MEN - Filmstiftung Nordrhein-Westfalen
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eim Spielfilm, in der Liebe und im<br />
BKrieg ist alles erlaubt. Um den eigenen<br />
Stoff perfekt für die Leinwand umsetzen<br />
zu können, sind alle Register filmischer<br />
Kreativität zugelassen, solange sie<br />
der Erzählung dienen und die Glaubwürdigkeit<br />
des Stoffes nicht verliert, sondern<br />
gewinnt. Dass, um dieses Ziel zu erreichen,<br />
auf der Bildebene manipuliert wird,<br />
ist spätestens seit Georges Méliès akzeptiert<br />
und im digitalen Zeitalter zum Alltag<br />
geworden. Auch Manipulationen auf der<br />
Tonebene werden weder heute noch vor<br />
achtzig Jahren grundlegend hinterfragt:<br />
Ob nun Johnny Weissmuller seinen be-<br />
rühmten Tarzanschrei 1932 wirklich selbst<br />
intoniert hatte, wie von ihm bis zum<br />
Schluss behauptet, oder ob es sich dabei<br />
doch um das erste markenbildende<br />
Sound-Design handelt, war schon damals<br />
eher eine Frage trivialer Neugier denn moralischer<br />
Sorge darüber, manipuliert worden<br />
zu sein.<br />
Vor allem bei Dialogpassagen entscheidet<br />
man sich heute im Spielfilm meist<br />
immer erst für den Originalton. „Das Spiel<br />
beim Dreh ist fast immer besser als im Studio,<br />
authentischer und auch seitens der<br />
Akustik meist brauchbarer“, erklärt Tilo<br />
Busch, Geschäftsführer des Kölner Sound-<br />
Vision Tonstudios. Auch auf dem Gebiet<br />
der Geräusche, wie Foley Artist Dieter<br />
Hebben auf Seite 21 bestätigt, nimmt<br />
man, wenn möglich, immer gerne den O-<br />
Ton. Entscheidungen wie diese, ob und<br />
wann Originalton oder irgendwelche anderen<br />
Quellen verwendet werden sollen,<br />
werden aber eindeutig aufgrund ästhetischer<br />
oder auch dramaturgischer Erwägungen<br />
getroffen.<br />
Beim Dokumentarfilm sieht die Sache<br />
anders aus. Hier spielt wesentlich deutlicher<br />
auch eine grundlegende Philosophie<br />
der Filmemacher eine Rolle, was genau<br />
Dokumentarfilm „darf“ und was nicht.<br />
Muss man die Wirklichkeit nicht nur bildlich,<br />
sondern auch den Ton betreffend im<br />
Rahmen der medialen Möglichkeiten so<br />
originalgetreu wie möglich spiegeln? Oder<br />
darf ein Dokumentarfilm mit gleicher Be-<br />
rechtigung durch ästhetischen Eingriff Teile<br />
der Wirklichkeit unterstreichen, andere<br />
weglassen oder verändern und damit<br />
in das Gesamtbild eingreifen?<br />
„Ein Film sollte nicht nur über den<br />
Kopf funktionieren, sondern auch über<br />
das Herz“, sagt Christel Fomm, Geschäftsführerin<br />
der Kölner Gruppe 5 Filmproduktion.<br />
„Und gerade der Ton kann im besonderen<br />
Maße emotionalisieren und Akzente<br />
setzen. Dramaturgisch wirkt er fast<br />
mehr als das Bild.“<br />
Mit Produktionen wie der zehnteiligen<br />
Dokumentation „Die Deutschen“, 2009<br />
nominiert für den Deutschen Fernsehpreis,<br />
oder „Sturm über Europa: Die Völkerwanderung“<br />
hat die Gruppe 5 Filmproduktion<br />
seit den 1990er Jahren einen Stil des<br />
Dokumentarischen etabliert, der sich vieler<br />
Elemente aus dem Spielfilmbereich bedient.<br />
Reenactments, Interviews und inszenierte<br />
Szenen reihen sich an rein dokumentarische<br />
Bilder, aufwändiges<br />
Soundeffektdesign an kargen Originalton,<br />
eine gestaltete Szene an belassene Naturaufnahmen.<br />
Toneffekte, Musik, Sprache:<br />
Die Dokumentationen der Gruppe 5 Filmproduktion<br />
schöpfen aus dem Vollen der<br />
