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EDITORIAL<br />

Andere haben wir halt nicht<br />

Der junge Kaplan ist wieder einmal so richtig verzweifelt. Die rechte Frömmigkeit<br />

fehlt, die Kirche oft nur halbvoll, und was so im Beichtstuhl alles herauskommt...<br />

Geduldig hört sich der alte Mesner die Klagen an. „Mei, Herr Kooperator“, sagt er<br />

schließlich, „andere Leut haben wir nicht.“<br />

Am 15. September sind Landtagswahlen, eine Woche drauf, am 22. September<br />

wählen wir den Bundestag. Nicht wenigen wird es dann so gehen wie seinerzeit<br />

dem jungen Kaplan. „Die Parteien“, so klagen sie, „ja welche sollst denn da überhaupt<br />

wählen. Bei diesen Politikern, alles drängt zur Mitte…“ Was würde er da jetzt<br />

sagen, der alte Mesner? „Mei, ihr <strong>Tagwerk</strong>ler,<br />

andere Parteien haben wir halt<br />

nicht.“<br />

Der alte Mesner lebt schon lange nicht<br />

mehr. Wir müssen deshalb selbst zu der<br />

Erkenntnis kommen: Politik besteht in<br />

der Regel darin, das kleinere Übel zu<br />

wählen. Das klingt erst mal nicht sonderlich<br />

aufregend. Bedenkt man jedoch,<br />

wie viel Unglück schon die mächtigen<br />

Glücksverheißer mit ihren „großen Würfen“<br />

über diese Welt gebracht haben,<br />

Auf der Demo “Mir ham’s satt!” in München<br />

dann ist es vielleicht gar nicht so schlecht, kleinere Brötchen zu backen und dann<br />

halt zu schauen, dass sie einigermaßen knusprig werden.<br />

Denn ein paar Unterschiede gibt es – gerade für ökologisch denkende Leute –<br />

schon noch. In welcher Partei ist der Umweltminister, der sich freut, wenn die regenerativen<br />

Energien nicht vorankommen? Will nicht gerade ein bayerischer<br />

Ministerpräsident die Windkraftnutzung zerstören? Wer macht sich die Interessen<br />

der Agrarindustrie zu aigen? Wie stehen die Parteien zu Gentechnik, Spritzmittel,<br />

Flächenfraß, Bienensterben, Exportsubventionen…?<br />

Es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Im Zweifelsfall auch mal nachfragen beim<br />

nächsten Parteibüro. Sonntagsreden vergleichen mit dem tatsächlichen Handeln<br />

am Werktag. Dies ist besonders zu empfehlen, wenn es um Flughäfen, Autobahnen,<br />

Staustufen und ähnliches geht.<br />

Und noch etwas. Es gibt nicht wenige, die von der Politik so enttäuscht sind, dass<br />

sie ein deutliches Zeichen setzen wollen – sie gehen überhaupt nicht zur Wahl.<br />

Dann würden die Politiker und die Parteien, so hoffen sie, aufwachen und sich<br />

wieder um die wirklichen Probleme kümmern. Ein kühner Gedanke – denn wie soll<br />

die Politik erkennen, dass hinter diesem Nichtwähler gerade ein kluger, taktischer<br />

Kopf steckt? Genauso gut kann es ja auch einer sein, der mit der Bildzeitung in der<br />

Hand gegen das Rauchverbot oder die Energiewende wütet oder der einfach noch<br />

billigere Schnitzel haben will.<br />

Also dann, bis zum 15. und 22. September.<br />

Heiner Müller-Ermann<br />

3| Editorial

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