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Zu 2.: Nach einer Umfrage des DIHK ging im Zeitraum<br />

2006 – 2011 der Anteil der Unternehmen, die<br />

über mangelnde Deutschkenntnisse der Bewerber<br />

klagten von 66 % auf 53 % kontinuierlich zurück.<br />

Ähnlich sank der Anteil der Jugendlichen mit Mängeln<br />

in den mathematischen Grundkenntnissen von<br />

53 % (2006) auf 48 % (2011) zurück. Klagen über<br />

Disziplinmängel und mangelnde Belastbarkeit haben<br />

im genannten Zeitraum dagegen zugenommen.<br />

Die Bundesagentur selber findet in eigenen Langzeituntersuchungen<br />

heraus, dass Problemlösefähigkeit,<br />

vernetztes und schlussfolgerndes Denken und<br />

die allgemeine Intelligenz in den letzten 20 Jahren<br />

zugenommen haben 4 . Alleine diese Beispiele zeigen,<br />

wie problematisch das Schlagwort von der<br />

mangelnden Ausbildungsfähigkeit ist.<br />

Hinzu kommen branchenmäßige Unterschiede in<br />

den Anforderungen und Besetzungsprobleme, die<br />

vordergründig gerne auf die mangelnde Ausbildungsfähigkeit<br />

der Bewerber zurückgeführt werden,<br />

tatsächlich aber Branchen betreffen, die „von den<br />

Jugendlichen als Ausbildungsbetriebe wenig nachgefragt<br />

werden, weil sie als körperlich belastend, zu<br />

wenig perspektivenreich, schlecht bezahlt und/oder<br />

von den Arbeitszeiten her unattraktiv erscheinen“.<br />

Hier sind vor allem das Hotel- und Gaststättengewerbe<br />

und die Baubranche betroffen. Unternehmen<br />

aus der IT-Branche, Banken und Versicherungen haben<br />

dagegen wenige Schwierigkeiten, ihre Ausbildungsplätze<br />

zu besetzen.<br />

Zu 3.: Der sogenannte nationale Pakt für Ausbildung<br />

und Fachkräftenachwuchs wurde 2004 von<br />

der Bundesregierung und den Spitzenverbänden<br />

der Deutschen Wirtschaft geschlossen, um jedem<br />

ausbildungswilligen und -fähigen Jugendlichen ein<br />

Ausbildungsangebot zu machen. Damit war impliziert,<br />

dass per Definition von vornherein nicht alle<br />

Jugendlichen in diesen Genuss kommen. Hat ein<br />

Jugendlicher Bewerber schließlich die Hürde ausbildungsfähig<br />

bzw. ausbildungsreif genommen, ist<br />

seine Übernahme in ein betriebliches Ausbildungsverhältnis<br />

im Dualen System allerdings noch lange<br />

nicht gesichert, denn es herrscht die im Berufsbildungsgesetz<br />

(BBiG) abgesicherte Vertragsfreiheit.<br />

Mit der Ausbildungsfähigkeit verhält es sich also<br />

ähnlich wie mit dem Berufswahlpass. Die „Lizenz“<br />

Ausbildungsfähigkeit berechtig die Jugendlichen<br />

nur, am betrieblichen Auswahlverfahren teilzunehmen.<br />

Die Wissenschaftler der Stiftung nennen das<br />

Etikett ausbildungsreif deshalb auch Mindestkonkurrenzteilnahmebescheinigung.<br />

Man fragt sich bei dem jetzt schon abzusehenden<br />

Fachkräftemangel, wie lange die Wirtschaft noch im<br />

Abnehmerstatus verharrt und von den allgemeinbildenden<br />

Schulen die Lieferung ausbildungsfähiger<br />

oder ausbildungsreifer Absolventen verlangen will.<br />

Im Jahre 2006 wurden mehr als 5 Mrd. € für die<br />

Finanzierung des Übergangssystems ausgegeben.<br />

Fachleute bezeichnen das System als ineffizient. Severing<br />

5 konstatierte in einem Vortrag in Hamburg<br />

2009: „Das Übergangssystem ist der expansivste<br />

Teil des Systems der beruflichen Bildung und zugleich<br />

sein am schlechtesten organisierter und ineffektivster<br />

Teil.“<br />

Fazit: Das Schlagwort „mangelnde Ausbildungsreife/Ausbildungsfähigkeit“<br />

ist weder wissenschaftlich,<br />

noch operationalisierbar. Es hilft weder<br />

der Wirtschaft, geeignete Fachkräfte zu gewinnen,<br />

noch den meisten Jugendlichen, irgendwann einen<br />

Ausbildungsplatz zu ergattern. Es verschleiert<br />

den tatsächlichen Hintergrund des prognostizierten<br />

Fachkräftemangels: die zu wenigen Ausbildungsplätze.<br />

Es stigmatisiert die Jugendlichen, die an den<br />

Anforderungen des Ausbildungssystems scheitern,<br />

ohne dem Mangel abzuhelfen. Würden die Milliardenkosten<br />

des Übergangssystems in die allgemeinbildende<br />

Schule gesteckt (Frequenzsenkungen,<br />

Berufsorientierung von der Grundschule an,<br />

Arbeitslehre als Pflichtfach für alle Schüler etc. etc)<br />

könnte die Zahl der Abgänger ohne Schulabschluss<br />

drastisch verringert werden.<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

Bundesagentur für Arbeit: Kriterienkatalog zur Ausbildungsreife, März 2009<br />

Schaub/Zenke: Wörterbuch der Pädagogik, DTV 2000<br />

Vergl. Dobischat u.a. S. 36<br />

Eckhart Severing: Übergänge mit System? Vortrag anlässlich einer<br />

Veranstaltung zum regionalen Übergangsmanagement in Hamburg am<br />

27. April 2009<br />

60<br />

Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>

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