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Auftrag_277_150dpi.pdf - Gemeinschaft Katholischer Soldaten

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SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK<br />

beratende und überwachende Funktion<br />

zubilligen. Er plädierte für die<br />

Meinungs- und Religionsfreiheit, einschließlich<br />

der Freiheit, die Religion<br />

zu wechseln. Die Menschenrechte<br />

müssten Grundlage jeder Rechtsordnung<br />

sein. Auch die iranische Frauenbewegung,<br />

die die rechtliche Gleichstellung<br />

der Frauen fordert, konnte<br />

sich auf die Rechtsauslegung Montazeris<br />

berufen.<br />

Nach dessen Tod ist der Großayatollah<br />

Jussuf Sanei zum wichtigsten<br />

Verbündeten der iranischen Opposition<br />

in der klerikalen Hierarchie<br />

geworden. Dieser sagte einmal, die<br />

Islamische Republik sei vom Islam<br />

so weit entfernt wie der Mond von der<br />

Erde. Schon am Tage nach Montazeris<br />

Beisetzung rotteten sich tausend<br />

regimetreue Bassidsch-Milizionäre<br />

vor seinem Haus in Ghom zusammen,<br />

verprügelten seine Mitarbeiter<br />

und hängten Plakate des Geistlichen<br />

Führers Ali Chamenei auf. Der<br />

72-jährige Sanei hat bisher nicht das<br />

Prestige Montazeris, der zu den Mitbegründern<br />

des Gottesstaates gehörte.<br />

In der Politik war Sanei nur einmal<br />

aktiv, als Chomeini seinen Schüler<br />

zum Mitglied des Wächterrates, des<br />

geistlichen Verfassungsgerichtes, ernannte.<br />

Acht Jahre später verließ er<br />

dieses Amt und war wieder wie vorher<br />

Theologe in Ghom. Er gehört zur Elite<br />

der eineinhalb Dutzend Groß-Ayatollahs<br />

der schiitischen Welt, die für ihre<br />

Anhänger „Quelle der Nachahmung“<br />

sind. Seine Entscheidungen (Fatwas)<br />

sind für viele Gläubige verbindlich.<br />

Gerade weil Sanei nicht politisch tätig<br />

ist, hat seine Haltung ein moralisches<br />

Gewicht, das dem Regime zum<br />

Ärgernis wird. Zur Wiederwahl Präsident<br />

Ahmadinedschads betonte Sanei,<br />

dieser sei nicht legitimer Staatschef<br />

und es sei unrechtmäßig, mit seiner<br />

Regierung zusammenzuarbeiten. Als<br />

Protestierende verhaftet und misshandelt<br />

wurden, sagte der Ayatollah,<br />

Geständnisse im Gefängnis seien ungültig<br />

und wer sich ihrer bediene, begehe<br />

eine schwere Sünde. „Mit Terror,<br />

Töten, Folter und Einkerkerung lässt<br />

sich die Lage im Land nicht ändern“,<br />

warnte er nach Montazeris Beisetzung.<br />

Alles Radikale widerstrebt dem<br />

Ayatollah. Selbstmordanschläge verurteilt<br />

er als Terrorismus, den der<br />

Glaube verbiete. Atomwaffen töten<br />

nach seiner Definition unschuldige<br />

Menschen, weshalb der Islam den<br />

Besitz nuklearer Waffen untersagt.<br />

Sanei vertritt die These, Frauen seien<br />

im Islam völlig gleichberechtigt.<br />

Entgegen der Praxis in der Islamischen<br />

Republik kann eine Frau seiner<br />

Ansicht nach auch Richter oder<br />

Staatschef werden. Als Bester seines<br />

Studienjahrgangs in Ghom wurde der<br />

gebürtige Isfahaner bereits mit 25 Jahren<br />

Hodschat-ul-Islam, ein Rang, den<br />

Größen wie Expräsident Rafsandschani<br />

nie erreichten.<br />

Ahmadinedschad kommt die gewisse<br />

Ratlosigkeit der Opposition<br />

nicht zugute. Im Parlament hat er<br />

große Schwierigkeiten, denn konservative<br />

Widersacher fordern eine Untersuchung<br />

über Milliarden, die aus<br />

seinem Budget verschwunden sind.<br />

Vielfach werden die Gehälter nicht<br />

gezahlt. Täglich steigen die Preise<br />

und die Unzufriedenheit.<br />

Die gravierendste Folge der Ausschaltung<br />

der Opposition ist eine<br />

Spaltung der Gesellschaft. Jeder, der<br />

sich intellektuell oder materiell leisten<br />

kann, wendet sich vom Regime<br />

