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Juristische Methoden- und Argumentationslehre

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Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013<br />

<strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong><br />

Dienstag 14.15 - 15.50 Uhr, SR 127<br />

Gliederung der Vorlesung<br />

Erster Teil: Gr<strong>und</strong>begriffe <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>modelle der traditionellen juristischen<br />

<strong>Methoden</strong>lehre<br />

§ 1 Einführung (9.4.)<br />

§ 2 Gr<strong>und</strong>begriffe (16.4.)<br />

§ 3 Gr<strong>und</strong>modelle I (23.4.)<br />

§ 4 Gr<strong>und</strong>modelle II (30.4.)<br />

Zweiter Teil: Gr<strong>und</strong>züge einer dialogischen <strong>Methoden</strong>lehre<br />

§ 5 Die Konstituierung des Rechtsfalles (14.5.)<br />

§ 6 Die Interpretation des Gesetzes (21.5.)<br />

§ 7 Die Entscheidung des Falles (28.5.)<br />

§ 8 Die Richtigkeit der Fallentscheidung (4.6.)<br />

§ 9 Die Gerechtigkeit der Fallentscheidung (11.6.)<br />

Dritter Teil: Gr<strong>und</strong>disziplinen einer dialogischen <strong>Argumentationslehre</strong><br />

§ 10 <strong>Juristische</strong> Hermeneutik (18.6.)<br />

§ 11 <strong>Juristische</strong> Logik (25.6.)<br />

§ 12 <strong>Juristische</strong> Rhetorik (2.7.)<br />

Abschlußklausur nach SBPrüfO (9.7.)<br />

Studienliteratur:<br />

R. Zippelius, <strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>lehre, 10. Aufl. 2006<br />

F. Haft, <strong>Juristische</strong> Rhetorik, 8. Aufl. 2009<br />

K. Adomeit, S. Hähnchen, Rechtstheorie für Studenten, 6. Aufl. 2012<br />

R. Gröschner, Dialogik des Rechts, 2013<br />

R. Gröschner/C. Dierksmeier/M. Henkel/A. Wiehart, Rechts- <strong>und</strong><br />

Staatsphilosophie, 2000


Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013<br />

<strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong><br />

§ 1 Einführung<br />

I. Zum Begriff der „juristischen <strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong>“<br />

1. Die traditionelle juristische <strong>Methoden</strong>lehre als Lehre von der Subsumtion<br />

a) Das Subsumtionsmodell im Studium der Rechtswissenschaft<br />

b) Das Subsumtionsdogma in der <strong>Methoden</strong>literatur<br />

c) Der Justizsyllogismus in der richterlichen Alltagspraxis<br />

2. Aktuelle Ansätze einer juristischen <strong>Argumentationslehre</strong><br />

a) Theorien der juristischen Argumentation, insbes. Konsenstheorien<br />

b) Primat der Praxis juristischen Entscheidens, insbes. Konfliktstruktur des<br />

Rechts <strong>und</strong> juristische Streitkultur<br />

c) Der argumentative Duktus juristischer Entscheidungen im Studium, in<br />

der Referendarzeit <strong>und</strong> in der Praxis der Anwälte, Staatsanwälte <strong>und</strong><br />

Verwaltungsjuristen sowie im Alltag sonstiger Rechtsarbeiter<br />

II. Zum Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz<br />

1. Rechtswissenschaft <strong>und</strong> Jurisprudenz<br />

a) „prudentia“ <strong>und</strong> „scientia“<br />

b) Rechtswissenschaft oder Rechtswissenschaften?<br />

c) Rechtsdogmatik, Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie, Rechtsgeschichte,<br />

Rechtsvergleichung <strong>und</strong> Rechtstheorie<br />

2. Bereichsspezifische Dogmatiken <strong>und</strong> Argumentationsstrukturen<br />

a) Das Anspruchsdenken des Zivilrechts<br />

b) Das Analogieverbot im Strafrecht<br />

c) Das Subordinationsdogma des Öffentlichen Rechts <strong>und</strong> dessen<br />

prinzipieller Fehler<br />

3. Einheit der Rechtsordnung oder Einheit der Rechtsverhältnisse?<br />

a) Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung<br />

b) Die Einheit der Rechtsverhältnisse in der Begriffs- <strong>und</strong> Systembildung des<br />

Zivilrechts, Strafrechts <strong>und</strong> Öffentlichen Rechts<br />

c) Die Differenziertheit der Argumentationsstrukturen am Beispiel des<br />

Verfassungs- <strong>und</strong> Verwaltungsrechts


Materialien zu § 1<br />

1. Zur traditionellen Subsumtionslehre<br />

a) Im Studium der Rechtswissenschaft wird die Subsumtion regelmäßig in der Form des<br />

sog. Justizsyllogismus als das Kernstück der Rechtsanwendung dargestellt. Das übliche<br />

Erläuterungsbeispiel für die Unterordnung eines Sachverhalts (Untersatz) unter<br />

die einschlägige Rechtsnorm (Obersatz) lautet:<br />

Obersatz: Alle Menschen sind sterblich<br />

Untersatz: Sokrates ist ein Mensch<br />

Schlußsatz: Also ist Sokrates sterblich<br />

b) Die neuere <strong>Methoden</strong>literatur steht dem Subsumtionsdogma dagegen inzwischen<br />

meist kritisch gegenüber. Kritisiert wird insbesondere die künstlich erzeugte Kluft<br />

zwischen dem „Sollen“ einer vermeintlich „abstrakt-generellen“ Norm <strong>und</strong> dem<br />

„Sein“ eines angeblich „konkret-individuellen“ Sachverhalts, weil beide in der<br />

Rechtsanwendung (wie noch zu zeigen sein wird: hermeneutisch) aufeinander verweisen.<br />

c) In der richterlichen Alltagspraxis kommt es mehr auf die korrekte<br />

Sachverhaltsermittlung <strong>und</strong> die richtige Norminterpretation auf der Gr<strong>und</strong>lage einschlägiger<br />

Präjudizien an als darauf, das gef<strong>und</strong>ene Ergebnis in die logische Form eines<br />

Syllogismus zu bringen. Deshalb ist zwischen „Herstellung“ <strong>und</strong> „Darstellung“<br />

der Entscheidung zu differenzieren.<br />

2. Zur aktuellen <strong>Argumentationslehre</strong><br />

a) Die in § 4 näher zu erläuternden Konsenstheorien sehen von den beiden Phänomenen<br />

ab, die für die Praxis juristischen Argumentierens konstitutiv sind: vom Zwang zur<br />

Entscheidung (auch ohne Konsens) <strong>und</strong> von der Konfliktstruktur des Rechts. Nicht<br />

die fre<strong>und</strong>schaftliche Einigung ist das Gr<strong>und</strong>phänomen der Rechtspraxis, sondern<br />

die streitige Auseinandersetzung (von der die „Sache“ des Rechts ihren Namen hat:<br />

„sakan“ ist das alte Wort für „streiten“) <strong>und</strong> der entsprechende Dissens über die Bedeutung<br />

einer Norm im Einzelfall. Dieser Dissens ist produktiv, wenn <strong>und</strong> insoweit<br />

er die Quelle neuer, fallbezogener Argumente ist.<br />

b) Die Überzeugungskraft juristischer Entscheidungen hängt weniger von ihrer deduktiv-syllogistischen<br />

Darstellung als von ihrem argumentativen Duktus ab. Mißerfolge<br />

in der Ersten <strong>Juristische</strong>n Staatsprüfung sind zumeist auf mangelnden Sinn für diesen<br />

Duktus zurückzuführen. Das Abspulen von Prüfungsschemata <strong>und</strong> die zwanghafte<br />

Anwendung des sog. Gutachtenstils ist in aller Regel ein deutliches Indiz für jenen<br />

Mangel.<br />

3. Zum Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz<br />

a) „Jurisprudenz“ ist ein praxisbezogener, auf die durch Erfahrung erworbene<br />

„prudentia“ (Klugheit) <strong>und</strong> entsprechende Kunstfertigkeit („techne“) abstellender<br />

Begriff, während mit „Rechtswissenschaft“ auf die theoretische Durchdringung des<br />

Rechts im Sinne einer systematischen „scientia“ (Wissenschaft) abgestellt wird. Nach<br />

dem Ende der alten Pluralbildung („Rechtswissenschaften“ als die beiden Wissenschaften<br />

des weltlichen <strong>und</strong> geistlichen Rechts) liegt es nahe, von „Rechtswissenschaft“<br />

nur noch im Singular zu sprechen („Jura“ wäre dann allerdings inkonsequent)<br />

<strong>und</strong> dazu Rechtsdogmatik, Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie, Rechtsgeschichte,<br />

Rechtsvergleichung <strong>und</strong> Rechtstheorie zu zählen.<br />

b) „Subordination“ war das Dogma des Obrigkeitsstaates <strong>und</strong> seiner „Untertanen“.<br />

Art. 1 Abs. 1-3 GG <strong>und</strong> das Prinzip der Republik konstituieren den Verfassungsstaat<br />

des Gr<strong>und</strong>gesetzes dagegen als selbstgegebene Ordnung freier <strong>und</strong> gleicher Bürger.


Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013<br />

<strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong><br />

§ 2 Gr<strong>und</strong>begriffe<br />

I. Gr<strong>und</strong>begriffe der Wissenschaftstheorie <strong>und</strong> der Logik<br />

1. Sprachphilosophische Gr<strong>und</strong>unterscheidungen<br />

a) Wort <strong>und</strong> Begriff<br />

b) Objektsprache <strong>und</strong> Metasprache<br />

2. Wissenschaftstheoretische Gr<strong>und</strong>begriffe<br />

a) Dogmatik<br />

b) Positives Recht<br />

c) Rechtspositivismus<br />

d) Methode<br />

e) Techne<br />

3. Logische Gr<strong>und</strong>begriffe<br />

a) Argument<br />

b) Logik<br />

c) Schluß<br />

d) Syllogismus<br />

e) Justizsyllogismus<br />

f) Deduktion<br />

g) Induktion<br />

h) Abduktion<br />

II. Gr<strong>und</strong>begriffe der traditionellen Subsumtionslehre<br />

1. Subsumtion<br />

a) Obersatz: Die „abstrakt-generelle“ Norm<br />

b) Untersatz: Der „konkret-individuelle“ Fall<br />

c) Schlußsatz: Die Bestimmung der Rechtsfolge<br />

2. Syllogismus oder Enthymem?<br />

a) Begriff des Enthymems<br />

b) Umstrittenheit juristischer Obersätze<br />

3. Reichweite der traditionellen <strong>Methoden</strong>lehre<br />

a) Argumentationsspielräume im Subsumtionsmodell<br />

aa) Konditional programmierte Normen<br />

bb) Grenzen konditionaler Programmierung<br />

b) Argumentationsspielräume im Abwägungsmodell<br />

aa) Final programmierte Normen<br />

bb) Prinzipien als Optimierungsgebote<br />

cc) Abwägung bei Prinzipienkollisionen<br />

dd) Herstellung praktischer Konkordanz


Materialien zu § 2<br />

1. Sprachphilosophische Gr<strong>und</strong>unterscheidungen: Ein Begriff ist die Bedeutung eines Wortes<br />

in einem „Sprachspiel“ (Wittgenstein). Eine „Objektsprache“ nimmt auf außersprachliche<br />

