rheinform 01/2012 - RheinischeMuseen.de
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16 rheinschrift Fachartikel<br />
„Merhaba Stuttgart“ als<br />
partizipatives Projekt –<br />
Versuch einer Einordnung<br />
Für ethnologische Museen wird das Postulat<br />
verstärkter Partizipation auf mehreren, eng<br />
miteinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>nen Ebenen diskutiert.<br />
Vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>r kolonialzeitlichen<br />
Vergangenheit vieler Museen und <strong>de</strong>r<br />
problematischen Entstehungsgeschichte<br />
von Sammlungen wird <strong>de</strong>r Beziehung von<br />
ethnologischen Museen zu „ihren“ source<br />
communities heute hohe Be<strong>de</strong>utung beigemessen.<br />
8 Diese source communities sind<br />
zunächst <strong>de</strong>finiert als diejenigen Gemeinschaften,<br />
aus <strong>de</strong>nen spezifische Museumssammlungen<br />
stammen. Auch die Ethischen<br />
Richtlinien <strong>de</strong>s Internationalen Museumsrates<br />
(„ICOM“) formulieren unter Punkt<br />
6.: „Museen arbeiten sowohl mit <strong>de</strong>n Gemeinschaften,<br />
aus <strong>de</strong>nen ihre Sammlungen<br />
stammen, als auch mit <strong>de</strong>nen, welchen sie<br />
dienen, eng zusammen.“ 9 Diese Zusammenarbeit<br />
bezieht sich damit (für Völkerkun<strong>de</strong>museen)<br />
zunächst auf die Herkunftsgemeinschaften<br />
außerhalb Europas. Doch<br />
in <strong>de</strong>r globalisierten Welt <strong>de</strong>r Gegenwart<br />
mit ihren translokalen Verflechtungen leben<br />
Vertreter <strong>de</strong>r „source communities“ längst<br />
„vor Ort“, vor allem in großen städtischen<br />
Zentren. Folgerichtig sollte „die Museumstätigkeit<br />
[auch] diesen Umstän<strong>de</strong>n … aufgeschlossen<br />
[gegenüberstehen]“. 10<br />
Nicht speziell auf ethnologische Museen<br />
bezogen sind <strong>de</strong>r allgemeine Anspruch breit<br />
angelegter, besucherbezogener Partizipation<br />
sowie das Postulat <strong>de</strong>r interkulturellen<br />
Öffnung von Museen in Einwan<strong>de</strong>rungsgesellschaften.<br />
Diese Debatten entspringen<br />
letztlich einer gesellschaftskritischen Haltung<br />
und einer daraus abgeleiteten kritischen<br />
Museologie. Allerdings sind sie inzwischen<br />
auch eine Folge <strong>de</strong>r Notwendigkeit,<br />
neue Besucher- bzw. Zielgruppen zu erschließen<br />
und ein neues Selbstverständnis<br />
von Museen als gesellschaftlich relevanten<br />
Institutionen zu entwickeln. 11<br />
Bei <strong>de</strong>r Diskussion um Partizipation von<br />
„source communities“ kann sich <strong>de</strong>shalb<br />
die Frage stellen, ob das Einbeziehen (nur)<br />
einer spezifischen Gruppierung im Einzelfall<br />
nicht einer Haltung entgegensteht, die auf<br />
eine möglichst breite Einbindung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
allgemein zielt. Zum einen ist die<br />
I<strong>de</strong>ntität vieler Menschen facettenreich und<br />
lässt sich nicht mit Zugehörigkeit zu nur<br />
einer bestimmten „community“ erfassen.<br />
Viele Menschen mit Migrationshintergrund<br />
haben die <strong>de</strong>utsche Staatsangehörigkeit<br />
und <strong>de</strong>finieren sich – auch – als „Deutsche“.<br />
Zum an<strong>de</strong>ren gibt es, gera<strong>de</strong> unter<br />
<strong>de</strong>r türkeistämmigen Bevölkerung, eine<br />
reiche, äußerst fragmentierte Organisationslandschaft,<br />
in <strong>de</strong>r Akteure einan<strong>de</strong>r zum<br />
Teil sehr kritisch gegenüberstehen. So kann<br />
die Einbeziehung eines bestimmten Vereins<br />
durchaus kontraproduktive Auswirkungen<br />
haben, wenn an<strong>de</strong>re Organisationen sich<br />
übergangen fühlen.<br />
Das Anliegen <strong>de</strong>r Partizipation bei „Merhaba<br />
Stuttgart“ wur<strong>de</strong> nicht zuletzt vor diesem<br />
Hintergrund weniger „community“-bezogen<br />
als vielmehr als allgemeine Teilhabe<br />
und Mitwirkung aus <strong>de</strong>r Stadtgesellschaft<br />
heraus verstan<strong>de</strong>n, hier vertreten durch die<br />
Schulklassen und die Netzwerke <strong>de</strong>r Beteiligten.<br />
„Migrationshintergrün<strong>de</strong>“, nicht nur<br />
<strong>de</strong>r türkische, sind in dieser Stadtgesellschaft<br />
selbstverständlich. Dies galt auch<br />
für die Projektschülerinnen und -schüler,<br />
die sich zum Teil gut mit <strong>de</strong>n Migrationserzählungen<br />
<strong>de</strong>r Interviewpartnerinnen und<br />
-partner i<strong>de</strong>ntifizieren konnten, auch wenn<br />
sie selbst z. B. einen griechischen Hintergrund<br />
hatten.<br />
Einen Königsweg <strong>de</strong>r Partizipation gibt<br />
es nicht. 12 Es ist jedoch sinnvoll, sich über<br />
die eingeschlagenen Wege im Klaren zu<br />
sein und die Voraussetzungen konzeptioneller<br />
Entscheidungen zu benennen, um in<br />
<strong>de</strong>r aktuellen Diskussion verortbar zu wer<strong>de</strong>n.<br />
Der von Nina Simon in Anlehnung an<br />
„citizen science projects“ entwickelte, sehr<br />
allgemeine Analyserahmen für partizipative<br />
Museumsprojekte kann im Folgen<strong>de</strong>n auf<br />
„Merhaba Stuttgart“ angewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n:<br />
Simon unterschei<strong>de</strong>t vier, in Bezug auf<br />
die Gewichtung <strong>de</strong>r partizipativen Mitwirkung<br />
aufsteigen<strong>de</strong> Stufen, ohne dass<br />
damit eine Hierarchie <strong>de</strong>r Bewertung verbun<strong>de</strong>n<br />
wird. In <strong>de</strong>r Realität sind viele<br />
Projekte Mischformen – so auch „Merhaba<br />
Stuttgart“. Zunächst und vor allem ist die<br />
Ausstellung in unterschiedlicher Hinsicht<br />
als „contributory project“ anzusehen: Die<br />
Mitwirken<strong>de</strong>n leisten einen begrenzten Beitrag<br />
zu einem institutionell kontrollierten<br />
Prozess. 13 Dies gilt vor allem für die Interviewpartner<br />
und Leihgeber, aber auch für<br />
die Erstellung kleiner Ausstellungsmodule<br />
durch die Schülergruppen. Beiträge können<br />
jedoch auch die Ausstellungsbesucherinnen<br />
und -besucher über die Medienstation leisten.<br />
<strong>rheinform</strong><strong>01</strong>/2<strong>01</strong>2<br />
Annette Krämer | Merhaba Stuttgart