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Ausgabe Nr.9<br />
November <strong>2012</strong><br />
Erscheint halbjährlich<br />
ISSN 1867-5174
Editorial<br />
Liebe Leser,<br />
bei der Einführung der Arbeitslehre als neues Unterrichtsfach<br />
an den Hauptschulen Ende der 60er Jahre<br />
war klar, dass gut ausgestattete Werkstätten in den<br />
Schulen praktisch eine unabdingbare Voraussetzung<br />
waren. Unterricht in diesem Fach war ohne Werkstätten<br />
nicht vorstellbar. Loriot hätte gesagt: „Arbeitslehre<br />
ohne Werkstätten ist vielleicht möglich, aber sinnlos“.<br />
Entsprechend war der Werkstattunterricht in nahezu<br />
allen Rahmenplänen präsent. Der Berliner Rahmenplan<br />
formulierte es einmal so: „Arbeit als die Gestaltung<br />
unterschiedlicher Materialien und Werkstoffe<br />
unter Einsatz von Maschinen und Handwerkszeugen<br />
hat einen pädagogischen Wert, der nicht durch andere<br />
Unterrichtsformen substituierbar ist. Sie ist in vielerlei<br />
Hinsicht der Persönlichkeitsentwicklung eines Jugendlichen<br />
förderlich.“<br />
Den Höhepunkt einer gelungenen Werkstattausstattung<br />
erlebten die Berliner Gesamtschulen in den 70er<br />
Jahren. 13 Bildungszentren wurden mit technisch anspruchsvollen<br />
Maschinen und Geräten ausgestattet.<br />
Ein wesentlicher Teil des Unterrichts sollte in den<br />
schulischen Werkstätten stattfinden.<br />
Leider verließ die Bildungspolitiker im letzten Moment<br />
der Mut. Zwar waren die Gesamtschulen in den verschiedenen<br />
Sachfeldern hervorragend ausgestattet. Die<br />
Stundentafel für Arbeitslehre sah die Werkstätten faktisch<br />
aber nur für den Wahlpflichtunterricht vor, denn nur<br />
für diese Unterrichtszeit gab es Teilungsstunden. Werkstattstunden<br />
im ungeteilten Pflichtunterricht mit 27 – 30<br />
Schülerinnen waren nicht realisierbar, weder von der<br />
Raumgröße her, noch unter Sicherheitsaspekten.<br />
So wurde die Arbeitslehre im Pflichtunterricht für alle<br />
Schüler an den Gesamtschulen zum Tafel- und Kreidefach.<br />
Der Kern der Arbeitslehre, die Werkstattarbeit an<br />
Projekten, war nur für die Schülerinnen erlebbar, die Arbeitslehre<br />
als Wahlpflichtfach gewählt hatten. Durch diese<br />
Organisation standen die Wahlpflichtkurse Arbeitslehre<br />
in Konkurrenz zur 2. Fremdsprache, die zwingende<br />
Voraussetzung für das Abitur ist. Wer also Arbeitslehre<br />
wählte, entschied sich damit gewollt oder ungewollt gegen<br />
ein gradliniges Abitur. Diese Konstruktion hatte für<br />
die Zusammensetzung der Lerngruppen fatale Konsequenzen.<br />
Arbeitslehre bekam im Laufe der Jahre so den<br />
Ruf eines „Blaukittelfaches“. Es wurde Sammelbecken<br />
für diejenigen, die angeblich „nicht viel in der Birne hat-<br />
ten“ oder die durch den traditionellen Tafel- und Kreideunterricht<br />
vorgeblich nicht mehr motiviert werden<br />
konnten. Wer Arbeitslehre als Wahlpflichtfach wählte,<br />
erhielt zwar in den meisten Fällen einen qualifizierten<br />
Abschluss in der Sek I, machte aber in den seltensten<br />
Fällen Abitur, denn die Hürde dazu war groß, weil diese<br />
Schüler zwar eine Berechtigung zum Übergang in die<br />
gymnasiale Oberstufe hatten, allerdings mit dem Preis,<br />
die 2. Sprache in der E-Phase neu zu beginnen. Jeder,<br />
der sich mit Fremdsprachen lernen beschäftigt weiß: Je<br />
später man beginnt, desto schwieriger wird es.<br />
In der aktuellen Entwicklung gibt es ein Phänomen, das<br />
den klassischen Werkstattunterricht weiter entwertet.<br />
Googelt man den Begriff „Werkstattunterricht“, findet<br />
man auf den ersten Positionen einen Begriffswandel.<br />
Als Werkstätten werden zunehmend „normale“ Unterrichtsräume<br />
und ein Unterrichtsprinzip bezeichnet, das<br />
mit klassischen Werkstätten nicht mehr viel zu tun hat.<br />
Bei Wikipedia heißt es: „Mit dem Ausdruck Werkstattunterricht<br />
wird … eine Lern- und Lehrmethode bezeichnet,<br />
in der die Schüler anhand geeigneter Aufgabenstellungen<br />
und Reflexionsphasen innerhalb vorbereiteten<br />
Materials selbständig bestimmte Lernziele erreichen<br />
sollen“. Bei dieser Definition wird der kognitive Bereich<br />
betont, also Lesewerkstatt, Schreibwerkstatt, Mathematikwerkstatt<br />
oder allgemein Lernwerkstatt.<br />
Gegen Werkstätten dieser Art ist nichts einzuwenden,<br />
sie sind sogar eine echte Alternative zur Belehrung im<br />
traditionellen Sinne von Unterricht. Sie können aber die<br />
schulischen Arbeitslehrewerkstätten nicht ersetzen. Beide<br />
Konzepte gehören in eine Schule, die für sich in Anspruch<br />
nimmt, alle Schülerinnen mit all ihren Begabungen<br />
zu fördern. Dabei dürfen Arbeitslehrewerkstätten<br />
nicht dem Teil der Schüler vorbehalten bleiben, denen<br />
man gemeinhin nur eine sogenannte praktische Begabung<br />
zumisst. Man kann Kopf und Hand nicht folgenlos<br />
trennen. Was und auf welchem Niveau in Arbeitslehrewerkstätten<br />
geleistet werden kann, zeigen die Beispiele,<br />
die in diesem Forum präsentiert werden.<br />
Ihr<br />
(Vorsitzender GATWU)<br />
2<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Inhaltsverzeichnis<br />
Editorial<br />
1<br />
Bildungspolitisches Forum<br />
Günter Reuel<br />
Reinhold Hoge<br />
Simone Maier<br />
Detmar Grammel<br />
Matthias Laub & Bernd Ludwig<br />
Marcus Hornig<br />
Katharina Koch<br />
Detmar Grammel<br />
Günter Eisen & Wilfried Seibel<br />
Mira Diedering & Felix Iwert<br />
Arbeitslehre-Werkstätten – eine nicht abgeschlossene<br />
didaktische Entwicklungsaufgabe<br />
Die Lehrküche in der Arbeitslehre/WAT<br />
Ein Raum, in dem Schüler fürs Leben viel lernen<br />
können: die Textilwerkstatt<br />
Kunststoffverarbeitung im Arbeitslehreunterricht<br />
Kunststoffverarbeitung an der B.-Traven-Oberschule<br />
Kunststoffverarbeitung und der Einsatz der CNC-Fräse<br />
Die Einkaufsabteilung der Arbeitslehre<br />
Rundschreiben Sägen: Neufassung in Sicht<br />
Was hat Bismarck mit der Arbeitslehre zu tun?<br />
Wir haben uns gefreut<br />
4<br />
9<br />
13<br />
15<br />
19<br />
22<br />
24<br />
27<br />
29<br />
31<br />
Die Schülerfirmen-Börse<br />
Katharina Koch<br />
Mira Diedering, Felix Iwert,<br />
Theodor Sakatis (Fotos)<br />
Mira Diedering, Felix Iwert,<br />
Simone Maier (Textil)<br />
Brett & Butter<br />
Der Porto-Tester<br />
Fertigung eines Strandstuhls<br />
33<br />
38<br />
44<br />
Didaktisches Forum<br />
Jürgen Günther<br />
Ulrich J. Kledzik & Günter Reuel<br />
Manfred Triebe<br />
Detmar Grammel & Günter Reuel<br />
Redaktion<br />
Reinhold Hoge<br />
Günter Reuel<br />
Detmar Grammel<br />
Gemeinsam(e) Perspektiven schaffen<br />
Und immer wieder Chancengleichheit<br />
Das Märchen von der fehlenden Ausbildungsfähigkeit<br />
Lehrerbildung, Praxiserfahrung und Lehrerfortbildung<br />
Was ist beim „Dualen Lernen“ anders als in<br />
der Arbeitslehre?<br />
Arbeitslehre-Wettbewerb in China<br />
Selbstkontrolle vrs. Eigenverantwortung<br />
Potenzialanalyse – ein Rückfall in<br />
alte Begabungstheorien?<br />
49<br />
55<br />
57<br />
60<br />
62<br />
63<br />
65<br />
66<br />
Rezensionen und Kurzhinweise<br />
Wilfried Wulfers<br />
Wilfried Wulfers<br />
Rezensionen<br />
Kurzhinweise auf Unterrichtsmaterialien<br />
68<br />
72<br />
3<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Wichtige Texte aus der Arbeitslehre<br />
U.-J. Kledzik<br />
Wichtige Texte aus der Geschichte der Arbeitslehre<br />
74<br />
Aus der GATWU<br />
Detmar Grammel Die GATWU wird 35<br />
77<br />
Aus den Hochschulen: IBBA der TU Berlin<br />
Günter Reuel Semesterabschluss Sommer <strong>2012</strong><br />
Redaktion<br />
Neue Mitarbeiter des IBBA<br />
80<br />
84<br />
Berlin: Aus der zweiten Phase<br />
Redaktion<br />
Redaktion<br />
Portrait von Doro Schultz<br />
Verabschiedung von Maria Jägermeyr<br />
85<br />
88<br />
Dummwörter aufgespießt<br />
Redaktion<br />
Airlines<br />
88<br />
SpechtSpäne<br />
Redaktion<br />
Schafft die Fächer ab!<br />
89<br />
Thema des nächsten Heftes<br />
Redaktion<br />
Testen in der Arbeitslehre<br />
90<br />
Autorenverzeichnis<br />
Impressum<br />
91<br />
92<br />
4<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Bildungspolitisches Forum<br />
Günter Reuel<br />
Arbeitslehre-Werkstätten – eine nicht abgeschlossene didaktische<br />
Entwicklungsaufgabe<br />
Arbeitslehre war lange Jahre ein Schulfach, das kein<br />
Klassenzimmer brauchte, sondern ausschließlich<br />
Werkstätten 1 . Selbst die immer um einen Sonderweg<br />
ringende „Berufsorientierung“ war am erfolgreichsten<br />
in Werkstätten. Bei der Nachgeburt „WAT“ sind<br />
Werkstätten schon mal entbehrlich.<br />
Der Werkstattbegriff hat viele Perversionen erfahren,<br />
es gibt angeblich „Schreibwerkstätten“, „Lernwerkstätten“,<br />
„Zukunftswerkstätten“ u.a.m. Alles,<br />
was eine Werkstatt ausmacht, fehlt dort: Es wird<br />
nicht mit Werkstoffen und Werkzeugen hantiert (mit<br />
der Hand lernen), kein Span fällt zu Boden und das<br />
Rascheln der Arbeitsbögen ist als Lärmpegel kaum<br />
störend. Werkstätten in Schulen sollte man nur dann<br />
Werkstatt nennen, wenn mit Kopf und Hand gelernt<br />
wird.<br />
In unseren Schulen dominieren immer noch Räume<br />
mit Tischen, Stühlen und einem Katheder. Eine<br />
Veränderung ist allerdings nicht zu übersehen: In so<br />
genannten Computerräumen hat jeder Schüler sein<br />
eigenes Katheder und wendet dem Lehrer den Rücken<br />
zu.<br />
Ausnahmen sollte man nicht verschweigen. Es gibt<br />
die Waldorfschulen, in denen Werkstätten eine große<br />
Rolle spielen. Waldorfschulen können auf eine<br />
Übernachfrage verweisen, was allein kein Gütekriterium<br />
ist.<br />
Parkplätze Vorrang. In den 1970er Jahren wurde in<br />
Berlin das größte Schulbauprogramm seit Verwaltungsgedenken<br />
verwirklicht. Dreizehn Bildungszentren<br />
wurden errichtet mit modernsten Werkstätten<br />
für das Fach Arbeitslehre. Die Finanzierung<br />
dieses Projekts überstieg die Liquidität des Senats,<br />
es wurde ein Leasingvertrag mit einer Baugesellschaft<br />
(DeGeWo) geschlossen. Das Schicksal dieser<br />
Schulen, namentlich der Arbeitslehre-Werkstätten,<br />
zeichnen wir an anderer Stelle nach.<br />
Es gibt Kompromisse für den Fall, dass keine eigenen<br />
Werkstätten vorhanden sind. Engagierte Arbeitslehrelehrer<br />
praktizierten Textilarbeit in einem<br />
normalen Klassenzimmer, indem sie Koffernähmaschinen<br />
in einem Schrank unterbrachten, die bei<br />
Bedarf auf normalen Schultischen eingeschränktes<br />
Arbeiten erlaubten. Eine Elektrowerkstatt verbarg<br />
sich ebenfalls im Schrank. Lötkolben, Bauteile und<br />
Messgeräte wanderten auf den mit einer dicken Pappe<br />
geschützten Schultisch und nach einem Schaltplan<br />
entstand die Ampelsteuerung.<br />
Derartige „Lösungen“ verwirklichen engagierte<br />
Arbeitslehrelehrer, fehlen diese, wie heute sehr<br />
verbreitet, werden nicht einmal die professionell<br />
eingerichteten Textil- und Elektrowerkstätten genutzt.<br />
Natürlich ist auch eine Doppelnutzung von<br />
Räumen möglich. In vielen Schulen ist ein Physikraum<br />
vorhanden – nicht immer sind Schülerexperi-<br />
Was kosten Werkstätten?<br />
Man muss drei Kostenstellen unterscheiden: die Errichtung<br />
von geeigneten Räumen, die Finanzierung<br />
der Ausstattung und die laufenden Kosten.<br />
1. Noch immer planen Schulbauarchitekten Gebäude<br />
ohne Werkstätten. Statt eines Schulgartens haben<br />
1<br />
„… war mit der Arbeitslehre praktisches Tun der Schüler, das von<br />
Interpretation und Reflexion begleitet ist gemeint … Jugendliche<br />
(sollten) elementare praktische Arbeit in verschiedenen Sachgebieten<br />
(leisten). Es kam dann aber anders. Es wurde und wird – von wenigen<br />
Ausnahmen abgesehen – über die Arbeitswelt gesprochen.“ Peter<br />
Fauser, Klaus Fintelmann, Andreas Flitner in: Lernen mit Kopf und Hand,<br />
Weinheim Basel 1983, S.129f<br />
5<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
mentierplätze selbstverständlich – gleichwohl kann<br />
der Physikraum für die technische Anwendung des<br />
elektrischen Stroms genutzt werden.<br />
2. Die Ausstattung von Arbeitslehre-Werkstätten<br />
kostet Geld, Geld, das gut angelegt ist. Es handelt<br />
sich nicht um Riesenbeträge, wie wir weiter<br />
unten noch zeigen werden. Bastelgerät und labile<br />
Heimwerkermaschinen scheiden aus. Die Qualitätsstandards<br />
orientieren sich an der Solidität, die<br />
auch kleine Handwerksbetriebe fordern. Wichtig<br />
ist auch der Hinweis, dass der Abschreibungszeitraum<br />
ein Vielfaches von dem gewerblicher Betriebe<br />
beträgt. Eine Abschreibung im fiskalischen<br />
Sinne gibt es für Schulen nicht. Aber der Abnutzungsgrad<br />
ist objektiv feststellbar. Eine normale<br />
Säulenbohrmaschine läuft in einem Betrieb schätzungsweise<br />
20 Stunden wöchentlich, in der Schule<br />
etwa 2 Stunden.<br />
3. Zu den laufenden Kosten zählen etwa 200 €<br />
jährlich für das Schärfen von Sägeblättern, Hobelmessern,<br />
Fräsern, speziellen Bohrern (normale<br />
Wendelbohrer können in der Schule geschärft werden).<br />
Die Werkzeuge müssen regelmäßig in einen<br />
Schärfbetrieb gegeben werden. Diese Mittel sind<br />
unverzichtbar, weil stumpfe Werkzeuge das Unfallrisiko<br />
deutlich erhöhen und die Oberflächengüte der<br />
Werkstücke stark mindern.<br />
Kosten entstehen ferner für Schleifkörper, Klebstoffe,<br />
Normteile wie Schrauben u.ä. Der eigentliche<br />
Werkstoffverbrauch (Holz, Metallprofile, Bleche,<br />
Stoffe, Lebensmittel) hängt von den gewählten Projektzielen<br />
ab und kann auf zweierlei Weise finanziert<br />
werden. Gehen die Produkte in Schülerbesitz<br />
über, muss der Werkstoffverbrauch vom Schüler<br />
finanziert werden. Werden die Produkte in einer<br />
Schülerfirma vermarktet, muss die Refinanzierung<br />
durch den Verkauf gewährleistet sein.<br />
Welche Werkstätten sind für Arbeitslehre relevant?<br />
Es gibt Werkstätten, die relativ selten in (allgemein<br />
bildenden) Schulen anzutreffen sind: eine Glasbläser-<br />
Werkstatt, eine Kfz-Werkstatt, Gärtnereien, Bauhöfe,<br />
Polstereien, Frisiersalons, Wäschereien. Unmöglich<br />
sind sie nicht. In den 40 Jahren der Entwicklung von<br />
Arbeitslehre und verwandter Fächer entstanden in<br />
der Bundesrepublik Schulwerkstätten, die oft singuläre<br />
Erscheinungen blieben und mit dem Weggang<br />
des initiierenden Lehrers verwaisten. Es gab eine<br />
Bootswerft, wo über Betonformen Glasfaser armierte<br />
schiffbare Bootsrümpfe entstanden. Es gab einen gewaltigen<br />
gemauerten Pizzaofen auf dem Schulhof, der<br />
zweimal wöchentlich fünf Quadratmeter Pizza ausspuckte.<br />
Eine Bauwerkstatt fertigte in verschiedenen<br />
Verschalungen Wegeplatten aus Beton. Eine Schule<br />
unterhielt einen Kleintierzoo, wo Erbmutationen beobachtet<br />
werden konnten und wo der Nachwuchs an<br />
Liebhaber vergeben wurde. Ein Lehrer suchte jahrelang<br />
nach furchtlosen Schülern, die mit ihm eine Imkerei<br />
betrieben und leckeren Honig produzierten.<br />
Ein Auswahlkriterium für Arbeitslehre-Werkstätten<br />
ist gewiss die Unabhängigkeit von der Jahreszeit.<br />
Werkstätten im Außenbereich werden daher weniger<br />
konstant genutzt werden als Werkstätten in Gebäuden.<br />
Die Kernwerkstätten<br />
Diese sind sechs an der Zahl:<br />
Metallwerkstatt<br />
Holzwerkstatt<br />
Textilwerkstatt<br />
Lehrküche<br />
Kunststoffwerkstatt<br />
Elektrowerkstatt<br />
6<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Die Werkstätten repräsentieren ein riesiges Berufsspektrum<br />
und erlauben gleichzeitig den Erwerb von<br />
Qualifikationen, die bei der Hausarbeit gefordert<br />
werden. Emotional ist bei Schülern die Holzwerkstatt<br />
sehr beliebt, jedoch sollte nicht übersehen werden,<br />
dass Kunststoffe eine zentrale Bedeutung übernommen<br />
haben.<br />
Ein Schüler, der in vier Jahren diese Werkstätten<br />
durchläuft, entdeckt Neigungen und Abneigungen<br />
zu vielen Werkstoffen und Verfahren. Er erprobt<br />
sich bei grob- und feinmotorischen Handlungen, er<br />
bekommt ein Verhältnis zur Werkzeug- und Maschinenbedienung,<br />
das durch Angstfreiheit und Vorsicht<br />
zugleich gekennzeichnet ist. Der Schüler beobachtet<br />
an seinem Körper Unverträglichkeiten (Lärmempfindlichkeit,<br />
Stauballergie, Ekel vor Gerüchen).<br />
Werkstatt übergreifend sind die unausweichlichen<br />
Zwänge wie Ordnung, Hygiene, Kooperation, ökologische<br />
Rücksichtnahme.<br />
Die genannten sechs Werkstätten bilden den Idealfall,<br />
was die Verfügbarkeit angeht. Bei restriktiven<br />
Raumbedingungen sind folgende Räume kombinierbar:<br />
• Holz- und Metallwerkstatt<br />
• Elektro- und Kunststoffwerkstatt<br />
Textilwerkstatt und Lehrküche bleiben autonom.<br />
Im beruflichen Milieu gibt es Dogmen, die meist<br />
apodiktisch verkündet werden. Holz- und Metallbearbeitung<br />
sind angeblich unvereinbar. Holzstäube<br />
führen zur Korrosion von Maschinenbetten, Ölfilme<br />
– in der Metallverarbeitung üblich – hinterlassen<br />
verheerende Flecken auf Holzoberflächen. Diese<br />
puristische Auffassung ist in Schulwerkstätten<br />
vernachlässigbar. In einer kombinierten Holz- und<br />
Metallwerkstatt ist die Verwendung einiger Maschinen<br />
für beide Werkstoffe möglich. Hierzu zählen<br />
eine Säulenbohrmaschine, eine Drehmaschine, eine<br />
Bandsäge mit verstellbarer Drehzahl, sowie eine<br />
kleine CNC-Fräsmaschine.<br />
Die Kombinierbarkeit einer Kunststoffwerkstatt mit<br />
einer Elektrowerkstatt ist bei Raummangel vertretbar.<br />
Beide Werkstätten benötigen relativ wenig Platz<br />
für den Gerätepark. Emissionen sind zwar vorhanden,<br />
können aber durch kleine mobile Absauggeräte<br />
beherrscht werden. In der Textilwerkstatt ist natürlich<br />
Sauberkeit eine Grundbedingung - wer möchte<br />
schon in dem gerade geschneiderten Kleidungsstück<br />
Flecken haben. Solide stationäre Nähmaschinen, ein<br />
geräumiger Zuschneidetisch, eine Computer gesteuerte<br />
Stickmaschine, Bügelstationen mit Absaugung<br />
und möglicherweise einige Schneiderpuppen gehören<br />
zum Inventar.<br />
Die Lehrküche ist die vielleicht meist frequentierte<br />
Werkstatt in Schulen. Feierlichkeiten, der Pausenimbiss,<br />
Elternabende und Schülerfirmen brauchen eine<br />
Küche. Deshalb ist eine gewisse Professionalität der<br />
Küche empfehlenswert. Wir kennen Schulen, die<br />
schon zum dritten Mal eine Billigküche mit Spanplattenmöbeln<br />
und einem Haushaltsherd gekauft haben,<br />
weil der Vorgänger entsorgungsreif war.<br />
Zu Einzelheiten der Ausstattung, was Lehrküchen<br />
und Textilwerkstätten angeht, verweisen wir auf die<br />
Beiträge von Reinhold Hoge und Simone Maier in<br />
diesem Heft.<br />
Die Aufsichtspflicht in Werkstätten<br />
Diese unterscheidet sich nicht von der allgemeinen<br />
Aufsichtspflicht. Zur Erinnerung: Der Lehrer muss<br />
nicht permanent bei den Schülern sein. Er kann die<br />
Werkstatt verlassen, um Material zu holen. Er kann<br />
bei getrennten Werkstätten (Maschinenraum, Werkbankraum)<br />
nur in einem der Räume präsent sein.<br />
Immer müssen die Schüler das Gefühl haben, dass<br />
der Lehrer jeden Moment wieder eintritt. Für die Arbeitslehre<br />
ist der Erwerb eines Sicherheitszertifikats<br />
durch den Lehr zwingend vorgeschrieben. Es versteht<br />
sich von selbst, dass Schüler Maschinen erst<br />
nach gründlicher Einweisung bedienen dürfen. Die<br />
Berliner Regelung, eine Zusammenarbeit zwischen<br />
der Unfallkasse Berlin und dem IBBA, wird in dem<br />
Beitrag von Eisen/Seibel in diesem Heft vorgestellt.<br />
In den Werkstätten bestimmt allein der Lehrer, welche<br />
Arbeiten die Schüler ausführen dürfen und welche<br />
nicht. In der Vergangenheit kam es vor, dass z.B.<br />
Werkstattmeister sich Verbote anmaßten. „Ich stehe<br />
mit einem Bein im Gefängnis“, so die Phrasen von<br />
Nichtlehrern, die namentlich fachfremd unterrichtende<br />
Lehrer stark verunsichern. In solchen Fällen<br />
sollten Lehrkräfte immer das Urteil von Experten<br />
einholen.<br />
Details zur Ausstattung der Kernwerkstätten<br />
Aus Platzgründen drucken wir hier nur eine Aufzählung<br />
der wichtigsten Ausstattungsteile ab. An<br />
einem Beispiel wird die Anforderung spezifiziert.<br />
Wer vor Investitionsentscheidungen steht, bekommt<br />
vom IBBA für jedes Ausstattungsteil ein detaillier-<br />
7<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
tes Anforderungsprofil, das der anbietenden Firma<br />
klare Vorgaben macht. Eine weitere Serviceleistung<br />
des IBBA in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft<br />
für Arbeitslehre Berlin ist die zeichnerische Darstellung<br />
der Stellflächen in einem vorhandenen Raum.<br />
Investitionsgüter ohne Kleingeräte und Werkzeuge<br />
1. Säulenbohrmaschine<br />
2. kombinierte Dreh- und Fräsmaschine für Metall<br />
(Holz, Kunststoff)<br />
3. Kreissäge<br />
4. Bandsäge<br />
5. kombinierte Abrichte-Dickenhobelmaschine<br />
6. Späneabsauganlage<br />
7. Tischfräse<br />
8. Warmformmaschine<br />
9. Spritzgussmaschine<br />
10. Lötstationen<br />
11. Netzgeräte<br />
12. Universal-Messgeräte<br />
13. Ätzgerät<br />
Am Beispiel einer Tischkreissäge wird das detaillierte<br />
Anforderungsprofil vorgestellt.<br />
Drehstrommotor<br />
Graugusstisch mind. Aluguss Tisch<br />
Blattdurchmesser bis 300 mm<br />
Blatt schräg stellbar<br />
Notaus<br />
Motorbremse<br />
Parallelanschlag verkürzbar<br />
Schiebetisch für Winkelschnitte<br />
Absaugstutzen<br />
Blattabdeckung an Auslegerarm<br />
Sicherheitspaket<br />
Die Untergrenze der Kosten für die genannte Ausstattung<br />
liegt bei ca. 200 000 €. Bei einer Mindestnutzungsdauer<br />
von zehn Jahren belaufen sich die<br />
Kosten auf 20 000 € jährlich oder 1600 € monatlich<br />
(halbes Lehrergehalt). Dies ist der Preis dafür,<br />
dass Generationen von Schülern besser vorbereitet<br />
einem Industrieland Bundesrepublik zur Verfügung<br />
stehen. Die eingangs erwähnte unabgeschlossene<br />
didaktische Aufgabe besteht u.a. darin, über<br />
Dienstleistungswerkstätten nachzudenken. Viele<br />
Dienstleistungen in unserem Lande werden von Migranten<br />
bewältigt. In unseren Schulen ist der Anteil<br />
von Schülern mit türkisch/arabischer Herkunft sehr<br />
groß. Einige von ihnen werden aufsteigen, Facharbeiter<br />
oder Ingenieur werden, andere setzen die<br />
Dienstleistungstradition der Eltern fort. Deutsche<br />
Schüler verpassen qualifizierte Ausbildungsgänge<br />
und finden sich in Konkurrenz zu Migranten wieder.<br />
Hier haben Schülerfirmen ihren Platz, in denen<br />
Schüler temporär mitarbeiten. (Siehe auch Heft 8<br />
dieser Zeitschrift). Schülerfirmen sind kein Ersatz<br />
für eine systematische Projektabfolge in Werkstätten<br />
mit der schon beschriebenen technischen Grundbildung.<br />
Gastronomische Angebote, Reinigungs- und Wartungsarbeiten,<br />
personenbezogenen und gerätetechnische<br />
Serviceleistungen können eine Ergänzung zu<br />
den Kernwerkstätten sein.<br />
Die höchst zulässige Gruppengröße in Werkstätten<br />
Diese gibt es nicht. Die Berliner Schulverwaltung<br />
konnte sich bis heute (in über 40 Jahren Arbeitslehre<br />
Existenz) nicht dazu durchringen, eine auf<br />
didaktischen Erfahrungen und sicherheitstechnischen<br />
Zwängen beruhende Zahl zu nennen.<br />
Verständlich war diese Unterlassungsstrategie vor<br />
dem Hintergrund der Krisenprophylaxe: In Zeiten<br />
der Geldknappheit möchte man sich die Option für<br />
Lerngruppenvergrößerung offen halten. In neuerer<br />
Zeit ist die Delegation von Verantwortung (jede<br />
Schule bestimmt die Verwendung der Ressourcen)<br />
scheinbar eine Lösung. So kann es geschehen, dass<br />
ein Fremdsprachenangebot „Suaheli“ mit acht teilnehmenden<br />
Schülern durchgeführt wird und für<br />
Arbeitslehre/WAT keine Teilungsstunden verbleiben.<br />
Beim Bau der 13 Bildungszentren in Berlin wurden<br />
die Arbeitslehrewerkstätten größenmäßig und<br />
von der Möblierung her definiert. Die Architekten<br />
wollten wissen, wie viele Stühle sind vorzusehen.<br />
Die Zahl sechzehn je Raum wurde den Verantwortlichen<br />
abgerungen, aber ausdrücklich wurde betont,<br />
dies sei kein Grenzwert für die Gruppengröße.<br />
Damals war die Normfrequenz 32, eine Teilung<br />
der Lerngruppe ergab die magische Zahl 16.<br />
Beschämend – dies sei am Rande vermerkt – sind<br />
Äußerungen von Erziehungswissenschaftlern, die<br />
behaupten, die Lerngruppengröße sei irrelevant für<br />
den Lernerfolg. In den professoralen Köpfen dominiert<br />
das Bild vom Hörsaal und der Qualität der<br />
verkündeten Weisheiten. Erhellend für diesen Personkreis<br />
wäre eine Unterrichtsstunde mit 30 Schülern<br />
in der Lehrküche.<br />
Wenn eine parallele Raumnutzung möglich ist und<br />
8<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
ein Werkstattmeister/Sozialarbeiter zur Verfügung<br />
steht, kann u. U. mit größeren Gruppen gearbeitet<br />
werden. Bei Arbeitslehreprojekten gibt es immer<br />
wieder Phasen, wo alle Maschinen und Werkbänke<br />
in Betrieb sind. Der Arbeitseifer ist dann oft<br />
eine positive Erscheinung und die Ausgliederung<br />
von „Überhanggruppen“ macht Probleme.<br />
Es wäre sehr bedauerlich, wenn gute Werkstätten<br />
und die lerntheoretisch unbestrittene Chance der<br />
praktischen Arbeit nicht genutzt würden. Ein Lehrer<br />
kann kaum mehr als 15 Schüler, die nicht auf<br />
Stühlen sitzen, sondern unterschiedliche Arbeitsschritte<br />
durchführen und mit Werkstoffen und Geräten<br />
hantieren, verantwortungsvoll betreuen. Das<br />
Gesagte gilt für ausgebildete Arbeitslehrelehrer.<br />
Fachfremd unterrichtende Lehrer gehen oft gar<br />
nicht erst in die Werkstatt, da sie in der Regel auch<br />
nicht in der Lage sind, die benötigten Halbzeuge<br />
in den entsprechenden Abmessungen herzustellen.<br />
Eine beliebte Notlösung sind Bausätze von verschiedenen<br />
Anbietern, bei denen der Schüler alle<br />
benötigten Teile in einem in einem Beutel vorfindet.<br />
Bei dieser Art der Materialbeschaffung entwickelt<br />
der Schüler keinerlei Bezug zu den handelsüblichen<br />
Formen der Halbzeuge. Erforderliche<br />
Schnitte lassen sich zur Not auch mit der Handsäge<br />
durchführen – mit dem entsprechenden Qualitätsverlust.<br />
Dramatisch wird es, wenn auch nur<br />
ein Teil durch falsches Anreißen oder Bearbeiten<br />
unbrauchbar wird: Materialreserve ist nicht vorgesehen<br />
und in der Regel auch nicht vorhanden.<br />
Bei diesem Beutel-Produkt müssen immerhin noch<br />
die Sägelinien angerissen werden. In diesem Fall ist<br />
mit der Bandsäge getrennt worden. An die sägerauen<br />
Schnitte werden mit viel Leim und ohne Verleimvorrichtung<br />
die ebenso sägerauen Leisten geklebt. Wegen<br />
der möglichen Ungenauigkeit beim Messen, Anreißen<br />
und Sägen werden die Maße der restlichen 4 Leisten<br />
vom Werkstück abgenommen und dann angepasst.<br />
Eine Oberflächenbearbeitung ist nicht vorgesehen.<br />
Das Werkstück ergibt das Ziffernblatt einer Uhr.<br />
Ein solches Produkt haben Schülerinnen und Schüler<br />
nach 40 Jahren Arbeitslehre in Berlin mit Arbeit in<br />
Werkstätten nicht verdient.<br />
9<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Reinhold Hoge<br />
Die Lehrküche in der Arbeitslehre/WAT<br />
Unter den zahlreichen Werkstätten gilt die Lehrküche<br />
oft als die beliebteste. Sie wird innerhalb der<br />
Schule auch sehr gerne von anderen Schulfächern<br />
(„Wir wollen französisch frühstücken und brauchen<br />
die Küche …“) und zu allerlei feierlichen Anlässen<br />
in Anspruch genommen.<br />
Das bedeutet zum einen, dass besonders in dieser<br />
Werkstatt ein guter Organisationsablauf vorgehalten<br />
werden muss, um die Küche in einem nutzbaren Zustand<br />
zu halten. Zum anderen sollte eine Lehrküche<br />
entsprechend solide und sicher ausgestattet sein.<br />
Grundsätzlich ist in Arbeitslehre-Werkstätten professionellen<br />
Werkzeugen der Vorzug gegenüber billigen<br />
Haushaltsgeräten zu geben. Langjährige Erfahrungen<br />
haben gezeigt, dass es nur scheinbare Einsparungen<br />
bei der Erstanschaffung gibt, weil Billigwerkzeuge<br />
sehr schnell unbrauchbar werden und Mehrfachanschaffungen<br />
die Regel sind. Mitunter wird auch mit<br />
dem schäbig gewordenen Gerät „weitergewurstelt“.<br />
Der Einwand, auch in vielen Haushalten müsse aus<br />
Kostengründen mit einer „Amateurausstattung“<br />
gearbeitet werden, ist aus zweierlei Gründen nicht<br />
stichhaltig:<br />
• Lernanfängern wird durch solides Werkzeug die<br />
Arbeit erleichtert.<br />
• In Privathaushalten wechseln nicht ständig die<br />
Nutzer und es kann von einem schonenden<br />
Umgang mit den Dingen ausgegangen werden.<br />
Möblierung<br />
Ideal (und extrem langlebig) sind Küchenmöbel<br />
aus Edelstahl. Im Gastronomiebereich gilt dies<br />
als Selbstverständlichkeit. Haushaltsküchen sind<br />
häufig aus Spanplatten gefertigt und haben aus optischen<br />
Gründen Sockel mit Bodenabschluss. Küchenmöbel<br />
im „öffentlichen“ Bereich sollten mit<br />
Bodenfreiheit aufgestellt sein, so dass gründlich<br />
auch unter den Schränken gewischt werden kann.<br />
Ein Kompromiss besteht darin, dass die Korpusse<br />
aus Holzwerkstoffen bestehen (allerdings sind an<br />
die Feuchtigkeitsbeständigkeit erhöhte Anforderung<br />
zu stellen, z.B. AW 100), die Arbeitsplatten<br />
jedoch aus Edelstahl gefertigt sind.<br />
Herde und Kochstellen<br />
Ideal sind Zweierkochstellen mit Gasversorgung 1 ,<br />
so dass jeder Schüler seine eigene Kochstelle hat.<br />
Leider verfügen immer weniger Schulen über Gasanschluss<br />
(auch immer weniger Haushalte) und es<br />
muss auf die von Profiköchen grundsätzlich abgelehnte<br />
Elektrokochplatte zurückgegriffen werden.<br />
Herde bzw. Backöfen sind aus ergonomischen und<br />
sicherheitstechnischen Gründen immer in Augenhöhe<br />
anzubringen. Hier ist einer Versorgung mit elektrischer<br />
Energie der Vorzug zu geben.<br />
Schmutzbecken<br />
Nach Möglichkeit sollte ein Waschbecken ausschließlich<br />
für möglicherweise kontaminierte Lebensmittel<br />
reserviert sein (Salmonellen in aufgetautem<br />
Geflügel). In diesem Becken dürfen auf keinen<br />
Fall zum Rohverzehr gedachte Lebensmittel (Salate)<br />
gewaschen werden.<br />
Schneidbretter<br />
Hartnäckig hält sich die ignorante Parole, Holzbretter<br />
seien zu eliminieren, weil sie Bakterienbefall<br />
begünstigten. Das Gegenteil ist der Fall: einige<br />
Holzarten haben sogar eine antibakterielle Wirkung.<br />
Gesäuberte und gut getrocknete Holzbretter können<br />
bedenkenlos verwendet werden. Am besten eigenen<br />
sich mindestens 40 Millimeter dicke Hirnholzbretter<br />
mit absoluter Planlage. Kunststoffbretter können<br />
durch das Messer verursachte Kerbbildungen nicht<br />
schließen und ständig gelangen Kunststoffpartikel<br />
ins Essen (was bei diesen geringen Mengen nicht<br />
Besorgnis erregend ist). Sicherheitsrelevant ist der<br />
Umgang mit größeren und schwereren Brettern<br />
(und nur diese sind für professionelles Arbeiten geeignet).<br />
Zerkleinerte Lebensmittel sollten mit einem<br />
Spachtel oder mit einem breiten Messer aufgenommen<br />
und in den Topf gegeben werden. Das Manipulieren<br />
des gesamten Brettes kann kritisch werden.<br />
1<br />
Bei Gaskochstellen ist eine Zwangsbelüftung des Raumes zwingend<br />
vorgeschrieben. Es ist darauf zu achten, dass die Belüftungseinrichtung<br />
stets funktionsfähig ist, nicht zugestellt werden darf und von Staubflusen<br />
frei gehalten wird.<br />
10<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Töpfe und Pfannen<br />
Zum Braten und Schmoren eignet sich schwarzes<br />
Kochgeschirr besser als helles. Guss- und Stahlpfannen<br />
sowie Bräter sind Edelstahl-Kochgeschirr<br />
überlegen. Töpfe können aus Edelstahl bestehen,<br />
auch wegen der besseren Reinigungsmöglichkeit.<br />
Einige Firmen werben mit dem „dicken“ Compoundboden<br />
des Topfes, was jeder Grundlage entbehrt.<br />
Spitzentöpfe haben Boden und Wände aus<br />
der gleichen Materialdicke, allerdings aus einem<br />
Mehrschichtmaterial. Die Wärmeverteilung im<br />
Topf ist wesentlich besser als bei Compoundböden.<br />
Der hohe Preis ist gerechtfertigt.<br />
Messer<br />
Das wohl wichtigste Werkzeug in der Küche ist das<br />
Messer. Wer hieran spart, hat von der Lebensmittelzubereitung<br />
nichts verstanden. Drei Qualitätsmesser<br />
gehören zur Grundausstattung. Vom Messer untrennbar<br />
ist der Wetzstahl. Nach wenigen Schnitten<br />
muss jedes Messer – auch das Beste – kurz über<br />
den Wetzstahl gezogen werden. Sobald die Abstumpfung<br />
