Unser GOCH
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PERSÖNLICH<br />
Alte Sitten und Gebräuche in Goch<br />
Der Experte für die Gocher Geschichte, Stadtarchivar Hans-Joachim Koepp,<br />
kennt viele Traditionen, die im Laufe der Zeit für das Leben in der Stadt wichtig waren.<br />
Ostern steht vor der Tür und damit auch die schöne Tradition<br />
der Osterfeuer. Auch in Goch werden wieder zahlreiche von ihnen<br />
entzündet und viele Menschen werden sich das Spektakel<br />
nicht entgehen lassen. Grund genug, den Geschichts-Experten<br />
der Stadt Goch zu fragen, welche Bräuche es im Laufe der Zeit<br />
gab. Herr Koepp, als Autor der Stadtchronik „Kelten, Kirche und<br />
Kartoffelpüree“ wissen Sie bestimmt einiges über die in Goch<br />
üblichen Sitten und Gebräuche der vergangenen Jahrhunderte.<br />
Was hat es beispielsweise mit dem „Kiespott“ auf sich?<br />
Hans-Joachim Koepp Der Kiespott war ein altes niederrheinisches Getränk<br />
sehr einfacher Art, das von Männern und auch von Frauen getrunken wurde.<br />
Der Schnaps bestand aus einem ziemlich großen Gläschen Kornbranntwein<br />
mit einem oder einigen Klümpchen Zucker darin. Vor einigen Jahrzehnten<br />
war es bei familiären Festlichkeiten besonders bei Hochzeiten am Niederrhein<br />
ein uralter Brauch, dass den Gästen, wenn sie nach dem Kirchgang das<br />
Haus betraten, beim Betreten des Hauses ein Kiespott zum Wohle des Gastes<br />
verabreicht wurde. Auf dem Lande, besonders an der holländischen Grenze,<br />
war der Kiespott täglicher Gebrauch. Es handelt sich hierbei um eine uralte<br />
Gocher Sitte, die während der Kirmestage in den zwanziger Jahren des vergangenen<br />
Jahrhunderts vorübergehend auflebte.<br />
Wo wir dann schon beim hochprozentigen Thema sind: auch<br />
beim sogenannten „blauen Montag“ konnte es durchaus<br />
feucht-fröhlich werden.<br />
Koepp Das stimmt. Dokumentiert ist er für das 19. Jahrhundert. Traditionell<br />
war es in vielen Klein- und Handwerksbetrieben üblich, am Montag nur mit<br />
halber Kraft zu arbeiten. An diesem Tag hatten viele Arbeiter und Handwerker<br />
damals frei und feierten. Es war ein regelmäßiger Vergnügungstag mit<br />
reichlichem Genuss von Alkohol wie Branntwein und Bier.<br />
Und die Obrigkeit ließ das Volk gewähren?<br />
Koepp Nein, ganz im Gegenteil. Sie versuchten, die Vergnügungsgewohnheiten<br />
der Einheimischen sogar durch Satzungen in geordnete Bahnen zu<br />
lenken. Überliefert ist zum Beispiel folgender Exzess: Am 29. Juli 1883 fielen<br />
Arbeiter wegen ihres Saufgelages auf. Es waren 13 Zigarrenarbeiter aus Asperden,<br />
die einen Polizeidiener in Ausübung seines Amtes gewaltsam anfielen,<br />
ihm den Säbel entrissen und ihn misshandelten. Die Zigarrenarbeiter<br />
wurden wegen Landfriedensbruchs verhaftet und ins Gefängnis gebracht.<br />
Das Ende des „blauen Montags“?<br />
Koepp Eher nicht. Zigarrenarbeiter trafen sich noch um 1920/30 an ihrem<br />
„blauen Montag“ in der warmen Zeit im Petersbüschchen.<br />
Kommen wir zu einem ernsteren Thema: Früher war es üblich,<br />
dass Verstorbene meist Zuhause aufgebahrt wurden.<br />
Koepp Richtig, ein „Leichenbitter“ ging zu Verwandten und Bekannten und<br />
teilte den Tod und den Tag des Begräbnisses mit. Der Sarg stand drei Tage im<br />
Hause, oft von Lorbeerbäumen oder Palmen umgeben, die aus einer Gärtnerei<br />
geliehen wurden. Der Leichenzug führte vom Sterbehaus zum Friedhof.<br />
Der Sarg wurde auf einen speziellen schwarzen Leichenwagen gestellt, der<br />
von Pferden gezogen wurde, die schwarze Decken auf dem Rücken trugen.<br />
Bei prominenten Toten gehörte zum Leichenzug eine Blaskapelle mit traurigen<br />
Weisen. Nach der Beerdigung fand der Trauergottesdienst statt, bei dem<br />
Totenzettel mit dem Lebenslauf des Verstorbenen ausgegeben wurden.<br />
Wie lange wurde getrauert?<br />
Koepp Ehemänner von Verstorbenen trugen ein Jahr lang schwarze Krawatten<br />
und Trauerflor am Ärmel. Witwen ließen ihre Kleider schwarz färben,<br />
Kinder durften nach dem Tod eine Zeit lang kein Radio hören – Fernsehen<br />
gab es ja eh noch nicht.<br />
Es gab auch Beerdigungen, die gleich in die „Hochzeit“ übergingen.<br />
Und bei denen erneut kräftig getrunken wurde...<br />
Koepp Für 1881 ist die Beerdigung eines 82-jährigen Junggesellen in Kessel<br />
wie folgt überliefert: Es herrschte die sonderbare Sitte, dass nach einer solchen<br />
Beerdigung „Hochzeit“ gehalten wurde. Die „Hochzeit“ begann diesmal<br />
aber schon abends vorher. Nachdem der Sarg von den Jungfrauen bekränzt<br />
war, wobei vier Liter Schnaps vertilgt wurden, ging die Ausgelassenheit so<br />
weit, dass nach Art der heidnischen Kaffern und Hottentotten um den Sarg<br />
gejohlt und getanzt wurde. Am Beerdigungstag selbst wurden von den Trägern<br />
der Leiche rohe Bemerkungen gemacht. Als der Priester mit den Leidtragenden<br />
sich vom Grabe entfernt hatte, machte auf dem Kirchhof die<br />
Schnapsflasche wieder die Runde.<br />
Das Gespräch führte Michael Baers.<br />
FOTO: Gottfried Evers