Bulletin der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie Vol. 24 Nr. 4 ...
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<strong>Vol</strong>. <strong>24</strong> <strong>Nr</strong>. 4 2013<br />
Hinweise<br />
Das Einsiedler Babyfenster<br />
Stephan Rupp, Einsiedeln<br />
Schon immer gab es Mütter, die aus diversen<br />
Gründen keine Möglichkeiten hatten, ihr Kind<br />
nach einer Schwangerschaft selbst zu betreuen.<br />
Die drastischste Form <strong>der</strong> Problemlösung<br />
ist die Kindstötung. Eine an<strong>der</strong>e Variante ist<br />
die Kindsaussetzung, die auf das Überleben<br />
des Kindes abzielt. So konnte <strong>der</strong> biblische<br />
Moses wohl aus politischen Gründen nicht bei<br />
seinen Eltern aufwachsen. Eine Babyklappe<br />
gab es schon 1198 im Spital des Heiligen<br />
Geistes in Rom. Meist wurden solche Angebote<br />
von klösterlichen Einrichtungen betrieben.<br />
Wegen <strong>der</strong> notwendigen medizinischen Betreuung<br />
sind die mo<strong>der</strong>nen Babyklappen<br />
Spitälern angeschlossen. In <strong>der</strong> Schweiz hat<br />
sich vor allem die Stiftung HMK (Hilfe für<br />
Mutter und Kind) mit dem Ziel engagiert, Abtreibungen<br />
und Kindstötungen zu verhin<strong>der</strong>n.<br />
Ob dies mit einem Babyfenster erreicht wird,<br />
ist unsicher. Statistische Erhebungen in gewissen<br />
Gebieten zeigen eine Zunahme <strong>der</strong><br />
abgegebenen Kin<strong>der</strong>, ohne gleichzeitige Abnahme<br />
<strong>der</strong> Kindstötungen. Möglicherweise<br />
werden eher Abtreibungen verhin<strong>der</strong>t 1) . Provokativ<br />
könnte man sagen, dass Babyfenster<br />
zum Preis des Verlustes <strong>der</strong> Kenntnis von<br />
Abstammung und Herkunft das Überleben<br />
gewisser Kin<strong>der</strong> ermöglichen.<br />
Juristische Überlegungen<br />
Das Babyfenster in Einsiedeln lieferte nach<br />
seiner Einrichtung 2001 viel juristischen Diskussionsstoff.<br />
Macht sich die Mutter strafbar?<br />
Welchem juristischen Risiko setzt sich <strong>der</strong><br />
Betreiber <strong>der</strong> Einrichtung aus? Werden die<br />
Rechte des Vaters und des Kindes, beson<strong>der</strong>s<br />
im Hinblick auf Kenntnis seiner Identität und<br />
Abstammung, angemessen berücksichtigt?<br />
Möglichkeit genommen, sein Kind anzuerkennen,<br />
vor allem dann, wenn er gar keine Kenntnis<br />
vom Nachwuchs hat. Deshalb sind die zuständigen<br />
Behörden gemäss Zivilgesetzbuch verpflichtet,<br />
die leiblichen Eltern zu ermitteln 2) . Wie<br />
aktiv das sein muss, bleibt offen.<br />
Für mich ist ungeklärt, was passiert, wenn ein<br />
Kind durch Geburt, Transport o<strong>der</strong> Abgabe im<br />
Babyfenster bleibende Schäden erleidet o<strong>der</strong><br />
stirbt. Ist dann <strong>der</strong> Betreiber <strong>der</strong> Einrichtung<br />
juristisch (mit-)verantwortlich? Wahrscheinlich<br />
würde diese Frage erst nach Eintreten<br />
eines <strong>der</strong>artigen Ereignisses juristisch entschieden<br />
werden.<br />
Ethische Überlegungen<br />
Es ist klar, dass ein Kind im Babyfenster we<strong>der</strong><br />
Identität noch Herkunft kennen wird.<br />
Dagegen gilt es abzuwägen, welche Nachteile<br />
ihm an<strong>der</strong>nfalls entstanden wären. Hier liegt<br />
es an <strong>der</strong> <strong>Gesellschaft</strong> zu gewichten, ob dies<br />
ethisch akzeptabel ist o<strong>der</strong> nicht. Ich verweise<br />
auf die diesbezüglichen Diskussionen in<br />
<strong>der</strong> <strong>Schweizerischen</strong> Ärztezeitung, die in diesem<br />
Frühjahr publiziert wurden 3) .<br />
Organisatorische Massnahmen<br />
Ein Babyfenster hat einen Zugang von aussen,<br />
durch welchen das Neugeborene in ein vorgewärmtes<br />
Bett gelegt wird. Mit kurzer Verzögerung<br />
wird ein Alarm ausgelöst, <strong>der</strong> einen<br />
definierten Personenkreis im Spital via Personensucher<br />
alarmiert. Das Neugeborene wird<br />
vom Hebammen und Pflegefachfrauen abgeholt<br />
und erstbeurteilt. Daraus ergeben sich<br />
mehr o<strong>der</strong> weniger dringliche medizinische<br />
Massnahmen.<br />
Es folgen standardisierte Abläufe. Zuerst<br />
werden <strong>der</strong> zuständige Arzt, <strong>der</strong> Spitaldirektor<br />
und die leitende Schwester informiert. Die<br />
Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde und<br />
die Polizei werden via Spitaldirektion involviert.<br />
Das neue Kindes- und Erwachsenenschutzgesetz<br />
hat die Abläufe leicht verän<strong>der</strong>t,<br />
da nun nicht mehr <strong>der</strong> Bezirk, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />
Kanton zuständig ist. Die Meldung an die Polizei<br />
erfolgt nicht notfallmässig, ausser es<br />
muss um die Gesundheit <strong>der</strong> Mutter gefürchtet<br />
werden, wie dies beim letzten Kind <strong>der</strong> Fall<br />
war. Die Hebamme ist für die administrative<br />
Anmeldung des Kindes verantwortlich.<br />
Medizinische Massnahmen<br />
Über die Massnahmen bei Eintreffen des<br />
Kindes gibt die Tabelle Auskunft. Babys aus<br />
dem Babyfenster haben keine Anamnese. Wir<br />
erfassen sofort die Vitalparameter, um den<br />
Bedarf an Massnahmen erkennen zu können.<br />
Rasch werden Gestationsalter und chronologisches<br />
Alter des Kindes bestimmt. Die anfängliche<br />
Annahme, dass praktisch nur Neugeborene<br />
von einem Alter bis zu drei Tagen<br />
abgegeben werden, hat sich nicht bewahrheitet.<br />
Mehrere Kin<strong>der</strong> waren älter, eines gemäss<br />
Begleitschreiben sogar 1 ½ Monate alt. Diese<br />
Mutter hat erfolglos versucht, das Kind zu<br />
Die Mutter macht sich strafbar, wenn sie die<br />
Geburt ihres Kindes nicht innert drei Tagen den<br />
Behörden meldet und dem Kind Identität und<br />
Herkunft verschleiert. Die Betreiber des Babyfensters<br />
machen sich <strong>der</strong> Mittäterschaft schuldig.<br />
Einer Klage des Kindes auf Genugtuung<br />
werden aber kaum Erfolgschancen eingeräumt.<br />
Ein strafrechtliches Verschulden von Eltern und<br />
Betreibern wird eher verneint, da das Kind nicht<br />
sich selbst überlassen wird. Dem Vater wird die<br />
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