des Messers einen bestimmten Verrundungsradius<br />
erreicht hat, kann mit dem Wetzstahl<br />
nichts mehr ausgerichtet werden. Das Messer muss<br />
dann an der Schleifmaschine geschliffen werden.<br />
Bei ständigem Gebrauch des Wetzstahls ist das nur<br />
in sehr großen Zeitabständen nötig. Von der Industrie<br />
angebotene „immer scharfe“ Messer gibt es<br />
nicht. Sicherheitsrelevant ist das gute und scharfe<br />
Messer deshalb, weil Schnittverletzungen zu den<br />
häufigsten Unfällen in der Lehrküche gehören. Alle<br />
Schnittverletzungen, gerade die dramatischeren,<br />
erfolgten mit stumpfen Messern. Da jeder Unfall<br />
das „unkontrollierte Freiwerden von Energie“ ist,<br />
wird beim stumpfen Messer stets viel Energie frei,<br />
weil der Bediener besonders heftig drücken muss.<br />
Elektrische Kleingeräte<br />
Nach Möglichkeit sollten Geräte mit Schutzisolierung<br />
verwendet werden, wenn das nicht möglich<br />
ist, muss auf Schutzerdung zurückgegriffen werden.<br />
Geräte mit rotierenden Messern sollten eine<br />
Zwangsabschaltung beim Öffnen des Deckels haben.<br />
Die meisten Elektrogeräte sind entbehrlich<br />
und umstandslos durch Handwerkzeug zu ersetzen.<br />
Paradebeispiel für entbehrliche Elektrogeräte: der<br />
Eierkocher, hier in der Version für die Mikrowelle<br />
„mit süßen Entenfüßen“ und die Eieruhr.<br />
Friteusen<br />
Frittieren gehört zu den schnellsten, bekömmlichsten<br />
und kulinarischsten Garmethoden. Leider sind Friteusen<br />
auch gefährlich. In der gesamten Gastronomie<br />
sind Frittierbecken in die Tischplatte eingelassen.<br />
Freistehende Friteusen gibt es nur im Haushaltsbereich.<br />
Billig-Friteusen haben eine Kunststoffverkleidung,<br />
die sich bald<br />
nicht mehr reinigen<br />
lässt und die sich, temperaturbedingt,<br />
verformt.<br />
Deshalb sollten<br />
in der Lehrküche<br />
ausschließlich Ganzmetall-Friteusen<br />
verwendet werden. Die Friteuse<br />
ist unbedingt gegen Herunterreißen zu sichern und<br />
am Tisch festzuschrauben. Der Norminhalt einer<br />
Haushalts-Friteuse beträgt drei Liter etwa 180 Grad<br />
heißes Öl. Wer sich den Inhalt über die Bekleidung<br />
gießt, erleidet schwerste Verbrennungen.<br />
Friteusen müssen die Vorschriften nach DIN 18856, DIN 3362/63, VDE<br />
0720 erfüllen (siehe Richtlinien zur Sicherheit im Unterricht. Empfehlungen<br />
der Kultusministerkonferenz. Ausgabe März 2003)<br />
Leider wird der Einsatz von Friteusen im Arbeitslehre-Unterricht<br />
oft gemieden. Unkenntnis und törichte<br />
Vorurteile sind der Grund. Während in der<br />
chinesischen Küche, der wohl intelligentesten der<br />
Welt, massenhaft frittiert wird, gilt in der deutschen<br />
Küche Frittieren als ungesund.<br />
• In extrem kurzen Zeiten können Speisen gegart<br />
werden, die Temperaturen sind deutlich höher<br />
als etwa bei Dampfdrucktöpfen.<br />
• Frisches Öl und konstant hohe Temperaturen<br />
sorgen für gesundes Garen, denn es dringt kaum<br />
Fett in das Frittiergut.<br />
• Ausbackteige u.ä. sorgen für kulinarische<br />
Varianten.<br />
• Bedenkliche Röststoffe, die beim Braten fast<br />
immer auftreten, sind beim Frittieren ausgeschlossen.<br />
• Nur wer selber frittiert, kann den Unterschied<br />
zu den Produkten der nicht nur bei Jugendlichen<br />
besonders beliebten unsäglichen „Frittenbuden“<br />
beurteilen.<br />
Vorratshaltung in der Küche<br />
In Lehrküchen dürfte die Vorratshaltung keine zentrale<br />
Rolle spielen. Zum einen sollen die Schüler<br />
Arbeitsziele mitbestimmen und eine Vorratshaltung<br />
könnte die Entscheidung insofern präjudizieren, als<br />
11<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
die Dinge verbraucht werden, die zufällig vorhanden<br />
sind. Ein weiterer Grund ist die in vielen Familien<br />
verbreitete Unsitte, Tiefgefrorenes mal eben<br />
aufzutauen – dieses Verhalten sollte in der Lehrküche<br />
nicht verstärkt werden. Gesund und kulinarisch<br />
sich zu ernähren, heißt immer, frische Lebensmittel<br />
zuzubereiten. Auch wenn dies im Familienalltag<br />
konterkariert wird, ist die Schule dazu da, Gegenmodelle<br />
zu entwickeln.<br />
Aber auch bei den wenigen Lebensmitteln, die auf<br />
Vorrat gehalten werden (Essig, Öl, Zucker, Mehl<br />
usw.) ist auf das Verfallsdatum zu achten. Leider ist<br />
die Lagerung von zerkleinerten Gewürzen sehr verbreitet,<br />
was zwar nicht sicherheitsrelevant ist, aber<br />
unsinnig und der Sensorik nicht förderlich. Gewürze<br />
werden immer kurz vor dem Gebrauch gemahlen,<br />
gemörsert, gehackt usw. Bei der Lagerung von Getreide,<br />
eine Praxis, die zu begrüßen ist, denn frisch<br />
gemahlenes Mehl ist sensorisch und vom Nährstoffgehalt<br />
dem Supermarkt-Mehl überlegen, muss auf<br />
gut durchlüftete Behältnisse geachtet werden.<br />
Dampfdrucktöpfe<br />
Dampfdrucktöpfe sind in der Lehrküche völlig unsinnig,<br />
weil die Speisen beim Garen beobachtet werden<br />
müssen. Selbst Kartoffeln haben - je nach Sorte<br />
- unterschiedliche Garzeiten. Wenn dennoch nicht<br />
auf Dampfdrucktöpfe verzichtet werden soll, dürfen<br />
Speisen mit unterschiedlichen Garzeiten nicht<br />
gemeinsam gekocht werden. Das deutsche Pampsgemüse<br />
ist oft ein Produkt von Dampfdrucktöpfen.<br />
Die legendäre Energieersparnis bei Dampfdrucktöpfen<br />
ist weitgehend eine Chimäre, denn die relativ<br />
schweren Systeme brauchen eine Menge Energie,<br />
um hochgeheizt zu werden.<br />
Sicherheitsrelevant bei Dampfdrucktöpfen ist die<br />
regelmäßige Funktionskontrolle der Ventile und die<br />
Belehrung der Schüler, auf gar keinen Fall gewaltsam<br />
den Bajonettverschluss des unter Druck stehenden<br />
Topfes zu öffnen (das ist in der Vergangenheit<br />
vorgekommen).<br />
Abzugshauben<br />
Wenn in einer Küche mehr gemacht wird als Obstsalat<br />
zu schnitzen und Tiefkühlkost aufzutauen,<br />
wenn also gekocht wird, ist eine Abzugshaube über<br />
dem Herd unerlässlich. Nach relativ kurzer Zeit<br />
bildet sich ein Fettfilm, der durch Abzugshauben<br />
zwar nicht verhindert, aber deutlich reduziert werden<br />
kann. Da in Schulküchen das Reinigungspersonal<br />
lediglich die Böden reinigt, handelt es sich hier<br />
um eine Frage der Hygiene. In vielen Schulküchen<br />
ist der Geruch von ranzigem Fett allgegenwärtig.<br />
Ablufthauben sind wesentlich effektiver, wegen<br />
der Luftführung nach außen jedoch nicht immer<br />
installierbar. Umlufthauben erfordern neben dem<br />
Fettfilter-Wechsel (bzw. dessen Reinigung) einen<br />
Geruchsfilter. Unbedingt ist auf den Mindestabstand<br />
zur Kochstelle zu achten. Bei der Entflammung von<br />
Fett darf auf keinen Fall die Flamme in die Abzugshaube<br />
schlagen. Abzugshauben müssen in regelmäßigen<br />
Abständen fachmännisch gereinigt werden.<br />
Arbeitskleidung<br />
Schürzen oder Kittel, möglichst auch Kopfbedeckungen,<br />
sollten in Schulküchen die Regel sein.<br />
Eine regelmäßige Reinigung ist selbstverständlich.<br />
Während die Unfallkasse Berlin früher sogar Sachschäden<br />
an der Schülerkleidung regulierte, ist dies<br />
heute nicht mehr möglich. Auch aus diesem Grunde<br />
ist eine Schutzkleidung angezeigt.<br />
Lehrküche der Hermann-von-Helmholtz-Schule, Berlin Neukölln<br />
12<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
13<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Simone Maier<br />
Ein Raum, in dem Schüler fürs Leben viel lernen können: die Textilwerkstatt<br />
Eine recht verstandene Arbeitslehre braucht einen<br />
Textilarbeitsraum. Auf das Argument, dies koste alles<br />
viel Geld und daran mangele es nun mal, sind wir gefasst.<br />
Alle Schulen verfügen inzwischen über mindestens<br />
einen Computerraum, der auch nicht billig war.<br />
Dessen Daseinsberechtigung ist scheinbar unstrittig,<br />
von nachdenklichen Mahnern abgesehen, die weniger<br />
Bildschirm für das Gebot der Stunde halten.<br />
Ganz früher gab es „Textiles Werken“ auch „Handarbeitsunterricht“<br />
genannt. Mädchen fertigten dort<br />
Sticktücher an und übten sich am Handwebstuhl. Das<br />
Frauenbild des Biedermeier hielt sich ziemlich lange.<br />
In der Frühzeit der Arbeitslehre fanden rationale Argumente<br />
Eingang in Lehrpläne. Näharbeiten galten<br />
als Chance zur Selbsthilfe und damit auch ökonomisch<br />
legitimiert. Wenn kein eigener Fachraum zur<br />
Verfügung stand, waren ein paar Koffernähmaschinen<br />
im Schrank immerhin ein Anfang 1 .<br />
In der Arbeitslehre-Literatur (eine WAT-Literatur gibt<br />
es noch nicht) finden sich gute Argumente für die Belebung<br />
einer Textilwerkstatt in Schulen:<br />
1. Die Beherrschung einfacher Näharbeiten, mit denen<br />
Reparaturen und Änderungen möglich sind, macht<br />
Spaß und spart Geld, das in vielen Haushalten fehlt.<br />
2. Alle Konsumenten kaufen Bekleidung und Heimtextilien.<br />
Werkstoffkenntnisse können da nicht schaden:<br />
Trage - und Pflegeeigenschaften, Lebensdauer,<br />
Herkunft der Rohstoffe, ökologische Unbedenklichkeit,<br />
Entsorgung.<br />
3. Modediktate gibt es, und Jugendliche sind anfällig,<br />
das zeigen viele Studien 2 . Favorisierte Marken haben<br />
charismatische Ausstrahlung, aber auch sie können<br />
einem Qualitätstest unterzogen werden, an dessen<br />
Ende ein Preis-Leistungsvergleich steht.<br />
4. Im Unterricht kann man der Frage nachgehen, ob es<br />
eine Alternative zu kollektivem Druck auf das eigene<br />
Outfit gibt. Eine Alternative wäre das selbst geschaffene<br />
Unikat. Logos und Applikationen lassen sich<br />
mit Nadel und Faden an Standardkleidungsstücken<br />
anbringen.<br />
5. Berufsorientierung findet leider viel zu häufig mit<br />
Broschüren statt. Der Lektüre sollten sinnliche Erfahrungen<br />
voraus gehen. In der Textilwerkstatt rattert<br />
nicht unablässig eine Nähmaschine, da kommen<br />
Gespräche auf: Was macht ein Modedesigner, welche<br />
1<br />
2<br />
siehe zum Beispiel: Gisela Grolms u.a.: Die Wendetasche. Klett 1970<br />
Susanne Gaschke: Die verkaufte Kindheit. Pantheon Verl. <strong>2012</strong><br />
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14<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Berufe gibt es im Handwerk, welche in der Industrie?<br />
Was ein Schneider tut, kann sich der Schüler vorstellen,<br />
beim Textilingenieur ist das schon schwieriger.<br />
Selbständigkeit mit der Nähmaschine reicht vom exklusiven<br />
Herrenschneider bis zur „Änderungsannahme“.<br />
Was gehört an Ausstattung in eine schulische Textilwerkstatt?<br />
Zu den wichtigsten Objekten wird im Folgenden<br />
kurz Stellung genommen:<br />
Der Textilarbeitsraum sollte so hell wie möglich sein.<br />
Fenster und eine gute künstliche Beleuchtung sind<br />
notwendig.<br />
Das wichtigste sind fest eingerichtete Nähmaschinenarbeitsplätze<br />
mit einer am Tisch angebrachten<br />
Arbeitslampe. Koffernähmaschinen können durch<br />
unachtsames Hin- und Herräumen schnell beschädigt<br />
werden. Deshalb sind schwere oder im Tisch<br />
eingelassene Maschinen zu bevorzugen. Die Nähmaschinen<br />
sollten mindestens über Geradstich und<br />
Zickzackstich verfügen, darüber hinaus bietet ein<br />
modernes Zierstichprogramm allerdings viele Gestaltungsmöglichkeiten.<br />
Beim Arbeiten mit Stoff muss auch gebügelt werden.<br />
Deshalb ist die Anschaffung geeigneter Dampfbügeleisen<br />
mit Edelstahlsohle wichtig, die bei Verschmutzungen<br />
und Verklebungen leicht zu reinigen ist. Teflonsohlen<br />
sind für eine Lehrwerkstatt ungeeignet, da<br />
sie empfindlich sind und schnell zerkratzen.<br />
Höhenverstellbare Bügelbretter und ein Ärmelbrett<br />
für schwer zugängliche Nähte gehören zur Grundausstattung.<br />
Bügeltische mit Absaugung der mitunter<br />
unverträglichen Dämpfe (chemische Ausrüstung bestimmter<br />
Stoffe) sind kein Luxus, ihre Anschaffung<br />
sollte erwogen werden, wenn viel gebügelt wird.<br />
Abschließbare Aufbewahrungsschränke sind unverzichtbar.<br />
Wenn verschiedene Lerngruppen die Textilwerkstatt<br />
nutzen, möchte jede ein eigenes Depot<br />
haben. Nicht zu vergessen sind Reinigungsgeräte,<br />
denn heruntergefallene Stofffetzen und Fäden sollten<br />
entfernt werden, es besteht Rutschgefahr.<br />
In einem so ausgestatteten Textilarbeitsraum macht<br />
das Lernen und Arbeiten den Schülern und Lehrern<br />
viel Spaß und Textilprojekte lassen sich mit großem<br />
Erfolg umsetzen.<br />
Es ist empfehlenswert beim Kauf der Nähmaschinen<br />
einen Wartungsvertrag abzuschließen. Ist dies nicht<br />
möglich, muss auf eine regelmäßige Wartung durch<br />
einen Fachbetrieb geachtet werden.<br />
Die Anschaffung von wenigstens einer Kettelmaschine<br />
(Overlockmaschine) ist sinnvoll, da man hiermit<br />
vollkommen fransenfreie Nähte und Kanten sowie<br />
elastische Sicherheitsnähte beim Nähen von T-Shirts<br />
herstellen kann. Eine (computergesteuerte) Stickmaschine<br />
erfreut sich großer Beliebtheit bei Schülern.<br />
Sie können individuelle Stickereien an textilen Gegenständen<br />
anbringen.<br />
Weiterhin werden Stoffscheren zum Zuschneiden,<br />
Papierscheren, kleine Arbeitsscheren, Nahttrenner<br />
sowie Maßbänder, Handmaße, Schneiderkreide<br />
und Stecknadeln benötigt. Für notwendige Handarbeiten<br />
werden auch Nähnadeln und Fingerhüte<br />
gebraucht.<br />
Zum Zuschneiden sind Tische mit möglichst großer,<br />
glatter oder auch gummierter Arbeitsfläche nötig<br />
(Höhenverstellbarkeit vorteilhaft). Um Schnittmusterschablonen<br />
herstellen zu können, müssen Schnittpapier<br />
(z.B. Plotterpapier oder Packpapier u.ä.) sowie<br />
kleine Gewichte aus Metall (z.B. Reste aus der Metallwerkstatt)<br />
zum Beschweren der Schnittmuster auf<br />
dem Stoff beim Zuschneiden vorhanden sein.<br />
Overlockmaschine<br />
Nähmaschine<br />
Stickmaschine<br />
15<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Detmar Grammel<br />
Kunststoffverarbeitung im Arbeitslehreunterricht<br />
1. Rückblick<br />
In den „Inhaltlichen Grundlagen für das Fach Arbeitslehre“<br />
vom August 1975 findet sich neben<br />
den Bereichen „Industrielle Fertigung (Beispiel:<br />
Automatisierung)“ und „Industrielle Fertigung<br />
(Beispiel: Werkstoffprüfung)“ der Bereich „Industrielle<br />
Fertigung (Beispiel: Kunststoffe)“. Im Didaktischen<br />
Kommentar heißt es zur Begründung<br />
der Auswahl dieser Werkstoffe: „Einer Didaktik<br />
der Arbeitslehre stellt sich die Frage, ob das Thema<br />
‚Kunststoffe’ im Hinblick auf seine Bedeutung<br />
und Eignung für die vorberufliche Bildung im<br />
Unterricht behandelt werden sollte. Wir meinen,<br />
diese Frage bejahen zu müssen …“ (ebd. S. 36).<br />
Die folgenden Gründe werden genannt 3<br />
• Am Thema Kunststoffverarbeitung lassen sich<br />
besonders gut industrielle Entwicklungstendenzen<br />
herausarbeiten.<br />
• Chemie, Technologie, wirtschaftliche Bedeutung<br />
der Kunststoffe einschließlich der<br />
Umweltbelastung durch Kunststoffe sowie die<br />
Berufsstruktur in der kunststoffverarbeitenden<br />
Wirtschaft lassen sich im Unterricht so vermitteln,<br />
dass die Mehrheit der Schüler interessiert<br />
beteiligt ist.<br />
• Die Interdependenz von Technik, Wirtschaft<br />
und Politik wird bei diesem Thema besonders<br />
einsichtig.<br />
• Chemische Technologien waren im vorangegangenen<br />
Arbeitslehreunterricht unterrepräsentiert,<br />
andererseits fehlt es dem Chemieunterricht<br />
am technischen Anwendungsbezug.<br />
Abb. aus: Arbeitslehre in der Berliner Schule. Günter Reuel/Helmut Volle. © Pädagogisches Zentrum Berlin. 1977<br />
Die neu entstehenden Gesamtschulen wurden in<br />
Hinblick auf diesen Rahmenlehrplan erstmals mit<br />
den entsprechenden Maschinen ausgestattet. Zur<br />
Standardausrüstung gehörten eine Kolben-Spritzgussmaschine<br />
(Rheinnadel), eine Warmformmaschine<br />
(Illig) sowie ein Muffelofen. Um beide Maschinen<br />
nutzbar machen zu können, bedurfte es<br />
des Formenbaus. Dies gelang insbesondere bei den<br />
komplizierten Spritzgussformen nur an den Schulen,<br />
an denen Werkstattmeister mit der entsprechenden<br />
Ausbildung vorhanden waren. Andere Schulen,<br />
an denen Lehrkräfte an der Kunststofftechnologie<br />
interessiert waren, behalfen sich mit einfachen Geräten<br />
aus dem Lehrmittelhandel – auch so war das<br />
Herstellen einfacher Produkte mit den Techniken<br />
Spritzgießen, Warmformen und Schäumen möglich.<br />
16<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Während einige wenige Themen aus den „Inhaltlichen<br />
Grundlagen“ Bestand bis zum neuesten Rahmenlehrplan<br />
haben („Wohnen“, „Wirtschaften“,<br />
„Betriebspraktikum“), ist die Kunststoffverarbeitung<br />
aus dem Arbeitslehre-Kanon herausgefallen.<br />
Dies ist sicherlich von allen begrüßt worden, die<br />
unter dem oben beschriebenen Mangel an Ausstattung<br />
und Personal zu leiden hatten. Zumindest in<br />
einem Teil der ehemaligen Gesamtschulen ist die<br />
Kunststofftechnologie nie vergessen worden. Allerdings<br />
gibt es hier zumeist ein Problem: Auch bei<br />
nicht ständiger Nutzung haben die alten Rheinnadel-Kolbenspritzgussmaschinen<br />
und/oder die Formenschließer<br />
nach fast 40 Jahren ihr Nutzungsende<br />
erreicht. Rheinnadel hat die Produktion dieser<br />
Kleinserienmaschine schon vor langer Zeit eingestellt,<br />
ebenso die Firma Kortemeyer. Kleine, für<br />
Vorserien geeignete industrielle Spritzgussmaschinen<br />
sind offensichtlich nicht mehr auf dem Markt.<br />
Rheinnadel Kolben-<br />
Spritzgussmaschine<br />
Illig Warmformmaschine<br />
Als Materialien beim Spritzgießen und Thermoformen<br />
kommen Thermoplaste in Frage, die auf<br />
Grund ihres Schmelzverhaltens mit den zur Verfügung<br />
stehenden Maschinen und Geräten relativ<br />
einfach zu verarbeiten sind. Für die Kunststofftechnologie<br />
ist die spanlose Verarbeitung charakteristisch.<br />
Beim Thermoformen erfolgt die Formänderung<br />
des erwärmten Kunststoffs entweder durch<br />
ein Vakuum (Vakuum-Warmformmaschinen) oder<br />
durch mechanischen Druck. Den Vorgang des<br />
Schäumens (Volumenvergrößerung durch Treibgase)<br />
lässt sich einfach mit Bauschaum/Montageschaum<br />
darstellen. Dabei ist darauf zu achten,<br />
dass ausschließlich Polyurethan (PU) auf MDI-<br />
Basis 1 verwendet wird.<br />
Da bei der thermischen Verarbeitung von Kunststoffen<br />
toxische Emissionen nicht auszuschließen<br />
sind, ist stets bei gut gelüfteten Räumen zu arbeiten<br />
2 .<br />
3. Maschinen und Geräte zur Kunststoffverarbeitung<br />
2. Fertigungsverfahren in Schulwerkstätten<br />
In Schulwerkstätten bieten sich bei der Herstellung<br />
von Produkten aus Kunststoff die Fertigungsverfahren<br />
Urformen und Umformen an:<br />
Urformen:<br />
Umformen:<br />
Spritzgießen, Schäumen<br />
Thermoformen<br />
Die RENISHAW GmbH<br />
vertreibt in Deutschland die<br />
Produkte der Firma MTT<br />
Technologies Ltd., deren<br />
„preiswerteste“ Spritzgussmaschine<br />
3 , die halbautomatische<br />
MTT 100 KSA,<br />
rund 20.000,00 € kostet und<br />
damit für den Gebrauch an<br />
Schulen ausscheidet, zumal<br />
hier wieder das Problem der<br />
Formenbeschaffung steht.<br />
1<br />
2<br />
3<br />
Abb. © MTT Technologies Ltd.<br />
MDI: Diphenylmethandiisocyanat; vergl. Richtlinien zur Sicherheit im<br />
Unterricht. Empfehlungen der Kultusministerkonferenz. März 2003.<br />
GUV-SI 8070<br />
ebenda<br />
Ebenso wird die Bezeichnung Spritzgießmaschine verwendet.<br />
17<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Abb. © LPE<br />
Für Schulen durchaus<br />
erschwinglich ist die<br />
handbetriebene Spritzgussmaschine,<br />
die die<br />
Firma LPE anbietet:<br />
Die „Spritzgussmaschine<br />
Typ 25“ kostet nur<br />
3.163,02 € (brutto –<br />
zzgl. Transportkosten).<br />
Im Lieferumfang sind 2<br />
kg PE-Granulat enthalten.<br />
Diese Maschine hat den Vorteil, dass sie keinen<br />
Druckluftanschluss benötigt. Darüber hinaus<br />
gibt es eine Anzahl von passenden Spritzgussformen<br />
(Spritzgussformrohling 154,70 €, fertige Formen<br />
je 276,08 €).<br />
Der Formenbau ist immer noch die Achillesferse beim Spritzgießen,<br />
wenn man sich nicht auf die wenigen angebotenen Formen verlassen<br />
will. Lehrkräfte erhalten Unterstützung beim Formenbau durch das<br />
IBBA der TU. Nach Absprache können auch ganze Klassen zum Spritzgießen<br />
in die Werkstätten des IB-BA der TU kommen.<br />
Abb. © LPE Die Schneidemaschine<br />
FiloCUT3 ermöglicht<br />
zusammen mit dem<br />
Programm FiloCAD2<br />
die Simulation von<br />
Produktionsabläufen in<br />
Verbindung von CAD<br />
(computer aided design)<br />
and CAM (computer<br />
aided manufacturing)<br />
(1.598,00 €). Mit Hilfe eines Heizdrahtes<br />
werden die am Computer konstruierten Formteile<br />
aus Schaumstoffplatten herausgeschnitten.<br />
Abb. © LPE Mit dem „Vakuum<br />
Tiefziehgerät 1210 4 “<br />
(3.020,22 EUR zzgl.<br />
Transportkosten) mit<br />
eingebauter Vakuumpumpe<br />
lassen sich<br />
Formteile herstellen<br />
– entweder mit den<br />
angebotenen Formen<br />
(von 282,00 bis 609,00 €) oder mit selbst hergestellten.<br />
Weiterhin ist ein etwas weniger komfortables,<br />
aber preiswerteres Gerät im Angebot (eingebaute<br />
Handpumpe).<br />
4. Unterrichtsmaterialien<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Kunststoffindustrie<br />
(AKI), die viele Lehrkräfte noch in Erinnerung<br />
haben, gibt es nicht mehr, auch wenn sie auf einer<br />
Anzahl von Internetseiten herumspukt. Sie ist abgelöst<br />
worden von PlasticsEurope Deutschland e.V.,<br />
einem europaweiten Zusammenschluss von Kunststoffproduzenten<br />
(www.plasticseurope.de).<br />
Die E-Mailadresse lautet<br />
3 info.de(at)plasticseurope.org.<br />
Auf der genannten Web-Seite führen zwei Links<br />
(3 Schule & Jugend; 3 Für Lehrer: Unterrichtsmaterial)<br />
zu den Angeboten an Unterrichtsmaterialien.<br />
Kunststoffe - Werkstoffe unserer Zeit<br />
Dieses legendäre Heft, schon von der AKI herausgegeben,<br />
führt grafisch und sprachlich geglückt in die<br />
Welt der Kunststoffe, ihre<br />
Geschichte, ihre Chemie,<br />
die Rohstoffquellen und<br />
die Produktionsformen<br />
der Kunststoffverarbeitung<br />
ein – ein Arbeitsmittel,<br />
mit dem es sich sehr<br />
gut in der Sekundarstufe I<br />
arbeiten lässt. Für Schulen<br />
in Deutschland sind bis zu<br />
15 Exemplare pro Schuljahr<br />
kostenlos. Das Buch<br />
kann auch über einen Link auf der angegebenen Seite<br />
für Lehrzwecke herunter geladen werden.<br />
Kunststoff-Probensammlung<br />
Mit Hilfe der Probensammlung können verschiedene<br />
im o.g. Buch „Kunststoffe - Werkstoffe unserer<br />
Zeit“ beschriebene Versuche schnell und einfach<br />
durchgeführt werden. Die Sammlung enthält<br />
Phenolharz, Polyamid, Polyesterharz, Polyethylen,<br />
PMMA, Polystyrol und PVC. Für Schulen in<br />
Deutschland ist ein Exemplar pro Schuljahr kostenlos.<br />
Das Begleitheft zur Probensammlung kann über einen<br />
Link auf der angegebenen Seite herunter geladen<br />
werden.<br />
Relativ preiswerte Geräte zum Erwärmen und passgenauen<br />
Biegen ermöglichen die Kunststoffverarbeitung,<br />
auch wenn Werkstätten nicht mit teuren Warmform-<br />
und/oder Spritzgussmaschinen ausgestattet sind.<br />
4<br />
„Thermoformen bei Kunststoffen wird umgangssprachlich oft Tiefziehen<br />
genannt, kann jedoch nicht mit dem Tiefziehen von Metallen verglichen<br />
werden.“ siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Tiefziehen<br />
18<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Foliensammlung<br />
Die Sammlung umfasst mehr als 50 Folien zur Erzeugung,<br />
Verarbeitung und Verwendung von Kunststoffen,<br />
zusätzlich gibt es Lehrerinformationen. Die<br />
Folien können entweder von einer CD mit Hilfe eines<br />
Beamers im Unterricht eingesetzt oder als Overheadfolien<br />
farbig ausgedruckt werden. Die Foliensammlung<br />
ist nur als Download erhältlich:<br />
3 http://www.kunststoffland-nrw.de/bildung-forschung/schule/kunststoff-im-unterricht.html<br />
Berufsbild: Verfahrensmechaniker/in für<br />
Kunststoff- und Kautschuktechnik<br />
Auf der Internetseite Gesamtverband Kunststoffverarbeitende<br />
Industrie (GKV) finden sich unter<br />
3 http://www.gkv.de/ausbildung/verfahrensmechaniker.html<br />
die folgenden Links: Tätigkeit, Voraussetzungen,<br />
Infos zur Ausbildung, freie Ausbildungsstellen.<br />
5. Materialbeschaffung<br />
5.1. Granulat<br />
Geeignete thermoplastische Kunststoffe in Granulatform<br />
gibt es bei LPE. Das 5 kg Gebinde Polypropylen<br />
(PP) kostet – je nach Farbe – zwischen 59,62<br />
€ bis 114,24 €. Preisgünstiger, wenn nicht gar kostenlos,<br />
sind kleinere Mengen oftmals von Kunststoff<br />
verarbeitenden Betrieben in der Region zu erhalten.<br />
Shreddermaterial von Recyclingunternehmen eignet<br />
sich in der Regel nicht für Spritzgussmaschinen, die<br />
in Schulen verwendet werden, da zumeist Partien<br />
mit unterschiedlichem Schmelzpunkt gemischt sind<br />
und absolute Sortenreinheit nicht immer gewährleistet<br />
werden kann.<br />
5.2. Folien, Stäbe<br />
Folien und Stäbe unterschiedlicher Stärke, Farbe<br />
und Sorte gibt es im Fachhandel, z.B. bei:<br />
Grünberg Kunststoffe GmbH / Telefon: 030-4677749-0 /<br />
info(at)gruenberg-kunststoffe.de<br />
Reli Kunststoffe / Telefon 030 - 606 40 48 / reli-kunststoffe(at)online.de<br />
Walter Tittel GmbH / Tel: 030 – 693 60 26 / info(at)walter-tittel.de<br />
Die GATWU informiert<br />
Werben Sie Mitglieder - eine Beitrittserklärung finden Sie dieser Ausgabe beigelegt.<br />
Weitere Formulare - und auch Werbeexemplare der jeweils letzten Ausgabe des<br />
Forum Arbeitslehre - können Sie bei der Schatzmeisterin, Frau Dr. Simone Knab<br />
(Adresse siehe Impressum), bestellen.<br />
Als Mitgliedsbeitrag sind € 40,00 pro Jahr (Studenten: € 15,00) festgesetzt.<br />
Der Mitgliedsbeitrag ist steuerlich absetzbar.<br />
Mitglieder erhalten zweimal jährlich kostenlos das Forum Arbeitslehre mit bundesweiten<br />
Informationen zur Arbeitslehre und verwandten Unterrichtsfächern - die einzige<br />
für diesen Bereich verbliebene Fachzeitschrift.<br />
19<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Matthias Laub & Bernd Ludwig<br />
Kunststoffverarbeitung an der B.-Traven-Oberschule<br />
nachhaltiges Wirtschaften: Recycling-Tasche<br />
Kunststoff als Werkstoff hat in den vergangenen<br />
Jahren bedauerlicherweise zunehmend an Bedeutung<br />
für die Umsetzung von Projekten im Arbeitslehre-/WAT-Unterricht<br />
verloren. Dies ist in gewisser<br />
Weise unverständlich, da dieser Werkstoff in der industriellen<br />
Produktion eine führende Funktion einnimmt<br />
und für den Konsumenten in vielen Lebensbereichen<br />
von zentraler Bedeutung ist. Neben der<br />
recht einfachen Verarbeitbarkeit vieler Kunststoffe<br />
haben diese den Vorteil eines hohen ästhetischen<br />
Wertes. Produkte können aus Kunststoff allein oder<br />
in Verbindung mit anderen Werkstoffen hergestellt<br />
werden.<br />
Die leichten Bearbeitungsmöglichkeiten vieler<br />
Kunststoffe bieten somit auch bei einer nur einfachen<br />
Werkstattausstattung viele Projektmöglichkeiten<br />
schon für Schülerinnen und Schülern in der 7.<br />
Jahrgangsstufe. Der Rahmenlehrplan WAT ermöglicht<br />
die Bearbeitung des Themas Kunststoffe in einem<br />
weiterem Rahmen als nur der Werkstattarbeit.<br />
Vor allem die Module des Wahlpflichtbereichs bieten<br />
eine Vielzahl an Verbindungen. Im Kurs WP4<br />
(Nachhaltiges Wirtschaften) kann eine intensive<br />
Auseinandersetzung mit dem Thema Recycling erfolgen,<br />
wobei sich u.a. ein Besuch bei Recyclingfirmen,<br />
z.B. ALBA, anbietet. Großer Beliebtheit<br />
erfreut sich in diesem Zusammenhang ein Produkt,<br />
das zum Großteil aus Kunststoffabfall hergestellt<br />
wird. Kunststoffflaschendeckel werden zu einer<br />
Transporttasche gebunden. Die Flaschendeckel<br />
werden je nach Position in der Tasche bis zu viermal<br />
gebohrt und anschließend auf stabile Schnüre aufgezogen.<br />
Die Taschen sind bei den Schülern begehrte<br />
Designobjekte, da jedes Stück individuell ist.<br />
Ein weiteres Projekt in diesem Jahrgang ist eine<br />
Blumenampel, die den Vorteil hat, dass sie mit einem<br />
sehr geringen Maschineneinsatz gefertigt<br />
werden kann. Verwendete Materialien sind Kunststoffgranulat,<br />
das mit einer Spritzgussmaschine zu<br />
Abstandshaltern geformt wird, eine Bodenplatte aus<br />
Acrylglas 1 , Querhölzer zur Bildung des Korbes und<br />
1<br />
Polymethylmethacrylat (PMMA) wird umgangssprachlich als Acrylglas<br />
bezeichnet. Plexiglas ® ist ein einge-tragener Markenname der Evonic<br />
Industries AG.<br />
20<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Thermoformen mittels Konstantandrahts<br />
Hanfschnüre. Durch den Einsatz unterschiedlich gefärbten<br />
Granulats (auch als Mischung verschiedener<br />
Farben möglich) und verschiedenfarbiger Bodenplatten<br />
lassen sich so mit wenig Aufwand farbenfrohe<br />
Blumen- bzw. Obstampeln herstellen.<br />
Elektronische Schaltungen (WP5), vor allem in<br />
Verbindung mit LEDs, lassen sich zusammen mit<br />
Acrylglas zu beleuchtbaren Objekten verarbeiten.<br />
Die vorbereiteten Acrylglasscheiben werden entsprechend<br />
des Anlasses mit Hilfe einer CNC-Fräse<br />
graviert 2 .<br />
triebe Restekisten, in denen sich manchmal recht<br />
anständige Abschnitte befinden, die für einen geringen<br />
Obolus erworben werden könne. Im Sinne der<br />
Nachhaltigkeit ist die Verarbeitung von Kunststoffen<br />
optimal: Kaum ein anderer Werkstoff wird in<br />
einem solch hohen Maß recycelt.<br />
Als weiteres einfaches Einstiegsprojekt bietet sich<br />
z.B. ein Bilderhalter aus 3 mm starkem Acrylglas an.<br />
Der Werkstoff kann von den Schülern selber zugeschnitten<br />
werden, anschließend werden die Kanten<br />
mit Schleifpapier geglättet und mit einer Schwabbelmaschine<br />
auf Hochglanz poliert. Die Platte wird<br />
nunmehr an der vorgesehenen Biegestelle mit Hilfe<br />
eines Konstantandrahtes 3 erhitzt und dann in einer<br />
Vorrichtung mechanisch und ohne weiteren Maschineneinsatz<br />
gebogen. Mit der gleichen Biegetechnik<br />
lässt sich auch ein Stiftehalter fertigen, der aus zwei<br />
Einzelteilen besteht, die nach der Kantenbearbeitung<br />
gebohrt werden. Ein sehr genaues Anreißen ist<br />
hier nötig, da der ästhetische Effekt dieses Objektes<br />
bei unregelmäßig angeordneten Bohrungen schnell<br />
verloren geht. Die beiden Einzelteile werden anschließend<br />
verklebt.<br />
Problematisch ist der recht hohe Kostenfaktor bei<br />
der Beschaffung der Ausgangsmaterialien. Zu relativ<br />
günstigen Konditionen lassen sich oftmals<br />
Kunststoffplatten bei Internetanbietern erwerben.<br />
Auch haben viele Kunststoff verarbeitenden Be-<br />
2<br />
3<br />
Thermoformen ohne Maschineneinsatz<br />
Siehe auch den Artikel von Marcus Hornig in diesem Heft.<br />
Konstantan ® ist ein Markenname der ThyssenKrupp VDM GmbH für<br />
eine Legierung, die im Allgemeinen aus 55% Kupfer und 44% Nickel und<br />
1% Mangan besteht. Sie zeichnet sich durch einen über weite<br />
Temperaturbereiche annähernd konstanten spezifischen elektrischen<br />
Widerstand aus. siehe: http://www.chemie.de/lexikon/Konstantan.html<br />
21<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
www.feinewerkzeuge.de<br />
Dieter Schmid • Feine Werkzeuge • Georg-Wilhelm-Str. 7 A • 10711 Berlin<br />
Dieter Tel.: 030 Schmid 342 Werkzeuge 1757 • Fax: GmbH 030 342 • Wilhelm-von-Siemens-Str. 1764 • E-Mail: ds@feinewerkzeuge.de<br />
23 • 12277 Berlin<br />
Tel.: 030 342 1757 • Fax: 030 342 1764 • E-Mail: ds@feinewerkzeuge.de<br />
22<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Marcus Hornig<br />
Kunststoffverarbeitung und der Einsatz der CNC-Fräse<br />
Vorlagen mit CoralDraw bearbeitet<br />
Obwohl Spandau schon (oder erst) 1920 nach Groß-<br />
Berlin eingemeindet wurde, haben die Einwohner<br />
des Bezirkes nicht vergessen, dass ihre Stadt auf<br />
eine lange, erfolgreiche Geschichte der Selbstständigkeit<br />
zurückblicken kann. Deshalb ist manches<br />
in Spandau auch anders – so auch die Organisation<br />
der regionalen Lehrerfortbildung. Bei der Implementierung<br />
der neuen Berater und Entwickler ist in<br />
unserem Bezirk im Bereich Arbeitslehre/WAT die<br />
bewährte Struktur beibehalten worden: Es gibt zwei<br />
Multiplikatoren für dieses Fach, es gibt die regionale<br />
Fachkonferenz Arbeitslehre/WAT und die regionale<br />
Fachkonferenz Betriebspraktikum. Im Rahmen<br />
der regionalen Fachkonferenz wird auch Lehrerfortbildung<br />
angeboten. Eine Veranstaltung befasste sich<br />
