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MEN - Filmstiftung Nordrhein-Westfalen

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s sei weniger die Gewalt gewesen, die sie<br />

Ean der Geschichte von „Heimspiel“ (Drehbuch:<br />

René Schumacher) interessiert habe, sagt<br />

Bogdana Vera Lorenz, als vielmehr das Doppelleben<br />

des Lehrers Vossen, der nach außen einen<br />

Schein aufrechterhält, der mit der Wirklichkeit<br />

nichts zu tun hat. „Und ich wollte unbedingt<br />

die höchstmögliche Herausforderung.“<br />

Denn die Produktion – gefördert von der <strong>Filmstiftung</strong><br />

NRW und dem CNA Centre national<br />

de l’audiovisuel Luxembourg – hatte es in sich:<br />

80 Komparsen, aufwändige Prügelchoreografien,<br />

zehn Drehtage mit straffem Zeitplan, der<br />

keine Ausreißer zuließ, da Hauptdarsteller Wotan<br />

Wilke Möhring zeitgleich auch bei einer Produktion<br />

in Erfurt vor der Kamera stand und pendeln<br />

musste.<br />

„Die Aufgabe, diese vielschichtige Geschichte<br />

zu erzählen und zum ersten Mal mehr als drei<br />

Leute vor der Kamera zu inszenieren, habe ich<br />

mir innerhalb der Schule zugetraut. Weil ich hier<br />

auch Fehler machen konnte – und jemand da<br />

war, der mich auffängt“, sagt die Regisseurin.<br />

Allzu viele Fehler können es dann aber nicht gewesen<br />

sein, wie die Einladungen nach Dresden,<br />

Lünen, Saarbrücken, Oberhausen und jetzt auch<br />

nach Straßburg und Tel Aviv beweisen.<br />

Die in Ost-Berlin geborene Bogdana Vera<br />

Lorenz absolvierte nach einem vorzeitig beendeten<br />

Studium der Linguistik, Ethnologie und<br />

Kulturwissenschaft zunächst<br />

ein Volontariat als Journalistin,<br />

arbeitete anschließend<br />

bei einem Berliner Privatsender<br />

als Fernsehredakteurin.<br />

Aber dann musste sie feststellen,<br />

dass etwas Wichtiges<br />

fehlt. „Dann hat ein guter<br />

Freund mir die richtige Frage<br />

gestellt: Welche Geschichten<br />

willst Du wirklich erzählen?<br />

Bogdana<br />

Vera Lorenz,<br />

Foto: Kai Schulz<br />

Und da habe ich gemerkt, dass ich Filme machen<br />

möchte und hier alles zusammen kommt,<br />

was ich liebe – die Arbeit mit Bildern, mit Sprache<br />

und Musik, mein Interesse an Politik und<br />

vor allem das gemeinsame schöpferische Arbeiten.“<br />

Neben Jobs bei diversen Film- und Fernsehproduktionen<br />

als Praktikantin, Setaufnahmeleitungs-Assistentin<br />

oder 3. Regieassistenz entstanden<br />

danach zwei Kurzfilme. Der eine handelt<br />

von einem Mann, der den Weg aus dem<br />

Parkhaus nicht mehr findet, dabei eine merkwürdige<br />

Begegnung hat und feststellen muss,<br />

dass er eigentlich schon tot ist. Der andere erzählt<br />

eine märchenhafte Liebesgeschichte zwischen<br />

einem Versicherungsvertreter und einer<br />

Malerin. „Das war für mich ein Einstieg“, sagt<br />

Bogdana Vera Lorenz, „und ich habe hilfreiches<br />

Feedback zu meiner Arbeit bekommen. Das hat<br />

mich ermutigt.“ Es folgte die Bewerbung an der<br />

ifs – internationalen filmschule köln und das<br />

dreijährige Regiestudium dort, das im November<br />

2009 endete.<br />

Dabei hätte, rückblickend betrachtet, der<br />

Weg zur Regie viel kürzer sein können, entstammt<br />

Bogdana Vera Lorenz doch einer ausgesprochenen<br />

Künstlerfamilie: Schon ihr Großvater<br />

war Puppenspieler, ihre aus Bulgarien<br />

stammende Mutter Bühnenbildnerin, Puppentheaterregisseurin<br />

und Theaterwissenschaftlerin,<br />

ebenso wie der Vater, der heute noch an<br />

der Berliner Hochschule für Schauspielkunst<br />

Ernst Busch Puppenspielkunst unterrichtet. Bogdana<br />

spielte Cello und Klavier, seit sie fünf war,<br />

begann mit sieben zu fotografieren, was sie später,<br />

neben dem Studium, mit einer Ausbildung<br />

In der Schule spricht Ethik-Lehrer Vossen über „Auge um Auge und Zahn um Zahn“. Nach der<br />

