Dabei hatten <strong>die</strong> Richter durchaus gewisse Handlungsspielräume: Der Divisionsrichter He<strong>in</strong>rich Hehnen aus Köln etwa erwirkte als Gutachter häufig milde Strafen, ehe er zwangsversetzt wurde. Nach dem Krieg arbeitete er als Anwalt, Karriere <strong>in</strong> <strong>der</strong> Justiz machte er nicht. An<strong>der</strong>s als Erich Schw<strong>in</strong>ge, <strong>der</strong> seit 1936 Kommentare zum Militärstrafgesetzbuch verfasste und etliche Todessurteile fällte. Er wurde später Rektor <strong>der</strong> Uni Marburg und stritt bis zu se<strong>in</strong>em Tode 1994 für <strong>die</strong> Ehre <strong>der</strong> Wehrmachtsjustiz. Auf ziemlich unübersichtlich angeordneten Stelen und Tafeln dokumentiert <strong>die</strong> Ausstellung auch, dass Deserteure nach 1945 lange als „Drückeberger und Verräter“ geächtet blieben. Ihre Angehörigen wurden oft nicht entschädigt. Spät wurde ihnen e<strong>in</strong>en gewisse Anerkennung zuteil: Erst im vergangenen September hob <strong>der</strong> Bundestag alle Urteile <strong>der</strong> NS- Militärjustiz gegen sogenannte Kriegsverräter auf. Für <strong>die</strong> hannoversche Version <strong>der</strong> Ausstellung haben Schüler <strong>der</strong> Sophienschule, unterstützt vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und vom Kultusm<strong>in</strong>isterium, <strong>in</strong> aufwendiger Projektarbeit selbst Archive durchforstet. Dabei haben sie unter an<strong>der</strong>em <strong>die</strong> Biografie des <strong>in</strong> Hannover h<strong>in</strong>gerichteten Antonius Biesterfeld rekonstruiert – e<strong>in</strong> erschütterndes Beispiel für <strong>die</strong> Willkür, mit <strong>der</strong> <strong>die</strong> NS-Militärjustiz Urteile fällte. Biesterfeld stammte aus dem nie<strong>der</strong>ländischen Breda. Da se<strong>in</strong> Vater Deutscher war, wurde er 1942 zur Mar<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>berufen, obwohl er kaum Deutsch sprach. Wohl auch deshalb schikanierten ihn se<strong>in</strong>e „Kameraden“ <strong>in</strong> Frankreich, wo er Dienst tat. Mal wurde er – offensichtlich zu Unrecht – beschuldigt, Zigaretten gestohlen zu haben, mal behandelten ihn Vorgesetzte schlecht. „So wurde mir das Mar<strong>in</strong>elazarett Nantes gewissermaßen zur Hölle“, gab er später an. Er bat sogar darum, an <strong>die</strong> Front versetzt zu werden – vergeblich. Im Sommer 1944 zog er dann Zivilkleidung an, warf se<strong>in</strong>e Uniform <strong>in</strong>s Wasser und versuchte, sich nach Spanien abzusetzen. E<strong>in</strong>e Streife nahm ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zug fest, e<strong>in</strong> Gericht <strong>in</strong> Bordeaux verurteilte ihn zum Tode. Als das Erschießungskommando <strong>in</strong> Hannover auf ihn anlegte, rief er noch zweimal: „Es lebe Holland!“ Begraben wurde er auf dem Friedhof Fössefeld <strong>in</strong> L<strong>in</strong>den, wo m<strong>in</strong>destens 21 <strong>in</strong> <strong>der</strong> NS-Zeit h<strong>in</strong>gerichtete Soldaten ruhen, meist Fahnenflüchtige, erschossen auf dem Kasernengelände <strong>in</strong> Vahrenheide. Nach dem Krieg er<strong>in</strong>nerte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heeresoffiziersschule <strong>der</strong> Bundeswehr lange Zeit e<strong>in</strong> Ehrenha<strong>in</strong> an gefallene Soldaten. E<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis auf <strong>die</strong> Deserteure, <strong>die</strong> auf dem Gelände h<strong>in</strong>gerichtet wurden, fehlt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Emmich-Cambrai-Kaserne bis heute. [Simon Benne] ___________________________________________________________________ Station Hannover, HANNOVERSCHE ALLGEMEINE / Teil 2 /2, 7. Dezember 2009 <strong>Stiftung</strong> <strong>Denkmal</strong> für <strong>die</strong> ermordeten Juden Europas – <strong>Presse</strong>dokumentation 24
___________________________________________________________________ Station Potsdam, MÄRKISCHE ALLGEMEINE, 4. März 2010 <strong>Stiftung</strong> <strong>Denkmal</strong> für <strong>die</strong> ermordeten Juden Europas – <strong>Presse</strong>dokumentation 25