2/2012
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Manfred Triebe<br />
Das Märchen von der fehlenden Ausbildungsfähigkeit<br />
„Generation kann nix“ war in der Welt online vor<br />
einiger Zeit zu lesen. „Werden unsere Jugendlichen<br />
immer dümmer?“ fragen die Medien, wenn Unternehmensverbände<br />
die mangelnde Ausbildungsfähigkeit<br />
der aktuellen Schulabgänger beklagen.<br />
Auch die Bundesregierung äußert sich im Berufsbildungsbericht<br />
2010 besorgt über die mangelnde<br />
Ausbildungsreife vieler Jugendlicher. Nach wie vor<br />
verließen zu viele die Schule ohne Abschluss. Jeder<br />
fünfte Ausbildungsvertrag (21,5 %) werde vorzeitig<br />
wieder gelöst.<br />
„Die Jugendlichen lieben heutzutage den Luxus. Sie<br />
haben schlechte Manieren und verachten die Autorität,<br />
haben keinen Respekt vor älteren Menschen und<br />
surfen mit ihrem I-Phone, wo sie arbeiten sollten.<br />
Sie stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer<br />
betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die<br />
Beine übereinander und tyrannisieren ihre Ausbilder.“<br />
Dieses nur geringfügig gekürzte und von mir<br />
aktualisierte Zitat wird Sokrates zugeschrieben.<br />
Ähnlich klingende Beurteilungen der jeweils heranwachsenden<br />
Generation finden sich bei den Römern,<br />
Martin Luther, im 19. Jahrhundert („Jugendliche<br />
zeigen ein fortwährendes Ansteigen der Ansprüche,<br />
aber kein wachsendes Gefühl für Verantwortlichkeit<br />
für redliche Erfüllung der Pflichten ...“) bis in unsere<br />
Tage.<br />
Man könnte die Klagen über die mangelnden Fähigkeiten<br />
unserer Jugendlichen als übliches Lamentieren<br />
der älteren Generation abtun und zur<br />
Tagesordnung übergehen. Allerdings ist diese Art<br />
von „Kampagnen“ selbst in einer Zeit eines sich<br />
abzeichnenden gravierenden Fachkräftemangels<br />
von interessierter Seite lanciert. Parallel dazu werden<br />
Unsummen ausgegeben, um durch ein staatlich<br />
organisiertes, aber überwiegend privat durchgeführtes<br />
Netz von unzähligen Bildungsträgern seit<br />
Jahren daran zu arbeiten, in einem sog. beruflichen<br />
Übergangssystem diesem vorgeblichen Mangel abzuhelfen<br />
- mit fraglichem Erfolg, wie einer Pressemitteilung<br />
des DIHK (Deutscher Industrie- und<br />
Handelskammertag) vom April 2011 zu entnehmen<br />
ist: „Zur Realität auf dem Ausbildungsmarkt gehört<br />
auch 2011, dass nach wie vor zu viele Jugendliche<br />
nicht ausbildungsfähig sind“.<br />
Was ist also dran an diesen Sprüchen? Und was ist<br />
eigentlich unter Ausbildungsfähigkeit oder Ausbildungsreife<br />
zu verstehen?<br />
Zunächst gibt es keine klare Abgrenzung der Begriffe<br />
„Ausbildungsfähigkeit“ und „Ausbildungsreife“.<br />
Sie werden oft synonym benutzt. Ich gehe deshalb<br />
davon aus, dass sie Gleiches oder Ähnliches meinen.<br />
Von der Hans-Böckler-Stiftung beauftragte Wissenschaftler<br />
haben in einer aktuellen Untersuchung den<br />
Hintergrund dieser in Zyklen ständig wiederkehrenden<br />
Debatte und den Begriff der Ausbildungsreife/<br />
Ausbildungsfähigkeit untersucht. Dabei förderten sie<br />
interessante Hintergründe zu Tage. Vier Fragestellungen<br />
waren der Rahmen für die Untersuchung 1 .<br />
Ich greife hier nur 3 heraus:<br />
1. Lässt sich das Konstrukt „Ausbildungsreife“ wissenschaftlich<br />
begründen?<br />
2. Welche Aussagen lassen sich auf Basis empirischer<br />
Studien zur „Ausbildungsreife“ der Jugendlichen<br />
treffen?<br />
3. Welche politische Funktion erfüllt die Debatte um<br />
„Ausbildungsreife“ und welche dahinter stehenden<br />
Probleme werden dadurch kaschiert?<br />
Zu 1.: Eine zentrale Aussage der Untersuchung<br />
heißt: „Die Ergebnisse machen ... deutlich, dass es<br />
sich bei dem Schlagwort Ausbildungsreife um einen<br />
äußerst diffusen … Begriff handelt, der sich einer<br />
wissenschaftlichen Untersuchung entzieht.“ Ähnliche<br />
Aussagen lesen wir bei anderen Autoren.<br />
Eine Definition von Ausbildungsfähigkeit findet<br />
sich im Wörterbuch der Pädagogik von Schaub/<br />
Zenke (DTV 2000.), ein Kriterienkatalog für die<br />
1<br />
Rolf Dobischat, Gertrud Kühnlein, Robert Schurgatz: Ausbildungsreife –<br />
ein umstrittener Begriff beim Übergang Jugendlicher in eine Berufsausbildung,<br />
Arbeitspapier 189 der Hans Böckler Stiftung, Düsseldorf, Mai <strong>2012</strong><br />
58<br />
Forum Arbeitslehre 9 Arbeitslehre Werkstätten Nov <strong>2012</strong>