Ausgabe 110 - Phantastik-News.de
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Nach<strong>de</strong>m Carl Friedrich Cotta bei seiner Zeitung in Ungna<strong>de</strong> gefallen ist, muss <strong>de</strong>r Reporter über<br />
Geistererscheinungen und ähnliches berichten, das er bisher stets als Trick entlarven konnte. Auf<br />
<strong>de</strong>m Weg nach Hei<strong>de</strong>lberg, wo ein Apotheker im Ruf steht, Gold machen zu können, hört er in <strong>de</strong>r<br />
Kutsche die Geschichte eines Hexenmeisters, <strong>de</strong>r in einem kleinen Dorf im O<strong>de</strong>nwald residieren<br />
soll. Der Hexenmeister – so sagt man – baue menschliche Herzen in Maschinen ein, um diese zu<br />
beleben. Während einer Rast beschließt Cotta, sich sogleich auf die Suche nach diesem<br />
Hexenmeister zu machen.<br />
Michael Knoke: „Die Schattenuhr”.<br />
Nach langen Jahren ohne Kontakt erhält Robert Thompson unvermittelt eine Einladung seines<br />
Bru<strong>de</strong>rs George und <strong>de</strong>ssen Frau Claudine, die bei<strong>de</strong>n auf ihrem Anwesen zu besuchen. Das<br />
seltsame Haus übt eine bedrücken<strong>de</strong> Stimmung auf Robert aus, das Innere liegt in scheinbar<br />
immer währen<strong>de</strong>m Halbdunkel, Ecken und Winkel scheinen durch Bo<strong>de</strong>nabsenkungen<br />
verschoben. Auch George und Claudine wirken zeitweise seltsam abwesend, obwohl die<br />
Atmosphäre <strong>de</strong>s Hauses ihre musischen Talente för<strong>de</strong>rt. Während seiner Streifzüge auf <strong>de</strong>m<br />
Anwesen fin<strong>de</strong>t Robert bizarre Hinweise auf die Geschichte und die früheren Bewohner <strong>de</strong>s<br />
Hauses.<br />
„Im Bett lauschte ich <strong>de</strong>m kalten Wind, wie er seine Melodie <strong>de</strong>r Hoffnungslosigkeit und<br />
Verlorenheit um die spitzen Giebel <strong>de</strong>s Hauses ertönen ließ. Dann fiel ich in einen unruhigen<br />
Schlaf, angefüllt mit unverarbeiteten Eindrücken und verborgenen Ängsten, die mir verworrene<br />
Albträume bescherten, während <strong>de</strong>r Wind lauter und immer lauter heulte.” (Michael Knoke: „Die<br />
Schattenuhr”)<br />
Mit „Die Schattenuhr“ legt Herausgeberin Nina Horvarth <strong>de</strong>n ersten Band <strong>de</strong>r geplanten Reihe „Die<br />
bizarre Welt <strong>de</strong>s Edgar Allan Poe“ vor. Fünf Geschichten sollen <strong>de</strong>n Leser in eben jenes<br />
abson<strong>de</strong>rliche Reich entführen, das eher als ein Zustand <strong>de</strong>s Geistes gesehen wer<strong>de</strong>n darf statt<br />
als ein geographisch festgelegter Ort.<br />
Und tatsächlich gelingt es <strong>de</strong>n fünf Autoren, fiebrige Phantasien zu erschaffen, die in Motiven und<br />
Stimmungen <strong>de</strong>n Geschichten Poes ähneln. Bisweilen tritt dieser sogar - in Andreas Grubers<br />
Geschichte, die Fakt und Fiktion um Richard Wagners Zeit in Paris vermischt - in Persona auf.<br />
Am ehesten an eine Geschichte Poes angelehnt ist Markus K. Korbs „Jenseits <strong>de</strong>s Hauses Usher”<br />
(trotz <strong>de</strong>r Namensgleichheit nicht in Markus K. Korbs Anthologie enthalten), in <strong>de</strong>r ein Bewun<strong>de</strong>rer<br />
von Poes Werk ent<strong>de</strong>ckt, dass mehr Wahrheit in „Der Untergang <strong>de</strong>s Hauses Usher“ steckt, als<br />
angenommen. Obwohl das En<strong>de</strong> überhastet wirkt, überzeugt die Story mit <strong>de</strong>r Atmosphäre <strong>de</strong>s<br />
versunkenen Hauses Usher. Auch die ersten Seiten von Michaels Knokes „Die Schattenuhr”<br />
wie<strong>de</strong>rholen anfänglich die Ankunft von Poes namenlosen Protagonisten auf Haus Usher, bevor<br />
die Geschichte eine an<strong>de</strong>re, eigene Richtung einschlägt. Im weiteren Verlauf lässt die Story zwar<br />
weitere Assoziationen zu Poe-Geschichten zu (z. B. „Die Maske <strong>de</strong>s roten To<strong>de</strong>s“), steht aber<br />
grundlegend auf eigenen Beinen.<br />
Doch nicht nur Edgar Allan Poes Werk stand Pate für die Geschichten in „Die Schattenuhr“. Es<br />
fin<strong>de</strong>n sich ebenso Motive von H. P. Lovecraft („Die steinerne Bibliothek”, „Die Schattenuhr“) und<br />
E. T. A. Hoffmann („Zu Gast bei Meister Pforr“). Eine Abwechslung, die <strong>de</strong>r Sammlung eher gut tut,<br />
als scha<strong>de</strong>t. Atmosphäre und Stimmung triumphieren hier weitestgehend über die Logik.<br />
Abgerun<strong>de</strong>t wird <strong>de</strong>r Inhalt von <strong>de</strong>n Biografien <strong>de</strong>r Autoren und <strong>de</strong>r Herausgeberin.<br />
BLITZ-Hausgrafiker Mark Freier hat für <strong>de</strong>n Hardcover-Band ein Motiv <strong>de</strong>s polnischen Künstlers<br />
Zdzisław Beksiński - auf <strong>de</strong>m sich zwei abgemagerte Gestalten (Leichname ?) in inniger<br />
Umarmung befin<strong>de</strong>n - in ein stimmiges Titellayout gebettet. Eingefasst ist das Motiv und die<br />
Titelschrift von einem fein ziselierten Rahmen, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Cover das Aussehen eines fleckigen,<br />
altertümlichen Folianten verleiht.<br />
Teil 2 ist bereits in Planung.<br />
„Die Schattenuhr“ ist ein e<strong>de</strong>l gestalteter Band mit Geschichten, die ganz im Geiste Poes stehen,<br />
ohne sich an bekannte Plots anzubie<strong>de</strong>rn. (EH)<br />
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