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Gießener Universitätsblätter - Gießener Hochschulgesellschaft e.V.

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Charlotte Kitzinger<br />

Arbeitsstelle Holocaustliteratur –<br />

Literaturwissenschaftliche Forschungsprojekte zu Texten<br />

der Holocaustliteratur an der JLU Gießen<br />

Seit 1998 besteht die Arbeitsstelle Holocaust -<br />

literatur an der JLU Gießen. Eingerichtet wurde<br />

die überwiegend durch Drittmittel finanzierte<br />

Arbeitsstelle durch die Initiative von Prof. Dr.<br />

Erwin Leibfried und Dr. Sascha Feuchert sowie<br />

die Ernst-Ludwig Chambré-Stiftung zu Lich am<br />

damaligen Institut für Neuere deutsche Literatur,<br />

heute Institut für Germanistik.<br />

Ziel war es, eine universitäre Einrichtung zu<br />

schaffen, die sich mit der literaturwissenschaftlichen<br />

und didaktischen Untersuchung und<br />

Aufbereitung von Texten der Holocaustliteratur<br />

befasst. Auch entsprechende Rezeptionsprozesse<br />

werden wissenschaftlich analysiert. Als<br />

Institution ist die Arbeitsstelle Holocaustliteratur<br />

bislang einzigartig in Deutschland.<br />

Der Begriff Holocaustliteratur 1<br />

Eine grundlegende Aufgabe der Arbeitsstelle<br />

war es zunächst, zu klären, was unter dem Begriff<br />

„Holocaustliteratur” zu verstehen ist. Seit<br />

einiger Zeit hat sich der Begriff „Holocaustliteratur”<br />

– aus dem Amerikanischen kommend –<br />

als eine Art Genre-Bezeichnung etabliert für<br />

eine Vielfalt von Textsorten, die die klassischen<br />

Gattungsgrenzen zwischen Epik, Lyrik und<br />

Drama überschreiten. Dabei bleibt die Bezeichnung<br />

– trotz ihrer (weiter zunehmenden) Verbreitung<br />

etwa in Verlagsprospekten, Rezensionen<br />

und wissenschaftlichen Untersuchungen –<br />

weitgehend diffus: Einmal werden nur fiktive<br />

Texte zum Holocaust unter diesem Begriff subsumiert,<br />

ein anderes Mal nur „authentische”,<br />

d. h. von Überlebenden verfasste Schriften,<br />

und in wieder anderen Fällen beide Textsorten<br />

gemeint. Auch der Begriff „Holocaust” wird<br />

häufig unterschiedlich verstanden: Manchmal<br />

1 Vgl. dazu: Sascha Feuchert (Hg.): Holocaust-Literatur:<br />

Auschwitz. Stuttgart: Reclam 2000, S. 22 f.<br />

<strong>Gießener</strong><br />

<strong>Universitätsblätter</strong><br />

41 | 2008<br />

umfasst er die Gesamtheit der nationalsozialis -<br />

tischen Vernichtungspolitik, dann wieder bezieht<br />

er sich konkret auf die Vernichtung der<br />

jüdischen Menschen in den Konzentrations -<br />

lagern und spart andere Opfergruppen aus. Die<br />

nachfolgende Definition des Begriffs, so wie<br />

ihn die Arbeitsstelle versteht, ist im Zuge der<br />

ersten Arbeiten entstanden und muss als<br />

„work in progress” verstanden werden. Demnach<br />

umfasst die „Holocaustliteratur” alle literarischen<br />

Texte über den Holocaust und alle<br />

Aspekte der nationalsozialistischen „Rassen”-,<br />

Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gegen<br />

alle Opfergruppen. Ein solch weites Verständnis<br />

des Begriffs darf allerdings nicht den Einmaligkeitscharakter<br />

der planmäßigen Vernichtung<br />

der europäischen Juden übergehen, der<br />

das wesentliche und unvergleichbare Kennzeichen<br />

des nationalsozialistischen Terrors war.<br />

Daher wird dafür plädiert, diesen Bereich noch<br />

einmal gesondert mit der Metapher „Shoah”<br />

zu bezeichnen. Beide Begriffe stehen also in<br />

einem engen Verhältnis zueinander und werden<br />

nicht losgelöst voneinander verwendet. Bei<br />

der Gattungsbezeichnung „Holocaustliteratur”<br />

wird ein weites Verständnis von „literarisch”<br />

vorausgesetzt: Sie bezeichnet Texte, die<br />

das Geschehen vermitteln wollen, indem sie<br />

z. B. Tropen benutzen, auf Archetypen zurückgreifen<br />

und das Geschehen in Sinn suggerierender<br />

Weise anordnen, ohne dabei wissenschaftlichen<br />

Kriterien und Konventionen zu folgen.<br />

Die Texte sind also jeweils – im weiteren<br />

Sinne – „subjektabhängige” Interpretationen<br />

des Holocaust und keine wissenschaftlichen<br />

„Metadokumente”. Zu diesen Texten können<br />

neben Tagebüchern und Chroniken, die zur<br />

Zeit des Geschehens entstanden, auch Memoiren<br />

und Erinnerungen gehören, die nach den<br />

Ereignissen von Betroffenen verfasst wurden,<br />

wie auch fiktionale Bearbeitungen (Romane,<br />

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