mit dem Thema „Einführung in die Kunststoffverarbeitung“.<br />
Neben praktischen Übungen – das Herstellen<br />
von Kunststoffprodukten durch Urformen<br />
und Umformen, letzteres mit und ohne Maschineneinsatz<br />
– und dem Kennenlernen von Werkstoffen,<br />
Werkzeugen und Verarbeitungstechniken – ergab<br />
sich ein intensiver Austausch über die an den beteiligten<br />
Schulen vorhandenen Ressourcen. Seither<br />
gibt es eine Zusammenarbeit der Werkstattmeister.<br />
Formen und Vorrichtungen werden ausgetauscht:<br />
So muss nicht in jeder Schule das Rad neu erfunden<br />
werden.<br />
Aus einer Projektidee für ein MSA-Projekt (Mittlerer<br />
Schulabschluss: Präsentationsprüfung) entwickelte<br />
sich und entwickelt sich weiter unser<br />
„Rainbow Light“, bei dem Kunststoffverarbeitung,<br />
Elektronik, Holzbearbeitung, die Arbeit mit CAD-<br />
Programmen und der CNC-Fräse zusammenflie-<br />
Ziffernblatt – konstruiert mit GALAAD<br />
23<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
ßen. Das ursprüngliche MSA-Projekt war ein mit<br />
Rainbow-LEDs beleuchtetes Steckspiel, das dann in<br />
einer weiteren Phase zu einer Uhr verändert wurde:<br />
Das Ziffernblatt wurde mit GALAAD 1 konstruiert.<br />
Durch die beiden Rainbow-LEDs ergibt sich im<br />
Kunststoff ein Leuchten in unterschiedlichen Farbtönen,<br />
da die LEDs unterschiedliche Zeitspannen<br />
für den Farbwechsel benötigen Als Unterbau dient<br />
ein kleiner Kasten, der die Platine und die Batterie<br />
beinhaltet.<br />
• Werden Bilder verwendet oder Zeichnungen<br />
angefertigt, die nicht mit GALAAD konstruiert<br />
werden können, so wird CorelDRAW 3 verwendet.<br />
Die Vorlagen werden mit diesem Programm<br />
vektorisiert. Daraufhin werden sie exportiert<br />
und in GALAAD importiert.<br />
Dann erfolgt die Arbeit an der CNC-Maschine.<br />
Die Materialkosten betragen rund 4,00 €.<br />
Für die Gestaltung des Acrylblocks 2 sind der Phantasie<br />
keine Grenzen gesetzt. Sie kann auf zwei verschiedene<br />
Weisen erfolgen:<br />
• Konstruktion mit GALAAD und direkte Weitergabe<br />
an die CNC-Maschine<br />
1<br />
2<br />
3<br />
Integrierte CAD-CAM-CNC Software für Windows. z.B. bei<br />
http://www.fau-lehrmittel.de/pages/winscad.php4: Schullizenz,<br />
Programm-CD, Handbuch und USB-Dongle 320,00 € zzgl. 19% MwSt<br />
siehe Fußnote 1 auf S. 19<br />
verschiedene Anbieter, unterschiedliche Versionen, zwischen 22,00 €<br />
und 80,00 €<br />
Stückliste<br />
Pos. Bezeichnung Werkstoff Breite mm Höhe mm Länge mm Anzahl<br />
1 Längsleiste mit Nut Rotbuche 7 30 120 2<br />
2 Querleiste mit Nut Rotbuche 7 30 61 1<br />
3 Querleiste ohne Nut Rotbuche 7 22 61 1<br />
4 Dübel Rotbuche Ø3 15 8<br />
5 Deckel Furniersperrholz 4 67 115 1<br />
6 Boden Furniersperrholz 4 75 120 1<br />
7 Beleuchtungskörper Acrylplatte 12 70 120 1<br />
8 Platine 1<br />
9 LED Rainbow RGB 2<br />
10 Batterieclip 1<br />
11 Schalter 1<br />
12 Batterie 1<br />
24<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Katharina Koch<br />
Die Einkaufsabteilung der Arbeitslehre<br />
Im Organisationsschaubild eines Betriebes ist die<br />
Abteilung „Einkauf“ eine sehr wichtige. Im Fachbereich<br />
Arbeitslehre vieler Schulen ist diese Stelle<br />
unbesetzt. Wenn wir einmal von dem schlimmsten<br />
Fall absehen, nämlich dem, dass ein Arbeitslehrelehrer<br />
bei einer Firma einkauft, die Beutel mit innen<br />
liegendem Rezept und vorgefertigten Bauteilen<br />
verschickt, werden offenbar Baumärkte favorisiert.<br />
Baumärkte sind Gemischtwarenläden. Das Angebot<br />
reicht von Pflanzkübeln über Grillgeräte, Leitern<br />
und Werkzeuge. Deshalb sind Baumärkte der<br />
bevorzugte Ort für Heimwerker und Bastler. Fachleute<br />
bevorzugen eher Fachgeschäfte. Für jede Produktgruppe<br />
gibt es derartige Anbieter. Ihr Vorteil<br />
ist die riesige Auswahl, die kompetente Beratung<br />
und der in der Regel niedrigere Preis verglichen mit<br />
Baumärkten. Nachteilig ist die oft nicht zu umgehende<br />
Mindestabnahme.<br />
• Im Baumarkt findet sich ein kleines Regal mit<br />
Aluminiumprofilen, die Firma Gemmel (Berlin)<br />
führt sämtliche Nichteisenmetalle (Kupfer,<br />
Messing, Alu) in Form von Profilen, Rohren,<br />
Blechen.<br />
• Im Baumarkt gibt es ein Angebot der gängigen<br />
Schrauben in Kleinmengen abgepackt. Die<br />
Schraubenzentrale (Berlin) hat alle Schrauben<br />
vorrätig und der Preis für eine 200er Packung<br />
ist kaum höher als der für 25 Schrauben im<br />
Baumarkt.<br />
• Im Baumarkt findet man in einem Gang<br />
Zubehör für Elektroinstallation (Schalter,<br />
Steckdosen, Kabel, Glühlampen). Die Firma<br />
Conrad (Berlin) deckt die gesamte Palette von<br />
Elektronikbauteilen und Starkstromtechnik ab.<br />
• Im Baumarkt kann sich ein Heimwerker Holz<br />
Plattenwerkstoffe zuschneiden lassen. Er findet<br />
außerdem eine Reihe von Holzleisten, meist<br />
Kiefer oder Fichte. Auf dem Holzplatz von<br />
Klöpferholz (Dallgow) liegen Holzstapel<br />
(Bretter und Bohlen verschiedener Holzarten).<br />
Wer sich die Mühe macht Bretter zu kaufen,<br />
Leisten zu sägen und zu hobeln, kann mit einer<br />
Ersparnis bis zu 80 Prozent rechnen. Die<br />
Querschnitte der Leisten sind selbst bestimmbar,<br />
die Holzqualität ist hoch.<br />
• Anstelle von Plattenzuschnitten (Span- und<br />
MDF-Platten, Furniersperrholz) ist der Bezug<br />
von ganzen Platten bei der Firma Krüger<br />
(Berlin) mit großen Preisvorteilen verbunden.<br />
Die Firma hält alle gängigen Plattendicken und<br />
Holzarten am Lager.<br />
• Eine wiederkehrende Nachfrage jeder Arbeitslehrewerkstatt<br />
ist die nach einem leistungsfähigen<br />
Schärfbetrieb. Die Firma Kilowerk<br />
(Berlin) schärft Sägen, Fräser, Hobelmesser,<br />
Bohrer schnell und präzise.<br />
Wir nennen im Folgenden die Adressen der erwähnten<br />
Firmen und weiterer, mit denen Schulen gut zusammengearbeitet<br />
haben. Selbstverständlich sind diese<br />
Firmen in der Regel keine Monopolisten, so dass<br />
der Lehrer auch eine andere Wahl treffen kann. Die<br />
Vorteile gegenüber Baumärkten liegen auf der Hand.<br />
Elektrotechnik<br />
Conrad Elektronik SE, Hasenheide 14, 10967 Berlin<br />
Tel: 01805564445, www.conrad.de<br />
Mehrere Filialen !!!<br />
Leuchtmittel, Leitungen aller Art,<br />
Elektronikbauteile, Platinen<br />
Kunststoffe<br />
Walter Tittel GmbH, Zossener Straße 56, 10961 Berlin,<br />
Tel: 030 6936026, www.walter-tittel.de<br />
(weitere siehe Artikel: Kunststoffverarbeitung im Arbeitslehreunterricht)<br />
Kunststoffe, Gummi, Keramik,<br />
Acrylglas, Duroplaste,<br />
Thermoplaste<br />
25<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Beschichtungen<br />
Clouth Lackfabrik GmbH & Co. KG, Monumentenstraße 33,<br />
10829 Berlin, Tel: 030 7812025, www.clou.de<br />
Lacke, Öle/Wachse, Beizen,<br />
Lasuren<br />
1. Valentin, Auguste-Viktoria-Allee 16-16a, 13403 Berlin,<br />
Tel: 030 410007-0, www.valentin-berlin.de<br />
Mehrere Filialen !!!<br />
2. Klöpferholz GmbH & Co. KG, Hamburger Chaussee 201,<br />
14624 Dallgow-Döberitz, Tel: 030 364701-0, www.kloepfer.de<br />
Holzwerkstoffe<br />
3. Krüger KG, Lengeder Straße 34-36, 13407 Berlin<br />
Tel: 030 4140850, www.holz-krueger.de<br />
4. KULA-HOLZ Berlin, Lengeder Straße 34-36, 13407 Berlin,<br />
Tel: 030 4118051, www.kula-holz.de<br />
Stammware<br />
Plattenwerkstoffe<br />
Leistenprofile<br />
Edelhölzer und –furniere<br />
Leime und Kleber<br />
Schleifmittel<br />
5. Furnier Lehmann, Kitzingstraße 21, 12277 Berlin,<br />
Tel: 030 6147764, www.furnier-lehmann.de<br />
6. Holz Possling, Haarlemer Straße 57, 12359 Berlin,<br />
Tel: 030 600091-0, www.possling.de<br />
Baumarkt mit breitem Sortiment. Mehrere Filialen !!!<br />
Metalle<br />
1. Gemmel Metalle, Bessemerstraße 76b, 12103 Berlin,<br />
Tel: 030 7569070, www.gemmel-metalle.de<br />
2. Kutzmann Stahlwerkstoffe, Staakener Straße 30-37, 13581 Berlin,<br />
Tel: 030 3300209-0, www.kutzmann-stahlwerkstoffe.de<br />
3. Dr. Mertens GmbH, Birkbuschstraße 52, 12167 Berlin,<br />
Tel: 030 7799080, www.mertens-stahl.de<br />
Blankstahl<br />
Bleche<br />
Rohre / Profile<br />
Edelmetalle<br />
1. Inha GmbH, Ballinstraße 10, 12359 Berlin,<br />
Tel: 030 683760, www.inha.de<br />
Normteile<br />
2. Berliner Schrauben, Prinzenstraße 86, 10969 Berlin,<br />
Tel: 030 6167960, www.berlinerschrauben.de<br />
3. Walter K. Hoppe, Gneisenaustraße 66-67, 10961 Berlin,<br />
Tel: 030 6913079 und 030 6926973, www.schrauben-hoppe.de<br />
Schrauben<br />
Buchsen<br />
Stifte<br />
Federn<br />
Bohrbuchsen<br />
Schnellspanner<br />
4. Federstahldraht Jürgen Perleberg, Skalitzer Straße 104, 10997 Berlin,<br />
Tel: 030 61709800, www.perleberg-metall.de<br />
26<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Beschläge<br />
1. Valentin, Auguste-Viktoria-Allee 16-16a, 13403 Berlin,<br />
Tel: 030 410007-0, www.valentin-berlin.de<br />
Mehrere Filialen !!!<br />
2. PMP Krebs GmbH, Köpenicker Straße 145, 10997 Berlin,<br />
Tel: 030 6100970, www.pmp-krebs.de<br />
Schlösser<br />
Scharniere<br />
Verbindungselemente<br />
Möbel-, Baubeschläge<br />
Schärfbetriebe<br />
1. Kilowerk GmbH, Hasenheide 9, 10967 Berlin<br />
Tel: 030 39200088, www.kilowerk.de<br />
2. Schaebbicke, Schöneberger Straße 15b, 12103 Berlin,<br />
Tel: 030 756894-0, www.schaebbicke-werkzeuge.de<br />
Präzisionswerkzeuge<br />
Schärfdienst<br />
Fräser<br />
Sägeblätter<br />
Nähmaschinen<br />
1. Nähmaschinen Center Berlin, Müllerstraße 28, 13353 Berlin,<br />
Tel: 030 4566588, www.naehmaschinen-center.de<br />
2. Fontana Nähmaschinen, Johann-Georg-Straße 18, 10709 Berlin,<br />
Tel: 030 8927050, www.fontana-naehmaschinen.de<br />
Nähmaschinen<br />
Wartung<br />
Reparatur<br />
Zubehör<br />
Arbeitsschutz<br />
1. John Glet GmbH, Mehringdamm 27, 10961 Berlin,<br />
Tel: 030 695860, www.john-glet.de<br />
2. Sattelmacher KG, Breitenbachstraße 7, 13509 Berlin,<br />
Tel: 030 4355020, www.sattelmacher.de<br />
Schutzkleidung<br />
Schutzbrillen<br />
Schutzschuhe<br />
Gehörschutz<br />
Schürzen / Kittel<br />
Handschuhe<br />
Staubmasken<br />
Alle Mitglieder der GATWU werden gebeten, Änderungen ihrer<br />
Email-Adressen, Postanschriften und Kontoverbindungen an<br />
unsere Schatzmeisterin Simone Knab zu übermitteln. Grundsätzlich<br />
ist es wünschenswert und für unsere Kommunikation kostengünstig,<br />
wenn wir viele Mitglieder per Email erreichen können.<br />
Auch diese Mitteilung geht am einfachsten über eine Email an:<br />
simone.knab@tu-berlin.de oder umtriebe@web.de<br />
27<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Detmar Grammel<br />
Rundschreiben Sägen: Neufassung in Sicht<br />
1. Historischer Kontext<br />
Im Jahr 1981 wurde in Zusammenarbeit von Technischer<br />
Universität Berlin, Eigenunfallversicherung<br />
Berlin (jetzt: Unfallkasse Berlin) und der Senatsverwaltung<br />
für Schulwesen, Jugend und Sport (jetzt<br />
SenBWJ) ein Konzept für die sicherheitstechnische<br />
Schulung der Lehrkräfte, die das Fach Arbeitslehre<br />
unterrichten, entwickelt. Anlass war das Ziel, das<br />
Beschäftigungsverbot für Schüler an Kreissägen im<br />
§ 14 der Unfallverhütungsvorschrift „Maschinen<br />
und Anlagen zur Be- und Verarbeitung von Holz<br />
und ähnlichen Werkstoffen“ für den Arbeitslehreunterricht<br />
aufzuheben. Dieses Curriculum bezog sich<br />
zunächst ausschließlich auf die Holz- und Metallbearbeitung.<br />
Ab dem zweiten Halbjahr 1980/81 sollten<br />
Lehrerfortbildungsveranstaltungen angeboten werden,<br />
deren Ziel der Erwerb einer Bescheinigung sein<br />
sollte, die die Teilnehmer berechtigte, von der Ausnahmeregelung<br />
für das Beschäftigungsverbot der<br />
Maschinenbedienung durch Jugendliche Gebrauch<br />
zu machen. Nach der Übereinkunft zwischen EUV<br />
und SenSchul sollten „künftig“ im Arbeitslehreunterricht<br />
(gemeint ist hierbei in der Regel immer der<br />
Wahlpflichtunterricht) nur noch Lehrer tätig werden,<br />
die erfolgreich an einer solchen Veranstaltung<br />
teilgenommen hatten.<br />
Die Übereinkunft zwischen EUV und SenSchul<br />
mündete in dem Rundschreiben II Nr. 63/1981, in<br />
dem darauf Bezug genommen wurde, dass die EUV<br />
die formelle Ausnahmeregelung (nach § 3 Abs. 1 der<br />
UVVV Allgemeine Vorschriften – GUV 0.1) bestätigt<br />
habe und nunmehr „die Tätigkeiten von Schülern<br />
unter 16 Jahren an Maschinen möglich werden,<br />
sofern eine pädagogische Betreuung durch Lehrer<br />
sichergestellt ist, die speziell auf die sicherheitstechnischen<br />
Fragen vorbereitet sind.“ Alle Lehrer,<br />
„die mit dem Hauptteil ihrer Stunden im Fach Arbeitslehre<br />
tätig sind, sollten Im Laufe der nächsten<br />
zwei Jahre diese Fortbildung durchlaufen und die<br />
damit attestierte Qualifikation erwerben.“<br />
Diese Sicherheitskurse sind in den Folgejahren verstärkt<br />
durchgeführt worden, so dass im Prinzip alle<br />
zu diesem Zeitpunkt in den Werkstätten der Arbeitslehre<br />
tätigen Lehrkräfte den Sicherheitskurs durchlaufen<br />
haben mussten. Mit der Zeit sind die Inhalte<br />
des Sicherheitskurses auf alle Werkstattbereiche der<br />
Arbeitslehre ausgedehnt worden.<br />
Obwohl der Sicherheitskurs nach den damals vereinbarten<br />
Regeln weitergeführt wurde und die erteilte<br />
Ausnahmegenehmigung unter der Prämisse der<br />
Teilnahme an dem Kurs weiterhin gültig war, war<br />
das Wissen um die Vereinbarung bzw. die Inhalte<br />
des o.a. Rundschreibens nicht bei allen Lehrkräften<br />
und in allen Schulen präsent, so dass es immer wieder<br />
zu Konflikten kam: Lehrer/innen beriefen sich<br />
auf die UVV um zu begründen, warum sie nicht mit<br />
Schülern und Schülerinnen an Maschinen arbeiten<br />
wollen/können. Ein weiteres Problem ist auch heute<br />
noch, dass der größte der Teil der Unterrichtenden<br />
diesen Kurs vor rund 20 Jahren besucht hat und ein<br />
Auffrischungskurs nicht vorgesehen ist.<br />
Im März 2004 gelangten die „Richtlinien zur Sicherheit<br />
im Unterricht. Empfehlungen der Kultusministerkonferenz.<br />
Ausgabe März 2003. GUV-SI<br />
8070) in die Schulen. Im Teil I – 10 (Regelungen zu<br />
Technik/Arbeitslehre) wird die Arbeit an Holzbearbeitungsmaschinen<br />
für Schüler unter 18 Jahren ausdrücklich<br />
nicht erlaubt, selbst nicht an Bandsägen.<br />
Obwohl die Ausnahmegenehmigung Bestand hatte,<br />
führte die zitierte Bestimmung im Zusammenhang<br />
mit dem nicht mehr präsenten Wissen um die Berliner<br />
Lösung zu erheblichen Verunsicherungen bei<br />
den Lehrkräften.<br />
Ab Mitte 2005 entstand mit dem Rückzug der UVV<br />
„Maschinen und Anlagen zur Be- und Verarbeitung<br />
von Holz und ähnlichen Werkstoffen“ (vom Okt.<br />
1976 in der Fassung vom Jan. 1997) durch die Unfallkasse<br />
Berlin im Zuge der allgemeinen Deregulierung<br />
die paradoxe Situation, dass für die Berliner<br />
Arbeitslehre hinsichtlich der Arbeit an Maschinen,<br />
auch der Holzbearbeitungsmaschinen, eine Ausnahmegenehmigung<br />
bestand, die sich jedoch auf eine<br />
nicht mehr existente UVV bezog und somit rechtlich<br />
hinfällig war. Von diesem Zeitpunkt an galten<br />
die KMK-Empfehlungen, die als Landesrecht übernommen<br />
worden waren: Der Betrieb von Holzbe-<br />
28<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
arbeitungsmaschinen jeglicher Art durch Schüler/<br />
innen war nicht mehr gestattet. Die Fachaufsicht<br />
Arbeitslehre, das LISUM), die Rechtsabteilung<br />
SenBJS und die Unfallkasse Berlin bemühten sich<br />
ab Beginn des Jahres 2005, als sich das beschriebene<br />
Problem abzeichnete, um eine Lösung.<br />
2. Das Rundschreiben von 2006<br />
In dem daraus resultierenden Rundscheiben<br />
I/11/2006 „Aufhebung des generellen Beschäftigungsverbots<br />
für Schülerinnen und Schüler an Hobel-,<br />
Fräs- und Sägemaschinen im Fach Arbeitslehre“<br />
heißt es u.a.:<br />
„1. Der Umgang mit Hobel-, Fräs- und Sägemaschinen<br />
ist nur Schülerinnen und Schülern mit einem<br />
Alter von mindestens 14 Jahren gestattet.<br />
2. Der Umgang mit Hobel-, Fräs- und Sägemaschinen<br />
ist Schülerinnen und Schülern nur unter Aufsicht<br />
einer Lehrkraft gestattet.<br />
3. Die Aufsicht darf nur von Lehrkräften geführt<br />
werden, die an einem entsprechenden Sicherheitskurs<br />
des LISUM teilgenommen haben.<br />
4. Die Einrichtung, Einstellung, Wartung und Instandhaltung<br />
der o.g. Maschinen darf nur von Werkstattleitern<br />
oder den unter 3. geschulten Lehrkräften<br />
vorgenommen werden.“<br />
Wie die Beschränkung auf 14 Jahre in der veröffentlichten<br />
Fassung zu Stande gekommen ist, ließ sich<br />
nicht mehr nachvollziehen. Wahrscheinlich hat die<br />
Rechtsabteilung sich dabei auf das Jugendarbeitsschutzgesetz<br />
gestützt, nach dem die Grenze zwischen<br />
Kind und Jugendlichem bei 14 Jahren liegt.<br />
Diese Bestimmung war zwar in der Anfangszeit<br />
schon misslich, kontraproduktiv wurde sie jedoch<br />
zu dem Zeitpunkt, als die ersten früher eingeschulten<br />
Kinder in die Sek I kamen: Sie sind in der 7.<br />
Jgst. z.T. deutlich unter 14.<br />
In vielen Schulen ist immer wieder festzustellen,<br />
dass Lehrkräfte sich weigern, mit Schülern der 7.<br />
und 8. Jahrgangsstufe an Holzbearbeitungsmaschinen<br />
zu arbeiten, selbst nicht an Kapp- und Bandsägen.<br />
Damit befinden sie sich formal im Recht. Damit<br />
wird durch diese AV die Umsetzung wichtiger<br />
Rahmenlehrplanvorgaben verhindert.<br />
Daher erscheint es zwingend notwendig zu sein,<br />
eine Einigung zwischen SenBWF und Unfallkasse<br />
Berlin dahingehend zu erwirken, dass der Passus<br />
„nur Schülerinnen und Schülern mit einem Alter<br />
von mindestens 14 Jahre“ durch eine Formulierung<br />
ersetzt wird, die den heutigen altersmäßigen<br />
Bedingungen in den Schulen Rechnung trägt.<br />
3. Unfallverhütungskurse<br />
Mit Punkt 3 der AV wird gesichert, dass alle benötigten<br />
Maschinen im Arbeitslehreunterricht von<br />
Schülerinnen und Schülern benutzt werden können,<br />
wenn sie dabei von einer Lehrkraft beaufsichtigt<br />
werden, die an dem Sicherheitskursus teilgenommen<br />
hat – entweder im Rahmen der Lehrerfortbildung<br />
oder schon während des Studiums am IBBA.<br />
Durch die Neustrukturierung der Lehrerfortbildung<br />
wurde eine neue Arbeitsgrundlage der an den Sicherheitskursen<br />
Beteiligten – Unfallkasse Berlin,<br />
IBBA/TU, SenBWF – notwendig. In einem Gespräch<br />
im Oktober 2006, an dem Vertreter der drei<br />
Institutionen beteiligt waren, wurden die Richtlinien<br />
der zukünftigen Zusammenarbeit festgelegt, die in<br />
dem Vorschlag „Kooperationsvertrag“ der Fachaufsicht<br />
Arbeitslehre vom 29. Dez. 2006 mündeten.<br />
Nach Änderungswünschen der beteiligten Institutionen<br />
unterzeichneten im Rahmen des Institutstages<br />
des IBBA der TU Berlin am 20. Juni 2007 für die<br />
Senatsschulverwaltung Herr Bänsch, für die Unfallkasse<br />
Berlin Herr Arend und für das IBBA Herr<br />
Prof. Dr. Hendricks. Somit ist gesichert, dass auch<br />
weiterhin Sicherheitskurse für alle Lehrkräfte angeboten<br />
werden.<br />
4. Neuregelung<br />
Auf Anregung der Redaktion Forum Arbeitslehre<br />
befassen sich derzeit die Unfallkasse Berlin und die<br />
Fachaufsicht Arbeitslehre/WAT mit einer Neuregelung<br />
des Rundschreibens, die das Arbeiten in Werkstätten<br />
von der 7. Klasse an ohne die Einschränkungen<br />
des Rundschreibens von 2006 möglich macht.<br />
Unter dem Datum vom 16. Aug. <strong>2012</strong> hat die Unfallkasse<br />
der Fachaufsicht Arbeitslehre/WAT mitgeteilt:<br />
„Es bietet sich an, die Lebensaltersgrenze<br />
durch eine schuljahresbezogene Altersregelung (7.<br />
Schuljahrgang) zu ersetzen. Die weiteren … Festlegungen<br />
haben sich bewährt und sollten beibehalten<br />
werden.“<br />
Jetzt fehlt nur noch die Neuformulierung des<br />
Rundschreibens oder zumindest eine klärende,<br />
für alle Lehrkräfte verbindliche Klarstellung<br />
durch die Fachaufsicht.<br />
29<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Günter Eisen & Wilfried Seibel<br />
Was hat Bismarck mit der Arbeitslehre zu tun?<br />
Vor über 120 Jahren wurde unter Bismarck in<br />
Deutschland die gesetzliche Unfallversicherung<br />
eingeführt. Bei den damals schlechten Arbeitsbedingungen<br />
ging die Zahl der Arbeitsunfälle in beängstigende<br />
Höhe. Das System der Unfallversicherung<br />
führte nicht nur zur sozialen Absicherung und Befriedung<br />
der Arbeiterschicht, sondern auch sukzessive<br />
zu einer Verringerung der Arbeitsunfälle. Sie<br />
befinden sich gegenwärtig in Deutschland auf einem<br />
historischen Tiefststand.<br />
Der Anteil, den die Unfallprävention in den Schulen<br />
und insbesondere in der Arbeitslehre hat, ist<br />
leider bisher nicht empirisch untersucht. Unbestritten<br />
ist, dass in einer technisierten Welt, nicht<br />
nur bei der Erwerbsarbeit, sondern auch beim Arbeiten<br />
im privaten Umfeld, viele Unfallgefahren<br />
lauern. Unfallforscher referenzieren deshalb eine<br />
möglichst frühe Unfallpräventionsarbeit. In den<br />
Kindergärten werden schon Straßenverkehrssituationen<br />
geprobt und in der Arbeitslehre wird seit<br />
Anbeginn die Unfallprävention in unterschiedliche<br />
Arbeitssituationen betrieben. Schüler und Schülerinnen<br />
lernen schon früh den fachgerechten Umgang<br />
mit Werkzeugen, Werkzeugmaschinen und<br />
der Hygiene bei der Lebensmittelverarbeitung.<br />
Verlässlicher Partner bei der Ausbildung von Lehrern<br />
und Lehrerinnen ist die Unfallkasse Berlin.<br />
Alle Lehrkräfte werden entweder im Studium an der<br />
TU Berlin oder bei einer gesonderten Lehrerfortbildung<br />
in 12 Doppelstunden auf die Sicherheitserziehung<br />
im Fach Arbeitslehre (WAT) vorbereitet. Es<br />
werden Unfallursachen in Arbeitslehre-Werkstätten<br />
aufgezeigt, Maßnahmen zur Vermeidung von Schülerunfällen<br />
demonstriert und Sicherheitsstandards<br />
an technischem Gerät erläutert. Im Einzelnen wird<br />
die Sicherheit an Holz- und Metallbe- und -verarbeitungsmaschinen<br />
erläutert, der sichere Umgang<br />
mit elektrischen Geräten aufgezeigt, die (Lebensmittel-)Hygiene<br />
und Sicherheit in der Lehrküche<br />
demonstriert. Die Arbeitsplatzergonomie lässt sich<br />
gut am Beispiel des Nähmaschinenarbeitsplatzes<br />
erklären. Der sachgerechte Umgang mit Kunststoffen,<br />
der zumeist thermisch erfolgt, wird bei der Bearbeitung<br />
erprobt. Die finanziellen Lasten trägt die<br />
Unfallkasse Berlin, für die Durchführung ist das In-<br />
stitut für Berufliche Bildung und Arbeitslehre an der<br />
Technischen Universität verantwortlich. Seit 2007<br />
gilt für die Sicherheitskurse ein Kooperationsvertrag<br />
zwischen Senatssschulverwaltung, IBBA und<br />
Unfallkasse.<br />
Die Zusammenarbeit des Instituts für Berufliche<br />
Bildung und Arbeitslehre, der Senatsverwaltung<br />
für Bildung, Jugend und Wissenschaft und der Un-<br />
Sicherheitsbegehungen an Schulen<br />
Seit langen Jahren schon finden an den Schulen Sicherheitsbegehungen<br />
statt. Dabei bedient sich die Senatsschulverwaltung privater Anbieter,<br />
von denen einer mit dem Slogan „Ihr kompetenter Partner für alle<br />
Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes - branchenübergreifend<br />
und bundesweit“wirbt. Eine Analogie zu den Berufsgenossenschaften ist<br />
nicht erkennbar, denn diese sind Versicherungsträger u n d Fachaufsicht<br />
zugleich. Die Unfallkasse Berlin ist zwar Versicherungsträger für<br />
Schulen, kann aber eine flächendeckende Überprüfung der Realzustände<br />
personell nicht leisten. Die Sicherheitsbegehung könnte segensreich<br />
sein. Was Arbeitslehrewerkstätten angeht, haben wir da unsere Zweifel.<br />
Mitarbeiter des IBBA an der TUB werden oft von Schulen um Beratung<br />
in Werkstattfragen gebeten. Wenn dann besorgniserregende Fakten<br />
festgestellt werden, die der kurz zuvor stattgefundenen Sicherheitsbegehung<br />
entgangen sind, sorgt man sich in der Tat.<br />
Unlängst meldete eine Schule, dass ein Stoffhandtuch in der Arbeitslehrewerkstatt<br />
moniert wurde und Papierspender gefordert wurden.<br />
In der Lehrküche der Arbeitslehre werden Stoffhandtücher benötigt<br />
und regelmäßig gewaschen. Papierspender sind in der Lehrküche<br />
dysfunktional.<br />
In einer anderen Schule wurden die ausgestopften Ratten, Füchse und<br />
Biber aus der Biologiesammlung zur sofortigen Entsorgung empfohlen,<br />
denn in dem Fell könnten Kleinlebewesen nisten. Das ist natürlich<br />
grotesk, denn dann müsste die Schüler mit Abbildungen im Buch<br />
vorlieb nehmen. Natürlich hat die Schule keinen Handschlag getan, um<br />
die schönen Präparate zu entsorgen. Ein Jahr später wiederholt sich<br />
die Posse, wieder keine Subordination der Schule. Die Mängelrügen<br />
bei der Sicherheitsbegehung - seien sie nun berechtigt oder nicht -<br />
bleiben ohne Konsequenzen. Bei Arbeitslehrewerkstätten könnte das<br />
dramatisch enden.<br />
(Redaktion)<br />
30<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
fallkasse Berlin funktioniert seit über 40 Jahren<br />
reibungslos mit dem Erfolg, dass es an der Berliner<br />
Schule in der Arbeitslehre/WAT noch zu keinem<br />
nennenswerten Unfall kam. Wie viele Menschen in<br />
Berlin aufgrund des Arbeitslehreunterrichts in den<br />
Baumärkten vernünftige Kaufentscheidungen treffen,<br />
ist empirisch nicht belegbar, aber zu vermuten.<br />
Das riesige Arsenal der Hobbywerkstätten wäre<br />
u.U. unfallträchtiger; massenhaft von Nichtelektrikern<br />
installierte Schaltungen könnten dramatischer<br />
enden; die bei der Wohnungsrenovierung großzügig<br />
verwendeten Farb- und Anstrichstoffe werden auf<br />
Toxidität befragt. Der Dampfdrucktopf wird garantiert<br />
nicht mit Gewalt geöffnet.<br />
Otto von Bismarck, der die Arbeiterschaft „nicht<br />
der Sozialdemokratie in die Arme treiben“ wollte,<br />
an sicherheitsbewusste Schüler gedacht hat,<br />
ist unwahrscheinlich. Aber die Milliardenbeträge,<br />
die dem Gesundheitssystem erspart bleiben, wenn<br />
die Unfallzahlen immer mehr<br />
Die Unfallkasse Berlin stellt eine Vielzahl von Publikationen<br />
für das sichere Arbeiten zur Verfügung<br />
– eine vollständige Übersicht findet sich unter:<br />
3 http://www.unfallkasse-berlin.de/ 3 Übersicht<br />
3 Prävention 3 Publikationen/Medien.<br />
Im Folgenden ist eine Auswahl zu finden.<br />
GUV-I 510-1 Anleitung zur Ersten Hilfe bei Unfällen (DIN A2)<br />
UV-SI 8036<br />
GUV-SI 8037<br />
GUV-SI 8038<br />
GUV-SI 8039<br />
GUV-SI 8041<br />
Keramik – Ein Handbuch für Lehrkräfte<br />
Papier – Ein Handbuch für Lehrkräfte<br />
Metall – Ein Handbuch für Lehrkräfte<br />
Kunststoff – Ein Handbuch für Lehrkräfte<br />
Holz – Ein Handbuch für Lehrkräfte<br />
GUV-SI 8041-2 Holzstaub im Unterricht allgemein bildender Schulen (in Überarbeitung Stand: 02/<strong>2012</strong>)<br />
GUV-SI 8042<br />
Lebensmittel- und Textilverarbeitung – Ein Handbuch für Lehrkräfte<br />
GUV-SI 8043 Bildende Kunst und Design – Ein Handbuch für Lehrkräfte (in Überarbeitung Stand: 02/<strong>2012</strong>)<br />
GUV-SI 8034 Sicher durch das Betriebspraktikum (in Überarbeitung Stand: 12/2011)<br />
GUV-I 8577<br />
GUV-I 8580<br />
Aufkleber „Erste Hilfe“ (weißes Kreuz auf grünem Grund 10 x 10 cm)<br />
Aufkleber „Erste-Hilfe-Schränke“<br />
Redaktion<br />
Bitte beachten Sie bei Bestellungen<br />
für Ihren dienstlichen Bereich unsere<br />
Inserenten, die die Herausgabe des<br />
Forum Arbeitslehre unterstützen.<br />
31<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Mira Diedering & Felix Iwert<br />
Wir haben uns gefreut<br />
Mit dem Fach Arbeitslehre kann man auch seine<br />
Freude haben. Das ist angesichts von Lehrermangel,<br />
verwaisten Werkstätten und dem „Outsourcen“ von<br />
Schülern eher selten geworden. Eine Kooperation<br />
zwischen der Peter-Frankenfeld-Schule, eine Schule,<br />
die von geistig und körperlich behinderten Jugendlichen<br />
besucht wird, und dem IBBA ist der Anlass.<br />
Sie erinnern sich, dass wir in Heft 7 das Rütli-Stövchen<br />
vorstellten. Es handelt sich um ein einfaches,<br />
aber solide gearbeitetes und sehr funktionales Werkstück.<br />
Eine Holzscheibe hat eine große Grundbohrung<br />
in der Mitte, darin befindet sich ein Glasnäpfchen,<br />
welches Teelichter ohne Alubecher aufnimmt.<br />
Präzise gebogene Drahtbügel sind in der Grundplatte<br />
verankert und bilden die Auflage für Gefäße.<br />
Der bereits bestehende Kontakt mit zwei Lehrern der<br />
Peter-Frankenfeld-Schule, mit Frau Schaub und Herrn<br />
Klein, sah ursprünglich vor,<br />
dass die leistungsschwachen<br />
Schüler einfache Zuarbeiten<br />
für eine Regelschule erbringen<br />
könnten. Gedacht war an das<br />
Ablängen des Rundstahls. Aber<br />
dann kam alles anders: mit Hilfe<br />
von Vorrichtungen, die die<br />
Behinderungen der Jugendlichen<br />
berücksichtigen, bauen<br />
diese inzwischen durchaus vorzeigbare, komplette<br />
Stövchen. Die Vorrichtungen wurden am IBBA nach<br />
Absprache mit den Lehrern an der Schule gebaut.<br />
Einige Techniken, die an der Peter-Frankenfeld-Schule<br />
wegen fehlender Ausstattung nicht möglich waren,<br />
wurden anlässlich eines Lernortwechsels von den<br />
Schülern in den Werkstätten des IBBA durchgeführt.<br />
Man kann den nicht immer Erfolg gewohnten Schülern<br />
ansehen, wie stolz sie auf ein von ihnen selbst<br />
hergestelltes Werkstück sind. Umso wichtiger ist<br />
ein Unterricht, der dazu beitragen soll, dem Schüler<br />
Erkenntnisse über seine Umwelt und ein kritisches<br />
Urteils- und Handlungsvermögen zu vermitteln.<br />
32<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Die Schülerfirmen-Börse<br />
Wenn Schülerfirmen ernsthafte „Marktchancen“ haben<br />
sollen, muss das Niveau der Produkte bis ins<br />
Detail elaboriert sein. Der Schwierigkeitsgrad muss<br />
mit Augenmaß gewählt werden, Vorrichtungen müssen<br />
vorhanden sein, denn Monate langes Handfertigkeitstraining<br />
scheidet aus. Möglichst interessante<br />
Technikerfahrungen sollen sich dem Schüler bieten.<br />
brik „Schülerfirmen-Börse“ finden Sie daher in jedem<br />
Forum Arbeitslehre ausgearbeitete Vorschläge<br />
für Produkte, die in Schülerfirmen hergestellt werden<br />
können. Diese Vorschläge schließen auch das<br />
Angebot an Lehrer ein, Hilfen bei der Umsetzung<br />
zu geben. 1<br />
Es gibt natürlich Schülerfirmen, die einfache<br />
Dienstleistungen anbieten: Kuchen backen, Brötchen<br />
schmieren, Internetseiten basteln. Sie können<br />
durchaus ihre Produkte vermarkten. Wenig überzeugend<br />
sind so genannte Mitleidsprodukte, die man<br />
keinem „normalen“ Anbieter abnehmen würde.<br />
Schülerfirmen bieten enorme Möglichkeiten, Zuverlässigkeit,<br />
Kooperation, Hygiene, Ordnung, Sicherheit<br />
und Pünktlichkeit zu fördern. Zudem werden<br />
elementare betriebswirtschaftliche Zusammenhänge<br />
begriffen. Für die Entwicklung von Produkten<br />
einschließlich der relevanten Fertigungsverfahren<br />
durch Schüler fehlt oftmals die Zeit. Unter der Ru-<br />
1<br />
Bisher erschienen: Rütliclock, Stövchen, Tischtenniskellen, Teufelsknoten,<br />
Workstation, Einkaufshelfer, Mini-Pausenimbiss
Katharina Koch<br />
Brett & Butter<br />
In unserem Schülerbetrieb fertigen wir das Zubehör<br />
für den freundlichen Frühstückstisch. An einer<br />
eleganten Vorrichtung hängen je nach Wunsch vier<br />
oder sechs Frühstücksbretter. Das Gestell ist mit<br />
einer Griffschlaufe versehen (Schullogo) und kann<br />
beliebig platziert werden. Die Bretter sind aus Buchenholz,<br />
streifenförmig wasserfest verleimt, oder<br />
aus Buche mit einem dekorativen Streifen einer anderen<br />
Holzart. Das Frühstücksensemble kann komplett<br />
bezogen werden, aber die Bretter sind auch<br />
einzeln lieferbar.<br />
Frühstücksbretter gelten zu Unrecht als hygienisch<br />
bedenklich. Das geölte Holz kann mit einem leicht<br />
angefeuchteten Lappen gereinigt werden. Gegenüber<br />
Porzellan, das in die Spülmaschine wandert,<br />
kann Energie gespart werden. Mit scharfen Messern<br />
arbeitet sich auf Holz natürlich professionell.<br />
Und ganz nebenbei: Buchenholz hat eine antibakterielle<br />
Wirkung.<br />
1<br />
In der Vergangenheit wurde ein Rundschreiben verfasst, Buchenholz dürfe in der Schule nicht verarbeitet werden. Fachlich richtig ist, dass Buchenholzstäube<br />
nach mindestens 15 Jahren Expositionszeit ein Nasenschleimhautkarzinom verursachen können. Abgesehen davon, dass kein Schüler 15 Jahre<br />
mit Buchenholzstäuben arbeitet, sind Nasespülen und Staubmaske (Partikelfilter P 2 ) zuverlässige Schutzmaßnahmen.. Nicht dumpfe Verbote sondern<br />
aufklärende Schutzmaßnahmen (Gehörschutz, Schutzbrille gegen Funkenflug) sind Inhalte der Arbeitslehre.<br />
