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Konstruktivismus, Theologie und Wahrheit - Religionslehrer im ...

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<strong>Konstruktivismus</strong>, <strong>Theologie</strong> <strong>und</strong> <strong>Wahrheit</strong>


Erklärung<br />

Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig <strong>und</strong> nur unter<br />

Benutzung der angeführten Quellen <strong>und</strong> Hilfsmittel angefertigt habe.<br />

Mamer, den 2. Mai 2007<br />

2


Thierry ORIGER<br />

Professeur candidat<br />

Lycée Technique Josy Barthel<br />

Tossebierg, L-8268 Mamer<br />

<strong>Konstruktivismus</strong>, <strong>Theologie</strong> <strong>und</strong> <strong>Wahrheit</strong><br />

Sind <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> <strong>Theologie</strong> miteinander vereinbar?<br />

Mamer, den 2. Mai 2007<br />

3


ABSTRACT<br />

Der (radikale) <strong>Konstruktivismus</strong> geht davon aus, dass jeder Mensch ein autonomes,<br />

strukturdeterminiertes Wesen ist. Dadurch wird die Möglichkeit einer objektiven Erkenntnis<br />

von Wirklichkeit <strong>im</strong> Sinne einer 1:1-Entsprechung in Frage gestellt (wobei nicht die Nichtexistenz<br />

einer objektiven Realität, sondern lediglich die Möglichkeit deren objektiven<br />

Erkenntnis behauptet wird). Aus der Überzeugung heraus, dass die Konstruktion von Wirklichkeit<br />

in hohem Maße subjektabhängig ist, äußert der <strong>Konstruktivismus</strong> eine gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Skepsis gegenüber <strong>Wahrheit</strong>sansprüchen. Da der <strong>Konstruktivismus</strong> mittlerweile zu einem<br />

„Mainstream“ <strong>im</strong> wissenschaftlichen Diskurs avanciert ist, darf auch die <strong>Theologie</strong> sich ihm<br />

nicht verschließen. Zwischen <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> <strong>Theologie</strong> gibt es etliche Anknüpfungspunkte<br />

– unter der Bedingung, dass Letztere nicht als „Sprachrohr“ des katholischen Lehramtes<br />

<strong>im</strong> Sinne einer positivistischen Disziplin, sondern als Metatheorie, d.h. als Beobachtung einer<br />

zweiter Ebene, die sich von der Ebene des religiösen Vollzugs gr<strong>und</strong>sätzlich unterscheidet,<br />

verstanden wird. Darüber hinaus würde eine Öffnung der <strong>Theologie</strong> gegenüber dem<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> der <strong>Theologie</strong> einen wichtigen apologetischen Dienst leisten <strong>und</strong> ihren Platz<br />

<strong>im</strong> wissenschaftlichen Fächerkanon legit<strong>im</strong>ieren. Die Ernstnahme der konstruktivistischen<br />

Thesen bleibt nicht folgenlos für Seelsorge <strong>und</strong> Religionspädagogik. Wenn der Mensch als<br />

autopoietisches System Konstrukteur seiner Wirklichkeit ist, muss auch der Seelsorger bzw.<br />

der Religionspädagoge den Menschen als Konstrukteur seiner Religiosität bzw. Spiritualität<br />

ernst nehmen. Auch die Frage der Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts <strong>und</strong><br />

der Einführung eines „bekenntnisfreien“ Werte- <strong>und</strong> Weltanschauungsunterrichts erscheint aus<br />

konstruktivistischer Sicht in neuem Licht. Wenn es zutrifft, dass der Mensch weniger<br />

beeinflussbar ist als bisher angenommen, sondern <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Sinne seiner bereits vorhandenen<br />

eigenen kognitiv-somatischen Struktur reagiert, müssen wir die Gültigkeit eines klassisches<br />

Axioms der Religionspädagogik in Frage stellen, das besagt, dass der Schüler nur dann seinen<br />

ethischen, spirituellen <strong>und</strong> religiösen Standpunkt konstruieren kann, wenn der <strong>Religionslehrer</strong><br />

„fest <strong>im</strong> Glauben steht“, so dass der Schüler sich an der Positionalität des Lehrers „reiben“<br />

kann. Unsere Feststellung lautet, dass die Frage „Einheitlicher Werte- <strong>und</strong> Weltanschauungsunterricht<br />

oder konfessioneller Religionsunterricht?“ sich aus konstruktivistischer Sicht nicht<br />

eindeutig beantworten lässt, dass es letztlich aber auch weniger entscheidend ist als gemeinhin<br />

angenommen, ob der Schüler seine Weltanschauung mithilfe eines konfessionellen oder<br />

mithilfe eines bekenntnisfreien Unterrichts konstruiert. Entscheidend ist vielmehr, wie der<br />

Religionsunterricht – sei er nun „bekennend“ oder „bekenntnisneutral“ –, konzipiert ist, oder,<br />

konstruktivistisch-didaktisch gesprochen, mit welchen „Perturbationen“ der Schüler<br />

konfrontiert wird.<br />

4


INHALTSVERZEICHNIS<br />

Abstract.....................................................................................................................................4<br />

1. Einleitung.............................................................................................................................7<br />

1.1 Vorbemerkungen .........................................................................................................7<br />

1.2 Methode <strong>und</strong> Struktur der Arbeit................................................................................10<br />

2. <strong>Konstruktivismus</strong> - Ein Überblick....................................................................................11<br />

2.1 Hinführung ................................................................................................................11<br />

2.2 Gr<strong>und</strong>sätzliches .........................................................................................................12<br />

2.3 Wichtige Vertreter <strong>und</strong> Konzepte...............................................................................15<br />

2.3.1 Ernst von Glasersfeld ......................................................................................15<br />

2.3.2 Humberto Maturana ........................................................................................18<br />

2.3.3 Gerard Roth ....................................................................................................20<br />

2.4 Einwände <strong>und</strong> Anfragen.............................................................................................22<br />

2.4.1 Verbirgt der <strong>Konstruktivismus</strong> eine <strong>im</strong>manente Paradoxie?.............................22<br />

2.4.2 Ist der <strong>Konstruktivismus</strong> eine solipsistische Position? .....................................23<br />

2.4.3 Gibt der <strong>Konstruktivismus</strong> die Objektivität auf?..............................................25<br />

2.4.4 Wie lassen sich Konstruktivität <strong>und</strong> erfolgreiches Problemlösen vereinbaren?.26<br />

2.5 Weitere Anmerkungen...............................................................................................27<br />

2.5.1 Der <strong>Konstruktivismus</strong> als komplexes Paradigma .............................................27<br />

2.5.2 Der <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> die Existenz einer objektiven Realität ....................27<br />

2.5.3 Der <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> der <strong>Wahrheit</strong>sbegriff..............................................29<br />

2.5.4 Die Fruchtbarkeit des <strong>Konstruktivismus</strong> für die einzelnen Disziplinen ............30<br />

2.6 Zusammenfassung .....................................................................................................30<br />

3. Ethische Konsequenzen des <strong>Konstruktivismus</strong> ................................................................33<br />

3.1 Allgemeine Bemerkungen..........................................................................................33<br />

3.2 Toleranzgebot............................................................................................................33<br />

3.3 Verantwortungsakzeptanz ..........................................................................................36<br />

3.4 Begründungspflicht....................................................................................................37<br />

3.5 Appell an die Liebe....................................................................................................38<br />

4. <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> <strong>Theologie</strong>......................................................................................41<br />

4.1 Hinführung ................................................................................................................41<br />

4.2 <strong>Theologie</strong>, <strong>Wahrheit</strong> <strong>und</strong> Offenbarung .......................................................................43<br />

4.3 <strong>Theologie</strong> <strong>und</strong> <strong>Konstruktivismus</strong>................................................................................49<br />

4.3.1 Allgemeine Bemerkungen ...............................................................................49<br />

4.3.2 <strong>Theologie</strong> als kontextuelle <strong>Theologie</strong> ..............................................................50<br />

4.3.3 <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> die Rede über Gott <strong>und</strong> Offenbarung ............................53<br />

4.3.4 <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> Dogmen .......................................................................57<br />

4.3.5 Wider den Absolutismus in der Kirche ............................................................59<br />

4.3.6 Wirklichkeit schaffender Glaube .....................................................................61<br />

4.3.7 <strong>Theologie</strong> als Metatheorie ...............................................................................63<br />

4.3.8 Das Neue Testament <strong>im</strong> Licht des <strong>Konstruktivismus</strong> .......................................72<br />

4.3.9 <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> „relationale <strong>Theologie</strong>“ ................................................76<br />

4.4 Schlussbemerkungen .................................................................................................78<br />

5


5. Konsequenzen für die praktische <strong>Theologie</strong>.................................................................... 83<br />

5.1 Vorbemerkungen ...................................................................................................... 83<br />

5.2 Konsequenzen für die Seelsorge................................................................................ 83<br />

5.3 Konsequenzen für die Religionspädagogik................................................................ 84<br />

5.4 Zusammenfassung..................................................................................................... 91<br />

6. <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> die Frage des gemeinsamen „Werteunterrichts“....................... 93<br />

6.1 Hinführung ............................................................................................................... 93<br />

6.2 Für den bekenntnisfreien Unterricht .......................................................................... 94<br />

6.3 Für den konfessionellen Unterricht............................................................................ 96<br />

6.4 Schlussfolgerung....................................................................................................... 98<br />

Literaturverzeichnis...............................................................................................................101<br />

6


1. EINLEITUNG<br />

1.1 Vorbemerkungen<br />

Es lässt sich nicht leugnen, dass der <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>im</strong> Trend der Zeit liegt. Vieles deutet<br />

sogar darauf hin, dass die konstruktivistischen Auffassungen, die in kurzer Zeit einen<br />

regelrechten Popularitätsschub erlebt haben, zu einem Mainstream <strong>im</strong> wissenschaftlichen<br />

Diskurs avancieren. 1 Ich persönlich wurde mit diesem philosophischen Ansatz <strong>im</strong> Bereich der<br />

Pädagogik konfrontiert, näherhin in der Lehrerausbildung <strong>im</strong> Rahmen des Stage pédagogique,<br />

der – wie es von den Ausbildungsleitern auch <strong>im</strong>mer wieder betont wurde – konstruktivistisch<br />

ausgerichtet ist.<br />

Die Pädagogik ist aber nur ein Gebiet, auf dem sich der <strong>Konstruktivismus</strong> ausgebreitet hat.<br />

Über die Pädagogik hinaus entfaltet der <strong>Konstruktivismus</strong> seine Wirksamkeit in vielen<br />

Disziplinen. Nur in der <strong>Theologie</strong> hat er noch nicht so recht Einzug erhalten. So schreibt<br />

Andreas Klein: „Wer sich [...] aus theologischer Perspektive mit dem radikalen<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> zu beschäftigen versucht, wird diesbezüglich mit Enttäuschung bestraft.“ 2<br />

Klein stellt fest, dass die <strong>Theologie</strong> den <strong>Konstruktivismus</strong> bisher kaum zur Kenntnis<br />

genommen hat, geschweige denn sich mit ihm auseinandergesetzt hat. Für ihn ist das eine<br />

unannehmbare Situation, die dringend einer Korrektur bedarf. Deshalb fordert er eine<br />

ernsthafte <strong>und</strong> sachliche Auseinandersetzung der <strong>Theologie</strong> mit dem <strong>Konstruktivismus</strong>, damit<br />

diese nicht von „rollenden Zügen“ überrascht wird. 3<br />

Warum der <strong>Konstruktivismus</strong> gerade in der <strong>Theologie</strong> noch nicht so recht Einzug gehalten hat,<br />

darf man nicht mit voreiligen Antworten erklären, da keine offiziellen Stellungnahmen seitens<br />

der <strong>Theologie</strong> vorliegen. 4 Die Gründe für diese Skepsis, teilweise sogar Ignoranz der <strong>Theologie</strong><br />

gegenüber dem <strong>Konstruktivismus</strong>, scheinen aber doch auf der Hand zu liegen. Der Hauptgr<strong>und</strong><br />

1 Vgl. FRESACHER 2000, 376; HAUGE 1998, 87; KLEIN 2003, 17. Klein zufolge liegt dieser Erfolg des<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> unter anderem daran, „dass mit dem radikalen <strong>Konstruktivismus</strong> zugleich der N<strong>im</strong>bus der<br />

vielbeschworenen Postmoderne oder eines postmodernistischen Lebensgefühls assoziiert wird, obwohl sich die<br />

Vertreter des radikalen <strong>Konstruktivismus</strong> weitgehend davon distanzieren“ (KLEIN 2003, 19) – wobei die<br />

Gemeinsamkeiten allerdings nicht übersehen werden dürfen.<br />

2 Vgl. KLEIN 2003, 24; auch AMMERMANN 1990, 43.<br />

3 Vgl. KLEIN 2002, 139. Ähnlich auch WALLICH 1999, 26-27, dessen Urteil allerdings etwas weniger negativ<br />

ausfällt: Er weist nicht ganz zu Unrecht darauf hin, dass doch in den letzten Jahren einige Monographien <strong>und</strong><br />

Artikel zu diesem Thema erschienen sind.<br />

4 Vgl. KLEIN 2003, 25; MENDL 2005, 187.<br />

7


mag wohl darin liegen, dass zumindest die offizielle katholische <strong>Theologie</strong> – es gibt nämlich<br />

die <strong>Theologie</strong> längst nicht mehr, so wie es auch die Philosophie nicht gibt 5 – in der Frage der<br />

<strong>Wahrheit</strong> bzw. der Wirklichkeit eine positivistische Position einn<strong>im</strong>mt, <strong>und</strong> in diesem Falle<br />

jeglicher konstruktivistische Ansatz mit dem katholischen Dogmenverständnis in Konflikt<br />

gerät. Es steht außer Frage, dass mit der Rezeption des <strong>Konstruktivismus</strong> in der <strong>Theologie</strong> eine<br />

zentrale theologische Frage tangiert wird, mit der auch wir uns beschäftigen müssen: die<br />

<strong>Wahrheit</strong>sfrage <strong>im</strong> Kontext von Gottesfrage <strong>und</strong> Offenbarung. 6 A. Klein merkt an, „dass<br />

best<strong>im</strong>mte theologische Orientierungen <strong>und</strong> Richtungen, vor allem jene, die in dezidierter<br />

Weise am Offenbarungsgedanken ausgerichtet sind, derartige Neukonzeptualisierungen, wie<br />

sie der radikale <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> die ihm anverwandten Diskurse darstellen, als in<br />

besonderer Weise für gefährlich bzw. relativistisch halten.“ 7 Auch Rusch betont: „Aus der<br />

Sicht einer konservativen <strong>Theologie</strong> mag [...] wohl als größte Häresie der konstruktivistisch<br />

unausweichliche Gedanke gelten, ‚Gott’ als kognitiv-soziale Konstruktion, Gott [...] als<br />

Schöpfung des Menschen [...] zu thematisieren.“ 8 Von den erwähnten Kreisen wird der<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> oft als Spielart des „Zeitgeistes“ abqualifiziert, die sich hervorragend dazu<br />

eignet, bekannte Zweifel weiter zu nähren, z.B. Zweifel an der Rationalität des religiösen<br />

Glaubens. 9 Einen weiteren Gr<strong>und</strong> für die Skepsis der <strong>Theologie</strong> gegenüber dem<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> besteht Klein zufolge darin, dass der <strong>Konstruktivismus</strong> als Fortsetzung <strong>und</strong><br />

Vollendung der Moderne <strong>und</strong> der Aufklärung erscheinen mag. Nach der Absetzung Gottes<br />

werden dessen Prädikate, in erster Linie das des autonomen Schöpfers, nun auf den Menschen<br />

übertragen: Der Mensch schafft nicht mehr nur Dinge in der Welt, sondern er schafft die Welt,<br />

er konstruiert die Wirklichkeit. 10 Abschreckend ist darüber hinaus eventuell die Tatsache, dass<br />

es sich be<strong>im</strong> <strong>Konstruktivismus</strong> um alles andere als um eine homogene Theorie handelt. M.<br />

Welker zufolge tut sich die <strong>Theologie</strong> prinzipiell schwer damit, neue wissenschaftliche<br />

Herausforderungen anzunehmen: „Die Systematische <strong>Theologie</strong> insbesondere steht unter<br />

einem so starken Popularisierungs- <strong>und</strong> Plausibilisierungsdruck [...], dass sie vor komplizierten<br />

interdisziplinären Debatten eher zurückschreckt.“ 11<br />

Für die Bedenken bezüglich ihrer Theorie haben die Konstruktivisten selber Verständnis.<br />

Maturana / Varela sprechen von einem „Schwindelgefühl“, das entstehen kann, wenn man sich<br />

5 Vgl. DALFERTH 1999, 14; SAUTER 1996, 157.<br />

6 Vgl. RUSCH 1999, 13; MENDL 2002, 181.<br />

7 KLEIN 2003, 25.<br />

8 RUSCH 1999, 13.<br />

9 Vgl. RUSCH 1999, 17.<br />

10 Vgl. KLEIN 2003, 27. Siehe weiter unten.<br />

11 WELKER 1985, 7.<br />

8


mit dem <strong>Konstruktivismus</strong> ernsthaft auseinander setzt, verursacht durch die Angst, dass alle<br />

Sicherheiten zerfließen. 12 Horst Siebert drückt diese Angst folgendermaßen aus: „Erst haben<br />

wir Gott verloren, jetzt erkennen wir auch noch, dass uns die Welt fremd ist.“ 13<br />

Trotz alledem gibt es mittlerweile etliche Überlegungen, inwiefern der konstruktivistische<br />

Ansatz in der <strong>Theologie</strong> nützlich eingebracht werden kann. In der Tat macht das Eindringen<br />

der konstruktivistischen Ansätze in die verschiedenen wissenschaftlichen Bereiche eine<br />

Beschäftigung der <strong>Theologie</strong> mit den konstruktivistischen Positionen unabdingbar. Einige<br />

Arbeiten sind diesbezüglich in den letzten Jahren erschienen, z.B. die Dissertation von Andreas<br />

Klein mit dem Titel „Die <strong>Wahrheit</strong> ist irgendwo da drinnen...?“, in der der Autor sich zunächst<br />

mit neurobiologischen <strong>und</strong> neurophilosophischen Aspekten befasst <strong>und</strong> anschließend überlegt,<br />

inwiefern konstruktivistische Überlegungen von theologischer Relevanz sein können, oder zum<br />

Beispiel die mehr oder weniger zum gleichen Zeitpunkt eingereichte Dissertation von Matthias<br />

Wallich zum Thema „Autopoiesis <strong>und</strong> Pistis“, in der er den Versuch eines interdisziplinären<br />

Dialogs zwischen dem radikalen <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> der „relationalen <strong>Theologie</strong>“ G.<br />

Hasenhüttls untern<strong>im</strong>mt. Schon etwas älter ist die – nicht sehr rezipierte – 14 Arbeit von Roija<br />

Weidhas („Konstruktion – Wirklichkeit – Schöpfung“), in der er sich um einen Dialog<br />

zwischen dem christlichen Glauben mit dem radikalen <strong>Konstruktivismus</strong> unter besonderer<br />

Berücksichtigung der Theorien Maturanas bemüht. Mit diesen <strong>und</strong> anderen Monographien <strong>und</strong><br />

Artikeln müssen wir uns in dieser Arbeit befassen. Wir haben uns dabei bewusst dazu<br />

entschieden, uns nicht auf einen Spezialaspekt oder einen best<strong>im</strong>mten Autor zu konzentrieren,<br />

sondern mögliche „Andockstellen“ für konstruktivistische Ideen innerhalb der <strong>Theologie</strong> zu<br />

erforschen <strong>und</strong> der gr<strong>und</strong>sätzlichen Frage nachzugehen, inwiefern der <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong><br />

das christliche Wirklichkeits- <strong>und</strong> <strong>Wahrheit</strong>sverständnis 15 vereinbar sind. So soll diese<br />

bescheidene Arbeit unter anderem auch eine Art Plädoyer für eine Öffnung der <strong>Theologie</strong> <strong>und</strong><br />

Kirche gegenüber dem konstruktivistischen Diskurs darstellen.<br />

12 Vgl. MATURANA / VARELA 1987, 258.<br />

13 SIEBERT 1994, 38.<br />

14 Vgl. KLEIN 2003, 24.<br />

15 Die Begriffe „Wirklichkeit“ <strong>und</strong> „<strong>Wahrheit</strong>“ dürfen freilich nicht synonym verwendet werden. Dennoch gibt es<br />

zwischen ihnen eine enge Verbindung. Man könnte sagen, dass sich aus dem Wirklichkeitsverständnis die<br />

wahrheitstheoretische Frage ergibt. Vgl. KLEIN 2005, 39.<br />

9


1.2 Methode <strong>und</strong> Struktur der Arbeit<br />

Diese Arbeit ist in mehrere Teile gegliedert. Nach einleitenden Bemerkungen soll der<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> in seinen wichtigsten Zügen dargestellt werden (Kapitel 2). Danach wird auf<br />

die ethischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Konsequenzen der konstruktivistischen Epistemologie<br />

eingegangen (Kapitel 3). Anschließend beschäftigen wir uns mit dem Verhältnis von<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> <strong>Theologie</strong>, indem wir Anknüpfungspunkte in diesem Zusammenhang<br />

beleuchten (Kapitel 4). Bei diesen drei Kapiteln handelt es sich <strong>im</strong> Wesentlichen um einen<br />

kritischen, zu einer weiteren Auseinandersetzung anregenden Forschungsbericht. Danach<br />

möchten wir die Frage nach den Konsequenzen dieser Erkenntnisse in Bezug auf die praktische<br />

<strong>Theologie</strong>, in erster Linie die Seelsorge <strong>und</strong> die Religionspädagogik, stellen (Kapitel 5). Auch<br />

hierzu gibt es mittlerweile einige Veröffentlichungen, jedoch nicht zu der anschließend<br />

behandelten Frage, wie sich die Forderung nach der Abschaffung des bisherigen<br />

konfessionellen Religionsunterrichts <strong>und</strong> des bekenntnisfreien Ethik- <strong>und</strong> Sozialunterrichts <strong>und</strong><br />

der Einführung eines gemeinsamen Werte- <strong>und</strong> Weltanschauungsunterrichts aus der Sicht des<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> darstellt (Kapitel 6). In diesem Kapitel, in dem die in den vorigen Kapiteln<br />

erzielten Ergebnisse – aufgr<strong>und</strong> persönlicher Reflexion <strong>und</strong> einigen Gesprächen – auf eine<br />

konkrete <strong>und</strong> aktuelle Frage appliziert werden, soll die Originalität meiner Arbeit liegen. In<br />

diesem Zusammenhang möchte ich mich für wertvolle Anregungen bedanken bei Prof. Dr.<br />

Hans Mendl, Prof. Dr. Siegfried Schmidt <strong>und</strong> Prof. Dr. Norbert Ammermann, sowie nicht<br />

zuletzt bei Prof. Dr. Robert Theis, der die vorliegende Arbeit betreut hat.<br />

10


2. KONSTRUKTIVISMUS – EIN ÜBERBLICK<br />

2.1 Hinführung<br />

Quelle: www.neuroscience.unizh.ch<br />

Zur Einführung möchte ich von der oben abgebildeten Zeichnung ausgehen. Darauf kann man<br />

entweder eine alte oder eine junge Frau erkennen. Die einen sehen zunächst die ältere Frau, die<br />

anderen zunächst die jüngere. Wenn man sich anstrengt, gelingt es einem auch, blitzartig<br />

zwischen den beiden Frauen hin <strong>und</strong> her zu wechseln; die beiden gleichzeitig zu sehen, glückt<br />

jedoch nicht. Man kann also sagen, dass es natürlich von der Zeichnung, aber auch von mir<br />

selbst, d.h. von meiner somatischen <strong>und</strong> kognitiven Struktur, abhängt, was ich auf der<br />

Zeichnung sehe. Insofern kann man sagen, dass ich mit meiner somatischen <strong>und</strong> kognitiven<br />

Struktur zur Wirklichkeit beitrage, die ich erlebe. Wenn man einen Schritt weiter geht, bedeutet<br />

dies, dass man die Realität, das Ding an sich, nicht erkennen kann, sondern <strong>im</strong>mer nur<br />

Wirklichkeiten, von denen man zwar ann<strong>im</strong>mt, dass sie auch in der Realität existieren, die man<br />

aber <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e selber in Interaktionssituationen konstruiert. 16<br />

16 Vgl. hierzu MATEJA 1994, 9-19.<br />

11


2.2 Gr<strong>und</strong>sätzliches<br />

Die konventionellen korrespondenz- oder abbildtheoretischen Erkenntnislehren gehen <strong>im</strong><br />

Wesentlichen von Prämissen wie den folgenden aus:<br />

- Die Welt, die die Wissenschaft zu erkennen versucht, ist eine vom Menschen (<strong>und</strong><br />

seinem Denken <strong>und</strong> Handeln) prinzipiell unabhängige objektive Wirklichkeit, welcher<br />

der Mensch als Subjekt gegenübersteht (Positivismus);<br />

- Es gibt eine Subjekt-Objekt-Übereinst<strong>im</strong>mung, insofern unsere Erkenntnis oder unser<br />

Wissen ein Abbild der objektiven Realität darstellt (Realismus);<br />

- Zugang zu der objektiven Wirklichkeit hat der Mensch durch seine Sinne; empirische<br />

Erfahrung liefert eine richtige Erkenntnis der Wirklichkeit (Empirismus);<br />

- Die menschliche Sprache bildet die objektive Wirklichkeit deskriptiv ab<br />

(Wittgenstein) 17 .<br />

Aber nicht nur korrespondenztheoretisch orientierte Erkenntnistheorien, sondern auch der<br />

sogenannte ges<strong>und</strong>e Menschenverstand geht davon aus, dass der Mensch – durch seine<br />

Sinnesorgane oder durch seine Vernunft – einen direkten Zugang zur Wirklichkeit hat. Auch<br />

wenn oft einschränkend zugegeben wird, dass unsere Sinnesorgane die Wirklichkeit nur so gut<br />

abbilden, wie es ihnen physiologisch <strong>und</strong> physikalisch möglich ist <strong>und</strong> wie sie es <strong>im</strong> Laufe der<br />

Entwicklung gelernt haben, wird Schmidt zufolge die gr<strong>und</strong>sätzliche Gültigkeit der oben<br />

genannten Prämissen zu selten angezweifelt. 18<br />

Die vorliegende Arbeit kann nicht den Rahmen bilden, um auf die oben genannten Prämissen<br />

<strong>und</strong> die dahinter stehenden Lehren detailliert einzugehen. Wichtig ist in unserem<br />

Zusammenhang nur, dass der <strong>Konstruktivismus</strong> 19 alle diese – nicht unproblematischen –<br />

abbildtheoretischen Prämissen über Bord wirft <strong>und</strong> ihnen ein „holistisch“ <strong>und</strong> „monistisch“<br />

17 Vgl. SCHMIDT 1987a, 42; AMMERMANN 1990, 43.<br />

18 Vgl. SCHMIDT 1987a, 14.<br />

19 Die Begriffe „<strong>Konstruktivismus</strong>“ <strong>und</strong> „Radikaler <strong>Konstruktivismus</strong>“ werden zunehmend synonym gebraucht.<br />

Vgl. WALLICH 1999, 42. Wenn in dieser Arbeit – der Einfachheit halber – vom „<strong>Konstruktivismus</strong>“ gesprochen<br />

wird, ist damit, sofern nicht anders angegeben, der philosophische „radikale <strong>Konstruktivismus</strong>“ gemeint, wie er<br />

von seinen wichtigsten Vertretern, Ernst von Glasersfeld, Heinz von Foerster, Humberto Maturana, Francisco<br />

Varela <strong>und</strong> Paul Watzlawick dargestellt wird (mit seinen Varianten, dem operativen <strong>Konstruktivismus</strong> von Niklas<br />

Luhmann oder dem soziokulturellen <strong>Konstruktivismus</strong> von Siegfried Schmidt) – in Abhebung etwa zum<br />

„methodischen <strong>Konstruktivismus</strong>“ („Erlanger <strong>Konstruktivismus</strong>“), zum „pädagogischen <strong>Konstruktivismus</strong>“, zum<br />

„mathematischen <strong>Konstruktivismus</strong>“ oder zum <strong>Konstruktivismus</strong> in der Kunst. Schmidt empfindet den Begriff<br />

„<strong>Konstruktivismus</strong>“ an sich übrigens unglücklich <strong>und</strong> möchte lieber von „Theorie der Beobachtung zweiter<br />

Ordnung“ sprechen. Vgl. WALLICH 1999, 51.<br />

12


orientiertes Modell gegenübersetzt, das es nun darzulegen gilt. 20 Kurz zusammengefasst könnte<br />

man den <strong>Konstruktivismus</strong> definieren als eine Erkenntnistheorie, die davon ausgeht, dass die<br />

„Welt an sich“ (das „Ding an sich“) nicht erkennbar ist, dass objektive Erkenntnis also nicht<br />

möglich ist – wobei man vielleicht eher von einem philosophischen Diskurs als von einer<br />

Erkenntnistheorie reden sollte, weil der <strong>Konstruktivismus</strong> alles andere als eine einheitliche,<br />

homogene Theorie ist. Tatsächlich ist die Bezeichnung „<strong>Konstruktivismus</strong>“ heute mehr ein<br />

Sammelbegriff als eine genau definierte Position. Dieser Umstand soll unseres Erachtens<br />

allerdings nicht als Problem betrachtet werden. Beweist nicht gerade die Existenz der<br />

zahlreichen Verzweigungen innerhalb des konstruktivistischen Diskussionszusammenhangs<br />

die <strong>im</strong>mense Anwendbarkeit <strong>und</strong> Praktikabilität dieser Sichtweise? 21<br />

Der <strong>Konstruktivismus</strong> ist keine Theorie, die aus dem Nichts heraus erarbeitet worden ist. Auch<br />

ist nicht alles, was die Konstruktivisten behaupten, ein philosophisches Novum. 22 Die<br />

Konstruktivisten nehmen gerne Bezug auf Immanuel Kant, der zur wesentlichen Erkenntnis<br />

gelangt ist, dass wir der Welt unsere a-priori-Denkstrukturen aufprägen <strong>und</strong> sie so erkennen.<br />

Auf diese Weise allerdings erkennen wir die Welt nicht so, wie sie wirklich (an sich) ist,<br />

sondern wie sie sich uns aus unserer Perspektive, für unseren „Erkenntnisapparat“ darstellt.<br />

Alle Erkenntnis ist infolgedessen subjektabhängig <strong>und</strong> endlich <strong>und</strong> ermittelt nicht die „Dinge<br />

an sich“. Außerdem ist nur die sinnlich wahrnehmbare Welt der Erscheinungen (Phänomene)<br />

Gegenstand der Erkenntnis. Es gilt also, gr<strong>und</strong>sätzlich zu unterscheiden zwischen der<br />

Erscheinung <strong>und</strong> dem „Ding an sich“. 23 Nun spielen bei Kant <strong>im</strong> Zusammenhang mit der<br />

Erkenntnis die Kategorien von Raum <strong>und</strong> Zeit eine wesentliche Rolle. Von Glasersfeld schreibt<br />

hierzu:<br />

„Schließlich wurde die Möglichkeit einer wahren Erkenntnis der Wirklichkeit von Kant sozusagen<br />

<strong>im</strong> Ke<strong>im</strong> vernichtet, als er Raum <strong>und</strong> Zeit als Anschauungsformen des Erlebenden in den Bereich<br />

des subjektiv Phänomenalen rückte <strong>und</strong> somit alle Vorstellung oder gar Darstellung einer<br />

unverfälschten ontischen Wirklichkeit unmöglich machte.“ 24<br />

20 Vgl. SCHMIDT 1987a, 42. „Holistisch“ ist das Modell, insofern der Mensch nicht mehr als ein in, sondern mit<br />

der Welt lebendes Wesen betrachtet wird. Dadurch, dass der menschliche Körper als dieser Welt zugehörig<br />

angesehen wird, wird das klassische Subjekt-Objekt-Problem <strong>im</strong> <strong>Konstruktivismus</strong> entschärft. „Monistisch“ ist<br />

das Modell, insofern von der Gr<strong>und</strong>these ausgegangen wird, dass alle Erkenntnis subjektabhängig ist. Dies wird<br />

<strong>im</strong> Folgenden weiter ausgeführt werden.<br />

21 Vgl. KLEIN 2003, 30.<br />

22 Vgl. SCHMIDT 1987a, 40.<br />

23 Der Unterschied zwischen Kants Transzendentalphilosophie <strong>und</strong> dem modernen <strong>Konstruktivismus</strong> liegt wohl<br />

darin, dass Kant noch einen metaphysischen Zugang zur objektiven Realität versucht, der <strong>Konstruktivismus</strong><br />

allerdings nicht mehr.<br />

24 VON GLASERSFELD 2005, 11.<br />

13


Allerdings ist der <strong>Konstruktivismus</strong> eigentlich viel älter. Schon <strong>im</strong> 5. Jh. v. Chr. hat Demokrit<br />

erklärt, „dass wir nicht erkennen können, wie in Wirklichkeit ein jedes Ding beschaffen oder<br />

nicht beschaffen ist“. 25 Die von Sextus Empiricus beschriebene Pyrrhonische Schule ist von<br />

der Überzeugung geprägt, „dass der Erlebende niemals erk<strong>und</strong>en kann, inwieweit <strong>und</strong> ob<br />

überhaupt das, was er erlebt, mit einer von ihm unabhängigen Welt übereinst<strong>im</strong>mt.“ 26 Der erste<br />

„echte“ Konstruktivist ist von Glasersfeld zufolge aber Giambattista Vico (1668-1744), der vor<br />

allem durch seine Formulierung „Verum ipsum factum“ (das Wahre ist dasselbe wie das<br />

Gemachte) bekannt geworden ist <strong>und</strong> der geschrieben hat:<br />

„Ebenso wie die <strong>Wahrheit</strong> Gottes das ist, was Gott erkennt, indem er es zusammenfügt <strong>und</strong> schafft,<br />

ist die menschliche <strong>Wahrheit</strong> das, was der Mensch erkennt, indem er es handelnd aufbaut <strong>und</strong> durch<br />

sein Handeln formt. Darum ist Wissenschaft (scientia) Kenntnis (cognitio) der Entstehung der Art<br />

<strong>und</strong> Weise, wie Dinge hergestellt wurden.“ 27<br />

Gott allein weiß also, wie die Welt wirklich ist, weil er sie geschaffen hat <strong>und</strong> deshalb den<br />

Bauplan <strong>und</strong> die Bausteine kennt. Genau so kann der Mensch nur das kennen, was er selber<br />

gemacht hat. 28<br />

Zum <strong>Konstruktivismus</strong> gibt es mittlerweile eine unüberschaubare Fülle von Literatur. Es gibt<br />

verschiedenste Darstellungen, die sich auf sehr unterschiedlichem wissenschaftlichen <strong>und</strong><br />

populärwissenschaftlichen Niveau bewegen. Fresacher zufolge entpuppt sich manches, „was<br />

auf den ersten Blick nach einer Weiterentwicklung <strong>im</strong> Geiste Immanuel Kants aussieht, auf den<br />

sich Konstruktivisten mit Vorliebe beziehen, [...] schnell als platter Naturalismus“ 29 . Der<br />

richtig verstandene <strong>Konstruktivismus</strong> aber bietet ihren Vertretern zufolge ein Modell, das viele<br />

klassischen philosophischen bzw. erkenntnistheoretischen Probleme überwindet. 30 Ernst von<br />

25 Zit. bei VON GLASERSFELD 2005, 9.<br />

26 VON GLASERSFELD 2005, 10.<br />

27 Zit. bei VON GLASERSFELD 2004, 26.<br />

28 Vgl. VON GLASERSFELD 2004, 26. Es verw<strong>und</strong>ert nicht, dass Vico versucht, eine Verbindung zwischen dem<br />

menschlichen Wissenskonstrukt <strong>und</strong> der Schöpfung Gottes herzustellen. Von Glasersfeld zufolge waren ihm seine<br />

Ideen wahrscheinlich selber ein wenig unhe<strong>im</strong>lich. Ähnlich auch AMMERMANN 1992, 205.<br />

29 FRESACHER 2000, 376. Der Naturalismus ist eine philosophische Strömung, die davon ausgeht, dass die Natur<br />

die gesamte Realität darstellt <strong>und</strong> dass man diese nur mit wissenschaftlichen Methoden verstehen kann. Deshalb<br />

leugnet der Naturalismus die Existenz des Übernatürlichen <strong>und</strong> lehnt jede Beschäftigung mit der Metaphysik <strong>und</strong><br />

dem „Gr<strong>und</strong> des Seins“ ab.<br />

30 Viele Erkenntnistheorien gehen davon aus, dass unser Wissen ein Abbild von der Wirklichkeit darstellt, <strong>und</strong><br />

benötigen insofern ein Kriterium, um die Richtigkeit unserer Abbilder zu beurteilen. Die Frage, inwiefern unsere<br />

Abbilder der objektiven Wirklichkeit entsprechen, scheint unbeantwortbar <strong>und</strong> ist bis heute ein w<strong>und</strong>er Punkt in<br />

der Erkenntnistheorie <strong>und</strong> öffnet dem Skeptizismus das Tor. Der <strong>Konstruktivismus</strong> sieht sich als Möglichkeit,<br />

diese Fragen zu überwinden (siehe weiter unten).<br />

14


Glasersfeld sieht den <strong>Konstruktivismus</strong> als Antwort auf das skeptische Dilemma, das die 2500<br />

Jahre alte Philosophie bis heute nicht überzeugend lösen konnte. 31<br />

In einem nächsten Unterkapitel möchten wir uns einigen zentralen Begriffen, Vorstellungen<br />

<strong>und</strong> Vertretern des <strong>Konstruktivismus</strong> zuwenden.<br />

2.3 Wichtige Vertreter <strong>und</strong> Konzepte<br />

Der Kreis der prominenten Konstruktivisten hat sich <strong>im</strong> Laufe der letzten Jahrzehnte<br />

kontinuierlich erweitert. Neben Humberto R. Maturana, Francisco J. Varela, Ernst von<br />

Glasersfeld, Heinz von Foerster <strong>und</strong> Paul Watzlawick sind gegenwärtig in erster Linie<br />

Siegfried J. Schmidt, Peter M. Hejl, Gerhard Roth <strong>und</strong> Gebhard Rusch zu nennen. Auf einige<br />

von ihnen soll <strong>im</strong> Folgenden näher eingegangen werden.<br />

2.3.1 Ernst von Glasersfeld<br />

Einer der wichtigsten Vertreter des <strong>Konstruktivismus</strong> ist Ernst von Glasersfeld. Als Kind lernte<br />

er mehrere Sprachen <strong>und</strong> war es deshalb gewissermaßen gewohnt, die Welt aus verschiedenen<br />

Perspektiven zu betrachten. Von Glasersfeld, der in verschiedenen Theoriebereichen<br />

angesiedelt ist (Philosophie, Literaturwissenschaft, Psychologie,<br />

Kommunikationswissenschaft, Mathematik, Journalismus), hat Jean Piagets genetische<br />

Epistemologie als konstruktivistische Lerntheorie interpretiert <strong>und</strong> vor allem den Begriff der<br />

Viabilität in die konstruktivistische Debatte eingeführt (siehe weiter unten).<br />

Im Anschluss fassen wir zunächst noch einmal zusammen, was die konstruktivistische<br />

Sichtweise für die philosophische Erkenntnislehre bedeutet. Von Glasersfeld zufolge schließt<br />

der <strong>Konstruktivismus</strong> ab<br />

- mit der realistischen Wahrnehmungslehre, die von der „Welt an sich“ einerseits <strong>und</strong><br />

dem Erlebenden, der sie dank der Sinnesorgane „wahrn<strong>im</strong>mt“ andererseits, ausgeht;<br />

- mit der Vorstellung, dass die Sinne betrachtet werden sollen als eine Art<br />

Nachrichtensystem, das Aspekte der Wirklichkeit an sich in das Bewusstsein des<br />

Subjekts leitet;<br />

31 Von GLASERSFELD 2005, 39. Alle Versuche – auch der cartesianische –, aus der Sicherheit des cogito sum (das<br />

was für den Erlebenden fraglos sicher ist, ist die Tatsache, dass er lebt) von der postulierten objektiven Welt<br />

sicheres Wissen abzuleiten, sind bekanntlich fehlgeschlagen.<br />

15


- mit dem Gedanken, dass der Mensch in eine Welt hineingeboren wird, die bereits<br />

strukturiert ist <strong>und</strong> dass es seine Aufgabe ist, Struktur <strong>und</strong> Gesetze dieser Welt, die von<br />

ihm gr<strong>und</strong>sätzlich unabhängig ist, zu „erkennen“;<br />

- mit der Vorstellung, dass die menschliche Vernunft etwas von der wahren<br />

Beschaffenheit der Welt an sich erkennen kann. 32<br />

Von Glasersfeld zufolge zeichnet sich die konstruktivistische Denkweise vor allem dadurch<br />

aus, „dass sie das herkömmliche Verhältnis zwischen der Welt der fassbaren Erlebnisse <strong>und</strong><br />

der ontologischen Wirklichkeit durch ein anderes begriffliches Verhältnis ersetzt.“ 33 Dieses<br />

