Auftrag_277_150dpi.pdf - Gemeinschaft Katholischer Soldaten
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KIRCHE UNTER SOLDATEN<br />
in die Schuld verschloss, kann nicht auf unser Verständnis<br />
zählen. Wenn wir die Diskussion suchen, den Dingen auf<br />
den Grund gehen, dann weil wir uns ohne dies den Blick<br />
auf die Zukunft verstellen.<br />
Der Aufstand des Gewissens, der zum 20. Juli führte,<br />
hatte bei vielen der Handelnden vielleicht keine demokratische<br />
Zielsetzung, sondern andere Motive. Er zeigt uns aber<br />
eindrucksvoll das mutige Einstehen auch von <strong>Soldaten</strong>, denen<br />
das Koordinatensystem der Werte auch in schwierigen<br />
Zeiten nicht verloren gegangen war. Diese Männer und Frauen<br />
traten ein für ein freies Deutschland, für einen Rechtsstaat,<br />
für Selbstbehauptung gegenüber Unterdrückung, für<br />
Würde und Anstand, für die Widerherstellung der Ehre einer<br />
Kulturnation, für ihr Vaterland und nicht zuletzt in vielen<br />
Fällen für ihre christliche Überzeugung und ihren Glauben.<br />
Die militärischen Führer unter ihnen hätten dies nicht tun<br />
können, wenn sie eine rein handwerkliche Vorstellung vom<br />
Wesen ihres Berufes gehabt hätten. Aber da war eben auch<br />
die Verpflichtung des Charakters, des Geistes und des im<br />
Glauben eingebundenen Gewissens.<br />
Was ist es, das Menschen die grundsätzliche Fähigkeit<br />
verleiht, zwischen gut und böse zu unterscheiden?<br />
Was gibt ihnen die Kraft, sich für das als richtig erkannte<br />
auch einzusetzen?<br />
Es gibt wohl kaum wichtigere Fragen, denen man im<br />
Leben begegnen kann. Und oft ist man darauf nicht oder<br />
nur unzureichend vorbereitet. Es geht nicht darum, immer<br />
gleich die passende Antwort parat zu haben, über quasi ein<br />
Nachschlagewerk für moralisch einwandfreies Handeln zu<br />
verfügen. Sondern es geht darum, letzte Verbindlichkeiten<br />
zu kennen, seinen Standort bestimmt zu haben und im Charakter<br />
gefestigt zu sein. Ethische Fragen sind Lebensfragen,<br />
denen wir nicht ausweichen können, zu denen wir Stellung<br />
beziehen müssen. Wir Mensch sind zum Leben in der <strong>Gemeinschaft</strong><br />
bestimmt. Gemeinsames Leben aber verlangt<br />
nach Gestaltung der Beziehungen untereinander, nach Regeln<br />
und nach einer Instanz, die die Einhaltung dieser Regeln<br />
garantiert und sich u.a. auch für den Schutz des Einzelnen<br />
und der <strong>Gemeinschaft</strong> verantwortlich fühlt. Leben<br />
zu schützen, u.a. indem ich den Frieden wahre, ist somit ein<br />
wesentlicher Zweck des Staates und politischen Handelns.<br />
Und dazu sind Instrumente, wie auch das Militär, unverzichtbar.<br />
Damit landen wir fast zwangsläufig in einem Dilemma,<br />
weil die Realität, Konflikte auch gewaltsam austragen<br />
können zu müssen, uns zwingt, Mittel bereit zu halten,<br />
an ihnen auszubilden und in der letzten Konsequenz auch<br />
anzuwenden, die dem Gebot der Bejahung und des Schutzes<br />
von Leben diametral entgegenstehen.<br />
Wo es um Ethik geht, geht es oft auch um eigentlich unlösbare<br />
Wertekonflikte, also Dilemmata. Das war besonders<br />
in Zeiten des auf nuklearer Abschreckung basierenden Kalten<br />
Krieges sehr deutlich. Ein nuklearer Krieg, mit dessen<br />
Drohung der Frieden gesichert werden sollte, hätte das Gebot<br />
des Schutzes von Leben in sein Gegenteil verkehrt. Es<br />
gab jedoch zu dieser Drohung keine akzeptable Alternative.<br />
Die Unmöglichkeit, ethische Ansprüche zuverlässig in<br />
jeder Situation in die Realität zu übertragen, gehört zum Wesen<br />
der Ethik. Hier liegt der Grund dafür, dass nach christlichem<br />