34<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
35<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
4<br />
Jetzt wird die Mittelsäule zusammen mit dem Positionsdreieck<br />
in den fest aufgeleimten Klotz eingeführt.<br />
Die Mittelsäule stößt gegen einen Anschlag,<br />
der verstellbar ist, um den Abstand zu den Schrägbohrungen<br />
zu justieren. Über dem Anschlag sieht<br />
man einen Messingklotz, in den eine gehärtete<br />
Bohrbuchse Ø 5 mm eingepresst ist.<br />
5<br />
Jetzt wird mit einer Handbohrmaschine durch die<br />
Bohrbuchse hindurch die erste von drei Schrägbohrungen<br />
angebracht. Für die Bohrbuchse wird die<br />
lange Form verwendet, damit genug Führung für<br />
den Bohrer vorhanden ist.<br />
6<br />
Als nächstes wird die Mittelsäule zurückgezogen<br />
und um 120 Grad gedreht. Nach dem Einschub in<br />
die 30 mm Bohrung gegen den Anschlag werden die<br />
restlichen zwei Bohrungen ausgeführt.<br />
7<br />
Die Griffschlaufe kann schwarz oder weiß gehalten<br />
sein. Durch zwei Nieten Ø 5 mm verläuft der obere<br />
quer liegende Aufhängestab (Abb. 7). Bei den Texten<br />
und Motiven berät Simone Maier (IBBA), die<br />
alle Programme auf der Stickmaschine gespeichert<br />
hat.<br />
36<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
37<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Berechnung der Kosten für ein Brett & Butter - Set<br />
Rundstab Buche ø 30 mm, Länge 275 mm 1,80 €<br />
Stahl ø 5 mm , Länge380 mm 1.00 €<br />
5 schwarze Holzkugeln ø 15 mm 0,50 €<br />
1 Frühstückbrett 160 x 250, ca. 12 mm dick 1,50 €<br />
Pauschale: Stoffreste, Garn, Ösen Leim, Öl 0,80 €<br />
Komplettset mit 4 Brettern 10.60 €<br />
Komplettset mit 6 Brettern 13,60 €<br />
Hauptmaße der Konstruktion<br />
38<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Mira Diedering, Felix Iwert, Theodor Sakatis (Fotos)<br />
Der Porto-Tester<br />
Der Porto-Tester ist eine interessante Produktionsaufgabe<br />
im Rahmen des Faches Arbeitslehre.<br />
Die technischen Herausforderungen beim Bau des<br />
Porto-Testers, nachfolgend PT genannt, sind von<br />
Schülern beherrschbar und der Nutzen beim Eigengebrauch<br />
ist evident. Aber der PT findet auch<br />
einen Markt im Rahmen von Schülerfirmen.<br />
Einige Vorrichtungen für die Fertigung sind unverzichtbar,<br />
wenn das Produkt in der gezeigten<br />
Form die Werkstatt verlassen soll. Wir schließen<br />
nicht aus, dass primitive Lösungen mit einem geringeren<br />
Genauigkeitsgrad denkbar sind. Ob aller-<br />
dings der Produzentenstolz<br />
und das Abnehmerinteresse<br />
garantiert<br />
werden können, bleibt<br />
abzuwarten.<br />
Wir empfehlen dringend<br />
interessierten Kollegen<br />
zu einer Kontaktaufnahme mit dem IBBA. Nach<br />
zwei bis drei Terminen, jeweils ca. drei Stunden,<br />
kann jeder Lehrer mit einem Prototyp nach Hause<br />
gehen. Über den Vorrichtungsbau bzw. die Ausleihe<br />
von Vorrichtungen muss gesondert verhandelt<br />
werden.<br />
Die Moritat vom Briefporto<br />
Charly Schnarchmann und Erna Tüchtig sind zwei<br />
Schüler einer Neuköllner ISS. Sie besuchen die 10.<br />
Klasse und bewerben sich gerade um eine Lehrstelle.<br />
In den Briefumschlag sollen drei DIN-A4-Seiten<br />
(Bewerbungsschreiben, Lebenslauf mit Foto, Kopie<br />
des letzten Schulzeugnisses) kommen.<br />
Charly schreibt 20 Bewerbungen. Er will auf<br />
Nummer sicher gehen, denn er erwartet kein gutes<br />
Abgangszeugnis. Charly steckt die Unterlagen<br />
ins Kuvert und klebt eine 55-Cent-Marke darauf<br />
(Standardbrief) 1 . Das Unheil nimmt seinen Lauf.<br />
Erna schreibt nur 10 Bewerbungen. Sie ist als<br />
gute Schülerin zuversichtlich. Bevor sie das Kuvert<br />
zuklebt, holt sie ihren in der Arbeitslehre<br />
gebauten Porto-Tester hervor und kontrolliert das<br />
erforderliche Porto. Es beträgt 90 Cent (Kompaktbrief),<br />
denn der Brief wiegt mehr als 20 Gramm.<br />
Charly besitzt keinen PT, denn er fehlte seiner Zeit<br />
im Arbeitslehreunterricht. Charly bekommt die Briefe<br />
zwei Tage später wegen Unterfrankierung zurück<br />
und muss erneut frankieren - dieses Mal mit 90 Cent.<br />
Insgesamt entstanden ihm Kosten von 29 Euro.<br />
Das Porto (ital. „Fracht“) wurde in Deutschland<br />
1850 vom Deutschen Postverein folgendermaßen<br />
festgelegt: Eine Briefzustellung bis 10 Meilen Entfernung<br />
kostete 10 Pfennige, bis 20 Meilen Entfernung<br />
20 Pfennige. Dagegen sind 55 Cent für einen<br />
Standardbrief bis über tausend Kilometer Entfernung<br />
recht günstig.<br />
Standardbriefe und Kompaktbriefe werden oft<br />
falsch frankiert. Bei Unterfrankierung entstehen<br />
Zusatzkosten, bei korrekter Frankierung kann Geld<br />
gespart werden, weil der Brief nicht zurückkommt<br />
und erneut (richtig) frankiert werden muss. Auf<br />
den nächsten Seiten erfahren Sie mehr über den<br />
Porto-Tester.<br />
1<br />
Fachleute werden anmerken, dass Bewerbungsunterlagen in einer Versandhülle<br />
C4 ungefaltet verschickt werden („Großbrief“, 1,45 €). Wer<br />
sich nicht daran hält, schmälert erfahrungsgemäß seine Chancen – und<br />
noch um so mehr, wenn der Brief (C6 oder C6 lang) unterfrankiert ist.<br />
39<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
1<br />
2<br />
Der PT besteht aus einem Kasten, in dessen Deckel<br />
eine Gebührenliste der Deutschen Post eingelassen<br />
ist, die die wichtigsten Maße und Gewichte sowie<br />
die entsprechenden Gebühren ausweist. Eine federnde<br />
Kunststoffspange hält Ober- und Unterteil<br />
zusammen. In der Mitte des Deckels befindet sich<br />
eine etwa 7 mm tiefe Nut, in die eine Platte mit den<br />
geometrisch zulässigen Maßen gesteckt werden<br />
kann (Messfläche).<br />
Die aufgeklappte Box enthält die Fortsetzung der<br />
Kunststoffspange zum Niederhalten von Briefmarken.<br />
Ferner ist in der Deckelhälfte ein Stempelkissen<br />
untergebracht, Namens- und Adressstempel sind<br />
so beim Versand schnell zur Hand. Im Deckelunterteil<br />
sind untergebracht die Messfläche, der Stempel<br />
und der Waagebalken.<br />
Der Waagebalken wird einfach auf die Oberkante<br />
der Messfläche gelegt und der Prüfbrief in die Halteklemme<br />
gesteckt. Das Gegengewicht kann in zwei<br />
Positionen verschoben werden: max. 20 Gramm und<br />
max. 50 Gramm. Sobald der Waagebalken sich zur<br />
Briefseite neigt, ist das Gewicht überschritten.<br />
Für Skeptiker.<br />
4<br />
3<br />
In die Nut der geschlossenen Box wird die Messfläche<br />
eingesteckt. Deutlich sieht man die beiden<br />
Schlitze zur Bestimmung der maximal zulässigen<br />
Breite und Dicke. Von der Oberfläche der Box bis<br />
zur Oberkante der Messfläche kann die maximal zulässige<br />
Länge von Standard- und Kompaktbriefen<br />
abgegriffen werden.<br />
Das Argument, kaum jemand schriebe mehr Briefe, Jugendliche schon<br />
gar nicht, kennen wir. Es trifft auf Teile der Realität zu, muss aber<br />
keineswegs als endgültig angesehen werden. Ein weiterer Einwand<br />
betrifft das Angebot von elektronischen Waagen (unter 20 €), die natürlich<br />
Batterie gespeist sind. Der von Schülern selbst gebaute PT lässt<br />
neben Zuwachs an Technikverständnis und Handgeschicklichkeit auf<br />
Produzentenstolz und Anwendungsinteresse hoffen.<br />
40<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Die Fertigung der Box für den Porto-Tester<br />
1<br />
Im ersten Schritt werden von einer 8 mm dicken<br />
MDF-Platte 50 mm breite Streifen geschnitten. Die<br />
vier Rahmenteile (150 x 270 mm Außenmaß) werden<br />
auf Gehrung geschnitten und in Falttechnik mit Gewebeklebeband<br />
verleimt. An einer Schmalseite des<br />
Rahmens wird mittig mit tief gestelltem Kreissägeblatt<br />
eine 1,5 mm tiefe Aussparung angebracht, durch<br />
die später die Verschlussklammer geführt wird. Der<br />
Deckel der Box besteht aus einer 8 mm und der Boden<br />
aus einer 3 mm dicken MDF-Platte. Beide Platten<br />
werden mit 1 mm Überstand auf den Rahmen geleimt.<br />
2<br />
Im Bild unten sehen wir die verleimte Box. Deckel<br />
und Boden sind nach dem Aufleimen bündig<br />
gearbeitet. Jetzt wird die Nut zur Aufnahme der<br />
Messfläche gefräst (7 mm tief). Ferner wird mit der<br />
Handoberfräse in einer Führungsschablone die Aussparung<br />
(2 mm tief) für die Gebührenliste gefertigt.<br />
Da die Ecken durch den Fräser bedingt rund sind,<br />
wird mit einer Eckenstanze die Liste angepasst.<br />
Zum Schluss wird die Box mittig aufgetrennt.<br />
Die Fertigung des Waagebalkens<br />
Der Waagebalken wird aus Aluminiumblech (1,5 mm dick, halbhart) gefertigt. Das verschiebbare Gewicht<br />
besteht aus Messing Ø 15 mm.<br />
1<br />
Blechstreifen 28 mm x 230 mm in das Prägewerkzeug<br />
einlegen. Im Schraubstock – besser unter dem<br />
Balancé (in vielen Schulen vorhanden) – die Dachform<br />
prägen.<br />
41<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
In der Biegebank zweimal rechtwinklig abkanten.<br />
2<br />
3<br />
Andruckklammer aus gleichem Blechstreifen herstellen,<br />
ca. 60 Grad abbiegen und am Waagebalken<br />
mit Blindnieten befestigen.<br />
4<br />
In einer Bohrlehre, am verschiebbaren Anschlag,<br />
zwei Bohrungen (Ø 6mm) anbringen. Den Schlitz<br />
zwischen beiden Bohrungen entweder mit der<br />
Laubsäge oder mit der Fräsmaschine öffnen.<br />
5<br />
Messingzylinder auf Länge drehen, 6 mm Absatz /<br />
2 mm lang abdrehen und Gewinde M3 mittig in den<br />
Absatz schneiden.<br />
42<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Fertigung der Kunststoffteile<br />
1<br />
Die Messfläche wird aus 3 mm dicker Folie (Polyethylen<br />
o.ä.) gefertigt. Die Durchbrüche werden am<br />
besten an der ISEL-Maschine gefräst (höchst zulässige<br />
Breite und Dicke der Briefe). Die Länge der<br />
Messfläche zeigt das höchst zulässige Briefformat<br />
in Längsrichtung an.<br />
2<br />
Die Verschluss- und Halteklammer hält zum einen<br />
Deckel und Boden der Box zusammen, zum anderen<br />
werden Postwertzeichen im Inneren der Box fixiert.<br />
Rechtwinklig abbiegen am heißen Draht.<br />
3<br />
Die Ergänzung zum PT besteht in einem selbst gesetzten<br />
Namen- und Adressstempel. Gutenbergs,<br />
die Welt verändernde Erfindung, das Drucken mit<br />
beweglichen Lettern, macht auch heute Schülern<br />
Spaß. Stempelkissen, Stempel und die Hälfte des<br />
Letternsatz kosten 8,50 € (reicht für 2 Schüler).<br />
Erna Tüchtig<br />
Azubi auf Suche<br />
Optimismusgasse 3<br />
1111 Hoffnungstal<br />
Schlussbemerkung<br />
Die Gebührenliste kann im Internet heruntergeladen<br />
werden (Farbe: postgelb). Die Farbgestaltung<br />
des PT ist beliebig. Die Verwendung der Farbe<br />
„postgelb“ ist naheliegend, aber nicht zwingend.<br />
Wenn der PT in einer Schülerfirma hergestellt<br />
wird, kann der Schulname in irgendeiner Form appliziert<br />
werden. Die Materialkosten für den Porto-<br />
Tester (ohne „Druckerei“) betragen 6,00 €.<br />
43<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
44<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Mira Diedering, Felix Iwert, Simone Maier (Textil)<br />
Fertigung eines Strandstuhls<br />
Der Strandstuhl ist nicht nur für den Strand geeignet,<br />
obschon er im Sommer Hochkonjunktur haben<br />
dürfte. Auch im Park, bei Waldspaziergängen und<br />
auf Rastplätzen an der Autobahn ist er ein leicht mitzuführendes<br />
Relaxvehikel. Holzleisten und etwas<br />
Stoff sind die preiswerten Ausgangsmaterialien.<br />
Der Materialeinsatz beläuft sich auf ca. 5 Euro. Der<br />
Schwierigkeitsgrad bei der Herstellung ist durchaus<br />
beherrschbar, wie wir anlässlich eines Projekttages<br />
mit Schülern der Fritz-Kühn-Oberschule feststellen<br />
konnten. Die Schüler kamen in die Werkstätten des<br />
IBBA und verließen diese nach 5 Stunden stolz mit<br />
dem eigenen Strandstuhl. Gewiss ist auch die Fertigung<br />
im Rahmen einer Schülerfirma attraktiv. Einige<br />
niedrig komplexe Vorrichtungen sind notwendig,<br />
um eine passgenaue Montage zu gewährleisten.<br />
Lehrer, die sich für dieses Projekt interessieren, können<br />
einen Prototyp unter Anleitung im IBBA bauen.<br />
Kontakt:<br />
Mira Diedering / Tel. 030 314 28 288<br />
eMail: diedering@technik.ibba.tu-berlin.de<br />
Felix Iwert / Tel. 030 314 28 288<br />
eMail: iwert@technik.ibba.tu-berlin.de<br />
45<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Herstellung und Montage Sitz<br />
1<br />
Die beiden Trageleisten 20 x 40 x 700 mm werden<br />
an der Stirnseite mit der Bandsäge auf die Breite der<br />
Sitzleisten 10 x 40 mm eingesägt, um somit später<br />
die Sitzleisten bündig in die Trageleisten einzulassen.<br />
2<br />
Mit Hilfe einer Vorrichtung werden an der Kreissäge,<br />
die Trageleisten im Winkel von 35° und 45°<br />
Grad gesägt.<br />
Anzahl der Leisten:<br />
3<br />
Anzahl: 2 x 700 mm<br />
Anzahl: 2 x 500 mm<br />
Anzahl: 4 x 350 mm<br />
Anzahl: 3 x 325 mm<br />
46<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
4<br />
Zum Verschrauben müssen die Sitzleisten vorgebohrt<br />
und die Bohrung gesenkt werden.<br />
Mit Hilfe eines Anreißklotzes wird parallel zu einer<br />
Werkstückkante eine Linie gezogen. Anschließend<br />
werden die sechs Trageleisten nach Zeichnung mit<br />
einer Ø 4 mm Durchgangsbohrung versehen und<br />
versäubert.<br />
5<br />
Die Sitzleisten zwischen die Trageleisten fixieren.<br />
Dann den Rahmen von oben beginnend mit den<br />
Sitzleisten beplanken. Sie werden verleimt und verschraubt.<br />
Hinweis:<br />
Wie für alle Möbel, die draußen eingesetzt werden,<br />
auf jeden Fall wasserfesten Holzleim und nicht rostende<br />
Spanplatten-Schrauben verwenden!<br />
Herstellung Bezug<br />
6<br />
Die Kanten der Seitennähte mit der Kettelmaschine<br />
abketteln oder mit dem Zickzackstich der Nähmaschine<br />
versäubern. Saumkanten jeweils 1 x 1<br />
cm umbügeln (Bügelschablone 1 cm). Seitennähte<br />
rechts auf rechts legen und mit einer 1 cm breiten<br />
Naht schließen, anschließend ein zweites Mal über<br />
die Naht nähen (mehr Stabilität). Nähte ausbügeln<br />
und die Ecken abnähen: Die Ecken so legen wie<br />
beschrieben und eine 4 cm lange Naht abnähen.<br />
Die Nahtzugabe ist auch hier 1 cm.<br />
Anschließend die Nahtzugaben der Ecken abketteln<br />
oder mit dem Zickzackstich versäubern. Zum<br />
Schluss die vorgebügelten Saumkanten feststecken<br />
und knappkantig aufnähen. Der Bezug wird über<br />
die Tragleisten des Strandstuhls gezogen.<br />
Transport<br />
7<br />
Für den Transport können Rücklehne und Sitz auseinander<br />
gezogen in der Stoffbespannung untergebracht<br />
werden.<br />
47<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Stückliste:<br />
Baugruppe Nummer Material Menge Größe<br />
1<br />
Kiefernleiste<br />
2<br />
20 x 40 x 700 mm<br />
TL (Tragleisten)<br />
2<br />
Kiefernleiste<br />
4<br />
10 x 40 x 350 mm<br />
3<br />
Spax-Schrauben<br />
8<br />
4 x 40 mm<br />
4<br />
Kiefernleiste<br />
2<br />
20 x 40 x 500 mm<br />
5<br />
Kiefernleiste<br />
2<br />
10 x 40 x 325 mm<br />
SL (Sitzleisten)<br />
6<br />
Kiefernleiste<br />
1<br />
10 x 40 x 325 mm<br />
7<br />
Spax-Schrauben<br />
12<br />
4 x 40 mm<br />
8<br />
Baumwollstoff<br />
1<br />
500 x 500 mm<br />
Zeichnung:<br />
6<br />
8<br />
1<br />
Beach<br />
7<br />
5<br />
3<br />
4<br />
2<br />
48<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Netzplan<br />
Der Netzplan zeigt, dass drei Schülergruppen parallel mit der Produktion beginnen können.<br />
Gruppen: Trageleisten (TL), Sitzleisten (SL), Stoff<br />
Stoff<br />
zuschneiden<br />
Stoff nähen<br />
Nahtstellen<br />
versäubern<br />
TL hobeln<br />
TL ablängen<br />
TL Kanten brechen<br />
TL Bohren<br />
TL und SL verschrauben<br />
Schleifen u. Oberflächenbehandlung<br />
Der Netzplan zeigt, dass drei Schülergruppen parallel mit der Produktion beginnen können.<br />
Gruppen: Trageleisten (TL), Sitzleisten (SL), Stoff<br />
Gruppe<br />
TL<br />
Gruppe<br />
SL<br />
Gruppe<br />
Stoff<br />
SL hobeln<br />
SL ablängen<br />
Holzeinlassung / Schräge<br />
an den SL<br />
SL Kanten brechen<br />
Holzeinlassung / Schräge<br />
an den TL<br />
SL Bohren<br />
Suhl zusammensetzen<br />
Stoff wird über die TL<br />
geschoben<br />
Fertiger Strandstuhl<br />
49<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Didaktisches Forum<br />
Jürgen Günther<br />
Gemeinsam(e) Perspektiven schaffen<br />
Aspekte der Beruforientierung von Jugendlichen<br />
mit Lernschwierigkeiten im Kontext der<br />
UN-Konvention für die Rechte von Menschen<br />
mit Behinderungen (UN-BRK)<br />
Per Ratifizierung wurde am 26. März 2009 auch in<br />
Deutschland die UN-Konvention über die Rechte<br />
von Menschen mit Behinderung in Kraft gesetzt.<br />
Damit werden auf der Grundlage der Universalität<br />
der Menschenrechte umfassend die Rechte behinderter<br />
Menschen auf Selbstbestimmung, Partizipation<br />
und Diskriminierungsschutz geregelt.<br />
Die Übernahme dieser UN-Konvention in deutsches<br />
Recht leitete einen Paradigmenwechsel ein, dessen<br />
Kern darin besteht, dass Menschen mit Behinderung<br />
selbst mitentscheiden, wie ihre „volle und wirksame<br />
Teilnahme und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“<br />
gewährleistet wird. Für die Bildung heißt das,<br />
Menschen mit Behinderung haben das Recht auf<br />
Bildung ohne Diskriminierung und auf der Grundlage<br />
der Chancengleichheit. Um das zu verwirklichen,<br />
gewährleisten die Vertragsstaaten ein (integratives)<br />
inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges<br />
Lernen (vgl. UN-BRK Artikel 24).<br />
Man kann darüber spekulieren, ob sich die Unterzeichner<br />
der weitreichenden und tiefgehenden Auswirkungen<br />
bewusst waren, die eine Übernahme der<br />
Konvention in nationales Recht zur Folge hat, aber<br />
der Diskurs, der schon mit der Veröffentlichung<br />
unterschiedlicher Übersetzungsvarianten der UN-<br />
BRK einsetzte und der sich bis heute mit sehr kreativen<br />
Interpretation von Teilaspekten der Konvention<br />
fortsetzt, wie die des Begriffs der Inklusion, lässt<br />
deutlich erkennen, dass die gesellschaftlichen Konsequenzen<br />
der Umsetzung der Konvention erst allmählich<br />
begriffen werden. Um jede Position muss<br />
gerungen werden, wenn es darum geht, diese in die<br />
Praxis umzusetzen.<br />
Der folgende Beitrag erreichte uns leider erst<br />
nach Redaktionsschluss zu dem Heftthema<br />
„Schülerfirmen“. Wir drucken ihn im Einverständnis<br />
des Autors in diesem Heft ab.<br />
Rollstuhlgerechte Zugänge und den Blindenleitstreifen<br />
auf Bahnhöfen sind zwar auch sehr aufwändig,<br />
lassen sich aber wahrscheinlich doch einfacher<br />
einrichten als die Teilhabe von Menschen eines sehr<br />
breiten Behinderungsspektrums am gesellschaftlichen<br />
Leben - besonders wenn es das Arbeitsleben<br />
betrifft, wie Artikel 27 der UN-BRK fordert.<br />
Nicht zu bestreiten ist, dass die UN-BRK eine hohe<br />
gesellschaftliche Dynamik erzeugte. Im Ergebnis<br />
entstanden eine Fülle von Erklärungen und Aktionsprogrammen<br />
der Politik, besonders im Bildungsbereich,<br />
die wiederum eine Welle von Pro- und Kontrabewegungen<br />
auslösten.<br />
Aktionen, wie die der „Initiative Inklusion“, die mit<br />
Geldern des Ausgleichsfonds finanziert wird, sind<br />
als Bewegungen in die richtige Richtung anerkannt.<br />
Allein die Wirtschaft ist jetzt gefragt, die Türen für<br />
schwerbehinderte Menschen zu öffnen. Ob und wie<br />
weit das geschieht, wird sich bald zeigen.<br />
Die gegenwärtige Situation in der Wirtschaft ist dafür<br />
nicht gerade günstig. Ein harter globaler Wettbewerb,<br />
der einerseits extremen Leistungsdruck und<br />
Arbeitsverdichtung, andererseits Massenarbeitslosigkeit<br />
und Druck auf Arbeitseinkommen erzeugt,<br />
50<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
die damit in Zusammenhang stehenden Veränderungen<br />
der Sozialgesetze mit dem Kernstück Hartz IV,<br />
Zumutbarkeitsregeln die den Qualifikationsschutz<br />
aushebeln, Prekarisierung der Arbeitswelt und die<br />
zunehmende Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt haben<br />
dazu geführt, dass das Klima in der Arbeitswelt<br />
rauer geworden ist. Daran ändert auch der neu entdeckte<br />
Fachkräftemangel noch nichts.<br />
Auf Grund der im Wirtschaftssystem liegenden<br />
strukturellen und konjunkturellen Probleme finden<br />
auch gut ausgebildete Menschen ohne Behinderung<br />
oft keine Arbeit.<br />
Die „Wirtschaft“ nimmt auf, was passfähig ist, also<br />
Gewinn erwirtschaftet. Eventuelle Einschränkungen<br />
durch Behinderungen sind zu kompensieren.<br />
Die Arbeitskraft des Personals muss über die Beeinträchtigungen<br />
hinaus verwertbar sein und „sich<br />
rechnen“. Unternehmen, die das nicht berücksichtigen,<br />
riskieren ihren Untergang.<br />
Behinderungen werden als Leistungseinschränkungen<br />
wahrgenommen und gelten als Einstellungshemmnis.<br />
Deshalb benötigen behinderte Menschen<br />
Unterstützungssysteme, die ihnen eine Teilhabe am<br />
gesellschaftlichen Leben unter würdigen Bedingungen<br />
ermöglichen und eine Abstimmung ihrer<br />
Behinderung auf die Verwertungsbedingungen der<br />
„Wirtschaft“ vornehmen. Ein Appell zur Umsetzung<br />
der UN-BRK in den Betrieben allein wird<br />
nicht viel bewirken, da ökonomische Argumente<br />
stärker sind. Unternehmen erwarten, dass ihnen keine<br />
Wettbewerbsnachteile entstehen, wenn sie behinderte<br />
Menschen einstellen.<br />
Bei anerkannter Schwerbehinderung können Gesetze,<br />
wie das SGB IX, SGB XII, eine Behindertenquote,<br />
der Ausgleichsfond, Lohnkostenzuschuss<br />
u.a. dazu beitragen, hier zumindest im nationalen,<br />
eventuell auch im europäischen Rahmen für alle<br />
gleiche Wettbewerbsbedingungen herzustellen und<br />
das Vorhaben der Inklusion auch in der Arbeitswelt<br />
voranzutreiben.<br />
Die Forderung der UN-BRK nach „voller und wirksamer<br />
Teilnahme und Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
Leben“ stellt auch neue Ansprüche an die Unterstützungssysteme<br />
für Behinderungen, die unter<br />
der Schwelle der anerkannten Schwerbehinderung<br />
liegen und sich teilweise überschneiden mit Maßnahmen<br />
für Jugendliche aus dem Rechtskreis des<br />
SGB II. Die Passfähigkeit dieser Maßnahmen auf<br />
die jeweils sehr individuellen Fälle ist nicht immer<br />
gegeben und erfordert eine bessere Abstimmung aller<br />
Akteure. Es ist fraglich ob der weitere Ausbau<br />
von Berufsvorbereitungsmaßnahmen des SGB II<br />
Bereichs auf Kosten der professionellen und auf den<br />
Jugendlichen abgestimmten Jugendberufshilfe der<br />
Grundidee der UN-BRK entspricht bzw. ob diese<br />
Maßnahmen diese Implikation ausreichend berücksichtigen.<br />
Das betrifft besonders Behinderungen, die teilweise<br />
auch aus sozialer Benachteiligung erwachsen,<br />
wie „Lernbehinderungen“, „Verhaltensstörungen“<br />
oder „Sprachstörungen“. Diese Begrifflichkeiten<br />
werden im gesellschaftlichen Diskurs nicht mehr<br />
verwendet. Im §19 SGB III findet sich noch der Begriff<br />
der „Lernbehinderung“. Doch fällt es vielen<br />
Betroffenen nicht leicht, auf Grundlage dieses stigmatisierenden<br />
Begriffs Unterstützungsleistungen<br />
einzufordern. Heute werden diese Befindlichkeiten<br />
als Förderbedarf „Lernen“, „emotional-soziale Entwicklung“<br />
und „Sprache“ bezeichnet. Wobei der<br />
Begriff Förderbedarf den Bezug zu Bildungsprozessen<br />
festschreibt. Für Jugendliche mit Förderbedarf<br />
im Lernen können Unternehmen Ausbildungsbegleitende<br />
Hilfen in Anspruch nehmen. Aber das<br />
erst, wenn diese Jugendlichen als ausbildungsreif<br />
betrachtet werden - was in der Regel nach Beendigung<br />
der Schule nur selten vorkommt. Im Falle<br />
mangelnder Ausbildungsreife erhalten sie Zugang<br />
zu Maßnahmen der Berufsvorbereitung, die aber<br />
kaum realistische Anschlussmöglichkeiten an duale<br />
Ausbildungen auf dem ersten Arbeitsmarkt bieten<br />
und auch nicht unbedingt von den Jugendlichen als<br />
motivierend wahrgenommen werden. Die Auswirkungen<br />
des Einsatzes dieses Instrumentes bleiben<br />
fragwürdig.<br />
Nicht erst über die Definition der „Ausbildungsreife“<br />
durch die Arbeitsgruppe „Ausbildungsreife“<br />
des „Nationalen Pakts für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs<br />
in Deutschland“ wurde dem Bildungswesen<br />
direkt oder indirekt die Aufgabe übertragen,<br />
für die Bereitstellung einer fitten, den Anforderungen<br />
der Unternehmen gewachsenen, leistungsfähigen,<br />
ausbildungswilligen und ausbildungsreifen<br />
„menschlichen Ressource“ zu sorgen - und das bei<br />
einem rasanten Wachstum der Anforderungen an<br />
alle Berufsfelder, schon allein durch die extrem beschleunigte<br />
technologische Entwicklung in fast allen<br />
Berufsgruppen.<br />
Dieses Recht der „Wirtschaft“, die Dinge so zu sehen,<br />
stellt niemand in Zweifel. Aber da Gesellschaft<br />
größer ist als Wirtschaft, Wirtschaft mehr als das<br />
Gewinninteresse oder der Wettbewerb zwischen<br />
Unternehmen und menschliches Leben nicht nur<br />
51<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
eduziert werden kann auf wirtschaftliche Verwertung,<br />
hat das Bildungswesen auch Aufgaben, die<br />
über unternehmerisch begründete Bildungsziele<br />
hinausreichen. Auf dem Gebiet der Wissensvermittlung<br />
betrifft das unter anderem neben natur-, sozial-<br />
und geisteswissenschaftlichen Grundlagenkenntnissen,<br />
Kulturtechniken, betriebswirtschaftlichen<br />
Grundkenntnissen auch Kenntnisse über globale<br />
wirtschaftliche, ökologische und soziale Zusammenhänge.<br />
Auf dem Gebiet der Entwicklung des Sozialverhaltens,<br />
man kann es auch Erziehung nennen, spielt neben<br />
dem Ausbau arbeitsrelevanter Basiskompetenzen,<br />
mitunter auch als Arbeitstugenden bezeichnet,<br />
auch die Entwicklung von Selbstbewusstsein, solidarischem<br />
Verhalten und die Achtung humanistischer<br />
Grundwerte eine Rolle, wozu ebenfalls die Achtung<br />
der Würde des Menschen auf der Basis von Grundprinzipien<br />
der UN-BRK gehören.<br />
Es stellt einen enorm hohen Anspruch an die Schule<br />
dar, dieses Gesamtpaket an Anforderungen umzusetzen.<br />
Im Gegensatz zu den Anforderungen haben sich die<br />
Ressourcen der Institution Schule in Deutschland<br />
nicht wesentlich erhöht. Das wird sicher in der weiteren<br />
Diskussion zur Umsetzung der UN-BRK noch<br />
eine Rolle spielen, verbunden mit dem Begriff der<br />
Inklusion.<br />
Inklusion wird hier begriffen als ein bundesweit<br />
durchzusetzendes schulisches Arrangement, das gemeinsames<br />
Lernen von behinderten und nichtbehinderten<br />
Jugendlichen ermöglicht. Dieser Paradigmenwechsel<br />
im Gesamtschulsystem erfordert, dass ein<br />
bisher hochselektives und segregatives Schulwesen<br />
in ein inklusives, im Sinne der UN-BRK, umgewandelt<br />
werden soll.<br />
Mit zwei unterschiedlich segregativen Traditionslinien<br />
soll gebrochen werden:<br />
1. Mit der Traditionslinie Ost, der leistungsorientierten<br />
frontalen Belehrungsschule für Lernen im<br />
Gleichschritt, welches motivationale und kognitive<br />
Homogenität voraussetzt, selektiv an den Polen Lernschwierigkeiten<br />
(Hilfsschule) und Hochbegabung<br />
(Erweiterte Oberschule).<br />
2. Mit der Traditionslinie West, in der dem Bedürfnis<br />
nach Homogenität entsprochen wurde - durch soziale<br />
Segregation und Selektion mittels einer Vielfalt<br />
an Schulformen, deren Grundformen Sonderschulen,<br />
Grundschule, Hauptschule, Realschule und Gymnasium<br />
darstellten. Innerhalb der Schulformen zeichnete<br />
sich hier der Unterricht durch größere Methodenvielfalt<br />
aus.<br />
Dieser Bruch erfordert einen Mentalitätswechsel bei<br />
Lehrerinnen und Lehrern: weg von der Defizitorientierung<br />
- hin zur Ressourcenorientierung, der außerdem<br />
noch unter einem starken Veränderungsdruck<br />
vollzogen werden muss. Er entsteht auch dadurch,<br />
dass unter anderem auch Schülerinnen und Schüler,<br />
die als verhaltensauffällig, lern- oder motivationsschwach<br />
gelten, von der Regelschule nicht mehr in<br />
Förderschulen ausgesondert werden.<br />
Die Gründe für den Aufbau der Förderschule lagen<br />
bekanntlich nicht in der Förderschule selbst, sondern<br />
im Bereich der Regelschulen. Die Förderschulen gaben<br />
nur den SchülerInnen eine Heimat, die von der<br />
Regelschule ausgeschlossen wurden. Die Gründe für<br />
diese Segregation müssen in den Regelschulen überwunden<br />
werden.<br />
Die gegenwärtig noch wachsende Förderquote im<br />
Bereich der drei Förderschwerpunkte „Lernen“,<br />
„emotionale-soziale Entwicklung“ und „Sprache“ ist<br />
am wenigsten ein statistisches, sondern ein sehr komplexes<br />
soziales und pädagogisches Problem. Dieses<br />
Problem wird die Regelschulen demnächst treffen.<br />
Mit dem Übergang zur „inklusiven“ Schule auf der<br />
Grundlage der UN-BRK erhöht sich die Heterogenität<br />
an Schulen und damit auch die Herausforderung<br />
für Lehrer, mit dieser neuen Heterogenität im Unterricht<br />
erfolgreich umzugehen. Bisherige didaktische,<br />
methodische und pädagogische Unterrichtskonzepte,<br />
die tendenziell auf den Voraussetzungen von motivationaler<br />
und kognitiver Homogenität aufbauten, werden<br />
in Frage gestellt.<br />
Das soziale Lernen gewinnt noch stärker an Gewicht<br />
und es wird notwendig sein, Binnendifferenzierung<br />
und äußere Differenzierung sehr verantwortungsbewusst<br />
zu entwickeln und einzusetzen.<br />
Methodenvielfalt und Kooperation könnten das<br />
Schlüsselglied zur Bewältigung der Herausforderung<br />
von wachsender Heterogenität an den Regelschulen<br />
sein. Wenn die Zusammenlegung bisher unterschiedlicher<br />
Schulformen dazu führt, dass der Erfahrungsschatz<br />
der in den einzelnen Schulformen praktizierten<br />
Lernarrangements, Unterrichtsmethoden und Didaktiken<br />
ebenfalls zusammengeführt, kritisch überprüft<br />
und kreativ auf die neue Situation übertragen wird,<br />
könnte eine „Schule für alle“ wahr werden.<br />
52<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Erfolgreich kann dieser Prozess der Zusammenführung<br />
der unterschiedlichen Schulformen aber nur<br />
sein, wenn Lehrerinnen und Lehrer und alle weiteren<br />
an den Schulen Tätigen bereit sind und Gelegenheit<br />
erhalten, ihr Wissen und Ihre Erfahrungen zu<br />
teilen, zu lernen, Ratschläge anzunehmen und sich<br />
selbst zu verändern.<br />
Das betrifft neben dem gesamten Fachunterricht<br />
auch die Berufsorientierung und Berufsvorbereitung<br />
und alle damit zusammenhängenden Arrangements.<br />
In diesem Feld können die Berliner Schulen mit<br />
Förderschwerpunkt „Lernen“ sehr wertvolle Erfahrungen<br />
einbringen. Der dort vorhandene breite<br />
Erfahrungsschatz im Umgang mit Jugendlichen,<br />
die Schwierigkeiten beim Lernen haben und mitunter<br />
sehr problematisches Verhalten zeigen, sollte<br />
bewahrt und auf die neuen Bedingungen der<br />
„inklusiven“ Schule übertragen werden. Das gilt<br />
insbesondere für die langjährige Arbeit mit erweiterten<br />
Praktika in der Wirtschaft und Schülerfirmen.<br />
Diese Schulen sind heute im Berliner Netzwerk<br />
Schülerfirmen (BeNS) verbunden, das nach<br />
Beendigung des ESF-Projektes „Netzwerk Berliner<br />
Schülerfirmen“ ab 2010 die Schülerfirmenarbeit<br />
weiterführt.<br />
Mehrere Studien der Humboldt Universität zu<br />
Berlin (Label-Studie, 2006, Bella-Studie 2009,<br />
ENEBS-Studie 2009) bestätigten die Wirksamkeit<br />
des Lernens in Schülerfirmen für den Fachunterricht<br />
für die erfolgreiche Ausprägung von Arbeitstugenden<br />
und arbeitsrelevanten Basiskompetenzen<br />
sowie die psychosoziale Stabilisierung von Jugendlichen.<br />
Es ist anzunehmen, dass diese positiven Wirkungen<br />
im Kontext einer inklusiven Schule nicht nur erhalten<br />
bleiben, sondern auch verstärkt werden, wenn<br />
die entsprechende Sensibilität für die Begabungen<br />
und die Entwicklungsbedürfnisse jedes einzelnen<br />
Schülers im Unterricht berücksichtigt werden.<br />
Schülerfirmen bieten durch den gemeinsamen Gegenstand,<br />
der sich im gemeinsamen, in der Satzung<br />
festgelegten Unternehmensziel darstellt und die<br />
diesem Ziel untergeordnete Vielfalt der Aufgaben<br />
eine sehr günstige Grundlage dafür, individuelle<br />
Neigungen zu berücksichtigen, Herausforderungen<br />
zu bieten und die Jugendlichen entsprechend ihres<br />
Lernniveaus zieldifferent zu fördern. Das betrifft<br />
nicht nur die kognitive Seite der Persönlichkeitsentwicklung,<br />
