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Schon wieder Spitze! »Beste Gesamtleistung« der Oper Frankfurt in ...

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L e a r<br />

P r e m i e r e n<br />

Le ar<br />

Aribert Reimann<br />

Shakespeares Lear nicht als Drama des Menschse<strong>in</strong>s selbst zu verstehen, muss missl<strong>in</strong>gen. »Wir Neugeborenen<br />

we<strong>in</strong>en, zu betreten die grosse Narrenbühne«, sagt Lear zu Gloster im vierten Akt des Königsdramas. Das kl<strong>in</strong>gt,<br />

als sei es e<strong>in</strong> neuzeitlicher Kommentar zu e<strong>in</strong>em berühmten Ausspruch Salomons, des – so He<strong>in</strong>e – blasierten Königs<br />

von Judäa: »ich fiel auf die Erde, die Gleiches von allen erduldet, und We<strong>in</strong>en war me<strong>in</strong> erster Laut wie bei ALLEN (…)<br />

Alle haben den gleichen E<strong>in</strong>gang zu Leben; gleich ist auch <strong>der</strong> Ausgang.« Aribert Reimann formuliert ganz <strong>in</strong><br />

diesem S<strong>in</strong>ne:<br />

»Alle s<strong>in</strong>d E<strong>in</strong>same <strong>in</strong> diesem Dröhnen.«<br />

Zum Werk<br />

Shakespeares fünfaktige Tragödie, die »wahre Geschichte« vom Leben<br />

und Tod König Lears und se<strong>in</strong>er drei Töchter – »sowie das unglückliche<br />

Leben von Edgar, Graf Glosters Sohn und Erben, <strong>der</strong> vorgab, <strong>der</strong> wahns<strong>in</strong>nige<br />

Tom zu se<strong>in</strong>« – wurde erstmals vor genau vierhun<strong>der</strong>t Jahren<br />

gedruckt. Vor dreißig Jahren wurde Aribert Reimanns Vertonung des<br />

Stoffes – sie gehört zu dem knappen Dutzend von Werken <strong>der</strong> postmo<strong>der</strong>nen<br />

Epoche, die <strong>der</strong>en Kurzlebigkeitsfetischismus wi<strong>der</strong>standen –<br />

im Münchner Nationaltheater uraufgeführt. Dietrich Fischer-Dieskau,<br />

<strong>der</strong> erste Darsteller des Reimannschen Lear, hatte recht, als er diesem<br />

Ereignis e<strong>in</strong>en säkularen Rang attestierte: »Noch selten – vielleicht <strong>in</strong><br />

Alban Bergs Wozzeck – ist die E<strong>in</strong>samkeit des Menschen so überzeugend<br />

aus dem Faktum her gezeichnet worden, dass er dem Mitmenschen<br />

gegenüber bl<strong>in</strong>d ist.«<br />

Der Stoff ist so bekannt wie alt. Erstmals taucht er im 12. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

<strong>in</strong> Geoffrey von Monmouths Historia regum Britanniae auf. Dar<strong>in</strong><br />

wird erzählt von König Leir, <strong>der</strong> drei Töchter gehabt habe, von denen<br />

die jüngste, Cordelia, ihm die liebste war. Um die Töchter zu erproben,<br />

stellte er ihnen die Frage, wer von ihnen den Vater am leidenschaftlichsten<br />

liebe. Die älteste und zweitälteste Tochter überbieten sich<br />

<strong>in</strong> ihrer hypertrophen Rhetorik, Cordelia verweigert solche bombastischen<br />

Floskeln. Ihre ersten Worte bei Shakespeare: »Was soll Cordelia<br />

tun? Sie liebt – und schweigt« und auch »me<strong>in</strong>e Liebe wiegt schwerer<br />

als me<strong>in</strong> Wort«, setzen e<strong>in</strong>e zutiefst komplexe Geschehensfolge <strong>in</strong><br />

Gang, an <strong>der</strong>en Ende die Tragödie <strong>der</strong> Familie, das blanke Desaster, <strong>der</strong><br />

Untergang, steht; wenn auch flankiert von Lears letzter Erkenntnis von<br />

<strong>der</strong> S<strong>in</strong>nlosigkeit aller Macht. Parallel zu Lears Töchterdrama vollzieht<br />

sich das Söhnedrama um den Grafen Gloster. Shakespeares Tragödie<br />

zeitigt e<strong>in</strong>en desaströsen Raum, dessen Charakteristikum <strong>in</strong> <strong>der</strong> vollständigen<br />

Nivellierung von Gut und Böse vor dem H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>es<br />

alles gleichmachenden Schicksals besteht und noch nicht e<strong>in</strong>mal Hiobs<br />

Prüfungsszenario mehr Rückhalt verspricht. »Ich b<strong>in</strong> <strong>der</strong> geborene<br />

Spielball des Schicksals«, sagt Lear und me<strong>in</strong>t damit uns alle.<br />

Aus Reimanns Notizen zu Lear geht hervor, dass am Anfang se<strong>in</strong>er<br />

Arbeit daran genau dieses apokalyptische Grau stand: »Die dunkle<br />

Farbe, massive Ballungen im Blech, Flächen <strong>in</strong> den tiefen Streichern<br />

führen mich zur Person ›Lear‹.« Solche Clusterschichten werden übere<strong>in</strong>an<strong>der</strong>geschichtet,<br />

erfüllen den Klanghorizont, werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sturmszene<br />

zum Erdbeben. Reimann lässt auf dem Zenit dieser Verdichtung<br />

e<strong>in</strong>en 48-tönigen Streicherakkord um zwei Halbtöne abstürzen bis auf<br />

den tiefsten Grund, wo nicht mehr unterschieden werden kann zwischen<br />

kosmologischem und menschlichem Abgrund. Der Komponist<br />

hat dies so er<strong>in</strong>nert: »Drei Wochen lebte ich <strong>in</strong> diesem Chaos. Nachts<br />

befand ich mich immer noch <strong>in</strong> diesem Klangstrudel, die Figuren und<br />

Akkorde weiteten sich <strong>in</strong>s Überdimensionale, wurden zu abstrakten<br />

Formen, von denen ich schrecklich gequält, bedroht, umfangen, erdrückt<br />

wurde.«<br />

Das Verhängnis beg<strong>in</strong>nt sogleich. König Lear verb<strong>in</strong>det Macht und<br />

Liebe bereits <strong>in</strong> den ersten Worten, die er im Drama Shakespeares<br />

spricht. Kaum s<strong>in</strong>d die E<strong>in</strong>zugsfanfaren verhallt, verkündet er, was<br />

hernach zur irreversiblen Fügung geraten soll. Im festen Willen, Sorgen<br />

und Mühen des Alters aushaltbar zu machen, stellt er die unglückselige<br />

Bed<strong>in</strong>gung für die Festsetzung <strong>der</strong> Mitgift, die se<strong>in</strong>e drei Töchter<br />

erhalten sollen: »Von welcher unter euch Wir sagen können, / Sie liebe<br />

Uns am meisten.« Hier schon wird Unausweichlichkeit zum dramatur-

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