Objekte Bezug, eine „Metasprache“ auf eine Sprache.<br />

2. Wissenschaftstheoretische Gr<strong>und</strong>begriffe<br />

a) Dogmatik: von griech. dogma, Gr<strong>und</strong>satz, Lehrsatz. Rechtsdogmatik: Lehre von den<br />

Zusammenhängen (oder der Systematik) zwischen den Begriffen, Regeln, Prinzipien<br />

<strong>und</strong> Instituten des positiven Rechts.<br />

b) Positives Recht: von lat. ius positivum: gesetztes, staatlich garantiertes Recht.<br />

c) Rechtspositivismus: Rechtsphilosophische Gegenbewegung zur Naturrechtslehre, die<br />

als Recht nur das staatlich garantierte Recht anerkennt <strong>und</strong> in der Extremform des<br />

Gesetzespositivismus jedes staatliche Gesetz allein aufgr<strong>und</strong> seiner Positivierung<br />

(Setzung) für gültig erklärt.<br />

d) Methode (wörtlich: Weg von ... nach ...): Vorgehensweise (lateinisch: mos, z.B. mos<br />

italicus); Techne: Kunst (lateinisch: ars).<br />

3. Logische Gr<strong>und</strong>begriffe<br />

a) Argument: eine Gruppe von zusammengehörenden Aussagen; ein Argument besteht<br />

regelmäßig aus einer Aussage, die eine Folgerung (Konklusion) darstellt <strong>und</strong> Aussagen,<br />

die Gründe angeben (Prämissen).<br />

b) Logik: Analyse von Argumenten im Hinblick auf die Beziehung zwischen Prämissen<br />

<strong>und</strong> Konklusion (ohne Rücksicht auf die Wahrheit der Prämissen).<br />

c) Auch Schlüsse bestehen aus Prämissen <strong>und</strong> Konklusionen, sind aber nicht wie Argumente<br />

notwendig sprachlich gefaßt. Erst der mit Worten zum Ausdruck gebrachte<br />

Schluß kann als Argument einer logischen Analyse unterzogen werden.<br />

d) Syllogismus: Konklusion aus zwei Prämissen (Ober- <strong>und</strong> Untersatz), in denen drei<br />

unterschiedliche Prädikatoren auftreten; einer davon, der Mittelbegriff, muß <strong>und</strong> darf<br />

nur in beiden Prämissen vorkommen. Beispiel: Alle Professoren sind Menschen<br />

(Obersatz); alle Menschen sind sterblich (Untersatz); folglich sind alle Professoren<br />

sterblich (Konklusion).<br />

e) Justizsyllogismus: Konklusion aus Gesetz (Obersatz) <strong>und</strong> Sachverhalt (Untersatz).<br />

Beispiel: Alle Mörder sind mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen (§ 211 StGB);<br />

M ist Mörder; folglich ist M zu lebenslanger Freiheitsstrafe zu verurteilen.<br />

f) Deduktion: Schluß vom Allgemeinen auf das Einzelne (wie im Syllogismus).<br />

g) Induktion: Schluß vom Einzelnen auf das Allgemeine („Alle Schwäne sind weiß“).<br />

h) Abduktion: nach Charles Sanders Peirce ein hypothetischer Schluß, der nicht beweist,<br />

daß etwas sein muß (wie bei der Deduktion) <strong>und</strong> auch nicht zeigt, daß etwas tatsächlich<br />

wirksam ist (wie bei der Induktion), sondern vorschlägt, daß etwas sein mag.<br />

Abduktiv wird vom möglichen Ergebnis her <strong>und</strong> insofern typisch „gutachtlich“ argumentiert.<br />

4. Gr<strong>und</strong>begriffe der traditionellen Subsumtionslehre<br />

a) Subsumtion: Materialien zu § 1.<br />

b) Enthymem: eine rhetorische Deduktion, deren Prämissen umstritten sind (die also<br />

nicht wie im logischen Syllogismus nach modus barbara die Wahrheit der Prämissen<br />

auf die Konklusion übertragen).<br />

c) Konditional programmierte Normen: Regeln im „Wenn-Dann“-Schema, die unter der<br />

Bedingung (condicio) der Tatbestandserfüllung eine bestimmte Rechtsfolge anordnen<br />

(„programmieren“). Beispiel: Wenn Mörder, dann lebenslange Freiheitsstrafe.<br />

d) Final programmierte Normen: Rechtssätze, die keine bestimmte Handlung ge- oder<br />

verbieten, sondern dem Adressaten – insbesondere der Verwaltung – ein erst noch<br />

konkretisierungsbedürftiges Ziel (finis) vorgeben. Beispiel: § 1 BauGB (einschließlich<br />

der gerechten Abwägung der Belange nach § 1 Abs. 7).<br />

e) Prinzip praktischer Konkordanz: Hesse, Gr<strong>und</strong>züge des Verfassungsrechts, Rn. 72.


Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013<br />

<strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong><br />

§ 3 Gr<strong>und</strong>modelle I<br />

I. Zur Entwicklungsgeschichte der juristischen <strong>Methoden</strong>lehre<br />

1. Die historische Rechtsschule (insb. Friedrich Carl von Savigny)<br />

2. Begriffsjurisprudenz <strong>und</strong> Freirechtslehre (insb. Georg Friedrich Puchta <strong>und</strong><br />

Eugen Ehrlich)<br />

3. Von der Interessen- zur Wertungsjurisprudenz (insb. Rudolf v. Jhering <strong>und</strong><br />

Philipp Heck)<br />

II. Das Subsumtionsmodell <strong>und</strong> seine Reformulierung im Deduktionsmodell<br />

1. Das klassische Subsumtionsmodell<br />

a) Arthur Schopenhauer als argumentum ab auctoritate<br />

b) Obersatz (praemissa maior), Untersatz (praemissa minor) <strong>und</strong> Schlußsatz<br />

(conclusio)<br />

2. Kritik des Subsumtionsmodells<br />

a) Karl Engischs „Logische Studien zur Gesetzesanwendung“<br />

b) Das berühmte „Hin- <strong>und</strong> Herwandern des Blickes“<br />

3. Reformulierung des Subsumtionsmodells im Deduktionsmodell<br />

a) Die „<strong>Juristische</strong> Begründungslehre“ von Koch/Rüßmann<br />

b) Kritik am Dualismus <strong>und</strong> Formalismus des Modells<br />

aa) Dualismus-Kritik<br />

bb) Formalismus-Kritik<br />

III. Neuere Wertungsmodelle<br />

1. Idealistische Konzeptionen<br />

a) Karl Larenz <strong>und</strong> die „wertende Zuordnung“<br />

b) Wolfgang Fikentscher <strong>und</strong> die „Fallnorm“<br />

2. Realistische Konzeptionen<br />

a) Skandinavischer Rechtsrealismus<br />

b) Münstersche Schule der Rechtstheorie<br />

3. Hermeneutische Konzeptionen (dazu R. Gröschner, JZ 1982, 622 ff.)<br />

a) Josef Esser <strong>und</strong> Arthur Kaufmann<br />

b) Friedrich Müllers „Strukturierende Rechtslehre“ (zunächst im Überblick)<br />

aa) „Normprogramm“ <strong>und</strong> „Normbereich“<br />

bb) Rechtserzeugte <strong>und</strong> nicht rechtserzeugte Normbereiche


Materialien zu § 3<br />

1. Biographische <strong>und</strong> bibliographische Hinweise:<br />

a) Friedrich Carl von Savigny: 1779-1861; 10.10.1810 Vorlesungsbeginn an der (heutigen<br />

Humboldt-)Universität zu Berlin; Hauptwerk: „System des heutigen römischen Rechts“,<br />

8 Bände 1840-1849; rechtspolitisch bedeutsam: „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung<br />

<strong>und</strong> Rechtswissenschaft“, 1814 (im Kodifikationsstreit gegen Thibaut).<br />

b) Georg Friedrich Puchta: 1789-1846; Hauptwerk: „Cursus der Institutionen“, 1841 ff.<br />

c) Eugen Ehrlich: 1862-1922; Hauptwerk: „Gr<strong>und</strong>legung der Soziologie des Rechts“, 1913.<br />

d) Rudolf v. Jhering: 1818-1892; Hauptwerk: „Der Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen<br />

Stufen seiner Entwicklung“, 1852 ff.; rechtssoziologisch bedeutsam: „Der<br />

Zweck im Recht“, 1878.<br />

2. Berühmte Zitate:<br />

a) Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille <strong>und</strong> Vorstellung, Bd. 2. Ausg. v. Löhneysen<br />

1976, S. 144: „die Zivil- oder Kriminal-Übertretung, wegen welcher geklagt wird, ist die<br />

minor ... Das Gesetz für solchen Fall ist die maior. Das Urteil ist die Konklusion“.<br />

b) Karl Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung (1943, 3. Aufl. 1963, S. 15):<br />

„Hin- <strong>und</strong> Herwandern des Blickes zwischen Obersatz <strong>und</strong> Lebenssachverhalt“.<br />

3. Neuere Ansätze:<br />

a) Hans-Joachim Koch/Helmut Rüßmann, <strong>Juristische</strong> Begründungslehre, 1982, S. 5: „Mit<br />

der Verspätung von einigen Jahrzehnten sollten sich endlich auch Juristen des Hilfsmittels<br />

der modernen formalen Logik bedienen. Wir führen in die Gr<strong>und</strong>gedanken von<br />

Junktoren- <strong>und</strong> Quantorenlogik sowie der deontischen Logik ein <strong>und</strong> beschreiben mit<br />

diesen Mitteln das deduktive Hauptschema juristischer Entscheidungsbegründungen“.<br />

b) Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, <strong>Methoden</strong>lehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl.<br />

1995, S. 95: „Die Zuordnung eines Lebensvorganges zu einem Typus oder zum Sinnbereich<br />

eines ausfüllungsbedürftigen Maßstabes ist keine Subsumtion, sondern wertende<br />

Zuordnung“.<br />

c) Wolfgang Fikentscher, <strong>Methoden</strong> des Rechts, Bd. 4, 1977, S. 201: „Wann habe ich die<br />

Fallnorm? Wenn ich den ‚hermeneutischen Zirkel‘ abbreche. Dies definiert mir die anzuwendende<br />

Regel. Wo breche ich ab? Wo weitere Unterscheidungen im Hinblick auf<br />

die Wertung nach den Kriterien der Sach- <strong>und</strong> Gleichgerechtigkeit nichts mehr hergeben“.<br />

d) Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, 1984, S. 158 ff.: „Theoriesubstitution“, d.h. Ersetzung<br />

sprachphilosophischer durch systemtheoretische Ansätze.<br />

e) Josef Esser, Vorverständnis <strong>und</strong> <strong>Methoden</strong>wahl in der Rechtsfindung, 1975, S. 137: „Der<br />

‚hermeneutische Zirkel‘ liegt ... in dem Verhältnis von Fragestellungen <strong>und</strong> Antworten<br />

qua Normverständnis, also in der Tatsache, daß ohne Vorurteil über die Ordnungsbedürftigkeit<br />

<strong>und</strong> Lösungsmöglichkeit die Sprache der Norm überhaupt nicht das aussagen<br />

kann, was erfragt wird: die gerechte Lösung“.<br />

f) Arthur Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, 1999, S. 6: „In meiner Schrift:<br />

„Analogie <strong>und</strong> ‚Natur der Sache‘; zugleich ein Beitrag zur Lehre vom Typus“ (1965,<br />

2. erweiterte Auflage 1982) habe ich mich um den Nachweis bemüht, daß die juristische<br />

Methode im Kern analogischen Charakter hat, das heißt den Charakter eines „Fallvergleichs“.<br />

„Mittlerweile ist man noch auf ein weiteres Element des Rechtsgewinnungsverfahrens<br />

außer der Analogie gestoßen, auf die Abduktion“.<br />

g) Friedrich Müller, <strong>Juristische</strong> Methodik, 7. Aufl. 1997, S. 172 f. (gegen Larenz): „Der Wirklichkeitsbezug<br />

eines Normtextes hängt nicht von der Unterscheidung von Begriff <strong>und</strong><br />

Typus ab ... Gleichrangig gehört zur Norm der Normbereich, d.h. der Ausschnitt sozialer<br />

Wirklichkeit in seiner Gr<strong>und</strong>struktur, den das Normprogramm aus dem allgemeinen<br />

Regelungsbereich der Rechtsnorm auswählend zu bestimmen erlaubt“. Dieser „Normbereich“<br />

kann „rechtserzeugt“ sein (wie bei Fristen <strong>und</strong> Terminen) oder „nicht rechtserzeugt“<br />

(wie bei Art. 1 Abs. 1 GG).


Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013<br />

<strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong><br />

§ 4 Gr<strong>und</strong>modelle II<br />

I. Diskurs- oder konsenstheoretische Konzeptionen<br />

1. Die Diskurstheorie als Konsenstheorie<br />

a) Die Habermassche Fassung der Konsenstheorie<br />

aa) in der „Theorie des kommunikativen Handelns“<br />

bb) in „Faktizität <strong>und</strong> Geltung“<br />

b) Alexys Fassung der Konsenstheorie<br />

aa) Die „Theorie der juristischen Argumentation“<br />

bb) Die „Sonderfallthese“<br />

c) Habermas versus Alexy: Forensische Argumentation als strategisches<br />

oder kommunikatives Handeln?<br />

aa) Habermasens Position<br />

bb) Alexys Position<br />

2. Kritik des konsenstheoretischen Ansatzes<br />

a) Der Theorieanspruch bei Habermas <strong>und</strong> Alexy<br />

b) Der Praxisanspruch einer phänomenologisch ansetzenden <strong>Juristische</strong>n<br />

<strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong><br />

c) Insbesondere: der Entscheidungszwang in der juristischen Alltagsarbeit<br />

II. Dialogische Konzeptionen<br />

1. Martin Krieles „Theorie der Rechtsgewinnung“<br />

a) Entscheidung <strong>und</strong> Entscheidungsverantwortung<br />

b) Präsumtive Verbindlichkeit von Präjudizien<br />

2. Jan Schapps „Hauptprobleme der juristischen <strong>Methoden</strong>lehre“<br />

a) Das Gesetz als Entscheidung einer „Reihe“ von Fällen<br />

b) Der Begriff der „Fallreihe“ am Beispiel des Mordmerkmals einer<br />

grausamen Tötung<br />

c) Das „Gespräch“ zwischen Gesetzgeber, Richter <strong>und</strong> Fallbeteiligten über<br />

die richtige Einreihung des Falles<br />

3. Friedrich Müllers „Strukturierende Rechtslehre“<br />

a) Zum Begriff der (Norm-)„Strukturierung“ <strong>und</strong> der (Norm-)„Konkretisierung“<br />

b) Der „Normtext“ allein ist noch nicht die „Rechtsnorm“<br />

c) Die Rechtsnorm als „sachbestimmtes Ordnungsmodell“<br />

d) „Normprogramm, Normbereich <strong>und</strong> praktische Konkretisierung“<br />

e) Der „semantische Kampf“ in der praktischen Normkonkretisierung<br />

f) Die „Entscheidungsnorm“ (insbesondere im Unterschied zu Fikentschers<br />

„Fallnorm“)


Materialien zu § 4<br />

1. Zur Diskurs- oder Konsenstheorie<br />

a) Jürgen Habermas hat in seiner zweibändigen „Theorie des kommunikativen Handelns“<br />

(1981) eine Theorie gesellschaftlicher Rationalität entwickelt, in der an die Stelle der (bewußtseinsphilosophisch<br />

bestimmten) subjektiven Vernunft die (sprachphilosophisch<br />

transformierte) intersubjektive Verständigung <strong>und</strong> der in einer „idealen Sprechsituation“<br />

erzielte Konsens tritt. In „Faktizität <strong>und</strong> Geltung“, 1992, ist daraus eine Diskurstheorie des<br />

demokratischen Rechtsstaates geworden, die inzwischen höchste Auszeichnung erfahren<br />

hat. Für die <strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>lehre ist der Ertrag indessen – wie Habermas selbst eingesteht<br />

– gering, weil „sich der juristische Diskurs des Gerichts in einem verfahrensrechtlichen<br />

Vakuum abspielt, so daß die Herstellung des Urteils dem professionellen Können<br />

der Richter allein überlassen bleibt“ (S. 291). „Dieses Zugeständnis zeigt die Grenzen der<br />

Diskurstheorie mit aller Deutlichkeit: Einer dezidiert prozeduralen Theorie kommunikativer<br />

Rationalität muß – konsequenterweise – alles nicht vom Verfahren her Erklärbare unerklärbar<br />

erscheinen. Als Gesellschaftstheorie blickt sie zwar auch in den Gerichtssaal, das<br />

Beratungszimmer bleibt ihr aber verschlossen“ (R. Gröschner in Gröschner u.a., Rechts<strong>und</strong><br />

Staatsphilosophie, 2000, S. 267).<br />

b) Konstitutiv für Robert Alexys „Theorie der juristischen Argumentation“, 3. Aufl. 1996, ist<br />

die von ihm selbst so genannte „Sonderfallthese“. Danach ist „der juristische Diskurs ein<br />

Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses“ (S. 263). Das heißt: Es gelten die „Vernunftregeln<br />

des Diskurses“, die im Kern mit den Habermasschen Bedingungen einer idealen<br />

Sprechsituation übereinstimmen. Da hierzu in Tatsachenfragen der Wahrheitsanspruch<br />

von Aussagen gehört, weisen Kritiker zu Recht darauf hin, daß jeder erfahrene<br />

Richter sich darauf einstellt, mit der Unwahrheit von Beteiligtenäußerungen umzugehen.<br />

Aber auch der Richtigkeitsanspruch, der in Rechtsausführungen der Beteiligten erhoben<br />

wird, ist strategischer, nicht kommunikativer Natur.<br />

c) Habermas gesteht letzteres inzwischen ausdrücklich zu, während Alexy bei seiner Position<br />

geblieben ist.<br />

d) Die in dieser Vorlesung vertretene Position ist nicht die einer (womöglich „letztbegründeten“)<br />

Theorie allgemeiner praktischer Vernunft, sondern der Versuch einer Phänomenologie<br />

der im Alltag praktizierten juristischen Arbeit. Diese Arbeit steht vom ersten Semester<br />

des Jurastudiums an bis zu den höchsten Weihen eines Verfassungsrichters unter dem<br />

Zwang zur Entscheidung. Vom Konsens in einer idealen Sprechsituation auszugehen,<br />

verkennt nicht nur die Realität der Praxis, sondern auch die Konfliktstruktur des Rechts,<br />

von der bereits in § 1 die Rede war. Dazu R. Gröschner, Theorie <strong>und</strong> Praxis der juristischen<br />

Argumentation, JZ 1985, S. 170 ff.<br />

2. Zu den dialogischen Konzeptionen<br />

a) Mit Jan Schapp, Hauptprobleme der juristischen <strong>Methoden</strong>lehre, 1983, lassen sich Tatbestandsbegriffe<br />

als Überschriften über „Fallreihen“ auffassen. Die sogenannte Subsumtion<br />

stellt sich dann als Einordnung des zu entscheidenden Falles in die gesetzliche Fallreihe<br />

dar <strong>und</strong> damit methodologisch als Ähnlichkeitsurteil im Rahmen eines Vergleichs. Das<br />

Verfahren des Vergleichs ist aber keine streng deduktive Methode, sondern eine<br />

„unstrenge“ argumentative Kunst (griechisch „techne“). Die Logik der Jurisprudenz ist<br />

deshalb nicht die formale Schlußlogik, sondern eine materiale Argumentationslogik mit<br />

hermeneutischen, rhetorischen <strong>und</strong> topischen Aspekten („Dialogik“: Gröschner, Dialogik<br />

<strong>und</strong> Jurisprudenz, 1982, 2. Aufl. in Vorbereitung).<br />

b) Für Friedrich Müller ist die „Entscheidungsnorm“ keine „selbständige Größe neben der<br />

Rechtsnorm“, sondern „deren jeweils von einem bestimmten Fall her <strong>und</strong> auf seine verbindliche<br />

Lösung hin abschließend individualisierter Aggregatzustand“. Mit ihrer Erzeugung<br />

„gewinnt die Tätigkeit des Rechtsarbeiters ihren prägnantesten, praktischsten Ausdruck“<br />

(<strong>Juristische</strong> Methodik, 7. Aufl. 1997, S. 175). Durch sie wird der „semantische<br />

Kampf“ der Beteiligten um die konkrete Bedeutung der einschlägigen Rechtsnormen für<br />

ihren Fall entschieden. „Das ist die Realität der Rechtsarbeit; <strong>und</strong> nicht ein kognitives Auffinden<br />

‚des‘ Normsinns, nicht das treue ‚Anwenden‘ des objektiven/objektivierten ‚Willens‘<br />

des Gesetzgebers“ (Methodik, Theorie, Linguistik des Rechts, 1997, S. 66).


Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013<br />

<strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong><br />

§ 5 Die Konstituierung des Rechtsfalles<br />

I. Wider die Vorstellung objektiv vorgegebener „Tatsachen“ <strong>und</strong> „Sachverhalte“<br />

1. Zur naturwissenschaftlichen Tatsachenfeststellung<br />

a) Das naive Subjekt-Objekt-Modell der Erkenntnis<br />

b) Die kopernikanische Wende durch Kants Erkenntniskritik<br />

c) Die Theoriegeladenheit physikalischer Daten<br />

2. Zur juristischen Sachverhaltsfeststellung<br />

a) Der Sachverhalt im juristischen Studium<br />

b) Die Relation (Bericht, Gutachten <strong>und</strong> Entscheidungsvorschlag) in der<br />

Referendarausbildung<br />

c) Der Tatbestand als Teil des Urteils (neben Rubrum, Tenor <strong>und</strong><br />

Entscheidungsgründen)<br />

II. Zur Konstituierung des Rechtsfalles im einzelnen<br />

1. Der Fall als Teil der Lebenswelt<br />

a) Bedeutung der Lebenswelt<br />

b) Bedeutung lebensweltlicher „Geschichten“<br />

c) Bedeutung des „hermeneutischen Zirkels“ (besser: der hermeneutischen<br />

Spirale)<br />

d) Bedeutung des Falles in der Rechtsdogmatik (Entwicklung von<br />

Fallsystemen)<br />

2. Die Unterscheidung von Tatfragen <strong>und</strong> Rechtsfragen<br />

a) Unterscheidung trotz hermeneutischer Zusammengehörigkeit (daher<br />

keine „Trennung“)<br />

b) Dogmatische Beispiele: Vertragsschluß <strong>und</strong> Eigentumsübergang<br />

c) Praktisches Beispiel: die „grausame“ Tötung als Mordmerkmal i.S.d.<br />

§ 211 II StGB<br />

3. Die richterliche Tatsachenfeststellung<br />

a) Beibringungs- <strong>und</strong> Untersuchungsgr<strong>und</strong>satz (Partei- <strong>und</strong> Amtsmaxime)<br />

b) Beweismittel, Beweiswürdigung <strong>und</strong> Beweislast<br />

c) Urteile auf der Gr<strong>und</strong>lage von Wahrnehmungen, Wertungen <strong>und</strong><br />