Schule tauscht er Theorie gegen Praxis und prügelt sich als Hooligan, bis die Knochen knacken.<br />

„Heimspiel“ heißt der Abschlussfilm der ifs-Absolventin Bogdana Vera Lorenz, der im April den<br />

Preis der deutschen Filmkritik als „Bester Kurzfilm 2009“ gewann und am 28. Juni im Showcase<br />

des Internationalen Filmkongresses zu sehen ist.<br />

Porträt Bogdana Vera Lorenz<br />

Erfahrung aus<br />

zwei Systemen<br />

VON CHRISTIAN SEEBAUM<br />

bei einer Berliner Fotografin fortführte. Aber:<br />

„Weil ich in dieser Theaterwelt aufgewachsen<br />

bin, war das, was ich am wenigsten machen<br />

wollte, Kunst. Ich wollte dieses Universum gar<br />

nicht betreten, weil ich dachte: Alle anderen sind<br />

große Künstler und haben viel zu sagen, ich<br />

muss die Welt überhaupt erst mal verstehen.“<br />

Als diese Welt dann zugänglich wurde, die Mauer<br />

zwischen den beiden deutschen Staaten fiel,<br />

war Bogdana Vera Lorenz gerade Teenagerin.<br />

„Das Wendeerlebnis hat die Welt komplett auf<br />

den Kopf gestellt, die Erfahrung zweier Systeme<br />

prägt seitdem meinen Blick auf die Dinge“,<br />

erinnert sie sich.<br />

Heute sieht Bogdana Vera Lorenz in den<br />

Um- und Seitenwegen, die sie beschritten hat,<br />

Vorteile, weiß sie die zusätzliche Berufs- und Lebenserfahrung<br />

zu schätzen. So hat sie – noch<br />

vor dem Abitur – im Teppichlager gejobbt und<br />

als Regaleinräumerin im Supermarkt, später im<br />

Call Center eines Zeitungsverlages und im Frühstücksservice<br />

eines Hotel. Ihr Vater, der in der<br />

DDR zunächst nicht studieren durfte und deshalb<br />

Betonfacharbeiter gelernt hat, brachte ihr<br />

Fliesenlegen, Mauern und Holzarbeiten bei –<br />

ganz praktische Erfahrungen, die ihr heute helfen,<br />

auch in schwierigen Situationen die Ruhe<br />

zu bewahren.<br />

Wie die Laufbahn als Regisseurin nun weitergehen<br />

wird? „Am Anfang des Studiums hatte<br />

ich die Vorstellung: Man studiert, macht einen<br />

guten Abschlussfilm, und dann kommt ein<br />

Produzent und bietet einem einen tollen Stoff<br />

an, der zu einem passt.“ Die Jungregisseurin<br />

muss lachen. „Aber im Laufe des Studiums habe<br />

ich dann verstanden, dass es dazu gehört,<br />

eigene Stoffe zu entwickeln – und auch: welche<br />

Stoffe mich interessieren.“ Also ergreift sie<br />

selbst die Initiative, hat im Frühjahr gemeinsam<br />

mit Ko-Autor Max Permantier das Exposé für einen<br />

Langfilm entwickelt, ein Science-Fiction-<br />

Kammerspiel über Weltraumtouristen, deren<br />

Reise einen desaströsen Verlauf nimmt. Und<br />

schreibt außerdem mit Joseph Lippok an einer<br />

schwarzen Komödie über Terrorismus. „Unsere<br />

Gegenwart unter die Lupe nehmen und subversiv<br />

unterhalten“ sei ihr Ziel, sagt Bogdana Vera<br />

Lorenz. „Und ich glaube grundsätzlich nicht,<br />

dass es Gut und Böse gibt.“ Oder eben: nur beides<br />

zusammen. Wie bei dem Ethiklehrer, dessen<br />

Moral endet, wenn der Adrenalinrausch beginnt.<br />

Prügelnder Ethiklehrer: Wotan Wilke Möhring<br />

spielt die Hauptrolle in „Heimspiel“. Foto: Kai Schulz<br />

Auf dem Sprung – newsletter 4/2010 15

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