Verhältnis wird nicht mehr durch Begriffe wie Gleichförmigkeit, (ikonische) Übereinst<strong>im</strong>mung<br />

oder Korrespondenz beschrieben, sondern durch den Begriff der Viabilität, den man mit<br />

„Brauchbarkeit“, „Gangbarkeit“, „Passung“, eventuell auch „Funktionalität“ oder<br />

„Lebensdienlichkeit“ 34 übersetzen könnte. So wie ein Organismus viabel ist, solange es ihm<br />

gelingt, in seiner Umwelt zu überleben <strong>und</strong> sich fortzupflanzen, ist eine Handlung, ein Begriff<br />

oder eine begriffliche Operation viabel, wenn sie zu den Zwecken oder Beschreibungen passen,<br />

für die wir sie benutzen, <strong>und</strong> solange sie nicht mit etwaigen Beschränkungen oder<br />

Hindernissen in Konflikt geraten, wenn sie an allen Hindernissen vorbei zum erwünschten Ziel<br />

führen. 35 Die Viabilität ist für den Konstruktivisten das wichtigste Kriterium <strong>und</strong> insofern ein<br />

Schlüsselbegriff des <strong>Konstruktivismus</strong>: Menschen orientieren sich nicht am Kriterium der<br />

<strong>Wahrheit</strong>, sondern an der lebenspraktischen Brauchbarkeit der Erkenntnisse. Diese Sichtweise<br />

bietet einen Weg, das traditionelle Wissensproblem – das darin besteht, erkennen zu wollen,<br />

was außerhalb der Erlebniswelt liegt – zu umgehen; sie beruht also auf einer Umgestaltung der<br />

Beziehung zwischen Wissen <strong>und</strong> Wirklichkeit. Von Glasersfeld weist darauf hin, dass schon<br />

Piaget in den 1930er Jahren erklärt hat, dass wir die kognitiven Strukturen, die wir Wissen<br />

nennen, nicht als Kopie der Wirklichkeit verstehen dürfen, sondern als Ergebnis der<br />

Anpassung. Etwas später betont auch Silvio Ceccato, dass Wahrnehmung <strong>und</strong> Erkenntnis keine<br />

ontischen Objekte widerspiegeln, sondern dass es sich dabei um schöpferische Tätigkeiten<br />

32 Vgl. VON GLASERSFELD 2005, 12-14. Von Glasersfeld gesteht allerdings, dass diese Vorstellung durchaus nicht<br />

einfach ist, auch bedingt durch die Tatsache, dass unsere Sprache in Jahrh<strong>und</strong>erten des naiven Realismus geformt<br />

wurde <strong>und</strong> deshalb dauernd dazu beiträgt, unseren Glauben an eine bereits strukturierte Welt zu stärken. Vgl. VON<br />

GLASERSFELD 2005, 28. Gleichzeitig merkt er an, dass viele Wissenschaftler heute noch <strong>im</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

stecken, insofern sie sich weiterhin als „Entdecker“ sehen, die den Wissensbereich des Menschen langsam<br />

erweitern, <strong>und</strong> davon ausgehen, dass sie durch ihre Forschung irgendwann ein wahres Bild der Welt enthüllen<br />

können. Vgl. VON GLASERSFELD 2005, 17; VON GLASERSFELD 2004, 19.<br />

33 VON GLASERSFELD 2005, 18.<br />

34 Vgl. BORN 2003, 241.<br />

35 Vgl. VON GLASERSFELD 2005, 18-25; 30.<br />

16


handelt. Wahrnehmung <strong>und</strong> Erkenntnis sind konstruktive <strong>und</strong> keine abbildende Handlungen.<br />

Daraus folgt: Das Objekt entsteht als Folge des Handelns. 36<br />

So liegt der radikale Unterschied zwischen <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> den konventionellen<br />

Erkenntnistheorien von Glasersfeld zufolge <strong>im</strong> Verhältnis zwischen Wissen <strong>und</strong> Wirklichkeit.<br />

Während meist davon ausgegangen wird, dass das Wissen eine (ikonische) Abbildung der<br />

Wirklichkeit ist, es also eine Übereinst<strong>im</strong>mung, eine Korrespondenz oder eine Isomorphie<br />

zwischen Wissen <strong>und</strong> Wirklichkeit gibt, betrachtet der <strong>Konstruktivismus</strong> diese<br />

Korrespondenztheorie als Sackgasse <strong>und</strong> sieht das Wissen als Anpassung <strong>im</strong> funktionalen<br />

Sinn. Wissen ist <strong>im</strong> <strong>Konstruktivismus</strong> nicht ein Bild von der Wirklichkeit, sondern ein<br />

„Schlüssel, der uns mögliche Wege erschließt“ 37 . Um den Unterschied zu erläutern, greift von<br />

Glasersfeld auf die englischen Wörter to match (st<strong>im</strong>men) <strong>und</strong> to fit (passen) zurück. Sagen wir<br />

von einer Abbildung, dass sie st<strong>im</strong>mt, bedeutet das, dass sie die Wirklichkeit wiedergibt <strong>und</strong><br />

mit ihr gleichförmig ist. Sagen wir allerdings von etwas, dass es passt, dann heißt das, dass es<br />

den erhofften Dienst leistet. 38 Deshalb gilt: Wenn eine kognitive Struktur bisher standgehalten<br />

hat, heißt das nicht, dass wir die objektive Realität erkannt haben, sondern lediglich, dass wir<br />

einen gangbaren Weg zu einem Ziel wissen – wobei wir nichts darüber erfahren, ob es nicht<br />

auch noch andere gangbare Wege gibt. 39 Hier wird deutlich, dass es dem <strong>Konstruktivismus</strong><br />

nicht darum geht, die „Realität“ zu beschreiben, weil es <strong>im</strong>mer mehrere Wege des<br />

„Durchkommens“ gibt. „Der Begriff der Viabilität zielt [...] in erkenntnistheoretischer <strong>und</strong><br />

wissenschaftlicher Absicht auf ein pragmatisches, handlungsorientiertes Modell, das <strong>im</strong><br />

wissenschaftstheoretischen Bereich auf kohärente, konsistente <strong>und</strong> anschlussfähige Theorien<br />

abstellt, nicht aber auf ontologische Annäherungsversuche an eine vermeintliche ‚Realität’.“ 40<br />

Hilfreich sind folgende Vergleiche:<br />

- In der Evolution gelingt es einigen Tieren, sich der Umwelt anzupassen <strong>und</strong> zu<br />

überleben, anderen jedoch nicht (z.B. den Dinosauriern). Diese Anpassung der<br />

Lebewesen an ihre Umwelt ist allerdings keine Übereinst<strong>im</strong>mung einer objektiven<br />

Wirklichkeit mit den einzelnen Lebewesen. Vielmehr ist sie lediglich passend, d.h. es<br />

gelingt dem Lebewesen, zu existieren <strong>und</strong> nicht ausgelöscht zu werden. Es wird aber<br />

kein Anhaltspunkt über die wahren Gegebenheiten der Natur geliefert.<br />

36 Vgl. VON GLASERSFELD 2005, 29-30.<br />

37 VON GLASERSFELD 2004, 17.<br />

38 Vgl. VON GLASERSFELD 2004, 17-20.<br />

39 Vgl. VON GLASERSFELD 2004, 23.<br />

40 KLEIN 2003, 101.<br />

17


- Der Steuermann führt ein Boot durch eine nebelige Meeresenge. Obwohl es ihm<br />

gelingt, würde seinen gewählten Weg aber nie als den „wahren“ oder den einzig<br />

richtigen Weg bezeichnen. Sein Kurs ist entweder viabel oder nicht. Ebenso wird er nie<br />

Aussagen in Bezug auf die Positionen der einzelnen Sandbänke treffen können.<br />

- Wenn man Sand durch ein Sieb rieseln lässt, kann aus der Sicht des Sandes keine<br />

Aussage über das Sieb gemacht werden. Es bleibt lediglich die Feststellung, dass man<br />

durchgekommen ist. 41<br />

2.3.2 Humberto Maturana<br />

Ein wichtiger Baustein der konstruktivistischen Theoriebildung bilded das Konzept der<br />

Autopoiese bzw. Autopoiesis. Der Begriff der Autopoiese („Selbsterzeugung“) wurde vom<br />

chilenischen Neurobiologen Maturana geprägt <strong>und</strong> bezeichnet die Eigenschaft aller<br />

Organismen, aus sich selbst heraus zu schaffen. Diese Aussage ist weder blasphemisch noch<br />

<strong>im</strong> metaphysischen Sinne gemeint, sondern es soll ausgedrückt werden, dass jeder Organismus<br />

seine Grenze zur Außenwelt selber produziert. Diese Grenze zur Außenwelt macht den<br />

Organismus erst zu etwas von der Umwelt Verschiedenem. Organismen nehmen Substanzen<br />

aus der Umwelt auf, verwandeln sie aber sofort in verwertbare, brauchbare Baustoffe.<br />

Substanzen, die nicht verwandelt werden können, werden nicht „wahrgenommen“,<br />

gewissermaßen „ignoriert“.<br />

Hilfreich ist zunächst der Vergleich mit einer Zelle: Diese ist durch eine Zellwand von ihrer<br />

Umwelt getrennt. Durch die Zellwand wird klar, wo die Zelle anfängt <strong>und</strong> die Umgebung<br />

aufhört. Innerhalb der Zellwände ist es der Zelle möglich, Moleküle zu produzieren. Diese sind<br />

Gr<strong>und</strong>lage für die Aufrechterhaltung der Zellwände. Eine Zelle ist also ein „autopoietisches<br />

System“, ein „geschlossenes System“.<br />

Maturana zufolge sind alle lebenden Wesen solche autopoietischen Systeme. D.h. sie sind<br />

„selbsterzeugend, autonom, strukturdeterminiert, selbstreferentiell <strong>und</strong> operativ geschlossen. Sie<br />

stehen in ständigem Austausch mit ihrer Umgebung <strong>und</strong> mit anderen lebenden Systemen. Lebende<br />

Systeme mit komplexen Nervensystemen können sich selbst, andere Systeme <strong>und</strong> ihre Umwelt<br />

beobachten. Sie entwickeln durch Selbstbeobachtung Selbstbewusstsein. [...] Der kognitive Bereich<br />

eines autopoietischen Systems ist der Bereich aller Beschreibungen bzw. Repräsentationen, die das<br />

System anfertigen kann. [...] Kognition ist demnach ein prinzipiell subjektabhängiges Phänomen,<br />

da alle kognitiven Zustände des Erkennenden durch die Art <strong>und</strong> Weise der Verwirklichung seine<br />

Autopoiese determiniert sind <strong>und</strong> nicht etwa durch die Bedingungen seiner Umwelt. Wahrnehmung<br />

41 Vgl. KLEIN 2003, 101.<br />

18


<strong>und</strong> Erkennen bilden demgemäß nicht eine objektive Wirklichkeit ab, sondern sie errechnen bzw.<br />

konstruieren etwas, das wir erkennend als Wirklichkeit akzeptieren <strong>und</strong> dem entsprechend wir uns<br />

verhalten <strong>und</strong> handeln. Kognition ist also gleichzusetzen mit dem gesamten Lebensprozess, nicht<br />

mit der kategorialen Strukturierung oder Erfassung einer objektiven Außenwelt.“ 42<br />

Der Begriff der Autopoiese wurde von Peter M. Hejl <strong>und</strong> von N. Luhmann (der sich allerdings<br />

vom <strong>Konstruktivismus</strong> distanziert) übernommen <strong>und</strong> für die Betrachtung sozialer Strukturen<br />

verwandt. Kommunikation in sozialen Systemen funktioniert ähnlich wie die<br />

Selbstreproduktion lebender Organismen. Auch soziale Systeme nehmen nur das auf, was „zu<br />

ihrem Thema passt“, was an die bisherige Kommunikation angeschlossen werden kann.<br />

Typisch für jede Kommunikation ist die Selbstreferentialität (Selbstbezüglichkeit), d.h. sie<br />

bezieht sich nicht auf die Umwelt direkt, sondern auf die von ihr wahrgenommene innere<br />

Abbildung der Umwelt, also letztendlich auf sich selbst. Soziale Systeme sind in diesem Sinn<br />

„autopoietisch geschlossen“ bzw. „operativ geschlossen“. Deshalb spricht man auch noch von<br />

Strukturdeterminiertheit. Eine Person wird nicht von außen zu einer best<strong>im</strong>mten Reaktion<br />

veranlasst (determiniert), sondern es ist <strong>im</strong>mer die interne Struktur der Person, die best<strong>im</strong>mt,<br />

wie sie mit Reizen aus dem umgebenden Milieu umgeht. 43<br />

Daraus folgt, dass alle Wirklichkeitsmodelle subjektabhängig sind. „Der Mensch kann nur<br />

erkennen, was er selber gemacht hat. Darum ist die Welt <strong>und</strong> muss die Welt, die der Mensch<br />

erlebt, so sein, wie sie ist, weil der Mensch sie so gemacht hat.“ 44 Daraus folgt, dass die einem<br />

Organismus zugängliche Welt dessen kognitive Welt ist, nicht die Welt an sich (so wie sie ist).<br />

Wir bewegen uns <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Feld der Wirklichkeit zweiter Ordnung; über die Wirklichkeit der<br />

ersten Ordnung (d.h. die Welt an sich) können wir keine Aussagen machen. 45 Deshalb ist unser<br />

Wissen nicht ein Abbild einer von uns unabhängig existierenden Wirklichkeit, nicht eine<br />

Erkenntnis, die eine objektive, ontologische Wirklichkeit betrifft, sondern nur die Ordnung <strong>und</strong><br />

Organisation von Erfahrungen in der Welt unseres Erlebens. 46<br />

42 SCHMIDT 2005, 151.<br />

43 Vgl. AMMERMANN 1990, 43.<br />

44 SCHMIDT 2005, 152.<br />

45 Vgl. MENDL 2005b, 13.<br />

46 Maturana/Varela unterscheiden zwischen zwei Umwelten: einer ontischen Umwelt, die unabhängig vom<br />

Organismus <strong>und</strong> vor aller Wahrnehmung existiert – dem „umgebenden Milieu“ (das der menschlichen Kognition<br />

nicht zugänglich ist) – <strong>und</strong> der Umwelt, die das Subjekt als Erfahrungs- <strong>und</strong> Lebenswelt durch kognitive <strong>und</strong><br />

affektive Prozesse konstruiert.<br />

19


In diesem Sinne ist die durch ihre Radikalität durchaus anstößige Aussage Maturanas zu<br />

verstehen: „Wir erzeugen daher buchstäblich die Welt, in der wir leben, indem wir sie leben.“ 47<br />

In diesem Sinn ist auch der folgende Satz zu verstehen: Die Welt wird nicht gef<strong>und</strong>en, sondern<br />

erf<strong>und</strong>en.<br />

Klein weist jedoch darauf hin, dass das Autopoiesis-Konzept einige Schwächen hat: Im<br />

Anschluss an Gerhard Roth hebt er hervor, dass die Theorie der Autopoiese von Organismen<br />

<strong>und</strong> das Operieren des Gehirns keineswegs identisch sind. Auch treffe die Strenge, die <strong>im</strong><br />

Begriff der Autopoiese enthalten ist, für lebende Organismen so nicht zur Gänze zu. Besonders<br />

in Bezug auf den Menschen stelle sich dann das Problem, dass dieser ein Organismus ist, dem<br />

es nicht einzig <strong>und</strong> allein ums Überleben geht, sondern bei dem, wenn das Überleben gesichert<br />

ist, andere Systembereiche (kulturelle Formen) hinzukommen – wobei gar nicht bestritten<br />

wird, dass auch diese dem Überleben gelten. 48 Auch Mendl fragt: Ist die biologische Sicht auf<br />

die personale <strong>und</strong> soziale Seite des Menschen übertragbar? Ist ein ontologischer Sprung von<br />

der materialen Realität zur kognitiven Wirklichkeit möglich? 49 Klein zufolge ist der Rekurs auf<br />

die Autopoiese <strong>im</strong> <strong>Konstruktivismus</strong> aber auch nicht zwingend notwendig. Eine<br />

konstruktivistische Erkenntnistheorie muss sich ihm zufolge auch ohne die Bezugnahme auf<br />

die Autopoiese lebender Systeme formulieren lassen.<br />

2.3.3 Gerhard Roth<br />

Deshalb stützt sich der <strong>Konstruktivismus</strong> heute wesentlich auf die Erkenntnisse der<br />

Gehirnforschung <strong>und</strong> der Neurobiologie. Hier deuten alle Erkenntnisse darauf hin, dass<br />

menschliches Erkennen anders erfolgt als bisher angenommen, nämlich aktiver, konstruktiver,<br />

selbstbest<strong>im</strong>mter. 50 Der Philosoph <strong>und</strong> Neurophysiologe Gerhard Roth, der in diesem<br />

Zusammenhang zentrale Erkenntnisse erbracht hat, betont, dass Wahrnehmung sich nicht in<br />

den Sinnesorganen vollzieht, sondern in spezifisch sensorischen Hirnregionen. „So sehen wir<br />

nicht mit dem Auge, sondern mit, oder besser in den visuellen Zentren des Gehirns.“ 51 Die<br />

Sinnesorgane sind also keineswegs die „Tore des Gehirns zur Welt“!<br />

Genauso ist das Gehirn „kein umweltoffenes Reflexsystem, sondern ein funktional<br />

geschlossenes System, das nur seine eigene ‚Sprache’ versteht <strong>und</strong> nur mit seinen eigenen<br />

47 MATURANA 1982, 26.<br />

48 Vgl. KLEIN 2003, 3-5; ROTH 1987a, 282.<br />

49 Vgl. MENDL 2005b, 13.<br />

50 Wohl aus diesem Gr<strong>und</strong> hat sich vor allem die Pädagogik dem <strong>Konstruktivismus</strong> in hohem Maße geöffnet.<br />

51 ROTH 1986, 14.<br />

20


Zuständen umgeht.“ 52 Daraus folgt, dass Wahrnehmung also Bedeutungszuweisung,<br />

Interpretation, Konstruktion bedeutet. 53 Bei diesem Prozess operiert das Gehirn auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage früherer Erfahrung sowie auf stammesgeschichtlichen Festlegungen. Das bedeutet:<br />

Bewusst wird nur das, was bereits gestaltet <strong>und</strong> geprägt ist. In anderen Worten: Als operational<br />

geschlossenes, selbstreferentielles System ist das Gehirn gar nicht in der Lage, Wirklichkeit als<br />

solche abzubilden oder zu repräsentieren. Das Gehirn kann nur konstruieren. Dabei muss es<br />

alle Deutungskriterien aus sich selbst heraus entwickeln. 54 Hierin besteht auch die eigentliche<br />

Funktion des Gehirns. Das Gehirn ist nicht auf eine theoretische Erfassung der Realität<br />

„getr<strong>im</strong>mt“, sondern dient „als praktische oder pragmatische Interpretationseinheit zur<br />

Generierung viabler Handlungsoperationen <strong>und</strong> -konzepte“ 55 . Ein einfaches Beispiel soll als<br />

Veranschaulichung dienen: Wir nehmen eine Pflanze als grün wahr. Dieser Eindruck hat<br />

allerdings wenig mit der hirnunabhängigen Außenwelt der Naturwissenschaftler zu tun, in der<br />

es keine Farben gibt. Dass wir dabei alle grün sehen, liegt daran, dass unsere Gehirne einen<br />

ähnlichen Bauplan <strong>und</strong> eine gleichartige Funktionsweise haben; dies hängt also mit<br />

Intersubjektivität zusammen. 56 Was für Farben zutrifft, gilt in analoger Weise auch für Düfte<br />

<strong>und</strong> für Melodien. Auch sie sind Konstrukte unserer Gehirne <strong>und</strong> existieren in der<br />

extrazerebralen Welt nicht. So kann man sagen, dass unsere Wahrnehmungswelt vieles enthält,<br />

was in der Außenwelt nicht existiert (so wie umgekehrt vieles, was in der Außenwelt<br />

geschieht, von unseren Sinnesorganen nicht rezipiert wird). Exemplarisch sei auf Erlebnisse <strong>im</strong><br />

Zusammenhang eines Drogenrausches hingewiesen, die keine Entsprechung in der Realität<br />

haben. Fassen wir zusammen: Das Gehirn konstruiert unsere subjektive Erlebniswelt, die wir<br />

Wirklichkeit nennen. 57<br />

52 SCHMIDT 1987a, 14.<br />

53 Vgl. ROTH 1986, 14.<br />

54 Vgl. SCHMIDT 1987a, 14-17.<br />

55 KLEIN 2003, 104.<br />

56 Vgl. ROTH 1997, 281. Schmidt weist in diesem Zusammenhang auf zwei wichtige Aspekte hin: 1. Ein<br />

umweltoffenes Gehirn wäre fremdgesteuert <strong>und</strong> heteronom <strong>und</strong> insofern nie in der Lage, komplexe Umwelten zu<br />

bewältigen; 2. Die vom Gehirn konstruierte Wirklichkeit ist zwar kein Fenster nach draußen, aber auch keine<br />

Monade <strong>im</strong> Sinne Leibniz’, da die Wirklichkeit nur unter spezifischen sozialen Bedingungen konstruiert werden<br />

kann. Vgl. SCHMIDT 1987a, 17.<br />

57 Vgl. LAMPE 2006, 46-51.<br />

21


2.4 Einwände <strong>und</strong> Anfragen<br />

Etwas reißerische Buchtitel wie „Die erf<strong>und</strong>ene Wirklichkeit“ (Watzlawick) oder provokante<br />

Aussagen wie „Die Umwelt, so wie wir sie wahrnehmen, ist unsere Erfindung“ (von Foerster)<br />

rufen regelmäßig sehr scharfe Kritiken in Bezug auf den <strong>Konstruktivismus</strong> hervor. 58 Wir<br />

möchten uns mit den wesentlichen Einwänden nun kurz auseinandersetzen.<br />

2.4.1 Verbirgt der <strong>Konstruktivismus</strong> eine <strong>im</strong>manente Paradoxie?<br />

Apodiktische Aussagen seitens der Konstruktivisten wie „Die Zeit der endgültigen <strong>Wahrheit</strong>en<br />

ist vorbei“, „Es gibt keine objektive, dem menschlichen Erkennen zugängliche Realität“,<br />

Buchtitel wie „Die erf<strong>und</strong>ene Wirklichkeit“ führen <strong>im</strong>mer wieder dazu, dass man dem<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> eine <strong>im</strong>manente Paradoxie nachweisen will: Der Konstruktivist verzichtet<br />

auf Objektivität, macht aber gleichzeitig verallgemeinernde Aussagen wie die soeben<br />

genannten. 59 Anders ausgedrückt: Indem der <strong>Konstruktivismus</strong> behauptet, dass der Mensch als<br />

autopoietisches System nur in seinem Erkennungsbereich handeln <strong>und</strong> die Wirklichkeit an sich<br />

gar nicht erkennen kann, zeigt er, dass auch die Theorie autopoietischer Systeme <strong>und</strong><br />

infolgedessen die konstruktivistische Erkenntnistheorie eine leere Theorie ist, die sich selber<br />

auflöst. 60<br />

Hierauf antwortet Siegfried Schmidt Folgendes: Die Kritiker arbeiten in diesem<br />

Zusammenhang, anders als die Konstruktivisten, mit einem realistischen Begriff des<br />

„empirischen Wissens“. Konstruktivistisch gesehen handelt es sich allerdings be<strong>im</strong><br />

„empirischen Wissen“ um ein „intersubjektiv geteiltes operationales Wissen in unserem<br />

Kognitionsbereich“. 61 So gesehen verschwindet der Einwand, dass empirische Theorien zu<br />

einer neuen, empirisch leeren Theorie (in unserem Fall die Theorie der autopoietischen<br />

Systeme) führen. Es trifft zu, dass der <strong>Konstruktivismus</strong> keine Handhabe bietet, um die<br />

<strong>Wahrheit</strong> seiner eigenen Aussagen zu überprüfen. Schmidt weist jedoch darauf hin, dass die<br />

empirische Forschung sich radikal an der Frage der Nützlichkeit der konstruktivistischen<br />

Konzeption orientiert. Um diese Nützlichkeit darzulegen, bedürfe es Erfahrungen mit der<br />

58 Vgl. SCHMIDT 1987a, 39.<br />

59 So z.B. BORN 2003, 249.<br />

60 Vgl. SCHMIDT 1987a, 39.<br />

61 SCHMIDT 1987a, 39.<br />

22


konstruktivistischen Konzeption. Und die bisher gemachten Erfahrungen würden durchaus auf<br />

deren Nützlichkeit hindeuten. 62<br />

Darüber hinaus ist lässt sich die oben genannte Kritik auch auf eine weniger komplizierte<br />

Weise entschärfen: Ein Konstruktivist – zumindest einer, der seine Arbeit ernst n<strong>im</strong>mt – ist<br />

sich auch der Subjektivität seiner eigenen Aussagen bewusst. Er geht vom „Missverstehen als<br />

Normalfall“ (Siebert) 63 aus. 64 Auch Armin Kreiner, der sich <strong>im</strong> Rahmen seiner Habilitation mit<br />

dem Titel „Ende der <strong>Wahrheit</strong>?“ mit dem <strong>Wahrheit</strong>sverständnis in Philosophie <strong>und</strong> <strong>Theologie</strong><br />

befasst hat, <strong>und</strong> darin für das Beibehalten eines klassischen <strong>Wahrheit</strong>sbegriffs plädiert, gesteht<br />

zu: „Die Formulierung, der Relativismus sei selbst auch nur relativ wahr, zieht [...] keinerlei<br />

offenk<strong>und</strong>ige Widersprüche nach sich. Ein Widerspruch ergäbe sich erst, wenn gleichzeitig<br />

behauptet würde, dass alle Aussagen nur relativ wahr seien, dass aber die<br />

Relativismusbehauptung selbst nicht relativ, sondern absolut gültig sei.“ 65 Dies wird <strong>im</strong><br />

Rahmen eines seriösen <strong>Konstruktivismus</strong>, wie wir bereits betont haben, nicht getan. Kreiner<br />

betont, dass der Relativismus – <strong>und</strong> das gilt dann auch für den <strong>Konstruktivismus</strong> – erst dann<br />

widerlegt werden könnte, „wenn es gelänge, ihn mit einer Aussage zu konfrontieren, die er als<br />

unabweisbar <strong>und</strong> absolut wahr anzuerkennen gezwungen wäre. [...] Solange es deshalb dem<br />

Absolutismus nicht gelingt, die Existenz einer absolut gültigen <strong>und</strong> beweisbaren <strong>Wahrheit</strong> zu<br />

demonstrieren, stellt der Relativismus, sofern er logisch einwandfrei formuliert wird, eine<br />

unwiderlegbare Position dar.“ 66<br />

2.4.2 Ist der <strong>Konstruktivismus</strong> eine solipsistische Position?<br />

Wie sieht das Verhältnis zwischen dem Ergebnis der konstruktiven Tätigkeit <strong>und</strong> der Welt an<br />

sich aus? Wenn der Konstruktivist sagt, dass die Wirklichkeit ein Konstrukt des Gehirns ist,<br />

n<strong>im</strong>mt er dann nicht eine solipsistische Position ein: Nur das existiert, was ich mir vorstelle?<br />

Nur ich existiere, alles andere ist Einbildung? Gerade hier schafft der Begriff der Viabilität<br />

unseres Erachtens aber Abhilfe: Bei der Beziehung zwischen dem Konstrukt <strong>und</strong> der Welt an<br />

sich handelt es sich um eine Beziehung des Passens. Das heißt, „dass wir in der Organisation<br />

unserer Erlebenswelt stets so vorzugehen trachten, dass das, was wir da aus Elementen der<br />

Sinneswahrnehmung <strong>und</strong> des Denkens zusammenstellen [...], so beschaffen ist, dass es <strong>im</strong><br />

62 Vgl. SCHMIDT 1987a, 39-41.<br />

63 Vgl. SIEBERT 1999, 5.<br />

64 Vgl. MENDL 2005a, 178; KREINER 1992, 46.<br />

65 KREINER 1992, 46.<br />

66 KREINER 1992, 46-47.<br />

23


weiteren Fluss unserer Erlebnisse brauchbar zu bleiben verspricht.“ 67 Hinzu kommt, so betont<br />

Siebert, dass das, was viabel ist, in Interaktion mit anderen aufgr<strong>und</strong> vernünftiger <strong>und</strong><br />

verantwortlicher Maßstäbe ausgehandelt werden muss. 68<br />

In anderen Worten: Die Subjektabhängigkeit der Wirklichkeitsmodelle darf nicht mit<br />

solipsistischer Subjektivität verwechselt werden, weil es die Vergleichbarkeit der<br />

Wirklichkeitsmodelle verschiedener Subjekte (<strong>und</strong> damit soziale Handlungsfähigkeit) gibt.<br />

Diese ist gewährleistet durch zwei Bedingungen:<br />

- Wirklichkeitskonstruktion macht Gebrauch von den Erfahrungen der biologischen<br />

Selektion;<br />

- Wirklichkeitskonstruktion wird reguliert von der sozialen Kontrolle von<br />

Problemlösungsstrategien durch Bewährung <strong>und</strong> Konsens, also von der Summe historisch<br />

gewachsener gesellschaftlicher Erfahrungen. Diese konsensuellen Prinzipien der<br />

Wirklichkeit werden hauptsächlich durch Sprache (auf der Gr<strong>und</strong>lage von Interaktion <strong>und</strong><br />

Koordination) durchgesetzt. 69<br />

P. Lampe zufolge ist „die von uns <strong>und</strong> unserem Bewusstsein unabhängige ontische Realität [...]<br />

existent; sie ist sogar ein stückweit erfahrbar, nur eben nicht erkennbar!“ 70 Die Objektivität<br />

des Erkennens ist nicht möglich, wohl aber Intersubjektivität. 71 Diese Erfahrbarkeit der<br />

objektiven Realität begründet Lampe dadurch, dass die Welt an sich unserem Handeln <strong>im</strong>mer<br />

wieder Schranken setzt. Diese „Widerständigkeiten“ (die er als „ontische Schranken“<br />

bezeichnet) sind für ihn ein entscheidendes Argument für die Annahme der Existenz der Welt<br />

an sich. 72 Lampe führt neuerdings ein zweites Argument an: Wenn ich <strong>im</strong> Anschluss an Roth<br />

annehme, dass die Wirklichkeit ein Konstrukt unseres Gehirns ist, dann bin ich gleichzeitig<br />

gezwungen, von der Existenz einer Welt auszugehen, in der dieses Gehirn als Konstrukteur<br />

existiert, um nicht in Aporien zu enden. 73<br />

67 VON GLASERSFELD 2005, 30.<br />

68 Vgl. SIEBERT 1994, 47.<br />

69 Vgl. SCHMIDT 2005, 152-153.<br />

70 LAMPE 1999, 225.<br />

71 Vgl. MENDL 2005b, 13.<br />

72 Vgl. LAMPE 2006, 51.<br />

73 Vgl. LAMPE 2006, 51.<br />

24


2.4.3 Gibt der <strong>Konstruktivismus</strong> die Objektivität auf?<br />

Ein weiterer bekannter Einwand gegen den <strong>Konstruktivismus</strong> lautet: Der <strong>Konstruktivismus</strong><br />

gibt die „Objektivität“ auf. Hierauf kann Folgendes erwidert werden: Es ist wahr, dass der<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> sich dezidiert absetzt von der Vorstellung, dass es nur ein wahres Wissen<br />

geben kann, bzw. dass es die Möglichkeit gibt, Objekte an sich zu erkennen, ohne dass man in<br />

den Erlebnisbereich eines erkennenden Subjekts gerät. Wissen ist für den Konstruktivisten nie<br />

Abbild oder Widerspiegelung der objektiven Wirklichkeit, sondern es handelt sich <strong>im</strong>mer nur<br />

um einen gangbaren (viablen) Weg. Das Finden eines anderen, ebenfalls befriedigenden<br />

Weges wird nicht ausgeschlossen. Deshalb gibt es für den Konstruktivisten nie eine objektiv<br />

richtige oder wahre Lösung für ein Problem oder eine objektiv richtige oder wahre Vorstellung<br />

von einem Sachverhalt. 74<br />

Dennoch will auch der Konstruktivist die Unterscheidung zwischen Illusion <strong>und</strong> Wirklichkeit,<br />

bzw. zwischen „subjektivem“ <strong>und</strong> „objektivem“ Urteil aufrechterhalten – freilich nicht durch<br />

Berufung auf eine ontologisch begründete Welt, sondern auf den Unterscheidungen aus dem<br />

Aufbau der Erlebniswelt gründend. Von Glasersfeld unterstreicht in diesem Zusammenhang<br />

die Fähigkeit des erkennenden Subjekts, den Fluss seines Erlebens zu unterbrechen <strong>und</strong> es<br />

reflektiv zu betrachten, Vergleiche anzustellen, Unterscheidungen, Invarianten <strong>und</strong><br />

Wiederholungen zu entdecken. Wiederholung ist für ihn der „gr<strong>und</strong>legende Baustein der<br />

erlebten Wirklichkeit. Je nachdem, was da als wiederholt erlebt wird, bilden sich Stufen der<br />

Wirklichkeit.“ 75 Ein auf diese Art verstandenes Wissen bietet also durchaus die Möglichkeit,<br />

zu unterscheiden zwischen „subjektiven Hirngespinsten <strong>und</strong> der objektiven Erlebniswelt der<br />

Gemeinschaft“ 76 . Die Unterscheidung zwischen Illusorischem <strong>und</strong> Wirklichem ist aber nur<br />

möglich auf dem Weg der intersubjektiven Überprüfung der individuellen Konstruktionen. In<br />

anderen Worten: Objektiv ist für den <strong>Konstruktivismus</strong> das Wissen, das sich in<br />

intersubjektiven Kontexten als viabel erweist. 77<br />

74 Vgl. VON GLASERSFELD 2005, 32.<br />

75 VON GLASERSFELD 2005, 32.<br />

76 VON GLASERSFELD 2005, 39.<br />

77 Vgl. LAMPE 1999, 225; WALLICH 1999, 242.<br />

25


2.4.4. Wie lassen sich Konstruktivität <strong>und</strong> erfolgreiches Problemlösen<br />

vereinbaren?<br />

Eine weitere zentrale Frage an den <strong>Konstruktivismus</strong> formuliert S. Schmidt wie folgt: „Wie<br />

[kann] es trotz Konstruktivität <strong>und</strong> Subjektabhängigkeit dazu kommen [...], dass wir uns in<br />

aller Regel gut in unserer Umwelt orientieren, mit anderen erfolgreich kommunizieren <strong>und</strong><br />

selbst komplexe technische Probleme (etwa der Raumfahrt) lösen können“ 78 ? Darauf antwortet<br />

Schmidt: „Lebende Systeme sind interagierende Systeme, die mit anderen Systemen<br />

konsensuelle Bereiche als sozial akzeptierte Wirklichkeit aufbauen. Interaktionen dieser Art<br />

gehen also jeder Kommunikation voraus, <strong>und</strong> jede sprachliche Behauptung setzt solche<br />

Interaktionen voraus. Kommunikation kann nur funktionieren, weil Beobachter mit anderen<br />

Systemen interagieren, denen sie unterstellen, dass sie selbst Beobachter sind.“ 79<br />

Den anderen schieben wir Ernst von Glasersfeld zufolge dauernd unsere eigene empirische<br />

Erfahrung unter. Wenn dieses Unterschieben gelingt, gewinnt man einen Begriff von Objekt.<br />

„Erfahrungen <strong>und</strong> Problemlösungen, die intersubjektiv unterschiebbar sind, werden so<br />

interpretiert, als ob sie ‚wirklichkeitsadäquat’ wären, <strong>und</strong> sie werden wiederholt [...].“ 80<br />

Insofern ist die Welt, in der wir uns erleben, „eine konstruktive konzeptionelle Größe, die wir<br />

in unserer soziokulturellen Gemeinschaft durch parallele Interaktionen erzeugen <strong>und</strong> erproben<br />

<strong>und</strong> die für unser individuelles wie soziales Leben, Denken <strong>und</strong> Handeln relevant ist.“ 81<br />

Lebende Systeme entwickeln <strong>und</strong> erproben <strong>im</strong> soziokulturellen Kontext fortwährend neue<br />

Orientierungssysteme, um ihr Leben zu verbessern, d.h. es angenehmer, interessanter,<br />

lebenswerter zu gestalten. Dabei liegen die Bewertungskriterien für diese neuen<br />

Orientierungssysteme ausschließlich auf der kognitiven Ebene. 82 „Nicht die (ikonische)<br />

Übereinst<strong>im</strong>mung mit der Wirklichkeit, sondern allein der Nutzen unseres Wissens <strong>im</strong> Prozess<br />

unserer Kognition ist der entscheidende Faktor.“ 83<br />

78 SCHMIDT 1987a, 34.<br />

79 SCHMIDT 1987a, 34.<br />

80 SCHMIDT 1987a, 35.<br />

81 SCHMIDT 1987a, 35.<br />

82 Vgl. SCHMIDT 1987a, 36.<br />

83 Vgl. RUSCH 1985, 257.<br />

26


2.5 Weitere Anmerkungen<br />

2.5.1 Der <strong>Konstruktivismus</strong> als komplexes Paradigma<br />

Es ist bereits angeklungen, dass der <strong>Konstruktivismus</strong> keine einheitliche Theorie ist, sondern<br />

eher ein Sammelbegriff für unterschiedliche Denkansätze. So wie es die Philosophie nicht gibt,<br />

gibt es auch den <strong>Konstruktivismus</strong> nicht. Be<strong>im</strong> <strong>Konstruktivismus</strong> handelt es sich um einen<br />

komplexen Diskussionszusammenhang, einen wissenschaftlichen Diskurs, ein<br />

interdisziplinäres Paradigma.<br />

Nur der radikalste <strong>Konstruktivismus</strong> geht von einer absoluten Strukturdeterminiertheit des<br />

Subjekts aus. Weniger radikale <strong>und</strong> weniger biologistisch ausgerichtete konstruktivistische<br />

Theorien benutzen das konstruktivistische Vokabular nicht <strong>im</strong> wörtlichen, sondern <strong>im</strong> analogen<br />

Sinn <strong>und</strong> sehen die 1:1-Übertragbarkeit biologischer Strukturen auf psychische <strong>und</strong> soziale<br />

Dispositionen als unzulässigen Paradigmenwechsel bzw. als neuronalen Reduktionismus. 84<br />

Als gemeinsamer Nenner aller Richtungen <strong>und</strong> Ausprägungen des <strong>Konstruktivismus</strong> könnte<br />

man folgende Aspekte nennen: Skepsis gegenüber ontologischen <strong>Wahrheit</strong>sansprüchen; die<br />

Überzeugung, dass die Konstruktion von Wirklichkeit wesentlich vom erkennenden Subjekt<br />

abhängig ist; der hermeneutische Verdacht gegenüber einer objektiven Erkennbarkeit von<br />

Wirklichkeit <strong>im</strong> Sinne einer 1:1-Entsprechung. 85<br />

2.5.2 Der <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> die Existenz einer objektiven Realität<br />

Oben haben wir erwähnt, dass Armin Kreiner betont, dass ein logisch einwandfreier<br />

Relativismus eine unwiderlegbare Position darstellt. Er unterstreicht aber ebenfalls – zu Recht<br />

– dass ein logisch einwandfrei formulierter Relativismus die Möglichkeit absoluter <strong>Wahrheit</strong><br />

auch nicht ausschließen kann. „Gilt nämlich die Aussage, dass alle <strong>Wahrheit</strong>en nur relativ<br />

gültig sind, auch nur relativ, so ist daraus zwingend die Möglichkeit nicht-relativer <strong>Wahrheit</strong><br />

abzuleiten. [...] Eo ipso muss der Relativismus, will er nicht inkonsistent erscheinen, mit der<br />

Möglichkeit absoluter <strong>Wahrheit</strong> rechnen. [...] Er kann sie nicht a priori <strong>und</strong> definitiv<br />

ausschließen.“ 86<br />

84 Vgl. MENDL 2005a, 178.<br />

85 Vgl. MENDL 2005b, 14.<br />

86 KREINER 1992, 47.<br />

27


Diesem Hinweis würde wohl kein Konstruktivist widersprechen. Es sollte betont werden, dass<br />

der <strong>Konstruktivismus</strong> die Frage nach der Existenz einer objektiven, äußeren, deutungs- <strong>und</strong><br />

strukturabhängigen Realität meist offen lässt. Dem radikalen <strong>Konstruktivismus</strong> wird oft zu<br />

Unrecht vorgeworfen, dass er die Existenz der Wirklichkeit leugne. 87 „Radikal bezweifelt wird<br />

lediglich deren auch nur scheinbare objektive Erkennbarkeit.“ 88 Der <strong>Konstruktivismus</strong> sagt<br />

nicht mehr <strong>und</strong> nicht weniger als Folgendes: Die objektive Wirklichkeit ist der menschlichen<br />