Deutungen


Materialien zu § 5<br />

1. Erkenntnistheoretische Gr<strong>und</strong>lagen:<br />

a) Naiv ist die Vorstellung, in der erkenntnistheoretischen (epistemologischen) Gr<strong>und</strong>relation<br />

zwischen erkennendem Subjekt <strong>und</strong> zu erkennendem Objekt lasse sich das „obiectum“<br />

(das Entgegengeworfene, der Gegenstand) der Erkenntnis unabhängig vom Standpunkt<br />

des Subjekts bestimmen. Naiv ist dies sowohl im Hinblick auf Kants Erkenntniskritik (b)<br />

als auch auf die Entwicklung der modernen Physik (c).<br />

b) In der Vorrede zur 2. Auflage seiner „Kritik der reinen Vernunft“ (1787) spricht Kant von<br />

einer „Revolution der Denkart“ (B XI), die er folgendermaßen beschreibt: „Bisher nahm<br />

man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten ... Man versuche<br />

es ... einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen,<br />

daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntnis richten ... Es<br />

ist hiermit eben so, als mit den ersten Gedanken des Kopernikus bewandt, der, nachdem<br />

es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das<br />

ganze Sternheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen<br />

möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen, <strong>und</strong> dagegen die Sterne in Ruhe ließ“.<br />

c) Einsteins Relativitätstheorie (nach der physikalische Beschreibungen nur in bestimmten<br />

Bezugssystemen sinnvoll sind) <strong>und</strong> Heisenbergs Unschärferelation (nach der in einem<br />

mikrophysikalischen System zwei Größen nicht gleichzeitig beliebig genau meßbar sind)<br />

erfordern die Einsicht in die Theoriegeladenheit physikalischer Daten: Jedes physikalische<br />

<strong>und</strong> auch jedes andere naturwissenschaftliche Experiment hängt von der Versuchsanordnung<br />

ab, die der Experimentator seiner jeweiligen Theorie gemäß vornimmt. Auch naturwissenschaftliche<br />

„Daten“ sind also keine subjektunabhängigen „Gegebenheiten“.<br />

2. Vorgriffe auf Referendarzeit <strong>und</strong> forensische Praxis:<br />

a) Im „Sattelmacher“, der klassischen Einführung in die Rechtspraxis (heute Sattelmacher/Sirp,<br />

Bericht, Gutachten <strong>und</strong> Urteil) heißt es auf der ersten Seite: „Die aus Bericht,<br />

Gutachten <strong>und</strong> Entscheidungsvorschlag bestehende Relation ist ein bewährtes <strong>und</strong> zur<br />

Vorbereitung der Entscheidung eines Rechtsstreites durch Urteil unentbehrliches Ausbildungsmittel<br />

... Es geht um das Herausarbeiten der tatsächlichen <strong>und</strong> der rechtlichen<br />

Gr<strong>und</strong>lage der Entscheidung“.<br />

b) Im Hinblick auf § 313 ZPO (unbedingt lesen!) enthält das Urteil erstens ein (früher rot geschriebenes)<br />

Rubrum (den Urteilskopf mit Eingangsformel, Aktenzeichen, Gericht,<br />

Spruchkörper, Richtern, Tag der letzten mündlichen Verhandlung, Bezeichnung der Beteiligten<br />

sowie ihrer gesetzlichen Vertreter <strong>und</strong> Prozeßbevollmächtigten); zweitens den Tenor<br />

(d.h. die Urteilsformel); drittens den Tatbestand (d.h. die Darstellung des Sach- <strong>und</strong><br />

Streitstandes mit den erhobenen Ansprüchen, den vorgebrachten Angriffs- <strong>und</strong> Verteidigungsmitteln<br />

<strong>und</strong> den gestellten Anträgen); <strong>und</strong> viertens die Entscheidungsgründe (d.h.<br />

die Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher <strong>und</strong> rechtlicher Hinsicht beruht).<br />

3. Methodologisches Gr<strong>und</strong>wissen zur Konstituierung eines Rechtsfalles:<br />

a) Der juristisch zu entscheidende Fall ist keine „objektiv“ vorgegebene Tatsache, kein „factum<br />

brutum“, sondern Teil einer Lebenswelt, zu der auch das Vorverständnis des Rechts<br />

im Sinne einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ gehört. Ohne ein solches Laienverständnis<br />

gäbe es kein Bewußtsein davon, daß eine erlebte lebensweltliche Geschichte<br />

Rechtsfolgen nach sich ziehen kann.<br />

b) Jede laienhafte Erzählung einer lebensweltlichen Geschichte, aus der Rechtsfolgen hergeleitet<br />

werden sollen, entwickelt sich durch Hinzuziehung juristischen Sachverstands spiralförmig<br />

weiter: der Laie versteht immer mehr vom Recht, der Jurist immer mehr vom<br />

erzählten Lebenssachverhalt. Dieser Vorgang fortschreitenden Verständnisses (hier: in der<br />

Konstituierung eines Rechtsfalles) sollte daher nicht als hermeneutischer „Zirkel“, sondern<br />

als hermeneutische „Spirale“ bezeichnet werden. Näheres zur Hermeneutik in § 10.


Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013<br />

<strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong><br />

§ 6 Die Interpretation des Gesetzes<br />

I. Der Begriff des Gesetzes<br />

1. Vorüberlegung: Naturgesetz, Denkgesetz, Sittengesetz<br />

2. Idee <strong>und</strong> Wirklichkeit des Gesetzes im Verfassungsstaat des GG<br />

a) Die republikanische Idee des selbstgegebenen Gesetzes<br />

b) Die demokratische Wirklichkeit des Gesetzgebungskompromisses<br />

3. Gesetze im formellen <strong>und</strong> materiellen Sinne<br />

a) Das Gesetz im nur formellen Sinne (Haushaltsgesetz, Vertragszustimmungsgesetz)<br />

b) Das Gesetz im nur materiellen Sinne (Verordnung, Satzung)<br />

c) Das Gesetz im formellen <strong>und</strong> materiellen Sinne (B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong><br />

Landesgesetz)<br />

4. Abstraktheit <strong>und</strong> Allgemeinheit des Gesetzes<br />

a) Abstraktheit: Regelung ohne Ansehen des Falles?<br />

b) Allgemeinheit: Regelung ohne Ansehen der Person?<br />

II. Die Auslegung des Gesetzes<br />

1. Der Streit zwischen subjektiver <strong>und</strong> objektiver Auslegungsmethode<br />

a) Der angebliche Subjektivismus Savignys<br />

b) Die Rechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<br />

2. Die Regeln bzw. Kriterien der Auslegung<br />

a) Die Gr<strong>und</strong>regeln der Auslegung bei Savigny<br />

b) Die heutigen Standardkriterien der Auslegung<br />

aa) Grammatische Auslegung<br />

bb) Genetische Auslegung<br />

cc) Systematische Auslegung<br />

dd) Teleologische Auslegung<br />

ee) Verfassungskonforme Auslegung<br />

3. Auslegung als argumentativer Auswahlprozeß<br />

a) Keine Rangfolge der Auslegungskriterien<br />

b) Gewichtung im Hinblick auf den zu entscheidenden Fall<br />

c) Gr<strong>und</strong>frage im Zivilrecht wie im Öffentlichen Recht: „Wer will was von<br />

wem woraus“?


Materialien zu § 6<br />

1. Gr<strong>und</strong>begriffe:<br />

a) Gesetz: mittelhochdeutsch aus „setzen“ gebildetes Wort des Inhalts „festgesetzte Regel“;<br />

Denkgesetz: Verfahrensweise bei Konklusionen; Naturgesetz: ein durch Experiment<br />

nicht falsifizierter allgemeingültiger Satz; Sittengesetz: Norm zur Begründung <strong>und</strong> Beurteilung<br />

menschlichen Handelns, bei Kant in Form des kategorischen Imperativs unbedingter<br />

Sollensanspruch an den vernunftbegabten Menschen („Du kannst, denn du<br />

sollst“).<br />

b) Gesetz in formellen Sinne: der im förmlichen Gesetzgebungsverfahren<br />

zustandegekommene Rechtssatz; erforderlich bei „wesentlichen“ Entscheidungen i.S.d.<br />

„Wesentlichkeitsrechtsprechung“ des BVerfG (gr<strong>und</strong>legend: BVerfGE 47, 46/79).<br />

c) Gesetz im materiellen Sinne: jeder „abstrakt-generelle“ Rechtssatz mit Allgemeinverbindlichkeitsanspruch.<br />

d) Gesetze im nur formellen Sinne sind Haushaltsgesetze <strong>und</strong> Vertragszustimmungsgesetze<br />

(Art. 59 Abs. 2 GG); Gesetze im nur materiellen Sinne sind Verordnungen <strong>und</strong> Satzungen;<br />

Gesetze im formellen <strong>und</strong> materiellen Sinne sind die Regelungen des B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong><br />

Landesgesetzgebers, an deren Spitze das Gr<strong>und</strong>gesetz steht.<br />

e) Gesetze enthalten nach h.M. „abstrakt-generelle“ Regelungen, d.h. Regelungen für eine<br />

Vielzahl von Fällen (nicht für einen „konkreten“ Einzelfall) <strong>und</strong> für eine Vielzahl von<br />

Adressaten (nicht für eine „individuelle“ Person); „abstrakt“ darf dabei aber nicht als<br />

Absehen von den zu regelnden Fällen <strong>und</strong> „generell“ nicht als Absehen von den betroffenen<br />

Personen verstanden werden; vielmehr kommt es allein auf die „Vielzahl“ der Fälle<br />

an (zu denen notwendig Personen gehören). Die Regelung einer „Vielzahl von Fällen“<br />

bleibt aber weitaus „konkreter“ als der mißverständliche Terminus „abstrakt“ suggeriert.<br />

2. Auslegungsmethoden:<br />

a) Savigny, System, Bd. 1 (1848), S. 213: die Interpreten müssen „sich in Gedanken auf den<br />

Standpunkt des Gesetzgebers versetzen, <strong>und</strong> dessen Thätigkeit in sich künstlich wiederholen“.<br />

Ausweislich des nächsten Satzes bedeutet dies keineswegs eine „subjektive“ Methode<br />

der Interpretation, da das „Geschäft der Auslegung“ dort als „die Reconstruktion<br />

des dem Gesetze innewohnenden Gedankens“ bestimmt <strong>und</strong> in einer Anmerkung auf<br />

„den geistigen Inhalt des Gesetzes“ bezogen wird.<br />

b) BVerfGE 1, 299, Leitsatz 2: „Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung ist<br />

der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er<br />

sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung <strong>und</strong> dem Sinnzusammenhang ergibt, in<br />

den diese hineingestellt ist“.<br />

3. Auslegungsregeln:<br />

a) Savigny, System, Bd. 1, S. 213 f.: Das „grammatische“, das „logische“, das „historische“<br />

<strong>und</strong> das „systematische“ Element der Auslegung; S. 215: „nicht vier Arten der Auslegung,<br />

unter denen man nach Geschmack <strong>und</strong> Belieben wählen könnte“, sondern „verschiedene<br />

Thätigkeiten, die vereinigt wirken müssen, wenn die Auslegung gelingen<br />

soll“.<br />

b) Grammatische Auslegung: nach Wortstellung im Normtext <strong>und</strong> Wortsinn im allgemeinen<br />

<strong>und</strong> juristischen Sprachgebrauch.<br />

c) Genetische Auslegung: nach Herkunft <strong>und</strong> Entstehungsgeschichte der Norm i.V.m. den<br />

Regelungsabsichten des historischen Gesetzgebers.<br />

d) Systematische Auslegung: nach der Stellung der Norm im Bedeutungszusammenhang<br />

des Gesetzes.<br />

e) Teleologische Auslegung: nach „Sinn <strong>und</strong> Zweck“ (Hendiadyoin!) des Gesetzes (dialogisch:<br />

nach dem „Regelungsgr<strong>und</strong>“).<br />

f) Verfassungskonforme Auslegung: des einfachen Rechts im Lichte des Gr<strong>und</strong>gesetzes.


Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013<br />

<strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong><br />

§ 7 Die Entscheidung des Falles<br />

I. Zur Wiederholung: Gesetz <strong>und</strong> Fall in der traditionellen <strong>Methoden</strong>lehre<br />

1. Die Subsumtion im Rahmen des sog. Justizsyllogismus<br />

2. Die Kluft zwischen „abstrakt-generellem“ Gesetz <strong>und</strong> „konkretindividuellem“<br />

Fall<br />

II. Kritik der traditionellen Subsumtionslehre<br />

1. Wilhelm Schapps Kritik an der Lehre von der Gattung<br />

a) Die „Serie“ eines Automobils<br />

b) Das „Geschlecht“ eines Löwen<br />

c) Die „Geschichte“ eines Mannes<br />

2. Jan Schapps Kritik am Dualismus von Sein <strong>und</strong> Sollen<br />

a) Die Lehre von der „Fallreihe“<br />

b) Die Lehre von der gesetzgeberischen „Fallentscheidung“<br />

c) Der Dialog zwischen Gesetzgeber, Richter <strong>und</strong> Fallbeteiligten<br />

aa) Die Repräsentation des Gesetzgebers durch die Gründe der<br />

gesetzgeberischen Entscheidung<br />

bb) Die Berücksichtigung der von den Fallbeteiligten vorgetragenen<br />

Argumente<br />

cc) Die Gewichtung der Gründe durch den Richter<br />

III. Gr<strong>und</strong>züge einer dialogischen Entscheidungslehre<br />

1. Urteilskraft oder Entscheidungsvermögen?<br />

a) Zur Urteilskraft im Sinne Kants<br />

b) Zum Entscheidungsvermögen im juristischen Sinne<br />

aa) Judiz als Fähigkeit zu einem professionellen Vor-Urteil<br />

(dazu: R. Gröschner, JZ 1987, S. 903 ff.)<br />

bb) Judiz als Kunst des revisiblen Vor-Urteils<br />

2. Dezision oder Entscheidung?<br />

a) Entscheidung im dezisionistischen Sinne<br />

b) Entscheidung im juristischen Sinne<br />

aa) Die Vorbereitung der Entscheidung<br />

bb) Der Entschluß zur Entscheidung<br />

3. Zur Wiederholung <strong>und</strong> Vertiefung: Die Herstellung der Entscheidungsnorm<br />

im semantischen Kampf der Beteiligten<br />

a) Der Normbegriff der „Strukturierenden Rechtslehre“<br />

b) Die Konkretisierung des Normtextes zur Entscheidungsnorm


Materialien zu § 7<br />

1. Zum traditionellen Subsumtionsmodell:<br />

a) Nach traditioneller <strong>Methoden</strong>lehre erfolgt die Subsumtion eines Falles unter das Gesetz<br />

im Rahmen des sog. Justizsyllogismus (Larenz/Canaris, <strong>Methoden</strong>lehre der<br />

Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 92: „Syllogismus der Rechtsfolgebestimmung“),<br />

also im Rahmen einer formallogischen (nämlich deduktiven) Operation. Dagegen versteht<br />

man in der Logik unter „Subsumtion“ das Fallen (bzw. Fallenlassen) eines Gegenstands<br />

unter einen Begriff – also gerade keine logisch-syllogistische Deduktion. Juristen<br />

sollten hier nicht „logischer“ sein wollen als Logiker (zumal der „Syllogismus<br />

der Rechtsfolgebestimmung“ nach erfolgter Subsumtion keinerlei logische Anstrengung<br />

bereitet).<br />

b) Charakteristisch für alle Varianten des traditionellen Subsumtionsmodells ist die Kluft<br />

zwischen dem „abstrakt-generellen“ Gesetz <strong>und</strong> dem „konkret-individuellen“ Fall, die<br />

logisch gesehen noch dadurch vertieft wird, daß das Gesetz dem Reich des „Sollens“<br />

zugeordnet wird <strong>und</strong> der Fall der Welt des „Seins“. Von einem Sein kann logisch aber<br />

nicht auf ein Sollen <strong>und</strong> von einem Sollen nicht auf ein Sein geschlossen werden. Im<br />

übrigen bleibt unklar, wie man sich die „Abstraktion“ von „konkreten“ Einzelfällen<br />

vorzustellen hat, wenn <strong>und</strong> weil das Gesetz doch gerade diese Fälle regeln will.<br />

2. Zur Kritik am Subsumtionsmodell:<br />

a) Wilhelm Schapp hat in seiner „Philosophie der Geschichten“ (im Plural!) eine überzeugende<br />

Kritik der Lehre von der „Gattung“ vorgelegt: Wie jedes Automobil einer<br />

„Serie“ seine eigene Serien-, Motor- <strong>und</strong> Fahrgestell-Nummer <strong>und</strong> nach Zulassung<br />

sein eigenes Kennzeichen <strong>und</strong> seine eigene Fahrleistung hat, ist jeder einzelne Löwe im<br />

Tiergarten trotz seiner Herkunft aus dem Geschlecht (traditionell: der Gattung) der<br />

Löwen ein Individuum mit einer eigenen Geschichte. In gesteigertem Maße gilt dies<br />

für den Menschen, dessen „Wesen“ man daher nach Schapp nicht über die „Gattung<br />

Mensch“ erschließen kann, sondern nur über die Geschichten, in die dieses konkrete<br />

Individuum verstrickt war <strong>und</strong> ist (In Geschichten verstrickt, 3. Aufl. 1985, insbes. das<br />

Kapitel „Die Geschichte steht für den Mann“).<br />

b) Jan Schapp hat diese Kritik aufgenommen <strong>und</strong> für die <strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>lehre in<br />

seiner Lehre von der „Fallreihe“ fruchtbar gemacht. Der Schlüsselbegriff dieser Lehre<br />

ist der Begriff der „gesetzgeberischen Fallentscheidung“. Danach wird das Gesetz<br />

nicht mehr als „abstrakt-generelle“ Norm einem „konkret-individuellen“ Fall entgegengesetzt,<br />

sondern als Entscheidung über eine aus konkreten Einzelfällen bestehende<br />

„Fallreihe“ aufgefaßt, deren einzelne Fälle der Gesetzgeber in zukünftigen richterlichen<br />

Entscheidungen aus bestimmten, den gesetzlichen Tatbeständen zu entnehmenden<br />

Gründen gleichbehandelt wissen will (Hauptprobleme der juristischen <strong>Methoden</strong>lehre,<br />

1983, S. 4, 10, 31, 53 ff., 64 ff., 90 ff.).<br />

c) Mit dem Ende der Entgegensetzung von Gesetz <strong>und</strong> Fall endet auch die Leistungsfähigkeit<br />

des Subsumtionsmodells. Bei Schapp tritt an seine Stelle das „Gespräch“, nämlich<br />

dasjenige zwischen den Beteiligten, dem Richter <strong>und</strong> dem Gesetzgeber – als „stillem<br />

Partner“ – darüber, ob die gesetzgeberischen Entscheidungsgründe die richterliche<br />

Entscheidung für die „Einreihung“ des zu entscheidenden Falles in diese oder jene<br />

„Fallreihe“ überzeugend begründen können (S. 65 unter Verweisung auf R. Gröschner,<br />

Dialogik <strong>und</strong> Jurisprudenz, 1982).<br />

d) Die Fähigkeit, das Ergebnis dieses Gesprächs oder Dialogs mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit<br />

intuitiv richtig einzuschätzen („da ist ‘was d’ran“), ist das einen erfahrenen<br />

Juristen kennzeichnende „Judiz“.


Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013<br />

<strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong><br />

§ 8 Die Richtigkeit der Fallentscheidung<br />

I. Zur Richtigkeitskontrolle im Rechtsbehelfsverfahren<br />

1. Gerichtliche <strong>und</strong> außergerichtliche Rechtsbehelfe am Beispiel des<br />

Verwaltungsprozeßrechts<br />

a) Gerichtliche Rechtsbehelfe<br />

aa) Ordentliche <strong>und</strong> außerordentliche Rechtsbehelfe<br />

bb) Rechtsmittel<br />

b) Außergerichtliche Rechtsbehelfe<br />

aa) Widerspruch<br />

bb) Parlaments- <strong>und</strong> Verwaltungspetition<br />

2. Richtigkeit der Tatsachenfeststellung <strong>und</strong> der Rechtsanwendung<br />

a) Richtigkeitskontrolle in erster <strong>und</strong> zweiter Instanz<br />

b) Richtigkeitskontrolle in der Revisionsinstanz<br />

3. Bedeutung der Rechtskraft<br />

a) Formelle <strong>und</strong> materielle Rechtskraft<br />

b) Notwendigkeit eines Theorienstreits?<br />

II. Richtigkeit der Fallentscheidung oder Legitimation durch Verfahren?<br />

1. Zur Position Luhmanns<br />

2. Zur notwendigen Komplexität der Entscheidungsgründe<br />

III. Zur Logik von Deduktion, Induktion <strong>und</strong> Abduktion<br />

1. Deduktive Argumente<br />

a) Deduktion als analytischer Schluß<br />

b) Dogmatische Argumente als deduktive Argumente (de lege lata)<br />

2. Induktive Argumente<br />

a) Induktion als synthetischer Schluß<br />

b) Argumente de lege ferenda als induktive Argumente<br />

3. Abduktive Argumente<br />

a) Abduktion als hypothetischer Schluß<br />

b) Vor-Urteile im hermeneutischen Sinne als abduktive Argumente („Judiz“:<br />

Materialien zu § 7, 2.).<br />

4. Deduktion <strong>und</strong> Abduktion im juristischen Fallvergleich (Materialien zu § 2, 3.).


Materialien zu § 8<br />

1. Zur Richtigkeitskontrolle im Rechtsbehelfsverfahren:<br />

a) „Rechtsbehelf“ ist ein förmliches oder formloses Ersuchen um Überprüfung einer behördlichen<br />

oder gerichtlichen Entscheidung <strong>und</strong> damit gegenüber „Rechtsmittel“ der<br />

Oberbegriff, da nur Rechtsmittel durch Devolutiv- <strong>und</strong> Suspensiveffekt gekennzeichnet<br />

sind, d.h. durch Anhängigkeit des Verfahrens in der nächsthöheren Instanz<br />

(„Devolutiveffekt“) <strong>und</strong> Hemmung der formellen Rechtskraft („Suspensiveffekt“).<br />

b) Bei den gerichtlichen Rechtsbehelfen ist zwischen ordentlichen <strong>und</strong> außerordentlichen<br />

