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DER ROTE FADEN - Anette Kramme

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Ausgabe Juni / Juli / August 2006<br />

MdB <strong>Anette</strong> <strong>Kramme</strong> zum Thema …<br />

Gesetzliche Mindestlöhne<br />

Rede von MdB <strong>Anette</strong> <strong>Kramme</strong> am zum Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel,<br />

Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Gesetzliche Mindestlöhne ablehnen<br />

(Drucksache 16/1653)<br />

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!<br />

Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland kein Problem<br />

mit zu hohen Löhnen im unteren Tätigkeitssegment,<br />

sondern ein Problem mit zu niedrigen Löhnen. Ein Wachmann<br />

erhält einen Stundenlohn von 3 Euro. Eine Kassiererin<br />

kommt bei einer 38-Stunden-Woche auf einen<br />

Monatsverdienst von 800 Euro. Ein Friseur in Thüringen<br />

arbeitet für einen Stundenlohn von 3,18 Euro. Beispiele<br />

lassen sich wie Sand am Meer finden. Die "Geiz ist geil"-<br />

Philosophie hat in widerwärtiger Weise auf den Arbeitsmarkt<br />

übergegriffen. In zahlreichen Branchen gibt es das<br />

sprichwörtliche Fass ohne Boden.<br />

Dabei sind die Schutzregelungen im deutschen Recht<br />

schlichtweg unzureichend. § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs,<br />

der Wucher verbietet, gewährt nur dann einen<br />

Anspruch auf zusätzliche Bezahlung, wenn die Vergütung<br />

mindestens 25 bis 30 Prozent unter der ortsüblichen<br />

bzw. tariflichen liegt. Der Arbeitnehmer trägt darüber<br />

hinaus die Beweislast dafür, dass die Lohnabrede unter<br />

Ausbeutung seiner Zwangslage zustande gekommen ist.<br />

Prozesschancen hat er nur, wenn er beim Einstellungsgespräch<br />

seine Notlage offenbart hat. Zuallerletzt: Jede<br />

richterliche Überprüfung setzt den Gang zur Arbeitsgerichtsbarkeit<br />

voraus. Viele Menschen klagen nicht, weil<br />

sie schlichtweg Angst vor Repressalien ihrer Arbeitgeber<br />

haben.<br />

Die Situation ist: 7,7 Millionen vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer<br />

verfügen lediglich über 50 bis 75 Prozent des<br />

Durchschnittseinkommens von 2 884 Euro. Rund 2,5<br />

Millionen Menschen haben sogar weniger als 50 Prozent<br />

dieses Betrages. Internationale Organisationen bezeichnen<br />

das ganz klar als Armutslöhne. Working Poor - da<br />

müssen wir Farbe bekennen - gibt es nicht nur in den<br />

USA, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland.<br />

Die Tarifbindung ist seit den 90er-Jahren spürbar zurückgegangen.<br />

Laut IAB-Panel sank die Tarifbindung der<br />

Beschäftigten im Zeitraum bis 2003 im Westen von 76<br />

auf 70 Prozent und im Osten von 63 auf 54 Prozent. Wir<br />

müssen zur Kenntnis nehmen, dass es nicht mehr ausreicht,<br />

Löhne tariflich abzusichern oder einzelne Tarifverträge<br />

für allgemein verbindlich zu erklären. Die Hälfte<br />

aller Arbeitnehmer im Osten bliebe schlichtweg auf der<br />

Strecke.<br />

Fakt ist, dass es auch unakzeptable Tarifverträge gibt.<br />

Die Aufstellung des Bundesarbeitsministeriums aus dem<br />

Jahr 2003 weist nach, dass es 670 Tarifvereinbarungen<br />

mit weniger als 6 Euro brutto Stundenlohn gibt. Das ist<br />

unsere Ausgangsposition. Wir stehen deshalb vor der<br />

Aufgabe, dafür zu sorgen, dass auch Geringqualifizierte<br />

in Deutschland wieder Chancen auf Arbeit haben und<br />

dafür einen Lohn bekommen, mit dem sie leben können.<br />

Wir nehmen diese Aufgabe ernst.<br />

Ich sage dennoch, dass wir uns unüberlegte und populistische<br />

Schnellschüsse, wie den vorliegenden Antrag der<br />

Linken, nicht leisten können.<br />

(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Na, na, na!)<br />

Mit Ihrer Forderung nach einem einheitlichen Mindestlohn<br />

von pauschal 8 Euro machen Sie es sich zu leicht.<br />

Wir brauchen beispielsweise Klarheit darüber, wie das<br />

Verhältnis zum Sozialrecht sein soll. Haben Sie einmal<br />

ausgerechnet, wie viel jemand verdienen muss, damit er<br />

so viel hat wie ein ALG-II-Empfänger Ein Alleinverdiener<br />

mit zwei oder drei Kindern brauchte 10,50 Euro in der<br />

Stunde. Ein Single ohne Kinder muss hingegen nur zwischen<br />

4,80 Euro und 5 Euro verdienen.<br />

Wir müssen uns über die Höhe eines Mindestlohns klar<br />

werden. Ist der Mindestlohn zu hoch angesetzt, wird er<br />

zum Einstellungshindernis, gerade für Ältere und Jugendliche.<br />

Wird er zu niedrig festgesetzt, haben wir den ungewollten<br />

staatlich legitimierten Niedriglohnbereich.<br />

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie ist denn Ihre Antwort,<br />

Frau <strong>Kramme</strong>! Fragen über Fragen!)<br />

Wir müssen überlegen, ob wir mit branchenspezifischen<br />

Lösungen arbeiten oder mit einer einheitlichen Regelung<br />

mit Übergangsfristen. Wie setzen wir die genauen Maßstäbe<br />

bei branchenspezifischen Lösungen oder wie lang<br />

bemessen wir Übergangsfristen Treffen wir selber die<br />

Entscheidung über die Höhe einer Mindestsicherung<br />

oder greifen wir auf die Tarifvertragsparteien oder auf<br />

einen Sachverständigenrat zurück Es gibt eine Vielzahl<br />

von Fragen, deren Beantwortung genauerer Überlegung<br />

bedarf.<br />

(Dirk Niebel [FDP]: Aha!)<br />

Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Wir brauchen eine<br />

untere Auffanglinie. Da sind wir uns in diesem Hause -<br />

lassen wir einmal die FDP beiseite - einig. Und das ist<br />

gut so.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb<br />

[FDP]: Wie nennen wir denn dieses Kind)<br />

Wir brauchen eine relativ kurzfristige Lösung. Auch darüber<br />

sind wir uns einig. Und auch das ist gut so.<br />

Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, das Arbeitnehmer-Entsendegesetz<br />

auf das Gebäudereinigerhandwerk<br />

auszudehnen. Wir werden im Herbst einen Vorschlag<br />

zu Kombilöhnen und Mindestlöhnen vorlegen. Ich<br />

bin zuversichtlich, dass wir eine gute Lösung finden.<br />

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)<br />

Ein allerletzter Satz. Ian Brinkley, Chefökonom des britischen<br />

Gewerkschaftsbundes TUC, bringt es auf den<br />

Punkt:<br />

Heute sagen auch die Arbeitgeber in Großbritannien,<br />

dass der Mindestlohn ein Erfolgsmodell ist.<br />

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der<br />

CDU/CSU - Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Aber mit anderen<br />

Konditionen!)<br />

Der Rote Faden 12

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