Juristische Methoden- und Argumentationslehre

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Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013 Juristische Methoden- und Argumentationslehre § 1 Einführung I. Zum Begriff der „juristischen Methoden- und Argumentationslehre“ 1. Die traditionelle juristische Methodenlehre als Lehre von der Subsumtion a) Das Subsumtionsmodell im Studium der Rechtswissenschaft b) Das Subsumtionsdogma in der Methodenliteratur c) Der Justizsyllogismus in der richterlichen Alltagspraxis 2. Aktuelle Ansätze einer juristischen Argumentationslehre a) Theorien der juristischen Argumentation, insbes. Konsenstheorien b) Primat der Praxis juristischen Entscheidens, insbes. Konfliktstruktur des Rechts und juristische Streitkultur c) Der argumentative Duktus juristischer Entscheidungen im Studium, in der Referendarzeit und in der Praxis der Anwälte, Staatsanwälte und Verwaltungsjuristen sowie im Alltag sonstiger Rechtsarbeiter II. Zum Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz 1. Rechtswissenschaft und Jurisprudenz a) „prudentia“ und „scientia“ b) Rechtswissenschaft oder Rechtswissenschaften? c) Rechtsdogmatik, Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie, Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie 2. Bereichsspezifische Dogmatiken und Argumentationsstrukturen a) Das Anspruchsdenken des Zivilrechts b) Das Analogieverbot im Strafrecht c) Das Subordinationsdogma des Öffentlichen Rechts und dessen prinzipieller Fehler 3. Einheit der Rechtsordnung oder Einheit der Rechtsverhältnisse? a) Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung b) Die Einheit der Rechtsverhältnisse in der Begriffs- und Systembildung des Zivilrechts, Strafrechts und Öffentlichen Rechts c) Die Differenziertheit der Argumentationsstrukturen am Beispiel des Verfassungs- und Verwaltungsrechts
Materialien zu § 1 1. Zur traditionellen Subsumtionslehre a) Im Studium der Rechtswissenschaft wird die Subsumtion regelmäßig in der Form des sog. Justizsyllogismus als das Kernstück der Rechtsanwendung dargestellt. Das übliche Erläuterungsbeispiel für die Unterordnung eines Sachverhalts (Untersatz) unter die einschlägige Rechtsnorm (Obersatz) lautet: Obersatz: Alle Menschen sind sterblich Untersatz: Sokrates ist ein Mensch Schlußsatz: Also ist Sokrates sterblich b) Die neuere Methodenliteratur steht dem Subsumtionsdogma dagegen inzwischen meist kritisch gegenüber. Kritisiert wird insbesondere die künstlich erzeugte Kluft zwischen dem „Sollen“ einer vermeintlich „abstrakt-generellen“ Norm und dem „Sein“ eines angeblich „konkret-individuellen“ Sachverhalts, weil beide in der Rechtsanwendung (wie noch zu zeigen sein wird: hermeneutisch) aufeinander verweisen. c) In der richterlichen Alltagspraxis kommt es mehr auf die korrekte Sachverhaltsermittlung und die richtige Norminterpretation auf der Grundlage einschlägiger Präjudizien an als darauf, das gefundene Ergebnis in die logische Form eines Syllogismus zu bringen. Deshalb ist zwischen „Herstellung“ und „Darstellung“ der Entscheidung zu differenzieren. 2. Zur aktuellen Argumentationslehre a) Die in § 4 näher zu erläuternden Konsenstheorien sehen von den beiden Phänomenen ab, die für die Praxis juristischen Argumentierens konstitutiv sind: vom Zwang zur Entscheidung (auch ohne Konsens) und von der Konfliktstruktur des Rechts. Nicht die freundschaftliche Einigung ist das Grundphänomen der Rechtspraxis, sondern die streitige Auseinandersetzung (von der die „Sache“ des Rechts ihren Namen hat: „sakan“ ist das alte Wort für „streiten“) und der entsprechende Dissens über die Bedeutung einer Norm im Einzelfall. Dieser Dissens ist produktiv, wenn und insoweit er die Quelle neuer, fallbezogener Argumente ist. b) Die Überzeugungskraft juristischer Entscheidungen hängt weniger von ihrer deduktiv-syllogistischen Darstellung als von ihrem argumentativen Duktus ab. Mißerfolge in der Ersten Juristischen Staatsprüfung sind zumeist auf mangelnden Sinn für diesen Duktus zurückzuführen. Das Abspulen von Prüfungsschemata und die zwanghafte Anwendung des sog. Gutachtenstils ist in aller Regel ein deutliches Indiz für jenen Mangel. 3. Zum Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz a) „Jurisprudenz“ ist ein praxisbezogener, auf die durch Erfahrung erworbene „prudentia“ (Klugheit) und entsprechende Kunstfertigkeit („techne“) abstellender Begriff, während mit „Rechtswissenschaft“ auf die theoretische Durchdringung des Rechts im Sinne einer systematischen „scientia“ (Wissenschaft) abgestellt wird. Nach dem Ende der alten Pluralbildung („Rechtswissenschaften“ als die beiden Wissenschaften des weltlichen und geistlichen Rechts) liegt es nahe, von „Rechtswissenschaft“ nur noch im Singular zu sprechen („Jura“ wäre dann allerdings inkonsequent) und dazu Rechtsdogmatik, Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie, Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie zu zählen. b) „Subordination“ war das Dogma des Obrigkeitsstaates und seiner „Untertanen“. Art. 1 Abs. 1-3 GG und das Prinzip der Republik konstituieren den Verfassungsstaat des Grundgesetzes dagegen als selbstgegebene Ordnung freier und gleicher Bürger.
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