Kognition nicht zugänglich. Ernst von Glasersfeld betont, dass der radikale <strong>Konstruktivismus</strong><br />

nicht die Wirklichkeit leugnet, sondern nur sagt, dass alle meine Aussagen über diese<br />

Wirklichkeit voll <strong>und</strong> ganz mein Erleben sind. 89 Bestritten wird also lediglich, dass die Welt an<br />

sich erfassbar ist. Rusch geht einen Schritt weiter, wenn er sagt, dass ein positives Wissen über<br />

Realität auch in konstruktivistischer Gesinnung nicht prinzipiell ausgeschlossen werden kann,<br />

sondern dass lediglich ausgeschlossen ist, ein Wissen über die Realität als positives Wissen<br />

über die Realität zu begründen. 90 Aus konstruktivistischer Sicht kann also weder die Existenz<br />

noch die Nicht-Existenz einer objektiven Realität behauptet werden. 91 Deshalb werden<br />

Aussagen über die Realität der Realität bzw. die Erkennbarkeit der Realität als Realität, die <strong>im</strong><br />

ontologischen Paradigma als selbstverständlich vorausgesetzt werden, <strong>im</strong> <strong>Konstruktivismus</strong><br />

gemieden. 92<br />

Wichtig in diesem Zusammenhang ist ebenfalls, dass die konstruktivistische Erkenntnistheorie<br />

eine Kognitionstheorie ist. D.h. die traditionelle erkenntnistheoretische Frage nach Inhalt <strong>und</strong><br />

Gegenstand von Wahrnehmung <strong>und</strong> Bewusstsein wird ersetzt durch die Frage nach dem Wie.<br />

Es wird sich auf den Erkenntnisvorgang (<strong>und</strong> dessen Wirkungen <strong>und</strong> Ergebnisse) konzentriert.<br />

Nicht Was-Fragen, sondern Wie-Fragen stehen <strong>im</strong> Mittelpunkt. Fragen wie Was erkenne ich?<br />

sind dem Konstruktivisten zufolge unergiebig, deshalb ist es angebracht, sich eher der Frage<br />

Wie erkenne ich? zuzuwenden. 93 Vor allem von Glasersfeld unterstreicht <strong>im</strong>mer wieder, dass<br />

der <strong>Konstruktivismus</strong> keine Theorie des Seins, also keine Ontologie ist, sondern eine Theorie<br />

des Wissens, eine Epistemologie. Behauptungsansprüche, die die Dinge an sich betreffen,<br />

werden <strong>im</strong> <strong>Konstruktivismus</strong> nicht gestellt. 94<br />

87 Vgl. MENDL 2005b, 13; KLEIN 2003, 34. Aus diesem Gr<strong>und</strong> geht Klein sogar so weit, den <strong>Konstruktivismus</strong> in<br />

einem gewissen Sinn als Realismus zu sehen. Ähnlich auch MATEJA 1994, 20; ENGLER 2004, 297.<br />

88 MENDL 2005b, 13.<br />

89 Vgl. SCHMIDT 1987a, 35; RUSCH 1999, 15.<br />

90 Vgl. RUSCH 1999, 15.<br />

91 Vgl. LAMPE 1998, 30.<br />

92 Vgl. FRESACHER 2000, 376.<br />

93 Vgl. WALLICH 1999, 52.<br />

94 Vgl. WALLICH 1999, 231.<br />

28


In Bezug auf die konstruktivistische Epistemologie schreibt Schmidt: „Mit diesem<br />

erkenntnistheoretischen Ansatz unverträglich sind gewisse traditionelle philosophische Fragen<br />

nach der Objektivität unserer Erkenntnis, nach Letztbegründung, absoluter <strong>Wahrheit</strong> <strong>und</strong><br />

absoluten Werten.“ 95 Gerade aus diesem Gr<strong>und</strong> werden wir in dieser Arbeit der Frage<br />

nachgehen, inwiefern das christliche <strong>Wahrheit</strong>sverständnis mit der konstruktivistischen<br />

Epistemologie vereinbar ist.<br />

2.5.3 Der <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> der <strong>Wahrheit</strong>sbegriff<br />

Der <strong>Konstruktivismus</strong> spricht eher von Wirklichkeit als von <strong>Wahrheit</strong>. Tatsächlich gibt es unter<br />

den Konstruktivisten eine gewisse Abneigung gegenüber dem <strong>Wahrheit</strong>sbegriff. Ernst von<br />

Glasersfeld <strong>und</strong> Heinz von Foerster äußern sich ablehnend gegenüber einer Weiterführung der<br />

<strong>Wahrheit</strong>sfrage. Die Suche nach der <strong>Wahrheit</strong> ist in ihren Augen sinnlos. Insbesondere von<br />

Foerster will dem <strong>Wahrheit</strong>sbegriff eine Absage erteilen. Oft wird <strong>im</strong> Zusammenhang des<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> die Entbehrlichkeit des <strong>Wahrheit</strong>sbegriffs für das wissenschaftliche Arbeiten<br />

unterstrichen. 96<br />

War der ältere konstruktivistische Diskurs an der <strong>Wahrheit</strong>sfrage also kaum interessiert, so hat<br />

in neuerer Zeit vor allem Siegfried Schmidt den Versuch einer Reformulierung des<br />

<strong>Wahrheit</strong>sbegriffs unternommen, da er der Überzeugung ist, dass der Begriff der „<strong>Wahrheit</strong>“<br />

noch nicht zu den abgehakten Themen gehört. Auch Klein ist der Auffassung: „Für<br />

wissenschaftliche Kommunikation reicht zwar der Begriff ‚Viabilität’ als Charakterisierung<br />

von Rahmenbedingung aus, bleibt aber für den konstruktivistischen Aufbau wissenschaftlicher<br />

Rationalitäten zu unspezifisch <strong>und</strong> zu vage, so dass er durch weitere Kriterien angereichert<br />

werden muss.“ 97<br />

Als „wahr“ bezeichnet Schmidt etwas, das „temporär unstrittig“ ist. 98 <strong>Wahrheit</strong> bezeichnet <strong>im</strong><br />

<strong>Konstruktivismus</strong> freilich „nicht mehr ein Projekt eines am Ende des long run stehenden<br />

Übereinst<strong>im</strong>mungsverhältnisses, sondern die Qualifizierung von Sachverhalten als (temporal)<br />

stabilisierte Eigenwerte, die weitere Kommunikations-, Operations- <strong>und</strong><br />

Interaktionsmöglichkeiten eröffnen; <strong>und</strong> zwar auf Zeit.“ 99 Daraus ergibt sich, dass die Frage,<br />

welche unserer Wirklichkeitsbeschreibungen sich am Ende als „wahr“ herausstellen wird,<br />

95 SCHMIDT 2005, 152.<br />

96 Vgl. DALFERTH/STOELLGER 2001, 48.<br />

97 KLEIN 2003, 122.<br />

98 Vgl. KLEIN 2003, 109.<br />

99 KLEIN 2003, 86.<br />

29


zurückgewiesen werden muss – zugunsten einer Unterscheidung von besseren <strong>und</strong> schlechteren<br />

bzw. mehr oder weniger nutzbringenden Beschreibungen der Wirklichkeit. 100 „Von ‚wahren’<br />

Beschreibungen könnte in diesem Kontext lediglich die Rede sein, insofern best<strong>im</strong>mte<br />

Auffassungen <strong>und</strong> Vorstellungen als konsensuell oder konventionell akzeptierte <strong>und</strong> geteilte<br />

plausible Anschlussmöglichkeiten fungieren, nämlich sowohl in wissenschaftlichen Diskursen,<br />

<strong>im</strong> alltäglichen Handeln <strong>und</strong> Verhalten <strong>und</strong> ebenso in religiösen Praxen <strong>und</strong> Sinn- bzw.<br />

Gewissheitsf<strong>und</strong>ierungen.“ 101<br />

2.5.4 Die Fruchtbarkeit des <strong>Konstruktivismus</strong> für die einzelnen Disziplinen<br />

Schmidt ist davon überzeugt, dass der <strong>Konstruktivismus</strong> für die einzelnen Disziplinen<br />

fruchtbar sein kann. Er sieht unter anderem folgende Chancen: 102<br />

- Die konstruktivistische Berücksichtigung holistischer <strong>und</strong> monistischer Aspekte erlaubt<br />

es, reduktionistische Forschungsansätze aufzulösen <strong>und</strong> fördert komplementäre<br />

Methoden;<br />

- Die Sensibilität für die erkenntnistheoretischen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Probleme jeder<br />

wissenschaftlichen Tätigkeit wird erhöht;<br />

- Wissenschaftliche Aktivität wird menschenbezogener <strong>und</strong> anwendungsorientierter<br />

gesehen;<br />

- Die Fixierung auf Denkmuster wie „Es muss aber doch...“ wird überw<strong>und</strong>en;<br />

- Prozesse <strong>und</strong> Systeme werden gegenüber Strukturen komplementär berücksichtigt.<br />

2.6 Zusammenfassung<br />

Zusammenfassend kann man sagen, dass der <strong>Konstruktivismus</strong> ein erkenntnistheoretischer<br />

Ansatz ist, der davon ausgeht, dass das Wissen an Menschen <strong>und</strong> an deren<br />

Wissenserwerbsaktivitäten geb<strong>und</strong>en ist. Deshalb kann diese Erkenntnistheorie nicht den<br />

Anspruch erheben, eine subjektunabhängige Realität zu beschreiben. Im radikalen<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> wird nicht geleugnet, dass es eine Welt „dort draußen“ gibt, es wird aber<br />

betont, dass diese Welt dem menschlichen Erkennen nicht zugänglich ist. Es gibt keine<br />

objektive Wirklichkeit, die der menschlichen Kognition zugänglich wäre. 103 Aussagen über die<br />

Wirklichkeit der Wirklichkeit bzw. der Erkennbarkeit der Wirklichkeit der Wirklichkeit<br />

100 Vgl. KLEIN 2003, 88.<br />

101 KLEIN 2003, 88.<br />

102 Vgl. SCHMIDT 1987a, 72-73.<br />

103 LAMPE 1999, 224.<br />

30


werden <strong>im</strong> <strong>Konstruktivismus</strong> vermieden. Im Anschluss an Fresacher könnte man sehr verkürzt<br />

sagen: „Es gibt Realität, aber wir haben keinen (unmittelbaren) Zugriff auf sie.“ Der<br />

Konstruktivist behauptet also nicht, dass es keine objektive Wirklichkeit gibt. Er sagt lediglich,<br />

dass es keine gibt, zu der der Mensch durch sein Erkenntnisvermögen Zugang hat. In diesem<br />

Sinne ist auch die Formulierung Peter Lampes zu verstehen: „Die Wirklichkeit ist ein<br />

Konstrukt des Gehirns.“ Wie wir in der Besprechung der Ausführungen von Gerhard Roth<br />

versucht haben darzulegen, gibt es für diese These ja auch starke neurobiologische Gründe. 104<br />

B. Fresacher schreibt, der <strong>Konstruktivismus</strong> situiere sich zwischen Positivismus <strong>und</strong><br />

Relativismus. Genau genommen ist aber der <strong>Konstruktivismus</strong>, gleich gültig wie „radikal“ er<br />

nun sei, insofern eine relativistische Theorie als dass die Erkenntnis in Beziehung (Relation)<br />

zum menschlichen Verstand gesehen wird. Jedenfalls ist der <strong>Konstruktivismus</strong> deutlich<br />

abzugrenzen vom Positivismus (Es gibt eine objektive Wirklichkeit, die der menschlichen<br />

Erkenntnis als solche zugänglich ist). 105 Der <strong>Konstruktivismus</strong> geht aber andererseits über<br />

relativistische (<strong>und</strong> skeptizistische) Positionen hinaus, indem er nachzuweisen versucht, „dass<br />

gerade die Subjektabhängigkeit unserer Wirklichkeitskonstruktionen unser erfolgreiches<br />

Handeln in einer sozial akzeptierten <strong>und</strong> scheinbar objektiven physikalischen Welt erklären<br />

kann.“ 106 Die Konstruktivisten zeigen auf, dass es auch trotz der Nichterkennbarkeit des<br />

Seienden an sich möglich ist, das Leben aktiv zu gestalten <strong>und</strong> insbesondere auch Wissenschaft<br />

zu betreiben. Allerdings findet in Bezug auf die wissenschaftliche Forschung eine<br />

Umorientierung statt – von der Forschung nach wahrem (objektivem) auf Forschung nach<br />

brauchbarem (viablen) Wissen, von Deskriptivität auf Problemlösungskapazität, von<br />

Objektivität auf Intersubjektivität. Schmidt zufolge werden auf diese Weise „eine Reihe von<br />

hartnäckigen traditionellen erkenntnistheoretischen Problemen (wie z.B. Verifikation <strong>und</strong><br />

Falsifikation [...]) erfolgreich zum Verschwinden [gebracht]“ 107 .<br />

104 Vgl. LAMPE 1999, 224.<br />

105 Andererseits scheint der Relativismus nach philosophischer Tradition allerdings davon auszugehen, dass<br />

irgendeine Form der Letztbegründung zumindest theoretisch denkbar ist – was rein konstruktivistisch nicht<br />

möglich ist. Vgl. VON GLASERSFELD 1987, 409.<br />

106 SCHMIDT 1987b, 8.<br />

107 SCHMIDT 1987a, 43. Von Glasersfeld betont <strong>im</strong>mer wieder, dass es sich be<strong>im</strong> <strong>Konstruktivismus</strong> um ein Modell<br />

handelt, das auf seine Nützlichkeit, nicht auf seine <strong>Wahrheit</strong> untersucht werden soll.<br />

31


3. ETHISCHE KONSEQUENZEN DES KONSTRUKTIVISMUS<br />

3.1 Allgemeine Bemerkungen<br />

Es gibt keine systematische konstruktivistische Ethik. Dies ist in unseren Augen nicht<br />

verw<strong>und</strong>erlich, denn wie wäre es möglich, als Konstruktivist, der von einer Relativität <strong>und</strong><br />

Pluralität der Wirklichkeitskonstruktionen ausgeht, eine epistemologisch oder biologisch<br />

begründete Ethik zu entwerfen? Ist es aus konstruktivistischer Sicht nicht angebrachter, von<br />

einer Pluralität von Ethiken auszugehen, die gleichrangig sind? 108<br />

Ein Interesse an ethischen Fragen ist be<strong>im</strong> <strong>Konstruktivismus</strong> allerdings durchaus vorhanden,<br />

betont er doch den konstruktiven <strong>und</strong> auf die Ermöglichung von Handeln zielenden Ursprung<br />

unserer Wirklichkeitserzeugungen <strong>und</strong> beruft er sich dabei auf Ergebnisse der Hirnforschung,<br />

die besagen, dass Wirklichkeitskonstruktionen <strong>im</strong>mer mit der Ausbildung von<br />

Handlungskompetenzen einhergehen. 109 Jedenfalls hat die konstruktivistische Epistemologie<br />

erhebliche ethische <strong>und</strong> gesellschaftspolitische Konsequenzen. Deshalb klingt dieser Aspekt,<br />

obwohl er <strong>im</strong> konstruktivistischen Diskurs keinen zentralen Stellenwert hat, doch <strong>im</strong>mer<br />

wieder an. Gerade für unsere Fragestellung ist der Aspekt der ethischen Konsequenzen des<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> nicht ohne Bedeutung. Gr<strong>und</strong>sätzlich kann man sagen, dass, wenn man die<br />

Pluralität der Wirklichkeitskonstruktionen voraussetzt, die diesbezüglichen ethischen Korrelate<br />

Akzeptanz, Toleranz <strong>und</strong> Bescheidenheit, Verantwortungs- <strong>und</strong> Begründungsakzeptanz sowie<br />

Liebe, Gerechtigkeit <strong>und</strong> Solidarität heißen können. Diese Aspekte sollen <strong>im</strong> Folgenden etwas<br />

genauer beleuchtet werden.<br />

3.2. Toleranzgebot<br />

Maturana zufolge verfällt der Mensch gerne einer gr<strong>und</strong>legenden Art der Entfremdung: der<br />

Suche nach der <strong>Wahrheit</strong> oder nach dem Absoluten; der Sehnsucht nach einer stabilen Welt,<br />

die sich nicht wandelt <strong>und</strong> in der alle unsere Bedürfnisse befriedigt werden. 110 Laut Maturana<br />

erzeugt aber ein solches Verlangen nach einer stabilen, dem Wandel entzogenen Welt mit<br />

absoluten Werten Ausbeutung <strong>und</strong> Tyrannei. Ebenso ist Maturana überzeugt, dass absoluter<br />

108 Vgl. hierzu SCHMIDT 1995, 17-18.<br />

109 Vgl. HEJL 1995, 31; 39.<br />

110 Vgl. SCHMIDT 1987a, 44.<br />

33


<strong>Wahrheit</strong>sanspruch notwendig zur Unterdrückung führt. 111 „Soziale Systeme, die das Leben<br />

auf vorgeschriebene <strong>Wahrheit</strong>en <strong>und</strong> verordnete hierarchische Systeme festlegen wollen,<br />

brauchen [...] Formen der Tyrannei, die wiederum langfristig soziale Instabilität erzeugen.“ 112<br />

Der <strong>Konstruktivismus</strong> kann zu einer Überwindung dieser Ausbeutung <strong>und</strong> Tyrannei führen.<br />

Wenn wir annehmen, dass wir autopoietische, geschlossene, strukturdeterminierte Systeme<br />

sind, bedeutet dies, dass es uns nicht möglich ist, eine Aussage über eine absolute Wirklichkeit<br />

zu machen. Hinzu kommt, dass jede Aussage, die wir tätigen, eine Aussage mit Hilfe einer<br />

Sprache darstellt. So gehört jede Aussage in den konsensuellen Bereich. Maturana schreibt,<br />

dass jedes Wertesystem, jede Ideologie <strong>und</strong> jede Beschreibung eine Operation in einem<br />

Konsensbereich ist, dessen Gültigkeit nur durch diejenigen hergestellt wird, die sie durch ihr<br />

konsensuelles Verhalten validieren. 113 Insofern sind auch Gut <strong>und</strong> Böse oder Wahr <strong>und</strong> Falsch<br />

keine kontextfreien absoluten Werte – was nicht bedeutet, dass sie beliebig sind. Die<br />

Ernstnahme dieser Erkenntnisse führt zu der Einsicht, dass Werte wie Akzeptanz, Toleranz,<br />

Bescheidenheit, Liebe, Solidarität, Gerechtigkeit sowie die Erfahrung von Empathie, das<br />

Bedürfnis nach Vertrauen, Anerkennung <strong>und</strong> Mitgefühl einen wesentlicheren Stellenwert<br />

erhalten müssen. Maturana zufolge können diese Werte <strong>und</strong> Erfahrungen Gr<strong>und</strong>lage für die<br />

Bildung sozialer Systeme sein, die Ausbeutung <strong>und</strong> Tyrannei ablehnen. Maturana sieht die<br />

Liebe <strong>und</strong> das gegenseitige Vertrauen als „biologisch elementare Bindemittel menschlicher<br />

sozialer Systeme, denn sie führen durch die Schaffung zwischenmenschlicher Sicherheit <strong>und</strong><br />

Zusammenarbeit zu individueller existenzieller Harmonie.“ 114<br />

Die Zurückweisung jedes subjektunabhängigen absoluten Erkenntnis-, <strong>Wahrheit</strong>s- <strong>und</strong><br />

Wertanspruchs ist ebenfalls bedeutsam in Gesprächen über die Einheitlichkeit bzw. die<br />

Verschiedenheit von Menschen <strong>und</strong> Kulturen. 115 Für den Konstruktivisten, demzufolge der<br />

Mensch die Welt, in der er lebt, selber erzeugt, „besteht kulturelle Verschiedenheit nicht in<br />

unterschiedlicher Bearbeitung einer unabhängigen Realität, sondern <strong>im</strong> Aufbau<br />

gleichberechtigter unterschiedlicher Wirklichkeitsmodelle.“ 116 Da Werte ausschließlich<br />

kulturspezifisch <strong>und</strong> historisch sind, gibt es erstens keinen Maßstab, um eine Kultur als<br />

111 Vgl. SCHMIDT 1987a, 47.<br />

112 SCHMIDT 1987a, 45-46.<br />

113 Vgl MATURANA 1982, 29-30.<br />

114 MATURANA 1982, 30. Liebe ist hier wohl allerdings nicht gemeint als Gefühl, sondern <strong>im</strong> Sinne Luhmanns:<br />

Liebe ist ein Medium, eine Verhaltensweise, die eine best<strong>im</strong>mte soziale Funktion erfüllt. Vgl. WALLICH 1999,<br />

556. Wallich weist darauf hin, dass Liebende ein autopoietisches System bilden: „Das Verhältnis der Liebenden<br />

ist [...] so wechselseitig, dass es kein Außerhalb der Liebe gibt <strong>und</strong> jede Handlung bzw. jedes Erleben in ihrer<br />

Wirkung auf den Partner wichtig ist. Vgl. WALLICH 1999, 556.<br />

115 SCHMIDT 1987a, 46.<br />

116 SCHMIDT 1987a, 46.<br />

34


adäquater als eine andere anzusehen <strong>und</strong> ist es auch nicht möglich, eine Kultur aus der Sicht<br />

einer anderen Kultur als erfolglos zu bezeichnen. 117<br />

Maturana zufolge sollte eine Gesellschaftsform angestrebt werden, in der keine systematische<br />

Unterdrückung stattfindet <strong>und</strong> das Individuum nicht negiert wird. Er geht sogar so weit, die<br />

Auflösung aller Institutionen zu fordern, die den Menschen dem Menschen unterordnen.<br />

Demjenigen, der solche Ziele für utopisch hält, entgegnet er: Es gibt keine historischen, keine<br />

sozialen, keine ökonomischen Gründe, die dem Erreichen dieses Zieles prinzipiell <strong>im</strong> Weg<br />

stehen.<br />

„Es ist vielmehr unsere Unwilligkeit, auf unsere kulturell erlernte <strong>und</strong> zutiefst genossene Lust zu<br />

verzichten, andere Menschen zu zwingen, unsere angebliche Überlegenheit zu akzeptieren. Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong>e verraten all die endlosen Diskussionen über die Mittel, ein best<strong>im</strong>mtes Ziel zu<br />

erreichen, lediglich den Mangel an Einsatz, dieses Ziel tatsächlich zu erreichen.“ 118<br />

Maturana spricht sich in aller Deutlichkeit für die Einzigartigkeit <strong>und</strong> Unentbehrlichkeit des<br />

Individuums aus. Unentbehrlich ist ihm zufolge aber nicht nur das Individuum an sich, sondern<br />

auch seine Interaktion mit anderen Individuen. „Denn konsensuelle Realität kann der<br />

Beobachter nur mit anderen Beobachtern erzeugen, <strong>und</strong> dieser konsensuelle Bereich ist die<br />

Gr<strong>und</strong>lage aller weiterführenden Konsensbildungen höherer Ordnung, wie sie durch<br />

sprachliche Kommunikation erreicht werden.“ 119 Es steht jedenfalls fest, dass die Position des<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> einen erkenntnistheoretischen <strong>und</strong> sozialen Pluralismus <strong>im</strong>pliziert <strong>und</strong> ein<br />

neues Menschenbild bzw. Individuumsverständnis mit sich bringt. Geht man davon aus, dass<br />

ein Erkennen der objektiven Realität nicht möglich ist <strong>und</strong> es daher verschiedene<br />

Wirklichkeitskonstruktionen gibt, muss man akzeptieren, dass es zwischen den einzelnen<br />

Wirklichkeiten erhebliche Unterschiede gibt – während man, wenn man Erkenntnis als eine<br />

1:1-Entsprechung einer allen objektiv zugänglichen Realität versteht, von einer gewissen<br />

Uniformität der erkennenden Subjekte ausgehen kann/muss. Diese Unterschiedlichkeit der<br />

Wirklichkeitskonstruktionen erfordert einen verantwortungsbewussten Umgang. 120 Dazu<br />

gehört in wesentlichem Maß die Anerkennung des Gleichheitspostulats, ohne das der<br />

Pluralismus nur ein Gedankenspiel bleibt. 121<br />

117 Vgl. SCHMIDT 1987a, 47.<br />

118 MATURANA 1982, 313.<br />

119 SCHMIDT 1987a, 48.<br />

120 Vgl. HEJL 1995, 34-39.<br />

121 Vgl. HEJL 1995, 53.<br />

35


Fassen wir noch einmal zusammen: Die unmittelbarste Schlussfolgerung der<br />

konstruktivistischen Position ist ein allgemeines Toleranzgebot, das Hejl als Forderung<br />

folgendermaßen ausdrückt: Vergiss nicht, dass andere Akteure für ihre Handlungen Gründe<br />

angeben können, die <strong>im</strong> Prinzip den Begründungen deiner Handlungen gleichrangig sind. 122<br />

Diese Einstellung berücksichtigt die Tatsache, dass jeder Mensch Wirklichkeitskonstrukteur ist<br />

sowie die Legit<strong>im</strong>ität der Existenz einer Vielzahl von gleichberechtigten <strong>und</strong> gleichrangigen<br />

Wirklichkeitskonstruktionen, von denen keine einer anderen überlegen sein darf.<br />

3.3 Verantwortungsakzeptanz<br />

Die konstruktivistische Epistemologie <strong>im</strong>pliziert darüber hinaus Verantwortungsakzeptanz.<br />

Dem <strong>Konstruktivismus</strong> zufolge sind, wie wir versucht haben aufzuzeigen, <strong>Wahrheit</strong> <strong>und</strong><br />

Wirklichkeit an sich nicht erkennbar <strong>und</strong> nicht besitzbar. Insofern scheiden sie als absolute <strong>und</strong><br />

letztverbindliche Berufungsinstanzen aus. Das bedeutet, dass der Mensch für sein Denken <strong>und</strong><br />

Handeln die Verantwortung übernehmen muss. 123 P. M. Hejl betont: „Wir erzeugen unsere<br />

Realitäten selber <strong>und</strong> sind damit letztlich selber für das dadurch bedingte Glück <strong>und</strong> Leiden<br />

verantwortlich.“ 124 Die entsprechende ethische Forderung könnte also lauten: Handle so, dass<br />

du für die Folgen deines Handelns die Verantwortung übernehmen kannst. 125<br />

Liegt nicht in diesem Punkt die Hauptursache, weshalb der <strong>Konstruktivismus</strong> noch nicht<br />

überall verbreitet ist? Besteht nicht ein beliebtes Gesellschaftsspiel darin, sich der<br />

Verantwortung zu entziehen? 126 Die genialste Strategie, dies zu tun, ist das Operieren mit dem<br />

Begriff der „Objektivität“. 127 Objektivität trennt Beobachtung vom Beobachter, in der<br />

Überzeugung, dass die Eigenschaften des Beobachters nicht in der Beschreibung seiner<br />

Beobachtungen zu finden sein dürfen. So wird unsere Beziehung zur Welt dominiert von<br />

Furcht <strong>und</strong> Feindschaft, Herrschen <strong>und</strong> Regulieren. Im Gegensatz dazu propagiert die<br />

konstruktivistische Epistemologie eine Epistemologie des Beobachtens, die sich durch eine<br />

Verknüpfung zwischen Beobachter <strong>und</strong> Beobachtung auszeichnet. So rückt an die Stelle vom<br />

„Du sollst...“ das „Ich soll...“. 128 Eine solche Lehre ist v. Glasersfeld zufolge ungemütlich in<br />

122 Vgl. HEJL 1995, 56.<br />

123 Vgl. SCHMIDT 1987a, 38; WALLICH 1999, 243.<br />

124 HEJL 2005, 144.<br />

125 Vgl. HEJL 1995, 57.<br />

126 Vgl. VON FOERSTER 2005, 44.<br />

127 Im Bereich des Kirchlichen wären das etwas die „Offenbarung“, die „Tradition“, die Bibel oder das Lehramt.<br />

128 Vgl. VON FOERSTER 2005, 44.<br />

36


einem Zeitalter, „da Behavioristen nach wie vor alle Verantwortung auf die Umwelt schieben<br />

<strong>und</strong> Soziobiologen einen großen Teil davon auf die Gene abwälzen möchten“ 129 .<br />

Wir möchten aber unterstreichen, dass die Verantwortungsakzeptanz in unserer Gesellschaft<br />

dennoch ein zentrales Thema ist. Davon zeugt zum Beispiel die Tatsache, dass die Konzepte<br />

„Schuld“ <strong>und</strong> „Haftung“ Kernkonzepte des Strafrechts sind. Anzumerken gilt ebenfalls, dass<br />

Verantwortungsübernahme zu einem voraussetzungsreichen Vorgang geworden ist. So hat<br />

unsere Gesellschaft, damit der Einzelne Verantwortung übernehmen kann, Vorkehrungen wie<br />

Versicherungen oder Beschränkungen der Verantwortung durch spezifische Rechtsformen<br />

(z.B. GmbH / s.à.r.l.) getroffen. 130<br />

3.4 Begründungspflicht<br />

Eine ethische Folgerung der konstruktivistischen Epistemologie neben dem Toleranzgebot <strong>und</strong><br />

der Verantwortungsakzeptanz ist Hejl zufolge die Begründungspflicht. In der Ausgabe vom<br />

27./28.11.1993 der Süddeutschen Zeitung hat Kardinal Joseph Ratzinger behauptet: „Was<br />

bedeutende Geister entscheiden, braucht nicht begründet zu werden.“ 131 Der <strong>Konstruktivismus</strong><br />

hingegen <strong>im</strong>pliziert: Weil es eine Pluralität von Wirklichkeitskonstruktionen gibt, muss das<br />

erkennende Subjekt seine Wirklichkeitskonstruktion bzw. seine „Entscheidung“ für eine<br />

spezifische Wirklichkeit begründen. Hejl spricht die entsprechende ethische Forderung aus:<br />

Begründe dein Handeln so, dass möglichst viele Menschen die Gründe für deine Entscheidung<br />

nachvollziehen können. 132<br />

Uns stellt sich allerdings hier die Frage, in welchem Maße der Mensch als<br />

strukturdeterminiertes Wesen seine Wirklichkeitskonstruktion entscheiden kann. Ist seine<br />

Wirklichkeitskonstruktion nicht eine (kaum steuerbare) Reaktion seiner kognitiv-somatischen<br />

Struktur?<br />

Nichtsdestotrotz trifft wohl zu, was Hejl anschließend sagt:<br />

„In intern differenzierten Gesellschaften, in denen sich die Gesellschaftsmitglieder [...] verstärkt<br />

individualisieren, wird es <strong>im</strong>mer schwieriger, mit den zahlreichen unterschiedlichen Wirklichkeiten<br />

129 VON GLASERSFELD 2004, 17.<br />

130 Vgl. HEJL 1995, 59-60.<br />

131 Zit. in: Impr<strong>im</strong>atur 8/2006, 339.<br />

132 Vgl. HEJL 1995, 60.<br />

37


umzugehen. Das erzwingt Vorkehrungen, die sozialen Systemen erlauben, sich auch ohne den<br />

Konsens selbst regeln zu können, der aus einer geteilten Wirklichkeit erster Ordnung resultiert.“ 133<br />

Hejl plädiert hier für ein gesellschaftspolitisches Prinzip der Selbstregelung <strong>und</strong> propagiert in<br />

diesem Zusammenhang die Heterarchie, die eine Sozialform darstellt, in der die<br />

Organisationseinheiten nicht in einem Über- <strong>und</strong> Unterordnungsverhältnis, sondern mehr oder<br />

weniger gleichrangig nebeneinander stehen. Heterarchische Systeme sind, anders als<br />

hierarchische Systeme, mit einer nicht reduzierbaren Vielfalt von Wirklichkeitskonstruktionen<br />

kompatibel, indem sie alle <strong>im</strong> System vorhandenen Kenntnisse nutzen <strong>und</strong> die Pluralität der<br />

Wirklichkeiten als unentbehrliche Ressource betrachten. 134 Bei hierarchisch organisierten<br />

Systemen trifft dagegen ein Teilsystem Entscheidungen, die für alle anderen verbindlich sind –<br />

wobei in diesem Fall häufig die Fähigkeit der Spitze, Informationen aus den anderen<br />

Teilsystemen aufzunehmen <strong>und</strong> zu verarbeiten, das Hauptproblem ist. Unseres Erachtens<br />

könnte eine größere Dezentralisierung sowie eine stärkere Betonung des Subsidiaritätsprinzips<br />

der Idee der heterarchisch funktionierenden Gesellschaft gerecht werden.<br />

3.5 Appell an die Liebe<br />

Maturana schließt einen Aufsatz über die „Biologie der Sprache“, in dem er die oben<br />

genannten ethischen Gesichtspunkte beleuchtet hat, ab mit einem Appell an die Liebe:<br />

„Jeder Mensch steht als autopoietisches System allein auf der Welt. Wir wollen jedoch nicht<br />

beklagen, dass wir in einer subjektabhängigen Realität existieren müssen. Auf diese Weise ist das<br />

Leben interessanter, denn die einzige Transzendenz unserer individuellen Einsamkeit, die wir<br />

erfahren können, entsteht durch die konsensuelle Realität, die wir mit anderen schaffen, d.h. durch<br />

die Liebe zueinander.“ 135<br />

Für diesen Appell an die Liebe, auf die er als ethisches F<strong>und</strong>ament zu bauen versucht, ist<br />

Maturana oft belächelt, bew<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> gescholten worden. Immerhin aber steht er mit diesem<br />

Appell nicht allein: Auch <strong>im</strong> Christentum ist das Liebesgebot das wichtigste Gebot. Dies ist<br />

natürlich kein Beweis für die Richtigkeit seines Modells, aber <strong>im</strong>merhin zeigt sich, dass<br />

Maturana hier eigentlich keine neue, sondern eine sehr alte Ethik propagiert, die, wie die<br />

Geschichte zeigt, sehr schwierig zu verwirklichen ist. 136<br />

133 HEJL 1995, 61.<br />

134 Vgl. HEJL 1995, 79-80. Hejl schließt aber temporäre Hierarchisierungen dieser heterarchischen Systeme nicht<br />

aus.<br />

135 MATURANA 1982, 271; vgl. auch AMMERMANN 1992, 217.<br />

136 Vgl. SCHMIDT 1995, 17.<br />

38


4. KONSTRUKTIVISMUS UND THEOLOGIE<br />

4.1 Hinführung<br />

In diesem Kapitel möchten wir nun der zentralen Frage nachgehen: Ist der <strong>Konstruktivismus</strong><br />

mit dem christlichen Glauben, genauer mit dem christlichen Offenbarungs- <strong>und</strong><br />

<strong>Wahrheit</strong>sverständnis vereinbar? Sind konstruktivistische Weltanschauung <strong>und</strong> <strong>Theologie</strong><br />

kompatibel? 137<br />

Auf den ersten Blick lassen sich konstruktivistische Auffassungen wie die Aussagen, dass die<br />

Zeit der großen <strong>Wahrheit</strong>en vorbei sei oder die objektive Realität dem menschlichen Erkennen<br />

nicht zugänglich ist bzw. gar nicht existiert, nur schwer mit dem christlichen Offenbarungs<strong>und</strong><br />

<strong>Wahrheit</strong>sverständnis in Einklang bringen, wird doch in der <strong>Theologie</strong> betont, dass nicht<br />

der Mensch in der Welt, sondern der außerhalb der Welt liegende Gott, der sich der Welt<br />

zuwendet, Ausgangspunkt ist <strong>und</strong> das menschliche Handeln insofern nicht Aktion, sondern<br />

Reaktion auf das Zuwenden Gottes ist. 138<br />

Etwas skeptisch zeigt sich zum Beispiel Norbert Ammermann, der einerseits davon überzeugt<br />

ist, dass auch die <strong>Theologie</strong> sich dem <strong>Konstruktivismus</strong> öffnen muss, gleichzeitig aber eine<br />

Privatisierung der Religion als notwendige Konsequenz in Betracht zieht <strong>und</strong> fragt: „Was<br />

bleibt von der <strong>Theologie</strong> übrig, wenn man den konstruktivistischen Ansatz auf ihr Gebiet zu<br />

überspielen sucht [...]? [...] Der <strong>Konstruktivismus</strong> müsste es ablehnen, vom Gegenstand der<br />

<strong>Theologie</strong> als eines irgendwie realen Gegenstandes zu sprechen.“ 139 Sehr entschieden schreibt<br />

Monika Born in Bezug auf die Frage nach der Vereinbarkeit von <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong><br />

christlichem Glauben:<br />

„Nein! Denn der christliche Glaube kennt <strong>Wahrheit</strong>en, Gewissheiten <strong>und</strong> Dogmen, <strong>und</strong> er ist eine<br />

Heilslehre. Der Christ ist davon überzeugt, dass der dreifaltig-eine Gott existiert <strong>und</strong> sich offenbart<br />

hat, dass der Mensch gewordene Sohn Gottes uns erlöst hat, dass wir berufen sind zu einem ewigen<br />

Leben in Gottes Nähe. Christen denken groß vom Menschen als Ebenbild Gottes <strong>und</strong> wissen zugleich<br />

um ihre Kleinheit angesichts der Größe Gottes <strong>und</strong> um ihre Begrenzungen.“ 140<br />

137 Vgl. MENDL 2005a, 177.<br />

138 Vgl. MENDL 2005a, 177.<br />

139 Vgl. AMMERMANN 1990, 43.<br />

140 BORN 2003, 251.<br />

40


Der christliche Glaube geht also von objektiven <strong>Wahrheit</strong>en aus, während der<br />

<strong>Konstruktivismus</strong>, so Heribert Seifert, „nur noch die unendliche Vielzahl subjektiver<br />

Wirklichkeitskonstruktionen [kennt], die <strong>im</strong> Prinzip alle gleich gültig sind <strong>und</strong> nur revidiert<br />

werden, wenn sie ihre Unbrauchbarkeit [Nicht-Viabilität] erweisen“ 141 . „Eine unbefangene<br />

Hingabe des erkennenden Menschen an das Wirkliche [...] als Voraussetzung jeder<br />

<strong>Wahrheit</strong>sforschung, also eine Haltung selbstloser Sachlichkeit, wird ausgeschlossen, weil als<br />

unmöglich angesehen.“ 142 Des Weiteren schreibt Monika Born:<br />

„Noch aus einem weiteren Gr<strong>und</strong> sind Christentum <strong>und</strong> <strong>Konstruktivismus</strong> nicht miteinander zu<br />

vereinbaren: Wo ethische Normen nur noch verhandelt oder ausgehandelt werden dürfen, wo es nur<br />

noch um eine ‚post-christliche Moral’ geht, wird der Christ nicht einverstanden sein können. Denn er<br />

anerkennt den Dekalog, die Bergpredigt <strong>und</strong> die kirchliche Morallehre.“ 143<br />

Sind solche Antworten wie diejenige von Monika Born allerdings in Wirklichkeit nicht etwas<br />

zu kurz, zu voreilig <strong>und</strong> zu ideologieverdächtig? Werden in diesen Auseinandersetzungen<br />

Begriffe wie „Subjektivismus“, „Relativismus“ oder auch noch „Individualismus“ nicht als<br />

„Diskurskiller“ verwendet, ohne dass sich genau damit auseinandergesetzt wird? 144 Hans<br />

Mendl zufolge ist die Frage nach der Vereinbarkeit zwischen <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong><br />

christlichem <strong>Wahrheit</strong>s- <strong>und</strong> Offenbarungsverständnis bereits in sich unsinnig, <strong>und</strong> zwar in<br />

doppelter Weise, da es weder den <strong>Konstruktivismus</strong> noch das christliche <strong>Wahrheit</strong>sverständnis<br />

gibt. Ob es das christliche <strong>Wahrheit</strong>sverständnis nun gibt oder nicht, soll <strong>im</strong> folgenden Punkt<br />

analysiert werden.<br />

141 SEIFERT 2000, 122.<br />

142 BORN 2003, 242.<br />

143<br />

BORN 2003, 252. Bei diesen Aussagen wird deutlich, welches „Lager“ innerhalb der Kirche den<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> am heftigsten bekämpft. Sehr deutlich wird dies auch an folgenden – wie sie selber sagt, bangen<br />

– Anfragen Frau Borns, in denen sie bedauert, die Kirche habe sich dem konstruktivistischen Gedankengut schon<br />

viel zu weit geöffnet: „Wie weit haben sich Moraltheologie <strong>und</strong> Pastoral auf konstruktivistische Sichtweisen<br />

eingelassen? Was ist mit der ‚autonomen Moral’, die von einem großen Teil katholischer Theologen vertreten<br />

wird in Absetzung von der verbindlichen Morallehre der katholischen Kirche? Passt dazu die bei uns geläufige<br />