ab. In den Kollektivtaxis in Teheran<br />

wird vom „Umsturz“ phantasiert – ein<br />

Wort, das noch vor Monaten niemand<br />

gebraucht hätte. Die Oppositionsbewegung<br />

wird ihre Arbeit fortsetzen<br />

und ist bereit, einen hohen Preis dafür<br />

zu bezahlen. Weder das brutale<br />

Eingreifen auf der Straße, noch gut<br />

inszenierte Fernseh-Zeremonien können<br />

verschleiern, dass die Herrscherclique<br />

in einer tiefen Krise steckt und<br />

kaum noch Vertrauen bei der Bevölkerung<br />

genießt. Die Proteste reißen<br />

nicht ab, die die Herrschenden immer<br />

wieder mit harter Hand niederschlagen.<br />

Die Unruhen werden sich, so sieht<br />

es aus, nicht legen, auch wenn die Behörden<br />

ihre Machtmittel bis zum Äußersten<br />

einsetzen. Vielleicht können<br />

Polizei und Revolutionsgarden sie auf<br />

kurze Sicht eindämmen. Das löst aber<br />

nicht das Grundproblem: Die Gesellschaft<br />

ist jung und modern, sie hat<br />

die Nase gestrichen voll vom dumpfen<br />

Gestern. Die iranische Diktatur<br />

hat es auch mit Drohungen und Gewaltanwendung<br />

nicht geschafft, einer<br />

komplexen und wachsenden Gesellschaft<br />

von 71 Millionen Menschen,<br />

die Internet, Mobiltelefone, Satellitenschüsseln<br />

und Twitter nutzen, eine<br />

Maulkorb anzulegen.<br />

Man sollte sich hüten, das schnelle<br />

Ende des Mullahregimes mit seinen<br />

Revolutionswächtern vorauszusagen.<br />

Es stützt sich noch immer auf das Militär<br />

und auf die Polizei, doch Präsident<br />

Ahmadinedschad war noch nie so<br />

stark herausgefordert wie heute. Die<br />

Regierung steht unter Druck. Wenn<br />

sie zögert, den latenten Aufstand gewaltsam<br />

niederzuschlagen, dann nicht<br />

aus Zurückhaltung sondern aus Kalkül:<br />

Sie will sich ihrer Sache sicher<br />

sein und nicht noch mehr Märtyrer<br />

schaffen. Doch die Gefahr besteht in<br />

der zunehmenden Militarisierung des<br />

Regimes. Chamenei hat seine Macht<br />

schließlich auf den Machtzuwachs<br />

der Revolutionsgarden und der Milizen<br />

gegründet. Ist es schon zu spät,<br />

um die Regierung und die Opposition<br />

zu versöhnen? Dies erscheint tatsächlich<br />

immer schwieriger. Dazu müsste<br />

das geistliche Oberhaupt große Zugeständnisse<br />

machen. Ist er dazu noch<br />

in der Lage? Oder ist er nicht schon<br />

selbst Geisel der Geheimdienste und<br />

der fundamentalistischen Milizen, die<br />

er selbst geschaffen hat?<br />

Das iranische Regime hat längst<br />

die wenigen Garantien fallen gelassen,<br />

die die Verfassung des Landes mit<br />

den islamischen Geboten in Einklang<br />

zu bringen versuchte. Und es hat damit<br />

den vergeblichen Anspruch beiseite<br />

geschoben, die Menschen überzeugen<br />

zu wollen. Die Büchsenspanner<br />

der Theokratie terrorisieren und<br />

unterdrücken, sie versuchen verzweifelte<br />

Proteste im Keim zu ersticken.<br />

Sie haben Menschen erniedrigt – alles<br />

in der schlechten Tradition der Polizeistaaten.<br />

Die geistliche und weltliche<br />

Führung Irans geht in ihrem Akt<br />

der Machterhaltung noch weit brutaler<br />

vor als das von der Revolution im<br />

Jahr 1979 gestürzte Schah-Regime.<br />

Das Regime treibt die Re-Ideologisierung<br />

der Gesellschaft mit Hilfe<br />

der Bassidschi-Milizen voran. Die<br />

Milizangehörigen sind sich ihrer Bedeutung<br />

bewusst, stellen sie doch die<br />

Speerspitze dar einer Kampagne gegen<br />

das, was als schädlicher Einfluss<br />

des Westens gesehen wird. Der von<br />

Ayatollah Ali Chamenei geforderte<br />

„sanfte Kampf“ des Regimes beginnt<br />

jetzt schon bei den Schulanfängern.<br />

Um zukünftige Protestbewegungen<br />

20 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010

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