Adventistische Identität und christliche Solidarität - Theologische ...
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platz – was für die von den Fenstern zuschauenden nichtadventistischen Bausoldaten<br />
keinen geringen Unterhaltungswert besaß. Im ersten Brief aus Prora schrieb<br />
ich am 3. November an meine Verlobte:<br />
Wir sind wohl 10 Adventisten hier. Wegen des ersten Sabbats sind wir schon<br />
vorstellig geworden. Es sieht gut aus (Brief Andreas Erben an Uta Werner,<br />
3.11.1983). 7<br />
Zwei Tage später, am ersten Sabbat in der Kaserne, teilte ich ihr mit:<br />
Ich mache mir Gedanken zum Sabbat. Ich frage mich, warum ich am Sabbat<br />
nicht arbeiten will. Irgendwie merke ich, dass der Sabbat ein Zeichen dafür ist,<br />
dass es für mich über Gott nichts gibt, kein Prinzip <strong>und</strong> keinen Befehl (Brief<br />
Andreas Erben an Uta Werner, 5. 11. 1983).<br />
Wie der Wortlaut meines Schreibens nahe legt, hatte da wahrscheinlich Oberleutnant<br />
P., der Kompaniechef der 2. Baukompanie, in einer Kompanieversammlung<br />
bereits diesen entscheidenden Satz gesprochen:<br />
In der Armee gibt es für Sie nichts Höheres als den Befehl, kein Gott <strong>und</strong> kein<br />
Gewissen! 8<br />
Mit dieser Aussage war die Richtung für meine innere Entscheidungsfindung im<br />
Konfliktfall vorgegeben. Die Frage des Gehorsams hinsichtlich des Sabbatgebotes<br />
war nun direkt verknüpft mit dem Gehorsam gegenüber dem ersten Gebot: „Ich<br />
bin der Herr dein Gott... Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.“ Wenn<br />
der Befehl zur Arbeit oder physischen Ausbildung am Sabbat kommen würde,<br />
wäre eine Befehlsverweigerung für mich nicht allein auf das Sabbatgebot<br />
bezogen, sondern auf die Treue zum <strong>christliche</strong>n Glauben überhaupt – solche<br />
Gedanken gingen mir damals durch den Kopf. Eine Befehlsverweigerung kam für<br />
mich in diesem Fall dem Widerstand gegen ein System mit einem antigöttlichen<br />
Anspruch gleich. Am 12. November 1983 – wir waren noch immer in der<br />
Gr<strong>und</strong>ausbildung – schrieb ich an meine Verlobte:<br />
Heute ist der zweite Sabbat bei der Armee. Unsere Leute vom Verband haben<br />
bereits das Staatssekretariat verständigt über unsere Sabbatprobleme. Ich habe<br />
hier gute Fre<strong>und</strong>e. Da sind Leute dabei, die mir sehr gefallen, menschlich,<br />
geistlich. Manchmal hole ich mir einen Rat (Brief Andreas Erben an Uta<br />
Werner, 12. 11. 1983).<br />
Durch die Befehlsverweigerung der sechs Bausoldaten im Oktober war eine Flut<br />
von Eingaben ausgelöst worden, die im November in Prora beantwortet wurden.<br />
Offenbar war seitens der Verantwortlichen das Anliegen der zwei adventistischen<br />
Bausoldaten nicht gesondert wahrgenommen worden (Brief Uwe Rühle an Lothar<br />
Reiche, 19.11.1983, AAE SB). Uwe Rühle berichtete:<br />
7 Der Briefwechsel Andreas Erben <strong>und</strong> Uta Werner befindet sich im Privatarchiv des Autors.<br />
8 Vergleiche die Aussage von Stefan Gehrt in Koch <strong>und</strong> Eschler 1994, 122.<br />
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