Kritik an Lehramt <strong>und</strong> ‚Amtskirche’, die verbreitete Ablehnung des Katechismus der Katholischen Kirche? Was<br />

ist mit Kirchenvolksbegehren <strong>und</strong> ‚Kirche von unten’? Und wie ist die strikte Ablehnung vieler von Katechese <strong>im</strong><br />

katholischen Religionsunterricht zu sehen?“ (BORN 2003, 254).<br />

144 Vgl. KLEIN 2003, 26.<br />

41


4.2 <strong>Theologie</strong>, <strong>Wahrheit</strong> <strong>und</strong> Offenbarung<br />

Die Sehnsucht nach <strong>Wahrheit</strong> <strong>und</strong> das Bemühen um deren Erkenntnis ist zutiefst menschlich.<br />

Gerade <strong>im</strong> religiösen Bereich steht die <strong>Wahrheit</strong>sfrage <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong>: Was ist <strong>Wahrheit</strong>?<br />

Kann ich sie erkennen? Lebe ich in der <strong>Wahrheit</strong>? 145 Aus diesem Gr<strong>und</strong> spielt die<br />

<strong>Wahrheit</strong>sfrage auch in der <strong>Theologie</strong> eine wesentliche Rolle. In diesem Kapitel möchten wir<br />

nun das oben erläuterte konstruktivistische <strong>Wahrheit</strong>sverständnis mit dem<br />

<strong>Wahrheit</strong>sverständnis in der <strong>Theologie</strong> konfrontieren.<br />

In der päpstlichen Enzyklika „Veritatis splendor“ von 1992 heißt es: „Wir können keine<br />

Freiheit <strong>im</strong> Gegensatz zum Lehramt der Kirche als legit<strong>im</strong> zulassen.“ 146 Hier wird H. Koch<br />

zufolge „in allen ethischen Fragen vollständiger <strong>und</strong> nicht mehr hinterfragbarer Besitz der<br />

<strong>Wahrheit</strong> beansprucht“ 147 . Es ist ebenfalls allgemein bekannt, dass Papst Benedikt XVI., vor<br />

allem als Joseph Ratzinger in seiner Funktion als Präfekt der Glaubenskongregation den<br />

„Relativismus“ <strong>im</strong>mer wieder scharf kritisiert hat. Unter Relativismus versteht er erstens den in<br />

den demokratischen Gesellschaften vorhandenen Pluralismus, der ihm „als die philosophische<br />

Gr<strong>und</strong>lage der Demokratie [erscheint], die eben darauf beruhe, dass niemand in Anspruch<br />

nehmen dürfe, den richtigen Weg zu kennen“, <strong>und</strong> der bedeute, dass „alle Wege einander<br />

Bruchstücke des Versuchs zum Besseren hin“ zu betrachten seien. 148 Unter Relativismus<br />

versteht er zweitens den politischen Relativismus, der sich auf dem Gebiet der <strong>Theologie</strong> unter<br />

der Form der pluralistischen Religionstheologie äußert. Während Ratzinger eine relativistische<br />

Gr<strong>und</strong>einstellung <strong>im</strong> Bereich des Politischen gutheißt – „Die einzig richtige politische Option<br />

gibt es nicht.“ 149 –, lehnt er die Anwendung der relativistischen Position auf den Bereich der<br />

Religion (<strong>und</strong> der Ethik) entschieden ab, weil der eigene Glaube auf eine Stufe mit<br />

Überzeugungen der Anderen gesetzt wird <strong>und</strong> ihm nicht mehr <strong>Wahrheit</strong> zugestanden wird als<br />

der Position des Anderen <strong>und</strong> dadurch Kirche, Dogma, Sakramente <strong>und</strong> Christus ihre<br />

Unbedingtheit verlieren. 150 „Ein Glaube, den wir selbst festlegen können, ist überhaupt kein<br />

Glaube. Und keine Minderheit hat einen Gr<strong>und</strong>, sich durch eine Mehrheit Glauben<br />

vorschreiben zu lassen. Der Glaube <strong>und</strong> seine Praxis kommen entweder vom Herrn her durch<br />

die Kirche <strong>und</strong> ihre sakramentalen Dienste zu uns, oder es gibt ihn gar nicht.“ 151 Daraus kann<br />

145 Vgl. HROMADKA 1996, 256.<br />

146 Zit. bei KOCH, 207.<br />

147 KOCH, 207.<br />

148 RATZINGER 2004, 95.<br />

149 RATZINGER 2004, 95.<br />

150 Vgl. RATZINGER 2004, 97.<br />

151 RATZINGER 2004, 105.<br />

42


man nicht unbedingt folgern, dass, wie N. Copray behauptet, Papst Benedikt beanspruchen<br />

würde, die endgültige Autorität religiöser <strong>Wahrheit</strong> zu sein, wohl aber, dass das Christentum<br />

hier als den anderen Religionen überlegen angesehen wird <strong>und</strong> „zur wahren Religion erklärt,<br />

deren <strong>Wahrheit</strong> allein die katholische Kirche zu interpretieren, vorzuschreiben <strong>und</strong> zu<br />

repräsentieren hat.“ 152 Immerhin schreibt Papst Benedikt XVI. andererseits in seiner Botschaft<br />

zum Weltfriedenstag 2006: „Die Anmaßung, das, was man selbst für die <strong>Wahrheit</strong> hält,<br />

anderen gewaltsam aufzuzwingen, bedeutet, dass dadurch die Würde des Menschen verletzt<br />

<strong>und</strong> schließlich Gott, dessen Abbild er ist, beleidigt wird.“ 153<br />

Es scheint uns hier zunächst wichtig, darauf hinzuweisen, dass es, so wenig wie es die<br />

Philosophie gibt, die <strong>Theologie</strong> gibt. Die theologische Literatur zeichnet sich eher durch eine<br />

verwirrende Vielfalt aus. Die vertretenen Positionen weichen teilweise erheblich voneinander<br />

ab – ein Tatbestand, der allerdings nicht neu ist: <strong>Theologie</strong> war nie durch Einheitlichkeit<br />

gekennzeichnet. Die augustinische <strong>und</strong> die thomistische Tradition sind nicht ohne Weiteres<br />

vereinbar. Die f<strong>und</strong>amentaltheologischen Ansätze von K. Rahner, J. B. Metz <strong>und</strong> H. U. von<br />

Balthasar unterscheiden sich erheblich, auch wenn sie alle einen unverzichtbaren<br />

f<strong>und</strong>amentaltheologischen Beitrag geleistet haben. Der Streit <strong>im</strong> Rahmen des<br />

Dreifaltigkeitsdogmas (Vorwürfe des Tritheismus bzw. des Modalismus) ist bis heute nicht<br />

gelöst. Die heutige „offizielle“ katholische <strong>Theologie</strong>, d.h. die <strong>Theologie</strong> des katholischen<br />

Lehramtes, die sich etwa <strong>im</strong> Katechismus der Katholischen Kirche widerspiegelt, stößt in<br />

anderen Theologenkreisen nicht einhellig auf Zust<strong>im</strong>mung. So bezeichnet Hasenhüttl die<br />

„römische“ <strong>Theologie</strong> z.B. etwas polemisch als „miserable <strong>Theologie</strong> des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“ 154 .<br />

So wenig wie es die <strong>Theologie</strong> gibt, gibt es das christliche <strong>Wahrheit</strong>sverständnis. 155 Wohl ist<br />

allen theologischen Richtungen gemein, dass sie von dem Standpunkt ausgehen, „dass es über<br />

dem Menschen, über der Geschichte, über allem menschlichen Bemühen eine absolute<br />

<strong>Wahrheit</strong> gibt“ 156 – eine Annahme, die auch vom <strong>Konstruktivismus</strong> nicht von vorneherein<br />

verworfen wird –, aber der Blick in die einschlägigen theologischen Lexika macht deutlich: Oft<br />

fehlt in der <strong>Theologie</strong> der gemeinsame Frage- <strong>und</strong> Begriffshorizont in Bezug auf <strong>Wahrheit</strong>,<br />

Wirklichkeit <strong>und</strong> Realität. Der Artikel „<strong>Wahrheit</strong>“ von Klaus Müller <strong>im</strong> Lexikon<br />

152 COPRAY 2005, 31.<br />

153 Zit. in IMPRIMATUR 2006 (siehe Lit.). Mit dieser Aussage steht Papst Benedikt in der Linie des II.<br />

Vatikanischen Konzil, das <strong>im</strong> Dekret über die Religionsfreiheit das Recht jedes Menschen auf religiöse Freiheit<br />

betont – ein Recht, das es in der unantastbaren Würde bzw. dem Wesen des Menschen selbst begründet sieht.<br />

(Dignitatis Humanae 2)<br />

154 IMPRIMATUR 2006, 20 (siehe Lit.).<br />

155 Vgl. MENDL 2005, 180.<br />

156 HROMADKA 1996, 257.<br />

43


philosophischer Gr<strong>und</strong>begriffe der <strong>Theologie</strong> beginnt mit der Anmerkung, dass es gegenwärtig<br />

drei gängige <strong>Wahrheit</strong>stheorie-Typen gibt – die Korrespondenz-/Adäquationstheorie, die<br />

Kohärenztheorie <strong>und</strong> die Konsenstheorie – die er alle drei als unbefriedigend bezeichnet, um<br />

dann einen Blick auf die Begriffsgeschichte zu werfen. 157 Im Anschluss an Lorenz Puntel kann<br />

man sagen, dass die Diskussionen über den <strong>Wahrheit</strong>sbegriff in der gegenwärtigen Diskussion<br />

gewissermaßen paradox sind: „Die Häufigkeit <strong>und</strong> Selbstverständlichkeit seiner Verwendung<br />

stehen <strong>im</strong> umgekehrten Verhältnis zum Grad des Konsenses über seine genaue Best<strong>im</strong>mung<br />

<strong>und</strong> Tragweite.“ 158 I. Dalferth/ P. Stoellger stellen in ihrer Untersuchung zur theologischen<br />

Rezeption zeitgenössischer wahrheitstheoretischer Diskussionen fest, dass es, anders als in der<br />

Philosophie, in der <strong>Theologie</strong> in den letzten Jahrzehnten nur vereinzelt zu einer Ausarbeitung<br />

eines theologischen <strong>Wahrheit</strong>sverständnisses gekommen ist. 159 Das liegt wohl zum Teil auch<br />

daran, dass die <strong>Theologie</strong> aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen besteht, die sich<br />

auf unterschiedliche Gegenstände <strong>und</strong> Erkenntnisbereiche beziehen, so dass sich die<br />

<strong>Wahrheit</strong>sfrage nicht in allen Disziplinen auf die gleiche Weise stellt. So würde ein Vertreter<br />

der praktischen <strong>Theologie</strong> den <strong>Wahrheit</strong>sanspruch vielleicht in dem Maße verstehen, dass das<br />

christliche Existenzverständnis dem heutigen Menschen etwas mitzuteilen sagen hat, während<br />

ein F<strong>und</strong>amentaltheologe <strong>Wahrheit</strong> wohl eher als Übereinst<strong>im</strong>mung mit der Wirklichkeit<br />

definieren würde. 160 Es ist auch mit J. Fischer darauf hinzuweisen, dass die <strong>Theologie</strong> „aus<br />

ihrer eigenen Geschichte am besten [wissen müsste], wie unterschiedlich die Frage nach der<br />

<strong>Wahrheit</strong> gestellt werden kann <strong>und</strong> wie sehr hier alle Antworten dem Denken ihrer Zeit<br />

verpflichtet sind.“ 161 Fischer, der allerdings nur die evangelische <strong>Theologie</strong> <strong>im</strong> Blickfeld hat,<br />

stellt in diesem Zusammenhang Folgendes fest:<br />

- Bis zur Aufklärung wird die <strong>Wahrheit</strong>sfrage in der evangelischen <strong>Theologie</strong> auf eine<br />

relativ einfache Weise beantwortet: Die <strong>Wahrheit</strong> der <strong>Theologie</strong> besteht in der Teilhabe<br />

an der <strong>Wahrheit</strong> Gottes. Die Quelle, durch die Gottes <strong>Wahrheit</strong> zu dem Menschen<br />

kommt, ist die heilige Schrift, so dass das <strong>Wahrheit</strong>skriterium auch folgendermaßen<br />

ausgedrückt werden kann: Die <strong>Wahrheit</strong> der <strong>Theologie</strong> wird gemessen am Grad der<br />

Übereinst<strong>im</strong>mung mit der heiligen Schrift. 162 In dieser Konzeption wird es als<br />

unmöglich angesehen, dass die erschlossene <strong>Wahrheit</strong> anschließend noch einmal an der<br />

Wirklichkeit verifiziert wird, weil dies bedeuten würde, dass es eine zweite Quelle<br />

157 Vgl. MÜLLER 2003, 434.<br />

158 PUNTEL 2001, 927.<br />

159 Vgl. DALFERTH/STOELLGER 2001, 36-37.<br />

160 Vgl. FISCHER 1994b, 93-94.<br />

161 FISCHER 1994b, 94.<br />

162 In der katholischen <strong>Theologie</strong> wäre neben der Quelle der heiligen Schrift freilich noch die Quelle der Tradition<br />

zu berücksichtigen.<br />

44


gäbe, die von der göttlichen Offenbarung unterschieden ist <strong>und</strong> ihr sogar höhergestellt<br />

ist.<br />

- Seit der Aufklärung wird diese Fixierung auf die heilige Schrift als alleinige Autorität<br />

als fragwürdig angesehen, so dass eine zusätzliche Erkenntnisquelle neben die Quelle<br />

der göttlichen Offenbarung tritt: Die menschliche Vernunft <strong>und</strong> die Subjektivität. Die<br />

Frage nach der <strong>Wahrheit</strong> wird zu einer Frage nach der Übereinst<strong>im</strong>mung mit der<br />

feststellbaren Wirklichkeit (<strong>und</strong> nicht mehr mit der heiligen Schrift), d.h. zu einer Frage<br />

nach der Wirklichkeit, wie sie mit der Vernunft, mit der Geschichte, der Anthropologie<br />

oder der Naturwissenschaft aufgewiesen werden kann. Doch stellt sich nun die Frage,<br />

wie die durch menschliche Vernunft erschlossene Wirklichkeit Kriterium göttlicher<br />

<strong>Wahrheit</strong> sein kann. So befindet sich die <strong>Theologie</strong> mit ihrem <strong>Wahrheit</strong>sanspruch seit<br />

der Aufklärung in einem Dilemma zwischen Vernunft <strong>und</strong> Offenbarung. 163<br />

Zur Überwindung dieses Dilemmas schlägt Fischer <strong>im</strong> Anschluss an F. Mildenberger ein<br />

Modell vor, das von I. Dalferth <strong>und</strong> P. Stoellger aufgegriffen <strong>und</strong> von A. Klein<br />

konstruktivistisch weitergeführt wird, <strong>und</strong> auf das wir weiter unten detaillierter zurückkommen<br />

möchten: 164 Fischer stellt die Frage, ob denn die <strong>Wahrheit</strong>, der die <strong>Theologie</strong> verpflichtet ist,<br />

überhaupt in den Erkenntnisbereich der <strong>Theologie</strong> fällt. Er vertritt die These, dass die <strong>Wahrheit</strong><br />

ein Gegenstand ist, der der <strong>Theologie</strong> äußerlich ist <strong>und</strong> sich in anderen Vollzügen als dem der<br />

theologischen Reflexion, nämlich dem konkreten Glaubensvollzug, der „einfachen Gottesrede“<br />

verwirklicht, während der theologische Diskurs, d.h. die reflektierte Rede über Gott sich auf<br />

die Ebene der menschlichen Intersubjektivität beschränkt. 165 In diesem Sinn wäre<br />

„der Gegenstand theologischer Erkenntnis gar nicht die Wirklichkeit, sondern der Geist, den die<br />

christliche Kirche mit ihrer Existenz bezeugt. Diesen Geist aber hat die <strong>Theologie</strong> weder aus<br />

göttlicher Offenbarung herzuleiten noch aus der menschlichen Vernunft zu entwickeln. Vielmehr ist<br />

er ihr in den geschichtlichen Urk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> <strong>im</strong> Lebensvollzug der empirischen Kirche gegeben.“ 166<br />

Es ist in diesem Rahmen nicht möglich, das Thema „christliches <strong>Wahrheit</strong>sverständnis“<br />

umfassend zu beleuchten. Es sollte aber deutlich werden – <strong>und</strong> darum geht es uns in diesem<br />

Kapitel –, dass es kein eindeutiges christliches <strong>Wahrheit</strong>sverständnis gibt. Halten wir also fest:<br />

Wer sich mit dem Thema befasst, stellt fest, dass es keinen homogenen synthetischen<br />

<strong>Wahrheit</strong>sbegriff, sondern eine unüberschaubare Pluralität der <strong>Wahrheit</strong>stheorien gibt, so dass<br />

163 Vgl. FISCHER 1994b, 94-97.<br />

164 Siehe Kap. 4.3.7.<br />

165 Vgl. FISCHER 1004b, 98-101.<br />

166 FISCHER 1004b, 107.<br />

45


sich die berechtigte Frage aufdrängt: Ist <strong>Wahrheit</strong> nicht ein antinomischer, weil zu vielfach<br />

besetzter Begriff? Ist <strong>Wahrheit</strong> ein sinnvoller Gegenstand einer Theoriebildung? Ist die Suche<br />

nach dem Entwurf einer <strong>Wahrheit</strong>stheorie nicht von vorne herein zum Scheitern verurteilt? 167<br />

Dalferth/Stoellger betonen: „Definitionsversuche ‚der <strong>Wahrheit</strong>’ zielen auf einen homogenen,<br />

eindeutigen, vollständig best<strong>im</strong>mten Begriff von <strong>Wahrheit</strong>. Sie [...] scheitern in der Regel<br />

gerade an ihrer homogenisierenden Übervereinfachung.“ 168<br />

Dass es kein einhelliges <strong>Wahrheit</strong>sverständnis <strong>im</strong> Bereich des Religiösen gibt, wird übrigens<br />

auch schon aufgr<strong>und</strong> der eingangs genannten drei Fragen deutlich. Handelt es sich bei der<br />

Frage „Was ist <strong>Wahrheit</strong>?“ eher um eine metaphysische Frage, ist jedoch die Frage „Kann ich<br />

<strong>Wahrheit</strong> erkennen?“ eher epistemologischer Natur, während die Frage „Lebe ich in der<br />

<strong>Wahrheit</strong>?“ in einen ganz anderen Bereich zielt, nämlich den Bereich des Ethisch-Spirituellen.<br />

Der Begriff „<strong>Wahrheit</strong>“ ist also inhaltlich nicht genau best<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> wird unterschiedlich<br />

benutzt.<br />

So wenig wie es ein einheitliches <strong>Wahrheit</strong>sverständnis gibt, so wenig gibt es ein einheitliches<br />

Verständnis von Wirklichkeit <strong>und</strong> von Realität. Auch wenn die <strong>Theologie</strong>, wie Peter Lampe<br />

anmerkt, sich bisher nur zögerlich am diesbezüglichen interdisziplinären Diskurs beteiligt hat,<br />

ist der Wirklichkeitsbegriff <strong>und</strong> der Realitätsbegriff „gegenwärtig alles andere als klar“,<br />

sondern wird von den unterschiedlichsten philosophischen Strömungen (Epistemologie,<br />

Wissenssoziologie bis hin zur Hirnforschung) sehr lebhaft diskutiert. 169 Lampe ist jedoch der<br />

Meinung, dass die <strong>Theologie</strong> sich in diese Diskussion einbringen <strong>und</strong> über ihren eigenen<br />

Wirklichkeitsbegriff Rechenschaft ablegen muss, indem sie insbesondere auch die Rolle der<br />

menschlichen Erfahrung bei der Bildung theologischer Wirklichkeitsentwürfe zu reflektieren<br />

hat. 170<br />

So wenig wie es in der <strong>Theologie</strong> ein eindeutiges <strong>Wahrheit</strong>s-, Wirklichkeits- <strong>und</strong><br />

Realitätsverständnis gibt, so wenig gibt es ein einhelliges Offenbarungsverständnis. Zunächst<br />

kann schon allein der Begriff „Offenbarung“ – aufgr<strong>und</strong> der komplexen Begriffsgeschichte –<br />

Verschiedenes bedeuten. Max Seckler macht in diesem Zusammenhang besonders auf die<br />

Unterscheidung zwischen „Offenbarung“ als Erfahrungsbegriff (bezogen auf konkrete<br />

Erfahrungen) <strong>und</strong> „Offenbarung“ als Reflexionsbegriff (bezogen auf eine Reflexion über die<br />

167 Vgl. DALFERTH/STOELLGER 2001, 46-47.<br />

168 DALFERTH/STOELLGER 2001, 48. Welchen Stellenwert die <strong>Wahrheit</strong>sfrage <strong>im</strong> konstruktivistischen Diskurs<br />

erhalten kann, soll weiter unten erläutert werden.<br />

169 LAMPE 1999, 223.<br />

170 Vgl. LAMPE 1999, 223-224.<br />

46


gesamte Wirklichkeit, auf die sich der Glaube bezieht) aufmerksam. 171 Besonders in Bezug auf<br />

das Verhältnis von Offenbarung, Vernunft <strong>und</strong> Glauben gibt es bis heute verschiedene<br />

Konzeptionen: Eine erste Auffassung – die des ersten Vatikanischen Konzils – besagt, dass der<br />

Mensch Gott mit Hilfe seiner Vernunft erkennen kann. Eine zweite – etwa vertreten durch Paul<br />

Althaus – besagt, dass man überhaupt nichts über Gott erkennen kann, wenn Gott sich nicht<br />

selber offenbart. Eine dritte – der Hauptvertreter dieser These ist Karl Barth – geht davon aus,<br />

dass wir, um Gott zu erkennen, weder der Vernunft noch einer allgemeinen Offenbarung<br />

Gottes bedürfen, sondern dass wir ausschließlich durch die spezielle Offenbarung durch Jesus<br />

Christus etwas über Gott wissen. Eine vierte Auffassung – etwa vertreten durch Paul Tillich –<br />

stellt einen Kompromiss dar, indem sie von einer Korrelation von menschlichem Fragen <strong>und</strong><br />

göttlichem Antworten ausgeht: Nur wenn der Mensch die Frage nach Gott stellt, kann er die<br />

spezielle Offenbarung verstehen. 172<br />

Dieselbe Feststellung machen wir in der Frage nach der Erkenntnis der <strong>Wahrheit</strong>: Während<br />

Augustinus von einer in der Menschenseele wohnenden <strong>Wahrheit</strong> (d.h. eines inneren Meisters,<br />

Jesus Christus) ausgeht, zu deren Erkenntnis ein Mensch nichts Substanzielles (über eine<br />

einfache Anregung Hinausgehendes) beitragen kann, betont Thomas von Aquin die<br />

konstitutive Beteiligung des erkennenden Subjekts an der <strong>Wahrheit</strong>serkenntnis. 173<br />

Hans Mendl betont: „Man muss sich zunächst über den Fragehorizont (Voraussetzungen,<br />

Gültigkeit, Funktion oder Bedeutung von <strong>Wahrheit</strong>) vergewissern. Fehlt ein solches<br />

Problembewusstsein <strong>und</strong> wird einfach ein gemeinsamer Begriffshorizont suggeriert [...] oder<br />

gesetzt [...], so ist dies keine vernünftige Ausgangsbasis für einen wissenschaftlichen<br />

Diskurs.“ 174 Halten wir also fest: Oft fehlt der gemeinsame Frage- <strong>und</strong> Begriffshorizont. Ist<br />

man sich dieser Tatsache nicht bewusst, scheint eine vernünftige Ausgangsbasis für einen<br />

wissenschaftlichen Diskurs mit dem <strong>Konstruktivismus</strong> nicht gegeben. 175 Im anderen Falle<br />

171 Vgl. SECKLER 2000, 48-49. C. Link betont zu Recht, dass die Berufung auf Offenbarung von vielen als<br />

Zumutung empf<strong>und</strong>en wird, weil dadurch der theologische Diskurs von den anderen wissenschaftlichen Diskursen<br />

getrennt wird. Link schlägt der <strong>Theologie</strong> vor, das ‚Wort’ Offenbarung verstärkt mit dessen umgangssprachlichen<br />

Sinn zu behaften: Vertraute Zusammenhänge erscheinen einem plötzlich in einem ganz anderen Licht. Vgl. LINK<br />

1996, 363.<br />

172 Vgl. ADAM 1999, 257-258.<br />

173 Vgl. MÜLLER 2003, 435.<br />

174 MENDL 2005, 180.<br />

175 Vgl. die Aussage „Denn der christliche Glaube kennt <strong>Wahrheit</strong>en, Gewissheiten <strong>und</strong> Dogmen“ bei BORN<br />

(2003, 251). Hier wird ein gemeinsamer Frage- <strong>und</strong> Begriffshorizont suggeriert, den es innerhalb der <strong>Theologie</strong><br />

nicht gibt.<br />

47


jedoch lassen sich innerhalb der <strong>Theologie</strong> durchaus Anknüpfungspunkte für<br />

konstruktivistisches Denken ausfindig machen. 176<br />

4.3 <strong>Theologie</strong> <strong>und</strong> <strong>Konstruktivismus</strong><br />

4.3.1 Allgemeine Bemerkungen<br />

Im folgenden Hauptkapitel möchten wir der zentralen Frage nachgehen, inwiefern<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> <strong>Theologie</strong> vereinbar sind <strong>und</strong> versuchen darzulegen, wie fruchtbar <strong>und</strong><br />

wichtig die Öffnung der <strong>Theologie</strong> für den <strong>Konstruktivismus</strong> ist. Dabei stellt sich am Anfang<br />

noch einmal die Frage, wieso die <strong>Theologie</strong> sich der konstruktivistischen Denkweise überhaupt<br />

öffnen soll. Was kann sich die <strong>Theologie</strong> von einer solchen Öffnung erwarten? 177<br />

Zunächst einmal gilt prinzipiell für die <strong>Theologie</strong>, dass sie, wenn sie weiterhin ernst<br />

genommen werden will, sich neuen Theoriemodellen, die in anderen Disziplinen erarbeitet<br />

werden, nicht generell verschließen darf. 178 Manchmal hat man den Eindruck, dass die<br />

<strong>Theologie</strong>, die oft den Ruch des Antiquierten <strong>und</strong> Überholtem hat, der Gegenwart fortwährend<br />

etwas hinterherhinkt, <strong>und</strong> neuere Erkenntnisse erst dann aufn<strong>im</strong>mt, wenn sie anderwärtig längst<br />

rezipiert worden sind <strong>und</strong> kein Weg mehr daran vorbei führt. 179 Hinzu kommt, dass gerade die<br />

Philosophie, die doch eine zentrale Referenzdisziplin für die <strong>Theologie</strong> sein sollte, den Dialog<br />

mit dem <strong>Konstruktivismus</strong> in letzter Zeit verstärkt aufgenommen hat. Deshalb betont Klein:<br />

„Will <strong>Theologie</strong> [...] ihre Wissenschaftlichkeit ernst nehmen, dann hat sie [...] auf<br />

Veränderungen <strong>im</strong> Bereich ihrer ‚Referenzsysteme’, <strong>und</strong> zu diesen gehört zumindest für die<br />

Systematische <strong>Theologie</strong> nun einmal die Philosophie, zu reagieren.“ 180 Wenn es darum gehe,<br />

nicht nur die Kohärenz christlicher, sondern die Konsistenz christlicher <strong>und</strong> nichtchristlicher<br />

<strong>Wahrheit</strong>sansprüche zu thematisieren, <strong>und</strong> insofern der Gefahr eines Partikularismus zu<br />

entgehen, dann dürfe die <strong>Theologie</strong> sich den neuen Entwicklungen nicht einfach verschließen.<br />

Einen weiteren Gr<strong>und</strong> für die Notwendigkeit der Beschäftigung der <strong>Theologie</strong> mit dem<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> sieht Klein in der Tatsache, dass die herkömmlichen theologischen<br />

Denkrichtungen zunehmend als unbefriedigend empf<strong>und</strong>en werden. Klein denkt hier besonders<br />

176 Vgl. MENDL 2005a, 180.<br />

177 Vgl. WALLICH 1999, 94.<br />

178 Vgl. auch SCHRÖTER 2004, X: „Erhebt christliche <strong>Theologie</strong> den Anspruch, wahrheitsfähige Aussagen über<br />

Wirklichkeit <strong>und</strong> Geschichte zu formulieren, begibt sie sich in den Diskurs mit konkurrierenden<br />

Deutungsmodellen, angesichts derer sich ihre Perspektive auf Geschichte <strong>und</strong> Wirklichkeit zu bewähren hat.“<br />

179 Vgl. KLEIN 2003, 366.<br />

180 KLEIN 2003, 367.<br />

48


an die Dialektische <strong>Theologie</strong> Karl Barths, die die Eignung des natürlichen Menschen für die<br />

Erkenntnis Gottes gr<strong>und</strong>sätzlich anzweifelt <strong>und</strong> eine theozentrische Position einn<strong>im</strong>mt, um die<br />

Nichtgegenständlichkeit <strong>und</strong> die überzeitliche D<strong>im</strong>ensionalität der Offenbarung zu<br />

unterstreichen. Insbesondere weist Klein darauf hin, „dass die Aussage über die alleinige<br />

Autonomie Gottes <strong>im</strong>mer <strong>und</strong> unhintergehbar eine menschliche Aussage ist <strong>und</strong> bleibt, auch<br />

wenn behauptet wird, sie der Offenbarung entnommen zu haben.“ 181 Da es <strong>im</strong>mer der<br />

interpretierende <strong>und</strong> konstruierende Mensch bleibt, der Behauptungen aufstellt, sind diese alle<br />

selbstreferentiell <strong>und</strong> konstruktional. Insofern kann man durchaus sagen, dass eine best<strong>im</strong>mte<br />

Hauptrichtung in der <strong>Theologie</strong> zunehmend als problematisch empf<strong>und</strong>en wird <strong>und</strong> der<br />

selbstreferentielle Charakter von theologischen Aussagen stärker beachtet wird. Das <strong>im</strong>pliziert<br />

die Notwendigkeit einer expliziten Thematisierung dieser Selbstreferentialität selbst. 182<br />

Wir möchten nun einige zentrale „Andockstellen“ für konstruktivistisches Denken aufzeigen<br />

innerhalb der <strong>Theologie</strong>. Dabei scheint uns Kleins Feststellung wichtig, „dass von<br />

konstruktivistischen Ausgangsfragen durchaus recht unterschiedliche Weiterführungen<br />

möglich sind.“ 183<br />

4.3.2 <strong>Theologie</strong> als kontextuelle <strong>Theologie</strong><br />

Der <strong>Konstruktivismus</strong> betont die Kontextualität unseres Erkennens: Unser Erkennen ist<br />

eingeordnet in das Gesamtfeld unserer Fähigkeiten <strong>und</strong> unserer Aktivitäten. 184 Wie sieht es<br />

bezüglich der Kontextualität in der <strong>Theologie</strong> aus? Der aktuelle Papst Benedikt XVI.<br />

antwortete auf die Frage eines Journalisten, wie viele Wege es zu Gott gebe: „So viele, wie es<br />

Menschen gibt. Denn auch innerhalb des gleichen Glaubens ist der Weg eines jeden Menschen<br />

ein ganz persönlicher.“ 185 Man könnte sagen, dass es viele viable Wege zu Gott gibt. Dabei gilt<br />

zunächst zu beachten, was Cone betont: „Was Menschen über Gott denken, lässt sich nicht<br />

181 KLEIN 2003, 372.<br />

182 Vgl. KLEIN 2003, 372-373; WALLICH 1999, 428-429.<br />

183 KLEIN 2003, 374. Weil sie einerseits Gegenstand einer eigenen Arbeit wären <strong>und</strong> andererseits auch nicht<br />

unmittelbar <strong>im</strong> konstruktivistischen Milieu entstanden sind, soll auf die Versuche der sogenannten<br />

« Neurotheologie », die auf eine neuronale Verortung der Religion abzielt <strong>und</strong> die spirituellen Erfahrungen <strong>und</strong><br />

Sehnsüchte des Menschen wissenschaftlich erklären möchten, in dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden.<br />

Hier möchten wir verweisen auf das Buch „Der gedachte Gott“ von Andrew Newberg u.a. (siehe Lit.-Liste). Es<br />

sei in diesem Zusammenhang nur angemerkt, dass die Erkenntnisse der Neurobiologie sowohl dazu benutzt<br />

werden können, ein „neurobiologisches Apriori von Religion zu plausibilisieren“ (KLEIN 2003, 376), als auch um<br />

die Religion auf neurobiologische Vorgänge zu reduzieren. Insofern ist dieses Thema sehr komplex <strong>und</strong> würde<br />

sicherlich den Rahmen dieser Arbeit sprengen.<br />

184 Vgl. WALLICH 1999, 72.<br />

185 RATZINGER 1996.<br />

49


loslösen von ihrer räumlichen <strong>und</strong> zeitlichen Plazierung [sic!] in einer best<strong>im</strong>mten Kultur <strong>und</strong><br />

Geschichte.“ 186 Deshalb ist <strong>Theologie</strong> stets menschliches Reden von Gott. <strong>Theologie</strong> bleibt<br />

„Menschenwerk“ <strong>und</strong> ist deshalb <strong>im</strong>mer subjektabhängig. 187 Den anthropologischen Charakter<br />

der Rede über Gott haben vor allem die Religionskritik <strong>und</strong> der Wissenssoziologie<br />

hervorgehoben. Auch wenn die religionskritische Religionsauffassung sicherlich ihre<br />

Schwächen hat, muss die <strong>Theologie</strong> ihre Anmerkungen doch ernst nehmen <strong>und</strong> sich der<br />

Tatsache bewusst sein, dass theologisches Wissen vom Subjekt (näherhin dem Kontext bzw.<br />

dem Umfeld, in dem es sich befindet) <strong>und</strong> vom Betrachter bzw. dem Zuschreiber abhängig ist.<br />

Was in einem best<strong>im</strong>mten Kontext „wahr“ ist, ist nicht notgedrungen in einem anderen<br />

Kontext auch „wahr“. Unter dem Stichwort der „kontextuellen <strong>Theologie</strong>“ wurde in letzter Zeit<br />

die Kontextgeb<strong>und</strong>enheit theologischer Aussagen hervorgestrichen. Collet definiert die<br />

kontextuelle <strong>Theologie</strong> als Form einer theologischen Arbeit, „für die der bewusste Einbezug<br />

des kulturellen Umfeldes als Ausgangs- <strong>und</strong> Zielpunkt der Glaubensreflexion konstitutiv<br />

ist“ 188 . Unterstrichen wird das Phänomen der Indigenisierung bzw. Inkulturation des<br />

Christentums. In der vergangenen Zeit ist eine Vielzahl an kontextuellen <strong>Theologie</strong>n<br />

entstanden: die schwarze (afrikanische) <strong>Theologie</strong>, die Minjung-<strong>Theologie</strong>, die philippinische<br />

Bauerntheologie, die indische, lateinamerikanische <strong>und</strong> japanische Befreiungstheologie usw.<br />

Diese <strong>Theologie</strong>n haben eine Kritik an der „europäischen <strong>Theologie</strong>“ <strong>und</strong> ihrem<br />

Selbstverständnis <strong>im</strong>pliziert. Auch heute noch muss sich die <strong>Theologie</strong> – insbesondere die<br />

europäische – der Herausforderung stellen, die eigene kontextuelle Einbindung zu erkennen<br />

<strong>und</strong> ihre situative Bedingtheit selbstkritisch aufzuarbeiten, oder, in anderen Worten, den<br />

eigenen kulturellen Kontext mit den ihr eigenen Traditionen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Prozessen<br />

zum Ausgangs- <strong>und</strong> Referenzpunkt der theologischen Reflexion zu machen. 189 Insofern ist<br />

kontextuelle <strong>Theologie</strong> nicht nur möglich, sondern notwendig. 190<br />

Allerdings war <strong>und</strong> ist die <strong>Theologie</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich – auch die europäische – <strong>im</strong>mer schon<br />

kontextuell. In Mendls Augen zeigt uns die Dogmengeschichte, „dass das Ringen um die<br />

<strong>Wahrheit</strong> in der Gemeinschaft der Christen von Anfang an ein konstituierendes Element<br />

christlicher <strong>Theologie</strong> war.“ 191 Er weist hier exemplarisch hin auf die Entstehung der<br />

trinitätstheologischen <strong>und</strong> christologischen Dogmen, die erst nach langen kontroversen<br />

186 CONE 1976, 47.<br />

187 Vgl. CONE 1976; 44, KLEIN, 9.<br />

188 COLLET 1997, 238.<br />

189 Vgl. COLLET 1997, 237-239; BLASER 1984, 10.<br />

190 Vgl. BEER 1995, 31.<br />

191 MENDL 2005, 180.<br />

50


Diskussionen aufgr<strong>und</strong> unterschiedlicher kultureller Hintergründe zustande gekommen sind. In<br />

der gesamten Kirchen- <strong>und</strong> Dogmengeschichte findet man Belege für eine kontextuelle<br />

<strong>Theologie</strong>. Der Blick in die Kirchengeschichte zeigt auch, dass in verschiedenen Situationen<br />

best<strong>im</strong>mte Themen besonders diskussionswürdig erscheinen <strong>und</strong> andere nicht. 192 Viele zentrale<br />

theologische Themen wurden <strong>und</strong> werden innerhalb der kirchlichen oder theologischen<br />

Gemeinschaften sehr unterschiedlich verstanden. Hingewiesen sei an dieser Stelle nur auf die<br />

unterschiedlichen Positionen innerhalb der Trinitätstheologie. Auch der 1993 herausgegebene<br />

Katechismus der Katholischen Kirche wird von der Kirche als Generalnorm für örtliche<br />

Katechismen angesehen, die den eigenen kulturellen Besonderheiten besonders Rechnung<br />

tragen sollen. Es ist Mendl zufolge also durchaus eine geschichtliche Dynamik festzustellen,<br />

der gegenüber „das Insistieren auf eine geoffenbarte <strong>Wahrheit</strong>, die zu vermitteln sei [...]<br />

eigentümlich statisch wirkt.“ 193 In diesem Zusammenhang gilt es ebenfalls, darauf<br />

hinzuweisen, dass schon allein das Verständnis von <strong>Theologie</strong> <strong>im</strong> Laufe der Kirchengeschichte<br />

nicht <strong>im</strong>mer gleich war, sondern eine Entsprechung einer best<strong>im</strong>mten sozialen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Situation. Blaser führt folgende „Hauptformen der <strong>Theologie</strong>“ an: <strong>Theologie</strong> als „Variationen<br />

über einen heiligen Text“; <strong>Theologie</strong> als Weisheit (patristische <strong>und</strong> augustinische Epoche);<br />

<strong>Theologie</strong> als Wissenschaft (Mittelalter); <strong>Theologie</strong> als Praxis. 194 Vielen Autoren zufolge war<br />

der Höhepunkt des Vollzugs kontextueller <strong>Theologie</strong> schon in der Väterzeit erreicht, in der die<br />

<strong>Theologie</strong> versuchte, sich an die griechisch-römische Welt anzupassen. 195<br />

Der Dogmatiker Wolfgang Beinert schreibt, „dass jede Reflexion über das<br />

Offenbarungshandeln Gottes – sei sie existentieller, meditativer oder wissenschaftlicher Art –<br />

ihre Prägung <strong>und</strong> Eigenart aus dem Umfeld bezieht, in dem sie geschieht. Näherhin wird dieses<br />

Umfeld gebildet durch die sprachlichen, sozialen, sexuellen, geographischen, kulturellen,<br />

politischen, wirtschaftlichen, ortskirchlichen, weltanschaulichen D<strong>im</strong>ensionen, in denen das<br />

glaubende Individuum sich bewegt, die es nicht zuletzt als dieses Individuum mitgestaltet<br />

haben.“ 196 Ähnlich betont auch Blaser, dass der historische, kulturelle <strong>und</strong> politische Raum an<br />

der Konstitution von Sinn teiln<strong>im</strong>mt. Es gibt keinen „nackten“ Text, ohne dass er in einen<br />

Kontext eingebettet ist – einem Kontext, der <strong>im</strong> Verhältnis zum Text nie eindeutig, sondern<br />

auch von persönlicher Entscheidung best<strong>im</strong>mt ist. 197<br />

192 Vgl. MENDL 2005, 180.<br />

193 MENDL 2005, 181.<br />

194 Vgl. BLASER 1984, 15-16.<br />

195 Vgl. BEER 1995, 78.<br />

196 BEINERT 1998, 151.<br />

197 Vgl. BLASER 1984, 9.<br />

51


Halten wir fest: Jede <strong>Theologie</strong> ist kontextuell. <strong>Theologie</strong> steht <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />

konkreten geschichtlichen Situationen <strong>und</strong> ist unablösbar von der sozialen Existenz. Jedwede<br />

<strong>Theologie</strong> spiegelt eine gewisse soziale Praxis wider. Die theologischen Ideen entstehen nicht<br />

aus dem Nichts, „sondern kommen aus einem voreingenommenen <strong>und</strong> interessebedingten<br />

Lesen von Texten.“ 198 Das Vorverständnis <strong>und</strong> die herrschenden Ideen spielen eine wesentliche<br />