sondern auch und besonders die Entwicklung<br />
des Sozialverhaltens. Der Umgang mit<br />
Vielfalt wird erlebbar und allmählich für alle zur<br />
Selbstverständlichkeit. So wird es besser möglich<br />
sein, eine Kultur der Auseinandersetzung und der<br />
Wertschätzung in der Gesellschaft zu verankern,<br />
die notwendig ist um eine demokratische Gesellschaft<br />
zu entwickeln.<br />
Gerade in einer Entwicklungsphase, in der infolge<br />
der Pubertät das Selbstwertgefühl der Jugendlichen<br />
starken Schwankungen ausgesetzt ist, besonders<br />
dann, wenn zusätzlich soziale Belastungen<br />
auf Grund von Armut, Arbeitslosigkeit, prekärer<br />
„Arbeitsverhältnisse“ oder Arbeitsüberlastung der<br />
Eltern hinzukommen, kann das Lernen und Arbeiten<br />
in einer Schülefirma zu einer psychosozialen<br />
Stabilisierung der Persönlichkeit beitragen. Zu<br />
den Faktoren, die das begünstigen zählen unter anderem<br />
die Verankerung in einer Gruppe, die einem<br />
konstruktiven Ziel folgt, die gegenseitige Wertschätzung<br />
auch bei Schwierigkeiten und Problemen,<br />
die konkrete persönliche Verantwortung und<br />
die Erfahrung der eigenen Wirkungsmächtigkeit.<br />
Wenn die Übertragung von Aufgaben an die Jugendlichen<br />
mit der notwendigen Sensibilität und<br />
Rücksichtnahme auf ihre individuellen Möglichkeiten<br />
sowie einer realistischen und doch die Anstrengungsbereitschaft<br />
herausfordernden Stringenz<br />
erfolgt, wächst die Identifikation der Schüler mit<br />
„ihrer Schülerfirma“. Sie fühlen sich verantwortlich<br />
und deshalb ernst genommen.<br />
In den Schülefirmen erhalten die Jugendlichen die<br />
Chance, durch Selbstwirksamkeitserfahrungen<br />
notwendige Einstellungen und Kompetenzen für<br />
eine spätere Berufsausbildung und das Bestehen in<br />
der Arbeitswelt aufzubauen. Das betrifft einfache<br />
Tätigkeiten ebenso wie Leitungstätigkeit und wirkt<br />
ein intensiveres Feedback als jedes Fremdurteil<br />
oder eine Schulnote.<br />
Die Eignung des Lernarrangements Schülerfirma<br />
für Schüler mit Förderbedarf „Lernen“ und „emotionale<br />
und soziale Entwicklung“ resultiert auch<br />
daraus, dass neben „arbeitsrelevanten Basiskompetenzen“<br />
der Erwerb von fachlichen Qualifikationen<br />
und Kulturtechniken unterstützt und der<br />
Nutzen traditioneller Unterrichtsinhalte sinnlich<br />
erlebbar gemacht werden. Mit der Einsicht in die<br />
Sinnhaftigkeit der in der Schülerfirma zu bewältigenden<br />
Aufgaben wächst die Bereitschaft, sich<br />
in diesem Rahmen auch mit Themen der Allgemeinbildung<br />
zu befassen und anderen schulischen<br />
Inhalten aufgeschlossener zu begegnen. Das trifft<br />
53<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
für jeden Jugendlichen zu, ganz gleich welche Begabungen<br />
oder welche kognitive Bildungsvoraussetzungen<br />
er hat.<br />
Mit diesen Erfahrungen der Schülerfirmenarbeit und<br />
der Betriebspraktika, die in den Auswertungskontext<br />
der Schülerfirma einbezogen werden sollten, können<br />
Jugendliche mental besser auf die Herausforderungen<br />
eines zukünftigen betrieblichen Lebens vorbereitet<br />
werden.<br />
Eine zielgerichtete Abstimmung schulischer Fachinhalte<br />
mit den Anforderungen der Schülerfirma trägt<br />
dazu bei, Lernprozesse zu verstärken und mit den<br />
Möglichkeiten der einzelnen Schüler abzustimmen.<br />
In diesem Zusammenhang sollten Jugendliche auch<br />
an das nachhaltigen Wirtschaften herangeführt werden.<br />
Dabei müssen nach Rolf Dasecke, Projektkoordinator<br />
von nasch21 1 (www.nasch21.de) auch die<br />
Aspekte „Gerechtigkeit gegenüber der Dritten Welt“<br />
und „Gleichberechtigung der Geschlechter“ Berücksichtigung<br />
finden. Der Autor vertritt ebenfalls<br />
die Meinung, dass auch die sozialen Prozesse, die<br />
im Alltag der Schülerfirma ablaufen, immer wieder<br />
zu thematisieren, zu reflektieren und vor dem Hintergrund<br />
von Zukunftsfähigkeit zu bewerten sind.<br />
Auch Liebel 2 geht davon aus, dass in Schülerfirmen<br />
zu lernen wäre, dass in der betrieblichen Realität der<br />
„freien Wirtschaft“ gegensätzliche Interessen aufeinandertreffen,<br />
Macht ungleich verteilt ist und wie<br />
man sich „von unten“ damit auseinandersetzt. Ebenfalls<br />
können Arbeits- und Wirtschaftserfahrungen<br />
in Formen genossenschaftlicher oder solidarischer<br />
Ökonomie vermittelt werden.<br />
Die Schule bietet außerdem den Rahmen für pädagogisch<br />
notwendige Reflexionen des in Schülerfirmen<br />
Erfahrenen. Damit ergeben sich weitere<br />
Möglichkeiten der Vernetzung unterschiedlicher<br />
Lernformen.<br />
So vorteilhaft das selbstorganisierte Lernen in<br />
Schülerfirmen auch ist, es schmälert nicht die<br />
Rolle der Lehrkraft, sondern verändert diese ganz<br />
wesentlich. Die Lehrer müssen die sehr differenzierten<br />
Bildungsprozesse, die in einer Schülerfirma<br />
ablaufen, unter Kontrolle halten und bei Bedarf<br />
steuern. Besonders die Organisation und Steuerung<br />
der Reflexion und Selbstreflexion, der Feedbackprozesse<br />
erweisen sich als sehr wichtig für den<br />
Erfolg des Lernarrangements. Dies erfordert hohe<br />
Sensibilität, ressourcenorientiertes Herangehen<br />
und ein Gefühl für den richtigen Zeitpunkt, an dem<br />
sich Lehrer zurückziehen und die Jugendlichen<br />
machen lassen.<br />
In den Förderschulen ging die Initiative der Gründung<br />
der Schülerfirma in der Regel von Lehrkräften<br />
aus, die sich allerdings im weiteren Prozess<br />
der Entwicklung dieser Schülerfirma weitgehend<br />
zurückhalten und Hilfe zur Selbsthilfe leisten sollten,<br />
indem sie Schüler zu mehr Selbstständigkeit<br />
ermuntern und die Lernprozesse begleiten. Es ist<br />
anzunehmen, dass Schülerinnen und Schüler der<br />
ISS genügend Ideen für Firmengründungen entwickeln.<br />
Diese Initiativen so zu lenken, dass daraus<br />
Entwicklungsaufgaben entstehen, ist wiederum<br />
eine sehr anspruchsvolle Aufgabe der Lehrer.<br />
Dass Lehrer diese Aufgabe erfüllen können, setzt<br />
voraus, dass sich das betreffende Lehrpersonal einige<br />
grundlegende betriebswirtschaftliche Kenntnisse<br />
und Grundkenntnisse des Wirtschaftsrechts angeeignet<br />
hat.<br />
Ein weiteres Aufgabenfeld des Lehrers besteht in<br />
der Koordinierung des Schülerfirmen-Unterrichtes<br />
mit weiteren Unterrichtsfächern (fächerübergreifender<br />
Unterricht) und in der Formierung eines Lehrerteams<br />
zu Lösung dieser komplexen Aufgaben.<br />
Bei Einsatz sog. „Dritter“, externen Fachkräften in<br />
Schülerfirmen, übernehmen Lehrer zusätzlich die<br />
Koordination der Zusammenarbeit mit diesen Unterstützern.<br />
1<br />
2<br />
„nasch21“ war ein zweijähriges Projekt mit dem Titel „Schülerfirmen im<br />
Kontext einer Bildung für Nachhaltigkeit“, das von der Deutschen Bundes<br />
stiftung Umwelt (DBU) finanziert worden ist. Das Projekt lief vom 15. Okt.<br />
2001 bis zum 14. Okt. 2003. (Redaktion)<br />
Prof. Dr. Manfred Liebel, Dipl.-Soziologe, Dr. phil.; Prof. a.D. für Soziologie<br />
an der Technischen Universität Berlin (Redaktion)<br />
Welche Aufgabenfelder an welche Schüler delegiert<br />
werden, hängt von der aktuellen Lernsituation,<br />
der Zielstellung des Bildungskonzeptes und<br />
den Möglichkeiten der Schüler ab. Es kann durchaus<br />
sinnvoll sein Teams zu bilden, in denen leistungsstärkere<br />
Schüler mit leistungsschwächeren<br />
Schülern arbeiten. Wichtig wird es hier allerdings<br />
sein, die Entwicklung der Beziehungen in den<br />
Teams zu beobachten, um bei dem Aufkommen<br />
von Respektlosigkeit oder Überheblichkeiten ge-<br />
54<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
gensteuern zu können. Es ist mitunter verblüffend,<br />
welche Potenziale Schüler in diesem Lernarrangement<br />
offenbaren.<br />
Deshalb sollten Schülern nach Möglichkeit auch Leitungsaufgaben<br />
übertragen werden. Auftretende Fehler<br />
regen zur kritischen Reflexion an und unterstützen<br />
damit den Prozess des eigenverantwortlichen und<br />
selbstorganisierten Lernens. Eingriffe des Lehrers<br />
bei erkennbaren Fehlen sollten deshalb gut durchdacht<br />
werden. Das betrifft besonders den Umgang<br />
der Schüler mit Fehlern, wie auch die Bearbeitung<br />
von Frustrationserfahrungen, wenn mal etwas nicht<br />
klappt. Bei Sicherheitsproblemen, Unfallschutz oder<br />
Rechtsfragen muss rechtzeitig interveniert werden.<br />
Die hier dargestellten Erfahrungen zeigen nur ein<br />
Bruchteil der Erfahrungen, die in der Arbeit mit Schülerfirmen<br />
an den Berliner Förderschulen gewonnen<br />
wurden. Es ist aber wichtig, dieses Erfahrungspotenzial<br />
aufzuarbeiten, denn es kann zu einem großen<br />
Teil auf die Situation der stärkeren Heterogenität an<br />
den zukünftigen Inklusiven Schulen übertragen werden,<br />
weil auch die Schülerschaft der Förderschulen<br />
sehr heterogen zusammengesetzt ist. Eine homogene<br />
Schülerschaft in der Förderschule hat es nie gegeben.<br />
Wünschenswert ist ein intensiverer Erfahrungsaustausch<br />
zu diesen Fragen zwischen den pädagogisch<br />
verantwortlichen Akteuren (Lehrer, Sozialpädagogen<br />
usw.) der ehemaligen oder noch vorhandene Schulen<br />
mit Förderschwerpunkt „Lernen“ und der Integrierten<br />
Sekundarschulen. Ansätze dazu sind leider<br />
nur gering entwickelt. Vielleicht bringt die für den<br />
16.10.<strong>2012</strong> geplante Schülerfirmenmesse im FEZ-<br />
Berlin unter dem Motto: „Brücken in die Zukunft:<br />
Schülerfirmen für eine inklusive Schule“ hier einen<br />
Durchbruch.<br />
Niemand kann es sich leisten, auf gute Erfahrungen<br />
zu verzichten, wenn es darum geht, eine Grundforderung<br />
der UN-Behindertenrechtskonvention zu erfüllen,<br />
die heißt: Umgang mit Heterogenität normalisieren!<br />
Im Entwicklungsplan Inklusion der Senatorin für<br />
Bildung und Wissenschaft Bremen 2010 wird dazu<br />
folgendes ausgeführt: „Der Umgang mit Heterogenität<br />
ist die zentrale Herausforderung für die Schulen<br />
im Reformprozess. Individualisierung als Prinzip<br />
der Lernarrangements und kooperatives Lernen sind<br />
Konsequenzen, um individuelle Förderung optimieren<br />
zu können. Jede Schülerin bzw. jeden Schüler<br />
mit ihren bzw. seinen individuellen Stärken und<br />
Entwicklungspotenzialen zu fordern und zu fördern,<br />
setzt Lernumgebungen voraus, in denen Lernen von<br />
einer pädagogischen Diagnostik geleitet wird und<br />
individuelles Lernen durch kooperative Arbeitsformen<br />
gefördert werden kann.“<br />
Es ist sicher noch ein weiter Weg, bis die Forderung<br />
der UN-Konvention über die Rechte von<br />
Menschen mit Behinderung erfüllt sein wird, die<br />
darin besteht, dass für diese Menschen die „volle<br />
und wirksame Teilnahme und Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
Leben“ gewährleistet wird und sie ihr<br />
Recht auf Bildung ohne Diskriminierung und auf<br />
der Grundlage der Chancengleichheit wahrnehmen<br />
können. Begonnen hat dieser Weg für Deutschland<br />
im Jahre 2009.<br />
Literaturverweise:<br />
Prof. Dr. Manfred Liebel: Rezension auf e http://www.socialnet.de/rezensionen/7328.php<br />
zu Simone Knab: Schülerfirma. Eine Lernform zur Verbesserung<br />
der Qualität schulischer Bildung. Ergebnisse einer empirischen Studie<br />
an Berliner Schulen. Der Andere Verlag (Tönning) 2007. 336 Seiten. ISBN<br />
978-3-89959-633-5. 35,90 €).<br />
Rolf Dasecke, Projektkoordinator von nasch21 auf www.nasch21.de<br />
Senatorin für Bildung, Wissenschaft Bremen, Entwicklungsplan Inklusion<br />
Bremen auf e http://www.bildung.bremen.de/fastmedia/13/Entwicklungsplan%20Inklusion.pdf<br />
am 24.04.<strong>2012</strong><br />
55<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Ulrich J. Kledzik & Günter Reuel<br />
Und immer wieder Chancengleichheit<br />
Im Jahre 1951 verabschiedete das Abgeordnetenhaus<br />
eine Neugliederung der Berliner Schule als<br />
eine schulpolitische Entscheidung, die sich aus<br />
dem Verhältnis der damaligen Fraktionen ergab<br />
und nicht als Resultat einer schulpädagogischen<br />
Reformabsicht gewertet werden kann. Auf die<br />
sechsjährige Grundschule bauten sich drei Zweige<br />
der Oberschule auf, der Praktische Zweig (OPZ),<br />
der Technische Zweig (OTZ) und der Wissenschaftliche<br />
Zweig (OWZ). Der Besuch der 9. Klasse<br />
war bis 1948 freiwillig, 1951 wurde die 9. Klasse<br />
Abschlussjahr der OPZ.<br />
Nur zur Erinnerung: In den Jahren 1955 - 60 gingen<br />
im Schnitt 53 Prozent eines Jahrgangs an die OPZ,<br />
29 Prozent an die OTZ und 18% an die OWZ über.<br />
Mit der Einführung einer Pflichtfremdsprache,<br />
überwiegend Englisch, in der OPZ wurde der Status<br />
Oberschule erreicht, der in Deutschland stets an<br />
die Vermittlung einer Fremdsprache gebunden war.<br />
Erst 1957 gelang es übrigens, einen Bildungsplan<br />
für die Oberschulen Praktischen Zweiges vorzulegen,<br />
wenn auch mit „vorläufigem Charakter“.<br />
Man erkennt, auf welch unsicherer schulpädagogischer<br />
Basis die damaligen Entscheidungen vorgenommen<br />
wurden. Der Gedanke, man könne überwiegend<br />
„praktisch-manuell“ Begabte, von „technisch“<br />
oder „wissenschaftlich“ Begabten absondern, sollte<br />
schon damals gemildert werden. Man empfahl differenzierte<br />
Angebote, was Fächer und Niveaus betraf.<br />
Fachübergreifende Unterrichtsgestaltung fand ihren<br />
Niederschlag in der Stundentafel.<br />
Werken und Textilarbeit wurden wegen ihrer geschlechtsspezifischen<br />
Vorgeschichte problematisiert,<br />
Hauswerk, Bildnerisches Gestalten, Musik<br />
und Leibesübungen wurden im Kernunterricht der<br />
7. und 8. Klassen mit einem gemeinsamen Stundendeputat<br />
zusammengefasst 1 : Insgesamt also eine<br />
schulpolitisch begründete Gesetzesnovelle in Berlin-West,<br />
die die 1948 als Einheitsschule geplante<br />
Schulstruktur ablösen sollte.<br />
Die Spannung zwischen Schulformen, von denen<br />
man glaubte, sie würden unterschiedlichen Begabungsprofilen<br />
gerecht, und der Akzeptanz in der Be-<br />
Gruß aus ferner Vergangenheit am ehemaligen Schulgebäude in Kladow,<br />
Bezirk Spandau (heute das Gebäude der Stadtteilbibliothek)<br />
56<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
völkerung war von Beginn an latent vorhanden. In<br />
den folgenden Jahrzehnten kam es zur Erosion der<br />
OPZ - inzwischen Hauptschule – die nur noch von 7<br />
bis 10 Prozent eines Jahrgangs besucht wurde.<br />
Chancengleichheit oder nur Chancengerechtigkeit<br />
wurden noch nicht in heutiger Schärfe diskutiert.<br />
Ab 1968 begann in Berlin die Entwicklung der Gesamtschule.<br />
Das typisch deutsche Schulwesen wurde<br />
auch auf Grund internationaler Erfahrungen hinterfragt.<br />
Einige Bundesländer tricksten. Unter dem<br />
Dach einer sogenannten Additiven Gesamtschule<br />
gab es unverändert Haupt-, Realschule und Gymnasialzweige.<br />
In Berlin wurde schon 1970 per Schulgesetz<br />
die Einrichtung von Gesamtschulen neben<br />
den fortbestehenden Oberschulzweigen gesichert.<br />
Die Integrierte Gesamtschule mit Differenzierung<br />
nach Begabungsrichtungen und Begabungshöhen<br />
entwickelte das so genannte FEGA-System (Fortgeschrittene,<br />
Erweiterte, Grundkurse, Anschlusskurse).<br />
Innerhalb dieses Systems war Mobilität immer<br />
zum Schulhalbjahr möglich. Verglichen mit dem<br />
relativ starren dreigliedrigen Schulsystem gelang es<br />
so manchem Schüler im Laufe der Sekundarstufe<br />
I sich so zu verbessern, dass ein Übergang in die<br />
Oberstufe und das Erreichen des Abiturs möglich<br />
wurden.<br />
Erste Schritte hin zu einer demokratischen Leistungsschule<br />
waren erkennbar und erweiterten sich<br />
mit dem bildungspolitischen und schulpädagogischen<br />
Programm für die Bildungszentren während<br />
der 1970er Jahre auf etwa ein Drittel der Schülerschaft<br />
im Sekundarbereich I.<br />
Das Fach Arbeitslehre war seit 1970 Pflichtfach<br />
an Hauptschulen anstelle von Werken, Hauswirtschaft,<br />
Textilarbeit etc. An Realschulen (früher<br />
OTZ) zögernd geduldet, an den entstehenden Gesamtschulen<br />
deutlich Profil bildend 2 . Nur das Gymnasium,<br />
des Bürgers liebstes Kind, stellte sich dieser<br />
wichtigen curricularen Reform bislang nicht.<br />
Gegenüber dem Gymnasium war man stets zu<br />
Kompromissen bereit. Auch aus der letzten Strukturreform<br />
ging das Gymnasium mit einer Bestandsgarantie<br />
hervor. Wurde es tatsächlich Fluchtburg der<br />
ISS-Vermeider?<br />
Die aktuellen Zahlen über „Rückläufer“ müssten<br />
dem ausgeschiedenen Bildungssenator Zöllner zu<br />
denken geben, er versprach, dass es kein „Abschulen“<br />
(ein von ihm importierter Begriff) mehr geben<br />
solle. In diesem Jahr werden fast 800 Schüler, rund<br />
vierzig Klassen, nach einem Jahr vom Gymnasium<br />
an die ISS verwiesen.<br />
In den integrierten Sekundarschulen richtet man<br />
„Praxisklassen“ ein, für Schüler, die am Ende der<br />
8. Klasse wenig Aussicht auf einen Mittleren Schulabschluss<br />
haben. Es gibt also noch Selektion an<br />
unseren Schulen. Die Alternative heißt Chancengleichheit<br />
weiter entwickeln. Die immer noch dominierende<br />
„Buchschule“ muss ergänzt werden um die<br />
von GÜNTER ROPOHL definierte materielle Lernkultur.<br />
Nur dann wird die ganze Begabungsbreite<br />
Jugendlicher Ernst genommen. Schon der Ansatz<br />
der Oberschule Praktischen Zweiges vor einem halben<br />
Jahrhundert war von dieser Idee geleitet.<br />
Immerhin haben wir heute das Studienfach Arbeitslehre<br />
an der Technischen Universität und ein dazugehöriges<br />
Schulfach (WAT?) zumindest in den Integrierten<br />
Sekundarschulen. Erst in einer Schule, wo<br />
das Lernen mit Kopf, Herz und Hand und die Begeisterung<br />
für eine Sache Lernmotivation sind, wird<br />
Selektion entbehrlich.<br />
Es bleibt ein langer Weg zur Chancengleichheit!<br />
1<br />
2<br />
„Der Umgang mit Material und Werkzeug sollte zu planmäßigem Handeln,<br />
zu Sorgfalt und Genauigkeit führen, die Selbsterprobung im Werkunterricht<br />
sollte Hinweise über Berufsneigung und Eignung ermöglichen.<br />
Das 9. Schuljahr stand im Mittelpunkt der Heranführungan die Arbeits- und<br />
Wirtschaftswelt …“ (siehe: Kledzik: Die OPZ in Berlin, Schroedel 1963).<br />
siehe Kledzik: Arbeitswelt in der Schule, in: T. Rülcker: Modell Berlin,<br />
Peter Lang Verlag. 2007<br />
57<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Manfred Triebe<br />
Das Märchen von der fehlenden Ausbildungsfähigkeit<br />
„Generation kann nix“ war in der Welt online vor<br />
einiger Zeit zu lesen. „Werden unsere Jugendlichen<br />
immer dümmer?“ fragen die Medien, wenn Unternehmensverbände<br />
die mangelnde Ausbildungsfähigkeit<br />
der aktuellen Schulabgänger beklagen.<br />
Auch die Bundesregierung äußert sich im Berufsbildungsbericht<br />
2010 besorgt über die mangelnde<br />
Ausbildungsreife vieler Jugendlicher. Nach wie vor<br />
verließen zu viele die Schule ohne Abschluss. Jeder<br />
fünfte Ausbildungsvertrag (21,5 %) werde vorzeitig<br />
wieder gelöst.<br />
„Die Jugendlichen lieben heutzutage den Luxus. Sie<br />
haben schlechte Manieren und verachten die Autorität,<br />
haben keinen Respekt vor älteren Menschen und<br />
surfen mit ihrem I-Phone, wo sie arbeiten sollten.<br />
Sie stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer<br />
betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die<br />
Beine übereinander und tyrannisieren ihre Ausbilder.“<br />
Dieses nur geringfügig gekürzte und von mir<br />
aktualisierte Zitat wird Sokrates zugeschrieben.<br />
Ähnlich klingende Beurteilungen der jeweils heranwachsenden<br />
Generation finden sich bei den Römern,<br />
Martin Luther, im 19. Jahrhundert („Jugendliche<br />
zeigen ein fortwährendes Ansteigen der Ansprüche,<br />
aber kein wachsendes Gefühl für Verantwortlichkeit<br />
für redliche Erfüllung der Pflichten ...“) bis in unsere<br />
Tage.<br />
Man könnte die Klagen über die mangelnden Fähigkeiten<br />
unserer Jugendlichen als übliches Lamentieren<br />
der älteren Generation abtun und zur<br />
Tagesordnung übergehen. Allerdings ist diese Art<br />
von „Kampagnen“ selbst in einer Zeit eines sich<br />
abzeichnenden gravierenden Fachkräftemangels<br />
von interessierter Seite lanciert. Parallel dazu werden<br />
Unsummen ausgegeben, um durch ein staatlich<br />
organisiertes, aber überwiegend privat durchgeführtes<br />
Netz von unzähligen Bildungsträgern seit<br />
Jahren daran zu arbeiten, in einem sog. beruflichen<br />
Übergangssystem diesem vorgeblichen Mangel abzuhelfen<br />
- mit fraglichem Erfolg, wie einer Pressemitteilung<br />
des DIHK (Deutscher Industrie- und<br />
Handelskammertag) vom April 2011 zu entnehmen<br />
ist: „Zur Realität auf dem Ausbildungsmarkt gehört<br />
auch 2011, dass nach wie vor zu viele Jugendliche<br />
nicht ausbildungsfähig sind“.<br />
Was ist also dran an diesen Sprüchen? Und was ist<br />
eigentlich unter Ausbildungsfähigkeit oder Ausbildungsreife<br />
zu verstehen?<br />
Zunächst gibt es keine klare Abgrenzung der Begriffe<br />
„Ausbildungsfähigkeit“ und „Ausbildungsreife“.<br />
Sie werden oft synonym benutzt. Ich gehe deshalb<br />
davon aus, dass sie Gleiches oder Ähnliches meinen.<br />
Von der Hans-Böckler-Stiftung beauftragte Wissenschaftler<br />
haben in einer aktuellen Untersuchung den<br />
Hintergrund dieser in Zyklen ständig wiederkehrenden<br />
Debatte und den Begriff der Ausbildungsreife/<br />
Ausbildungsfähigkeit untersucht. Dabei förderten sie<br />
interessante Hintergründe zu Tage. Vier Fragestellungen<br />
waren der Rahmen für die Untersuchung 1 .<br />
Ich greife hier nur 3 heraus:<br />
1. Lässt sich das Konstrukt „Ausbildungsreife“ wissenschaftlich<br />
begründen?<br />
2. Welche Aussagen lassen sich auf Basis empirischer<br />
Studien zur „Ausbildungsreife“ der Jugendlichen<br />
treffen?<br />
3. Welche politische Funktion erfüllt die Debatte um<br />
„Ausbildungsreife“ und welche dahinter stehenden<br />
Probleme werden dadurch kaschiert?<br />
Zu 1.: Eine zentrale Aussage der Untersuchung<br />
heißt: „Die Ergebnisse machen ... deutlich, dass es<br />
sich bei dem Schlagwort Ausbildungsreife um einen<br />
äußerst diffusen … Begriff handelt, der sich einer<br />
wissenschaftlichen Untersuchung entzieht.“ Ähnliche<br />
Aussagen lesen wir bei anderen Autoren.<br />
Eine Definition von Ausbildungsfähigkeit findet<br />
sich im Wörterbuch der Pädagogik von Schaub/<br />
Zenke (DTV 2000.), ein Kriterienkatalog für die<br />
1<br />
Rolf Dobischat, Gertrud Kühnlein, Robert Schurgatz: Ausbildungsreife –<br />
ein umstrittener Begriff beim Übergang Jugendlicher in eine Berufsausbildung,<br />
Arbeitspapier 189 der Hans Böckler Stiftung, Düsseldorf, Mai <strong>2012</strong><br />
58<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
sogenannte Ausbildungsfähigkeit oder -reife bei der<br />
Bundesagentur für Arbeit von 2006 2 . Nach Schaub/<br />
Zenke ist die Ausbildungsfähigkeit eine Art Universalfähigkeit,<br />
„die sich aus verschiedenen Faktoren<br />
zusammensetzt. Der ausbildungsfähige Jugendliche<br />
verfügt demnach über anwendbares Wissen, über eine<br />
Persönlichkeit und eine körperliche Reife, die es ihm<br />
ermöglicht, eine Berufsausbildung zu beginnen“ 3 .<br />
Wie diese Fähigkeit konkret aussieht, bleibt im Vagen.<br />
Der Kriterienkatalog der Bundesagentur ist zwar<br />
operationalisiert, aber so umfassend, dass wohl mancher<br />
leitende Angestellte bei der Überprüfung durchfallen<br />
würde. Hinzu kommt, dass viele dieser sogenannten<br />
Kriterien in den verschiedenen Branchen<br />
unterschiedliches Gewicht haben und unterschiedlich<br />
gewertet werden. Sie sind eben nicht einheitlich und<br />
damit kein Maßstab für Pauschalaussagen über unsere<br />
jugendlichen Schulabgänger, wie sie immer wieder<br />
von interessierter Seite zu hören sind.<br />
Interessant ist der Bedeutungswandel des Begriffs.<br />
Ausbildungsfähigkeit stammt ursprünglich aus der<br />
Ausbildereignungsverordnung (AEVO) von 1969.<br />
§ 2 der AEVO beschrieb die Anforderungen an die<br />
Berufs- und Arbeitspädagogische Eignung der Ausbilder.<br />
Ausbildungsfähig meinte demnach, ein Betrieb<br />
sei ausbildungsfähig. Mit der Qualifikation der<br />
Lehrlinge hatte der Begriff noch nichts zu tun. Zu<br />
diesem Zeitpunkt (Ende der 60er, Anfang der 70er)<br />
war das Verhältnis zwischen Lehrstellenbewerbern<br />
und Lehrstellenangebot auch noch halbwegs ausgewogen<br />
und es gab vor allem für Jugendliche ohne<br />
Schulabschluss ausreichend niedrig qualifizierte Tätigkeiten<br />
in den Betrieben, die diese Jugendlichen<br />
als Jungarbeiter ohne Ausbildung in das Beschäftigungssystem<br />
übernahmen.<br />
Die Zeiten und die Situation auf dem Ausbildungsmarkt<br />
haben sich spätestens seit den 90er Jahren<br />
grundlegend verändert. Der Wegfall niedrig qualifizierter<br />
Tätigkeiten macht sich insbesondere bei den<br />
Jugendlichen bemerkbar, die die Schule ohne oder<br />
„nur“ mit dem Hauptschulabschluss verlassen. Sie<br />
finden heute kaum noch Angebote mehr vor. Selbst<br />
für erfolgreiche Absolventen der Hauptschule stehen<br />
heute als Konkurrenten um die wenigen Ausbildungsplätze<br />
Abiturienten und Realschüler bereit.<br />
Es muss außerdem berücksichtigt werden, dass<br />
die Ansprüche in den meisten Ausbildungsberufen<br />
in den letzten Jahren rapide gestiegen sind. Parallel<br />
dazu hat sich das Verhältnis von Angebot und<br />
Nachfrage zu Ungunsten der Schulabgänger verändert.<br />
Ab Mitte der 90er Jahre stehen einer wachsenden<br />
Nachfrage immer weniger Ausbildungsplätze<br />
zur Verfügung. Die Differenz zwischen Lehrstellenangebot<br />
und Nachfrage nach Ausbildungsplätzen<br />
erreichte 2004 einen Höhepunkt. Nach einer<br />
Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung standen 2007<br />
über 600 000 Jugendlichen mit Ausbildungsvertrag<br />
knapp 670 000 Jugendliche gegenüber, die in Qualifizierungs-<br />
und Fördermaßnahmen geparkt waren.<br />
Dagegen hatte das Bundesverfassungsgericht 1980<br />
ein Ausbildungsangebot von 125 % gegenüber<br />
einer Nachfrage von 100 % postuliert, damit den<br />
Schulabgängern ein Auswahlfähiges Angebot zur<br />
Verfügung steht.<br />
Parallel zu dieser Entwicklung etablierte sich ein<br />
berufliches Übergangssystem für die bei der Lehrstellensuche<br />
leer ausgegangenen Schulabgänger.<br />
Dieses Übergangssystem führte zu einem Paradigmenwechsel.<br />
Es ging nur noch in politischen Sonntagsreden<br />
um eine Steigerung der Zahl von Ausbildungsplätzen.<br />
In der Realität wurden die bei der<br />
Lehrstellensuche nicht erfolgreichen Jugendlichen<br />
mit dem Etikett „nicht ausbildungsfähig“ stigmatisiert<br />
um dann im Übergangssystem (Warteschleifen)<br />
ggf. ausbildungsfähig gemacht zu werden. Daran<br />
änderte auch der „Nationale Pakt für Ausbildung<br />
und Fachkräftenachwuchs“ (s.u.) nichts.<br />
Wen wundert es, wenn heute der Begriff nahezu ausschließlich<br />
auf die sich um einen Ausbildungsplatz<br />
bemühenden jugendlichen Schulabgänger bezogen<br />
wird. Ein strukturelles Problem wird individualisiert.<br />
Die Ausbildereignungsverordnung wurde,<br />
praktisch parallel zu dieser Entwicklung zwischen<br />
2003 und 2009, vollständig außer Kraft gesetzt. Jeder,<br />
der sich berufen fühlte, konnte in dieser Zeit<br />
ausbilden, seine Ausbildungsfähigkeit wurde nicht<br />
mehr abgefragt. In der aktuellen AEVO sind die<br />
fachlichen Qualifikationen der Ausbilder dominant,<br />
die berufspädagogischen Qualifikationen können<br />
dagegen in „Crashkursen“ von wenigen Tagen erworben<br />
werden (Rahmenplan für die Ausbildung<br />
der Ausbilder).<br />
59<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Zu 2.: Nach einer Umfrage des DIHK ging im Zeitraum<br />
2006 – 2011 der Anteil der Unternehmen, die<br />
über mangelnde Deutschkenntnisse der Bewerber<br />
klagten von 66 % auf 53 % kontinuierlich zurück.<br />
Ähnlich sank der Anteil der Jugendlichen mit Mängeln<br />
in den mathematischen Grundkenntnissen von<br />
53 % (2006) auf 48 % (2011) zurück. Klagen über<br />
Disziplinmängel und mangelnde Belastbarkeit haben<br />
im genannten Zeitraum dagegen zugenommen.<br />
Die Bundesagentur selber findet in eigenen Langzeituntersuchungen<br />
heraus, dass Problemlösefähigkeit,<br />
vernetztes und schlussfolgerndes Denken und<br />
die allgemeine Intelligenz in den letzten 20 Jahren<br />
zugenommen haben 4 . Alleine diese Beispiele zeigen,<br />
wie problematisch das Schlagwort von der<br />
mangelnden Ausbildungsfähigkeit ist.<br />
Hinzu kommen branchenmäßige Unterschiede in<br />
den Anforderungen und Besetzungsprobleme, die<br />
vordergründig gerne auf die mangelnde Ausbildungsfähigkeit<br />
der Bewerber zurückgeführt werden,<br />
tatsächlich aber Branchen betreffen, die „von den<br />
Jugendlichen als Ausbildungsbetriebe wenig nachgefragt<br />
werden, weil sie als körperlich belastend, zu<br />
wenig perspektivenreich, schlecht bezahlt und/oder<br />
von den Arbeitszeiten her unattraktiv erscheinen“.<br />
Hier sind vor allem das Hotel- und Gaststättengewerbe<br />
und die Baubranche betroffen. Unternehmen<br />
aus der IT-Branche, Banken und Versicherungen haben<br />
dagegen wenige Schwierigkeiten, ihre Ausbildungsplätze<br />
zu besetzen.<br />
Zu 3.: Der sogenannte nationale Pakt für Ausbildung<br />
und Fachkräftenachwuchs wurde 2004 von<br />
der Bundesregierung und den Spitzenverbänden<br />
der Deutschen Wirtschaft geschlossen, um jedem<br />
ausbildungswilligen und -fähigen Jugendlichen ein<br />
Ausbildungsangebot zu machen. Damit war impliziert,<br />
dass per Definition von vornherein nicht alle<br />
Jugendlichen in diesen Genuss kommen. Hat ein<br />
Jugendlicher Bewerber schließlich die Hürde ausbildungsfähig<br />
bzw. ausbildungsreif genommen, ist<br />
seine Übernahme in ein betriebliches Ausbildungsverhältnis<br />
im Dualen System allerdings noch lange<br />
nicht gesichert, denn es herrscht die im Berufsbildungsgesetz<br />
(BBiG) abgesicherte Vertragsfreiheit.<br />
Mit der Ausbildungsfähigkeit verhält es sich also<br />
ähnlich wie mit dem Berufswahlpass. Die „Lizenz“<br />
Ausbildungsfähigkeit berechtig die Jugendlichen<br />
nur, am betrieblichen Auswahlverfahren teilzunehmen.<br />
Die Wissenschaftler der Stiftung nennen das<br />
Etikett ausbildungsreif deshalb auch Mindestkonkurrenzteilnahmebescheinigung.<br />
Man fragt sich bei dem jetzt schon abzusehenden<br />
Fachkräftemangel, wie lange die Wirtschaft noch im<br />
Abnehmerstatus verharrt und von den allgemeinbildenden<br />
Schulen die Lieferung ausbildungsfähiger<br />
oder ausbildungsreifer Absolventen verlangen will.<br />
Im Jahre 2006 wurden mehr als 5 Mrd. € für die<br />
Finanzierung des Übergangssystems ausgegeben.<br />
Fachleute bezeichnen das System als ineffizient. Severing<br />
5 konstatierte in einem Vortrag in Hamburg<br />
2009: „Das Übergangssystem ist der expansivste<br />
Teil des Systems der beruflichen Bildung und zugleich<br />
sein am schlechtesten organisierter und ineffektivster<br />
Teil.“<br />
Fazit: Das Schlagwort „mangelnde Ausbildungsreife/Ausbildungsfähigkeit“<br />
ist weder wissenschaftlich,<br />
noch operationalisierbar. Es hilft weder<br />
der Wirtschaft, geeignete Fachkräfte zu gewinnen,<br />
noch den meisten Jugendlichen, irgendwann einen<br />
Ausbildungsplatz zu ergattern. Es verschleiert<br />
den tatsächlichen Hintergrund des prognostizierten<br />
Fachkräftemangels: die zu wenigen Ausbildungsplätze.<br />
Es stigmatisiert die Jugendlichen, die an den<br />
Anforderungen des Ausbildungssystems scheitern,<br />
ohne dem Mangel abzuhelfen. Würden die Milliardenkosten<br />
des Übergangssystems in die allgemeinbildende<br />
Schule gesteckt (Frequenzsenkungen,<br />
Berufsorientierung von der Grundschule an,<br />
Arbeitslehre als Pflichtfach für alle Schüler etc. etc)<br />
könnte die Zahl der Abgänger ohne Schulabschluss<br />
drastisch verringert werden.<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
Bundesagentur für Arbeit: Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife, März 2009<br />
Schaub/Zenke: Wörterbuch der Pädagogik, DTV 2000<br />
Vergl. Dobischat u.a. S. 36<br />
Eckhart Severing: Übergänge mit System? Vortrag anlässlich einer<br />
Veranstaltung zum regionalen Übergangsmanagement in Hamburg am<br />
27. April 2009<br />
60<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Detmar Grammel & Günter Reuel<br />
Lehrerbildung, Praxiserfahrung und Lehrerfortbildung<br />
Einer der Autoren dieser Zeilen hat viele Jahre Lehrerfortbildung<br />
am Pädagogischen Zentrum (später<br />