Rechtsbehelfen einerseits <strong>und</strong> Rechtsmitteln andererseits zu unterscheiden. Am<br />

Beispiel der VwGO sind ordentliche Rechtsbehelfe die verschiedenen Klagearten der<br />

§§ 42, 43 <strong>und</strong> 47 VwGO, außerordentliche Rechtsbehelfe die Anträge auf einstweiligen<br />

Rechtsschutz nach §§ 80 <strong>und</strong> 123 VwGO sowie auf Wiedereinsetzung in den vorigen<br />

Stand (§ 60 VwGO) <strong>und</strong> Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 153 VwGO);<br />

Rechtsmittel sind Berufung (§§ 124 ff. VwGO), Revision (§§ 132 ff. VwGO) <strong>und</strong> Beschwerde<br />

(§§ 146 ff. VwGO).<br />

c) Bei den außergerichtlichen Rechtsbehelfen unterscheidet man förmliche <strong>und</strong> formlose<br />

Rechtsbehelfe. Am Beispiel der VwGO ist der wichtigste förmliche außergerichtliche<br />

Rechtsbehelf der Widerspruch nach §§ 68 ff. VwGO. Formlose außergerichtliche<br />

Rechtsbehelfe sind (auf der Gr<strong>und</strong>lage des Art. 17 GG) die Parlamentspetition <strong>und</strong><br />

die Verwaltungspetition (als Gegenvorstellung oder Aufsichtsbeschwerde).<br />

d) In erster <strong>und</strong> zweiter Instanz erstreckt sich die Richtigkeitskontrolle auch auf die tatsächlichen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen der angegriffenen Entscheidung, während die Revisionsinstanz<br />

keine Tatsachen-, sondern reine Rechtsinstanz ist (Merke die 4 „R“: „Revision =<br />

Rüge reiner Rechtsverletzung“).<br />

e) „Formelle Rechtskraft“ bedeutet, daß eine gerichtliche Entscheidung in einem förmlichen<br />

(„formellen“) Verfahren nicht oder nicht mehr angegriffen werden kann; „materielle<br />

Rechtskraft“ bedeutet, daß die Entscheidung für das Gericht <strong>und</strong> die Beteiligten<br />

(„materiellrechtlich“) bindend ist. Ein Streit um das „Wesen“ der materiellen Rechtskraft<br />

ist müßig, weil die Betroffenen rechtlich nichts davon haben, wenn man ihnen<br />

(nach der herrschenden „prozeßrechtlichen Theorie“) erklärt, daß ihr materieller Anspruch<br />

„an sich“ bestehen bleibe, sie aber gehindert seien, ihn weiter zu verfolgen.<br />

2. Zur Position Luhmanns:<br />

a) Legitimation durch Verfahren, 1969, S. 40 f.: Verfahren als „Entscheidungsgeschichte,<br />

in der jede Teilentscheidung einzelner Beteiligter zum Faktum wird, damit den anderen<br />

Beteiligten Entscheidungsprämissen setzt <strong>und</strong> so die gemeinsame Situation strukturiert“,<br />

<strong>und</strong> zwar in einem „teilweise durch sich selbst gesteuerten, Komplexität reduzierenden<br />

Handlungszusammenhang“.<br />

b) Das Recht der Gesellschaft, 1993, S. 208 f.: „Nur der Code, der die Zuordnung von<br />

Recht <strong>und</strong> Unrecht ermöglicht, aber offen läßt, kann die Ungewißheit erzeugen, von<br />

der das Verfahren lebt. Aber das Verfahren nutzt sie als Medium der eigenen Autopoiesis<br />

aus“, bis die Teilnehmer „am Ende Gefangene ihrer eigenen Teilnahme sind<br />

<strong>und</strong> wenig Aussichten haben, nachträglich die Legitimität des Verfahrens zu bestreiten“.<br />

3. Zur Logik von Deduktion, Induktion <strong>und</strong> Abduktion:<br />

a) Deduktiv wird (in analytischer Weise) von der Regel her argumentiert: Der beschuhte<br />

Fuß ist schon begrifflich ein gefährliches Werkzeug.<br />

b) Induktiv wird (in synthetischer Weise) auf die Regel hin argumentiert: Der beschuhte<br />

Fuß muß durch eine Gesetzesänderung als gefährliches Werkzeug erfaßt werden.<br />

c) Abduktiv wird (in hypothetischer Weise) vom Ergebnis her über die Regel argumentiert:<br />

Der beschuhte Fuß könnte aus pragmatischen, im Einzelfall liegenden Gründen<br />

als gefährliches Werkzeug angesehen werden.


Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013<br />

<strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong><br />

§ 9 Die Gerechtigkeit der Fallentscheidung<br />

I. Zur Gerechtigkeit gesetzgeberischer Entscheidungen<br />

1. Gesetzgebung im Verfassungsstaat des Gr<strong>und</strong>gesetzes<br />

a) Formelle <strong>und</strong> materielle Bindungen der Legislative<br />

b) Politische Entscheidungsspielräume<br />

2. Das parlamentarische „Zwischen“ als dialogisches Gerechtigkeitskriterium<br />

a) Das „Zwischen“ in der Philosophie Martin Bubers<br />

b) Das „Zwischen“ in einer sokratischen Philosophie des Dialogs<br />

c) Das „Zwischen“ in einer politischen Philosophie des Parlamentarismus<br />

II. Zur Gerechtigkeit richterlicher Entscheidungen<br />

1. Gesetzesbindung <strong>und</strong> Unabhängigkeit des Richters<br />

2. Richterliche Entscheidungsspielräume<br />

3. Bedeutung des forensischen „Zwischen“<br />

III. Zur Gerechtigkeit von Verwaltungsentscheidungen<br />

1. Spielräume bei Subsumtionsentscheidungen<br />

a) bei geb<strong>und</strong>enen Entscheidungen<br />

b) bei Ermessensentscheidungen<br />

2. Spielräume bei Abwägungsentscheidungen<br />

a) bei Abwägungsentscheidungen außerhalb des Planungsrechts<br />

b) bei planerischen Abwägungsentscheidungen<br />

IV. Zur Kunst juristischer Entscheidungsfindung<br />

1. Zum Begriff der Kunst („techne“)<br />

a) Die hippokratische techne der Diagnose<br />

b) Die sokratische techne des Dialogs<br />

2. Zum Verhältnis dogmatischer Richtigkeit <strong>und</strong> lebensweltlicher Gerechtigkeit<br />

a) Judiz <strong>und</strong> Rechtsgefühl im forensischen Dialog<br />

b) Die Kunst richterlicher Rechtsfindung


Materialien zu § 9<br />

1. Zur Gesetzgebung im Verfassungsstaat des Gr<strong>und</strong>gesetzes:<br />

a) Formelle Bindungen des Gesetzgebers: Gesetzgebungskompetenz (Art. 70-75 GG auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage des Gr<strong>und</strong>satzes des Art. 30 GG; für Art. 31 GG den Vorrang der Art. 70 ff. GG<br />

beachten!); Gesetzgebungsverfahren (Art. 76-78 GG; für Gr<strong>und</strong>gesetzänderung Art. 79 GG,<br />

für Rechtsverordnungen Art. 80 GG); Ausfertigung, Verkündung, Inkrafttreten (Art. 82).<br />

b) Materielle Bindungen des Gesetzgebers: Bindung an die Gr<strong>und</strong>rechte (Art. 1 Abs. 3 GG als<br />

wichtigste Reaktion auf Weimar; Stichwort: „Gr<strong>und</strong>rechtsgeltung im Rahmen der Gesetze“<br />

einerseits <strong>und</strong> „Gesetzgeltung im Rahmen der Gr<strong>und</strong>rechte“ andererseits); Bindung an die<br />

verfassungsmäßige Ordnung (Art. 20 Abs. 3 GG).<br />

c) Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers: BVerfGE 4, 7 (17 f.) – Investitionshilfegesetz; BVerfGE<br />

7, 377 (400) – Apotheken; BVerfGE 30, 292 (317 ff.) – Erdölbevorratung; BVerfGE 50, 290<br />

(338) – Mitbestimmung; BVerfGE 88, 203 (262) – Schwangerschaftsabbruch: „Einschätzungs-,<br />

Wertungs- <strong>und</strong> Gestaltungsspielraum“.<br />

2. Zur Philosophie der Gerechtigkeit im gewaltenteiligen Staat des Gr<strong>und</strong>gesetzes:<br />

a) Martin Buber (1878-1965): „Ich gehe von einer einfachen realen Situation aus: zwei Menschen<br />

sind in einem echten Gespräch begriffen. Ich will den Tatbestand dieser Situation<br />

aufnehmen. Es erweist sich, daß die geläufigen Kategorien dafür nicht ausreichen. Ich verzeichne:<br />

erstens die ‘physischen’ Phänomene der beiden redenden <strong>und</strong> sich gebärdenden<br />

Menschen, zweitens die ‘psychischen’ Phänomene dessen, was dabei ‘in ihnen’ vorgeht;<br />

aber das sinnhafte Gespräch selbst, das zwischen den beiden Menschen vor sich geht ... ist<br />

unverzeichnet geblieben. Was ist seine Art, was ist sein Ort? Meine Bestandsaufnahme<br />

kommt ohne die Kategorie, die ich das Zwischen nenne, nicht aus“ (P. A. Schilpp/M.<br />

Friedmann, Martin Buber, 1963, S. 605).<br />

b) Philosophiegeschichtlich gesehen ist es der „logos“ (der vernünftige Gr<strong>und</strong>, die Vernunft)<br />

i.S.d. frühen platonischen Dialoge (paradigmatisch: Laches), der im dialogischen „Zwischen“<br />

zur Geltung kommt: „Zu seiner Fülle gelangt der Logos nicht in uns, sondern zwischen<br />

uns; denn er bedeutet die ewige Chance der Sprache, zwischen den Menschen wahr<br />

zu werden“ (M. Buber, Werke, Bd. 1, 1962, S. 469).<br />

c) Übertragen auf eine politische Philosophie des Parlamentarismus gewährleistet nicht schon<br />

das Gesetzgebungsverfahren als solches die Gerechtigkeit gesetzlicher Regelungen, sondern<br />

erst die sachliche Auseinandersetzung um deren Gründe. Im dialogischen Prinzip<br />

geht es dabei um nichts anderes als um den „logos“ im sokratisch-platonischen Sinne <strong>und</strong><br />

um die Herstellung eines vernünftigen „Zwischen“ im Sinne Bubers – was freilich die Pflege<br />

einer entsprechenden politischen Kultur voraussetzt.<br />

d) Mit diesem „Zwischen“ lassen sich auch die Fragen forensischer (von „forum“, Gerichtsstätte)<br />

<strong>und</strong> exekutivischer Gerechtigkeit wenigstens im Prinzip lösen: Es geht um die subjektive<br />

Einstellung (die Haltung, den Charakter, das Ethos) <strong>und</strong> die objektiven (institutionellen)<br />

Bedingungen, durch die eine dialogisch offene Auseinandersetzung <strong>und</strong> eine abgewogene<br />

Entscheidung ermöglicht wird.<br />

3. Zur Kunst juristischer Entscheidungsfindung:<br />

a) In der hippokratischen Medizin bedeutet diagnostizieren (diagignoskein): den Fall als Fall<br />

von ... zu erkennen <strong>und</strong> bei seinem Namen zu nennen. Dasselbe gilt für die juristische<br />

Kunst (griechisch techne, lateinisch ars), den Einzelfall in die richtige Fallreihe einordnen,<br />

z.B. eine Tötungshandlung als „grausam“ i.S.d. § 211 Abs. 2 StGB bezeichnen zu können.<br />

b) Auch die sokratische „techne“ des Dialogs ist „Kunst“ in dem von Aristoteles präzisierten<br />

Sinne: „Techne entsteht, wenn aus vielen Aussagen der Erfahrung (empeiria) eine allgemeine<br />

Auffassung über die ähnlichen Einzelfälle wird“ (Met. I 1 981a). An derselben Stelle<br />

wird auch deutlich, daß die „allgemeine Auffassung“ im Wissen um den „logos“, um den<br />

allgemeinen Gr<strong>und</strong> für die jeweilige Entscheidung besteht. Für eine Techne ist daher jene<br />

Vermittlung zwischen Allgemeinem <strong>und</strong> Einzelnem, Theorie <strong>und</strong> Praxis, Gesetz <strong>und</strong> Fall<br />

charakteristisch, die bei der Behandlung der Hermeneutik (§ 10) im Vordergr<strong>und</strong> stehen<br />

wird.


Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013<br />

<strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong><br />

§ 10 <strong>Juristische</strong> Hermeneutik<br />

I. Zur Hermeneutik im allgemeinen<br />

1. Hermes, der Götterbote <strong>und</strong> das hermeneutische Phänomen der<br />

Vermittlung (dazu Gröschner, JZ 1982, 622)<br />

2. Schleiermacher <strong>und</strong> die Hermeneutik von Texten<br />

3. Dilthey <strong>und</strong> die Hermeneutik des Lebens<br />

4. Gadamer <strong>und</strong> die Hermeneutik der Geschichte (einschließlich deren<br />

Bedeutung für Essers „Vorverständnis <strong>und</strong> <strong>Methoden</strong>wahl in der<br />

Rechtsfindung“)<br />

5. Hermeneutik <strong>und</strong> Linguistik<br />

II. Zwei Klassiker der juristischen Hermeneutik<br />

1. Savigny <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>regeln der Gesetzesauslegung<br />

a) Das Anliegen Savignys <strong>und</strong> der Historischen Rechtsschule<br />

b) Die hermeneutische Aktualität Savignys<br />

2. Jhering <strong>und</strong> die Technik der Rechtsanwendung<br />

a) Das Anliegen Jherings <strong>und</strong> der Interessenjurisprudenz<br />

b) Die hermeneutische Aktualität Jherings<br />

III. Gr<strong>und</strong>züge einer dialogischen Hermeneutik der Jurisprudenz<br />

1. Zur hermeneutischen Spirale von „Auslegung“ <strong>und</strong> „Anwendung“ des<br />

Gesetzes<br />

2. Eine dialogische Hermeneutik der Gesetzesauslegung<br />

a) Grammatische Auslegung<br />

b) Genetische Auslegung<br />

c) Systematische Auslegung<br />

d) Teleologische Auslegung<br />

3. Eine dialogische Hermeneutik der Gesetzesanwendung<br />

a) Hermeneutik der Tatfragen - Dialogik der Sachverhaltsfeststellung<br />

b) Hermeneutik der Rechtsfragen - Dialogik der Auslegung <strong>und</strong><br />

Anwendung des Gesetzes


Materialien zu § 10<br />

1. Klassiker der allgemeinen Hermeneutik:<br />

a) Hermes (von den Römern Mercurius genannt), in der griechischen Mythologie Sohn des<br />

Zeus <strong>und</strong> Bote der Götter (zugleich Patron der Händler <strong>und</strong> Schelme), dessen Botschaften<br />

nur verstehen konnte <strong>und</strong> kann, wer die mythologische Welt versteht, für die er als<br />

Botschafter (hermeneus: Vermittler, Interpret) spricht (hermeneia: Botschaft, Übersetzung,<br />

Interpretation). Jeder Richter ist in diesem hermeneutischen Sinne Vermittler einer<br />

Welt, auf die man sich einlassen muß, um sie verstehen zu können: der Welt des Rechts.<br />

Merke: Das Hermeneutische aller Hermeneutik liegt in der Vermittlung.<br />

b) Friedrich Schleiermachers Auslegungslehre (aus dem Nachlaß, 1838) ist heute gut zugänglich<br />

in der Ausgabe „Hermeneutik <strong>und</strong> Kritik“ von M. Frank. Einen Text gleich<br />

welcher Gattung zu verstehen heißt für Schleiermacher, ihn einerseits objektiv, aus den<br />

Gegebenheiten seiner Sprache, <strong>und</strong> andererseits subjektiv, aus der Individualität seines<br />

Verfassers, zu verstehen <strong>und</strong> in der Verbindung beider Auslegungselemente die betreffende<br />

„hermeneutische Spirale“ (vgl. § 5) entstehen zu lassen. Die hermeneutische<br />

„Vermittlung“ (1a) erfolgt hier also zwischen Subjektivem <strong>und</strong> Objektivem.<br />

c) Wilhelm Diltheys „Plan der Fortsetzung zum Aufbau der geschichtlichen Welt in den<br />

Geisteswissenschaften“ (1907 ff.) befaßt sich nicht nur mit den „höheren Formen“ des<br />

Textverstehens, sondern auch mit den „elementaren“ Formen des Lebensverstehens.<br />

Diltheys generelle Bedeutung für die juristische Hermeneutik liegt darin, dieses „Verstehen<br />

aus dem Leben selbst“ thematisiert <strong>und</strong> dabei die hermeneutische Spirale nicht<br />

nur wie Schleiermacher innerhalb des Textes, sondern als Spirale in der Vermittlung<br />

zwischen Text <strong>und</strong> Leben begründet zu haben.<br />

d) Das Hauptwerk der heutigen philosophischen Hermeneutik ist Hans-Georg Gadamers<br />

„Wahrheit <strong>und</strong> Methode“ (1960) – ein Titel, der als Leitsatz zu seiner Lehre formulierbar<br />

ist: Wahrheit ist keine Frage der Methode, <strong>und</strong> zwar in all jenen „geisteswissenschaftlichen“<br />

Disziplinen nicht, die man mit Gadamer „hermeneutische“ nennen kann. Zu ihnen<br />

gehören nicht nur traditionelle hermeneutische Disziplinen wie Theologie, Jurisprudenz<br />

<strong>und</strong> Philosophie, sondern auch Geschichte, insbesondere Kunst- <strong>und</strong> Philosophiegeschichte,<br />

Ästhetik im speziellen <strong>und</strong> Philosophie im allgemeinen. Wahrheit ist<br />

dort eine Frage des Verstehens <strong>und</strong> der Verständigung. Verstehen bedeutet dabei, jede<br />

Aussage als Antwort auf eine bestimmte Frage zu verstehen („hermeneutischer Vorrang<br />

der Frage“). Die juristische Hermeneutik ist hier für Gadamer von „exemplarischer Bedeutung“<br />

gewesen. Josef Essers „Vorverständnis <strong>und</strong> <strong>Methoden</strong>wahl in der Rechtsfindung“<br />

(1970) konnte gerade deshalb gut an Gadamer anknüpfen.<br />

2. Klassiker der juristischen Hermeneutik:<br />

a) Das Anliegen Savignys <strong>und</strong> der Historischen Rechtsschule kommt schon im Titel des<br />

Savignyschen Hauptwerkes zum Ausdruck: Er lautet nicht „System des römischen<br />

Rechts“, sondern „System des heutigen römischen Rechts“ – es geht also um die hermeneutische<br />

Vermittlung der Vergangenheit mit der Gegenwart. Darin liegt auch die hermeneutische<br />

Aktualität Savignys. Stichwort: „Das Gesetz ist klüger als der Gesetzgeber“.<br />

b) Jhering hat als erster <strong>Methoden</strong>lehrer auch in der Theorie damit ernst gemacht, daß das<br />

Recht dem Leben <strong>und</strong> das juristische Verstehen der Praxis zu dienen hat. Davon zeugt<br />

vor allem die „Theorie der Technik“, die er im „Geist des römischen Rechts“ entwickelt<br />

hat. Deren erste Zeile lautet: „Das Recht ist dazu da, daß es sich verwirkliche“. In diesem<br />

Wirklichkeitsbezug, der auf die vom Recht zu berücksichtigenden „Interessen“ abstellt,<br />

ist Jhering noch immer aktuell.<br />

c) Zu den „klassischen“ Auslegungskriterien: Zippelius, <strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>lehre,<br />

7. Aufl. 1999, S. 42 ff. Dort wird insbesondere deutlich, daß alle Auslegung als argumentativer<br />

Auswahlprozeß begriffen werden muß, in dem die einzelnen Auslegungskriterien<br />

ihr Gewicht erst in der einzelfallbezogenen Abwägung erhalten.


Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013<br />

<strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong><br />

§ 11 <strong>Juristische</strong> Logik<br />

I. Zur Logik im allgemeinen<br />

1. Aristoteles als Vater der formalen Logik<br />

a) Zum Begriff der formalen Logik<br />

b) Zur Herkunft der aristotelischen Analytik<br />

c) Zur Wiederentdeckung des Enthymems<br />

2. Hauptvertreter <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>anliegen einer materialen Logik<br />

a) Lipps’ „Untersuchungen zu einer hermeneutischen Logik“<br />

b) Collingwoods „Logic of question and answer“<br />

c) Lorenzens „Dialogische Logik“<br />

II. Zur Bedeutung formaler Logik in der Jurisprudenz<br />

1. Die „Verletzung der Denkgesetze“ als Revisionsgr<strong>und</strong><br />

2. Die vier obersten Denkgesetze<br />

a) Das Gesetz der Identität<br />

b) Das Gesetz des Widerspruchs<br />

c) Das Gesetz des ausgeschlossenen Dritten<br />

d) Das Gesetz des zureichenden Gr<strong>und</strong>es<br />

3. Typische Beispiele für eine Verletzung der Denkgesetze<br />

III. Zum Gr<strong>und</strong>anliegen einer dialogischen Logik der Jurisprudenz<br />

1. <strong>Juristische</strong> Logik als „Rechtslogik“ einerseits <strong>und</strong> „Logik der Jurisprudenz“<br />

andererseits<br />

2. Rechtslogik als Disziplin der Rechtswissenschaft<br />

3. Logik der Jurisprudenz als praktische <strong>Argumentationslehre</strong><br />

4. Folge- <strong>und</strong> Folgenrichtigkeit juristischen Entscheidens<br />

a) Folgerichtigkeit der Begründung<br />

b) Folgenrichtigkeit der Entscheidung


Materialien zu § 11<br />

1. Gr<strong>und</strong>begriffe der formalen Logik:<br />

a) Basis aller Beschäftigung mit formaler Logik ist – im Anschluß an Wittgenstein – die<br />

Unterscheidung zwischen dem logischen Raum einerseits <strong>und</strong> der realen Welt andererseits.<br />

Was im Raum der Logik richtig ist, kann im Raum der Welt falsch sein.<br />

b) Die „formale Logik“ beschäftigt sich mit Konklusionen, die allein aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

Form gelten. Die betreffenden Aussageformen sind logisch gültig, unabhängig davon,<br />

ob die in ihnen auftretenden Aussagen wahr oder falsch sind; sie sind demnach<br />

tautologisch (von griechisch: tauto, dasselbe).<br />

c) Das klassische Beispiel stammt aus der Ersten Analytik des Aristoteles; es ist der Syllogismus<br />

