2/2012
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Editorial<br />
Liebe Leser,<br />
bei der Einführung der Arbeitslehre als neues Unterrichtsfach<br />
an den Hauptschulen Ende der 60er Jahre<br />
war klar, dass gut ausgestattete Werkstätten in den<br />
Schulen praktisch eine unabdingbare Voraussetzung<br />
waren. Unterricht in diesem Fach war ohne Werkstätten<br />
nicht vorstellbar. Loriot hätte gesagt: „Arbeitslehre<br />
ohne Werkstätten ist vielleicht möglich, aber sinnlos“.<br />
Entsprechend war der Werkstattunterricht in nahezu<br />
allen Rahmenplänen präsent. Der Berliner Rahmenplan<br />
formulierte es einmal so: „Arbeit als die Gestaltung<br />
unterschiedlicher Materialien und Werkstoffe<br />
unter Einsatz von Maschinen und Handwerkszeugen<br />
hat einen pädagogischen Wert, der nicht durch andere<br />
Unterrichtsformen substituierbar ist. Sie ist in vielerlei<br />
Hinsicht der Persönlichkeitsentwicklung eines Jugendlichen<br />
förderlich.“<br />
Den Höhepunkt einer gelungenen Werkstattausstattung<br />
erlebten die Berliner Gesamtschulen in den 70er<br />
Jahren. 13 Bildungszentren wurden mit technisch anspruchsvollen<br />
Maschinen und Geräten ausgestattet.<br />
Ein wesentlicher Teil des Unterrichts sollte in den<br />
schulischen Werkstätten stattfinden.<br />
Leider verließ die Bildungspolitiker im letzten Moment<br />
der Mut. Zwar waren die Gesamtschulen in den verschiedenen<br />
Sachfeldern hervorragend ausgestattet. Die<br />
Stundentafel für Arbeitslehre sah die Werkstätten faktisch<br />
aber nur für den Wahlpflichtunterricht vor, denn nur<br />
für diese Unterrichtszeit gab es Teilungsstunden. Werkstattstunden<br />
im ungeteilten Pflichtunterricht mit 27 – 30<br />
Schülerinnen waren nicht realisierbar, weder von der<br />
Raumgröße her, noch unter Sicherheitsaspekten.<br />
So wurde die Arbeitslehre im Pflichtunterricht für alle<br />
Schüler an den Gesamtschulen zum Tafel- und Kreidefach.<br />
Der Kern der Arbeitslehre, die Werkstattarbeit an<br />
Projekten, war nur für die Schülerinnen erlebbar, die Arbeitslehre<br />
als Wahlpflichtfach gewählt hatten. Durch diese<br />
Organisation standen die Wahlpflichtkurse Arbeitslehre<br />
in Konkurrenz zur 2. Fremdsprache, die zwingende<br />
Voraussetzung für das Abitur ist. Wer also Arbeitslehre<br />
wählte, entschied sich damit gewollt oder ungewollt gegen<br />
ein gradliniges Abitur. Diese Konstruktion hatte für<br />
die Zusammensetzung der Lerngruppen fatale Konsequenzen.<br />
Arbeitslehre bekam im Laufe der Jahre so den<br />
Ruf eines „Blaukittelfaches“. Es wurde Sammelbecken<br />
für diejenigen, die angeblich „nicht viel in der Birne hat-<br />
ten“ oder die durch den traditionellen Tafel- und Kreideunterricht<br />
vorgeblich nicht mehr motiviert werden<br />
konnten. Wer Arbeitslehre als Wahlpflichtfach wählte,<br />
erhielt zwar in den meisten Fällen einen qualifizierten<br />
Abschluss in der Sek I, machte aber in den seltensten<br />
Fällen Abitur, denn die Hürde dazu war groß, weil diese<br />
Schüler zwar eine Berechtigung zum Übergang in die<br />
gymnasiale Oberstufe hatten, allerdings mit dem Preis,<br />
die 2. Sprache in der E-Phase neu zu beginnen. Jeder,<br />
der sich mit Fremdsprachen lernen beschäftigt weiß: Je<br />
später man beginnt, desto schwieriger wird es.<br />
In der aktuellen Entwicklung gibt es ein Phänomen, das<br />
den klassischen Werkstattunterricht weiter entwertet.<br />
Googelt man den Begriff „Werkstattunterricht“, findet<br />
man auf den ersten Positionen einen Begriffswandel.<br />
Als Werkstätten werden zunehmend „normale“ Unterrichtsräume<br />
und ein Unterrichtsprinzip bezeichnet, das<br />
mit klassischen Werkstätten nicht mehr viel zu tun hat.<br />
Bei Wikipedia heißt es: „Mit dem Ausdruck Werkstattunterricht<br />
wird … eine Lern- und Lehrmethode bezeichnet,<br />
in der die Schüler anhand geeigneter Aufgabenstellungen<br />
und Reflexionsphasen innerhalb vorbereiteten<br />
Materials selbständig bestimmte Lernziele erreichen<br />
sollen“. Bei dieser Definition wird der kognitive Bereich<br />
betont, also Lesewerkstatt, Schreibwerkstatt, Mathematikwerkstatt<br />
oder allgemein Lernwerkstatt.<br />
Gegen Werkstätten dieser Art ist nichts einzuwenden,<br />
sie sind sogar eine echte Alternative zur Belehrung im<br />
traditionellen Sinne von Unterricht. Sie können aber die<br />
schulischen Arbeitslehrewerkstätten nicht ersetzen. Beide<br />
Konzepte gehören in eine Schule, die für sich in Anspruch<br />
nimmt, alle Schülerinnen mit all ihren Begabungen<br />
zu fördern. Dabei dürfen Arbeitslehrewerkstätten<br />
nicht dem Teil der Schüler vorbehalten bleiben, denen<br />
man gemeinhin nur eine sogenannte praktische Begabung<br />
zumisst. Man kann Kopf und Hand nicht folgenlos<br />
trennen. Was und auf welchem Niveau in Arbeitslehrewerkstätten<br />
geleistet werden kann, zeigen die Beispiele,<br />
die in diesem Forum präsentiert werden.<br />
Ihr<br />
(Vorsitzender GATWU)<br />
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Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>