekam. Einen weiteren zentralen Bereich stellen die Sozialleistungen dar. Wie hat sich ein Unternehmen hier engagiert? Wurden in Krankheits- und sonstigen Notfällen des Lebens finanzielle und auch andere Unterstützung gewährt? Baute das Unternehmen günstige Werkswohnungen? Gab es eine Kantine, Sanitärräume, einen Kindergarten, eine Bibliothek, einen Betriebsarzt, vielleicht eine eigene Betriebskrankenkasse? Und welche Zuwendungen wurden anlässlich eines Berufsjubiläums gewährt? Wohin ging es bei Betriebsausflügen? Welches Essen, welches Unterhaltungsprogramm wurde bei Feiern wie z. B. zu Weihnachten oder anlässlich eines Firmenjubiläums geboten? Wurde der Betriebssport gefördert? Auskunft darüber können schriftliche Dokumente oder beispielsweise auch eine für die Mitarbeiter herausgegebene Werkszeitung, aber auch die zahlreichen Fotografien, teilweise sogar Filmmaterial geben. In den Unterlagen des Betriebsrats können sich Anschläge vom Schwarzen Brett befinden, ebenso Protokolle, die Einblicke in Themen wie Arbeitssicherheit und Arbeitsbedingungen, Gestaltung des Arbeitsplatzes, Mitbestimmung, Entlassungen, Streiks, Gewerkschaft oder Tarifverhandlungen geben. Hierunter fallen auch die sogenannten Arbeitsappelle: Eine Plakatserie aus den 1930er und 1940er Jahren, die an die Arbeitsmoral der Mitarbeiter appellieren möchte. In einigen Beständen sind auch Dokumente der Deutschen Arbeitsfront (DAF), wie z. B. die sogenannten Leistungsberichte, überliefert. Diese Berichte mussten Anfang der 1940er Jahre aufgrund staatlicher Weisung erstellt werden. Darin ist der gesamte soziale Bereich des Unternehmens sowohl schriftlich als auch in Bildern dargestellt. Ein großes Thema in den 1990er Jahren war die Aufarbeitung der Frage des Fremdarbeitereinsatzes im Zweiten Weltkrieg. Nicht zuletzt geben darüber die noch erhaltenen Arbeitsbücher Auskunft: Neben dem Namen, der Adresse und einem Passbild sind hier die Arbeitseinsatzorte und die Tätigkeit festgehalten. Einen weiten Bereich der Arbeitswelt stellt der Komplex der Berufsaus- und -weiterbildung dar. Ein besonders frühes Dokument für die Ausbildung in Unternehmen stellt das Lehrjungenbuch von Merkel & Kienlin aus Esslingen dar. Seit 1826 geführt, enthält es die Aufnahmeartikel mit den Unterschriften der Lehrlinge. Da zu diesem Themenbereich insbesondere die Industrie- und Handelskammern bzw. die Handwerkskammern zentrale Aufgaben zu erfüllen haben, sind deren Bestände hier vorrangig heranzuziehen. Als Beispiel seien die Meisterprüfungsprotokolle genannt, in denen u. a. handschriftliche Lebensläufe der angehenden Meister seit Anfang des 20. Jahrhunderts erhalten sind. So geben diese wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Dokumente der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unseres Landes nicht zuletzt auch ein umfassendes Abbild des Arbeitslebens. Jutta Hanitsch <strong>Archivnachrichten</strong> <strong>46</strong> / <strong>2013</strong> 31