BIL) betrieben. Seine Erfahrungen beziehen sich auf<br />
das Fach Arbeitslehre, aber die ehemaligen Referenten<br />
für andere Schulfächer werden seine Ausführungen<br />
bestätigen. Der zweite Autor hat von 1974 bis<br />
2009 den Fachbereich Arbeitslehre einer Gesamtschule<br />
geleitet, war Fachberater für das Betriebspraktikum,<br />
später Multiplikator für Arbeitslehre<br />
jeweils im Bezirk Spandau, hatte zwischenzeitlich<br />
die Runde der Fachbereichsleiter AL der westlichen<br />
Bezirke geleitet, war schließlich 4 Jahre lang zur<br />
Fachaufsicht Arbeitslehre teilweise abgeordnet und<br />
betreut seit seiner Pensionierung Studenten und Studentinnen<br />
des IBBA im Unterrichtspraktikum.<br />
Viele Lehrer kamen immer wieder zu Fortbildungsveranstaltungen,<br />
die übrigens meist in Schulen<br />
stattfanden. Andere kamen nie. Die Verweigerer<br />
trugen fast immer ein hartnäckig gepflegtes (Vor-)<br />
Urteil mit sich herum: In der Hochschule wurde ich<br />
denkbar schlecht auf Schule vorbereitet, jetzt bin ich<br />
nur noch Autodidakt. Ein weiteres Phänomen muss<br />
allerdings genannt werden. Die Mehrzahl der Fortbildungsveranstaltungen<br />
fand und findet außerhalb<br />
der Unterrichtszeit in der so genannten „Freizeit“<br />
der Lehrer statt. Immer, wenn es mal für bestimmte<br />
Fortbildungsangebote vom Dienstherren Unterrichtsbefreiung<br />
gibt, ist der Andrang wesentlich<br />
größer.<br />
Derzeit wird Gott sei Dank über größere Praxisanteile,<br />
sprich Schulkontakte, während eines Lehramt-<br />
Studienganges nachgedacht. Diese Bemühungen<br />
verdienen volle Unterstützung. In diesem Zusammenhang<br />
sei an die lange Jahre latent geführte Debatte<br />
erinnert, ob nur Exzellenzschulen für Praktika<br />
und Referendariat geeignet seien: Eine solche<br />
Präferenz würde insbesondere Brennpunktschulen<br />
allein lassen. In der Regel werden unsere Studenten<br />
in den Schulen außerordentlich freundlich empfangen.<br />
Schulleiter und stellvertretende Schulleiter<br />
kümmern sich persönlich darum, dass das Praktikum<br />
oder andere Unterrichtsversuche bestmöglich<br />
organisiert werden. Sie wissen um die prekäre<br />
personelle Situation: Der „Markt“ für ausgebildete<br />
Arbeitslehrekräfte ist leergefegt. Schulen, die die<br />
letzte Schulreform ernst nehmen, die die Inklusion<br />
nicht unter dem Gesichtspunkt der Verschlechterung<br />
der Abschlussstatistik sehen, bemühen sich um die<br />
zukünftigen Kolleginnen und Kollegen. Manchmal<br />
sind es ganz einfache Dinge wie ein Schlüssel für<br />
den Kopierraum und die Lehrertoilette, die bei den<br />
Studenten das Gefühl bestärken, angenommen zu<br />
sein. Wer auf ein harmonisches, erfolgreiches Unterrichtspraktikum<br />
zurückblicken kann, wer gesehen<br />
hat, dass er gerade mit dem Fach Arbeitslehre<br />
gebraucht wird, der wird sich sicherlich bei seinem<br />
Referendariat dieser Schule den Vorzug geben.<br />
Allerdings gibt es durchaus Ausnahmen. Studenten<br />
melden sich gut vorbereitet und mit Enthusiasmus<br />
in der Schule – und müssen erfahren, dass sie dort<br />
höchst unwillkommen sind: Der Schulleiter hat keine<br />
Zeit, Rückrufe oder –mails unterbleiben, zwischen<br />
Unterrichtspraktikanten und PKB-Beschäftigten<br />
wird kein Unterschied gemacht: „Richten Sie<br />
sich darauf ein, dass Sie auch Vertretungsunterricht<br />
machen müssen.“ Durch ein solches Verhalten schadet<br />
eine Schule sich selbst: Auch als Lehrer mit<br />
jahrzehntelanger Praxiserfahrung kann man methodisch<br />
das eine oder andere von Studenten lernen.<br />
Schließlich können auch die Besuche der Betreuer<br />
im Praktikum eine Form der Lehrerfortbildung sein,<br />
gerade was die Ausrüstung der Werkstätten betrifft,<br />
da externen Augen oftmals etwas auffällt, was im<br />
täglichen Betrieb als normal hingenommen wird.<br />
Wie kann z.B. ein schwerer Maschinenschraubstock<br />
auf einer Tischbohrmaschine auch ohne Nutsteine<br />
so gesichert werden, dass die Unfallgefahr gebannt<br />
ist? Warum müssen Schüler beim Bohren ein Holzstück<br />
mit den Händen festhalten, wenn es Schnellspanner<br />
gibt?<br />
Im schlimmsten Fall treffen die Studenten auf einen<br />
Fachbereich Arbeitslehre, der seinen Namen<br />
nicht verdient – auch so etwas gibt es. Im Zuge<br />
der Regionalisierung der Lehrerfortbildung sollten<br />
zwar in den Bezirken bezirkliche Fachkonferenzen<br />
eingerichtet werden und die Multiplikatoren – jetzt<br />
Schulentwickler – sollten Fortbildungsangebote<br />
machen – aber siehe oben: Da es keine Teilnahmepflicht<br />
gibt, machen nicht wenige Unterrichtende<br />
das, was im Rahmenlehrplan vor 30 Jahren stand.<br />
61<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Schon allein die in der Schule üblichen Bezeichnungen<br />
sind oftmals verräterisch: „Die Studentin ist in<br />
der Nähstube.“ Hier stellt sich die Frage, wie neue<br />
Lehrpläne so implementiert werden, dass sie auch<br />
im Bewusstsein der Unterrichtenden verankert sind.<br />
Ebenso deprimierend ist die Abwehr aller didaktisch<br />
und fachlich elaborierten Vorschläge: „Das dürfen<br />
die Schüler nicht.“ „Das können die Schüler nicht.“<br />
Eine solche Haltung, die sich da und dort eingeschlichen<br />
hat, lässt sich nur aufbrechen, wenn die<br />
Lehrkräfte im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen<br />
auf andere Unterrichtende mit deren Erfahrungen<br />
treffen und sehen, was an anderen Schulen<br />
die Schüler/innen zustande bringen.<br />
Wir kommen jetzt zu dem zweiten Teil unserer Ausführungen.<br />
Neben der wichtigen Kontaktaufnahme<br />
zwischen Studenten und Schulen zwecks frühzeitiger<br />
Unterrichtserfahrung beschäftigt uns die Weiterqualifizierung<br />
praktizierender Lehrer. Sowohl Lehrer<br />
mit der Fakultas für das unterrichtete Fach und<br />
natürlich in höherem Maße „fachfremd“ unterrichtende<br />
Lehrer müssen sich fortbilden. Es darf einfach<br />
nicht sein, dass ein Lehrer scheinbar ohne Skrupel<br />
erklärt, er habe sich in 30 Dienstjahren nicht einmal<br />
zu einer Fortbildung begeben.<br />
Immer deutlicher zeigt sich, dass Arbeitslehrelehrer,<br />
seien es „Altgediente“, Fachfremde oder auch<br />
junge ausgebildete Lehrer, Probleme mit maschinellen<br />
Ausstattung der Werkstätten des Faches haben.<br />
Werkstattmeister fehlen, Maschinen müssen sicherheitstechnisch<br />
nachgerüstet werden, der Vorrichtungsbau<br />
– für Schülerfirmen oft unerlässlich – wird<br />
nicht beherrscht.<br />
Bereits seit geraumer Zeit wird im IBBA (Institut<br />
für Berufliche Bildung und Arbeitslehre der TU)<br />
Krisenmanagement betrieben. Da wird im Forum<br />
Arbeitslehre ein attraktives Projekt veröffentlicht.<br />
Lehrer sind begeistert, benötigen Handlungsanleitung<br />
unter Werkstattbedingungen. Mit der ohnehin<br />
knappen Personaldecke gelingt es Mitarbeitern des<br />
Instituts in eine Schule zu gehen oder Hilfe suchende<br />
Lehrer in den Institutswerkstätten so zu qualifizieren,<br />
dass sie morgen mit ihren Schülern das Projekt<br />
wagen.<br />
Es bleibt beim Krisenmanagement, bei Einzelfallhilfe.<br />
Von einer systematischen und dringend notwendigen<br />
Lehrerfortbildung sind wir weit entfernt<br />
und die Kraft der Institutsmitglieder ist begrenzt.<br />
Zu fordern ist die Konzeption einer Lehrerfortbildung<br />
für das Fach Arbeitslehre/WAT, die ihren Namen<br />
verdient.<br />
Warum ist Fortbildung für Lehrer des Faches Arbeitslehre<br />
so wichtig? Ein Grund ist die beunruhigend<br />
hohe Zahl fachfremd unterrichtender Lehrer.<br />
Die Teilnahme dieser Personengruppe am Sicherheitskurs<br />
allein reicht nicht als Fortbildung im Fach<br />
aus. Des Weiteren gilt es eine Entwicklung einzugrenzen,<br />
die darin besteht, dass Lehrer, die sich in<br />
der Arbeitslehre nicht sicher fühlen, die Schüler<br />
gerne an Nichtlehrer, die Freien Träger, abgeben.<br />
Abgesehen von der hoheitlich bedenklichen Delegation<br />
von Verantwortung überprüft niemand, ob das<br />
anderen Orts Gelehrte den curricularen Standards<br />
genügt.<br />
62<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Redaktion<br />
Was ist beim „Dualen Lernen“ anders als in der Arbeitslehre?<br />
Dies ist ein Aufruf an alle unsere Leser, Antworten auf die unten<br />
gestellte Frage an die Redaktion zu senden. 120 ISS-Kollegien<br />
sind für Aufklärung dankbar, natürlich auch die Senatsschulverwaltung.<br />
Wir veröffentlichen die Antworten im nächsten Heft.<br />
Lassen wir den peinlichen semantischen Lapsus<br />
beiseite, denn kein Individuum lernt „dual“ sondern<br />
immer ganzheitlich. Richtig ist, dass der Jugendliche<br />
möglichst nicht nur an einem Ort, dem Klassenzimmer,<br />
„belehrt“ werden sollte. Deshalb heißt die<br />
Arbeitslehre Arbeitslehre.<br />
Zur Erinnerung: Seit dem über vierzigjährigen Bestehen<br />
der Arbeitslehre waren für diese folgende<br />
Elemente konstitutiv:<br />
• Praktische Arbeit in verschiedenen Werkstätten<br />
(keine Bastelarbeit, sondern professionelle<br />
Standards). Wenn von Böswilligen auf Ausnahmen<br />
gezeigt wird, versäumen diese zu sagen,<br />
dass es jahrelang Mangel an ausgebildeten<br />
Lehrern gab.<br />
• Betriebspraktika, Betriebserkundungen, Markterkundungen,<br />
Warentests<br />
Wir erkennen beim besten Willen keine Innovationen,<br />
die sich angeblich hinter dem „Programm“ Duales<br />
Lernen verbergen. Was wir erkennen, sind so<br />
genannte Freie Träger, die sich in großer Zahl andienen<br />
und anscheinend noch nach einer Definition des<br />
Dualen Lernens suchen. Jüngstes Beispiel: Es meldet<br />
sich in allen ISS ein „Institut Praktisches Lernen<br />
Europa“ (IPLE). Die dort angebotenen Workshops<br />
sind Allerweltsveranstaltungen, aber immerhin mit<br />
Mitteln des Senats gefördert.<br />
Als Hans Christian Andersen sein Märchen „Des<br />
Kaisers neue Kleider“ schrieb, wusste er von dem<br />
Phänomen, dass viele Menschen gerne einem<br />
suggestiven Versprechen Glauben schenken, bis<br />
schließlich ein kleines Mädchen ruft: „Der Kaiser<br />
ist ja nackt!“. Wir warten auf das Mädchen bei dem<br />
nächsten Event zum Dualen Lernen.<br />
• Schülerfirmen (Den Namen gibt es erst seit<br />
einigen Jahren, vorher hießen vergleichbare<br />
Aktivitäten „Arbeit für Auftraggeber“: siehe<br />
frühere Rahmenpläne.)<br />
• Besuche in den Berufsinformationszentren und<br />
Gespräche mit Berufsberatern.<br />
63<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Reinhold Hoge<br />
Arbeitslehre-Wettbewerb in China<br />
Als in den 1980er Jahren chinesische Pädagogen<br />
nach Berlin kamen, galt ihr Interesse vor allem der<br />
Arbeitslehre. In den folgenden Jahren wurden Berliner<br />
Arbeitslehrelehrer, vermittelt über die GATWU,<br />
nach China eingeladen. Jetzt findet alle zwei Jahre in<br />
ganz China für Grund- und Mittelschulen ein Arbeitslehre-Projektwettbewerb<br />
statt. In diesem Jahr war es<br />
bereits der 6. Wettbewerb dieser Art, der jeweils vom<br />
chinesischen Arbeitslehre-Fachverband (GATWU-<br />
Pendant) ausgerichtet wird. Bei der Organisation wird<br />
der Fachverband von einigen Stiftungen unterstützt.<br />
Die Durchführung des Wettbewerbs findet in 2<br />
Phasen statt. Zunächst melden die Schüler in der<br />
Qualifizierungsphase ihre selbst entwickelten und<br />
hergestellten Gegenstände in Form einer kleinen Projektdokumentation<br />
beim Fachverband an. Dort wird<br />
nach Qualitätskriterien eine Vorauswahl für die 2.<br />
Runde getroffen.<br />
Allein <strong>2012</strong> haben sich 3000 Schüler an der ersten<br />
Phase beteiligt, 600 davon sind zur 2. Phase, der<br />
Finalphase, zugelassen worden. In dieser zweiten<br />
Runde werden 3 Gruppen, bestehend aus der Grundschulgruppe,<br />
Mittelschulgruppe und der Obermittelschulgruppe<br />
gebildet. Hier finden nun von Schülern<br />
durchgeführte Produktpräsentationen statt, ein Gutachterteam<br />
wertet diese aus. Zusätzlich gibt es in<br />
den jeweiligen Städten begleitend noch einen Wettbewerb,<br />
in dem die Schüler innerhalb von 3 Stunden<br />
ein bestimmtes technisches Problem lösen müssen.<br />
Die Besten werden prämiert.<br />
rechts am Rand: Frau Prof. Fu Xiaofang<br />
Die Chinesen haben schnell begriffen, welches Potenzial<br />
in einer Arbeitslehrekonzeption nach Berliner<br />
Vorbild steckt. Spricht man sie heute auf „WAT“ oder<br />
Duales Lernen an, reagieren sie mit dem gewohnten<br />
Lächeln, in das sich ein Hauch von Mitleid mischt.<br />
Diese Informationen stammen von Frau Prof. Fu<br />
Xiaofang, eine der ersten Arbeitslehre Professorinnen<br />
Chinas und Mitglied der Gutachterteams des 5. und 6.<br />
Wettbewerbs.<br />
64<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
• Schleift Alle Ihre Schneidwerkzeuge<br />
• Präzise Wiederholbarkeit<br />
• Maximale Schärfe<br />
• Schnelles Schleifen<br />
• Volle Kontrolle<br />
• Keine Gefahr Von Überhitzung<br />
• Sicher Und Ruhig
Günter Reuel<br />
Selbstkontrolle vrs. Eigenverantwortung<br />
Für Norbert Elias, den großen Theoretiker der Zivilisation,<br />
war es eine Fähigkeit des Menschen, die<br />
den Fortschritt ermöglichte und auch in Zukunft<br />
ermöglichen wird: die über Jahrhunderte weiter<br />
entwickelte Selbstkontrolle. Der Steinzeitmann<br />
stürzte sich auf das Objekt seiner Begierde; heutige<br />
Freier laden zum Essen ein, machen Geschenke<br />
und schreiben schmachtende Briefe (Mails).<br />
Täglich erleben Lehrer, wie Schüler bei der Essenausgabe<br />
den Ellbogen benutzen, Müll möglichst<br />
bequem „entsorgen“, sich vor Leistungsanforderungen<br />
drücken und Täuschungen nicht scheuen.<br />
Ein Unrechtsbewusstsein ist durchaus vorhanden,<br />
die Selbstkontrolle jedoch ist schwach, ja, sie versagt.<br />
Ein Unwort hat in der Pädagogik enorme Verbreitung<br />
erfahren. Es heißt „Eigenverantwortung“. Die<br />
ermüdenden „Kompetenzlisten“ sind voll davon.<br />
Verantwortung übernimmt man immer für irgendetwas.<br />
Subjekt und Objekt gilt es zu trennen, wenn<br />
ein zirkulärer Schluss vermieden werden soll.<br />
ELIAS`s zentraler Begriff der Selbstkontrolle<br />
könnte in der Pädagogik Karriere machen. Ein<br />
Schüler, der mutwillig Teile des Schulgebäudes<br />
beschädigt, findet Ausreden und benutzt zunächst<br />
immer das Stereotyp: „Können Sie mir das beweisen?“<br />
Ein Appell an seine Verantwortung stößt auf<br />
Unverständnis. Irgendjemand bezahlt ja die Schule<br />
und seine Eltern haben möglicherweise eine<br />
Dienstleistungserwartung an die Schule, die diese<br />
angeblich nicht erfüllt. Damit ist das Konstrukt<br />
Verantwortung fast suspendiert.<br />
Selbstkontrolle ist eine erlernbare kognitive Fähigkeit,<br />
sie ist objektivierbar und intersubjektiv<br />
überprüfbar. Verantwortung bleibt weitgehend eine<br />
subjektiv auslegbare Sache, sieht man einmal von<br />
den justitiablen Fällen ab.<br />
Wir wollen Verantwortung als kategorischen Imperativ<br />
nicht infrage stellen. Das noch zusätzlich<br />
zum Religionsunterricht eingeführte Pflichtfach<br />
Ethik wird hoffentlich Früchte tragen. Aber mit<br />
den Überlegungen zur Selbstkontrolle sollten wir<br />
schon mal anfangen. Jeder Handlung gehen Entscheidungen<br />
voraus, die mehr oder weniger gründliche<br />
Überlegungen implizieren. Ausgesprochene<br />
Affekthandlungen, in ohnmächtiger Wut oder Verzweiflung<br />
begangen, lassen wir beiseite.<br />
• Ich nehme mir noch mal eine Portion von dem<br />
leckeren Nudelsalat.<br />
• Ich sehe einen scharfen Gegenstand auf dem<br />
Werkstattboden liegen.<br />
• Ich ziehe das Hemd mit dem nur noch an einem<br />
Faden hängenden Knopf heut noch mal an.<br />
• Ich schalte mal den Fernseher an.<br />
• Ich bringe die Pfandflasche nicht zurück, gibt<br />
nur 8 Cent.<br />
• Der Unterricht langweilt mich, ich ritze jetzt<br />
schon das dritte Herz in die Werkbank.<br />
• Ich fahre an dieser Ecke immer bei Rot mit<br />
meinem Fahrrad rüber.<br />
• Ich soll mich um einen Praktikumsplatz<br />
kümmern, weiß aber nicht wie.<br />
Jede dieser kleinen Alltagshandlungen bzw. aufgeschobenen<br />
Handlungen lässt sich auf Folgen und<br />
Motive befragen. Die Fragen muss wahrscheinlich<br />
anfangs ein Externer stellen, bevor sie internalisiert<br />
werden.<br />
• Ist die Handlung evtl. nicht günstig für meine<br />
körperliche Verfassung?<br />
• Ist die Handlung eine Ersatzhandlung, weil ich<br />
dringenden Aufgaben ausweichen möchte?<br />
• Kann ich durch meine Handlung Gefahren<br />
vermeiden bzw. durch Unterlassung andere<br />
und mich gefährden?<br />
• Ist meine Handlung Umwelt schonend?<br />
• Kann durch meine Handlung die Werterhaltung<br />
einer Sache befördert werden?<br />
• Wird durch meine Handlung Sachschaden<br />
angerichtet, den andere bezahlen müssen oder<br />
der die Gemeinschaft aller belastet?<br />
• Fehlen mir Informationen, die meine Antriebskräfte<br />
stärken würden?<br />
Bei einem Handlungstyp, dem kommunikativen<br />
Handeln, sind Fragen an die Rechtfertigung des<br />
Gesagten unverzichtbar. Fremdenfeindliche Äu-<br />
66<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
ßerungen eines Schülers müssen insistierend auf<br />
die Begründung befragt werden.<br />
Der Autor weiß natürlich, dass im Unterrichtsalltag<br />
Testtraining absoluten Vorrang hat.<br />
Lasst uns aber dennoch jede Gelegenheit nutzen,<br />
Jugendliche zur Selbstkontrolle anzuhalten.<br />
Ohne diese stagniert der Prozess der Zivilisation<br />
wie NORBERT ELIAS nachgewiesen hat.<br />
Die Versuchung, dem Fach Ethik die Aufgabe<br />
zuzuschieben, ist gegeben. Dies wäre ein Missverständnis.<br />
Alle Fächer sind gefordert und Arbeitslehre<br />
als ein Fach mit zahllosen Handlungsanlässen<br />
kann die Selbstkontrolle der Schüler<br />
fördern.<br />
Detmar Grammel<br />
Potenzialanalyse – ein Rückfall in alte Begabungstheorien?<br />
Die Offenheit von Bildungsprozessen sollte eine<br />
Grundüberzeugung der Pädagogik sein. Bis zum<br />
Ende der Schulzeit lernen Schüler. Sofern ihnen<br />
nicht die Neugier ausgetrieben wurde, erweitern<br />
sie ihr Weltbild. Was die basalen Kulturtechniken<br />
angeht, sind die Vermittlungsformen nicht immer<br />
so, dass Freude am Lernen wächst. Überkommene<br />
Lehrmethoden und der ausufernde Hang zum Testen<br />
können Schulverdruss produzieren.<br />
Das wäre ein kümmerlicher Bildungsbegriff, der<br />
nicht auch künstlerische, sportliche, sozialkundliche<br />
und technisch-wirtschaftliche Angebote machte.<br />
Hier entdecken Schüler Neigungen, Interessen<br />
werden geweckt an Lebensbereichen, die manchmal<br />
im Elternhaus gar nicht vorkommen. Oft sind<br />
die damit einhergehenden Lernprozesse gleichermaßen<br />
emotional und kognitiv strukturiert. Nicht<br />
alle diese Kompetenzerwerbe lassen sich mit den<br />
herkömmlichen Methoden messen, schon gar<br />
nicht mit der sprachlich so harmlos erscheinenden<br />
VERA-Familie. Wer aber daran glaubt, dass diese<br />
Vergleichsarbeiten über das Leistungsverhältnis<br />
von Schülerpopulationen belastbare Ergebnisse<br />
erzielen, von denen wiederum „pädagogische<br />
Impulse für die Unterrichtsentwicklung ausgehen<br />
(sollen), z.B. über die schulinterne Diskussion<br />
von Standards, der Unterrichtsgestaltung oder der<br />
Beurteilungspraxis 1 “ ausstrahlen, der wird auch<br />
davon ausgehen, schon frühzeitig die Neigungen<br />
und Begabungen hinsichtlich einer sinnvollen Berufs-<br />
oder Bildungswegentscheidung messen und<br />
beeinflussen zu können.<br />
Seit der Propagierung der Bildungsketten durch<br />
Bundesbildungsministerin Schavan gehört die<br />
Potenzialanalyse zum Arsenal der Maßnahmen,<br />
die sicherstellen sollen, dass alle Schüler/innen<br />
eines Jahrganges die Ausbildungsgsreife erlangen<br />
und dem Ausbildungsmarkt zur Verfügung<br />
stehen 2 . Erst einmal ist der äußerst lukrative<br />
Markt dieser Analysen hart umkämpft, da die Arbeitsagentur<br />
für jeden getesteten Schüler einen<br />
nicht unerheblichen Betrag zahlt. Neben einigen<br />
Kammern sind es hauptsächlich Freie Träger,<br />
die diese Analysen durchführen. Zielgruppe sind<br />
die Schüler/innen der 7. und 8. Jgst.. Offensichtlich<br />
gibt es keine einheitlichen Vorgaben für die<br />
Durchführung durch die Arbeitsagentur, so dass<br />
jeder Freie Träger, der die Ausschreibung gewonnen<br />
hat, sich seine Tests selbst stricken kann.<br />
Wenn dabei nicht ausgewiesene Fachleute (die<br />
nun einmal teuer sind) mitgearbeitet haben, dann<br />
ist es nachvollziehbar, warum die meisten Freien<br />
Träger ein Geheimnis um ihre Materialien machen,<br />
die sie auf keinen Fall den beteiligten Schulen<br />
zur Verfügung stellen wollen. Die an einigen<br />
Schulen bekannt gewordenen Rückmeldungen an<br />
die teilnehmenden Schüler sind als eher dürftig<br />
und substanzlos nach drei Tagen Analyse einzuordnen:<br />
„Die Auswertung deines Interessenprofils<br />
hat ergeben, dass du dich besonders für die<br />
67<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Bereiche Holz, Elektro und Bau interessierst. Du<br />
selbst möchtest in der Tiermedizin arbeiten. Für<br />
deinen beruflichen Werdegang wünschen wir dir<br />
alles Gute und viel Erfolg!“<br />
Da verlässliche Mitteilungen der Freien Träger<br />
über die Durchführung ihrer Potenzialanalysen<br />
nicht vorliegen, müssen wir das, was uns Kolleginnen<br />
und Kollegen aus den Erzählungen ihrer<br />
Schülerinnen und Schüler berichten, als wahrscheinlich<br />
annehmen. Abgesehen von mehr oder<br />
weniger nutzlosen Fragebögen gab es in der Vergangenheit<br />
Inszenierungen folgender Art: An einer<br />
kleinen elektrischen Dekupiersäge sollten<br />
die Schüler „Laubsägearbeiten“ machen. Bei<br />
halbwegs befriedigenden Ergebnissen lautete das<br />
Fazit: für technische Berufe geeignet. Mit einer<br />
Servierschürze und einem Tablett, mit gefüllten<br />
Wassergläsern unterwegs, gilt es möglichst wenig<br />
zu verschütten. Wer das schafft, ist für das Hotelund<br />
Gaststättengewerbe geeignet. Trockenblumen<br />
ansehnlich drapieren zu können ist die Empfehlung<br />
für den künftigen Floristen. Besonders obskur<br />
ist die „Testbatterie“, bei der ein Jugendlicher<br />
einen Blei beschwerten Anzug anziehen muss, um<br />
das Lebensgefühl von Alten und Gebrechlichen zu<br />
erfahren. Bei klagloser Hinnahme lautet die Empfehlung<br />
Altenpfleger.<br />
Was kann man zu dieser Kaffeesatz-Leserei sagen?<br />
In der Sekundarstufe I finden wir Orientierung<br />
suchende pubertierende Jugendliche. Sie<br />
wollen sich erproben, wollen etwas machen, das<br />
von Dritten (nicht nur vom Lehrer) begutachtet<br />
wird. In Werkstätten wird anders gelernt als<br />
im Klassenzimmer vor einem Arbeitsbogen. Da<br />
kommt es vor, dass ein vorher Technik abstinentes<br />
Mädchen Ingenieur werden möchte und ein<br />
„cooler Hacker“ will Erzieher oder Koch werden.<br />
Dieser Prozess ist bis zum Ende der Schulzeit<br />
nicht abgeschlossen. Eine „Potenzialanalyse“,<br />
wie sie derzeit durchgeführt wird, nutzt nicht nur<br />
nichts, sie verwirrt nur.<br />
1<br />
2<br />
e http://www.isq-bb.de/Vergleichsarbeiten.4.0.html<br />
vergl. Detmar Grammel: Projekt Berufseinstiegsbegleitung in: Forum<br />
Arbeitslehre, Heft 7, Nov. 2011<br />
68<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Rezensionen und Kurzhinweise<br />
Wilfried Wulfers<br />
Wie bereits in früheren GATWU - Mitgliederrundbriefen<br />
bzw. im GATWU - Forum, möchten wir auch<br />
weiterhin Publikationen vorstellen, die sich auf das<br />
Lernfeld Arbeitslehre beziehen. Selbstverständlich<br />
erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit.<br />
Die gewählte Reihenfolge ist kein Hinweis auf die<br />
Güte der Publikation.<br />
An dieser Stelle sei angemerkt, dass wir es begrüßen,<br />
wenn GATWU - Mitglieder eigene Rezensionen<br />
einreichen (möglichst den Text unformatiert und mit<br />
WORD erstellt oder als *.txt bzw. als *rtf.-Datei an<br />
die E-Mail-Adresse „w.wulfers@gmx.de“) oder uns<br />
Hinweise auf rezensionswürdige Publikationen geben<br />
könnten. Dieses bezieht sich ausdrücklich auch<br />
auf die so genannten „Grauen Materialien“, die z. B.<br />
nur in kleiner Auflage oder sogar teilweise kostenlos<br />
vertrieben werden.<br />
Stefan Schraner (Hg.):<br />
start up power. Junge Menschen gründen Unternehmen<br />
Leverkusen: Verlag Barbara Budrich 2010. 130 Seiten. ISBN 978-3-86649-439-8.<br />
Bin ich zum Unternehmertum geeignet? Übernehme ich gern Verantwortung?<br />
Worauf muss ich achten? Wo finden junge Menschen Antworten auf diese und<br />
ähnliche Fragen? Der Unternehmer Stefan Schraner hat in „Start up Power“<br />
notwendige Informationen zusammengetragen. Auch wichtig für Lehrkräfte,<br />
die z.B. in der Schule eine Schülerfirma initiieren oder für Eltern, die ihre Kinder<br />
unterstützen möchten.<br />
Anja Krahn:<br />
Geld. Problem oder Lösung?<br />
Themenheft Wochenschau. 63 (<strong>2012</strong>) 1. Schwalbach: Wochenschau Verlag <strong>2012</strong>. 36 Seiten. DIN A4. ISBN 978-3-<br />
89974785-0.<br />
Finanzielle Allgemeinbildung: Die Frage nach der Bedeutung des Geldes und<br />
dem rationalen Umgang mit diesem ist allgegenwärtig. Doch warum gibt es<br />
Geld überhaupt und wie gehe ich richtig damit um? Was bedeutet eigentlich<br />
Inflation? Sind Kredite nützlich oder gefährlich? Welche Risiken birgt die Zukunft<br />
und wer sichert mich ab? Diese Fragen können die SchülerInnen mithilfe<br />
des Heftes in handlungsorientierter Form diskutieren. Darüber hinaus ist in dem<br />
Heft ein Unterrichtsvorhaben enthalten, das einen kompetenzorientierten Unterricht<br />
ermöglicht.<br />
69<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Brockhaus perspektiv (Red.):<br />
Not für die Welt<br />
Gütersloh: wissenmedia Verlag <strong>2012</strong>. 320 Seiten. Gebunden. ISBN 978-3-577-07771-2.<br />
Die weltweite Ernährungssituation zeigt extreme Gegensätze auf. Noch nie<br />
wurde so viel Nahrung erzeugt, noch nie wurden so viele Lebensmittel weggeworfen.<br />
Millionen Menschen hungern, gleichzeitig leiden Millionen an<br />
Übergewicht und ernährungsbedingten Krankheiten. In diesem Buch wird dieses<br />
brisante Thema von namhaften Wissenschaftlern, Publizisten und Politikern<br />
in den verschiedensten Aspekten diskutiert und mit zusammenfassenden Infos<br />
und zahlreichen Abbildungen sehr hautnahe und überzeugend verdeutlicht.<br />
Jürgen Roth:<br />
Gazprom - das unheimliche Imperium. Wie wir Verbraucher betrogen<br />
und Staaten erpresst werden<br />
Frankfurt: Westend in der Piper Verlag GmbH <strong>2012</strong>. 317 Seiten. Gebunden. ISBN 978-3-86489-000-0.<br />
National wie international ist der Name „Gazprom“ mit Korruption, Erpressung,<br />
Geldwäsche und Kapitalsteuerflucht verbunden. Kein anderes Unternehmen<br />
hat weltweit so viel Macht und Einfluss - auch dank gewisser „Freunde“<br />
des mächtigsten Mannes Russlands, Wladimir Putin. Doch wer sind die<br />
Drahtzieher bei Gazprom, und welche Verbindungen haben sie nach Europa<br />
und Deutschland? Jürgen Roth deckt die Verbindungen auf, denn er hat Insider<br />
getroffen, die erstmals bereit sind, über die Machenschaften des Imperiums auszupacken.<br />
Das stört jedoch anscheinend weder Geschäftspartner noch Regierungen,<br />
schließlich kann das Imperium uns alle erpressen: Denn wer nicht spurt,<br />
dem wird der Gashahn zugedreht.<br />
Tomke König:<br />
Familie heißt Arbeit teilen<br />
Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft <strong>2012</strong>. 238 Seiten. 29 €. ISBN 978-3-86764-355-9.<br />
Das Ideal der bürgerlichen Familie ist, dass die Frau sich unbezahlt und unsichtbar<br />
um Kinder und Hausarbeit kümmert, während der Mann das Geld verdient.<br />
Aus soziologischer Perspektive untersucht die Autorin, was nun passiert, wenn<br />
dieses Ideal nicht länger akzeptiert wird und Paare zu einem Arrangement der<br />
Teilung von Erwerbs-, Haus- und Fürsorgearbeit kommen, weil sie nicht mehr<br />
von geschlechtlicher Arbeitsteilung ausgehen. In Beschreibungen von gleichund<br />
gegengeschlechtlichen Paaren unterschiedlicher sozialer Milieus, die mit<br />
kleinen Kindern zusammen in einem Haushalt leben, werden neue Logiken<br />
und Rationalitäten alltäglicher Praxis sichtbar. In diesen Selbstverständlichkeiten<br />
und Normalitäten zeichnen sich Transformationen der symbolischen Geschlechterordnung<br />
ab.<br />
70<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Laura Bieger, Annika Reich und Susanne Rohr (Hg.):<br />
Mode<br />
Paderborn: Wilhelm Fink Verlag <strong>2012</strong>. 230 Seiten. ISBN 978-3-7705-5322-8.<br />
Wer kennt es nicht? Man steht vor dem übervollen Kleiderschrank und hat trotzdem<br />
das Gefühl, nichts anzuziehen zu haben. Die Autorinnen nehmen dieses<br />
Problem nicht bloß ernst, sondern zeigen uns seine kulturwissenschaftliche<br />
Dringlichkeit, denn entgegen ihres schlechten Rufs führt uns die Mode nicht an<br />
die Oberfläche unserer Kultur, sondern an ihre Grundfesten: zur gemeinsamen<br />
Schmiede unserer Begehren, zur rückhaltlosen Verschränkung von Massenkonsum,<br />
Identitäts- und Körperproduktion, zum modernen Diktat des Immerneuen<br />
und seinen Herausforderungen an unser Selbsterleben, zur Einverleibung des<br />
Politischen in das Ästhetische.<br />
Marta Rodrígues Hidalgo und Gabriel Martin Roig:<br />
Modeaccessoires. Das Handbuch für eigene Entwürfe.<br />
Bern: Haupt Verlag <strong>2012</strong>. 192 Seiten. 23 x 29 cm. Gebunden. ISBN 978-3-258-60039-0.<br />
Das einzige Beständige in der Welt der Mode ist der stetige Wandel. Doch auch<br />
wenn sich neue Stile und neue Trends fortwährend ablösen, ist das Accessoire<br />
im Lauf der Zeit von einem rein funktionalen Objekt zu einem ästhetischen Ausdrucksmittel<br />
avanciert. Dieses Buch vermittelt die Grundlagen für das Entwerfen<br />
von Accessoires. Den fünf Hauptaccessoires Schuh, Hut, Tasche, Schmuck<br />
und Zubehör ist jeweils ein Kapitel gewidmet, in welchem auf die Geschichte<br />
des jeweiligen Accessoires eingegangen wird und das Erforschen von Trends<br />
sowie Formen, Farben und Materialien erläutert werden. Der Fokus liegt dann<br />
jeweils auf der Darstellung des kompletten Entwurfsprozesses, von der ersten<br />
Idee über Zeichnungen zum 3-D-Design. Auch die Produktionsmethoden und<br />
die Werkzeuge werden beschrieben.<br />
Günter Ratschinski und Ariane Steuber (Hg.):<br />
Ausbildungsreife<br />
Wiesbaden: VS Verlag Springer Fachmedien <strong>2012</strong>. 366 Seiten. ISBN 978-3-531-18274-2.<br />
„Ausbildungsreife“ ist zum zentralen Lenkungsbegriff für die Eingliederung<br />
Jugendlicher in das deutsche Ausbildungs- und Berufssystem geworden. Er dient<br />
der Arbeitsverwaltung zur Auswahl vermittlungsfähiger Bewerber und für<br />
Berufsvorbereitungsmaßnahmen als pädagogische Zielgröße. In diesem Band<br />
wird das Konzept „Ausbildungsreife“ aus verschiedenen Perspektiven betrachtet,<br />
theoretisch erörtert, in seiner Anwendbarkeit überprüft und auf Praktikabilität<br />
hin untersucht.<br />
71<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Duden-Ratgeber:<br />
Handbuch Bewerbung. Bewerbungen optimal vorbereiten und<br />
durchführen<br />
Mannheim: Duden Verlag im Bibliographischen Institut <strong>2012</strong>. 608 Seiten mit CD-ROM. ISBN 978-3-411-75061-0.<br />
Wer schon einmal nach einer neuen Stelle gesucht hat, kennt die Situation:<br />
Sich erfolgreich zu bewerben ist komplex und langwierig. Hilfreich ist dieser<br />
Ratgeber, der schnell, aktuell und umfassend weiterhilft. Die zwei großen<br />
Themenblöcke drehen sich um die schriftliche Bewerbung und um das persönliche<br />
Überzeugen. Detailliert erklärt der Ratgeber: Wie findet man die passende<br />
Stelle für sein Profil und stellt seine Eignung schriftlich klar dar? Wie stellt man<br />
Bewerbungsunterlagen zusammen? Wie bereitet man sich auf die immer öfter<br />
eingesetzten Telefoninterviews vor oder auf Vorstellungsgespräche? Zahlreiche<br />
Fallbeispiele, Muster und Checklisten dienen als Arbeitshilfe. Die CD-ROM<br />
enthält einen Bewerbungstrainer.<br />
Duden-Ratgeber:<br />
Die richtige Berufswahl. Die persönlichen Potenziale ermitteln und den<br />
Weg zum Traumberuf finden<br />
Mannheim: Duden Verlag im Bibliographischen Institut <strong>2012</strong>. 224 Seiten. ISBN 978-3-411-75041-2.<br />
Wer den Zufall entscheiden lässt, wird nur schwer in seinem „Traumjob“ landen.<br />
Dieser Duden-Ratgeber ist für alle Schulabgänger gedacht, die in ihrem anvisierten<br />
Beruf starten wollen. Ob Ausbildung oder Studium, ob Ärztin, Erzieher<br />