Verständnis der Mensch keine andere Wahl hat, als<br />
entweder durch Handeln oder durch Unterlassung schuldig<br />
zu werden. Das heißt natürlich nicht, dass wir wegen dieses<br />
Dilemmas die Ethik als Prinzip zur Disposition stellen<br />
und als Maßstab für verantwortliches Handeln aufgeben.<br />
Wie sonst sollte der Mensch auf die Frage: „Was soll ich<br />
tun?“ eine Antwort finden oder in seiner Selbstzerstörung<br />
gestoppt werden?<br />
Oder anders gefragt: „Wie kann ich das Leben anderer<br />
ermöglichen? Was kann ich tun? Wie kann ich am Aufbau<br />
und an der Umsetzung einer entsprechenden Ordnung mitwirken?<br />
Wie also kann ich Verantwortung übernehmen? “<br />
vor allem aber auch: „Wie kann ich Ziele und Mittel meines<br />
Handelns vor Gott, als der von mir erkannten höchsten<br />
Instanz, rechtfertigen?“<br />
Jeder von uns musste bzw. muss sich zwangsläufig irgendwann<br />
mit den Grundlagen unseres Berufes, mit seiner<br />
ethischen Legitimation auseinandersetzen. Wir sollen Leben<br />
schützen, dazu <strong>Soldaten</strong> einsetzen und führen, denen<br />
wir im Namen des Staates, dem wir dienen, die Ausübung<br />
von Gewalt zumuten. Wir verlangen von unseren <strong>Soldaten</strong><br />
sogar den Einsatz ihres Lebens. Wir verantworten also auch<br />
fremdes Leben, nicht nur unser eigenes. Aus dieser Pflicht<br />
gibt es keinen Ausweg, auch nicht den der Verweigerung<br />
oder Verdrängung. Diesem Dilemma können wir nicht entkommen.<br />
Es führt zwangsläufig in die Schuld.<br />
Wir Christen können uns glücklich schätzen, das uns<br />
eine Antwort in dieser Not gegeben ist: Nämlich die christliche<br />
Zusage der Erlösung aus der Schuldverstrickung, die<br />
Vergebung der Sünde. Wer wirklich konsequent zu Ende<br />
denkt, kommt immer an den Punkt, an dem letzte Antworten<br />
nicht mehr durch Menschen gegeben werden können.<br />
Nun, im Frieden hier in Deutschland, im täglichen<br />
Routinedienst belastet uns diese Verantwortung für fremdes<br />
Leben nicht so unmittelbar. Das ändert sich jedoch im<br />
gleichen Augenblick indem es zum Einsatz kommt, ja eigentlich<br />
schon, wenn wir uns auf ihn vorbereiten. Und wenn<br />
wir einmal in dieser Situation gewesen sind, lässt sie uns nie<br />
wieder los. Wir müssen darauf vorbereitet sein.<br />
Der Widerspruch zwischen ethischer Maßstabsetzung<br />
und realer Verantwortung, die Unvereinbarkeit von Anspruch<br />
und Wirklichkeit begegnen uns immer wieder, im Grossen<br />
wie im Kleinen. Wer dies erkennen und danach handeln<br />
will, darf sich vor allem nicht selbst in den Mittelpunkt stellen.<br />
Wer glaubwürdig sein will, muss zunächst einmal von<br />
seinem eigenen Handeln überzeugt sein. Wer Gefolgschaft<br />
einfordern will, muss selbst klaren Prinzipien folgen. Wer<br />
führen will, muss bereit sein sich selbst führen zu lassen.<br />
Diesen Anforderungen gerecht zu werden ist sehr schwer<br />
und besonders in Extremsituationen fast unmenschlich. Die<br />
Lebensbedingungen unserer materiell orientierten Konsumgesellschaft<br />
machen es nicht gerade leichter. Da ist wenig<br />
Platz für Charakterbildung. Das Klima wird hauptsächlich<br />
durch Konsum und Genuss, Reizüberflutung, Vorteilsdenken,<br />
Distanz zu gemeinschaftlichem Denken und Handeln,<br />
Verneinung von Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Dienen,<br />
Pflichtbewusstsein, Disziplin usw. geprägt. Es herrschen<br />
oft ethische Gleichgültigkeit und Doppelmoral. Und doch<br />
sollen, ja müssen wir uns behaupten.<br />
Auch die intellektuellen Verführungen sind vielfältig:<br />
Ideologien, Propaganda, Gutmenschentum, Realitätsverwei-<br />
62 AUFTRAG <strong>277</strong> • MÄRZ 2010