Rolle. Insofern ist die theologische Sprache nicht ewig, sondern zeitgeb<strong>und</strong>en, nicht universal,<br />

sondern partikulär, nicht transzendent, sondern von Interessen (einer best<strong>im</strong>mten Gruppe in<br />

einer best<strong>im</strong>mten Situation) geprägt. 199 Nehmen wir die Kontextualisierung als<br />

hermeneutisches Prinzip ernst, bedeutet das, „dass uns keine universal gültigen <strong>Wahrheit</strong>en zu<br />

Diensten stehen.“ 200 Das bedeutet auch, dass es nicht die <strong>Theologie</strong> gibt, sondern eine Vielfalt<br />

von <strong>Theologie</strong>n, die von ihrem jeweiligen Kontext nicht nur geformt, sondern regelrecht<br />

best<strong>im</strong>mt werden. 201<br />

Die Erkenntnis der Kontextgeb<strong>und</strong>enheit jeder <strong>Theologie</strong> scheint uns eine gute Voraussetzung<br />

zu sein, um nach konkreteren „Andockstellen“ für konstruktivistisches Denken innerhalb der<br />

<strong>Theologie</strong> Ausschau zu halten.<br />

4.3.3 <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> die Rede über Gott <strong>und</strong> Offenbarung<br />

Befasst man sich eingehender mit dem Thema, so wird schnell deutlich, dass die<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche Problematik zwischen <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> <strong>Theologie</strong> sich auf der Ebene der<br />

Zentralthemen „Gott“ <strong>und</strong> „Offenbarung“ situiert. „Der Offenbarungsgedanke scheint sich<br />

nolens volens jeglicher Konstruktionalität zu widersetzen <strong>und</strong> diesem diametral<br />

entgegenzustehen.“ 202<br />

Als „Erstlingswerk“ in unserer Fragestellung gilt die 1993 in Halle als Dissertation<br />

eingereichte Monographie „Konstruktion – Wirklichkeit – Schöpfung“ von Roija Friedrich<br />

Weidhas. Es handelt sich hier um den ersten größeren Versuch, die konstruktivistische<br />

Denkweise mit der <strong>Theologie</strong> zu konfrontieren. Weidhas betont, dass er den Versuch<br />

unternommen hat, „ein Verstehen von ‚Erkennen’ <strong>und</strong> ‚Verstehen’“ 203 zu ermöglichen, unter<br />

Bezugnahme auf die biologische Erkenntnislehre Maturanas: „Wie kann theologisch<br />

198 BLASER 1984, 10.<br />

199 Vgl. CONE 1976, 45.<br />

200 BLASER 1984, 8.<br />

201 Vgl. SAUTER 1996, 157.<br />

202 KLEIN 2003, 377.<br />

203 WEIDHAS 1993, 3.<br />

52


eflektierte Heilserfahrung mit konstruktivistisch-kritischem Denken verknüpft werden?“ 204<br />

Ihm zufolge liegt der Schlüssel zu dieser Frage in der Tatsache, dass „die Erfahrung des<br />

eigenen Heils [...] koinzidiert mit einer Veränderung der Bedingungen, unter denen<br />

Wirklichkeit wahrgenommen <strong>und</strong> explizit sprachlich interpretiert werden kann.“ 205 Leider stellt<br />

sich heraus, dass Weidhas die zentrale, oben angesprochene Frage, welcher<br />

erkenntnistheoretischer Status den Begriffen „Gott“ <strong>und</strong> „Offenbarung“ in einem<br />

konstruktivistischen Zusammenhang zukommt, d.h. die Frage, ob „Gott“ <strong>und</strong> „Offenbarung“<br />

ebenfalls menschliche Konstrukte sind, geschickt umgeht. 206 Stattdessen sieht Weidhas den<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> lediglich als „ein sprachliches Instrument, mit dem sehr weitgehend<br />

Kohärenz zwischen dem Denken des Glaubens <strong>und</strong> profanem Denken hergestellt werden<br />

kann.“ 207 Mit Hilfe des <strong>Konstruktivismus</strong> möchte er ein traditionelles zweigliedriges<br />

Wirklichkeitsverständnis ins Wanken bringen <strong>und</strong> durch ein dreigliedriges ersetzen (Welt –<br />

Mensch – Gott) <strong>und</strong> auf diesem Weg „die überfällige Entmythologisierung der aufklärerischen<br />

Vernunft“ durchführen <strong>und</strong> die „quälende Spannung“ zwischen „weltlicher Vernunft <strong>und</strong><br />

theologischem Anliegen“ überwinden 208 , damit es auch nach der Aufklärung möglich ist, von<br />

Welt, Mensch <strong>und</strong> Gott zu sprechen. Im Anschluss an Klein fragen wir uns, ob mit dieser<br />

Sichtweise <strong>und</strong> der doch selektiven Art der Aufnahme der konstruktivistischen Vorstellungen<br />

der konstruktivistische Anspruch nicht deutlich unterboten wird <strong>und</strong> ob die konstruktivistische<br />

Theorie nicht ausschließlich dazu benutzt wird, ohnehin bekannte Ideen in andere Worte zu<br />

fassen: „Ist der radikale <strong>Konstruktivismus</strong> hier lediglich Stichwortgeber <strong>und</strong> Sprungbrett für<br />

klassisch-theologische Redeformen? Wozu dient dann aber der Rekurs auf Autopoiese,<br />

Neurobiologie, Kant, Systemtheorie usw.?“ 209 Das Verdienst Weidhas’ liegt aber sicher darin,<br />

dass er den Weg für eine weitere Auseinandersetzung mit diesem Thema eröffnet hat, auch<br />

wenn er sich aus uns nicht bekannten Gründen anschließend nicht mehr weiter mit dem<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> befasst hat.<br />

Wenden wir uns der Gottesfrage etwas eingehender zu, <strong>und</strong> nehmen wir dabei Bezug auf die<br />

1999 erschienene Monographie „Vom Glauben an die <strong>Wahrheit</strong> <strong>und</strong> von der <strong>Wahrheit</strong> des<br />

Glaubens“ von Heinrich Erdmann. 210 Immer wieder haben sich Philosophen mit der Frage nach<br />

204 WEIDHAS 1993, 207.<br />

205 WEIDHAS 1993, 207.<br />

206 Vgl. KLEIN 2003, 387.<br />

207 WEIDHAS 1993, 225.<br />

208 WEIDHAS 1993, 9.<br />

209 Vgl. KLEIN 2003, 381-391, hier 390.<br />

210 Ohne Zweifel ist diese Veröffentlichung Erdmanns, der sich erst spät für erkenntnistheoretische Themen<br />

interessiert hat, eher populärwissenschaftlicher Natur <strong>und</strong> darüber hinaus zum Teil sehr persönlich, engagiert,<br />

53


der Existenz Gottes befasst. Kant hat hervorgehoben, dass es nicht möglich ist, die<br />

Nichtexistenz Gottes zu beweisen. 211 Es besteht auch unter Wissenschaftlern allgemein ein<br />

Konsens darüber, dass die Existenz Gottes wissenschaftlich oder rational weder bewiesen noch<br />

widerlegt werden kann, da die Wissenschaft nicht in der Lage ist, das „Ding an sich", also auch<br />

nicht das Sein-Selbst (d.h. Gott) zu erfassen. 212 Weil unsere Vernunft an die Kategorien Raum<br />

<strong>und</strong> Zeit geb<strong>und</strong>en ist, ist sie nicht fähig, etwas zu beweisen oder zu widerlegen, was außerhalb<br />

dieser Kategorien liegt. In diesem Zusammenhang wird Ludwig Wittgensteins Aussage, dass<br />

man über das, worüber man nicht reden kann, schweigen soll, oft falsch wiedergegeben: Weil<br />

man über Gott nicht reden kann, soll man über ihn schweigen. Davon abgesehen, dass<br />

Wittgenstein dies so nicht behauptet hat, muss diese Aussage uns auch, wenn wir sie<br />

konstruktivistisch überprüfen, als unannehmbar erscheinen. 213 Darf man in konstruktivistischer<br />

Gesinnung nicht doch fragen, ob Religion nicht doch ein legit<strong>im</strong>er Versuch ist, das<br />

Ungreifbare, Unfassbare, Unsagbare in Bildern auszudrücken?<br />

Der <strong>Konstruktivismus</strong> geht davon aus, dass die Erkenntnis der Welt an sich nicht möglich ist.<br />

Wenn wir ihn ernst nehmen, muss er auch auf den Bereich des Religiösen zutreffen. Für die<br />

<strong>Theologie</strong> bedeutet dies, dass man akzeptiert, dass die Erkenntnis einer objektiven Wirklichkeit<br />

„Gott“ bzw. eines Sein-Selbst nicht möglich ist <strong>und</strong> dass Religion <strong>und</strong> <strong>Theologie</strong> eine<br />

Konstruktion des menschlichen Geistes bzw. Gehirns ist. 214 Unsere religiösen <strong>Wahrheit</strong>en sind<br />

unsere Konstrukte, <strong>und</strong> auch unsere Gottesvorstellung ist letztendlich unsere Konstruktion. Das<br />

wirft natürlich einige Fragen auf:<br />

• Heißt das, dass jedwede Gottesvorstellung – so abstrus sie auch sei – gleichermaßen<br />

„richtig“ ist <strong>und</strong> dass alle Gottesvorstellungen gleichwertig sind? Gerade hier hilft<br />

Erdmann zufolge das zentrale konstruktivistische Kriterium der Viabilität wesentlich<br />

weiter. „Wenn wir nämlich das Kriterium der Viabilität auch auf religiöse Erkenntnisse<br />

anwenden, bedeutet dies, dass sich auch religiöse Erkenntnisse am Leben bewähren<br />

müssen. Das heißt aber auf der anderen Seite, dass der Anspruch auf absolute<br />

<strong>Wahrheit</strong>en auch in der Religion keine Gr<strong>und</strong>lage hat.“ 215 Erdmann stellt an die<br />

<strong>Theologie</strong> die Anforderung, sich vermehrt der Tatsache bewusst zu werden, dass die<br />

teilweise sogar pathetisch, aber sie scheint uns doch interessant, weil er darin auf eine unbefangene <strong>und</strong> direkte<br />

Art die Frage nach der Konstruktionalität des Gottes- <strong>und</strong> des Offenbarungsbegriffs anspricht.<br />

211 Vgl. ERDMANN 1999, 86.<br />

212 Vgl. ETZOLD 1992, 440.<br />

213 Vgl. ERDMANN 1999, 86.<br />

214 Vgl. ERDMANN 1999, 86; auch BAUMANN 1993, 14.<br />

215 ERDMANN 1999, 87.<br />

54


<strong>Wahrheit</strong>en, die sie vor zweitausend Jahren entwickelt haben, in einem Kontext<br />

entstanden sind, in dem das Weltbild noch ein völlig anderes war, <strong>und</strong> dass eine solche<br />

<strong>Theologie</strong> nicht fähig ist, die heutigen Fragen in unserem Kontext, der ein radikal<br />

anderer ist, überzeugend zu beantworten. Eine solche <strong>Theologie</strong> sei heute nicht mehr<br />

viabel. 216 Aus der Überzeugung heraus, dass die christliche Religion nur dann eine<br />

Überlebenschance hat, wenn sowohl ihr Gottesbild als auch ihre <strong>Theologie</strong> viabel sind,<br />

fordert Erdmann eine stärkere Berücksichtigung dieses – <strong>im</strong> <strong>Konstruktivismus</strong><br />

wesentlichen – Kriteriums der Viabilität in <strong>Theologie</strong> <strong>und</strong> Glaube. 217 Die <strong>Theologie</strong><br />

müsse <strong>im</strong>mer wieder prüfen, ob ihre Antworten, die meist in einem anderen<br />

soziokulturellen <strong>und</strong> zeitlichen Kontext entstanden sind, noch viabel sind, d.h.<br />

überlegen, ob die Antworten sich <strong>im</strong> eigenen Lebenslauf – <strong>und</strong> in Strukturkoppelung<br />

mit anderen Menschen – bewähren. 218 Sie müsse deshalb eine <strong>Theologie</strong> sein, die<br />

„einen offenen <strong>und</strong> verantwortungsbewussten Dialog mit allen Mitgliedern der<br />

Gesellschaft [führt].“ 219 „Eine ‚wahre’ Religion zeichnet sich dadurch aus, dass sie mit<br />

dem eigenen Leben, mit dem Leben meiner Mitmenschen <strong>und</strong> mit der Zukunft unseres<br />

Planeten viabel ist.“ 220<br />

• Wenn unser Glaube <strong>und</strong> unser Gottesbild Konstrukte sind, heißt das, dass es außer<br />

unserer konstruierten Wirklichkeit nichts mehr gibt? Heißt das, dass es kein wahres<br />

Sein, kein Sein-Selbst, keinen Gott gibt? Der <strong>Konstruktivismus</strong>, der ja die Existenz<br />

einer objektiven Realität nicht leugnet, sondern lediglich betont, dass sie, wenn es sie<br />

gibt, der menschlichen Kognition nicht zugänglich ist, lässt auch diesen Schluss<br />

wiederum nicht zu. Ähnlich könnte man, übertragen auf den religiösen Kontext, sagen:<br />

Der Glaubende kann das wahre Sein, also Gott, nicht erkennen – was nicht bedeutet,<br />

dass es ihn nicht gibt.<br />

• Ist die These, dass alle theologischen Entwürfe, alle Dogmatiken eine konstruierte<br />

Wirklichkeit darstellen, die die Dinge an sich nicht abzubilden vermögen, nicht völlig<br />

„häretisch“? Hierauf ist Folgendes zu antworten: Bereits <strong>im</strong> Neuen Testament gab es,<br />

216 Vgl. ERDMANN 1999,104.<br />

217 Vgl. ERDMANN 1999, 106. Wir möchten jedoch anmerken – <strong>und</strong> das räumt Erdmann auch ein – dass die<br />

<strong>Theologie</strong> ja durchaus in den letzten zweitausend Jahren nicht stehen geblieben ist, sondern sich <strong>im</strong>mer<br />

weiterentwickelt hat <strong>und</strong> auch Antworten auf neue Fragen zu geben versucht hat – wenn auch oft zögerlich oder<br />

vergleichsweise spät. Auch sei noch einmal darauf hingewiesen, dass es die <strong>Theologie</strong> nicht gibt <strong>und</strong> es auch<br />

heute viele Neuansätze gibt. Ob diese <strong>im</strong>mer berücksichtigt werden, ist wiederum eine andere Frage.<br />

218 Vgl. ERDMANN 1999, 92.<br />

219 ERDMANN 1999, 102.<br />

220 ERDMANN 1999, 99.<br />

55


so unterstreicht Lampe, Differenzen zwischen verschiedenen theologischen Entwürfen<br />

<strong>und</strong> Dogmatiken. Aus diesem Gr<strong>und</strong> waren bereits die frühen Christen davon<br />

überzeugt, dass kein theologisches Konzept die Realität Gottes gänzlich wiedergibt.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> schlug Augustinus in seinen „Bekenntnissen“ vor, theologisches<br />

Reden nur in doxologischer, d.h. anredender Gebetssprache, nicht aber in Aussageform<br />

zu praktizieren. Auch Paulus war sich der Vorläufigkeit des theologischen Redens<br />

bewusst. <strong>Theologie</strong> konnte für ihn nie Absolutheit beanspruchen, sondern war ein<br />

Reden „mit Zagen <strong>und</strong> Zittern“ (1 Kor 2,3), das fragmentarisch <strong>und</strong> zerstückelt war.<br />

Lampe zufolge waren sich die jüdische, die christliche <strong>und</strong> die islamische Religion<br />

wenigstens latent seit jeher bewusst, dass ihre Gottesaussagen lediglich Gottesmodelle<br />

darstellten, die nicht den Anspruch erheben konnten, Gottes Sein abzubilden. Seit jeher<br />

wird unterstrichen, dass Gott bzw. JHWH oder Allah letztlich nicht zu erkennen <strong>und</strong><br />

nicht zu begreifen ist. Aus diesem Gr<strong>und</strong> gibt es in den drei Religionen ein Abbild-<br />

Verbot. 221<br />

Im nächsten Abschnitt möchten wir uns spezifischer den Dogmen zuwenden, denen sich die<br />

<strong>Theologie</strong> verpflichtet fühlt.<br />

4.3.4 <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> Dogmen<br />

Oben haben wir versucht, darzulegen, dass der <strong>Konstruktivismus</strong> das Verhältnis zwischen der<br />

Erkenntnis <strong>und</strong> der Realität durch das Prinzip der Viabilität definiert. Entscheidend ist die<br />

lebenspraktische Brauchbarkeit der Erkenntnisse. Zentral ist die Ansicht, dass das „Durchkommen“<br />

(es sei erinnert an das Beispiel des Siebes oder des Steuermannes) keinerlei<br />

ontologischen Rückschlüsse zulässt auf das, durch was man durchgekommen ist. So kann man<br />

sagen, dass das Konzept „trial and error“, das Karl Popper zur Gr<strong>und</strong>lage wissenschaftlicher<br />

<strong>und</strong> gesellschaftlicher Problemlösungen erklärt hat, auch auf den <strong>Konstruktivismus</strong> zutrifft. 222<br />

Der Dogmatiker Peter Neuner unterstreicht, dass dieses Konzept des trial and error auch die<br />

Dogmengeschichte best<strong>im</strong>mt hat. „Auch die Klärungsprozesse früherer Epochen verliefen, wie<br />

221 Vgl. LAMPE 2006, 88-91. Es sei angemerkt, dass die Nicht-Erkennbarkeit einer transzendenten, über die Welt<br />

hinausgehenden Wirklichkeit auch nicht <strong>im</strong>pliziert, dass man sich diese nicht vorstellen darf. In Bezug auf die<br />

diversen Gottesbilder gilt, wie bereits erwähnt, das Kriterium der Viabilität. Erdmann ist davon überzeugt, dass <strong>im</strong><br />

Laufe der Kirchengeschichte viable Aussagen über die transzendente Wirklichkeit „Gott“ gemacht worden sind –<br />

wobei er in erster Linie an die großen Mystiker denkt. Vgl. ERDMANN 1999, 98.<br />

222 Vgl. KLEIN 2003, 101.<br />

56


die Geschichte beweist, über ‚trial and error’. Dabei war ‚error’ niemals nur falsch, sondern ein<br />

unerlässlicher Schritt zu besserer Erkenntnis.“ 223<br />

Im Rahmen einer Konfrontation des <strong>Konstruktivismus</strong> mit dem katholischen<br />

Dogmenverständnis scheint es uns darüber hinaus wichtig, dieses Dogmenverständnis mit den<br />

Ergebnissen der neueren Gehirnforschung, auf die sich ja auch der <strong>Konstruktivismus</strong><br />

wesentlich stützt, zu konfrontieren. Hier gilt es zunächst anzumerken, dass die zentralen<br />

Dogmen sowie die anderen Glaubensaussagen, denen sich die katholische Dogmatik<br />

verpflichtet fühlt, zu einer Zeit entstanden sind, in der man von der modernen<br />

Naturwissenschaft, geschweige denn von der Gehirnforschung, noch keine Ahnung hatte.<br />

Heute wirkt allerdings ein Festhalten an Positionen, die nicht hinterfragt werden dürfen,<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich unwissenschaftlich <strong>und</strong> deshalb nicht haltbar. 224 Es gab deswegen in den letzten<br />

Jahrzehnten etliche Versuche, die Historizität <strong>und</strong> insofern die Vorläufigkeit der Dogmen<br />

etwas stärker hervorzuheben (z.B. Henri de Lubac). Neuner weist darauf hin, dass auch der<br />

Begriff „Dogmatik“ zu einer Zeit entstanden ist, als man unter dem Wort „Dogma“ noch etwas<br />

ganz anderes verstand. Dieser Begriff „wurde in der früh-neuzeitlichen Medizin <strong>und</strong> in der<br />

Jurisprudenz entwickelt <strong>und</strong> besagte dort die Interpretation, die systematische Ordnung <strong>und</strong> die<br />

Weiterentwicklung des überkommenen Wissens.“ 225 Dogmen sind ihm zufolge „Versuche [...],<br />

die Glaubenserfahrung für die jeweilige Zeit zu formulieren. Sie bilden eine Synthese zwischen<br />

der überkommenen Botschaft <strong>und</strong> den aktuellen Herausforderungen, auf die die christliche<br />

Kirche eine Antwort zu geben hatte. [...] Sie müssen so interpretiert werden, dass sie wiederum<br />

Erfahrungen vermitteln <strong>und</strong> eröffnen.“ 226 Neuner sieht die Aufgabe der <strong>Theologie</strong> darin,<br />

„schöpferisch eine Antwort aus überkommenem Glauben <strong>und</strong> neuer Herausforderung zu<br />

formulieren.“ 227 Es könne nicht sein, dass auf neue Fragestellungen mit alten, als<br />

unveränderlich <strong>und</strong> ewig gültig geltender Überzeugungen geantwortet werde. Der Blick auf die<br />

Kirchengeschichte zeige übrigens – <strong>und</strong> hier unterscheidet sich seine Einschätzung wohl ein<br />

wenig von derjenigen Erdmanns –, „dass die christliche Kirche in großer Variationsbreite fähig<br />

war, sich auf neue Fragestellungen einzulassen, sich mit ihnen schöpferisch auseinander zu<br />

setzen <strong>und</strong> so zu gültigen Antworten zu kommen.“ 228<br />

223 NEUNER 2000b, 236.<br />

224 Vgl. NEUNER 2000b, 201.<br />

225 NEUNER 2000b, 201.<br />

226 NEUNER 2000b, 202.<br />

227 NEUNER 2000b, 203.<br />

228 NEUNER 2000b, 204.<br />

57


4.3.5 Wider den Absolutismus in der Kirche<br />

Im 3. Kapitel („Ethische Konsequenzen des <strong>Konstruktivismus</strong>“) haben wir vom Verlangen<br />

nach Stabilität, dem Wunsch nach objektiver Erkenntnis gesprochen. Hierbei handelt es sich<br />

um ein tiefes Bedürfnis des Menschen, das der Sehnsucht nach absoluter Sicherheit<br />

entspricht. 229 Gerade dieses Verlangen ist auch in kirchlichen Kreisen sehr verbreitet. In<br />

konstruktivistischen Kreisen allerdings ist man sich einig: Absoluter <strong>Wahrheit</strong>sanspruch führt<br />

notwendig zur Unterdrückung. 230<br />

Dass die Kirche ein absolutistisches System sei, das die Menschen ausbeutet <strong>und</strong> tyrannisiert,<br />

ist eine Behauptung, die man so <strong>und</strong>ifferenziert sicherlich nicht machen kann. Die Erfahrung<br />

zeigt aber, dass die von Maturana gesehenen Gefahren durchaus auch in Bezug auf die Kirche<br />

existieren. So hat z.B. der Kirchenkritiker Eugen Drewermann für sich keinen anderen Ausweg<br />

mehr gesehen als 2006 aus der Kirche auszutreten. In einem Interview kritisiert er rückblickend<br />

an der Kirche, dass „die Subjektivität, die zum Glauben gehört, einfach [...] an die objektive<br />

Übereinst<strong>im</strong>mung mit best<strong>im</strong>mten kirchlichen Formeln <strong>und</strong> Riten [delegiert wird]“, <strong>und</strong> er<br />

zitiert in diesem Zusammenhang den Philosophen Hegel: „Der Katholizismus macht aus Gott<br />

ein Ding.“ Im Zentrum seiner priesterlichen Existenz in der katholischen Kirche hätten <strong>im</strong>mer<br />

Kontrollfragen gestanden: „Muss man, um Weihnachten zu erklären, glauben, dass Maria<br />

biologisch eine Jungfrau war? Ich glaube nicht! Leugnet man die Auferstehung, wenn man<br />

sagt, dass man dabei nicht an ein physikalisches leeres Grab Jesu glauben muss? Ich glaube<br />

nicht!“ 231 In der Tat erleben viele Menschen die Kirche in vielen Fragen als eine starre<br />

Institution, die sich durch ein ausgeprägtes Verlangen nach Stabilität, nach einer dem Wandel<br />

entzogenen Wirklichkeit mit absoluten Werten <strong>und</strong> einem absoluten <strong>Wahrheit</strong>sanspruch<br />

auszeichnet. Konkret bedauern viele Menschen, dass 40 Jahre nach dem Zweiten<br />

Vatikanischen Konzil von der damaligen Aufbruchst<strong>im</strong>mung nicht mehr viel zu spüren ist,<br />

sondern sich <strong>im</strong> Gegenteil <strong>im</strong>mer mehr restaurative Tendenzen entwickeln, die versuchen,<br />

angebliche Irrtümer des Konzils rückgängig zu machen. Bei neuen Bischofsernennungen ist<br />

vermehrt festzustellen, dass Bischofskandidaten vor allem aus dem Kreis derjenigen gewählt<br />

werden, die sich durch eine lupenrein kritikfreie Loyalität gegenüber der Kirche <strong>und</strong><br />

insbesondere gegenüber der „römischen Zentrale“ auszeichnen. Auch die letzte Papstwahl<br />

zeugt sicherlich von diesem Verlangen nach Stabilität. Viele andere Themen könnte man hier<br />

nennen: Die Verknüpfung von Priestertum <strong>und</strong> Zölibat, der Ausschluss der Frauen bei der<br />

229 Vgl. ERDMANN 1999, 76.<br />

230 Vgl. SCHMIDT 1987a, 47.<br />

231 MEESMANN 2006, 51.<br />

58


Diakonats- <strong>und</strong> Priesterweihe, die Übertragung der Gemeindeleitung an Laien<br />

(Pastoralreferenten), der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, die Einstellung<br />

gegenüber der Sexualität, das Verhältnis zur Demokratie (gelegentlich wird sogar von einem<br />

antidemokratischen Prozess in der katholischen Kirche gesprochen), die Rede über die<br />

Ökumene usw. Der Rahmen der vorliegenden Arbeit erlaubt es nicht, auf alle diese Aspekte,<br />

die man sicherlich nuanciert betrachten muss, detailliert einzugehen. Hier sei nur Folgendes<br />

festgehalten: Bei den angeführten Fragen handelt es sich kaum um Kernaspekte des<br />

katholischen Glaubens. So sind die meisten, wie <strong>im</strong>mer wieder Theologen versucht haben<br />

aufzuzeigen, dogmatisch nicht zwingend. Eine Öffnung bzw. eine Weiterentwicklung wäre in<br />

vielen Fragen möglich. Solche Reformvorschläge werden aber vom kirchlichen Lehramt oft<br />

zurückgewiesen. Exemplarisch sei hier die Frage des Frauenpriestertums genannt, um die es<br />

einen langen theologischen Streit gab, den Papst Johannes Paul II. in einem Apostolischen<br />

Schreiben durch ein Machtwort beendet hat, indem er feststellt, dass eine Priesterweihe für<br />

Frauen definitiv für alle Zeiten unmöglich sei <strong>und</strong> aus diesem Gr<strong>und</strong>e jedwede Diskussion über<br />

dieses Thema eingestellt werden solle. 232<br />

Auch Erdmann zufolge ist die erstarrte kirchliche Lehre sowie der Anspruch der<br />

„Glaubenshüter“ auf den Besitz absoluter <strong>Wahrheit</strong>en ein wesentlicher Gr<strong>und</strong> für die<br />

zahlreichen Kirchenaustritte, für „den fatalen Zustand unserer <strong>Theologie</strong> sowie unserer<br />

Kirchen“ <strong>und</strong> für die „zunehmende Sprachlosigkeit in unserer Gesellschaft“. 233 Die Kraft <strong>und</strong><br />

Bedeutung von Religion sei aber nicht auf absoluten <strong>Wahrheit</strong>en begründet, sondern auf Liebe,<br />

Hoffnung <strong>und</strong> Vertrauen. 234 Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass der <strong>Konstruktivismus</strong> es<br />

erlaubt, Totalitätsansprüche zurückzuweisen oder, konstruktivistisch gesprochen, zu<br />

dekonstruieren, indem er zu verstehen gibt, dass jeder Normierungs- <strong>und</strong> Privilegierungsakt ein<br />

konstruktionaler Prozess war/ist. 235<br />

232 Vgl. JOHANNES PAUL II. 1994, 6: „Damit also jeder Zweifel bezüglich der bedeutenden Angelegenheit, die die<br />

göttliche Verfassung der Kirche selbst betrifft, beseitigt wird, erkläre ich kraft meines Amtes, die Brüder zu<br />

stärken (vgl. Lk 22,32), dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, <strong>und</strong> dass<br />

sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben.“<br />

233 ERDMANN 1999, 93.<br />

234 Vgl. ERDMANN 1999, 93. Ähnlich auch, wenn auch etwas vorsichtiger, LONERGAN, 35: „Wenn heute bei den<br />

Katholiken eine weitverbreitete Entfremdung von den Dogmen festzustellen ist, so ist diese Tatsache nicht ohne<br />

Zusammenhang mit einer vorangegangenen Einseitigkeit zu verstehen, die die Objektivität der <strong>Wahrheit</strong> so sehr<br />

betonte, dass sie darüber den Menschen <strong>und</strong> seine Bedürfnisse außer acht ließ.“<br />

235 Vgl. KLEIN 2003, 396; 401. In diesem Zusammenhang vermutet Armin Kreiner, dass die Attraktivität der<br />

relativistischen Theorien hauptsächlich begründet liegt in der Vermeidung von Absolutismus, Intoleranz,<br />

Arroganz, Ethnozentrismus, die mit einem objektiven <strong>Wahrheit</strong>sverständnis verb<strong>und</strong>en zu sein scheinen. Er ist<br />

allerdings der Meinung, dass hier eine Verwechslung vorliegt: Man müsse unterscheiden zwischen der<br />

Befürwortung eines objektiven <strong>und</strong> absoluten <strong>Wahrheit</strong>sbegriffs einerseits <strong>und</strong> dem Anspruch, <strong>im</strong> Besitz der<br />

objektiven <strong>und</strong> absoluten <strong>Wahrheit</strong> zu sein andererseits. Nur die Verbindung von beiden Annahmen sei unheilvoll<br />

59


4.3.6 Wirklichkeit schaffender Glaube<br />

<strong>Theologie</strong> bedeutet eine kritische Reflexion des Glaubens. Da wir in einem nächsten Punkt das<br />

Verhältnis zwischen Glauben <strong>und</strong> <strong>Theologie</strong> unter konstruktivistischer Vorzeichen etwas<br />

genauer analysieren, möchten wir uns in diesem Abschnitt mit dem Glauben <strong>und</strong> dessen<br />

Verhältnis zur Wirklichkeit befassen.<br />

Ein zentrales Axiom des <strong>Konstruktivismus</strong> lautet, dass jedes Subjekt sich seine Wirklichkeit<br />

konstruiert, da der Zugang zur Wirklichkeit erster Ordnung verborgen bleibt. Übertragen in den<br />

religiösen Kontext würde das heißen, dass jeder Glaubende seine eigene Wirklichkeit<br />

konstruiert. Eckhard Etzold hat versucht nachzuweisen, dass der Glaube Wirklichkeit zu<br />

schaffen vermag. Er basiert sich dabei vor allem auf Watzlawick, der unterstreicht, dass das,<br />

was wir als Wirklichkeit beschreiben, ein Produkt unseres Glaubens ist, weil unsere<br />

Glaubensüberzeugungen unser Verhalten beeinflussen <strong>und</strong> dieses Verhalten wiederum die<br />

Wirklichkeit, die wir erleben, prägt – ähnlich wie be<strong>im</strong> Phänomen der self-fullfilling prophecy.<br />

Etzold berichtet von einem koreanischen Pfarrer, der sich zum Ziel gesetzt hatte, eine<br />

Gemeinde von 150 Menschen zu gründen, <strong>und</strong> dieses Ziel auch erreicht hat. In diesem Fall hat<br />

der Glaube an das Erreichen des Ziels die Wirklichkeit in positiver Weise verändert. Auch das<br />

Gegenteil kann jedoch zutreffen: Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen, die sich ans<br />

Leben klammern, eine niedrigere Sterblichkeitsrate haben als Menschen, die sich auf eine<br />

religiöse, reife <strong>und</strong> abgeklärte Weise auf den Tod vorbereiten. Man kann also sagen, dass wir<br />

das erleben, was wir erwarten bzw. glauben. Glaubensüberzeugungen beeinflussen unsere<br />

Wirklichkeitserfahrungen <strong>und</strong> konstruieren Wirklichkeit. Das heißt auch: Wo kein Glaube, da<br />

keine Wirkung bzw. keine Wirklichkeit. 236 Etzold betont: „Diese Einsicht unterscheidet sich<br />

f<strong>und</strong>amental von der Weltbetrachtung vergangener Epochen, die davon ausging, dass es eine<br />

von uns unabhängige äußere, objektive Welt gibt, die wir als Beobachter lediglich<br />

wahrzunehmen brauchen, um ihr Wesen beschreiben zu können. [...] Die Wirklichkeit, die wir<br />

wahrnehmen <strong>und</strong> über die wir uns verständigen, ist nicht die Wirklichkeit, so wie sie ist,<br />

sondern lediglich ein Konstrukt unserer Glaubensüberzeugung, dass sie so oder so beschaffen<br />

sei.“ 237<br />

<strong>und</strong> begünstige die oben erwähnten Haltungen. Vgl. KREINER 1992, 55. Hier sei aber die Frage erlaubt, ob es<br />

überhaupt möglich ist, diese beidem Annahmen derart klar zu trennen. Es scheint den Menschen, wenn man die<br />

Geschichte <strong>und</strong> auch die Gegenwart beobachtet, jedenfalls kaum zu gelingen.<br />

236 Vgl. ETZOLD 1992, 429-431; WATZLAWICK 2004, 92; 106.<br />

237 ETZOLD 1992, 431. So kann Etzold dem Predigtspruch “Wie du glaubst, so geschehe dir!“ durchaus<br />

zust<strong>im</strong>men.<br />

60


Nicht umsonst betont die biblische <strong>Theologie</strong> in Bezug auf Jesus, dass nicht die W<strong>und</strong>er zum<br />

Glauben geführt haben, sondern umgekehrt der Glaube erst die W<strong>und</strong>er ermöglicht hat. Wo<br />

kein W<strong>und</strong>erglaube, da auch keine W<strong>und</strong>er. Von der wirklichkeitsverändernden Kraft des<br />

Glaubens – den wir gegenwärtig zum Beispiel <strong>im</strong>mer wieder in Lourdes erleben, wo<br />

mittlerweile mehr als 5000 Heilungen gemeldet worden sind 238 - hat bereits Jesus gewusst. So<br />

wird es zumindest in den Evangelien dargestellt: Auf dem Weg nach Jericho begegnet Jesus<br />

einem Blinden, der ihn bittet, ihn zu heilen. Jesus erwidert ihm: „Gehe hin, dein Glaube hat dir<br />

geholfen!“ <strong>und</strong> der Blinde kann wieder sehen.<br />

Etzold führt anschließend an, dass die Forschungsergebnisse der Naturwissenschaften den<br />

Glauben an W<strong>und</strong>er gründlich widerlegt haben. Hierzu ist kritisch anzumerken, dass diese<br />

Widerlegung bereits viel früher, nämlich in der Aufklärung stattgef<strong>und</strong>en hat. Wie dem auch<br />

sei – viele europäische Christen sind der Meinung: Die Wirklichkeit gehorcht strengen<br />

Naturgesetzen. Es überrascht Etzold zufolge nicht, dass solche Menschen keine<br />

Gotteserfahrung mehr machen: Wer davon überzeugt ist, dass eine Gotteserfahrung nicht<br />

möglich ist, macht auch keine, so wie niemand ein W<strong>und</strong>er erlebt, wenn er keines erwartet.<br />

Jedenfalls gilt Etzold zufolge dasselbe für das naturwissenschaftliche Weltbild wie für den<br />

W<strong>und</strong>erglauben: „Auch unsere moderne, aufgeklärte Weltsicht ist <strong>im</strong> Sinne Watzlawicks<br />

rückbezüglich <strong>und</strong> dürfte sich die Wirklichkeitsbeweise für ihre Richtigkeit selbst<br />

erschaffen.“ 239<br />

Der Glaube konstruiert also Wirklichkeit. Der Glaube ermöglicht „Gotteserfahrung“ <strong>und</strong><br />

„W<strong>und</strong>er“. So gibt es also für Gotteserfahrung <strong>und</strong> W<strong>und</strong>er <strong>im</strong> Sinne einer sich selbst<br />

erfüllenden Prophezeiung sehr oft eine rationale Erklärung. Man sollte deshalb vorsichtig sein,<br />

in diesem Zusammenhang von einem göttlichen Einwirken oder einer „Führung durch den<br />

heiligen Geist“ zu sprechen. „Für eine theologische Beurteilung von Glaubenserfolgen wird es<br />

[...] in hohem Maße darauf ankommen, inwieweit Erklärungsversuche <strong>im</strong> Sinne von<br />

selbsterfüllenden Prophezeiungen oder unbewussten Manipulationen des<br />

Ereigniszusammenhangs be<strong>im</strong> Zustandekommen der Glaubenswirkung auszuschließen<br />

sind.“ 240<br />

Aus konstruktivistischer Sicht kann man sagen: Der W<strong>und</strong>ergläubige sieht überall Gottes<br />

Eingreifen, während der skeptische Christ davon überzeugt ist, dass Gottes Eingreifen sich auf<br />

238 Vgl. ETZOLD 1992, 432.<br />

239 ETZOLD 1992, 436.<br />

240 ETZOLD 1992, 439.<br />

61


Handlungen innerhalb des naturgesetzlichen Rahmens beschränkt. Es handelt sich um zwei<br />

verschiedene, unvereinbare Wirklichkeitssichten. Jedoch finden beide Gruppen das, was sie<br />

erleben, in „Erfahrungen“ oder „Beweisen“ bestätigt. Wer deshalb nach dem „wahren<br />

Glauben“ oder der „eigentlichen Wirklichkeit“ fragt, wird verzweifeln, denn „er findet sich in<br />

einer Welt wieder, in der alles möglich ist, in der auch das Gegenteil der <strong>Wahrheit</strong> möglich<br />

ist.“ 241 Diesen Widerspruch kann man nur ertragen bzw. aufheben, indem man davon ausgeht,<br />

dass der Mensch nicht fähig ist, die Wirklichkeit so zu erkennen, wie sie wirklich ist. Das, was<br />

wir als Wirklichkeit bezeichnen, ist unsere persönliche Wirklichkeitskonstruktion. Diese fällt,<br />

je nach Glaubensperspektive, unterschiedlich aus. 242<br />

4.3.7 <strong>Theologie</strong> als Metatheorie<br />

Die Applizierung der konstruktivistischen Idee auf die <strong>Theologie</strong> erlaubt auch eine<br />

Neubest<strong>im</strong>mung des Status bzw. der Verortung der <strong>Theologie</strong> als wissenschaftliche Disziplin.<br />

Die in diesem Zusammenhang von Klein <strong>und</strong> Mendl in ähnlicher Weise vertretenen<br />

Konzeptionen scheinen uns sehr interessant. Wir möchten versuchen, etwas genauer zu<br />

erläutern, was damit gemeint ist.<br />

A. Klein hat eine konstruktivistische Weiterführung der Überlegungen von I. Dalferth<br />

unternommen. Dalferth selbst ist eigentlich kein Konstruktivist, jedoch bieten sich seine<br />

Arbeiten Klein zufolge für eine solche konstruktivistische Weiterführung an, weil bei ihm „das<br />

Pluralismusthema explizit in die theologische Fragestellung als unhintergehbare<br />

Situationsgegebenheit einbezogen <strong>und</strong> eigenständig akzentuiert wird.“ 243 Klein stützt sich in<br />

erster Linie auf „Passagen, die sich speziell an konstruktivistisches Vokabular anlehnen,<br />

wenngleich eine explizite Bezugnahme nur rud<strong>im</strong>entär erfolgt.“ 244 Dalferth geht, basierend auf<br />

Lyotards Ankündigung des „Endes der Großen Erzählungen“, von der f<strong>und</strong>amentalen<br />

Überzeugung aus, dass <strong>im</strong> Zusammenhang des gegenwärtigen Theorien- <strong>und</strong> Wertepluralismus<br />

<strong>im</strong>mer nur partikulare Theorien generiert werden können. 245 Dieser Tatbestand gilt ebenfalls<br />

für die <strong>Theologie</strong>: „Keine theologische Konzeption ist unter den Bedingungen der Gegenwart<br />

noch in der Lage, übergreifende, allgemein verbindliche <strong>und</strong> akzeptierte kollektive<br />

Deutungsmuster unserer Wirklichkeit an die Hand zu geben. Die Vielfalt ist längst schon<br />

241 ETZOLD 1992, 441.<br />

242 Vgl. ETZOLD 1992, 439; 441.<br />

243 KLEIN 2003, 365.<br />

244 KLEIN 2003, 365-366.<br />

245 Vgl. KLEIN 2003, 410.<br />

62


irreversibel geworden, auch in der <strong>Theologie</strong>.“ 246 Natürlich ist Dalferth zuzust<strong>im</strong>men, wenn er<br />

dabei anmerkt, dass die <strong>Theologie</strong> auf diese Umstellungen bisher nur ansatzweise reagiert hat.<br />