akustischen und visuellen Gestaltungsmöglichkeiten,<br />
um zu pointieren und zu<br />
emotionalisieren. „Die Abwechslung ist<br />
mir wichtig“, sagt Christel Fomm, gerade<br />
das Nebeneinander der Möglichkeiten.<br />
Ein pausenloses und einseitiges Effektgewitter<br />
möchte sie dabei ausdrücklich vermeiden,<br />
trotzdem sieht der Ansatz der<br />
Gruppe 5 auch im Soundbereich deutliche<br />
Eingriffe ins dokumentarische Material<br />
vor.<br />
„Wir versuchen, Effekte zu vermeiden,<br />
Künstlichkeit zu vermeiden“, sagt dagegen<br />
der Mülheimer Filmemacher Rainer<br />
Komers. Seine Filme wie „Nome Road System“<br />
(Deutscher Kurzfilmpreis 2004),<br />
„Kobe“ oder jüngst „Milltown, Montana“<br />
sind komponiert aus einzelnen Bildpanelen.<br />
Sie verfügen weder über extradiegetische<br />
Musik, das heißt, Musik, die dramaturgisch<br />
nicht im Bild verankert ist, noch<br />
über Sprache, sind dafür aber unterlegt<br />
mit sorgfältig gemischtem Originalton.<br />
„Wir benutzen ausschließlich bildsynchronen<br />
Ton“, erklärt Komers seine Arbeitsweise.<br />
Das bedeutet, dass jedes Einzelbild ausnahmslos<br />
lediglich mit jenem O-Ton unterlegt<br />
ist, der zum exakt selben Augenblick<br />
wie das Bild aufgenommen wurde.<br />
Sound-Design in irgendeiner Form kommt<br />
in den Dokumentarfilmen von Rainer Komers,<br />
die sich in den letzten Jahren in der<br />
beschriebenen Stilistik jeweils einem spezifischen<br />
Ort genährt haben, nicht zum<br />
Einsatz. Der Zuschauer spüre, sagt er, dass<br />
nicht getrickst und nicht manipuliert würde.<br />
Sein konsequent puristischer Ansatz<br />
Dass der Dokumentarfilm eins zu eins die Wirklichkeit abbildet, glaubt schon lange<br />
niemand mehr. Aber was ist mit dem Ton in der Doku? Muss nicht wenigstens der echt und<br />
unverfälscht sein? Oliver Baumgarten hat nachgefragt.<br />
O-Ton und Sound-Design im Dokumentarfilm<br />
Die Wirklichkeit<br />
hören<br />
entwickelt durch diese kongruente Verbindung<br />
von Bild und Ton einen enormen<br />
atmosphärischen Sog: „Für viele ist es, als<br />
ob sie beim Schauen selbst an den gezeigten<br />
Orten seien.“ Rainer Komers’ Filme<br />
sind, ähnlich auch wie Philip Grönings<br />
„Die große Stille“, durch ihr Bild- und Tonkonzept<br />
von einer Authentizität geprägt,<br />
die sich im größtmöglichen Maße eines<br />
Kommentars entzieht.<br />
Dokumentarische Konzepte hingegen,<br />
die von Inszenierung und Gestaltung<br />
leben, seien es die Arbeiten der Gruppe<br />
5 oder auch Dokumentarfilme wie Pepe<br />
Danquarts „Höllentour“, der dem<br />
Sound-Design ein Großteil seiner Wirkung<br />
verdankt, wollen kommentieren und zuweilen<br />
auch eine Meinung transportieren.<br />
Sie begreifen Wirklichkeit als subjektives<br />
Erleben und haben mit der Inszenierung<br />
eine stimmige ästhetische Entsprechung<br />
für diese Haltung gefunden.<br />
Dem Dokumentarischen schaden weder<br />
diese Diversität der Ansätze noch<br />
grundsätzlich die größer gewordenen<br />
Möglichkeiten, den Sound für seine Ziele<br />
zu nutzen – ganz im Gegenteil. Ob Originalton<br />
oder Sound-Design: „Wichtig ist<br />
die Konsequenz im Tonkonzept“, sagt Tilo<br />
Busch. „Überzeugend, vor allem wegen<br />
heutiger Hörgewohnheiten, bleibt am Ende<br />
jenes Konzept, das dem Film dient.“<br />
Und, möchte man hinzufügen, das<br />
dem jeweiligen Ansatz dient: Wirklichkeit<br />
spiegeln oder Wirklichkeit modellieren.<br />
Berühmte letzte Worte:<br />
der Wilhelmsschrei<br />
Ein Schrei geht<br />