oder Pilot, das Buch hilft, aus der Vielfalt der Berufe den einen auszuwählen, der<br />
zu den eigenen Neigungen und Fähigkeiten passt. Und es zeigt, wie man seine<br />
Wahl in die Tat umsetzt: Das Buch erklärt, was es mit den Berufsbezeichnungen<br />
auf sich hat, wie man eine Stellenanzeige liest oder welche Ausbildungswege<br />
am besten geeignet sind, den Berufswunsch Wirklichkeit werden zu lassen.<br />
Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.):<br />
fluter-Magazin: Thema Arbeit<br />
Nr. 36 vom Herbst 2010. 50 Seiten. Kostenloser Bezug der fluter-Magazine über die bpb, Adenauerallee 86, 53113<br />
Bonn. Kostenfreier Download spezieller Magazine als PDF-Datei über die Rubrik „Heft Archiv“ unter „http://www.<br />
fluter.de/de/113/heft/“<br />
Das Thema Arbeit wird immer noch dominiert von den Rollenmodellen und Erfahrungen<br />
der großen Industrie: fixes, geordnetes Anwendungswissen, „männliche“<br />
Disziplin, Einordnung in den zugewiesenen Platz innerhalb der Kette<br />
der Arbeitsteilung, steter Aufstieg durch Akkumulation von Erfahrung, dazu die<br />
Faszination der großen Zahl, der einheitlichen Standards, der Massenware. All<br />
das gibt es nach wie vor … Kehrt man den Blick davon ab, kommen beim Thema<br />
Arbeit noch ganz andere Perspektiven hinzu: die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft,<br />
die fortschreitende globale Arbeitsteilung und gerade in<br />
Europa der demographische Wandel. Die Welt der Arbeit ist heute von einer<br />
ungeheuren Vielfalt, ja Disparität gekennzeichnet.“ In diesem Heft werden die<br />
vielfältigen Aspekte der „Arbeit“ vorgestellt und problematisiert.<br />
72<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Kurzhinweise auf Unterrichtsmaterialien<br />
Auch mit den Kurzhinweisen auf interessante Unterrichtsmaterialien<br />
und wichtige Internetadressen<br />
werden wir die Tradition aus dem GATWU-Forum<br />
fortsetzen. Verantwortlich hierfür zeichnet sich Wilfried<br />
Wulfers. Wer immer bei Recherchen auf Materialien<br />
trifft, die für die Unterrichtenden im Lernfeld<br />
der Arbeitslehre vom Nutzen sein können, ist aufgerufen,<br />
selbst einen Hinweis zu schreiben und diesen<br />
an die Redaktion (z. Hd. von Wilfried Wulfers, E-<br />
Mail: w.wulfers@gmx.de) zu übermitteln oder der<br />
Redaktion ein Exemplar, die Bezugsquelle oder Internetadresse<br />
zukommen zu lassen.<br />
Wohn- und Lebenswelten von der Industrialisierung<br />
bis heute<br />
Die Industrielle Revolution führte dazu, dass sich<br />
die Wohnverhältnisse der Menschen grundlegend<br />
änderten: Wohn- und Arbeitsplatz wurden voneinander<br />
getrennt, das Leben und Arbeiten „unter einem<br />
Dach“ ging verloren. Und wie sieht es heute mit dem<br />
Platz zum Leben und Wohnen für Bürger aus? Dies<br />
ist Thema des neuen Infoblatts „Sozialgeschichte“,<br />
das die Stiftung Jugend und Bildung in Zusammenarbeit<br />
mit dem Bundesministerium für Arbeit und<br />
Soziales entwickelt hat. Auf zwei Seiten wird die<br />
Entwicklung der Wohnsituation vom 19. Jahrhundert<br />
bis heute thematisiert und methodisch gezielt<br />
aufbereitet. Die Schüler erhalten einen Einblick in<br />
frühere Wohnverhältnisse. Sie beschäftigen sich mit<br />
den katastrophalen Wohnbedingungen der Arbeiterklasse<br />
und lernen die Bedeutung der „Wohnzinssteuer“<br />
für die Bekämpfung von Wohnungsnot kennen.<br />
Die Infoblätter dienen als Wegweiser durch die<br />
Ausstellung „In die Zukunft gedacht - Bilder und<br />
Dokumente zur Deutschen Sozialgeschichte“. Sie<br />
können jedoch auch unabhängig von einem Ausstellungsbesuch<br />
im Schulunterricht eingesetzt werden.<br />
Im Materialteil des Infoblatts wird ein Teilaspekt<br />
der Deutschen Sozialgeschichte durch kurze Autorentexte<br />
inhaltlich aufbereitet. Das Infoblatt „Wohnund<br />
Lebenswelten von der Industrialisierung bis<br />
heute“ kann bei der nachfolgend aufgeführten Internetadresse<br />
als PDF-Datei kostenlos heruntergeladen<br />
werden:<br />
3 http://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/<br />
a214-infoblatt-sozialgeschichte.html<br />
Fair kaufen! Lernaufgabe<br />
Fair-Trade-Produkte sind teurer als konventionell<br />
gehandelte Waren, deshalb werden sie von Jugendlichen<br />
in der Regel nur selten gekauft. Dies liegt zum<br />
einen daran, dass Jugendliche über weniger Kaufkraft<br />
verfügen als Erwachsene, und zum anderen<br />
Sie könnten mal<br />
einen Tipp für<br />
Unterrichtsideen<br />
gebrauchen?<br />
Dafür haben wir<br />
einen Scout namens<br />
Wilfried Wulfers<br />
daran, dass Heranwachsende stärker als Erwachsene<br />
das Ziel von Markenwerbung sind. Mit Jugendlichen<br />
darüber zu reden, was sie kaufen, bedeutet aufzuzeigen,<br />
dass sie sich in ihren Kaufentscheidungen<br />
vorrangig am Preis und am Markenlogo orientieren.<br />
Es gilt, ihnen bewusst zu machen, dass sich hinter<br />
dem Preis und dem Markenlogo Produktionsbedingungen<br />
und Handelsstrukturen verbergen, die die<br />
Welt ärmer, schmutziger und ungerechter machen.<br />
In dieser Unterrichtseinheit versuchen Schülerinnen<br />
und Schüler herauszufinden, wie Gleichaltrige zum<br />
Kauf fair gehandelter Produkte motiviert werden<br />
können. In Gruppenarbeit erstellen die Lernenden<br />
Werbeprospekt-Seiten für verschiedene fair gehandelte<br />
Produkte, die in einem fiktiven Schulkiosk<br />
verkauft werden sollen, somit gründen sie einen<br />
„fairen Schulkiosk“ und werben gezielt für die Produkte.<br />
Weitere Hinweise unter der Internetadresse:<br />
3 http://www.lehrer-online.de/955832.php<br />
Digitale Medien im Schulalltag<br />
Lernplattformen, automatische Notenrechner und<br />
Medien zur digitalen Unterrichtsvorbereitung sorgen<br />
für Zeitersparnis und Arbeitserleichterung;<br />
Blogs, Wikis, Rätsel, Puzzle und Co. begeistern fast<br />
immer die Schüler. Wie wäre es mit einem Leinwandgespräch,<br />
bei dem sich die Lehrkraft mit einer<br />
Person auf der Leinwand unterhält? Oder vielleicht<br />
sind SchülerInnen von der Idee beigeistert, Lerninhalte<br />
per Film oder Hörbuch aufzubereiten? Dass<br />
sich digitale Medien als innovative und erleichternde<br />
Unterstützung für die eigene Unterrichtstätigkeit<br />
erweisen können, zeigt eine gerade erschienene Ide-<br />
73<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
ensammlung unter dem Titel „66 praktische Ideen<br />
für Selbstorganisation und Unterricht“. Erarbeitet<br />
haben diese Sina Müller und Yasmin Serth. Sie umfasst<br />
152 Seiten und ist im Verlag an der Ruhr unter<br />
der ISDN-Nummer: 978-3-8346-0968-7 veröffentlicht.<br />
Arbeiten im Schulgarten<br />
Anregungen zur Nutzung des Lernortes Schulgarten<br />
für den Unterricht in verschiedenen Fächern<br />
bzw. Fächerverbünden gibt es in einer Broschüre<br />
des Landes Baden-Württemberg. In dem neuen<br />
Unterrichtsmaterial „Fächer verbindendes Arbeiten<br />
im Schulgarten“ werden Praxisbeispiele präsentiert,<br />
mit denen im schulischen Alltag nachhaltiges und<br />
verantwortungsbewusstes Handeln erlernt werden<br />
kann. Der Beitrag zum Thema Honig und Bienen<br />
zeigt z.B. wie es gelingt, den Schulgarten als Lernort<br />
über das ganze Jahr hinweg einzubinden. Hingewiesen<br />
sei an dieser Stelle nur darauf, dass bereits<br />
rund 40 Prozent aller Schulen in Baden-Württemberg<br />
über einen Schulgarten oder ein naturnahes<br />
Schulumfeld verfügen. Die Broschüre kann auf<br />
dieser Internetseite heruntergeladen oder in Schriftform<br />
kostenlos bestellt werden: 3 http://www.mlr.<br />
baden-wuerttemberg.de/content.pl?ARTIKEL_<br />
ID=10630&TEMPLATE=broschueren.html<br />
Demografischer Wandel<br />
Kollektive Alterung, Bevölkerungsschwund, niedrige<br />
Geburtenrate - der demografische Wandel<br />
bringt große Herausforderungen mit sich. Die Herausforderungen<br />
dieses Wandels zu meistern und<br />
seine Chancen sinnvoll zu nutzen, sind wichtige<br />
Aufgaben für das zukünftige Zusammenleben der<br />
Menschen bei uns. Das Schulportal „Sozialpolitik“<br />
bietet mit dem aktuellen Thema Demografischer<br />
Wandel eine umfassende Einführung in die Problematik,<br />
nicht zuletzt vor dem Hintergrund der <strong>2012</strong><br />
erlassenen Demografiestrategie der Bundesregierung,<br />
und wirft einen Blick auf die nationalen und<br />
internationalen Perspektiven, die sich für die Arbeitswelt<br />
und die Gesellschaft daraus ergeben. Die<br />
kostenlos zu beziehenden Arbeitsblätter zum Thema<br />
geben Schülern die Gelegenheit, das Konzept<br />
des Generationenvertrags kennenzulernen und zu<br />
überlegen, welche Probleme und Perspektiven der<br />
demografische Wandel für dieses Konzept mit sich<br />
bringt. Das dazugehörige Schaubild stellt die prognostizierte<br />
Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr<br />
2060 dar und beschäftigt sich mit der Rolle älterer<br />
Menschen in der Gesellschaft. Hintergrundinformationen,<br />
methodisch-didaktische Hinweise und Linkund<br />
Lesetipps zur weiteren Lektüre vervollständigen<br />
das Angebot. Weitere Hinweise unter 3 http://<br />
www.sozialpolitik.com/files/64/AB_Wandel_Gesellschaft.pdf<br />
Verhältnis von Markt und Staat<br />
Die zunehmende Macht globaler Konzerne und alles<br />
beherrschender Kapitalmärkte scheint die Macht<br />
nationaler Regierungen zu untergraben und stellt<br />
das Primat der Politik über die Wirtschaft in Frage.<br />
In dieser Unterrichtseinheit gehen die Schüler<br />
folgenden Kernfragen nach: Wann kommt es zum<br />
Marktversagen und wie kann der Staat darauf reagieren?<br />
Sollte ein Staat nicht vielmehr weitsichtig<br />
regieren anstatt nur kurzfristig zu reagieren? Sind<br />
Staaten angesichts des Machtzuwachses wirtschaftlicher<br />
Akteure überhaupt noch regierbar? Im Anschluss<br />
wird das in einer Volkswirtschaft immer neu<br />
zu verhandelnde Verhältnis von Markt und Staat<br />
thematisiert. Grundlagen der Thematik werden beschrieben<br />
und Begriffe wie „Staat“, „Öffentliche<br />
Güter“ oder „externe Effekte“ vorgestellt. Nähere<br />
Hinweise zur Unterrichtseinheit auf der Internetseite<br />
3 http://www.lehrer-online.de/markt-und-staat.<br />
php?sid=43297560428454342134582448247730<br />
Berufsorientierung in der Schule<br />
Das aktuelle Lehrerheft und Schülerarbeitsheft von<br />
planet-beruf.de der Bundesagentur für Arbeit (BA)<br />
ist erschienen. Enthalten sind neue Unterrichtsmaterialien,<br />
Arbeitsblätter und vielen weitere Informationen.<br />
Hiermit unterstützt die BA Lehrkräfte<br />
und Jugendliche der Sekundarstufe I in Sachen<br />
Unterricht und Berufsorientierung. Die „Ausgabe<br />
<strong>2012</strong>/2013“ informiert über konkrete Einsatzmöglichkeiten<br />
der planet-beruf.de-Medien in der schulischen<br />
Praxis. Zudem liefern neue Unterrichtsideen<br />
Anregungen für einen individualisierenden Berufswahlunterricht.<br />
Die Themen der Unterrichtsideen<br />
reichen von der eigenen Stärkenerkundung über die<br />
Vorbereitung auf das Praktikum bis hin zur schriftlichen<br />
Bewerbung und Auswahltests. Zusätzlich<br />
wird die neue interaktive Plattform „we are planet!“<br />
vorgestellt. Dabei ist „Mitmachen“ ausdrücklich<br />
erwünscht. Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte<br />
können kreativ über ihre Erfahrungen und Aktionen<br />
rund um die Berufswahl berichten. Ergänzend zum<br />
Lehrerheft hilft das Schülerarbeitsheft „Schritt für<br />
Schritt zur Berufswahl“ zielgruppengerecht bei der<br />
Erarbeitung der Berufswahlschritte. In Form von<br />
Übungsaufgaben, Checklisten und Texten erhalten<br />
die Schüler zahlreiche Infos, die sie für eine erfolgreiche<br />
Berufsorientierungs- und Bewerbungsphase<br />
benötigen. Auf dieser Internetseite gibt es die aktuelle<br />
Heftübersicht: 3 http://www.planet-beruf.de/He<br />
ftuebersicht.918.0.html?&MP=918-1348&type=17<br />
74<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Wichtige Texte aus der Geschichte der Arbeitslehre<br />
Ulrich Johannes Kledzik<br />
Erinnerungen dürfen nicht an die Stelle der Hoffnung treten.<br />
Eine Besinnung auf die Wurzeln der Arbeitslehre für die heute Handelnden.<br />
Auf dieser Seite des<br />
Forum Arbeitslehre gibt<br />
Prof. Kledzik Hinweise<br />
auf lesenswerte Texte,<br />
die zum Quellenstudium<br />
anregen, die bei<br />
Examina und aktuellen<br />
Debatten hilfreich sein<br />
können.<br />
Zahlreichen Unterrichtsbeispielen aus der frühen<br />
Praxis dieses Lernfeldes stellten Georg Groth und<br />
Ulrich J. Kledzik eine tabellarische gefasste prägnante<br />
Darlegung der damaligen Denkansätze und<br />
der daraus resultierenden Zielvorstellungen voran.<br />
Auffällig sind die z. T überscharf akzentuierten Positionen.<br />
Sie sind heute eine Erinnerung an lebendige<br />
und auch nicht selten erbittert geführte Grundsatzauseinandersetzungen,<br />
die noch nicht allein auf<br />
Berufsorientierung und Berufwahlverfahren eingeschränkt<br />
waren.<br />
Es ist mir auch diesem Anlass eine Freude, dem<br />
Kollegen Prof. Dr. Georg GROTH, der 1970 zum<br />
ersten ordentlichen Professor für Arbeitslehre in<br />
der Bundesrepublik an die Pädagogische Hochschule<br />
Berlin berufen und 2007 aus unserem Institut<br />
emeritiert wurde, zum 75. Geburtstag am 28. Juni<br />
<strong>2012</strong> herzlich zu gratulieren.<br />
Im Herbst d.J. werden wir uns im Institut zu einem<br />
narrativen Symposium treffen und dabei Erinnerungen<br />
und Interpretationen unseres Faches wachrufen<br />
, die sicher selektiv sind, aber gerade deshalb interessant<br />
die Lebensverbundenheit mit den aktuellen<br />
Zuständen der Zeit (Paul Heimann) erkennbar lassen<br />
werden.<br />
Ansätze<br />
Ausgehend von den Vorstellungen des Deutschen<br />
Ausschusses entwickelten sich in den 60er und 70er<br />
Jahren in der Bundesrepublik verschiedene Ansätze,<br />
den Berufsbezug der Arbeitslehre durch Praxis in<br />
der Schule, die Vorbereitung auf eine von den Wissenschaftlichen<br />
beeinflusste Industriegesellschaft<br />
und eine gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe<br />
herzustellen. Eine lebendige und teilweise auch<br />
erbittert geführte Debatte entwickelte sich über<br />
Grundfragen der Zielsetzung, Organisation und<br />
Methode eines solchen Unterrichts. Die Beteiligten<br />
lernten in und aus der Diskussion, akzentuierten<br />
ANSÄTZE zu einer ARBEITSLEHRE in den<br />
60er und 70er Jahren<br />
In der Reihe Praxis und Theorie des Unterrichtens<br />
verlegte der Beltz-Verlag, Weinheim-Basel<br />
in seiner Grünen Reihe im Jahre 1983, immerhin<br />
vor rund dreißig Jahren, den Band<br />
ARBEITSLEHRE 5 - 10<br />
ISBN 3-467-26025-3 Peter Lang Verlag. 2007<br />
75<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
ihre Positionen teilweise überscharf, um Abgrenzungen<br />
zu verdeutlichen. Insofern ist eine synoptische<br />
Aufführung (vgl. Tabelle 1) nur eingeschränkt gültig,<br />
zumal der Verlauf der Argumentation nicht vermittelt<br />
wird. Sie wird trotzdem hier gewagt, um aufzuzeigen,<br />
auf welchen Ansätzen eine zu Beginn der 80er Jahre<br />
erkennbare Vereinheitlichung beruht, welche Wege<br />
bereits abgeschritten wurden, um die Einführung der<br />
Arbeitslehre, die Ausbildung von Lehrern und die<br />
fachgerechte Ausstattung der Schulen abgesichert<br />
vorzubereiten.<br />
Die nachfolgende Tabelle bezeichnet die Charakteristika<br />
der verschiedenen Positionen nur stichwortartig,<br />
weil beim heutigen Stand der Entwicklung diese Ansätze<br />
und Anregungen zum großen Teil ihre Funktion<br />
bereits erfüllt haben, in der Regel in mehrperspektivischen<br />
Entwürfen aufgegangen sind und die Praxis der<br />
Schule bereits vielfältig darüber hinausgewachsen ist.<br />
Der Ansatz des polytechnischen Unterrichts in der<br />
DDR ist hier nicht besonders aufgenommen worden,<br />
obwohl er in unterschiedlicher Weise die eine oder<br />
andere der skizzierten Positionen beeinflusst hat.<br />
Die Übertragung dieser Ansätze auf Rahmenpläne<br />
und damit die Verwirklichung der Vorstellungen in<br />
der Schulpraxis wurde durch die Vielfalt der Vorschläge<br />
eher gehindert. Andererseits trug der erste<br />
Vollzug wesentlich zur Modifikation, Überprüfung<br />
und Korrektur der Vorstellung bei. Die inhaltlichen<br />
Planungen gingen zunehmend einheitlich von der<br />
Auffassung aus, das sich die Lebensführung in einer<br />
schnell wandelnden pluralistischen Industriegesellschaft<br />
nicht allein aus der Tradition ergeben kann,<br />
dass jede Schule mit der Aufgabe konfrontiert wird,<br />
auf das gesellschaftliche Handeln in drei aufeinander<br />
bezogenen Komplexen vorzubereiten:<br />
Arbeitswelt – individuelle berufliche Tätigkeit –<br />
Berufswahl<br />
Freizeitwelt – geistige Kultur – Konsumententätigkeit<br />
Politisches Leben – mitmenschliche Kommunikation<br />
– individuelle Verantwortung (Heimann/<br />
Kledzik 1967)<br />
Die Arbeitslehre zielt schwerpunktmäßig auf den<br />
erstgenannten Handlungskomplex, wurde speziell<br />
als Antwort auf das Problem der Hinführung zur<br />
Arbeitswelt zuerst in der Hauptschule entwickelt<br />
und mit der Ausweitung der Gesamtschulen auch<br />
dort als Pflicht- und Wahlpflichtfach angeboten.<br />
Sie war und ist die erste Antwort auf die Fragen<br />
und Ansprüche, die von Arbeitgeber- und Arbeitsnehmerorganisationen<br />
ständig dringlicher an die<br />
Schule gestellt werden (BDA; DGB 1977):<br />
• Hinführung der Schüler zur Wirtschafts- und<br />
Arbeitswelt als sozial-ökonomische Grundbildung<br />
• Verständnisanbahnung für wechselseitige<br />
Abhängigkeiten zwischen Technik, Ökonomie<br />
und Politik<br />
• Einführung in Verfahren der Planung und<br />
Bewertung und Bewertung von Berufsarbeit<br />
und Haushaltsführung<br />
• Vermittlung von Umgangserfahrungen aus<br />
Arbeitsprozessen<br />
• Vorbereitung der Berufswahl und Forderung<br />
der Berufswahlreife<br />
Die sogenannten Abnehmer der Schule kennzeichnen<br />
damit Sachverhalte, die sich aus dem technologischen,<br />
wirtschaftlichen, beruflichen und politischen<br />
Entwicklungsstand ergeben und durch<br />
die traditionellen Schulfächer – so sehr auch dort<br />
Umgestaltungen vorgenommen wurden – nicht in<br />
dem erforderlichen Umfang berücksichtigt werden.<br />
Mit der Ergänzung des herkömmlichen Fächerkanons<br />
durch sozial-ökonomisch-technische<br />
Informationen, also durch aufeinander bezogenen<br />
Themenfelder wie Betrieb und Haushalt, Wirtschaft<br />
und Technik, Beruf und Freizeit, Produktion<br />
und Konsum, soll die Schule auf Sachverhalte der<br />
Wirklichkeit des Lebens reagieren, die heute zur<br />
Grundbildung eines jeden Jugendlichen gehören<br />
müssen. Bleibt es bei Abstinenz von Realschulen<br />
und Gymnasien in dieser schul- und gesellschaftspolitisch<br />
wichtigen Frage, dann wäre Arbeitslehre<br />
die Spezialität nur einer Schülergruppe und Realschüler<br />
und Gymnasiasten würden ohne diese<br />
spezielle Hinführung auf Beruf und Arbeit aus<br />
der Schule entlassen. Die Berücksichtigung einer<br />
Arbeitslehre verbindet Schule mit dem Leben. Arbeitslehre<br />
ist die Chance der allgemeinbildenden<br />
Sekundarschulen, Hilfe zur informierten Selbstbestimmung<br />
im Hinblick auf die Arbeitswelt zu<br />
bieten.<br />
76<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Positionen<br />
Schwerpunkte der<br />
Zielvorstellungen<br />
Begründende Vertreter<br />
Verwirklichung<br />
Deutsche Ausschuss Vorbereitung auf die Arbeitswelt Motivation durch Praxis<br />
„Kopf, Herz und Hand“<br />
Berufspädagogischer Ansatz, Jungarbeiter Elementare Berechnungen, Strukturierung<br />
Arbeitsaufträge handwerk-<br />
– Günter Wiemann<br />
von Arbeit, Zeichnungen licher Art - Produktion<br />
Werkpädagogischer Ansatz<br />
Herstellung nach Vorlage<br />
Otto Mehrgardt<br />
- Werkaufgabe<br />
Technikunterricht - Bodo Wessels,<br />
Befähigung zur Nutzung und Mitgestaltung<br />
Einsicht in Funktionsprin-<br />
Hartmut Sellin, Heinz-J. Stührmann<br />
von Technik<br />
zipien von Technik; Auswir-<br />
Wolf-E. Traebert<br />
kung auf die Menschen<br />
Hinführung zur Arbeits- u. Wirtschaftswelt<br />
in NRW - Dortmunder Bildungspläne<br />
1965/67<br />
Klaus Schneidewind<br />
Vorbereitung auf die Arbeits- und<br />
Wirtschaftswelt<br />
Kanon von Funktionsmodellen,<br />
Betriebs-(Aspekt-)<br />
erkundungen und Vorhaben<br />
Betonung der Eigentätigkeit<br />
Gesellschaftsbezug<br />
Hinführung auf gesellschaftliche<br />
und kulturelle Teilhabe<br />
Gesellschaftliche Nützlichkeit<br />
- Gemeinsinn<br />
ästhetische Erziehung<br />
Mehrdimensionalität von<br />
Technik; Verflechtung mit<br />
Wirtschaft und Gesellschaft<br />
Revision der Allgemeinbildung<br />
Grundsätze, Richtlinien, Lehrpläne für die<br />
Hauptschule in Nordrhein-Westfalen, 1968<br />
Klafki- Kommission: Klafki, Schneidewind,<br />
Stratmann - Wirtschaftslehre-Lehrplan<br />
Hermann Schmidt<br />
Volkswirtschaftliche Grundbegriffe<br />
– Definition im Rahmen einfacher<br />
Entwicklungsmodelle<br />
Lehrgänge in Verbindung<br />
mit Erkundungen, die als<br />
Klammer zu den anderen<br />
Bereichen (Techn. Werken<br />
und Hauswirtschaft) dienen<br />
sollen<br />
Soziale Marktwirtschaft<br />
Technisches Werken<br />
H. Sturm<br />
Hauswirtschaft<br />
G. Rehermann<br />
Technische Grundbildung,<br />
Nacherfinden<br />
Rationale u. soziale Gestaltung des<br />
Wirtschaftens im Haushalt<br />
Lehrgänge, Funktionsmodelle,<br />
Erkundungen (als<br />
Klammer zu den anderen<br />
Bereichen) Eigenproduktion<br />
in Lehrgangsform, Erkundungsaufträge<br />
Technikgeschichte, Verbrauchergesichtspunkte<br />
Funktion der Haushalte als<br />
Marktpartner<br />
Hauswirtschaftslehre - Brigitte Busse<br />
Ilse Kluger<br />
Arbeitslehre als Fach, Berliner Konzeption<br />
- Herwig Blankertz, Georg Groth, Peter<br />
Werner, Ulrich Kledzik, Günter Reuel<br />
Polytechnik/Arbeitslehre Hessen - Friedrich<br />
Roth, Klaus Jahn, Georg Rutz<br />
Unterrichtsbereich Arbeit – Wirtschaft –<br />
Technik (Arbeitslehre) in Baden–Württemberg<br />
- Julius Wöppel<br />
Marxistische Arbeitslehre<br />
-Schönfeld<br />
Wirtschaftswissenschaftliches<br />
und ernährungswissenschaftliche<br />
Probleme des Konsumenten<br />
Planung des Verbraucherverhaltens,<br />
der Erwerbstätigkeit nach technischen,<br />
ökonomischen, politischen<br />
Bedingungen – Interdependenz<br />
Auseinandersetzung mit den<br />
Problemen in der Arbeitswelt unter<br />
technischen, ökonomischen und<br />
soziökonomischen Aspekten im<br />
projektorientierten Unterricht<br />
Verdeutlichung der Zusammenhänge<br />
zwischen technischen, wirtschaftlichen<br />
und sozialen Entwicklungen<br />
Gesetze der Produktionssysteme,<br />
Grundbegriffe marxistischer Wirtschaftstheorie<br />
Eigenproduktion des Haushalts<br />
– Produktions- und<br />
Planungstechniken<br />
Stufengang (Eigenproduktion<br />
– Arbeit für Auftraggeber<br />
– Zusammenhang von<br />
Konsum und Produktion<br />
im projektorientierten<br />
Unterricht)<br />
Klärung von Real-Situationen<br />
der Arbeitswelt,<br />
Interpretation von existentiellen<br />
Problemstellungen<br />
mit sozioökonomischen<br />
Reflexionen, praktischer<br />
Arbeit der Schüler und<br />
Betriebspraktika<br />
Verbund der Fächer Technik,<br />
Hauswirtschaft/Textiles<br />
Werken, Gesellschaftskunde/<br />
Wirtschaftslehre<br />
Rolle der Frau – Partnerschaft<br />
im Haushalt, Beruf, Freizeit<br />
Vorbereitung auf Mitbestimmung<br />
im Haushalt und in der<br />
Arbeitswelt durch Analyse und<br />
Projekt<br />
Lebenshilfe und berufliche<br />
Kompetenz für das Leben des<br />
mündigen Wirtschaftsbürger<br />
in Beruf, Familie, Freizeit und<br />
Öffentlichkeit<br />
Orientierung in Berufsfeldern<br />
als Ansatz für einen praxisnahen<br />
Berufswahlunterricht,<br />
übergreifende Lehrplaneinheiten<br />
Geschichte als Abfolge von<br />
Klassenkämpfen<br />
77<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Aus der GATWU<br />
Detmar Grammel<br />
Die GATWU wird 35<br />
Manchmal ist es gut, von Zeit zu Zeit in seine Archive<br />
zu schauen und nachzulesen. Dabei ist mir<br />
das Heft 1, Jg. 1, der technica didactica – Zeitschrift<br />
für Didaktik der Technik und Arbeitslehre<br />
(Hrsg. W. Franzbecker und W. Hendricks) aus<br />
dem Jahr 1978 in die Hände gefallen. Der Bericht<br />
von Wilfried Hendricks führte mich zurück in jene<br />
grauen, nasskalten und nebelverhangenen Novembertage<br />
1977 in der Evangelischen Akademie in<br />
Hofgeismar, in der sich die damaligen Heroen der<br />
Arbeitslehre, der Technischen und der Ökonomischen<br />
Bildung versammelt hatten, unter ihnen einige<br />
wenige Lehrer und Studenten. Dass der Artikel<br />
den Eindruck einer harmonischen Gründungstagung<br />
vermittelt, ist verständlich, galt es doch,<br />
Brücken über die tiefen Gräben, die den Partikularinteressen<br />
der Akteure aus den unterschiedlichen<br />
Fachrichtungen geschuldet waren, zu schlagen.<br />
Wenn ich mich richtig erinnere, dann waren diese<br />
Tage durch äußerst scharf geführte Diskussionen,<br />
heftige Richtungskämpfe und Abreisedrohungen<br />
bestimmt. Am Ende stand immerhin ein für alle<br />
mehr oder weniger tragfähige Kompromiss – die<br />
„GATWU“. Das hörte sich so ein bisschen wie das<br />
altbekannte „Film und Bild im Unterricht“ an und<br />
für die Berliner Vertreter der Arbeitslehre war eigentlich<br />
die Reihung „Arbeit, Wirtschaft, Technik“<br />
durch die integrierte Arbeitslehre schon längst inhaltlich<br />
überholt. Die Zusammensetzung des ersten<br />
Vorstandes spiegelte den Wunsch nach Integration<br />
der Fachrichtungen und deren Akteure in diesen<br />
Feldern wieder.<br />
bröckelte der Rand ab, die GATWU regionalisierte<br />
sich, der Zusammenhalt ergab sich nur noch aus<br />
dem regelmäßig erscheinenden, von Wilfried Wulfers<br />
redigiertem GATWU-FORUM, in denen ein<br />
staunender Lehrer von Zeit zu Zeit von fabelhaften<br />
Kooperationsvereinbarungen der GATWU mit anderen<br />
schillernden Verbänden lesen konnte, ohne<br />
dass daraus je eine nachvollziehbare Rückkopplung<br />
für das einzelne Mitglied zu erkennen war.<br />
Ebenso erstaunlich fand ich manchmal das Vorhandensein<br />
einer professoralen Parallelwelt innerhalb<br />
der GATWU – Veranstaltungen, die nur wenigen<br />
universitären Mitgliedern offen standen.<br />
Die Landesverbände, die in der Folgezeit entstanden,<br />
sind aus vielerlei Gründen nicht mehr aktiv<br />
– die Ausnahme ist die „Gesellschaft für Arbeitslehre<br />
Berlin“, die auch die Mehrheit der Mitglieder<br />
in der GATWU stellt. Folgerichtig wurde im<br />
Jahr 2008 der bisherige Dualismus – GATWU-<br />
FORUM für alle Mitglieder der GATWU, das AR-<br />
BEITSLEHRE-JOURNAL für die Berliner Mitglieder<br />
– aufgegeben: Seit dem November 2008<br />
erscheint zweimal jährlich nur noch das „FORUM<br />
ARBEITSLEHRE“, das die wesentlichen Elemente<br />
der Vorgängerpublikationen fortführt. Das FO-<br />
RUM ARBEITSLEHRE ist die letzte verbliebene<br />
Publikation für den Lernbereich. Die technica didacta<br />
gibt es mittlerweile ebenso wenig wie „arbeiten<br />
+ lernen“ 1 .<br />
Trotz dieser heftigen Geburtswehen ist das Kind<br />
„GATWU“ über weite Strecken gediehen. Ich erinnere<br />
mich gerne an die großen, wirklich bundesweiten<br />
Tagungen der GATWU, bei denen ich über<br />
die Jahre hinweg immer wieder interessante Kolleginnen<br />
und Kollegen aus dem Bundesgebiet kennen<br />
lernen und wiedertreffen konnte. Irgendwann<br />
1<br />
„arbeiten + lernen“/ DIE ARBEITSLEHRE wurde herausgegeben vom<br />
Friedrich Verlag in Velber in Zusammenarbeit mit Klett und in Verbindung<br />
mit Klaus Schneidewind, Wolfgang Dathe, Wolf-Dietrich Greinert,<br />
Manfred Hoppe, Rainer Janisch, Hans Kaminski, Stephan Laske und Günter<br />
Wiemann.<br />
78<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Wie überall in der Schule macht sich auch in der<br />
GATWU das Generationenproblem bemerkbar –<br />
die Streiter der ersten Stunde gehen in den oder<br />
sind schon im Ruhestand, junge Lehrkräfte treten<br />
kaum neu in die Gesellschaft ein. Hier gilt es in der<br />
nahen Zukunft, dass wir uns intensiv um den Nachwuchs<br />
kümmern müssen, wenn unser Fachverband<br />
überleben und weiterhin Einfluss nehmen will.<br />
Hier nun der historische Gründungsbericht von<br />
WILFRIED HENDRICKS:<br />
Gründung der „Gesellschaft für Arbeit, Technik<br />
und Wirtschaft im Unterricht“ 2<br />
Die Meinung vieler Lehrer, Studenten und Dozenten<br />
der im Bereich Arbeitslehre koope rierenden<br />
oder zusammengeschlossenen Fächer, es müßte<br />
endlich eine Organisation zur bundesweiten Wahrnehmung<br />
ihrer Interessen geben, sollte schon beim<br />
Kongreß der (provisorischen) „Gesellschaft für<br />
Technik- und Arbeitslehredidaktik“ im März dieses<br />
Jahres in Hannover zur Tat werden. Jedoch gingen<br />
die Tagungsteilnehmer auseinander, ohne daß eine<br />
Verbandsgründung erfolgen konnte. Bei der Diskussion<br />
über Namens gebung und Dimensionierung<br />
des Verbandes zeigten sich schier unüberbrückbare<br />
gegen läufige Interessen. Die Maximalforderung<br />
sah eine Organisation für Technikunterricht, Arbeitslehre<br />
und Berufspädagogik vor und umfaßte<br />
alle Schulstufen und -arten. Die Befürworter einer<br />
Minimallösung plädierten für einen Verband, der<br />
sich auf den Technik unterricht in der Primarstufe<br />
2<br />
aus: technica didacta, Nr. 1, Jgg. 1, 1978. Hrsg. W. Franzbecker,<br />
W. Hendricks. Verlag Barbara Franzbecker. S. 57 f.<br />
und der Sekundarstufe I beschränkt. Dazwischen<br />
lagen diverse Positionen. Es zeugte von großer<br />
Besonnenheit auf allen Seiten - wann hatte es das<br />
zuletzt auf einem „Werkpädagogischen Kongreß“<br />
(so lautet der Name immer noch!) gegeben? - daß<br />
keine Seite die andere auszumanövrieren versuchte.<br />
Im Gegenteil war bei allen Diskussionsteilnehmern<br />
der ernste Wille vorhanden, organisatorische<br />
Lösungen zu finden, die einer möglichst<br />
großen Zahl von Interessenten eine Mitgliedschaft<br />
und Mit arbeit ermöglichen sollten. Um die Gefahr<br />
von Aufsplitterungen in Kleinorganisationen<br />
zu vermeiden, wurde die Gründungsversammlung<br />
vertagt. Der Planungsausschuß (iden tisch mit der<br />
den Kongreß ausrichtenden Gesellschaft) sollte bis<br />
zum Herbst erneut eine Tagung einberufen, die allein<br />
der Erarbeitung einer Satzung und damit der<br />
Gründung einer Gesellschaft dienen sollte.<br />
Im Vorfeld der Gründungsversammlung bemühten<br />
sich verschiedene Gruppierungen um die Ausarbeitung<br />
von Satzungsvorschlägen. Neben dem<br />
bereits für Hannover ausgearbei teten Entwurf<br />
des Planungsausschusses, der die Maximallösung<br />
vorsah, legten die Kolle gen Roth, Kaufmann und<br />
Steidle eine Konzeption für die Minimallösung<br />
„Gesellschaft für Technische Bildung“ vor. Ferner<br />
gab es drei Modifikationsvorschläge für den<br />
Entwurf des Planungsausschusses. Schließlich<br />
stellten die 21 Kollegen der drei Arbeitslehre-<br />
Wahlfächer an der Pädagogischen Hochschule<br />
Berlin mit ihrem Satzungsvorschlag für eine „Gesellschaft<br />
für technische und ökonomische Bildung<br />
(Arbeitslehre)“ein Konzept für eine große Lösung<br />
vor - also unter Einbeziehung aller im Bereich Arbeitslehre<br />
kooperie renden Fächer, ohne Beschränkung<br />
auf eine bestimmte Schulart und -stufe. Eine<br />
große Anzahl von Kollegen wurde von den Berlinern<br />
um eine Stellungnahme gebeten, um deren<br />
Meinung in die Gründungsversammlung mit einbringen<br />
zu können. Die breit angelegte Dachorganisation<br />
wurde bei weitem bevorzugt; allerdings<br />
gab es natürlich einige unter schiedliche Auffas-<br />
79<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
sungen über Namen und Zielrichtungen sowie Satzungsmarginalien.<br />
- Da durch die Vorklärung der<br />
Standpunkte die Positionen einigermaßen klar waren,<br />
konnte man zuversichtlich der Einladung des<br />
Planungsausschusses für den 15. bis 17. No vember<br />
1977 nach Hofgeismar folgen.<br />
Die Diskussionen über die Satzung und Gründung<br />
der Gesellschaft führten zu folgenden wesentlichen<br />
Ergebnissen:<br />
1. Die Satzung soll keine Festschreibung programmatischer<br />
Aussagen sein, sondern viel mehr in pragmatischer<br />
Absicht eine Basis abgeben, auf der sich<br />
die Gesellschaft offen und lebendig entfalten kann.<br />
2. Der Berliner Vorschlag einer „großen Lösung“,<br />
