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Schon wieder Spitze! »Beste Gesamtleistung« der Oper Frankfurt in ...

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P r e m i e r e n<br />

von Gunnar Hartmann geschaffene Gerüststruktur ist we<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Bühnenraum<br />

noch <strong>der</strong> Versuch e<strong>in</strong>er Nachempf<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong>es bestimmten,<br />

benennbaren Gegenstands, son<strong>der</strong>n es ist und bleibt e<strong>in</strong> Gerüst, re<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong> Vehikel dafür, die Simultaneität <strong>der</strong> verschiedenen Ausdrucksebenen<br />

des Zustands, des Gesamtgefüges zuzulassen: Klänge von unten,<br />

Klänge von h<strong>in</strong>ten, dem Publikum <strong>in</strong> den Nacken spielend, Distanzen<br />

(Nähe/ Ferne) nicht nur als bloße philosophische Größenordnungen zu<br />

suggerieren, son<strong>der</strong>n sämtliche existierende Ebenen real erlebbar werden<br />

zu lassen.<br />

Neben <strong>der</strong> realen Gestalt des Piero ist <strong>der</strong> eigentliche Hauptdarsteller<br />

die Musik. In ihr kommen sämtliche Ebenen zusammen. Was<br />

nah ersche<strong>in</strong>t, ist fern, Fernes ist nah. Die Musik stellt <strong>der</strong> Realität des<br />

Raumes se<strong>in</strong>e Paradoxien entgegen, se<strong>in</strong>e Wi<strong>der</strong>sprüche. In <strong>der</strong> Musik<br />

kollidieren die verschiedenen Ausdrucksebenen, ohne dass dabei die<br />

e<strong>in</strong>e Ebene von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en verschluckt wird. Die Musik br<strong>in</strong>gt alles <strong>in</strong><br />

Bewegung, baut Brücken, schafft aber auch Brüche. Mal navigieren die<br />

Klänge an <strong>der</strong> Grenze <strong>der</strong> Hörbarkeit, mal an <strong>der</strong> absoluten Schmerzgrenze<br />

des Hörens. Aber diese Musik forscht, nach allem Grenzgang,<br />

auch ihr Zentrum, nicht nur Quell und Stromende, son<strong>der</strong>n auch Jetzt-<br />

Zeit, Momentaufnahme, Kont<strong>in</strong>uum.<br />

E<strong>in</strong>e schlüssige Beschreibung <strong>der</strong> Werkstruktur des »Hörstückes«<br />

f<strong>in</strong>det sich im Programmheft <strong>der</strong> Münchener Biennale: Piero – Ende<br />

<strong>der</strong> Nacht wird von e<strong>in</strong>em kurzen Instrumentalsatz eröffnet. Zwischen<br />

die ersten fünf Szenen stellte Jens Joneleit vier Interludien, <strong>in</strong>strumentale<br />

Zwischenspiele, Orte des Nachs<strong>in</strong>nens, aber auch <strong>der</strong> schweifenden<br />

Gedanken und Klänge und, so im vierten und letzten, <strong>der</strong> zugespitzten<br />

Klangkonflikte. Danach schließen die restlichen drei Gesangsszenen<br />

unmittelbar ane<strong>in</strong>an<strong>der</strong> an, das dramatische Tempo (nicht nur<br />

das äußere <strong>der</strong> Musik) hat sich beschleunigt und die Zonen <strong>der</strong> Reflexion<br />

gleichsam aufgesogen. Nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> sechsten Szene f<strong>in</strong>det sich, kurz,<br />

alle<strong>in</strong> über die Lautsprecher e<strong>in</strong>gespielt, e<strong>in</strong> »passaggio«, e<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerer<br />

Übergang, wie er bereits <strong>in</strong> die zweite Szene e<strong>in</strong>gefügt war.<br />

Piero ist ke<strong>in</strong> Schauspiel, auch ke<strong>in</strong>e Literaturoper, son<strong>der</strong>n – so<br />

<strong>der</strong> Untertitel – e<strong>in</strong> »Hörstück für e<strong>in</strong> Theater <strong>der</strong> wan<strong>der</strong>nden<br />

Gedanken und Klänge«. Das Stück setzt auf hörende Konzentration.<br />

Wollte man Piero <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e bestimmte Musiktheater-Tradition stellen,<br />

dann am ehesten <strong>in</strong> die, die von Luigi Nono ausg<strong>in</strong>g, als er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Welt<br />

<strong>der</strong> überbordenden optischen Reize und <strong>der</strong> Allgegenwart funktionaler<br />

Musik das Ohr als das eigentlich kritische Organ des Menschen charakterisierte.<br />

Er nannte se<strong>in</strong> szenisch-musikalisches Hauptwerk, Prometeo,<br />

e<strong>in</strong>e »Tragödie des Hörens«. In <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsarbeit von Jens Joneleit,<br />

Michael Herrschel und Gunnar Hartmann ist alles auf das Hören<br />

h<strong>in</strong> fokussiert. Luigi Nonos Stadt war Venedig. Piero – Ende <strong>der</strong> Nacht<br />

enthält e<strong>in</strong>ige widmende Andeutungen und Anspielungen auf das<br />

