Nr. 69 - Soziale Welt
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<strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong> <strong>69</strong><br />
SOZIALE PROJEKTE INTERNATIONAL<br />
27<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong>: Wie bist Du mit dem<br />
Anfangs-Frust umgegangen?<br />
Anna: Den muss man einfach aushalten.<br />
Bei mir verschwand der Frust<br />
allmählich als ich die Sprache besser<br />
verstanden habe und die Erzieher und<br />
die Kinder mir vertrauten. Ich bin im Oktober<br />
2011 angekommen, im Dezember<br />
gab es Weihnachtsferien und nach den<br />
Ferien haben die Kinder mich freudig<br />
begrüßt. Dann habe ich gemerkt, dass<br />
ich akzeptiert wurde und angekommen<br />
war. Das war ein schöner Moment.<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong>: Gibt es kulturelle Unterschiede<br />
zwischen Nicaragua und Europa?<br />
die bei Las Tias arbeiten. Ich habe den<br />
Kindern ganz viel bei den Hausaufgaben<br />
geholfen, habe den kleineren die Hände<br />
gewaschen, sie entlaust, Essen ausgeteilt<br />
und mit ihnen gespielt. Zu Las Tias<br />
kommen 6 bis 13jährige Kinder. Ich war<br />
mit Kolleginnen für die jüngeren zuständig.<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong>: Wie haben die Kinder<br />
Dich aufgenommen?<br />
Anna: Die Kinder sind es gewohnt,<br />
dass Fremde kommen, um im Haus mitzuarbeiten.<br />
Nicaragua hat eine starke<br />
Tradition der Freiwilligen-Arbeit. Nach<br />
der sandinistischen Revolution gab es<br />
viele Unterstützungsprojekte für Nicaragua.<br />
Die Kinder sind sehr interessiert. Sie<br />
haben viel gefragt, wie zum Beispiel, wo<br />
genau ich herkomme, und wie ich nach<br />
Nicaragua gekommen bin. Wie lange ich<br />
gebraucht habe und wo ich jetzt wohne.<br />
Aber der Anfang war schwer, wegen der<br />
Spachbarriere. Ich habe noch schlecht<br />
Spanisch gesprochen und die Kinder haben<br />
mich oft nicht verstanden und umgekehrt.<br />
Das hatte ich nicht erwartet.<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong>: Welche weiteren Hürden<br />
gab es bei der Eingewöhnung im<br />
Projekt; gab es Momente, in denen Du<br />
Dich gefragt hast, was soll ich hier?<br />
Anna: Ja, die gab es. Ich hatte in<br />
den ersten Wochen noch keine klare<br />
Rolle bei Las Tias. Ich war in der<br />
Spielen:<br />
Im Proyecto Las Tias<br />
Beobachterrolle und wurde beobachtet.<br />
Ich hatte noch keine konkrete Tätigkeit,<br />
die musste ich mir selbst suchen. Ich bin<br />
auf die Betreuer zugegangen und dann<br />
haben sie mir eine Aufgabe zugewiesen,<br />
oder manchmal auch nicht. Das heißt,<br />
ich war stark auf mich alleine gestellt. In<br />
solchen Momenten habe ich mich dann<br />
schon manchmal gefragt, kann ich hier<br />
überhaupt sinnvoll helfen.<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong>: Man muss also auf jeden<br />
Fall Eigeninitiative mitbringen?<br />
Anna: Ohne Eigeninitiative geht es<br />
gar nicht. Das ist aber nicht nur in Nicaragua<br />
so. Ein bisschen Frust ist auch<br />
ganz normal. Das hat sich auch beim<br />
Nachbereitungstreffen gezeigt, das vor<br />
einigen Wochen stattfand. Das klang in<br />
allen Berichten der Freiwilligen an, dass<br />
es Einstiegshürden gab.<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong>: Nicaragua ist eines der<br />
ärmsten Länder Lateinamerikas. Wie<br />
hast Du diesen Unterschied zu unserer<br />
westlichen Wohlstandskultur erfahren<br />
und ausgehalten?<br />
Anna: Ich würde den Schritt, in ein<br />
Entwicklungsland zu gehen, nur Leuten<br />
empfehlen, die offen sind für neue Kulturen<br />
und andere Lebensstandards, als<br />
wir es aus Deutschland gewöhnt sind.<br />
Speziell für den Freiwilligendienst muss<br />
man natürlich auch eine bestimmte<br />
Frustrationstoleranz mitbringen.<br />
Anna: Kulturelle Unterschiede gibt<br />
es jede Menge. Das reicht vom Essen<br />
über Pünktlichkeit bis hin zu strikteren<br />
Rollenzuschreibungen für Jungs<br />
und Mädchen. In Nicaragua verläuft alles<br />
viel langsamer als in Deutschland.<br />
Ungeduld versteht keiner. Als Mädchen<br />
ist es nicht üblich, abends auszugehen<br />
oder männliche Freunde zu haben. Die<br />
größte Hürde im Projekt war für mich<br />
die unterschiedliche Auffassung über<br />
Kindererziehung und Pädagogik. In meinem<br />
Projekt wurde viel geschrien, was<br />
anfangs gewöhnungsbedürftig und hart<br />
für mich war. Viele Kinder in Nicaragua<br />
werden von ihren Eltern geschlagen.<br />
Bei Las Tias gibt es allerdings die Regel,<br />
dass die Erzieher die Kinder nicht schlagen.<br />
Und daran halten sich auch alle.<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong>: Du hast Dir deinen Aufenthalt<br />
in Nicaragua komplett selbst<br />
finanziert. Wie hast Du das Geld zusammenbekommen?<br />
Anna: Ich habe vorher gearbeitet und<br />
mein Erspartes in die Reise investiert.<br />
Außerdem habe ich weiter Kindergeld<br />
bekommen. Für meine Arbeit bei Las<br />
Tias gab es kein Geld.<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Welt</strong>: Was war die wichtigste<br />
Erfahrung, die Du gemacht hast?<br />
Anna: Man kann in einer komplett<br />
fremden Umgebung und fremden Kultur<br />
relativ schnell ankommen und glücklich<br />
werden. Das war meine wichtigste Erfahrung.