„Alle B sind A“ <strong>und</strong> „Alle C sind B“, also gilt: „Alle C sind A“. Dieser<br />

Schlußsatz ist tautologisch, weil es für seine Gültigkeit nicht auf die Wahrheit der<br />

Vordersätze ankommt. Sind die Vordersätze aber wahr, überträgt der syllogistische<br />

Schluß die Wahrheit der Prämissen auf die Konklusion. Diese ist dann wahrheitserhaltend.<br />

Das ist die Pointe eines Syllogismus im modus barbara.<br />

d) In der modernen Logik geht es um den Aufbau von Aussagen durch logische Partikel:<br />

„Junktoren“ <strong>und</strong> „Quantoren“. Die „Junktoren-“ (oder Aussagen-)Logik bezieht<br />

sich auf die Verbindungen (Junktionen) zwischen Aussagen durch die Junktoren<br />

„<strong>und</strong>“, „oder“, „wenn ... dann“ <strong>und</strong> „nicht“; die „Quantoren-“ (oder Prädikatenlogik)<br />

auf logische Verbindungen durch die Quantoren „kein“, „alle“ <strong>und</strong> „manche“. Da<br />

sich die heutige Logik insoweit weitgehender Symbolisierungen bedient, wird sie<br />

auch als symbolische Logik bezeichnet.<br />

2. Gr<strong>und</strong>positionen einer materialen Logik:<br />

a) Hans Lipps, Untersuchungen zu einer hermeneutischen Logik, 1938, S. 20 f.: „Hermeneutische<br />

Logik setzt ... an der Situation, so wie sie zu Wort kommt, ein“; S. 40:<br />

„aus Umständen, Tatsachen usw. schließt man, aber nicht aus Prämissen. Prämissen<br />

treten nur in der Darstellung eines Schlusses auf ... Im Nachtrag werden Prämissen<br />

wichtig“.<br />

b) Robin George Collingwood, Denken, 1955, S. 32: „daß das Wissen nicht aus ‚Feststellungen‘,<br />

‚Aussagen‘ <strong>und</strong> ‚Urteilen‘ besteht ..., sondern aus diesen <strong>und</strong> (Hervorhebung<br />

im Original) den Fragen, die sie beantworten wollen. Weshalb eine Logik, die allein<br />

die Antworten beachtet <strong>und</strong> die Fragen vernachlässigt, eine falsche Logik ist“.<br />

c) Paul Lorenzen, Dialogische Logik, 1978: „Proponent“ als derjenige, der eine Behauptung<br />

aufstellt <strong>und</strong> „Opponent“ als derjenige, der diese Behauptung angreift. „Allgemeine<br />

Dialogregel“: „Jeder Dialogpartner greift die im vorhergehenden Zug des anderen<br />

gesetzte Aussage an oder verteidigt sich gegen den im vorhergehenden Zug erfolgten<br />

Angriff des anderen“ (S. 216).<br />

3. Zu den vier obersten Denkgesetzen:<br />

a) Das Gesetz der Identität besagt, daß jeder Gegenstand mit sich selbst identisch ist: A<br />

ist A. (Der Satz „ein Vertrag ist ein Vertrag“ ist damit zwar logisch wahr, juristisch<br />

aber nichtssagend).<br />

b) Das Gesetz des Widerspruchs besagt, daß zwei einander kontradiktorisch widersprechende<br />

Urteile nicht beide wahr sein können: A ist nicht non-A.<br />

c) Das Gesetz des ausgeschlossenen Dritten besagt, daß von zwei kontradiktorisch entgegengesetzten<br />

Urteilen eines notwendig wahr sein muß; ein Drittes gibt es nicht<br />

(tertium non datur) – eine Klage kann z.B. nur entweder zulässig oder unzulässig<br />

sein.<br />

d) Das Gesetz des zureichenden Gr<strong>und</strong>es besagt, daß jedes Urteil, um wahr zu sein,<br />

notwendig einer hinreichenden Begründung bedarf.


Professor Dr. Rolf Gröschner Sommersemester 2013<br />

<strong>Juristische</strong> <strong>Methoden</strong>- <strong>und</strong> <strong>Argumentationslehre</strong><br />

§ 12 <strong>Juristische</strong> Rhetorik<br />

I. Drei Klassiker der (Rechts-) Rhetorik<br />

1. Aristoteles als griechischer Klassiker<br />

a) Bedeutung der aristotelischen Rhetorik<br />

b) Gr<strong>und</strong>begriff des „Enthymem“<br />

2. Quintilian als römischer Klassiker<br />

a) Bedeutung der „Institutio oratoria“ Quintilians<br />

b) Gr<strong>und</strong>begriff des „vir bonus dicendi peritus“<br />

3. Perelman als moderner Klassiker<br />

a) Bedeutung der „Nouvelle rhétorique“ Perelmans<br />

b) Gr<strong>und</strong>begriff des „auditoire universel“<br />

II. Zur rhetorischen Relevanz der Topik<br />

1. Zur Topik im allgemeinen<br />

a) Gr<strong>und</strong>begriffe der aristotelischen Topik<br />

b) Gr<strong>und</strong>begriffe der ciceronischen Topik<br />

2. Zur juristischen Topik im besonderen<br />

a) Viehweg als moderner Klassiker juristischer Topik<br />

b) Kriele als Hauptvertreter verfassungsrechtlicher Topik<br />

3. Zur Gr<strong>und</strong>unterscheidung zwischen Urteilsfindung <strong>und</strong> Urteilsbegründung<br />

a) „ars inveniendi“ <strong>und</strong> „ars iudicandi“<br />

b) „Herstellung“ <strong>und</strong> „Darstellung“ des Urteils<br />

III. Ausblick: <strong>Juristische</strong> Ästhetik<br />

1. Über das Verhältnis von Logos, Ethos <strong>und</strong> Pathos<br />

2. Vom Wohlklang einer gelungenen juristischen Argumentation


Materialien zu § 12<br />

1. Zu den Klassikern der (Rechts-) Rhetorik:<br />

a) Die erste systematische Bestimmung der Rhetorik stammt von Aristoteles: „Dreierlei<br />

braucht man ... für eine Rede, einen Redner, einen Gegenstand <strong>und</strong> eine Zuhörerschaft,<br />

<strong>und</strong> dieser letzte, der Zuhörer, ist richtunggebend ... Daher muß es drei Gattungen<br />

von rednerischen Erörterungen geben, die Ratsrede, die Gerichtsrede <strong>und</strong> die<br />

Festrede“ (Rhetorik I 3, 1358 b in der Übersetzung von P. Gohlke). Das „Enthymem“<br />

bestimmt Aristoteles als eine „rhetorische Deduktion“, deren Validität keine Frage<br />

der Logik, sondern der Topik sei. Deshalb handelt es sich um eine argumentative<br />

Folgerung aus „endoxa“, d.h. herrschenden Meinungen (dazu § 12). Darin liegt die<br />

bleibende Bedeutung der aristotelischen Rhetorik für die juristische <strong>Methoden</strong>lehre<br />

(während die verbreitete Definition des Enthymems als „unvollständiger Syllogismus“<br />

auf einer Fälschung beruht: Ch. Rapp, Rhetorik, 2002, S. 360).<br />

b) Quintilian (um 35 bis etwa 100 n. Chr.), Anwalt <strong>und</strong> erster aus kaiserlicher Kasse besoldeter<br />

Rhetorikprofessor (unter Vespasian 71) hat mit den 12 Büchern seiner<br />

„Institutio oratoria“ (deutsch: „Ausbildung des Redners“, 1972) ein Lehrbuch der Beredsamkeit<br />

verfaßt, das vom 16. bis zum 18. Jahrh<strong>und</strong>ert als Gr<strong>und</strong>lage des<br />

Rhetorikunterrichts diente. Darin hat er das klassische, von Cato (dem Älteren) vorformulierte<br />

Bildungsideal des „vir bonus dicendi peritus“ zu verwirklichen versucht:<br />

ohne „bona voluntas“, d.h. ohne den guten Willen eines im vollen rhetorischen Sinne<br />

„redlichen“ (bei seiner Rede bleibenden <strong>und</strong> in ihr zur Sache sprechenden) Menschen<br />

verkümmert Rhetorik zur „Eristik“ (Schopenhauer: „die Lehre von der dem Menschen<br />

natürlichen Rechthaberei“ <strong>und</strong> ihrer „Kunstgriffe“ wie „persönlich werden“).<br />

c) Perelman hat in seiner „Nouvelle rhétorique“ (1958) im Anschluß an Aristoteles entscheidend<br />

auf die Zuhörerschaft abgestellt: dasjenige Auditorium, das sich nur durch<br />

wohlbegründete Argumente überzeugen läßt, nennt er „universales Auditorium“<br />

(„auditoire universel“).<br />

2. Zu Viehweg <strong>und</strong> Kriele als modernen Klassikern der juristischen Topik:<br />

a) Mit seiner kleinen Schrift „Topik <strong>und</strong> Jurisprudenz“ (1953, 5. Aufl. 1974) hat Theodor<br />

Viehweg eine internationale Diskussion ausgelöst, die bis heute anhält. Ihm kommt<br />

das Verdienst zu, die Topik als „geistiges Gefüge“ <strong>und</strong> als „Techne des Problemdenkens“<br />

(S. 14) philosophisch wiederentdeckt <strong>und</strong> methodologisch reetabliert zu haben.<br />

Auch wenn man die Nähe zur „Aporetik“ Nicolai Hartmanns kritisch sehen<br />

kann (Gröschner, Dialogik <strong>und</strong> Jurisprudenz, S. 202 ff.), muß man die Viehwegsche<br />

Topik gegen unberechtigte Angriffe (vor allem seitens der zivilrechtlichen <strong>Methoden</strong>lehre)<br />

verteidigen. Das topische Problemdenken ist kein kontradiktorischer Gegensatz<br />

zum systematischen Denken der Dogmatik, sondern ein konträrer; d.h.: Topik<br />

schließt Systematik nicht aus, sondern ist das andere Ende einer mit strengen<br />

dogmatischen Begriffen beginnenden <strong>und</strong> mit mehr oder weniger unbestimmten<br />

Topoi endenden Skala juristischer Begründungen. Topoi sind vor allem dort erforderlich,<br />

wo das Gesetz selbst keinen streng dogmatischen Begründungsansatz ermöglicht.<br />

b) In seiner „Theorie der Rechtsgewinnung“ (1967, 2. Aufl. 1976) hat Martin Kriele die<br />

Topik auf das Verfassungsrecht angewandt <strong>und</strong> als „verfassungsjuristische Methode“<br />

(S. 114 ff.), fruchtbar gemacht. Zutreffend heißt es dort: „Die sog. ‘topoi’ werden<br />

von keinem Verfechter der Topik-These als genügend zur Problemlösung angesehen.<br />

Topoi sind lediglich Problemlösungsvorschläge, die zur Diskussion stehen ...<br />

Insbesondere – das ist besonders wichtig – belehrt uns der Rückgriff auf die klassische<br />

Topik, daß seit Aristoteles, dem Begründer der Logik, die sog. Schlußverfahren<br />

der juristischen Logik – Analogie, argumentum e contrario, a fortiori, a majore ad<br />

minus usw. – bloße topoi sind“ (S. 151).

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