Klein stützt sich vor allem auf Dalferths 1991 veröffentliche Monographie „Kombinatorische<br />

<strong>Theologie</strong>“. Darunter versteht Dalferth eine <strong>Theologie</strong>, die verschiedene Bezugssysteme wie<br />

Glaube, Kirche, Religion, Recht, Wissenschaft, Lebenserfahrung zu kombinieren versucht.<br />

Dabei geht es ihm darum, als Theologe diejenige „<strong>Wahrheit</strong> zu finden [...]“, die in unserer<br />

gegenwärtigen Situation „Orientierungsfähigkeit, Auskunftsfähigkeit <strong>und</strong> Gestaltungskraft<br />

christlichen Glaubenslebens ermöglicht <strong>und</strong> fördert.“ 247 Dalferth – <strong>und</strong> das macht ihn für die<br />

<strong>Konstruktivismus</strong>debatte interessant – scheint also mit einem pragmatischen oder operativen<br />

Wissenschaftsbegriff zu operieren. Er versteht die <strong>Theologie</strong> pr<strong>im</strong>är als Orientierungs- oder<br />

Deutungswissenschaft. Deshalb ist davon auszugehen, dass er auch die <strong>Wahrheit</strong>, die er suchen<br />

möchte, nicht als theoretische <strong>Wahrheit</strong>, sondern als Orientierungswahrheit oder als<br />

Existenzwahrheit begreift. 248 Hier befinden wir uns mitten <strong>im</strong> <strong>Konstruktivismus</strong>, in dem die<br />

klassische <strong>und</strong> traditionelle <strong>Wahrheit</strong>sfrage abgelöst wird. Oben haben wir hervorgehoben,<br />

dass die konstruktivistische Erkenntnistheorie eine Kognitionstheorie ist, d.h. dass die<br />

traditionelle erkenntnistheoretische Frage nach Inhalt <strong>und</strong> Gegenstand von Wahrnehmung <strong>und</strong><br />

Bewusstsein ersetzt wird durch die Frage nach dem „Wie“. Es wird sich auf den<br />

Erkenntnisvorgang (<strong>und</strong> dessen Wirkungen <strong>und</strong> Ergebnisse) konzentriert. Im Vordergr<strong>und</strong><br />

stehen nicht Fragen in Bezug auf die „Realität“ oder die prinzipielle Erkennbarkeit Gottes,<br />

sondern sinnvolle Handlungsoptionen <strong>und</strong> Anschlussmöglichkeiten: Welche Beschreibungen<br />

<strong>und</strong> Interpretationen sind in best<strong>im</strong>mten situativen Begebenheiten plausibilisierbarer <strong>und</strong><br />

anschlussfähiger? Klein zufolge ist es auch für die <strong>Theologie</strong> weitaus fruchtbringender, auf<br />

ontologische Fragen wie „Was gibt es eigentlich?“ zu verzichten <strong>und</strong> auf operative<br />

Konzeptionen umzuschalten, <strong>und</strong> danach zu fragen, wie ‚Gott’ <strong>und</strong> mit welchen Mitteln<br />

246 DALFERTH 1991, 5. Johannes Fischer hat in einem 1994 veröffentlichten Artikel aufzuzeigen versucht, welche<br />

Konsequenzen der Pluralismus, der sich nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in den Volkskirchen<br />

offensichtlich ausbreitet, für die <strong>Theologie</strong> hat: „Wie lässt sich unter pluralistischen Bedingungen [...] der<br />

Anspruch auf <strong>Wahrheit</strong> aufrechterhalten <strong>und</strong> vertreten?“ (FISCHER 1994a, 492). Fischer spricht viel von<br />

Intersubjektivität <strong>und</strong> von Kommunikation (als Erschließungsform von Wirklichkeit), gibt jedoch selber zu, dass<br />

er keine endgültige <strong>und</strong> überzeugende Antwort auf die Frage hat. So bleibt ihm am Ende nur die Feststellung, dass<br />

die <strong>Theologie</strong>, die sich nicht von der Glaubenspraxis der Gemeinden loslösen darf, so redet, dass Menschen mit<br />

verschiedenen Überzeugungen sich dennoch darin wiederfinden: „Man muss das Gemeinsame so zurückhaltend<br />

<strong>und</strong> weit fassen, wenn man den Verhältnissen gerecht werden will.“ (FISCHER 1994a, 530) Jedenfalls illustriert<br />

Fischers Artikel sehr gut die Krise, in die die Dogmatik in letzter Zeit geraten ist, <strong>und</strong> wie die gegenwärtige<br />

<strong>Theologie</strong> mit diesen Fragen ringt.<br />

247 DALFERTH 1991, 6.<br />

248 Vgl. KLEIN 2003, 411-412.<br />

63


eschrieben, vorgestellt <strong>und</strong> verwendet werden kann bzw. welche Beschreibungen gegenüber<br />

anderen unter Heranziehung best<strong>im</strong>mter Kriterien mehr Plausibilität erbringen können.“ 249<br />

Wenn wissenschaftliche Theorien <strong>und</strong> Modelle als „in best<strong>im</strong>mten Lebenspraxen verortete<br />

sinnvolle konsensuell geteilte Konstruktionsverfahren“ betrachtet werden, ergibt sich daraus,<br />

„dass es nicht möglich ist, ein einziges System als für die Beschreibung von Wirklichkeit(en)<br />

zu privilegieren. Es sind <strong>im</strong>mer mehrere, auch mehrere kohärente Beschreibungen möglich <strong>und</strong><br />

begründbar [...]. Keine Theorie <strong>und</strong> kein Paradigma können gegenwärtig mit umfassenden<br />

Erklärungsansprüchen versehen werden, auch wenn best<strong>im</strong>mte Theorien mit einem derartigen<br />

Anspruch auftreten.“ 250 Dalferth fordert die Zurückweisung eines „einheitlichen, umfassenden<br />

<strong>und</strong> normativen Vernunftkonzeptes [...], das die Allgemeinheit, Notwendigkeit <strong>und</strong> universale<br />

Gültigkeit [...] propagiert.“ 251 Durch eine solche Zurückweisung wird der Blick frei dafür,<br />

„dass zuallererst auf das jeweilige Bezugssystem rekurriert werden muss <strong>und</strong> sich Rationalität<br />

nur durch Akzeptanz best<strong>im</strong>mter Standards festmachen lässt, die aber nicht mehr universal<br />

aufgeladen werden können.“ 252 In dieser Betrachtungsweise könnte die <strong>Theologie</strong> laut Klein<br />

(<strong>im</strong> Anschluss an Dalferth) betrachtet werden als Methode, d.h. „als Vermittlungsinstanz<br />

best<strong>im</strong>mter Referenzsysteme“ 253 , zur Verhältnisbest<strong>im</strong>mung verschiedener Wirklichkeitskonstrukte.<br />

<strong>Theologie</strong> wäre dann eine „Orientierungswissenschaft“, analog zu Medizin <strong>und</strong><br />

Rechtswissenschaft, eine „praktische Kunst [...] des kompetenten Umgangs mit den<br />

Erfahrungs- <strong>und</strong> Handlungsfeldern christlichen Glaubenslebens“ 254 , d.h. eine Wissenschaft, die<br />

„nach den Orientierungsleistungen <strong>und</strong> -möglichkeiten christlichen Glaubens fragt.“ 255 Ähnlich<br />

auch Mendl: Er möchte eine <strong>Theologie</strong>, die eine „Metatheorie über die Art <strong>und</strong> Weise, wie<br />

Glaube <strong>und</strong> Realität konstruiert werden“ 256 ist. <strong>Theologie</strong> wäre also nicht mehr nur eine<br />

„kritische Binnenreflexion christlichen Glaubenslebens“ 257 , sondern sie wäre ein<br />

249 KLEIN 2003, 439. F<strong>und</strong>amentaltheologischen Bedenken eines Reduktionismus angesichts einer solchen<br />

Pragmatisierung entgegnet Wallich, dass eine pragmatisch ausgerichtete <strong>Theologie</strong> besser geeignet ist, „das<br />

Wagnis des Glaubens nachzumodellieren: Sie kann das Eingehen von Beziehungen beschreiben, ohne das<br />

vorgängige ontologische Wissen, hier das seinsgemäß Richtige zu tun bzw. des Zuspruchs des Seins gewiss zu<br />

sein. Das Fehlen vorlaufender ontologischer Versicherung stellt eine größere Nähe zur relationalen Praxis dar: Die<br />

pragmatische Gewissheit erfahrener Dialogizität unterscheidet sich von der ontologischen in der Mächtigkeit bzw.<br />

Anfechtbarkeit ihrer Position.“ (WALLICH 1999, 456)<br />

250 KLEIN 2003, 414-415. Klein weist hier darauf hin, dass diese Feststellung auch <strong>und</strong> insbesondere für die<br />

naturwissenschaftlichen Erklärungen gilt.<br />

251 DALFERTH 1999, 64.<br />

252 KLEIN 2003, 436.<br />

253 KLEIN 2003, 419; vgl. auch 472.<br />

254 DALFERTH 1999, 15.<br />

255 KLEIN 2003, 489.<br />

256 MENDL 2005a, 181.<br />

257 DALFERTH 1999, 20.<br />

64


„eigenständiges wissenschaftliches (Sub-)System innerhalb eines selbst plural<br />

ausdifferenzierten wissenschaftlichen Netzwerks“ <strong>und</strong> insofern „das Andere zu Kirche <strong>und</strong><br />

Glaube bzw. zu religiöser Praxis“ 258 – eine „Meta-Disziplin“ gegenüber der kirchlichen Lehre,<br />

die sich gr<strong>und</strong>sätzlich vom Glauben unterscheidet. 259 Anders ausgedrückt: Eine solche<br />

<strong>Theologie</strong>, die sich als selbstreferentielles <strong>und</strong> selbstorganisierendes System mit strukturellen<br />

Kopplungen versteht, wäre dann ein Beobachtersystem zweiter Ordnung 260 , ein<br />

Beobachtungsmodell, das verschiedene Referenzsysteme miteinander zu vernetzen sucht, <strong>und</strong><br />

das dabei nicht einfach auf den „Gr<strong>und</strong> des Glaubens“, nämlich auf Gott als den Allmächtigen<br />

zurückgreift, sondern auf Beobachtungs- <strong>und</strong> Deutungskonstrukte. 261 Wichtig dabei ist, dass<br />

man sich vor Augen führt, dass es <strong>im</strong>mer auch mehrere gleich „gute“ <strong>und</strong> kohärente<br />

Beschreibungen geben kann, die nicht <strong>im</strong>mer ohne Weiteres vereinbar sind. Dalferth zufolge<br />

ist in der heutigen pluralistischen Situation jeder theologische Einheitsversuch zum<br />

Partikularismus verurteilt. 262 Klein betont in diesem Zusammenhang ebenfalls, dass auch die<br />

kirchlichen Normierungen (auf evangelischer Seite die heilige Schrift als norma normans, auf<br />

katholischer Seite die „Tradition“) in Konstruktionsbedingungen wurzeln. „Normativität beruht<br />

[...] formal auf jeweils aktuell vollzogenen Selektionsprozessen, die auf vergangene<br />

Selektionsprozesse normativ Bezug nehmen.“ 263<br />

Was sind die Konsequenzen eines solchen Ansatzes?<br />

- Zunächst einmal ist er für den Gottesbegriff <strong>und</strong> die Gottesfrage nicht ohne Bedeutung:<br />

Für den Konstruktivisten bleibt auch das unabhängige Sein Gottes an menschliche<br />

Konstrukte geb<strong>und</strong>en, jenseits derer nicht gesagt werden kann, ob Gott ist oder nicht.<br />

Es stellt sich heraus, dass die Unabhängigkeit Gottes, die plausibel gemacht werden<br />

soll, von menschlichen Konstrukten abhängig ist. Da dieses Unternehmen also in sich<br />

selbst zusammenfällt, scheint es Klein zufolge aussichtsreicher, „von vornherein auf<br />

konstruktivistische F<strong>und</strong>ierungen zu rekurrieren, die auf operative (bzw. operationale),<br />

funktionale <strong>und</strong> pragmatische Gesichtspunkte umstellen.“ 264 Relevant ist nicht mehr, ob<br />

Gott ist oder nicht, sondern was er für jeden Einzelnen bedeutet. Im Blickfeld sollen<br />

nicht ontologische Existenzfragen stehen, sondern Fragen der Gottesvorstellungen in<br />

258 KLEIN 2003, 425.<br />

259 Im Gr<strong>und</strong>e handelt es sich um eine Neubesinnung auf die klassische Unterscheidung der „fides qua“ <strong>und</strong> der<br />

„fides quae“.<br />

260 Vgl. KLEIN 2003, 420.<br />

261 Vgl. KLEIN 2003, 441.<br />

262 Vgl. KLEIN 2003, 448.<br />

263 KLEIN 2003, 445.<br />

264 KLEIN 2003, 463.<br />

65


konkreten Lebensformen <strong>und</strong> -vollzügen. 265 Ähnlich denkt auch Wallich, der<br />

vorschlägt, „die Vokabel ‚Gott’ aus der vornehmlich metaphysischen Tradition in den<br />

pragmatischen Kontext zu <strong>im</strong>plementieren“ 266 .<br />

- Wenn <strong>Theologie</strong> als Beobachtung zweiter Ordnung verstanden wird, wird nicht mehr<br />

ausgeschlossen, dass man auch außerhalb des Glaubens sinnvoll von Gott reden kann –<br />

wenn man die Unterscheidung der jeweiligen Ebenen beachtet. Der eigene Glaube (die<br />

Konversion) ist nicht mehr Voraussetzung für theologische Aktivität. Es ist auch<br />

möglich, als Nichtchrist christliche <strong>Theologie</strong> zu betreiben. 267<br />

- Beide Ebenen – die erste Ebene, d.h. die Ebene des gelebten Glaubens bzw. des<br />

religiösen Vollzugs („Alltagsebene“), <strong>und</strong> die zweite Ebene, d.h. die Ebene der<br />

theologischen Reflexion – sind zunächst einmal zwei eigenständige, f<strong>und</strong>amental<br />

verschiedene <strong>und</strong> zu unterscheidende Einheiten. Was für religiös Praktizierende<br />

selbstverständlich ist oder sein kann (die unmittelbare Nähe zu Gott, etwa <strong>im</strong> Gebet),<br />

„verliert seine ‚Unschuld’, sobald eine Beobachterebene zweiter Ordnung<br />

eingenommen wird, die jeweils mit ihren Unterscheidungen operiert <strong>und</strong> Beobachter<br />

beobachtet.“ 268 <strong>Theologie</strong> ist vom religiösen Vollzug als selbstreferentielles Operieren<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich verschieden. Der gr<strong>und</strong>sätzliche Unterschied zwischen <strong>Theologie</strong> <strong>und</strong><br />

Glauben besteht darin, dass ein Zugang zu Gott auf der ersten Ebene sehr wohl<br />

möglich, auf einer zweiten Ebene aber nicht möglich ist. Eine weitere Konsequenz in<br />

diesem Zusammenhang: Die beiden Beobachterebenen können sich nicht gegenseitig<br />

aufheben, sondern behalten ihre Autonomie. Weder kann die <strong>Theologie</strong> den konkreten<br />

religiösen Vollzug aufheben, noch kann die <strong>Theologie</strong> selbst religiöser Vollzug sein.<br />

Das bedeutet, dass die Kraft des religiösen Glaubens sich nicht pr<strong>im</strong>är theoretisch zu<br />

erweisen hat. 269 Klein weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass viele<br />

Regelungen der Ebene der ersten Ordnung, d.h. der Ebene des gelebten Glaubens<br />

„häufig sehr viel stabiler <strong>und</strong> tragfähiger [sind] als so manche wissenschaftliche<br />

Theorie oder die jeweils wechselnde wissenschaftliche Mode. Sie haben sich <strong>im</strong><br />

265 Vgl. KLEIN 2003, 463-464.<br />

266 WALLICH 1999, 457.<br />

267 Vgl. KLEIN 2003, 466-467.<br />

268 KLEIN 2003, 471.<br />

269 Vgl. KLEIN 2003, 476-478. Für Klein sind religiöse Systeme in konstruktivistischer Hinsicht schon allein<br />

deswegen zu würdigen, „weil sie bislang ‚überlebt’ haben <strong>und</strong> sich damit, zunächst <strong>im</strong> Blick auf die großen<br />

Weltreligionen, als für Lebensdeutungen <strong>und</strong> Orientierungswissen ‚viabel’ erwiesen.“ (KLEIN 2003, 479)<br />

66


konkreten Lebensvollzug durchaus ‚viabel’ erwiesen.“ 270 Lampe betont in diesem<br />

Zusammenhang, dass die Metaebene der konstruktivistischen Epistemologie nicht zu<br />

einer „surrectio e conditione humana“ führt. Er möchte damit sagen, dass der Mensch<br />

nicht allein von einer Metaebene bzw. einer zweiten Beobachtungsebene leben kann,<br />

sondern sozialer Realitäten der ersten Ebene bedarf: „Von konstruktivistischer<br />

Epistemologie allein kann der Mensch nicht leben.“ 271 Zur Erläuterung mögen folgende<br />

Beispiele dienen: Wer neurobiologische Hirnforschung betreibt, hört dadurch nicht auf,<br />

alltäglich zu denken. Wer Kardiologe ist, hört deshalb nicht auf, einen Blutkreislauf zu<br />

besitzen. Analog gilt für die <strong>Theologie</strong>: „Wer als Theologe konstruktivistische<br />

Epistemologie betreibt, hört deshalb nicht auf, sonntags in die Kirche zu gehen <strong>und</strong><br />

ehrlich zu glauben, wenn dies in seinem Leben sich als plausibel erwiesen hat.“ 272<br />

- Mendl zufolge steht eine solche Konzeption der <strong>Theologie</strong> als Meta-Disziplin bzw. als<br />

Beobachtungssystem zweiter Ordnung nicht <strong>im</strong> Widerspruch zum Vorrang der<br />

Weltzuwendung Gottes bzw. zum Apriori des Heilsangebotes. Lediglich wird der Blick<br />

stärker auf die Art der Rezeption der Offenbarung innerhalb der Glaubensgemeinschaft,<br />

d.h. auf die Glaubenskonstruktion gelenkt. 273 Mendl weist darauf hin, dass vor allem <strong>im</strong><br />

Bereich der Religionspädagogik die Viabilität entscheidend ist: Lernprozesse müssen<br />

funktionieren; die aktive Auseinandersetzung mit Glaubensfragen oder Sinnkonstrukten<br />

muss gelingen. Er führt ein Beispiel aus dem Bereich der Computer an: Entscheidend<br />

ist, dass die Software, die man benötigt, funktioniert; über das Betriebssystem braucht<br />

man sich in der Regel keine Gedanken zu machen. Die Rolle des Theologen ist also die<br />

des Beobachters der zweiten Ordnung: die Reflektierung der Konstruktion des<br />

Glaubens innerhalb (<strong>und</strong> außerhalb) der Kirche. 274<br />

- Auch stellt sich die Frage nach dem Stellenwert der „<strong>Wahrheit</strong>“ innerhalb einer solchen<br />

Konzeption. Oben haben wir geschrieben, dass der <strong>Wahrheit</strong>sbegriff <strong>im</strong><br />

<strong>Konstruktivismus</strong> keine zentrale Rolle spielt, gleichwohl er Schmidt zufolge noch nicht<br />

zu den erledigten Themen gehört. Ausgehen möchten wir von Jüngel, der ein durchaus<br />

originelles Verständnis von <strong>Wahrheit</strong> <strong>im</strong> theologischen Diskurs vertritt: Er setzt sich<br />

dezidiert ab von der Korrespondenz- <strong>und</strong> Kohärenztheorie <strong>und</strong> versteht <strong>Wahrheit</strong> als<br />

„Unterbrechung des Lebens“: „Gegenüber dem traditionellen Verständnis von <strong>Wahrheit</strong><br />

270 KLEIN 2003, 481.<br />

271 LAMPE 2006, 97.<br />

272 LAMPE 1998, 31.<br />

273 Vgl. MENDL 2005a, 181.<br />

274 Vgl. MENDL 2005a, 181-182.<br />

67


als Übereinst<strong>im</strong>mung von intellectus <strong>und</strong> res ist das christliche Verständnis von<br />

<strong>Wahrheit</strong> zunächst eher am Gegenteil von Übereinst<strong>im</strong>mung orientiert“ 275 , an dem Ichbin-die-<strong>Wahrheit</strong><br />

Jesu, der unsere Selbstverständlichkeiten unterbricht. Eine solche<br />

Betrachtungsweise sieht das <strong>Wahrheit</strong>sgeschehen nicht auf der Ebene der <strong>Theologie</strong><br />

(der zweiten Beobachtungsebene), sondern <strong>im</strong> Glaubensleben loziert. Bereits oben<br />

haben wir die Überlegungen von Mildenberger <strong>und</strong> Fischer erläutert: „Die <strong>Wahrheit</strong>,<br />

der sie [d.h. die <strong>Theologie</strong>] verpflichtet ist, ist ihr äußerlich, verwirklicht sich in<br />

anderen Lebenszusammenhängen als denen der theologischen Reflexion“, in erster<br />

Linie in der „einfachen Gottesrede“. 276 „Die <strong>Wahrheit</strong> des Glaubens kann sich allein in<br />

der Kommunikation <strong>und</strong> den Lebensvollzügen des Glaubens selbst zur Erkenntnis<br />

verdichten. [...] An dieser kommunikativen Perspektive des Glaubens hat der<br />

theologische Diskurs nicht teil [...]“ 277 , so dass er die <strong>Wahrheit</strong> auch nicht aufweisen,<br />

begreiflich machen oder widerlegen kann. Die <strong>Wahrheit</strong> fällt in den Bereich des<br />

subjektiven Glaubens <strong>und</strong> ist dem wissenschaftlichen theologischen Diskurs, der auf<br />

die Ebene der menschlichen Intersubjektivität begrenzt ist, so wenig zugänglich wie die<br />

Wirklichkeit oder die Realität. Gegenstand der <strong>Theologie</strong> ist in diesem Sinn nicht die<br />

<strong>Wahrheit</strong> oder die Wirklichkeit, sondern der „Geist“, den die Kirche bezeugt, <strong>und</strong> der<br />

zugänglich ist in ihren geschichtlichen Urk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ihren konkreten<br />

Lebensvollzügen, nicht aber in der Offenbarung oder der Vernunft. 278<br />

- Die Integration des <strong>Konstruktivismus</strong> in die <strong>Theologie</strong> vermag letzterer einen<br />

apologetischen Dienst zu leisten, indem sie ihr dazu verhelfen kann, ihre „Dauerkrise“<br />

<strong>im</strong> Zusammenhang mit Fragen bezüglich ihres Selbstverständnisses <strong>und</strong> ihres Status als<br />

Wissenschaft zu überwinden, was insgesamt ein entspannteres Diskussionskl<strong>im</strong>a zur<br />

Folge haben könnte, da die <strong>Theologie</strong> sich nicht mehr realitätsfremd <strong>und</strong> gegenüber<br />

anderen Wissenschaften benachteiligt fühlen müsste. 279 Wenn der Konstruktivist sagt,<br />

dass man über die Existenz einer objektiven Realität nichts aussagen kann, weil sie der<br />

menschlichen Kognition nicht zugänglich ist, was also bedeutet, dass man die Existenz<br />

einer objektiven Realität weder behaupten noch ausschließen kann, hat diese<br />

Feststellung als Konsequenz, „dass eine konstruierte Wirklichkeit, in der Gott<br />

vorkommt, einer anderen konstruierten Wirklichkeit, in der Gott nicht vorkommt, auf<br />

275 JÜNGEL 2003, 100.<br />

276 MILDENBERGER 1991, 15.<br />

277 FISCHER 1994b, 99.<br />

278 Siehe Kap. 4.2.<br />

279 Vgl. LAMPE 1998, 32; AMMERMANN 1994, 358; 364 ; KLEIN 2003, 478.<br />

68


der ontologischen Ebene nicht nachsteht.“ 280<br />

notgedrungen konstruieren muss, um zu (über)leben.<br />

Lampe betont, dass der Mensch<br />

„Jedoch hat keiner der Konstrukteure die Handhabe, auf einen anderen Konstrukteur<br />

überlegen herabzublicken, weil sein eigenes Wissen angeblich ontologisch höherwertig sei.<br />

Ontologisch gesehen sitzen alle Konstrukteure, seien sie Theologen, Naturwissenschaftlerinnen<br />

oder Psychoanalytiker <strong>im</strong> selben Boot. Keiner hat dem anderen auf der<br />

ontologischen Ebene mit seinem Wissen etwas voraus.“ 281<br />

Lampe weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch naturwissenschaftliche<br />

Erkenntnis sich nur auf eine konstruierte Realität bezieht, von der nur naive Realisten<br />

glauben, dass sie die Realität, wie sie an sich ist, darstellt. Die von der<br />

Naturwissenschaft beschriebene Welt ist nicht identisch mit der objektiven Realität,<br />

weil alle naturwissenschaftlichen Begriffe vom menschlichen Geist geschaffen sind <strong>und</strong><br />

auf Jahrh<strong>und</strong>erte lang mühsam herausgebildeten Konventionen beruhen. So ist Lampe<br />

davon überzeugt, dass kaum ein Atomphysiker glaubt, dass die Atome tatsächlich so<br />

aussehen, wie das aktuellste Atommodell es vorschlägt. 282 Die Physik bedient sich der<br />

Mathematik, die ihrerseits auch wiederum nicht voraussetzungslos ist, sondern auf<br />

Axiomen beruht.<br />

Die Annahme, dass der Wirklichkeitsentwurf der <strong>Theologie</strong> denjenigen der anderen<br />

Wissenschaften ontologisch in nichts nachsteht, also alle Wissenschaften<br />

gleichermaßen <strong>im</strong> selben Boot sitzen, schafft Lampe zufolge einen gemeinsamen<br />

Gesprächsrahmen, eine „faire Konkurrenz“ <strong>und</strong> verbessert vor allem die<br />

Diskussionsgr<strong>und</strong>lage der <strong>Theologie</strong> in nicht unerheblichem Maße. 283 Sie ermöglicht<br />

es, dass <strong>Theologie</strong> „auch in der säkularisierten Gesellschaft kommunikabel bleibt.“ 284<br />

- P. Tillich hat die <strong>Theologie</strong> als „konkret-normative Religionswissenschaft“ (des<br />

Christentums) gesehen. 285 Diese Vorstellung können wir an dieser Stelle aufgreifen <strong>und</strong><br />

vertiefen. Jede Beobachtung ist normierend <strong>und</strong> konstituiert ihren Gegenstand oder<br />

280 LAMPE 1998, 30.<br />

281 LAMPE 1998, 30.<br />

282 Vgl. LAMPE 1998, 30-31.<br />

283 Vgl. LAMPE 1998, 31.<br />

284 LAMPE 1998, 32. Die postulierte Parität bedeutet nicht „Gleichgültigkeit“ <strong>im</strong> Sinne von „postmoderner<br />

Beliebigkeit“ („es ist egal, was du denkst; wahr kann sowieso alles <strong>und</strong> nichts sein“), sondern „Gleich-Gültigkeit“<br />

in dem Sinn, dass keine Disziplin der anderen überlegen ist, so dass ein fairer Wettbewerb stattfinden kann. Vgl.<br />

LAMPE 2006, 98.<br />

285 Vgl. TILLICH 1967, 14; 19; 30.<br />

69


Gegenstandsbereich über ihre Unterscheidungen. Insofern liegen jeder Beschreibung<br />

normative <strong>und</strong> selektive Elemente zugr<strong>und</strong>e, ohne die keine Beobachtung zustande<br />

käme. 286 Klein betont, dass es keine wertneutrale Beschreibung gibt: „Dasjenige [...],<br />

was in der Beschreibung <strong>und</strong> Darstellung etwa als Christentum, als religiöse oder<br />

christliche Lebensform wahrgenommen/ beobachtet wird, verdankt sich diesen<br />

vorausgehenden Normierungsfaktoren.“ 287 Die Dogmatik hat Klein zufolge hier die<br />

zentrale Aufgabe, die normativ konstruierten Systematisierungen anderen<br />

Interpretationspraxen als plausible Orientierungsleistungen zur Verfügung zu stellen,<br />

also eine vermittelnde, „kombinatorische“ Rolle, die also darin besteht, die normative<br />

theologische Sichtweise auch für die Beobachtungsebene der ersten Ordnung zur<br />

Verfügung zu stellen. 288 Klein vertritt folgende Meinung: „Das theologische<br />

Systematisierungs-, Problematisierungs- <strong>und</strong> Problemlösungspotential kann für diese<br />

Beobachterebene <strong>und</strong> damit für die (<strong>im</strong>mer auch angefochtene) Alltagsgewissheit<br />

fruchtbar gemacht werden als Handhabungsregulierung von Kontingenz.“ 289 Fassen wir<br />

zusammen: <strong>Theologie</strong> als „konkret-normative Religionswissenschaft des Christentums“<br />

wäre eine kombinatorische <strong>Theologie</strong> <strong>im</strong> Sinne Dalferths in modifizierter Fassung:<br />

Eine Wissenschaft, die sich nicht mehr an ontologischen <strong>und</strong> wahrheitstheoretischen<br />

Fragen orientiert, sondern „an Vermittlungsmöglichkeiten von<br />

Interpretationskonstrukten unter normativen Problemaspekten.“ 290 Dabei betont Klein,<br />

dass die <strong>Theologie</strong> selbst nur eine Interpretationspraxis darstellt <strong>und</strong> deshalb nicht das<br />

letzte Wort haben kann; sie kann dennoch argumentative Problemlösungsstrategien<br />

erarbeiten <strong>und</strong> anbieten kann, die überhaupt erst die zur Diskussion stehenden<br />

Fragestellungen <strong>und</strong> Probleme systematisierend <strong>und</strong> konstruktiv entwickeln <strong>und</strong> klären<br />

können. 291<br />

- Schließlich ließe sich durch die Aufnahme des <strong>Konstruktivismus</strong> in die <strong>Theologie</strong> auch<br />

mancher Theologenstreit vermeiden, da der Theologe sich seiner Rolle als<br />

interessegeleiteter Beobachter <strong>und</strong> insofern der Grenzen seines Beobachtens verstärkt<br />

bewusst wäre. Der Neutestamentler Peter Lampe hat den konstruktivistischen Ansatz<br />

auf die Exegese angewandt. So greift er zum Beispiel den Streit heraus, ob die<br />

christlichen Ostererfahrungen rezeptive oder produktive Visionen waren, d.h. ob der<br />

286 Vgl. KLEIN 2003, 493.<br />

287 KLEIN 2003, 493-494.<br />

288 Vgl. KLEIN 2003, 496.<br />

289 KLEIN 2003, 496.<br />

290 KLEIN 2003, 496.<br />

291 Vgl. KLEIN 2003, 497.<br />

70


Auferweckte sich tatsächlich mitteilte oder ob diese Erfahrungen innerpsychisch zu<br />

erklären sind, oder die kontrovers diskutierte Frage, ob das Grab tatsächlich leer war<br />

oder nicht. Er hebt hervor, dass die Betrachtungsweise der <strong>Theologie</strong> als Beobachtung<br />

zweiter Ordnung zur Erkenntnis führt, dass es sich bei diesen Auseinandersetzungen<br />

lediglich um Auseinandersetzungen in Bezug auf das je eigene<br />

Wirklichkeitsverständnis geht, während man zur jeweiligen Realität an sich (in diesem<br />

Fall die Ostererscheinungen bzw. das Grab) keinen Zugang hat. 292<br />

4.3.8 Das Neue Testament <strong>im</strong> Licht des <strong>Konstruktivismus</strong><br />

Auf Peter Lampes Ansatz, der eine recht komplizierte Theorie darstellt, möchten wir nun noch<br />

etwas genauer eingehen. Lampe ist Vertreter eines epistemologisch <strong>und</strong> wissenssoziologisch<br />

geprägten <strong>Konstruktivismus</strong>, der <strong>im</strong> Anschluss an die Berliner Soziologen Horst Stenger <strong>und</strong><br />

Hans Geisslinger <strong>im</strong> Zusammenhang des Zustandekommens von sozialer Wirklichkeit von<br />

folgendem Konstruktionsmuster ausgeht: 293<br />

- Das Individuum konstruiert Sinn. Der Sinn ist also das Ergebnis einer konstruktiven<br />

Leistung. Bei diesem Prozess erhalten die Objekte eine Bedeutung. Dadurch werden die<br />

Objekte „erkannt“.<br />

- Die Sinnangebote werden veröffentlicht, bzw. die Bedeutungen werden mit anderen<br />

Bedeutungseinheiten in Beziehung gesetzt. Auf diese Weise wird der individuelle<br />

Kontext zu einem intersubjektiven ausgeweitet <strong>und</strong> es ergeben sich gemeinsame<br />

Konstrukte oder gemeinsame Kontexte.<br />

- Ein Kennzeichen der konstruierten Kontexte ist, dass diese auf axiomatischen<br />

Setzungen gründen (z.B. der Annahme eines sich selbst offenbarenden Gottes <strong>im</strong><br />

Bereich der <strong>Theologie</strong>, bzw. der Annahme des Unbewussten <strong>im</strong> Bereich der<br />

Psychologie). So fällt die Entwicklung eines neuen Kontextes in zwei Phasen: in die<br />

Phase vor <strong>und</strong> in die Phase nach der axiomatischen Setzung.<br />

• Vor der axiomatischen Setzung spielen vier Evidenzquellen eine zentrale Rolle: 294<br />

a) die sinnliche Wahrnehmung: Die Sinnherstellung bedarf der Erfahrungen<br />

bzw. der Wahrnehmungen (anhand von Wahrnehmungskategorien);<br />

b) die kognitive Konstruktion: Wissenselemente werden unter den<br />

Gesichtspunkt der Koinzidenz oder der Kongruenz (Ähnlichkeit, Analogie)<br />

miteinander verknüpft.<br />

292 Vgl. LAMPE 1997, 356-361.<br />

293 Vgl. LAMPE 1999, 226.<br />

294 Vgl. LAMPE 1999, 227-228; MENDL 2005a, 182.<br />

71


c) die soziale Bestätigung: Man verlässt sich auf das Urteil von Anderen,<br />

vornehmlich von Experten.<br />

d) das emotionale Erleben: Prospektive Erwartungen oder retrospektive<br />

Interpretationen rufen Gefühle hervor. Sind diese positiv, stellt sich eher<br />

Plausibilität ein. Lampe zufolge darf die Rolle des Emotionalen bei<br />

Wirklichkeitskonstruktionen nicht unterschätzt werden. Er weist in diesem<br />

Zusammenhang darauf hin, dass etwa die Vorstellung, dass Gott durch ein<br />

Kreuz Heil gebracht hat, in der Antike Abscheu hervorgerufen hat, <strong>und</strong><br />

diese Lehre deshalb für viele Menschen in der Antike unplausibel war. 295<br />

• Nach der axiomatischen Setzung wird der neue Kontext entfaltet. Dies ist nur<br />

möglich, wenn zumindest die zwei ersten Evidenzquellen – die sinnliche<br />

Wahrnehmung <strong>und</strong> die kognitive Konstruktion – nicht versiegen. 296<br />

Lampe wendet dieses Konstruktionsmuster, so behaupten wir <strong>im</strong> Anschluss an Mendl, auf eine<br />

durchaus innovative Art <strong>und</strong> Weise auf das Gebiet der neutestamentlichen Exegese an, so zum<br />

Beispiel auf die jesuanische Gleichniserzählung, auf die Rede von der „Neuschöpfung des<br />

Menschen“ oder auf das zentrale Axiom des christlichen Glaubens: Jesu Auferweckung von<br />

den Toten.<br />

In Lampes Augen war Jesus ein „Konstrukteur neuer Wirklichkeit“ 297 , da er den Menschen<br />

eine Wirklichkeit (Gottes) vermitteln wollte, die <strong>im</strong> Gegensatz zu den damaligen Vorstellungen<br />

<strong>und</strong> zur damaligen Erlebniswelt stand, <strong>und</strong> die eine Entscheidungssituation herbeiführte (ein<br />

bedingungslos liebender, barmherziger <strong>und</strong> fürsorgender Gott, das Anbrechen der<br />

Gottesherrschaft usw.). 298 Aus dieser konstruierten Wirklichkeit lebte Jesus sowie seine<br />

Anhänger, die er begeistern konnte. In wissenssoziologisch-konstruktivistischer Hinsicht fragt<br />

Lampe nun nach den vier oben genannten Evidenzquellen, die eine Plausibilisierung der<br />

Basileia-Verkündigung ermöglicht haben <strong>und</strong> kommt zu folgenden Feststellungen: Evidenz<br />

durch sinnliche Wahrnehmung stellt sich dadurch ein, dass Jesus das lebt, was er predigt;<br />

295 Zur Erläuterung dieses ganzen Modells führt Lampe ein Beispiel von Stenger/Geisslinger an: Eine Gruppe<br />

Jugendliche in einem Freizeitlager verändert ihre soziale Realität dergestalt, dass am Ende des Lagers jeder davon<br />

überzeugt ist, dass ihre nächtlichen Träume in einer Wechselbeziehung zum Lauf von Wasseradern unter dem<br />

Schlafz<strong>im</strong>mer stehen: Die Wasseradern beeinflussen die Träume <strong>und</strong> umgekehrt. Auf diese Weise ist eine von<br />

verschiedenen Evidenzquellen gespeiste Sinnkonstruktion entstanden, die für ein Mitglied der Gruppe plausibel,<br />

für einen Außenstehenden jedoch phantastisch klingt. Vgl. LAMPE 1999, 226-227.<br />

296 Vgl. LAMPE 2006, 85.<br />

297 LAMPE 1999, 228.<br />

298 Vgl. LAMPE 1999, 224.228. Die Frage stellt sich allerdings, ob Jesus wirklich ein Konstrukteur neuer<br />

Wirklichkeit war, oder nicht vielmehr ein Rekonstrukteur einer alten Wirklichkeit.<br />

72


Evidenz durch soziale Bestätigung dadurch, dass <strong>im</strong>mer mehr Menschen sich seiner Bewegung<br />

anschließen; Evidenz durch kognitive Konstruktion dadurch, „dass der Nazarener in seinen<br />

Gleichnissen in überraschender <strong>und</strong> die Hörer offensichtlich packender Weise<br />

Bedeutungsinhalte aus der Tradition <strong>und</strong> aus der Erfahrungswelt der palästinensischen Zuhörer<br />

kombinierte <strong>und</strong> darüber hinaus eben dadurch diese Hörer auf den Weg des eigenen kognitiven<br />

Konstruierens stellte, auf dem sie selber Bedeutungsinhalte miteinander kombinierten [...].“ 299<br />

Als Beispiel führt Lampe das Reden vom Sauerteig <strong>im</strong> Zusammenhang mit der<br />

Gottesherrschaft an, wo Jesus zwei Sachverhalte, die in den Augen seiner Zuhörer bisher nichts<br />

miteinander zu tun hatten (Sauerteig galt als alltäglich, als unrein!), also das Große <strong>und</strong> das<br />

ganz Profane <strong>und</strong> Banale, die alltägliche Lebenswelt der Galiläer, kongruent miteinander<br />

verknüpft, so dass der Zuhörer dazu angeregt wird, die Konsequenzen dieser Sichtweise selber<br />

zu realisieren. Es wird also <strong>im</strong> Hörer ein Reflexionsprozess, genauer gesagt eine Reihe<br />

kognitiver Konstruktionen angestoßen, z.B. die Erkenntnis, dass die Basileia-Botschaft auch<br />

den kleinen galiläischen Hörer etwas angeht, oder die Frage, ob man sich auf diese<br />

ermutigenden Worte Jesu wirklich verlassen kann, ob hier vielleicht jemand in göttlichem<br />

Auftrag spricht usw. 300 Entscheidend ist also, dass Jesus durch seine Art der Verkündigung,<br />

d.h. die Rede in Gleichnissen, dem Hörer lediglich Anstöße gab für kognitive Verknüpfungen<br />

<strong>und</strong> Konstruktionen, die der Hörer selber vornehmen musste. Genau dadurch – <strong>und</strong> darüber<br />

hinaus auch durch die Kongruenz zwischen Jesu Predigt <strong>und</strong> seinem Handeln – haben die<br />

Gleichnisse Lampe zufolge Plausibilität erlangt. 301<br />

Indem die frühen Christen von sich behauptet haben, dass sie, wenn sie getauft werden, <strong>und</strong><br />

dadurch „in Christus“ sind, eine „neue Schöpfung“ sind (vgl. 2 Kor 5,17), haben sie Lampe<br />

zufolge eine best<strong>im</strong>mte Wirklichkeit von sich selber konstruiert: das Modell eines radikalen<br />