Geme<strong>in</strong>wesen, <strong>in</strong> dem auch An<strong>der</strong>sch lebte und <strong>in</strong> dem er se<strong>in</strong>en<br />

Roman hauptsächlich ansiedelte. In Venedig wurden wesentliche<br />

Kapitel <strong>der</strong> <strong>Oper</strong>ngeschichte seit ihren Anfängen geschrieben. Der<br />

Wechsel von Szenen und Interludien <strong>in</strong> Piero er<strong>in</strong>nert auch an die frühe<br />

<strong>Oper</strong>npraxis, zwischen die gesungenen und gespielten Szenen so<br />

genannte »Intermedien« zu stellen. Luigi Nono selbst ist das ruhige,<br />

sparsam gesetzte und auf das Wesentliche reduzierte dritte Interludium<br />

gewidmet. Dass auf An<strong>der</strong>schs Nacht- und Tod-Stücke, die am<br />

Rande <strong>der</strong> venezianischen Lagune, am Rande <strong>der</strong> Tages- und Lebenszeiten<br />

spielen, italienische Texte antworten, ist auch als Hommage an<br />

die großartige Kulturstadt zu verstehen, die <strong>in</strong> ihrer Schönheit und<br />

Geschichtsmacht doch immer auch e<strong>in</strong> Wahrzeichen <strong>der</strong> gefährdeten<br />

Existenz war und <strong>in</strong> <strong>der</strong> deshalb das »Ende <strong>der</strong> Nacht«, die kurze Phase,<br />

ehe das Leben <strong>wie<strong>der</strong></strong> beg<strong>in</strong>nt, e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Intensität gew<strong>in</strong>nt.<br />

Norber t A bel s<br />

Handlung<br />

Das Ende <strong>der</strong> Nacht ist die Stunde <strong>der</strong> Ungewissheit, <strong>der</strong> Ahnung, Hoffnung<br />

und Furcht. Konturen s<strong>in</strong>d noch nicht verfestigt. Formen, Gestalten, Gedanken<br />

können verschieden betrachtet und neu geprüft werden.<br />

Wenn Sie das Bockenheimer Depot betreten, sehen Sie ke<strong>in</strong>e Szenerie, nur<br />

zwei gegenüberliegende Tribünen. Der Blick wird nicht auf e<strong>in</strong>en Vorhang o<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>e Rampe gelenkt; die »<strong>Oper</strong>« spielt unmittelbar <strong>in</strong> dem Raum, <strong>in</strong> dem Sie<br />

Platz nehmen. Hier, mitten unter Ihnen, formiert sich e<strong>in</strong> Solistenchor, aus dem<br />

sich später e<strong>in</strong>e Protagonist<strong>in</strong> löst, e<strong>in</strong> lyrisches Ich, namenlos. E<strong>in</strong>en Namen<br />

trägt nur ihr fernes Gegenüber, Piero. Aber auch er ist e<strong>in</strong>e »offene« Figur: zwei<br />

Solisten, e<strong>in</strong> Sprecher und e<strong>in</strong> Sänger, zeigen Facetten se<strong>in</strong>es Denkens, und<br />

se<strong>in</strong>e Worte s<strong>in</strong>d von denen des Chores nicht zu trennen.<br />

Auch Zuschauerbereich und Bühne greifen <strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, denn <strong>der</strong> gewohnte<br />

»Zwischenraum«, <strong>der</strong> Orchestergraben, bef<strong>in</strong>det sich hier nicht vor, son<strong>der</strong>n<br />

unter Ihnen. Der Instrumentalklang baut sich aus <strong>der</strong> Tiefe auf: Kontrabässe,<br />

Tuba, Posaunen, Trompete mit Basstrompete, Klar<strong>in</strong>etten von <strong>der</strong> Kontrabassbis<br />

zur schrillen kle<strong>in</strong>en Klar<strong>in</strong>ette, Flöte mit Bassflöte, je e<strong>in</strong>e Geige, Bratsche,<br />

Violoncello, Klavier und reiches Schlagwerk bilden das Ensemble.<br />

Mitwirkende<br />

Musikalische Leitung Yuval Zorn I Regie Kathar<strong>in</strong>a Thoma I Raumkonzept Gunnar Hartmann I Bühnenbild und Kostüme Anemone Bold<br />

Dramaturgie Norbert Abels I Licht Frank Keller I Video Peer Engelbracht<br />

Piero (s<strong>in</strong>gende Stimme) Johannes M. Kösters I Piero (sprechende Stimme) Michael Autenrieth I Mezzosopran Ni<strong>in</strong>a Keitel I Ensemble Mo<strong>der</strong>n<br />

Projektchor <strong>der</strong> Münchener Biennale (E<strong>in</strong>studierung: Andreas Puhani) I Experimentalstudio des SWR<br />

+++Die <strong>Oper</strong> <strong>Frankfurt</strong> und <strong>der</strong> Patronatsvere<strong>in</strong> laden e<strong>in</strong>: <strong>Oper</strong> extra zu Piero am 28. September 2008, 11.00 Uhr, Bockenheimer Depot.+++<br />

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