Hamburger Morgenpost Ausgabe vom 02.11.2014 (Vorschau)
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Sonntag, 2.November 2014 HAMBURG 5<br />
dieBabys<br />
„Reborn“-Babys heißen dieVinyl-Geschöpfe,<br />
dieechten Säuglingen täuschend ähnlich sehen.<br />
Besuch bei einer Puppenkünstlerin in Rahlstedt<br />
VonSTEPHANIE LAMPRECHT<br />
Babypuppen, die auf den ersten<br />
und auch auf den zweiten Blick<br />
aussehen wie echte Säuglinge –<br />
das mag man ein bisschen gruselig<br />
finden. Aber für viele<br />
Menschen sind die „Reborn“-<br />
Puppen begehrte Sammlerobjekte.<br />
Eine der weltweit erfolgreichsten<br />
Puppenkünstlerinnen<br />
lebt in Rahlstedt.<br />
Manchmal erntet Beatrix Schröder<br />
(47)schon seltsame Blicke.<br />
Etwa, wenn sie in<br />
einem Geschäft für<br />
Babybekleidung nach ein paar<br />
Stramplern guckt und ihr „Baby“<br />
einfach so achtlos auf den Verkaufstresen<br />
legt. „Wenn die Leute<br />
feststellen, dass<br />
es sich um eine<br />
Puppe handelt,<br />
höre ich oft: ,Das<br />
gibt’s doch<br />
nicht!‘“, sagt die<br />
zierliche Künstlerin,<br />
die in der „Reborn“-Szene<br />
ein echter Star ist. Für eine Beatrix-Schröder-Puppe<br />
zahlen<br />
Sammlerinnen bei Ebay<br />
zwischen 1200 bis<br />
2700 Euro.<br />
Wer<br />
kauft sich so ein Pseudo-Baby?<br />
Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch?Freaks?<br />
Beatrix Schröder schüttelt den<br />
Kopf, leicht ge-<br />
„Bei Männern ist eine<br />
Modelleisenbahn<br />
doch auch normal.“<br />
Beatrix Schröder<br />
nervt. Siekennt die<br />
Vorurteile und<br />
kontert: „Wenn ein<br />
Mann sich eine<br />
Modelleisenbahn<br />
in den Keller stellt,<br />
ist das ein schönes Hobby, aber<br />
wenn eine Frau Puppen sammelt,<br />
heißt es, die hat einen Schaden.<br />
Meine Puppen sind Sammlerobjekte,<br />
kein Kindersatz.“<br />
Sie selbst ist Mutter eines 22-<br />
jährigen Sohnes: „Und ich bin<br />
froh, dassergroßist“, erzählt sie<br />
lachend, bevorder Eindruck entstehen<br />
könnte, sie würde Babypuppen<br />
erschaffen, weil sie selbst<br />
gerne wieder ein Babyhätte.<br />
Die Künstlerin mit der mädchenhaften<br />
Ausstrahlung<br />
spricht mit Leidenschaftüber<br />
ihreArbeit, aber ohne<br />
Sentimentalität. Es sind und bleiben<br />
Puppen, auch wenn sie noch<br />
so lebendig „gucken“, weil sie als<br />
Künstlerin die Glasaugen so geschickt<br />
eingesetzt hat. Auch<br />
wenn die gemalten Äderchen,<br />
die Pickelchen und sogar der<br />
kleine Schnodder (aus Lack!) unter<br />
dem Näschen<br />
so echt aussehen.<br />
Rund 300 „Babys“aus<br />
Rahlstedt<br />
sind inzwischen<br />
bei Sammlerinnen<br />
auf der ganzen<br />
Welt zu Hause. Anfragen kommen<br />
aus den USA, Russland und<br />
Katar –dabei hat Beatrix Schröder<br />
erst 2007 angefangen: „Ich<br />
habe immer gerne gemalt, jetzt<br />
eben nicht auf Leinwand, sondern<br />
auf Vinyl.“<br />
„Reborn“ heißt „wiedergeboren“<br />
und tatsächlich werden die<br />
Puppen, die Beatrix Schröder als<br />
Bausätzekauft, durch sie zum Leben<br />
erweckt. Und das ist mühsam:<br />
„Alleine für das Rooten der<br />
Haare brauche ich eine Woche<br />
proPuppe“, erklärt sie. „Rooten“<br />
bedeutet: Jedes der hauchfeinen<br />
Mohairhärchen wird einzeln in<br />
den Puppenkopf gepikst – in<br />
Wuchsrichtung: „Eine Arbeit<br />
nicht<br />
zum Verrücktwerden.“ Das ist<br />
auch der Grund, warum es keine<br />
nachgemachten Drei- oder Vierjährigen<br />
gibt: „Die Köpfe wären<br />
viel zu groß, da würde man sich<br />
doofrooten.“<br />
„Reborn“-Puppen wiegen<br />
dank des feinen Edelstahlgranulats<br />
in ihren Rümpfen 2600<br />
Gramm –fast so viel wie ein Neugeborenes.<br />
Softgranulat unter<br />
der Oberfläche sorgt für den „Babyspeck“-Effekt,<br />
das Köpfchen<br />
kippt nach hinten, wenn man es<br />
nicht stützt. Manche haben ein<br />
Geschlecht, andere eine glatte<br />
Bauchplatte.<br />
„Meine Puppen sind<br />
Sammlerobjekte,<br />
kein Kindersatz.“<br />
Beatrix Schröder<br />
Beatrix Schröder<br />
arbeitet in dem<br />
Einfamilienhaus,<br />
das sie mit Mann<br />
und Sohn bewohnt:<br />
„Mein Sohn hatanfangsWitzegemacht<br />
über die Arme<br />
und Beine,die überall herumliegen,<br />
aber inzwischen ist er<br />
stolz. Das ist kein Hobby, das ist<br />
ein Beruf. Mama verdient damit<br />
richtig Geld.“<br />
Im Wohnzimmer steht ein Stubenwagen:<br />
„Der steht da nur,weil<br />
ich den für die Ebay-Fotos brauche“,<br />
sagt Schröder. ImMoment<br />
liegt „Lotti“ darin: „Mit ihr habe<br />
ich 2013 vier Awards gewonnen.“<br />
Sie könnte jetzt viele Lottis produzieren.<br />
Will sie aber nicht:<br />
„Nee,selbst für viel Geld habe ich<br />
keine Lust, die gleiche Puppe<br />
noch einmal zu machen.“ Sind<br />
halt Einzelstücke, echte Babys<br />
wie künstliche.<br />
Mühsames „Rooten“: Mit einer Nadel wird jedes Härchen einzeln gesetzt.<br />
Puppenmädchen<br />
„Lille“: verträumt<br />
wie ein gerade<br />
aufgewachtes Baby<br />
Links ein Rohling,rechts ein halbfertigerKinderkopf mit Haut und Haaren