Persönlichkeitsumbaus. Lampe wendet auch hier sein Modell der vier Evidenzquellen an, um<br />

die Frage zu beantworten: „Was machte dieses Modell den urchristlichen Konstrukteuren<br />

plausibel, so dass es in den frühen christlichen Gemeinden als soziale Wirklichkeit Gültigkeit<br />

finden konnte?“ 302 Was die erste Evidenzquelle, die der sinnlichen Wahrnehmung, betrifft, so<br />

führt Lampe den damaligen Eintauch-Ritus der Erwachsenentaufe an, bei dem die Täuflinge<br />

physisch erfahren konnten, was es heißt, zu „sterben“ <strong>und</strong> „neugeboren“ zu werden. Die zweite<br />

Evidenzquelle, die kognitive Konstruktion, sieht in diesem Fall so aus, dass die Gemeinde eine<br />

Ähnlichkeit (Kongruenz) festgestellt hat zwischen dem Ritus des Eingetauchtwerdens <strong>und</strong> dem<br />

299 LAMPE 1999, 230.<br />

300 Vgl. LAMPE 1999, 234-235.<br />

301 Vgl. LAMPE 1999, 236.<br />

302 LAMPE 1997, 27.<br />

73


Auftauchen aus dem Wasser <strong>im</strong> Rahmen des Taufritus <strong>und</strong> dem Todes- <strong>und</strong><br />

Auferstehungsschicksals Jesu Christi. Auf diese Weise ist durch die Annahme, in Taufe an<br />

diesem Schicksal Jesu Christi teilzuhaben, <strong>und</strong> durch die rituelle Wiederholung „eine zum<br />

Ritus geronnene kognitive Konstruktion, eine sinnstiftende Verknüpfung verschiedener<br />

Bedeutungseinheiten [entstanden].“ 303 Auch die anderen beiden Evidenzquellen sind <strong>im</strong><br />

Geschehen vorhanden: Die Evidenz durch soziale Bestätigung ist gegeben durch die<br />

regelmäßigen Zusammenkünfte der Gemeinde zur Eucharistiefeier, bei denen rituelle Elemente<br />

vollzogen wurden, die den Gemeindemitgliedern auch ein emotionales Erleben<br />

ermöglichten. 304<br />

Das eben erläuterte Konstruktionsmuster ist auf fast alle urchristlichen Reden anwendbar.<br />

Lampe überträgt es zum Beispiel auch relativ ausführlich auf das zentrale Axiom des<br />

christlichen Glaubens: Die Rede von Jesu Auferstehung bzw. Auferweckung. Hier weist er<br />

wiederum die vier Evidenzquellen nach: die sinnliche Wahrnehmung (die „Visionen“ seiner<br />

Gefolgsleute), die kognitive Verknüpfung (Jesus ist verloren, hatte allerdings einen Gott<br />

verkündet, der sich um die Verlorenen kümmert, teilweise bereits in der Gegenwart; könnte es<br />

also sein, dass in diesem Todesgeschehen Jesu sich bereits Gottesherrschaft manifestiert?;<br />

Lampe erinnert auch an die bereits <strong>im</strong> späten Judentum vorhandene Vorstellung einer<br />

Auferstehung der Toten), die soziale Bestätigung (die Wiederholung der visionären Erlebnisse)<br />

<strong>und</strong> das positive emotionale Erleben (die Verwandlung von Trauer in Freude <strong>und</strong> von Klage in<br />

Lobpreis). 305<br />

Lampe geht bei diesem dritten Beispiel nun aber noch einen Schritt weiter: Die<br />

Ostererfahrungen werden in der <strong>Theologie</strong> unterschiedlich bewertet. Während die einen darin<br />

rezeptive Visionen sehen, vertreten andere die Theorie von produktiven Visionen. Die Frage<br />

lautet also: Hat sich in den Visionen ein tatsächlich auferstandener Christus gezeigt, oder sind<br />

diese Visionen als innerpsychische Prozesse zu verstehen? In dieser Streitfrage ist die<br />

konstruktivistische Sichtweise Lampe zufolge äußerst hilfreich: „Aus konstruktivistischer Sicht<br />

ist es sinnlos, sich unter Historikern zu streiten, ob die urchristlichen Ostererfahrungen<br />

rezeptive oder produktive Visionen gewesen sein mögen [...]. Solche Spekulationen <strong>und</strong><br />

Streitereien sind aus konstruktivistisch-epistemologischer Sicht sinnlos <strong>und</strong> angesichts der<br />

außerhalb der <strong>Theologie</strong> ablaufenden Debatte über den Wirklichkeitsbegriff auch obsolet.“<br />

Der aktuelle Streit, ob es sich um rezeptive oder produktive Visionen handelt, ist für Lampe<br />

303 LAMPE 1998, 28.<br />

304 Vgl. LAMPE 1998, 27-29.<br />

305 Vgl. LAMPE 1997, 356-359.<br />

74


kein geschichtswissenschaftlicher Streit, sondern ein Streit „um das bessere<br />

Wirklichkeitsverständnis in den 1990er Jahren.“ 306 Ob jemand die Erscheinungen als rezeptiv<br />

oder als produktiv betrachtet oder nicht, hängt von seinem Wirklichkeitsverständnis ab, d.h.<br />

von der Tatsache, ob dieses Wirklichkeitsverständnis eine Existenz Gottes <strong>und</strong> ein<br />

schöpferisches Eingreifen dieses Gottes einschließt oder nicht. 307 Versucht man in historischer<br />

Hinsicht, diese Erfahrungen der Urchristen zu beleuchten, besteht für Lampe keinen Zweifel,<br />

dass es sich um rezeptive Erfahrungen handelt, <strong>im</strong> Rahmen der von ihnen konstruierten<br />

Wirklichkeit. Über die ontische Realität dieser Erfahrungen kann allerdings aus<br />

konstruktivistischer Hinsicht als Wissenschaftler eo ipso nichts sagen. 308<br />

4.3.9 <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> „relationale <strong>Theologie</strong>“<br />

Abschließend möchten wir der bereits mehrfach zitierten Monographie von Matthias Wallich<br />

noch einen eigenen Abschnitt widmen. Wallich sucht spezifischer nach Anknüpfungspunkten<br />

zwischen dem <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> G. Hasenhüttls Konzept der „relationalen <strong>Theologie</strong>“.<br />

Hasenhüttls „relationale <strong>Theologie</strong>“ ist für ihn selbst eine zeitgemäße Antwort auf die Gott-isttot-<strong>Theologie</strong><br />

<strong>und</strong> die moderne Verzweiflung angesichts der Gottesfrage. Indem er Gott als<br />

„Prädikat für die Liebe“ bzw. als „Wort für die Erfahrung des Beschenktseins <strong>im</strong> Dialog“ 309<br />

definiert, verortet er den Bereich Gottes in den Bereich der Beziehung, des<br />

Zwischenmenschlichen, des Dialogischen, anstatt in den Bereich des verobjektivierenden<br />

Denkens. Zwischenmenschliche Beziehungen sind der Ort, an dem der relationalen <strong>Theologie</strong><br />

zufolge Gott erfahrbar wird, an dem „Unbedingtes <strong>im</strong> Bedingten“, „Eindeutiges <strong>im</strong><br />

Zweideutigen“ 310 sich ereignet. Deshalb ist ein biblischer oder ein dogmatischer Satz nur dann<br />

wahr, „wenn er existentiell nachzuvollziehen, d.h. dialogisch einlösbar ist, als <strong>Wahrheit</strong> über<br />

die dialogische Struktur des Menschen interpretiert werden kann; eine Absicherung <strong>und</strong> eine<br />

306 LAMPE 1997, 361.<br />

307 Vgl. LAMPE 1997, 361.<br />

308 Vgl. LAMPE 1997, 360. Lampe unterstreicht, dass nicht nur unser gegenwärtiges Wirklichkeitsverständnis ein<br />

kognitives Konstrukt ist, sondern auch unser Wirklichkeitsverständnis der Geschichte. Die Geschichtsschreibung,<br />

so deutlich sie auch sein mag, ist – so der Konstruktivist – prinzipiell nicht in der Lage, die ontische Realität<br />

abzubilden. Insofern ist Geschichtsschreibung in konstruktivistischer Hinsicht nicht Re-Konstruktion, sondern<br />

Konstruktion – auf Axiomen gründend, die von den vier erläuterten Evidenzquellen (kognitive Konstruktion,<br />

soziale Bestätigung, sinnliche Wahrnehmung <strong>und</strong> emotionale Erfahrung) beeinflusst werden. Vgl. LAMPE 1997,<br />

365-366.<br />

309 WALLICH 1999, 34.<br />

310 WALLICH 1999, 33.<br />

75


unabhängige Gültigkeit eines Satzes ist nicht zu haben [...].“ 311 Die Vokabel Gott wird also aus<br />

dem metaphysischen in den pragmatischen Kontext <strong>im</strong>plementiert. 312<br />

Wallich geht aus von Maturanas Autopoiesis-Konzept, die seiner Ansicht nach zu<br />

f<strong>und</strong>amentaler Einsamkeit führt, welche allerdings <strong>im</strong> Bereich des menschlichen Lebens<br />

wieder transzendiert wird: durch die Sprache (die eine konsensuelle Realität herstellt), <strong>und</strong><br />

durch die Liebe. Auf diese Weise beantwortet er die Frage, wie <strong>im</strong> konstruktivistischen<br />

Denken, das den Menschen als geschlossenes System sieht, ein Zugehen auf andere denkbar<br />

ist. 313 Er stützt sich auf den Abschnitt bei Maturana, den wir weiter oben bereits zitiert haben:<br />

„Jeder Mensch steht als autopoietisches System allein auf der Welt. Wir wollen jedoch nicht<br />

beklagen, dass wir in einer subjektabhängigen Realität existieren müssen. Auf diese Weise ist das<br />

Leben interessanter, denn die eigene Transzendenz unserer individuellen Einsamkeit, die wir<br />

erfahren können, entsteht durch die konsensuelle Realität, die wir mit anderen schaffen, d.h. durch<br />

die Liebe zueinander.“ 314 Für Wallich sind diese anthropologischen Weiterführungen keine<br />

Randbemerkungen, die sich außerhalb des eigentlichen radikalkonstruktivistischen Diskurses<br />

befinden, sondern „sie beinhalten jeweils den Skopus radikalkonstruktivistischer Argumentation. Es<br />

handelt sich [...] um Ausblicke, um die Angabe von Perspektiven.“ 315<br />

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit können wir uns leider nicht ausführlich mit Hasenhüttls<br />

Gotteslehre auseinandersetzen. Gr<strong>und</strong>sätzlich stellt sich heraus, <strong>und</strong> das versucht Wallich in<br />

seiner Dissertation ausführlich aufzuzeigen, dass es bei einem solchen Gottesbegriff, in dem –<br />

ähnlich wie es auch für den <strong>Konstruktivismus</strong> der Fall ist – der Dialog <strong>und</strong> die Liebe eine<br />

wesentliche Rolle spielen, gute Chancen für eine erfolgreiche Verknüpfung zwischen<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> Gotteslehre gibt. Auf beiden Seiten spielen Begriffe wie Liebe, Dialog<br />

<strong>und</strong> Intersubjektivität eine zentrale Rolle.<br />

Im Anschluss an Fresacher möchten wir Wallichs Leistung würdigen, gleichzeitig aber fragen,<br />

wieso Wallich gerade „den schmalen Grat einer an Bubers Dialogphilosophie angelehnten<br />

‚relationalen <strong>Theologie</strong>’, wie Hasenhüttl sie in den 70er Jahren vorlegte“ 316 gewählt hat. Sind<br />

311 WALLICH 1999, 34.<br />

312 Vgl. WALLICH 1999, 457. Wallich merkt an, dass von Foerster ihm in einem persönlichen Gespräch eine<br />

„<strong>im</strong>plizite <strong>Theologie</strong>“, eine „<strong>Theologie</strong> ohne Gott“ vorgeschlagen hat, mit der Begründung, dass Gott als<br />

permanente Latenz leichter anwesend sein könne als wenn sein Name explizit benutzt würde. Vgl. WALLICH<br />

1999, 28. Diese Idee erinnert auch an Dietrich Bonhoeffers Vorschlag, das Wort „Gott“ nicht mehr zu verwenden,<br />

sondern zu umschreiben, was damit gemeint ist. Vgl. WALLICH 1999, 37-38.<br />

313 Vgl. WALLICH 1999, 103; 162; 183; FRESACHER 2000, 377.<br />

314 MATURANA 1982, 271.<br />

315 WALLICH 1999, 102.<br />

316 FRESACHER 2000, 378.<br />

76


Anknüpfungspunkte an die <strong>Theologie</strong> nur möglich, wenn man die <strong>Theologie</strong> als relationale<br />

<strong>Theologie</strong> <strong>im</strong> Sinne Hasenhüttls versteht? Des Weiteren fällt auf, was unseres Erachtens sehr<br />

oft auf solche Promotionsarbeiten zutrifft: Neben der ausgezeichneten Darstellung des<br />

konstruktivistischen Paradigmas <strong>und</strong> etlichen Exkursen über benachbarte Theorien kommt die<br />

theologische Auseinandersetzung an sich ein wenig kurz. 317 In unseren Augen jedenfalls ist der<br />

Rekurs auf Hasenhüttls Gottesbild nicht nötig, um Anknüpfungspunkte zwischen<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> <strong>Theologie</strong> ausfindig zu machen.<br />

4.4 Schlussbemerkungen<br />

Die Ausgangsfrage dieses Kapitels lautete: Sind <strong>Konstruktivismus</strong> <strong>und</strong> <strong>Theologie</strong> vereinbar?<br />

Aufgr<strong>und</strong> der vorangehenden Ausführungen kann diese Frage weder mit einem einfachen Ja<br />

noch mit einem einfachen Nein beantwortet werden. Schließt man aus einer<br />

„extremkonstruktivistischen“ Position heraus die Existenz einer objektiven Realität aus,<br />

scheint es kaum Anknüpfungspunkte für die <strong>Theologie</strong> zu geben. Allerdings haben wir<br />

versucht zu unterstreichen, dass die bekannten Konstruktivisten die Existenz einer objektiven<br />

Realität, also einer Welt „an sich“ (sowie die Gültigkeit gemeinsamer Wertesystemen <strong>und</strong><br />

Glaubensüberzeugungen innerhalb einer Gesellschaft) 318 nicht ausschließen, sondern lediglich<br />

betonen, dass diese der menschlichen Kognition nicht zugänglich ist, <strong>und</strong> deshalb als<br />

Kognitionstheorie den Blick weg von ontologischen Fragen hin auf Fragen nach dem „Wie“<br />

lenken, in der Überzeugung, dass ontologische Fragen nicht beantwortet werden können. In<br />

einer solchen Betrachtungsweise gibt es durchaus interessante Anknüpfungspunkte für die<br />

<strong>Theologie</strong> – allerdings unter der Voraussetzung, dass die <strong>Theologie</strong> bereit ist, ihre Aussagen<br />

als Konstrukte zu sehen, ihre eigene Begrenztheit anzuerkennen, sich nicht auf ein<br />

offenbarungspositivistisches Akklamieren von festgelegten Satzwahrheiten zu beschränken,<br />

einen Blick in die benachbarten Disziplinen zu wagen <strong>und</strong> nicht nur auf eine idiosynkratische<br />

Weise um sich selbst zu kreisen, <strong>und</strong> gewillt zu sein, sich mit ihren „blinden Flecken“ zu<br />

befassen (z.B. mit nicht hinterfragten oder nicht hinreichend beleuchteten Metaphern). 319<br />

Natürlich gerät durch eine solche Öffnung in der <strong>Theologie</strong> so manches ins Wanken. Dennoch<br />

täte letztere gut daran, sich dem konstruktivistischen Diskurs konsequent zu öffnen, nicht<br />

zuletzt auch aus dem Gr<strong>und</strong>, dass eine solche Öffnung der <strong>Theologie</strong> einen apologetischen<br />

Dienst erweisen <strong>und</strong> ihr einen sicheren Platz <strong>im</strong> zeitgenössischen interdisziplinären<br />

317 Vgl. FRESACHER 2000, 378.<br />

318 Vgl. MENDL 2005a, 179-180.<br />

319 Vgl. WALLICH 1999, 39; 445-447; 512.<br />

77


wissenschaftlichen Diskurs sichern könnte. Hans Mendl, dem zufolge der Ausgangspunkt <strong>und</strong><br />

das Ziel des theologischen Forschens in einem aufgeklärten Christentum der mündige Christ<br />

ist 320 , begründet die Notwendigkeit des konstruktivistischen Denkens mit dem Wandel in der<br />

Art zu glauben nach dem II. Vatikanischen Konzil: Hier habe es eine Entwicklung gegeben<br />

vom Gehorsamsglauben zum Verstehensglauben, vom Bekenntnisglauben zum<br />

Erfahrungsglauben, vom Leistungsglauben zum Verantwortungsglauben. 321<br />

Was die <strong>Theologie</strong> darüber hinaus vom <strong>Konstruktivismus</strong> lernen kann, ist in erster Linie<br />

Bescheidenheit. Wenn wir in der <strong>Theologie</strong> oder <strong>im</strong> Christentum allgemein sagen, dass es<br />

keinen objektiv richtigen Zugang zur Realität an sich gibt (was nicht ausschließt, dass es diese<br />

Realität gibt), dann führt das zur Akzeptanz <strong>und</strong> Förderung von Vielfalt – innerhalb der<br />

eigenen Konfession, zwischen den einzelnen Konfessionen, aber auch zwischen den einzelnen<br />

Religionen <strong>und</strong> Weltanschauungen. Konkret könnte das bedeuten:<br />

- Überlieferte Konstruktionsprinzipien müssen hinterfragt werden; ihre Sinnhaftigkeit<br />

<strong>und</strong> Verantwortbarkeit muss in Frage gestellt werden; es muss überprüft werden, ob<br />

Wirklichkeitskonstruktionen, die <strong>im</strong>mer als objektiv wahr <strong>und</strong> zeitlos gesehen worden<br />

sind, nicht längst überholt sind.<br />

- Man muss einsehen lernen, dass man nicht objektiv festlegen kann, wie <strong>Theologie</strong>,<br />

Christentum <strong>und</strong> Kirche auszusehen haben, <strong>und</strong> dass Entscheidungen getroffen werden<br />

müssen, wobei diese nicht als objektiv gültig, sondern als subjektiv verantwortbar<br />

dargelegt werden müssen. Wallich betont, dass Dogmen „nicht als feste<br />

Satzwahrheiten, sondern als <strong>Wahrheit</strong>en relationaler Wirklichkeit bleibende Gültigkeit<br />

[haben].“ 322 Deshalb hat die Kirche die Pflicht, die Viabilität ihrer Glaubenssätze, d.h.<br />

deren Nutzen für die Praxis, <strong>im</strong>mer wieder unter Beweis zu stellen. 323<br />

- Normierungsprozesse, die auf Homogenisierung zielen, sollten in Frage gestellt<br />

werden. Stattdessen sollte eine durch kulturelle Unterschiede entstehende Vielfalt<br />

akzeptiert werden. Dabei sollten Räume geöffnet werden, in denen die Erfahrungs- <strong>und</strong><br />

Erlebenswelt der Menschen (aller Generationen) aufgegriffen <strong>und</strong> ernst genommen<br />

werden können.<br />

320 Vgl. MENDL 2005a, 183.<br />

321 Vgl. MENDL 2005a, 183. Hans Mendl tritt – mit Blick auf die religionspädagogische Praxis – ein für eine<br />

Verbindung zwischen instruktivistischen <strong>und</strong> konstruktivistischen Denklinien, die er als „pragmatische integrierte<br />

Position“ bezeichnet. Diese erlaube es ihm, sowohl an der transzendenten Verwiesenheit des Menschen auf den,<br />

der in der jüdisch-christlichen Tradition „Gott“ genannt wird, festzuhalten <strong>und</strong> zugleich dem Menschen (der in der<br />

jüdisch-christlichen Tradition als „Abbild des Schöpfers“ <strong>und</strong> als „Krone der Schöpfung“ gesehen wird) als<br />

Subjekt gerecht zu werden. Vgl. MENDL 2005a, 180.<br />

322 WALLICH 1999, 449.<br />

323 Vgl. WALLICH 1999, 449.<br />

78


- In diesem Sinne müsste ein Kl<strong>im</strong>a des bescheidenen Dialogs intrakonfessioneller,<br />

interkonfessioneller <strong>und</strong> interreligiöser Art geschaffen werden.<br />

- Die Kirche sollte nicht als etwas Vorgegebenes, sondern als etwas zu Konstruierendes<br />

betrachtet werden: „Das Christentum legt keine festgefügten Konstruktionen vor,<br />

sondern schlägt vielmehr Hoffnungsschneisen zu einem noch zu entwerfenden<br />

Menschsein <strong>und</strong> gibt Hinweise für ein zu erprobendes Vertrauen.“ 324<br />

Auch J. Hromadka mahnt die <strong>Theologie</strong> zur Bescheidenheit, wenn er betont: „<strong>Theologie</strong> ist<br />

keine Schöpferin fertiger <strong>Wahrheit</strong>en <strong>und</strong> unveränderlicher Sätze, sondern eher ein ständiger<br />

Hinweis auf die Grenzen allen menschlichen <strong>und</strong> weltlichen Geschehens.“ 325 „Alle Versuche<br />

menschlicher Worte, diese <strong>Wahrheit</strong> auszudrücken, sind unzureichend, unangemessen, nicht<br />

zutreffend. [...] Theologische Sätze haben einen Charakter von dynamischer<br />

Voreingenommenheit, von Aufforderung, persönlichem Zeugnis <strong>und</strong> Bekenntnis.“ 326 Diese<br />

Einstellung ist sicher <strong>im</strong> Sinne der Behauptung von Michel de Montaigne, die von den<br />

Konstruktivisten gerne zitiert wird: „La peste de l’homme, c’est l’opinion de savoir“. 327 Am<br />

Rande sei <strong>im</strong> Anschluss an Wallich angemerkt, dass man auch das Hohelied der Liebe aus dem<br />

Ersten Korintherbrief konstruktivistisch lesen kann, in dem es heißt: „Denn Stückwerk ist<br />

unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden. [...] Jetzt schauen wir in einen Spiegel<br />

<strong>und</strong> sehen nur rätselhafte Umrisse.“ (1 Kor 13,9-12a)<br />

Wie wird die Zukunft in Sachen konstruktivistisch-theologischer Diskurs aussehen? Erdmann<br />

ist zuversichtlich <strong>und</strong> vergleicht die konstruktivistische Einsicht (dass die objektive Erkenntnis<br />

von Realität nicht möglich ist) mit der kopernikanischen Wende. Hier hat es auch Generationen<br />

gedauert, bis die Menschen ihr geozentrisches Weltbild durch das heliozentrische ersetzt<br />

haben. Trotzdem aber hat kein Weg daran vorbei geführt. Auch in diesem Fall wird es sicher<br />

noch mehrere Generationen dauern, bis die Konsequenzen der konstruktivistischen<br />

Erkenntnistheorie verankert sind – insbesondere in der <strong>Theologie</strong>. Trotzdem führt ihm zufolge,<br />

ähnlich wie es bei der kopernikanischen Wende der Fall war, kein Weg daran vorbei. Die<br />

Erkenntnis, dass kein Weg am <strong>Konstruktivismus</strong> vorbeiführt, wird in den Augen Erdmanns<br />

auch zu einer neuen Bescheidenheit in den Wissenschaftern, insbesondere auch in der<br />

<strong>Theologie</strong>, führen: „Es ist so auch zu hoffen, dass der <strong>Konstruktivismus</strong> ein Wegbereiter wird<br />

für eine dringend gebotene neue Bescheidenheit auf allen Wissensgebieten, insbesondere aber<br />

324 WALLICH 1999, 449.<br />

325 HROMADKA 1999, 258.<br />

326 HROMADKA 1999, 259.<br />

327 Zit. bei VON GLASERSFELD 2005, 9.<br />

79


auch auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, <strong>und</strong> er kann vielleicht auch Wegbereiter sein für<br />

die Überwindung des politischen <strong>und</strong> des religiösen F<strong>und</strong>amentalismus.“ 328 Abschließend sei<br />

Wallich zitiert: „Es gibt viele Gründe für einen interdisziplinären Dialog <strong>und</strong> keinen gegen<br />

einen solchen.“ 329<br />

328 ERDMANN 1999, 13.<br />

329 WALLICH 1999, 429.<br />

80


5. KONSEQUENZEN FÜR DIE PRAKTISCHE THEOLOGIE<br />

5.1 Gr<strong>und</strong>sätzliche Bemerkungen<br />

In dieser Arbeit haben wir uns bisher vorwiegend mit theoretischen Fragen befasst. Wir haben<br />

unterstrichen, wie wichtig es ist, dass die <strong>Theologie</strong> sich dem <strong>Konstruktivismus</strong> öffnet. Eine<br />

verstärkte Rezeption des <strong>Konstruktivismus</strong> in der systematischen <strong>Theologie</strong> hat natürlich auch<br />

Auswirkungen auf dem Gebiet der praktischen <strong>Theologie</strong>. Mit zwei Unterdisziplinen der<br />

praktischen <strong>Theologie</strong> möchten wir uns <strong>im</strong> Folgenden genauer befassen: der Seelsorge<br />

(Po<strong>im</strong>enik / Pastoral) <strong>und</strong> der Religionspädagogik. Gleich zu Beginn sei festgestellt, dass das,<br />

was für die systematische <strong>Theologie</strong> gilt, auch in Bezug auf die praktische <strong>Theologie</strong> seine<br />

Richtigkeit hat: Der <strong>Konstruktivismus</strong> wird nur zögerlich rezipiert. Theoretische<br />

Auseinandersetzungen zwischen praktischer <strong>Theologie</strong> <strong>und</strong> <strong>Konstruktivismus</strong> findet man<br />

selten.<br />

5.2. Konsequenzen für die Seelsorge<br />

Wie könnte eine konstruktivistische Seelsorge aussehen? Von Hermann Steinkamp stammt<br />

eine Monographie mit dem programmatischen Titel „Seelsorge als Anstiftung zur<br />

Selbstsorge“: Seelsorge muss dem Einzelnen helfen, seine „eigene <strong>Wahrheit</strong>“ zu finden; dazu<br />

ermutigen, dass Menschen untereinander ihre „<strong>Wahrheit</strong>en“ austauschen; die Selbstständigkeit<br />

von Gruppen <strong>und</strong> Gemeinschaften fördern. Seelsorge muss also Assistenz sein, nicht<br />

Machtausübung. Ermöglichung, nicht Kontrolle. 330 Der Seelsorger muss auch wissen, dass er<br />

<strong>im</strong>mer Beobachter ist – nicht ein außenstehender, sondern ein teilnehmender,<br />

mitkonstruierender Beobachter, der allerdings keine fertigen Rezepte anzubieten hat, <strong>und</strong><br />

deshalb als Mitforschender möglichst non-direktiv arbeiten <strong>und</strong> bereit sein sollte, seine eigene<br />

Sicht regelmäßig zu korrigieren. 331 Da jeder Mensch ein operational geschlossenes <strong>und</strong><br />

strukturdeterminiertes System ist, kann der Seelsorger den Klienten also nicht „manipulieren“,<br />

ihn nicht in eine best<strong>im</strong>mte Richtung steuern, sondern <strong>im</strong>mer nur dessen „Selbststeuerung“, die<br />

Vergrößerung seiner Fähigkeit der Selbstorganisation anvisieren, indem er seine Autonomie<br />

ernst n<strong>im</strong>mt. Insofern kann er seine Einflussnahme auf den anderen nie genug unterschätzen. 332<br />

Der Seelsorger kann lediglich Anregungen geben, auf die sein Klient reagiert, wobei der<br />

330 Vgl. STEINKAMP 2005, 83-89.<br />

331 Vgl. AMMERMANN 1994, 19; 260.<br />

332 Vgl. WALLICH 1999, 213-215.<br />

82


Seelsorger keinen Einfluss darauf hat, was ausgehend von diesen Anstößen konstruiert wird.<br />

Wichtig ist für die Po<strong>im</strong>enik <strong>im</strong> Allgemeinen <strong>und</strong> für den einzelnen Seelsorger <strong>im</strong> Besonderen,<br />

dass man zu verstehen versucht, „wie andere Menschen Religiosität <strong>und</strong> Möglichkeiten ihrer<br />

Daseinsbewältigung zu konstruieren suchen“ 333 , bzw. wie sie <strong>im</strong> Rahmen ihrer Konstruktion<br />

von Welt auch „das was sie unbedingt angeht“ (Tillich) konstruieren. Wenn zum Beispiel ein<br />

Mensch fragt: Wie kann Gott dieses Leid, das mir gerade widerfahren ist, zulassen?, gilt es sich<br />

die Frage zu stellen: Wie sieht der Glaube oder der Lebenssinn dieses Menschen aus, dass er<br />

sich die Frage so stellt? Oder in Begriffen des <strong>Konstruktivismus</strong> gesprochen: Welche<br />

Konstruktionen hat dieses Subjekt in Bezug auf Gott <strong>im</strong> Kopf, dass er seinen Glauben so <strong>und</strong><br />

nicht anders erlebt? 334 Er muss dabei wissen: „Wenn alles Erkennen Konstruktion ist, sind<br />

einander widersprechende Ansichten zunächst einmal gleichberechtigt.“ 335<br />

5.3 Konsequenzen für die Religionspädagogik<br />

Welche Folgen ergeben sich aus einem konstruktivistischen Denkmodell für einen<br />

konstruktivistisch ausgerichteten Religionsunterricht? Dieser Frage soll in diesem Kapitel<br />

nachgegangen werden. Dazu sei sogleich angemerkt, dass viele der folgenden Ausführungen<br />

nicht nur auf den Religionsunterricht, sondern auf viele anderen Fächer zutreffen <strong>und</strong><br />

anzuwenden sind. Wir möchten unser Interesse aber trotzdem spezifisch auf den<br />

Religionsunterricht richten.<br />

Wenn der Mensch, so wie der <strong>Konstruktivismus</strong> es behauptet, ein strukturdeterminiertes<br />

Wesen ist <strong>und</strong> ein Konstrukteur von Wirklichkeit ist, dem der Zugang zur objektiven Realität<br />

unmöglich ist, führt das auch <strong>im</strong> Bereich der Schule zu erheblichen Konsequenzen, ja zu einem<br />

regelrechten Paradigmenwechsel, stellt es doch den Nutzen des nach wie vor sehr verbreiteten<br />

Instruktivismus / Instruktionismus (manchmal etwas abschätzend als „Frontalpädagogik“<br />

bezeichnet) sowie die bisherige Lehrer- <strong>und</strong> Schülerrolle gr<strong>und</strong>sätzlich in Frage. Wenn der<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> recht hat, bedeutet das für den Lehrer, dass er seinen Unterricht verstärkt<br />

„konstruktivistisch“ <strong>und</strong> weniger „instruktivistisch“ gestalten soll. Das bedeutet, dass er sich<br />

nicht mehr vorrangig als Wissensvermittler gemäß dem Sender-Empfänger-Modell betrachten<br />

soll: Der Lehrer ist der Wissende <strong>und</strong> der Schüler der Unwissende, deshalb vermittelt der<br />

Lehrer als Sender Wissen, während der Schüler als Empfänger dieses Wissen passiv aufn<strong>im</strong>mt.<br />

Aus konstruktivistischer Sicht darf das Lernen nicht als passiver oder rezeptiver Vorgang,<br />

333 AMMERMANN 2000, 345.<br />

334 Vgl. AMMERMANN 2000, 346.<br />

335 WALLICH 1999, 216.<br />

83


sondern als aktiver, konstruktionaler Prozess verstanden werden. Deshalb kommt es<br />

wesentlich darauf an, dass der Lehrer dem Schüler hilft, sich sein Wissen <strong>und</strong> seinen<br />

Standpunkt selber zu konstruieren, damit er es nicht nur „anlernt“, sondern es versteht <strong>und</strong><br />

nachvollziehen kann. Der Schüler soll dazu befähigt werden, denken zu lernen bzw. lernen zu<br />

lernen. Der Lehrende soll bei diesen gesamten Prozessen eine unterstützende <strong>und</strong> motivierende<br />

Funktion haben. Deshalb tritt an die Stelle der Weitergabe von Wissen die Eröffnung von<br />

Lernprozessen. Damit der Lernende sich sein Wissen konstruieren kann, müssen ihm vom<br />

Lehrer entsprechende Möglichkeiten eröffnet werden. Den Lernprozess an sich aber steuert der<br />

Lernende selbst. Weil der Lernende das Wissen selbst konstruiert, geht man davon aus, dass<br />

dieses Wissen dauerhaft bei ihm gespeichert wird <strong>und</strong> er besser in der Lage ist, dieses Wissen<br />

auf andere Situationen anzuwenden <strong>und</strong> seine Erfahrungen adaptiv zu nutzen. Be<strong>im</strong> Lernen<br />

<strong>und</strong> Lehren ist also nicht die Übertragung vorgegebenen Wissens, sondern die Förderung des<br />

Konstruktionsprozesses das Wesentliche. Gr<strong>und</strong>lage dieser Theorie ist die Überzeugung, dass<br />

der Lernende <strong>im</strong> Lernprozess, der durch einen Austausch zwischen dem Vorwissen <strong>und</strong> der<br />

neuen Information gekennzeichnet ist, eine individuelle Repräsentation der Welt schafft. Folge<br />

dieser Konzeption ist, dass Lernprozesse nicht völlig vorhersehbar sind, weil ihr Verlauf von<br />

individuellen Konstruktionen geprägt ist. Vereinfacht ausgedrückt: Das Lernen geschieht<br />

individuell. 336 So verarbeitet zum Beispiel nicht jeder Schüler eine Tafelanschrift oder einen<br />

ergebnissichernden Hefteintrag gleich. Für den Lehrer bedeutet dies, dass er nicht mehr so sehr<br />

als Wissensvermittler betrachtet werden darf, sondern eher die Rolle des Beobachters <strong>und</strong><br />

darüber hinaus des „Moderators“, des „Arrangeurs“, des Beraters, des Mentors, des<br />

„Anregers“, des Helfers übern<strong>im</strong>mt. In der Fachliteratur findet man überdies manchmal die<br />

Bezeichnung „Hintergr<strong>und</strong>lehrer“. Es sei angemerkt, dass diese Art des Unterrichts für den<br />

Schüler anspruchsvoller ist als „Frontalunterricht“, weil die Ebene der reinen<br />

Wissensvermittlung <strong>und</strong> -aufnahme überschritten wird <strong>und</strong> vom Schüler Transferleistungen,<br />

selbstständiges Denken <strong>und</strong> eigene Produktionen gefordert werden.<br />

Für den Religionsunterricht haben diese Einsichten Konsequenzen in methodischer <strong>und</strong> in<br />

inhaltlicher Hinsicht:<br />

Ein konstruktivistischer Religionsunterricht muss methodisch vielfältig <strong>und</strong> variationsreich<br />

sein, damit individuelle Lernlandschaften gefördert werden <strong>und</strong> so dem individuellen<br />

336 Individuell heißt auch hier nicht individualistisch! Wenn betont wird, dass das Lernen individuell geschieht,<br />

bedeutet das nicht, dass Lernen ein individualistischer Prozess ist. Die konstruktivistischen Lerntheorien betonen<br />

die Rolle des sozialen Kontext, insbesondere der schulischen Gruppe, in der man durch aktive Interaktion bzw.<br />

Kommunikation lernt. Vgl. DILLEN/POLLEFEYT 2005, 264.<br />

84


Lerncharakter der Schüler Rechnung getragen werden kann. Diese Erkenntnis ist allerdings<br />

nicht erst mit dem <strong>Konstruktivismus</strong> in die Religionspädagogik eingedrungen. Schon seit<br />

einigen Jahrzehnten wird in der religionspädagogischen Literatur viel von „schülerzentriertem<br />

Lernen“, „Projektunterricht“, „handlungsorientiertem Unterricht“, individualisiertem Lernen in<br />

„Freiarbeit“, „entdeckendem Lernen“, „autonomem Lernen“, „eigenverantwortlichem Lernen“<br />

u.v.a. gesprochen. Auch wenn die einzelnen Konzepte teilweise mit konkreten Autoren<br />

verb<strong>und</strong>en sind <strong>und</strong> sich durchaus unterscheiden, so liegt ihnen doch eine gemeinsame Idee<br />

zugr<strong>und</strong>e: ein subjektzentrierter Unterricht, bei dem die Konstruktionalität des Lernprozesses<br />

<strong>und</strong> die Autonomie des Schülers ernst genommen wird. Mendl weist zu Recht darauf hin, dass<br />

sich in diesem Punkt schon seit längerem ein Wechsel vollzogen hat: ein Wechsel von der<br />

Lernzielorientierung hin zum lernenden Subjekt, von der Lernprodukt- zur Lernprozess-<br />

Orientierung (Niederschlag: Formulierung der Lernziele in Verb- statt in Substantivform).<br />

Dieser Wechsel ist allerdings erst <strong>im</strong> Nachhinein <strong>im</strong> wissenschaftlichen Diskurs explizit unter<br />

dem Begriff des <strong>Konstruktivismus</strong> thematisiert worden. Der <strong>Konstruktivismus</strong> ist gleichsam als<br />

viable Lerntheorie in die Pädagogik eingeführt worden als theoretische Untermauerung einer<br />

bereits bestehenden Praxis. Insofern hat auf dem Gebiet der Pädagogik die Praxis die Theorie<br />

regelrecht überrollt. 337<br />

Der <strong>Konstruktivismus</strong> hat über die methodischen Gesichtspunkte hinaus auch Konsequenzen<br />

für den Inhalt <strong>und</strong> das Ziel des Religionsunterrichts, d.h. auf den Unterrichtsstoff <strong>und</strong> auf das<br />

Selbstverständnis des <strong>Religionslehrer</strong>s. Wenn der Lehrer nicht mehr der Instruktor, sondern<br />

„Hintergr<strong>und</strong>lehrer“ ist, bedeutet dies auch, dass er seine persönliche Überzeugung <strong>im</strong><br />

„Hintergr<strong>und</strong>“ behält, indem er sich nicht als Ziel setzt, die Schüler auf eine katecheseartige<br />

Weise zu instruieren oder bekehren zu wollen bzw. best<strong>im</strong>mte Antworten als die einzig<br />

richtigen auszuweisen. Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass in<br />

Deutschland bereits die Würzburger Synode (1974) sich unmissverständlich von einer<br />

katechetischen Konzeption des schulischen Religionsunterrichts verabschiedet hat, aus der<br />

Überzeugung heraus, dass kein Schüler in der Schule zu religiösen Handlungen, Vollzügen <strong>und</strong><br />

Erfahrungen verpflichtet werden darf, da dies die Begründung der Existenz dieses Fachs <strong>im</strong><br />

Fächerkanon der staatlichen Schulen untergraben würde. Die Synode betont, dass Inhalt <strong>und</strong><br />

Ziel des schulischen Religionsunterricht nicht der religiöse Vollzug sein kann, sondern<br />

vielmehr verantwortliches Denken <strong>und</strong> Handeln <strong>im</strong> Hinblick auf Religion <strong>und</strong> Glauben<br />

anvisiert werden soll, <strong>und</strong> insofern die Befähigung der Schüler, verstehen zu lernen, worum es<br />

337 Vgl. MENDL 2002, 173.<br />

85


in der Religion <strong>und</strong> <strong>im</strong> Glauben überhaupt geht. 338 Bereits diesem Schreiben liegt also ein<br />

gewisses konstruktivistisches Verständnis zugr<strong>und</strong>e. Auch in den Luxemburger<br />

Sek<strong>und</strong>arschulen der Religionsunterricht konstruktivistisch ausgerichtet. Die Schüler sollen,<br />

entgegen dem was verschiedene – von den <strong>Religionslehrer</strong>n selbst als unangebracht<br />

empf<strong>und</strong>enen – Bezeichnungen für das Fach es vermuten lassen („Instruction religieuse“,<br />

„Doctrine chrétienne“), nicht unterwiesen oder gar indoktriniert werden, sondern vielmehr<br />

dazu befähigt werden, sich ihren eigenen Standpunkt in allgemein ethischen <strong>und</strong> speziell<br />

religiösen Fragen zu konstruieren (wobei sich die Frage nach der Viabilität natürlich dennoch<br />

stellt) 339 . In einem noch nicht veröffentlichten Textentwurf der Luxemburger<br />

<strong>Religionslehrer</strong>konferenz <strong>und</strong> der beiden Programmkommissionen für das Fach „Instruction<br />

religieuse et morale“ <strong>im</strong> Hinblick auf die Endfassung des Sozialwortes der Katholischen<br />

Kirche von Luxemburg, in dem auch zu schulischen Fragen Stellung genommen werden soll,<br />

heißt es diesbezüglich:<br />

„Der Religionsunterricht thematisiert, reflektiert <strong>und</strong> problematisiert die Werte, die in der jüdischchristlichen<br />