d.h. unter Einbeziehung des gesamten Fächerspektrums<br />
der technischen und ökonomischen Bildung<br />
(nach Auffassung der Versammlung ist damit auch<br />
die Hauswirtschaft gemeint) fand nach intensiver<br />
Diskus sion aller Gesichtspunkte eine große Mehrheit.<br />
3. Wenn als erste Aufgabe der Gesellschaft die Förderung<br />
von fachdidaktischer und fachwissenschaftlicher<br />
Forschung und Lehre sowie des Unterrichts<br />
in den Bereichen technischer und ökonomischer<br />
Bildung genannt wird, dann ist damit klargestellt,<br />
daß die Gesellschaft sich offen hält für Lehrer, Studenten,<br />
Dozenten, Institutionen – gleich welche Interpretationen<br />
und Konzeptionen sie jeweils in den<br />
einzelnen Bereichen oder Fächern vertreten.<br />
4. Die Gesellschaft sichert von ihrem Selbstverständnis<br />
als Dachorganisation denjenigen Mitgliedern<br />
Freiräume zu, die partikulare Interessen verfolgen.<br />
Daher können und sollen Fachgruppen für<br />
besondere Bereiche (z.B. Wirtschaftslehre, Technik<br />
Unterricht, Hauswirt schaftslehre, Arbeitslehre<br />
o.a..) zur Verwirklichung der Aufgaben der Gesellschaft<br />
einge richtet werden. Diese Fachgruppen<br />
können u.U. auf Dauer installiert sein. Demgegenüber<br />
werden Ausschüsse und Arbeitsgruppen nur<br />
für eine bestimmte Zeit tätig, um allgemeine oder<br />
spezifische Fragen der ökonomischen und technischen<br />
Bildung zu untersuchen.<br />
5. Der Name „Gesellschaft für Arbeit, Technik und<br />
Wirtschaft im Unterricht“ soll zum einen die drei<br />
wesentlichen Dimensionen herausstellen, die die<br />
wissenschaftlichen und schulpraktischen Arbeiten<br />
der Mitglieder bestimmen. Zum anderen stellt die<br />
Einbezie hung von „Unterricht“ den Adressatenbezug<br />
her und verdeutlicht, daß die Bemühungen der<br />
Gesellschaft den Lernenden - an welchen Lernorten<br />
auch immer - gelten.<br />
Die Wahlen zum Vorstand zeigten die Absicht, ein<br />
relativ breites Spektrum an inhalt lichen Vorstellungen<br />
personell abgesichert zu sehen:<br />
Prof. Dr. Kurt Henseler (Uni Oldenburg) 1. Vors.,<br />
Wiss. Ass. Michael Mende (TU Berlin) stellv. Vors.,<br />
Wiss. Ass. Gert Reich (Uni Oldenburg) Geschäftsführer,<br />
Rektor Detmar Grammel (Berlin) Schriftführer,<br />
Prof. Dr. Wilfried Hendricks (PH Berlin),<br />
Doz. Burkhard Sachs (PH Freiburg), stud. paed.<br />
Peter Teuber (Uni Oldenburg) – die letzten drei<br />
Vor standsmitglieder sind (noch) ohne besonderen<br />
Geschäftsbereich.<br />
Die Gründungsversammlung hofft, daß die Zahl<br />
der Mitglieder schnell ansteigt, damit die Gesellschaft<br />
zum Vorteil der von ihr repräsentierten Fächer<br />
wirkungsvoll handlungs fähig werden kann.<br />
Die Beantragung der Mitgliedschaft erfolgt durch<br />
eine schriftliche Beitrittserklärung beim Vorstand.<br />
(Adresse: Geschäftsstelle der Gesellschaft für Arbeit,<br />
Technik und Wirtschaft im Unterricht. Alte<br />
Weide 3. Friedrichsfehn. 2905 Edewecht.) Der Mitgliedbeitrag<br />
beträgt DM 40,--, für Studierende und<br />
Arbeitslose DM 20,--; juristi sche Personen zahlen<br />
einen „angemessenen Beitrag“.<br />
He.<br />
80<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Aus den Hochschulen: IBBA der TU Berlin<br />
Günter Reuel<br />
Semesterabschluss Sommer <strong>2012</strong><br />
Projektarbeit in Werkstätten hat im Arbeitslehre<br />
Studium hohe Priorität. Diesmal war das Oberthema<br />
„Ausstellen, Werben, Öffentlichkeitsarbeit“. Das<br />
Schulfach Arbeitslehre kann sich sehr wirksam präsentieren.<br />
In einigen Schulen, trifft der Besucher auf<br />
Vitrinen, die attraktive Ergebnisse der Arbeitslehre<br />
zeigen. Leider gibt es aber auch viele Schulen, da<br />
sucht man vergeblich nach Exponaten. Sei es nun,<br />
dass die Produkte nicht vorzeigbar sind, oder aber<br />
es fehlt, um im Jargon zu reden, an „Schaustellerkompetenz“.<br />
Was haben die Studenten vorgestellt?<br />
1. In Berlin gibt es nicht nur ein Festival der Kulturen<br />
es gibt sehr witzige „Häppchen“, die erstens<br />
gut schmecken und dann auch noch jedes für sich<br />
eine Kultur repräsentieren.<br />
2. Edelsteine des Waldes sind pikante Beeren und<br />
aromatische Kräuter, die zwar nicht satt machen,<br />
aber einen kulinarischen „Fingerabdruck“ hinterlassen.<br />
Präsentiert wird das Ganze auf Baumscheiben<br />
mit Waldambiente.<br />
3. Drei flache Vitrinen sind drehbar angeordnet<br />
und zeigen auf sechs „verglasten“ Tafeln das ganze<br />
Spektrum der Werkstoffe, die in der Arbeitslehre<br />
Verwendung finden.<br />
4. Wahlweise auf einer hohen oder niedrigen<br />
Säule angeordnet ist eine Vitrine, in der auf einem<br />
Drehteller ein Exponat steht. Die dem Besucher zugewandte<br />
Seite ist bogenförmig „verglast“.<br />
5. Der Kugel spendende Automat entlässt nicht nur<br />
Kugeln, die Süßigkeiten, Trockenfrüchte oder auch<br />
Merkzettel enthalten, er gibt auch eine akustische<br />
Botschaft aus.<br />
6. Eine mobile „Tafel“, die Schreib-, Magnet- und<br />
Projektionsflächen in einem Koffer vereint, der außerdem<br />
diverses Zubehör für Informationsarbeit<br />
birgt.<br />
7. Kekse, die aus gutem Mehl mit wenig Zucker gebacken<br />
wurden und „beschriftet“ sein können, sind<br />
als Werbegag willkommen. Wenn man dann auch<br />
noch die Form der Kekse Puzzle artig zusammenfügen<br />
kann, erinnert man sich.<br />
8. Aus Fahrradschläuchen kombiniert mit weiteren<br />
Materialien wird eine stimmige Kollektion gefertigt,<br />
die z.B. das Schullogo immer mitführt.<br />
9. Leichtbau-Stellwände, die Leporello artig oder<br />
auch übereinander stehen. Einhängeelemente sind<br />
bestückt mit Projektionsflächen, LED-Effekten und<br />
einer Uhr, die den nächsten Vortrag anzeigt.<br />
10. Jugendliche, die leider nicht immer still sitzen<br />
können, sondern zum Toben neigen, brauchen<br />
Energiebällchen. Diese hübsch verpackt, nimmt jeder<br />
gerne mit.<br />
11. Sushis sind sehr beliebt, aber süße Sushis, noch<br />
dazu präsentiert auf einem werbenden Verkaufsständer,<br />
findet man nicht alle Tage.<br />
Die Betreuer waren Karin Groth, Pamela Jäger,<br />
Günter Eisen, Günter Reuel. Wir bedauern sehr,<br />
dass wir auf die jahrelange koordinierende Arbeit<br />
von Pamela Jäger demnächst verzichten müssen,<br />
weil ihr Arbeitsvertrag nicht verlängert wird.<br />
Bilder: Theodor Sakatis<br />
81<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
1<br />
2 3<br />
4<br />
5<br />
82<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
Prof. Dr. Georg Groth wurde 75 Jahre<br />
Am 27. September <strong>2012</strong> wurde im IBBA der erste<br />
Arbeitslehre Professor der Bundesrepublik, Georg<br />
Groth, geehrt. Die Professoren Kledzik, Schrader<br />
und Steffens erinnerten an Begegnungen und frühere<br />
Zusammenarbeit mit dem Jubilar. Dieser fasste<br />
in seinen Dankesworten noch einmal Essentials der<br />
Arbeitslehre zusammen. Grundüberzeug des neuen<br />
Faches war das Streben nach Integration der „Quellfächer“<br />
Technik, Haushalt, Wirtschaft, das sich in<br />
dem neuen Namen Arbeitslehre manifestierte.<br />
83<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
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84<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Redaktion<br />
Neue Mitarbeiter des IBBA<br />
Isabelle Penning ist wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
am Fachgebiet Fachdidaktik. Im Masterstudium<br />
ist sie mit Lehrveranstaltungen zum Projektlernen<br />
sowie zur Ökonomischen Bildung in Schülerfirmen<br />
tätig (siehe Beitrag im Forum Arbeitslehre Heft<br />
8/<strong>2012</strong>). Sie hat in Oldenburg Technik und „Pädagogik<br />
bei Lernbeeinträchtigungen“ studiert und<br />
hat in verschiedenen Projekten zur technischen<br />
Bildung mitgearbeitet. Die Förderung von Selbstständigkeit<br />
mündete in eine Explorationsstudie zur<br />
Kompetenzdiagnostik in Schülerfirmen. Mit Stipendien<br />
des DAAD beteiligte sie sich an zwei Bildungsprojekten<br />
in Übersee. Durch berufsbegleitende<br />
Weiterbildungen erlangte Isabelle Penning<br />
eine ECTS-Zertifizierung als „Multiplikatorin für<br />
nachhaltige Schülerfirmen“ sowie ein Zertifikat im<br />
Rahmen der Ausbildung „Network for Teaching<br />
Entrepreneurship“. Isabelle Penning ist sehr an einem<br />
überregionalen Austausch zu Forschungen interessiert<br />
und freut sich über Kontakte zu anderen<br />
Instituten der Lehrerbildung.<br />
Kontakt: 3 isabelle.penning@tu-berlin.de<br />
Simone Maier ist Diplom-Designerin und gelernte<br />
Schneiderin. Sie leitet die Textilwerkstatt und ist<br />
zuständig für die Organisation und die Betreuung<br />
der Werkstatt (Maschinenwartung, Materialeinkauf,<br />
Beratung …) In den Grundkursen vermittelt sie den<br />
Studenten Kenntnisse im Nähen und Bügeln sowie<br />
der kreativen Gestaltung von textilen Gegenständen<br />
(Kleidung, Taschen, Federmäppchen, Kopfkissen, T-<br />
Shirts …). Dabei wird neben der normalen Nähmaschine<br />
auch der Umgang mit der Overlockmaschine<br />
(z.B. Nähen von T-Shirts) sowie der Gebrauch einer<br />
computergesteuerten Stickmaschine erklärt und geübt.<br />
Sie vermittelt Kenntnisse in der Materialkunde<br />
sowie Fertigkeiten im Umgang mit Schnittmustern<br />
und einfacher Schnittkonstruktion. In der Projektarbeit<br />
arbeitet sie intensiv mit den Studenten zusammen<br />
und unterstützt diese bei der Realisation ihrer Ideen.<br />
Kontakt: 3 simone.maier@tu-berlin.de<br />
Heike Sick ist seit dem 1. Mai 2011 halbtags als<br />
Verwaltungsangestellte im Institut für Berufliche<br />
Bildung und Arbeitslehre tätig. Sie arbeitet dort im<br />
Sekretariat des Fachgebiets Fachdidaktik Arbeitslehre.<br />
Kontakt: 3 heike.sick@tu-berlin.de<br />
85<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Berlin: Aus der zweiten Phase<br />
Im Forum Arbeitslehre stellen wir Personen vor, die das Bild<br />
des Faches in Berlin wesentlich prägen. Heute porträtieren wir<br />
Doro Schultz, die neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin an<br />
der Bertolt-Brecht-Oberschule weitere Aufgaben für das Fach<br />
übernommen hat.<br />
Redaktion<br />
Wie war dein beruflicher Werdegang – bist du ein<br />
„Quereinsteiger“?<br />
Nach meinem 1. Staatsexamen habe ich zunächst<br />
weiter an der TU-Berlin studiert. Am Ende des Sozialpädagogikstudiums<br />
habe ich vier Jahre jeweils vier<br />
Monate in Nord-Norwegen im „Nyksund-Projekt“<br />
mitgearbeitet: „Aufbau eines nordnorwegischen Fischerdorfes<br />
mit arbeitslosen Jugendlichen“. In den<br />
Wintermonaten habe ich Studium und Lebensunterhalt<br />
für mich und meinen Sohn durch Taxi fahren<br />
finanziert. Als mein Sohn schulpflichtig wurde, sind<br />
wir „sesshaft“ geworden. Ich habe einen eigenen<br />
Taxibetrieb gegründet und die Geschäftsführung<br />
einer Berliner Taxizentrale übernommen. Während<br />
dieser fünf Jahre als Geschäftsführerin habe ich<br />
gemeinsam mit einer Münchener Softwarefirma ein<br />
Pflichtenheft für die mobilen Kreditkartenlesegeräte<br />
in Taxen entwickelt und die Geräte in die Taxen vermittelt<br />
– das Pflichtenheft gilt übrigens noch heute.<br />
1995 -2002 habe ich beim Caritasverband gearbeitet:<br />
Aufbau und Organisation des Durchreiseplatzes<br />
für Sinti und Roma und Einrichtung einer betreuenden<br />
Nachsorgeeinrichtung für ehemals Drogenabhängige.<br />
Seit 2004 bin ich mit dem 2. Staatsexamen zurück in<br />
der Schule.<br />
Welche Aufgaben erfüllst du mittlerweile neben<br />
deiner Tätigkeit als Lehrerin?<br />
Ich bin Fachseminarleiterin für das Fach WAT/AL<br />
beim Schulpraktischen Seminar Spandau, Fachaufsicht<br />
für das Fach bei der Senatsverwaltung und<br />
seit ein paar Tagen bin ich von der Senatsverwaltung<br />
beauftragt, die Gruppe der Fachseminarleiter<br />
zu koordinieren.<br />
Was reizt dich an der Aufgabe einer Seminarleiterin?<br />
Ich halte das gemeinsame Reflektieren über Unterricht<br />
für sehr anregend. Guter Unterricht und gute<br />
Schule entsteht in den Köpfen. Es ist mir wichtig,<br />
den Lehramtsanwärter/innen Handwerkszeug mitzugeben,<br />
sie aber auch in ihrer persönlichen Form<br />
wahrzunehmen und zu bestärken.<br />
Das Seminar ist das Scharnier zwischen Studium<br />
und Berufsausübung. Was wünschst du dir für<br />
eine bessere Verzahnung, also für eine bessere<br />
Ausbildung?<br />
Für Studenten sollte so früh wie möglich Praxiserfahrung<br />
in der Schule organisiert werden – wenn es<br />
geht im Tandemverfahren mit Fachseminaren bzw.<br />
Lehramtsanwärtern. Die Anforderungen an Unterrichtsplanung<br />
und -inhalte sollte noch mehr in das<br />
Studium integriert werden. Wir haben dazu eine<br />
Arbeitsgruppe der Modulbeauftragten des Studienganges<br />
im Institut für berufliche Bildung und Arbeitslehre<br />
der TU und den Fachseminarleiterinnen<br />
und Fachseminarleitern gebildet.<br />
Während meiner Zeit in der Fachaufsicht Arbeitslehre<br />
lag der Schwerpunkt der Arbeit in der<br />
berlinweiten Zusammenführung der schulischen<br />
Akteure der Arbeitslehre, um einen schnelleren<br />
86<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Informationsfluss zu sichern und die überschulische<br />
und überbezirkliche Fachdiskussion zu sichern.<br />
So wurde der vorletzte Rahmenlehrplan vor<br />
seiner endgültigen Formulierung breit diskutiert.<br />
Ebenso wichtig war die Rolle als Ansprechpartner<br />
für Eltern, Lehrer und Schulleitungen zu Fragen<br />
der Arbeitslehre und insbesondere zum Betriebspraktikum.<br />
Wie stellt sich heute die Tätigkeit dar?<br />
Hast du das Gefühl, dass du als Vertreterin des Faches<br />
in der Hierarchie wahrgenommen wirst?<br />
Du warst ja sehr lang für die Fachaufsicht tätig,<br />
dies führte natürlich zu einem Bekanntheitsgrad,<br />
der auch bis hin zu Eltern und einzelnen Lehrern<br />
reichte. Ich bin erst sehr kurz Fachaufsicht und<br />
mein Name war bis vor kurzem auf keiner Informationsseite<br />
zu lesen. Daher halte ich Informations- und<br />
Kommunikationsstörungen bisher nicht für ein hierarchisches<br />
Problem.<br />
Ich wäre aber froh, wenn es ein gut funktionierendes<br />
Netzwerk berlinweit geben würde – was im Moment<br />
nur bedingt der Fall ist.<br />
Welche Rolle hast du bei dem jetzt vorliegenden<br />
Rahmenlehrplan WAT gespielt?<br />
Ich war zunächst an Diskussionsrunden von Senatsverwaltung<br />
und FachseminarleiterInnen beteiligt –<br />
vor der Veröffentlichung für die Doppeljahrgangsstufe<br />
7/8. Das war aber noch vor meiner Zeit als<br />
Fachaufsicht.<br />
Im zweiten Durchgang habe ich aktiv z.B. an der<br />
letzten Bearbeitung (Einarbeitung der Ergebnisse<br />
der Rückmeldungen) mitgearbeitet.<br />
Wie steht es mit der Bereitschaft der Schulen, Teilungsstunden<br />
für den Unterricht in der 7. Und 8.<br />
Jgst. zur Verfügung zu stellen, damit Werkstattarbeit<br />
möglich ist? Sollte es hierbei Defizite geben,<br />
wie könnte dem abgeholfen werden?<br />
Es gibt viele Schulen, die zunächst Teilungen für<br />
Werkstattarbeit bereitgestellt haben. Die meisten<br />
Schulen, mit denen ich gesprochen habe, betonen<br />
aber, dass dies nur aus den Poolstunden auf Dauer<br />
nicht möglich sein könnte. Es wäre wünschenswert,<br />
wenn es obligatorisch für die praxisorientierten<br />
Module Teilungsstunden geben würde.<br />
Sehr vielen Schulen fehlt Fachpersonal – es werden<br />
gerade für das Fach WAT viel zu wenig Lehrer<br />
ausgebildet.<br />
An den ISS sind die Werkstätten zwar vielfach vorhanden,<br />
aber häufig sind sie nur für eine Schülerzahl<br />
von max. 10 Schüler eingerichtet. Da ist selbst<br />
mit einer halben Gruppe einer ISS-Klasse kaum<br />
praktischer Unterricht möglich.<br />
Wenn es schon keine überschulische, überbezirkliche<br />
Diskussion des Rahmenlehrplans vor<br />
seiner Einsetzung gegeben hat, sollte dann nicht<br />
wenigstens eine neutrale, begleitende Evaluation<br />
stattfinden? Wie steht es mit der Selbstevaluation,<br />
zu denen die Fächer verpflichtet sind?<br />
Die Fragen für das Selbstevaluationsportal der<br />
Schulen für das Fach WAT werden gerade entwickelt.<br />
Bestimmte Integrierte Sekundarschulen halten<br />
einem Teil ihrer Schüler den WAT-Unterricht im<br />
Pflichtbereich vor. Kann es sein, dass der Begriff<br />
„Arbeitslehre“ nicht ein Imageproblem hatte,<br />
sondern dass eine Anzahl von Schulleitungen<br />
dieses Fach, egal wie es heißt, als ein Fach für<br />
die minderbegabten Schülerinnen und Schüler<br />
definiert?<br />
Das halte ich leider für möglich.<br />
Wie kann dieser Einstellung entgegnet werden?<br />
Wie kann die bezirkliche Vereinzelung der schulischen<br />
Akteure behoben werden?<br />
87<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Ich denke, dass es wichtig ist, an allen Stellen der<br />
Schullandschaft, in der Ausbildung, den Seminaren,<br />
auf Konferenzen etc. für dieses „duale“ Fach zu<br />
werben und seine Bedeutung auch für Gymnasiasten<br />
hervorzuheben.<br />
Für einen Außenstehenden erscheint es etwas<br />
merkwürdig, dass die Multiplikatoren für Duales<br />
Lernen von einer Art „Stabsstelle“ außerhalb der<br />
Senatsschulverwaltung geführt werden. Siehst du<br />
mögliche Synergieeffekte bei einer anderen Anbindung?<br />
Ein Problem sehe ich eher darin, dass die Multiplikatoren<br />
zum Teil WAT-fachfremd eingesetzt wurden<br />
und diese sich daher mit das Duale Lernen betreffenden<br />
Inhalten wenig auskennen.<br />
Gleichzeitig mit dem Einsetzen der Multiplikatoren<br />
für das Duale Lernen wurden Fachmultiplikatoren<br />
entpflichtet, was ich für nicht hilfreich halte. Gerade<br />
vor dem Hintergrund der fachlichen Veränderungen<br />
und der Vernetzung von Informationen, z.B. Fortbildungsangeboten,<br />
sollten fachlich ausgebildete Berater<br />
zur Verfügung stehen.<br />
Die Anbindung der „Stabsstelle“ ist nicht das Problem<br />
– bisher ist die Kommunikation noch etwas<br />
lückenhaft, aber ich bin zuversichtlich, dass wir da<br />
auf einem guten Weg sind.<br />
Ein großes Problem stellt die große Zahl der Lehrkräfte<br />
dar, die fachfremd im Bereich WAT/Arbeitslehre<br />
eingesetzt wird und für die eigentlich ein<br />
breites Fortbildungsangebot zur Verfügung stehen<br />
müsste. Der Erwerb des Sicherheitsscheins reicht<br />
selbstverständlich nicht aus. Welche vorhandenen<br />
Strukturen könnten genutzt werden?<br />
Lisum, TU, Fachmultiplikatoren, Multiplikatoren<br />
für Duales Lernen – nur müssten all diese Institutionen<br />
sinnvoll zusammengeführt werden.<br />
An den meisten ehemaligen Gesamtschulen gibt<br />
es noch Werkstattmeister, so dass dort in der Regel<br />
Maschinen und Geräte im gebrauchsfähigen Zustand<br />
vorhanden sind. Die Kolleginnen und Kollegen<br />
an den anderen ISS sind zumeist auf sich<br />
selbst gestellt. Wie könnte dem entgegen gewirkt<br />
werden?<br />
Ich würde es hilfreich finden, wenn es für Bezirke<br />
zuständige Werkstattmeister gäbe, die mobil für<br />
mehrere Schulen ansprechbar und unterstützend tätig<br />
sein könnten. Bei meinen Besuchen in den ISS<br />
habe ich gesehen, dass je nach individuellen Fähigkeiten<br />
der einzelnen Kolleginnen und Kollegen<br />
die Maschinen nutzbar waren oder nicht. Das kann<br />
nicht das Ziel sein. Es leiden Unterrichtsinhalte und<br />
die Ausbildung in den Fertigungstechniken, wenn<br />
die Ausstattungen der Werkstätten nicht gepflegt<br />
werden.<br />
Du hast dich im letzten Jahr entschlossen, an die<br />
Bertolt-Brecht-Oberschule zu wechseln. Hat sich<br />
diese Entscheidung auf deine Seminargruppe ausgewirkt?<br />
Ja, in zweierlei Hinsicht: Ich versuche in jedem<br />
Halbjahr eine Sequenz von zwei Seminarsitzungen<br />
zu nutzen, um in unterschiedlichen Werkstätten Projekte<br />
praktisch durchzuführen. In diesem Halbjahr<br />
habe ich sowohl die großzügige Unterstützung des<br />
Werkstattmeisters als auch die gute Ausstattung der<br />
Werkstätten sehr genossen.<br />
Zweitens war der Austausch innerhalb des Seminars<br />
zu Beginn des Halbjahres über neue Schüler, neue<br />
Räume und schulinterne Curricula auch von meiner<br />
Seite natürlich hochaktuell.<br />
Doro, ich danke dir für das Gespräch.<br />
Die Fragen stellte Detmar Grammel.<br />
88<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Verabschiedung von Maria Jägermeyr<br />
Liebe Maria,<br />
es war wirklich ein sehr fröhlicher Abend mit dir<br />
– so ganz gelassen deinen Abschied gemeinsam zu<br />
feiern.<br />
Sicher hast du auch mit Anderen Revue passieren<br />
lassen, was dein Arbeitsleben so ausgemacht hat,<br />
was dir wichtig war – aber mit uns, den Kolleginnen<br />
und Kollegen FachseminarleiterInnen jedenfalls<br />
hast du einen Bereich geteilt, der dir wichtig<br />
war – das durften wir spüren.<br />
Alle, die wir dort mit dir saßen, sind später als du<br />
zu dieser Aufgabe gekommen, bei allen hattest du<br />
„ein Wort mit zu reden“ beim Einstieg. Du hast uns<br />
teilhaben lassen an deinem Engagement und deinen<br />
Erfahrungen.<br />
Auch in dieser Arbeitsgruppe galt: „Keine Theorie<br />
ohne Praxis – keine Praxis ohne Theorie“. Vielen<br />
Dank dafür!<br />
Wir wünschen dir einen wunderbaren Einstieg in die<br />
neue Zeit – wir werden uns sicher weiter begegnen!<br />
Alles Gute,<br />
deine Fachseminarkolleginnen und -kollegen<br />
WAT/AL<br />
Liebe Maria,<br />
gibt es ein Leben nach der Arbeitslehre? Das mag<br />
man sich bei deinem Engagement der letzten Jahre<br />
für unser Fach fragen. Immerhin warst du über<br />
20 Jahre Fachseminarleiterin<br />
für unser Fach,<br />
hast Generationen von<br />
Referendaren und Lehramtsanwärtern<br />
ausgebildet,<br />
hast als Vorsitzende<br />
der Gesellschaft für Arbeitslehre<br />
Berlin gewirkt<br />
und in verschiedenen<br />
Rahmenplankommissionen<br />
gearbeitet und dich<br />
so beispielhaft für unser<br />
Fach engagiert. Nun gehst du in den wohlverdienten<br />
Ruhestand und wir sind sicher, dass die Arbeitslehre<br />
nicht aus deinem Leben gestrichen wird. Wir wünschen<br />
dir einen guten Übergang in eine etwas ruhigere<br />
Lebensphase und hoffen, dass der eine oder<br />
andere fachliche Rat uns auch künftig nicht versagt<br />
bleiben wird.<br />
Die Gesellschaft für Arbeitslehre und die GATWU<br />
wünschen dir nur das Beste.<br />
Manfred Triebe<br />
(Vorsitzender)<br />
Dummwörter aufgespießt<br />
Weil der neue Flughafen nicht termingerecht fertig<br />
wird, fordern „Airlines“ Schadenersatz. Warum heißen<br />
Fluggesellschaften nicht weiterhin so, warum<br />
heißen sie in allen Medien Airlines?<br />
Weil die dümmlichen Anglizismen auf dem Vormarsch<br />
sind. Da kann man einem Berliner Kneipenwirt,<br />
der am Landwehrkanal Bier zapft, nicht<br />
böse sein, wenn er seinen Laden „Event location mit<br />
strandfeeling“ nennt.<br />
AIRLINES<br />
89<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
SpechtSpäne<br />
Auf dieser Heftseite finden sie in jeder<br />
Ausgabe unserer Zeitschrift die SpechtSpäne.<br />
Bitte nicht wegfegen, sondern lesen.<br />
Der Arbeitslehrespecht ist seit vielen Jahren unser<br />
Wappentier. Er steht für das Bohren dicker Bretter.<br />
Schafft die Fächer ab! 1<br />
Eine gewisse Aufregung in den lokalen Medien<br />
würde die Entscheidung eines Berliner Schulleiters<br />
verursachen, das Fach Mathematik abzuschaffen<br />
und durch Gartenpflege zu ersetzen. Der Schulleiter<br />
soll sich auf die Abschaffung von Arbeitslehre/<br />
WAT durch andere Schulleiter berufen und die von<br />
der Schulverwaltung erteilte Absolution.<br />
Außerdem konnte er geltend machen, dass viele<br />
Bürger nach 12 bis 13 Jahren Mathematikunterricht<br />
kaum rechnen können. Ganz zu schweigen von dem<br />
Gejammer der Mathematik-Ordinarien an den Universitäten<br />
über die nicht vorhandenen Mathematikkenntnisse<br />
der Studienanfänger. Jüngstes Beispiel:<br />
der Mathematik-Mogul an der Humboldt Universität.<br />
Schulleiter messen das Leben an der eigenen Biografie.<br />
Der Mathematikabschaffer (Fakultas Geschichte<br />
und Religion) merkt natürlich, dass er bei seinen<br />
Alltagsgeschäften Mathematik nicht braucht. Auch<br />
der Arbeitslehreabschaffer (AA) vermisst nicht die<br />
Vorbereitung auf Erwerbsarbeit und Hausarbeit. Auf<br />
einem warmen Beamtenplätzchen brauchte er niemals<br />
den Schritt ins Arbeitsmarktgetümmel zu tun.<br />
Und seine brave Ehefrau hält ihm die Mühsal der<br />
Hausarbeit vom Leibe.<br />
Was lernt uns das? Die Abschaffung eines Schulfaches<br />
Arbeitslehre/WAT, das nicht ohne Grund im<br />
Pflichtkanon der Unterrichtsfächer festgeschrieben<br />
zu sein schien, ist ein Verbrechen an jungen Menschen.<br />
Für die Existenzsicherung in einer Zeit, wo Berufslaufbahnen<br />
Krisen erleben, wo Hausarbeit immer<br />
verantwortungsvoller wird und Konsumentscheidungen<br />
eigentlich ein Studium erfordern, schafft nur<br />
ein Ignorant Arbeitslehre/WAT ab.<br />
Um noch mal auf den Verdacht des Verbrechens zurück<br />
zu kommen: Das Gewaltmonopol des Staates<br />
könnte es verhindern. Dazu müsste der Staat nicht<br />
nur um die Finanzierung der Schulen feilschen, er<br />
müsste die Steuerungskraft für die Inhalte der Schule<br />
aufbringen. Eine Pseudoliberalisierung schafft<br />
keine Bildungsgerechtigkeit.<br />
1<br />
Ende des 20.Jahrh. wurden Parolen laut: „schafft die Schule ab“ und<br />
das „Ende der Erziehung“ wurde angeblich eingeläutet. Ausführlich hierzu:<br />
Jürgen Oelkers/Thomas Lehmann: Antipädagogik, Weinheim Basel 1990<br />
90<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Redaktion<br />
Thema des nächsten Heftes: Testen in der Arbeitslehre<br />
Arbeitslehre verhilft jungen Menschen zu einer<br />
Orientierung bei der Bewältigung von Hausarbeit.<br />
Diese wird zunehmend anspruchsvoller. Erwerbsarbeit<br />
ist das komplementäre didaktische Aufgabenfeld.<br />
Berufsorientierung in Zusammenarbeit mit der<br />
Arbeitsagentur ist eine Untermenge der voraus liegenden<br />
Orientierung über Erwerbsarbeit. Wer nicht<br />
Grundzüge des Arbeitens unter rationalen Zielvorgaben<br />
eingeübt hat, kann schwerlich einen Beruf<br />
wählen.<br />
Im Lehramtsstudiengang Arbeitslehre an der TU<br />
Berlin gibt es zwei Angebotsprofile, Wirtschaft/<br />
Nachhaltiger Konsum und Technik. Früher waren<br />
das zwei diskrete Studiengänge. Jetzt wächst beides<br />
zusammen, denn der Mensch ist Konsument und<br />
Produzent in einem, das Wirtschaftssystem wird von<br />
Technik maßgeblich beeinflusst und Technik ist kein<br />
Selbstzweck, sondern ökonomisch determiniert.<br />
Noch immer werden nicht alle „Schnittmengen“<br />
zwischen Wirtschaft und Technik didaktisch aufbereitet.<br />
Eine große Chance bietet der von Schülern<br />
durchgeführte Warentest. Junge Konsumenten sind<br />
nicht immer urteilsfähig, was die Qualität eines<br />
Konsumgutes angeht, Modetrends und Gewohnheitskäufe<br />
sind mächtige Kaufmotive. Wer selber<br />
ein Konsumgut systematisch getestet hat, wird kritischer<br />
und bedient sich gezielt der angebotenen professionellen<br />
Testberichte.<br />
Die Stiftung Warentest führt einen Wettbewerb „Jugend<br />
testet“ durch, der leider in den Schulen wenig<br />
bekannt ist. Die Ansprechpartner in den Schulen<br />
sind die Fachlehrer für Arbeitslehre. Was liegt näher<br />
als in diesem Fach, das neuerdings eine unglückliche<br />
Namensänderung hinnehmen musste, Fragen an<br />
die Qualität von Konsumgütern zu entwickeln: Wie<br />
steht es mit Langlebigkeit, Ressourcenschonung,<br />
Recycelbarkeit, Bedienerfreundlichkeit, Reparaturanfälligkeit,<br />
Preis/Leistungsverhältnis? Antworten<br />
findet man beim Testen in den vorhandenen Werkstätten.<br />
Es ist klar, dass keine teuren Konsumgüter<br />
wie Fernseher oder Waschmaschinen getestet werden<br />
können und zerstörende Prüfmethoden kommen<br />
ohnehin nur bei Niedrigpreisprodukten infrage.<br />
Wir freuen uns auf Beiträge unserer Leser, die<br />
bitte an die Redaktion bis zum 15. März 2013 gerichtet<br />
werden können.<br />
Gesellschaft für Arbeitslehre Berlin<br />
Einladung zum Arbeitslehre-Stammtisch<br />
Am letzten Montag des Monats (außer in den Schulferien) in der Phoenix Lounge<br />
Kyffhäuserstraße 14 / 10781 Berlin-Schöneberg / 5 Minuten Fußweg vom<br />
U-Bahnhof Eisenacher Straße entfernt!<br />
91<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Autorenverzeichnis<br />
Diedering, Mira<br />
Eisen, Günter<br />
Grammel, Detmar<br />
Günther, Jürgen<br />
Hoge, Reinhold<br />
Hornig, Marcus<br />
Iwert, Felix<br />
Prof. Kledzik, Ulrich-J.<br />
Koch, Katharina<br />
Laub, Matthias<br />
Ludwig, Bernd<br />
Maier, Simone<br />
Dr. Reuel, Günter<br />
Seibel, Wilfried<br />
Triebe, Manfred<br />
Dr. Wulfers, Wilfried<br />
Studentin am IBBA der TU Berlin<br />
Studienrat im Hochschuldienst am IBBA der TU Berlin<br />
Gesamtschulrektor i.R., Lehrbeauftragter am IBBA der TU Berlin<br />
tandem BQG, Projektleiter der „Koordinierungsstelle Berufseinstieg<br />
durch Inklusion“ (KoBI), www.kobi-berlin.de<br />
Sekundarschulrektor, Fachbereichsleiter Arbeitslehre,<br />
Hermann-von-Helmholtz-Schule (Neukölln)<br />
Sekundarschulrektor, Fachbereichsleiter Arbeitslehre,<br />
Bertolt-Brecht-Oberschule (Spandau)<br />
Student am IBBA der TU Berlin<br />
Leitender Oberschulrat i.R.<br />
Werkstattleiterin Holzwerkstatt am IBBA der TU Berlin<br />
Sekundarschulrektor, Fachbereichsleiter Arbeitslehre,<br />
B.-Traven-Oberschule (Spandau)<br />
Arbeitslehrelehrer, B.-Traven-Oberschule (Spandau)<br />
Werkstattleiterin Textilwerkstatt am IBBA<br />
Wissenschaftlicher Direktor i.R.<br />
Pädagoge, Präventionsabteil der Unfallkasse Berlin<br />
1. Vors. der GATWU<br />
Fachleiter i.R.<br />
92<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
Redaktion:<br />
Lektorat:<br />
Anzeigen:<br />
Layout und Titelbild:<br />
Druck:<br />
Versand:<br />
Presserechtlich verantwortlich:<br />
Gesellschaft für Arbeit, Technik, Wirtschaft im Unterricht (GATWU)<br />
Detmar Grammel, Günter Reuel, Wilfried Wulfers<br />
Detmar Grammel<br />
Birgit Ziervogel<br />
Jan Schmitt, Gestalterhalle Berlin<br />
Peter Kurz / Druckerei Sonnenbogen / Lindenstr. 36 . 16727 Marwitz<br />
Claudia Just<br />
Dr. Günter Reuel<br />
ISSN: 1867-5174<br />
Beiträge bitte richten an:<br />
Detmar Grammel<br />
oder Günter Reuel<br />
e detmar.grammel@gmail.com<br />
e greuli@t-online.de<br />
Sehr große Dateien bitte auf einem Speichermedium zuschicken (Adresse mit Mail erfragen).<br />
Texte bitte als .doc-, .rtf- oder .txt-Dateien ohne Formatierungen senden. Bilder sollten nicht in den Text integriert<br />
werden, sondern als eigenständige Dateien (*.jpg, *.tif ) mitgeliefert werden.<br />
Vorsitzender<br />
der GATWU:<br />
Schatzmeisterin<br />
der GATWU:<br />
URL GATWU:<br />
URL Gesellschaft für<br />
Arbeitslehre Berlin:<br />
Manfred Triebe<br />
Dr. Simone Knab<br />
TU Berlin, Fakultät I, Inst.<br />
f. Berufliche Bildung<br />
und Arbeitslehre,<br />
Sekr. FR 0-1;<br />
Franklinstr. 28-29<br />
10587 Berlin<br />
e www.gatwu.de<br />
e www.Arbeitslehre-Berlin.de<br />
Das Institut zieht um – neue Anschrift<br />
voraussichtlich ab Dezember <strong>2012</strong><br />
GATWU-Geschäftsstelle<br />
c/o Technische Universität Berlin<br />
Dr. Simone Knab, Sekr. MAR 1-1<br />
Marchstraße 23<br />
10587 Berlin<br />
Tel.: 030 – 31 47 33 85<br />
93<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>
An die<br />
GATWU-Geschäftsführung<br />
Dr. Simone Knab<br />
Ostpreußendamm 65<br />
12207 Berlin<br />
Beitrittserklärung<br />
Name:<br />
Amtsbez./Titel:<br />
Anschrift (privat)<br />
Straße:<br />
PLZ:<br />
Telefon privat:<br />
E-Mail:<br />
Beschäftigungsstelle:<br />
Vorname:<br />
Ort:<br />
Telefon dienstl:<br />
Ich erkläre meinen Eintritt in die GATWU (Gesellschaft für Arbeit, Technik und Wirtschaft im Unterricht<br />
e.V.) und erkenne die Satzung an. Ich zahle meinen Beitrag, dessen Höhe von der Mitgliederversammlung<br />
festgesetzt wird, im Abbuchungsverfahren. Austrittserklärungen sind zum Jahresende möglich.<br />
Einzugsermächtigung<br />
Ich ermächtige die GATWU widerruflich, den Jahresbeitrag von z.Z.<br />
□ 40,00 Euro<br />
□ 15,00 Euro für Studierende und ReferendarInnen (bitte jährlich, bis spätestens 30.05. des laufenden<br />
Kalenderjahres Anspruch auf reduzierten Beitrag nachweisen)<br />
zu Lasten meines Kontos<br />
Kontonummer:<br />
Bankleitzahl:<br />
Geldinstitut:<br />
Ort:<br />
mittels Lastschrift einzuziehen. Wenn mein Konto die erforderliche Deckung nicht aufweist, besteht seitens<br />
des kontoführenden Instituts keine Verpflichtung zur Einlösung.<br />
Ort/Datum<br />
Unterschrift