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15.00 Uhr - LOUISe Magazin Bad Homburg

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Foto © Erika schmied<br />

Die ganze Welt<br />

erzählen<br />

Peter Kurzeck beschreibt den<br />

„Vorabend“ und braucht dafür<br />

tausend seiten<br />

Der Frankfurter Erzähler hat den fünften Band seines<br />

monumentalen Erinnerungswerks abgeschlossen.<br />

Und rückt allmählich ins öffentliche Bewusstsein.<br />

Von Dierk Wolters / Taunus Zeitung<br />

Die Welt, was ist das? Alles, was wir erinnern.<br />

Doch das Erinnern ist flüchtig. Also ist die Welt<br />

flüchtig. Um sie zu erhalten, um sie zu behalten,<br />

muss man sie aufschreiben. Ein Mann schreibt die<br />

Welt auf. Seine Welt. Sie beginnt in Böhmen, dort, wo<br />

er geboren ist. Und führt ins oberhessische Staufenberg<br />

und von da weiter nach Frankfurt. Hier hat der Erzähler<br />

lange Jahre gelebt, und tut es immer noch, hier und<br />

in Südfrankreich. Immer monumentaler werden seine<br />

Erzählentwürfe, denn das Erzählen hat nie ein Ende, so<br />

wie die Welt kein Ende hat, jede Erinnerung gebiert unzählige<br />

neue.<br />

Nun also das Dorf. Dorthin schweift Peter Kurzecks<br />

Erinnerung, nachdem sie ihn nach Frankfurt geführt<br />

hat. Dort, in den Jahren 1983 und 1984, spielt Kurzecks<br />

Erinnerungsprojekt, und so monumental wie sein Titel,<br />

„Das alte Jahrhundert“, ist es auch: auf zwölf Bände angelegt.<br />

„Vorabend“ ist der fünfte und mit mehr als 1000<br />

Seiten der bei weitem umfangreichste.<br />

F ü r S i E G E L E S E n<br />

Frankfurt 83/84, das sind Peter Kurzeck, seine Sibylle<br />

und ihre geliebte Tochter Carina. Sibylle, die beim<br />

Stroemfeld-Verlag arbeitet, Kurzeck, der in einem Antiquariat<br />

hilft. Und wie besessen schreibt. Die Welt festhält.<br />

Seine Welt mit seinen Erinnerungen. Das Dorf. Carina,<br />

das Kind, hat verlangt: „Erzähl weiter das Dorf!“ Nicht<br />

von dem Dorf. Nicht über das Dorf. Und schon gar nicht<br />

eine Geschichte aus dem Dorf. Sondern schlicht: das<br />

Dorf. Das ist der allumfassende Anspruch, dem Kurzeck<br />

sich stellt.<br />

Beharrlich und leise<br />

67 Jahre ist der Schriftsteller heute alt. 67 Jahre, so lange<br />

hat es offenbar gebraucht, bis langsam – ganz langsam<br />

und leise, wie das Kurzecks Art ist – auch eine größere<br />

literarische Öffentlichkeit zu ahnen beginnt, welchen<br />

Erinnerungsschatz dieser Autor in Jahren und Jahrzehnten<br />

unermüdlicher Erinnerungsarbeit angehäuft hat.<br />

Peter Kurzeck ist Sisyphos. Jedoch rollt er nicht einen<br />

Stein den Berg hinauf, sondern ein ganzes Geröllfeld,<br />

Stein um Stein – wohl wissend, dass jede getane Beschreibung<br />

nach unzähligen neuen ruft – eine unendliche<br />

Arbeit. Dieser Ansatz, der die Totale im Blick hat, sich<br />

aber jedem einzelnen Erinnerungsobjekt mit größtmöglicher<br />

Liebe zum Detail zuwendet, ist die eine Besonderheit<br />

in Peter Kurzecks Schreiben. Die andere ist sein<br />

Erzählton. Beide gehören aufs Engste zusammen, ist es<br />

doch dieser Ton, der eine Erinnerung aus der nächsten<br />

zieht, eine unendliche Reihung und Akkumalation von<br />

Bildern, die sich zu Stimmungen verdichten, der Stimmung<br />

der 60er, der 70er oder der 80er Jahre.<br />

Es ist ein episch ausladender Ton, der über tausend<br />

Seiten trägt, ein dichter Erinnerungsteppich der Stimmungen<br />

und Gefühle und Assoziationen und Bilder mit<br />

oft melancholischem Tenor, die Kleinigkeiten im genauen<br />

Blick und dabei das große Ganze erfassend: die Entwicklung<br />

einer zum Konsum verdammten Gesellschaft<br />

oder den Raubbau an der Natur. Nie jedoch prangert<br />

Kurzeck an. Er beschreibt, und aus diesem individuellen<br />

Erleben heraus entsteht sein Kosmos.<br />

Quelle: Taunus Zeitung<br />

Peter Kurzeck:<br />

»Vorabend«<br />

Verlag Stroemfeld/<br />

Roter Stern, Frankfurt,<br />

1022 Seiten, 39,80 Euro.<br />

Louise 8 / 2011 | 45

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