Tradition verankert sind <strong>und</strong> unsere Kultur <strong>und</strong> unser Gemeinwesen tief <strong>und</strong> nachhaltig<br />

geprägt haben <strong>und</strong> noch prägen. Der Religionsunterricht bietet dem Schüler die Möglichkeit, die<br />

individuellen Lebenserfahrungen <strong>und</strong> Existenzfragen mit den Sinnangeboten verschiedener Kulturen,<br />

Religionen <strong>und</strong> Weltanschauungen zu konfrontieren, um sich eine eigene Überzeugung in spirituellen<br />

<strong>und</strong> moralischen Fragen zu bilden.<br />

In einer globalisierten Welt ist der Dialog der Religionen <strong>und</strong> Kulturen notwendig, sinn- <strong>und</strong><br />

friedensstiftend. Dazu bedarf es neben notwendigem Wissen von eignen <strong>und</strong> fremden religiösen<br />

Traditionen <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>lagen auch dem Erlernen der Grammatik <strong>und</strong> Symbolik der religiösen<br />

Sprache(n).<br />

Die Wissensvermittlung bleibt demnach auch weiterhin für den Religionsunterricht von Wichtigkeit,<br />

aber es soll nicht bei der Weitergabe von Erlerntem bleiben. Angesichts der Komplexität des Lebens,<br />

der Gesellschaft <strong>und</strong> der Geschichte bemüht sich der Religionsunterricht bei den Jugendlichen <strong>und</strong><br />

jungen Erwachsenen eine eigenständige Identität <strong>und</strong> einen Sinn für Selbst- <strong>und</strong> Mitverantwortung zu<br />

entwickeln.“ 340<br />

338 Der Unterschied zwischen Katechese <strong>und</strong> schulischem Religionsunterricht könnte man unseres Erachtens so<br />

definieren, dass die Katechese als pr<strong>im</strong>äres Ziel die Glaubensunterweisung <strong>und</strong> Glaubensvertiefung hat, während<br />

der schulische Religionsunterricht die autonome Konstruktion der Religiosität <strong>und</strong> Spiritualität anvisiert. Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong> gehört die Katechese in die Gemeindearbeit, nicht aber in die Schule. Vgl. DILLEN/POLLEFEYT<br />

2005, 262.<br />

339 Das konstruierte Wissen würden wir als viabel bezeichnen, wenn es das Subjekt, d.h. den Schüler<br />

handlungsfähig macht.<br />

340 Dieser Text ist (noch) nicht veröffentlicht, wird aber mit der Erlaubnis der Autoren zitiert, da er eine gute<br />

Zusammenfassung verschiedener Positionsbest<strong>im</strong>mungen der letzten Jahre darstellt.<br />

86


Ähnlich heißt es in den bereits seit einigen Jahren gültigen Leitlinien der Luxemburger<br />

<strong>Religionslehrer</strong>konferenz:<br />

„Reine Wissensvermittlung [reicht] nicht aus. Es bedarf [...] der Förderung von Kompetenzen. Von<br />

daher möchte das Fach ‚Instruction religieuse et morale’ Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler unterstützen,<br />

sowohl kognitive als auch emotionale Fähigkeiten <strong>und</strong> Fertigkeiten zu entwickeln, damit sie ihr<br />

persönliches Lebensprojekt entdecken, entfalten <strong>und</strong> verwirklichen können. Dabei geht es dem Fach<br />

entsprechend vor allem darum, soziale, ethische <strong>und</strong> spirituelle Kompetenzen so zu entwickeln, dass<br />

die Jugendlichen <strong>und</strong> späteren Erwachsenen in den alltäglichen Lebenssituationen wissen, welche<br />

Fähigkeiten sie mobilisieren können, um Lebensfragen, ethische Probleme <strong>und</strong> Sinnfragen konstruktiv<br />

anzugehen. Ziel ist es, die Jugendlichen in ihrem Selbstfindungsprozess dahingehend zu unterstützen,<br />

dass sie ihr jetziges <strong>und</strong> zukünftiges Leben als sinnvoll erfahren <strong>und</strong> gestalten.“ 341<br />

Hier haben wir ein mehr oder weniger klares Bekenntnis für die Autonomie <strong>und</strong> gegen die<br />

Heteronomie <strong>im</strong> Religionsunterricht. An die Stelle von festen <strong>Wahrheit</strong>en tritt die eigene<br />

<strong>Wahrheit</strong> der Schüler. Damit der Schüler auf diese Weise autonom wird <strong>und</strong> sich seine<br />

Religiosität konstruieren kann, braucht er Anstöße. Genau diese Rolle soll der <strong>Religionslehrer</strong><br />

erfüllen. Mendl spricht in diesem Zusammenhang von „Außenreizen“, die er als<br />

„Perturbationen“ bezeichnet. 342 Dabei sind unseres Erachtens „starke“ „Perturbationen“ (mit<br />

entsprechenden Angeboten zu deren Verarbeitung) <strong>im</strong> Hinblick auf eine subjektive<br />

Auseinandersetzung <strong>und</strong> die Konstruktion von Religiosität bedeutsamer <strong>und</strong> wirksamer als<br />

„schwache“, weil sie provokanter <strong>und</strong> insofern interessanter sind.<br />

Deshalb behaupten wir: Wenn der Lehrer zum „Hintergr<strong>und</strong>lehrer“ wird, muss dies unseres<br />

Erachtens nicht bedeuten, dass er seine persönliche Überzeugung oder seine Leidenschaft nicht<br />

in den Religionsunterricht einbringen darf. Aus konstruktivistischer Sicht muss uns das sogar<br />

relativ unbedenklich scheinen, weil der Schüler als autopoietisches System weniger<br />

beeinflussbar, steuerbar <strong>und</strong> manipulierbar ist als allgemein angenommen. Mendl weist unseres<br />

Erachtens zu Recht darauf hin, dass der <strong>Religionslehrer</strong> darauf vertrauen kann, dass der<br />

Schüler diejenigen Inhalte aus dem Religionsunterricht behält, die ihm viabel erscheinen. 343<br />

Dazu gehört auch, dass der Lehrer nicht zu befürchten braucht, einzelne Schüler, die sich noch<br />

auf einer niederen Glaubensstufe befinden (noch „<strong>im</strong> Kinderglauben stecken“), zu überfordern<br />

oder in eine tiefe Krise zu stürzen, wenn er z.B. verschiedene biblische Aussagen oder<br />

Glaubensaussagen als theologisch-symbolische statt wortwörtlich zu nehmende Aussagen<br />

interpretiert. An dieser Stelle denken wir an die Aussage einer Kinderpsychologin: „Die Kinder<br />

341 http://www.men.lu/edu/fre/hor/pdf/4M/MORCH/MORCH_4M_2_0.pdf (28.11.05)<br />

342 Vgl. MENDL 2005b, 17.<br />

343 Vgl. MENDL 2005b, 26.<br />

87


hören das, was sie hören wollen.“ In anderen Worten: Sie filtern das heraus, was ihnen viabel<br />

erscheint.<br />

Es können allerdings noch weitere Aspekte hervorgehoben werden:<br />

- Oben haben wir die ethischen Konsequenzen des <strong>Konstruktivismus</strong> herausgearbeitet<br />

(Toleranzgebot, Ablehnung des <strong>Wahrheit</strong>s- <strong>und</strong> Überlegenheitsanspruchs,<br />

Bescheidenheit, Akzeptanz von Pluralität, Begründungspflicht, Verantwortungsakzeptanz<br />

usw.). Auch in dieser Hinsicht scheint uns eine konstruktivistische Färbung<br />

des Religionsunterrichts interessant. In den Lehrplänen des Religionsunterrichts (aber<br />

auch des Ethikunterrichts) ist die Erziehung zu Toleranz, Solidarität, Gerechtigkeit <strong>und</strong><br />

Liebe als zentrales Lernziel vorhanden. Es wird wohl von niemandem ernsthaft<br />

bestritten werden, dass es sich bei diesen Ethika um f<strong>und</strong>amentale Kompetenzen<br />

handelt, die die Existenz in unserer pluralen Gesellschaft ermöglichen. Ein<br />

konstruktivistisch gesinnter Religionsunterricht, der von einer Pluralität von<br />

gleichrangigen Wirklichkeitskonstruktionen <strong>und</strong> <strong>Wahrheit</strong>sverständnissen <strong>und</strong> der<br />

Unmöglichkeit der Erkenntnis der Realität an sich ausgeht, könnte dem Erreichen<br />

dieser Lernziele förderlich sein.<br />

- Klein plädiert, <strong>im</strong> Anschluss an Mildenberger <strong>und</strong> Dalferth, für eine <strong>Theologie</strong> als<br />

pragmatisch-operativ orientierte Wissenschaft. Insgesamt soll wissenschaftliche<br />

Aktivität unter konstruktivistischen Vorzeichen menschenbezogener <strong>und</strong><br />

anwendungsorientierter werden. In Anlehnung an diese Konzeption könnte man auch<br />

den Religionsunterricht als pragmatisch-operativ orientierten Unterricht verstehen, d.h.<br />

als einen Unterricht, der möglichst lebensdienlich oder „lebenskompetenzfördernd“ ist.<br />

Im Mittelpunkt der Überlegungen der Lehrer bzw. der Verfasser der Lehrpläne muss<br />

also die Frage stehen: Was ist besonders wichtig? Was ist dem Schüler in der<br />

Konstruktion seines Lebensprojektes dienlich?<br />

- Des Weiteren haben wir unterstrichen, dass die konstruktivistische Epistemologie <strong>und</strong><br />

die konstruktivistische <strong>Theologie</strong> als pragmatisch-operativ orientierte Wissenschaften<br />

das Interesse von „Was-Fragen“ auf „Wie-Fragen“ lenken. Für die Religionspädagogik<br />

bedeutet das, dass sie sich nicht nur mit den Inhalten des Unterrichts befassen soll,<br />

sondern sich die „Wie-Frage“ in Bezug auf das Lernen stellt. Hierzu schreibt Mendl,<br />

dass auch <strong>im</strong> Lernprozess die vier Evidenzquellen, die Lampe <strong>im</strong> Zusammenhang der<br />

Entstehung der Evangelien genannt hat, vorhanden sind: Lernen geschieht durch das<br />

88


Zusammenspiel von sinnlicher Wahrnehmung (Konfrontation mit neuen Inhalten <strong>und</strong><br />

Erfahrungen), kognitiver Konstruktion (Verknüpfung mit bereits vorhandenem<br />

Vorwissen), sozialer Bestätigung (Austausch mit anderen Lernenden) <strong>und</strong> emotionalem<br />

Erleben (Einstellung zum Thema, zum Lehrer, zur Lerngruppe, allgemeine situative<br />

Gest<strong>im</strong>mtheit). 344<br />

Abschließend sei angemerkt, dass ein pädagogischer <strong>Konstruktivismus</strong> unseres Erachtens<br />

<strong>im</strong>mer nur ein „gemäßigter“ <strong>Konstruktivismus</strong> sein kann – in dem auch Platz für<br />

instruktivistische Elemente ist – <strong>und</strong> kein Verzicht auf Didaktik mit sich bringen kann, nach<br />

dem Motto: Wenn jeder nach eigenen Bedingungen lernt, dann genügt es, die Schüler mit<br />

fremden Welten zu konfrontieren <strong>und</strong> abzuwarten, bis ein spontaner Erkenntnisvorgang<br />

auftritt. Diese Einstellung wäre didaktisch nicht akzeptabel. Die Aufnahme des<br />

konstruktivistischen Gedankenguts in die Religionspädagogik bedeutet nicht das Ende der<br />

Didaktik, sondern vielmehr eine neue Ausrichtung derselben. 345 Deshalb gilt es <strong>im</strong> Bereich der<br />

Religionspädagogik ein Gleichgewicht zu finden zwischen der unauflösbaren Spannung<br />

zwischen der Normativität von Bildungsprozessen <strong>und</strong> der Überzeugung der Konstruktionalität<br />

des Lernens. In anderen Worten: Die Religionspädagogik muss mit dem Dilemma umgehen<br />

können, in das der pädagogische <strong>Konstruktivismus</strong> führt: Einerseits sind Lernprozesse <strong>im</strong>mer<br />

absichthaft angelegt, andererseits verneint der <strong>Konstruktivismus</strong> die gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Voraussehbarkeit des Lernens. Die Frage lautet also: „Wie können übergreifende Bildungsziele<br />

so konkret auf Lehr- <strong>und</strong> Lernprozesse bezogen werden, dass trotzdem innerhalb dieses<br />

Rahmens genügend Spielraum für die Entwicklung individueller Lernlandschaften bleibt?“ 346<br />

Die Antwort scheint uns in einer ges<strong>und</strong>en Mischung von instruktivistisch-kollektiven <strong>und</strong><br />

konstruktivistisch-individuellen Unterrichtselementen zu liegen. Auch (guter)<br />

„Frontalunterricht“ (z.B. ein interessant gestalteter Lehrervortrag) oder eine übergreifende<br />

Ergebnissicherung können individuelle Konstruktionen fördern. Sowieso gilt: Unabhängig<br />

davon, ob der Unterricht „instruktivistisch“ oder „konstruktivistisch“ angelegt ist, der<br />

Lernprozess ist <strong>im</strong>mer konstruktional. 347<br />

5.4 Zusammenfassung<br />

344 Vgl. MENDL 2005b, 17-18.<br />

345 Vgl. MENDL 2005b, 19.<br />

346 MENDL 2005, 20.<br />

347 Bei der Evaluation (Leistungsbeurteilung) sollte dann darauf achtgegeben werden, dass diese sich nicht nur auf<br />

die instruktivistischen, sondern auch auf die konstruktivistischen Unterrichtselemente bezieht. Es sollte also nicht<br />

nur „hängengebliebenes“ Wissen geprüft werden, sondern durch Transfer-Fragen auch die Konstruktionen<br />

evaluiert werden, die in dem Unterricht ausgelöst worden sind, sowie die Fähigkeit, sich mit diesen<br />

Konstruktionen auseinander zu setzen. Vgl. MENDL 2005b, 37.<br />

89


Zusammenfassend sei gesagt, dass die Konsequenz des <strong>Konstruktivismus</strong> für Seelsorge <strong>und</strong><br />

Religionspädagogik die von Ammermann geforderte Gr<strong>und</strong>haltung von Seelsorgern <strong>und</strong><br />

Lehrern ist, die ihnen Anvertrauten als „Konstrukteure von Religiosität bzw. von<br />

Daseinsbewältigung“ zu verstehen <strong>und</strong> auch ernst zu nehmen. 348 Das Subjekt soll betrachtet<br />

werden als „Erzeuger <strong>und</strong> Generierer kognitiver Modelle von Religiosität <strong>und</strong> Glaube [...].“ 349<br />

G. Büttner hebt in diesem Zusammenhang <strong>im</strong> Anschluss an Heinz von Foerster die Bedeutung<br />

der „prinzipiell unentscheidbaren Fragen“ hervor. Von Foerster schreibt: „Nur die Fragen, die<br />

prinzipiell unentscheidbar sind, können wir entscheiden [...], weil über entscheidbare Fragen<br />

schon <strong>im</strong>mer durch die Wahl des Rahmens, in dem sie gestellt wird, entschieden wird. Der<br />

Rahmen selbst mag sogar eine Antwort auf die ihm gestellte prinzipielle unentscheidbare Frage<br />

sein.“ 350<br />

348 AMMERMANN 2000, 7.<br />

349 AMMERMANN 2000, 345.<br />

350 VON FOERSTER 1996, 29. Von Foerster erläutert hier den Unterschied zwischen Antworten auf „entscheidbare<br />

Fragen“ <strong>und</strong> Antworten auf „unentscheidbare Fragen“. Erstere werden von Notwendigkeiten diktiert, letztere<br />

werden durch die Freiheit unserer Wahl, für die das menschliche Subjekt Verantwortung übernehmen muss,<br />

best<strong>im</strong>mt. Vgl. VON FOERSTER 1996, 28-29.<br />

90


6. KONSTRUKTIVISMUS UND DIE FRAGE DES GEMEINSAMEN<br />

WERTE- UND WELTANSCHAUUNGSUNTERRICHTS<br />

6.1 Hinführung<br />

In Luxemburg wird seit Jahrzehnten von diversen Parteien <strong>und</strong> anderen Bewegungen die<br />

Abschaffung der seit 1968 bestehenden Parallelstruktur des kirchlichen Religionsunterrichts<br />

einerseits <strong>und</strong> des laizistischen Ethikunterrichts andererseits, sprich die Abschaffung des<br />

konfessionellen Unterrichts <strong>und</strong> die Verschmelzung der Fächer „Instruction religieuse et<br />

morale“ <strong>und</strong> „Formation morale et sociale“ zu einem gemeinsamen bekenntnisfreien Ethik<strong>und</strong><br />

Religionsunterricht bzw. Werte- <strong>und</strong> Weltanschauungsunterricht („Einheitskurs“)<br />

gefordert. 351 Folgende Gesichtspunkte werden meist als Begründung angeführt: 1) Dem<br />

mittlerweile weitverbreiteten religiösen Analphabetismus ließe sich am besten durch eine<br />

Religionsk<strong>und</strong>e für alle entgegenwirken. 2) Ein gemeinsamer nichtkonfessioneller Unterricht<br />

könnte dazu beitragen, Toleranz einzuüben <strong>und</strong> das Verhältnis zwischen den einzelnen<br />

Religionen <strong>und</strong> Konfessionen zu entspannen. 3) Die konfessionelle Lage hat sich verändert:<br />

Unsere Luxemburger Gesellschaft hat sehr wohl christliche Wurzeln, ist aber nicht mehr<br />

christlich geprägt, besteht sie doch mittlerweile aus ca. 2% Musl<strong>im</strong>en. Welches Argument<br />

spricht also dafür, dass die katholische Kirche das Recht hat, in den staatlichen Schulen einen<br />

Religionskurs anzubieten, während dieses Recht z.B. den Musl<strong>im</strong>en vorenthalten wird? Dieses<br />

Argument ist in unseren Augen tatsächlich nicht so leicht von der Hand zu weisen. 352 Radikaler<br />

wird aber auch gefragt: Welches Recht haben die Religionen, in einer staatlichen Schule zu<br />

unterrichten? Unter den Luxemburger <strong>Religionslehrer</strong>n gibt es, so wissen wir aus Erfahrung, in<br />

der Frage „konfessioneller Religionsunterricht versus bekenntnisneutraler Werte- <strong>und</strong><br />

Weltanschauungsunterricht“ (noch) kein einheitliches Meinungsbild (mehr): Während die<br />

einen den konfessionellen Unterricht nicht so schnell aufgeben möchten, sehen andere in der<br />

Einführung eines „Einheitskurses“ eine auf die Dauer durchaus sinnvolle Lösung. Allerdings<br />

scheinen unseres Erachtens in der gesamten Diskussion um diese Frage in erheblichem Maße<br />

politisch-ideologische Gesichtspunkte eine Rolle zu spielen: Letztendlich steht die Frage <strong>im</strong><br />

351 Im deutschen B<strong>und</strong>esland Brandenburg gibt es seit Anfang der 1990er Jahre einen derartigen gemeinsamen<br />

„bekenntnisfreien“ Werte- <strong>und</strong> Weltanschauungsunterricht mit der Bezeichnung „Lebensgestaltungs-Ethik-<br />

Religionsunterricht“ (LER), der für alle Schüler verpflichtend ist. Man kann sich jedoch von diesem Unterricht<br />

mittels schriftlicher Anfrage entbinden lassen <strong>und</strong> stattdessen einen von den christlichen Kirchen in „Eigenregie“<br />

angebotenen Religionsunterricht besuchen.<br />

352 Auf die veränderte konfessionelle Lage könnte man freilich auch dadurch reagieren, indem man neben dem<br />

christlichen Religionsunterricht auch einen musl<strong>im</strong>ischen <strong>und</strong> einen jüdischen einführen würde. Dies scheint uns<br />

allerdings schon allein in organisatorischer Hinsicht nicht sinnvoll <strong>und</strong> nicht realisierbar.<br />

92


Vordergr<strong>und</strong>, wer die Schüler in Sachen Wertevermittlung unterrichten soll, <strong>und</strong> nicht so sehr<br />

die unvoreingenommene Frage, welche Werteerziehung für den Luxemburger Schüler des 21.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts am nützlichsten bzw. am „lebensdienlichsten“ ist. Diese Frage sollte unserer<br />

Meinung nach jedoch <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong> stehen, <strong>und</strong> deshalb sollen ihr auch die folgenden<br />

Überlegungen gewidmet sein. Dieses Schlusskapitel soll weder ein Plädoyer für die<br />

Einführung des gemeinsamen Werte- <strong>und</strong> Weltanschauungsunterricht, d.h. für die Abschaffung<br />

des konfessionellen Religionsunterrichts, noch ein Plädoyer für die Beibehaltung der seit 1968<br />

bestehenden Doppelstruktur sein. Unsere Frage lautet vielmehr: Wie stellt sich die Frage<br />

„konfessioneller Religionsunterricht versus bekenntnisneutraler Werte- <strong>und</strong><br />

Weltanschauungsunterricht“ aus konstruktivistischer Sicht dar? Was spricht aus<br />

konstruktivistischer Perspektive für oder gegen einen solchen gemeinsamen Werte- <strong>und</strong><br />

Weltanschauungsunterricht 353 ? Es sei bereits angedeutet, dass die Beantwortung dieser Frage<br />

differenziert ausfallen muss – gibt es doch auch aus der Perspektive des <strong>Konstruktivismus</strong><br />

Argumente für <strong>und</strong> Argumente gegen die Einführung des „Einheitskurses“. 354<br />

6.2 Für den bekenntnisfreien Unterricht<br />

Wenn es st<strong>im</strong>mt, dass<br />

- jeder Mensch ein autopoietisches, strukturdeterminiertes Wesen ist;<br />

- jedes Subjekt Konstrukteur seiner eigenen Wirklichkeit – auch in spirituellen <strong>und</strong><br />

religiösen Fragen – ist;<br />

- man den Menschen nicht in eine best<strong>im</strong>mte Richtung lenken kann, sondern <strong>im</strong>mer nur<br />

seine „Selbststeuerung“ bzw. die Vergrößerung seiner selbstorganisatorischen<br />

Fähigkeit anvisieren kann;<br />

- der Mensch <strong>im</strong>mer nur <strong>im</strong> Sinne seiner bereits vorhandenen kognivitiven <strong>und</strong><br />

somatischen Struktur reagiert;<br />

353 Die genaue Bezeichnung für dieses Fach wäre noch zu finden. In unseren Augen ist jedenfalls der Begriff<br />

“Werteunterricht” nicht zufriedenstellend, weil weder der Religions- noch der Moralunterricht beanspruchen<br />

können, das Monopol in der Wertevermittlung zu besitzen. Vertreter der Disziplinen “Sprachen”, “Geschichte”<br />

oder “Biologie” würden sich mit Recht dagegen wehren, wenn behauptet würde, in diesen Fächern würden keine<br />

Wertevermittlung stattfinden. Ein wertefreier Unterricht ist unseres Erachtens nicht möglich <strong>und</strong> auch nicht<br />

erstrebenswert.<br />

354 Manche St<strong>im</strong>men in Luxemburg fordern sogar die ersatzlose Streichung des Religionsunterrichts <strong>und</strong> die<br />

Verlagerung des Themas "Religion" in andere Fächer, in erster Linie den Geschichtsunterricht. Da in diesen<br />

Fächern Religion <strong>im</strong>mer nur am Rande behandelt werden könnte, die Schüler sich erfahrungsgemäss aber<br />

existentiell-religiöse Fragen wie "Was ist der Sinn des Lebens" oder "Was geschieht nach dem Sterben?" intensiv<br />

stellen <strong>und</strong> zu Recht Antwortversuche vorgestellt bekommen möchten sowie – trotz abnehmender kirchlicher<br />

Prägung – eine gewisse Faszination für das Religiöse an den Tag legen, scheint uns diese Lösung inakzeptabel<br />

<strong>und</strong> gegen den allgemeinen Bildungsauftrag der Schule zu verstoßen.<br />

93


dann heißt das für mich als Lehrer, dass ich mir bewusst werden muss, dass ich die<br />

Möglichkeit einer Einflussnahme auf den Schüler nie genug unterschätzen kann. Gibt es dann<br />

noch einen Gr<strong>und</strong>, sich als <strong>Religionslehrer</strong> oder als Theologe gegen einen solchen Einheitskurs<br />

zu wehren? Muss man dann nicht ein klassisches Axiom der Religionspädagogik in Frage<br />

stellen, das der Trierer Religionspädagoge W. Lentzen-Deis wie folgt resümiert: „Ein<br />

allgemein-religiöser Unterricht, der neutral sein muss, wird auf unverbindliches<br />

religionsk<strong>und</strong>liches Beschreiben <strong>und</strong> Vergleichen unterschiedlicher Konfessionen, Religionen<br />

oder Weltanschauungen hinauslaufen. Das genügt nicht für den lebendig-persönlichen<br />

Bildungsprozess. Auf diese Weise lernen Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler keine konkrete Konfession<br />

oder Religion authentisch kennen. Sie können sich nicht an der Standpunkthaftigkeit von<br />

Lehrenden reiben, um so in Auseinandersetzung mit ausgeprägten religiösen Positionen zur<br />

eigenen Glaubensüberzeugung zu finden.“ 355 Aus konstruktivistischer Sicht stellt sich die<br />

Frage: Kann nicht auch ein nicht-bekennender <strong>Religionslehrer</strong> dem konstruierenden Schüler<br />

Impulse geben, die ihm bei seinem religiös-spirituellen Konstruktionsprozess dienlich sind?<br />

Erfahrungsgemäß kann auch ein Biologielehrer, der keine besondere Leidenschaft für das<br />

Gebiet der Genetik hat, sondern eher <strong>im</strong> Bereich der Tierk<strong>und</strong>e zu Hause ist, bei einem<br />

dementsprechend veranlagten Schüler eine Leidenschaft diesbezüglich erwecken, so wie auch<br />

ein Französischlehrer, dessen Herz eher für zeitgenössische Prosa schlägt, bei einem Schüler<br />

ein Interesse an mittelalterlicher Dichtung erwecken kann. Erfahrungsgemäß kann auch ein<br />

schlechter Religionsunterricht <strong>im</strong>mer wieder Studenten für ein <strong>Theologie</strong>studium oder ein<br />

schlechter Geschichtsunterricht Studenten für ein Geschichtsstudium motivieren. Diese<br />

Beispiele ließen sich freilich vervielfältigen. Deshalb lautet eine unserer Thesen: Auch ein<br />

bekenntnisfreier Religionsunterricht <strong>im</strong> Sinne einer Religionsk<strong>und</strong>e kann dem Schüler helfen,<br />

seinen ethischen, spirituellen <strong>und</strong> religiösen Standpunkt zu konstruieren.<br />

Wenn man aus konstruktivistischer Perspektive für die Einführung des „Einheitskurses“<br />

plädiert, stellt sich die Frage, wie ein solcher „Einheitskurs“ konstruktivistisch verstanden<br />

werden könnte. Vertreter einer (explizit oder <strong>im</strong>plizit) konstruktivistischen <strong>Theologie</strong><br />

(hauptsächlich Klein, <strong>im</strong> Anschluss an Mildenberger, Fischer, Dalferth/Stoellger) verstehen<br />

<strong>Theologie</strong> als eine Beobachtung zweiter Ebene, die sich von der Ebene des religiösen Vollzugs<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich unterscheidet, <strong>und</strong> deren Gegenstand nicht die „Wirklichkeit“, sondern der<br />

„Geist“ ist, den sie in den geschichtlichen Urk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> <strong>im</strong> Lebensvollzug der Kirche findet,<br />

nicht aber in der Offenbarung <strong>und</strong> in der Vernunft. Analog dazu könnte man den einheitlichen<br />

Werte- <strong>und</strong> Weltanschauungsunterricht konzipieren als Beobachtung zweiter Ebene, die sich<br />

von der Ebene des konkreten Lebensvollzugs (d.h. des moralischen Handelns <strong>und</strong> des<br />

355 Vgl. LENTZEN-DEIS 2002, 92-93.<br />

94


spirituell-religiösen Vollzugs) gr<strong>und</strong>sätzlich unterscheidet, <strong>und</strong> deren Gegenstand nicht eine<br />

best<strong>im</strong>mte „Wirklichkeit“ ist, sondern der „Geist“, der in der Geschichte <strong>und</strong> <strong>im</strong> konkreten<br />

Lebensvollzug einzelner Gruppen zugänglich ist, nicht aber in best<strong>im</strong>mten Offenbarungen <strong>und</strong><br />

religiösen Schriften.<br />

Sollte der gemeinsame Werteunterricht eingeführt werden, stellt sich notgedrungen die Frage,<br />

wer dieses Fach unterrichten wird. Die Interessenten werden hauptsächlich aus Philosophen<br />

<strong>und</strong> Theologen – d.h. den Vertretern der bisherigen beiden Fächern, die durch das neue Fach<br />

ersetzt würden – bestehen. Versteht man <strong>Theologie</strong> <strong>im</strong> Anschluss an Dalferth <strong>und</strong> Klein als<br />

Metatheorie, als „Beobachtung zweiter Ordnung“ <strong>und</strong> als pragmatisch-operative<br />

Orientierungswissenschaft,<br />

- die sich der Subjektabhängigkeit, der Relativität <strong>und</strong> der Konstruktionalität ihrer<br />

Aussagen bewusst ist;<br />

- die an der Viabilität, sprich der Lebensdienlichkeit ihrer Entwürfe interessiert ist;<br />

- die auf einen <strong>Wahrheit</strong>s- <strong>und</strong> Absolutheitsanspruch verzichtet;<br />

- die sich nicht als „christliche Binnenreflexion“ versteht, sondern als ein<br />

selbstreferentielles Operieren, das sich von der Ebene des religiösen Vollzugs<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich unterscheidet;<br />

so besteht unseres Erachtens keine Ursache für Bedenken bezüglich einer Beauftragung der<br />

Theologen zu den Vertretern dieses Fachs oder bezüglich der Gefahr der Manipulation oder<br />

Indoktrination der Schüler durch die Vertreter der Disziplin „<strong>Theologie</strong>“.<br />

6.3 Für den konfessionellen Unterricht<br />

Siegfried Schmidt, einer der führenden zeitgenössischen Vertreter des philosophischen<br />

<strong>Konstruktivismus</strong>, vertritt <strong>im</strong> Anschluss an von Glasersfeld, Maturana u.a. nach wie vor die<br />

Meinung, dass der Mensch in allen Bereichen, also auch <strong>im</strong> spirituell-religiösen, Konstrukteur<br />

seiner Wirklichkeit ist. Er betont allerdings in letzter Zeit, so wie er mir in einem persönlichen<br />

Austausch per E-Mail mitteilte, dass der Mensch bei all seinen Konstruktionen etliche<br />

Voraussetzungen beansprucht, die sich aus seiner Erziehung <strong>und</strong> seinem soziokulturellen<br />

Umfeld ergeben. Zu diesen Voraussetzungen gehören auch Orientierungsangebote, die ihm von<br />

Eltern, Erziehern, Lehrern oder anderen Vorbildern geboten werden, <strong>und</strong> die er in seinem<br />

konstruktionalen Prozess mit verarbeitet. Übertragen auf den Ethik- <strong>und</strong> Religionsunterricht<br />

würde dies bedeuten, dass dem Schüler in seinem Konstruktionsprozess f<strong>und</strong>ierte Positionen<br />

seiner Referenzpersonen (in erster Linie seiner Lehrer) von Nutzen sind. Aus lerntheoretischer<br />

95


Sicht heißt das: Gerade die These, dass der Schüler auch in religiösen Dingen<br />

Wirklichkeitskonstrukteur ist, ermöglicht das Einbringen klarer Positionen seitens der Lehrer.<br />

Diese Positionen sollten freilich nicht den Charakter von Indoktrinationsversuchen haben,<br />

sondern als Anstöße – Mendl spricht bekanntlich von „Perturbationen“ – verstanden werden<br />

mit dem Ziel der Förderung der der Konstruktion eigener Religiosität be<strong>im</strong> Schüler. Ohnehin<br />

kann ich als Lehrer, der konstruktivistischen Lerntheorie zufolge, nicht mehr tun als Anstöße<br />

geben: Was das Subjekt mit diesen Anstößen konstruiert, liegt außerhalb meines Einflusses.<br />

Erfahrungsgemäß stört eine konsequente „Bekenntnisverweigerung“ seitens der Lehrer die<br />

Schüler genauso wie „Bekehrungsversuche“ <strong>und</strong> bewirkt lediglich Langeweile <strong>und</strong><br />

Desinteresse.<br />

Halten wir fest: Auch eine konstruktivistische Lerntheorie bedeutet nicht notgedrungen den<br />

Verzicht auf Positionalität des Lehrers <strong>und</strong> <strong>im</strong>pliziert nicht unbedingt die Notwendigkeit der<br />

Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts. Sogar wenn dieser konfessionelle<br />

Unterricht ein indoktrinierender Unterricht wäre (dies wird den <strong>Religionslehrer</strong>n oft<br />

vorgeworfen, auch wenn es erfahrungsgemäß nicht den Tatsachen entspricht), würde der<br />

Schüler als strukturdeterminiertes Wesen keinen erheblichen Schaden erleiden, weil er sich<br />

ohnehin nicht manipulieren lässt <strong>und</strong> nur das „mitn<strong>im</strong>mt“, was ihm viabel erscheint. In<br />

gewisser Weise erleichtert eine konstruktivistische Betrachtungsweise also den konfessionellen<br />

Unterricht.<br />

Es sei angemerkt, dass man auch noch auf eine pragmatisch-konstruktivistische Art an die<br />

Frage „konfessioneller versus bekenntnisfreier Weltanschauungsunterricht“ herangehen kann:<br />

Der Mensch als Wirklichkeitskonstrukteur wählt sich diejenigen Orientierungsangebote aus,<br />

die ihm viabel erscheinen. Wenn Schüler (bzw. ihre Eltern) nach wie vor in hohem Maße (auch<br />

in Luxemburg liegen die Zahlen <strong>im</strong>mer noch weit über 50 %) 356 für eine Einschreibung in den<br />

konfessionellen Unterricht optieren, heißt das, dass sie das, was in diesem Fach angeboten<br />

wird, für lebensdienlich halten (auch wenn sie sich dem Konstrukt „katholisch“ in<br />

unterschiedlicher Intensität verb<strong>und</strong>en fühlen), so dass es zumindest aus dieser Perspektive<br />

keinen dringenden Gr<strong>und</strong> gibt, dieses Fach abzuschaffen.<br />

356 Vgl. die aktuellen Statistiken auf www.religionslehrer.lu.<br />

96


6.4 Schlussfolgerung<br />

Aus konstruktivistischer Sicht lässt sich die Frage „konfessioneller Religionsunterricht versus<br />

bekenntnisneutraler Werte- <strong>und</strong> Weltanschauungsunterricht“ nicht eindeutig beantworten. Es<br />

gibt weder ein überzeugendes Argument für die Abschaffung des konfessionellen<br />

Religionsunterrichts noch ein einleuchtendes Argument gegen die Einführung des<br />

Einheitskurses. Darüber hinaus möchten wir aber als Ergebnis festhalten, dass, wenn der<br />

<strong>Konstruktivismus</strong> recht hat <strong>und</strong> der Schüler ein weitestgehend strukturdeterminiertes Wesen<br />

ist, die Frage, ob er sich seine Spiritualität <strong>und</strong> Religiosität bzw. seine Weltanschauung<br />

mithilfe eines bekenntnisneutralen oder mithilfe eines konfessionellen Unterrichts konstruiert,<br />

weniger entscheidend ist als oft angenommen – unter der Voraussetzung, dass der Unterricht,<br />

sei der nun „bekennend“ oder bekenntnisfrei, der Pluralität <strong>und</strong> der Konstruktionalität <strong>im</strong><br />

Bereich des Spirituellen, Religiösen, Weltanschaulichen <strong>und</strong> Ethischen Rechnung trägt. Es<br />

kommt also in erster Linie darauf an, wie der Religions- <strong>und</strong> Ethikunterricht konkret<br />

durchgeführt wird. Wie bei allen Orientierungsangeboten in Schule <strong>und</strong> Gesellschaft ist<br />

entscheidend, ob diese Angebote tatsächlich Angebote oder Indoktrinierungsversuche sind. So<br />

besteht bei einem konfessionellen Unterricht durchaus die Gefahr des F<strong>und</strong>amentalismus, bei<br />

einem bekenntnisneutralen Unterricht andererseits aber auch die Gefahr eines überbetonten<br />

Relativismus, der be<strong>im</strong> Schüler lediglich Desinteresse <strong>und</strong> Langeweile hervorruft. Weniger<br />

entscheidend ist also die Frage, ob der Lehrer „fest <strong>im</strong> Glauben steht“ oder nicht, sondern<br />

ausschlaggebend ist, dass er den Themenkomplex Weltanschauung, Religion <strong>und</strong> Ethik auf<br />

eine für den Schüler glaubwürdige Weise behandelt, so dass dieser eine für ihn lebensdienliche<br />

<strong>und</strong> viable, d.h. tragfähige Weltanschauung konstruieren kann. Zentrale Inhalte eines solchen<br />

Unterrichts, der als (schülergerechte) Beobachtung zweiter Ordnung betrachtet werden sollte,<br />

wären etwa die Reflexion über die durch verschiedene Quellen gespeiste Konstruktion unserer<br />

Weltanschauung, eine Auseinandersetzung mit der Frage, wieso wir Weltanschauung<br />

brauchen, die Untersuchung, welche Weltanschauung welche Probleme löst <strong>und</strong> welche<br />

Probleme schafft, d.h. welche Weltanschauung in welchem Maße viabel ist. Damit die ethische<br />

Selbstorientierung der Schüler in diesen Fragen tatsächlich gefördert wird, sollte der Lehrer<br />

sich in diesen Diskussionen als ein an diesen Fragen sehr Interessierter zeigen, damit er<br />

tatsächlich „Perturbationen“ auslösen kann.<br />

Zusammenfassend möchten wir mit den Worten von Foersters festhalten, dass es sich bei der<br />

Frage „konfessioneller Religionsunterricht oder bekenntnisfreier Weltanschauungsunterricht“<br />

um eine „nichttriviale“ <strong>und</strong> somit nicht-entscheidbare Frage handelt. In anderen Worten: So<br />

wie es <strong>im</strong> <strong>Konstruktivismus</strong> prinzipiell kein „richtig“ <strong>und</strong> kein „falsch“ gibt, sondern nur<br />

97


viable <strong>und</strong> nicht viable Wege, so gibt es auch in dieser Frage keine „richtige“ <strong>und</strong> keine<br />

„falsche“ Lösung, sondern mehr oder weniger gangbare Wege. Es gilt also, sich folgende Frage<br />

zu stellen: Welches Modell ist dem Luxemburger Schüler des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts am<br />

lebensdienlichsten? Die Verantwortlichen müssen sich überlegen: Welche Probleme bringt die<br />

bisherige Doppelstruktur mit sich (eine best<strong>im</strong>mte Religion, die in unserer Gesellschaft längst<br />

nicht mehr das Monopol hat, hat das Recht, in der öffentlichen Schule zu unterrichten, andere<br />

Religionen nicht) <strong>und</strong> welche Probleme würden durch einen „Einheitskurs“ gelöst <strong>und</strong><br />

umgekehrt? Es geht also darum, eine in unserem pluralen sozialen Kontext viable Lösung zu<br />

finden, die von möglichst vielen betroffenen Partnern als akzeptabel, d.h. als brauchbar,<br />

passend <strong>und</strong> lebensdienlich angesehen werden kann. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass<br />

„wahre“ Wege <strong>im</strong> konstruktivistischen Sinn nur „temporär unstrittige“ Wege (S. Schmidt)<br />

sind, was bedeutet, dass Wege, die während einer gewissen Zeit als „wahr“ angesehen worden<br />

sind, zu einem gewissen Zeitpunkt ihre <strong>Wahrheit</strong> verlieren können, aufgr<strong>und</strong> veränderter<br />

sozialer, kultureller, politischer <strong>und</strong> religiöser Bedingungen.<br />

Zum Schluss sei noch Folgendes angemerkt: „Radikalst-konstruktivistisch“ könnte man<br />

einwenden, dass ohnehin jeder Mensch sich seine Religiosität konstruiert (auch ohne<br />

Religionsunterricht), so dass man auf das Fach Ethik/Religion eigentlich ganz verzichten<br />

könnte. Hierauf möchten wir folgendes antworten. Erstens: Wenn wir derart<br />

radikalkonstruktivistisch denken, stellt sich die Frage, ob diese Beobachtung nicht auch auf die<br />

anderen Fächer zutrifft, was als radikale Folge die Abschaffung der Schule insgesamt zur Folge<br />

haben müsste – eine Position, die uns pädagogisch unverantwortlich scheint. Zweitens: Zur<br />

Konstruktion der Religiosität braucht es, wie wir <strong>im</strong> Anschluss an Mendl hervorgehoben,<br />

Anstöße, damit diese Religiosität viabel bzw. tragfähig wird.<br />

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