um die Welt<br />
LENA KRAAN<br />
s ist immer derselbe Schrei und der geht so: „Aa-<br />
Eaarrrgghhhhhh…“. Fast jeder wird diesen lang gezogenen Männerschrei<br />
schon in einem Film gehört haben, aber nur wenige können<br />
ihn als den Running Gag unter den amerikanischen Sound-<br />
Insidern identifizieren. Seit den 1970er Jahren ist der so genannte<br />
Wilhelmsschrei ein legendärer Soundeffekt, den Kenner<br />
bis heute in zahlreichen US-Produktionen entdecken. Angefangen<br />
bei Western mit John Wayne und Burt Reynolds<br />
bis zu den aktuellen Hollywood-Blockbustern „Iron Man 2“,<br />
„Spiderman“ oder „The Simpsons“ – die Filmografie des<br />
Schreis umfasst eine stattliche Liste von mindestens 200 Titeln.<br />
Seine Popularität entstand, nachdem der Schrei in „Krieg<br />
der Sterne“ ertönte und damit in etlichen Klangarchiven der<br />
Traumfabrik landete.<br />
Die Entstehung des Running Gags als Wilhelmsschrei liegt<br />
in den 50ern, die Entdeckung Anfang der 70er Jahre. Zwei<br />
Filmstudenten aus Kalifornien, Ben Burtt und Richard Anderson,<br />
entdeckten ihn im<br />
Soundarchiv von Warner<br />
Brothers und verfolgten<br />
seine Geschichte bis Gordon<br />
Douglas’ „Der brennende<br />
Pfeil“ von 1953 zurück,<br />
in dem er gleich dreimal<br />
zu vernehmen ist. Ein<br />
Nebendarsteller namens<br />
Wilhelm wird von einem<br />
Pfeil ins Bein getroffen und<br />
schreit „Aaaarrrgg<br />
hhhhhh…“ – die vermeintliche<br />
Geburtsstunde<br />
des Wilhelmsschreis. Ursprünglich<br />
aber stammt<br />
der Schrei, so findet Ben<br />
Burtt später heraus, wahrscheinlich<br />
aus „Die Teufelsbrigade“<br />
mit Gary Co-<br />
oper von 1951. Soldaten<br />
waten durch einen Fluss in<br />
den Everglades, einer wird<br />
von einem Krokodil gebissen<br />
und schreit schmerz-<br />
Harrison Ford in „Indiana Jones und<br />
das Königreich des Kristallschädels“:<br />
Auch hier ertönt der Wilhelmsschrei.<br />
Foto: Paramount<br />
verzerrt, während er im Todeskampf unter Wasser gezogen<br />
wird. Doch es ist nicht der Schrei des Schauspielers, sondern<br />
einer, der im Tonstudio entstanden ist – und zwar von dem<br />
Schauspieler und Sänger Sheb Wooley, der starb, ohne jemals<br />
etwas von der beispiellosen Karriere seines Schreis zu<br />
erfahren.<br />
In den darauf folgenden Jahren verhalfen Burtt und Anderson,<br />
die als Pioniere auf dem Gebiet des Filmsounds gelten,<br />
dem Wilhelmsschrei zu seinem Ruhm, indem sie ihn in<br />
ihren Filmen, darunter „Krieg der Sterne“, „Poltergeist“ und<br />
„Die Jäger des verlorenen Schatzes“, verwenden. Über 20<br />
Jahre lang kommt der Schrei in allen „Indiana Jones“ und<br />
„Krieg der Sterne“-Filmen vor. Und auch in „Madagaskar“,<br />
„Planet der Affen“ und „Batmans Rückkehr“ setzt Anderson<br />
den Schrei ein. Die Filmografie umfasst ebenfalls die Werke<br />
der Kultregisseure Quentin Tarantino („Inglourious Basterds“,<br />
„Kill Bill“ und „Reservoir Dogs“) und Peter Jackson („Herr der<br />
Ringe“ und „King Kong“). Mittlerweile nutzen die Entdecker<br />
selbst den Schrei nicht mehr, weil er kein Geheimnis mehr<br />
ist und mittlerweile sogar schon einen eigenen Wikipedia-<br />
Eintrag besitzt. Falls es ein vergleichbares Phänomen im deutschen<br />
Film gibt, ist das bisher erfolgreich ein Geheimnis unter<br />
Kennern geblieben, das diese gut hüten.<br />
Eine Kompilation der Wilhelmsschreie ist auf you tube zu<br />
finden unter www.youtube.com/ watch?v=4YDpuA90KEY<br />
Schwerpunkt – newsletter 4/2010 23