PDF-Ausgabe - Verantwortung Zukunft
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<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Jahresabonnement 25,00 Euro<br />
Das Magazin<br />
Ernährung<br />
Global sichern<br />
Im Gespräch: Jochen Zeitz<br />
Grüne Gentechnik<br />
Rio und die Enkel<br />
Werkstoff Carbon<br />
Den Umweltkosten Rechnung<br />
tragen in Euro und Cent<br />
Bessere Ernten – mit Hightech<br />
gegen den Hunger<br />
<strong>Verantwortung</strong> organisatorisch<br />
und institutionell verankern<br />
Das Auto der <strong>Zukunft</strong><br />
entsteht am Webstuhl
Die Batterie – ein Schlüsselfaktor für die Energiesicherheit<br />
Praxisforum am Mittwoch, 27. Juni, 9.45 Uhr<br />
BMZ GmbH, Karlstein bei Frankfurt am Main<br />
Es diskutieren:<br />
• Sven Bauer, BMZ GmbH<br />
• Dr. Jochen Mähliß, batteryuniversity.eu GmbH<br />
• Ulrich Spaetling, E.ON Innovation Center Energy Storage<br />
Bildnachweise: Auto: © Henrik Jonsson/iStock; Batterien: © zettberlin/photocase; Windräder und Solarzellen: © thinkstock<br />
Mit Unterstützung von<br />
Teilnahmegebühr 95,– Euro zzgl. MwSt.<br />
Weitere Informationen und Anmeldung: Telefon (0 69) 75 91-32 09,<br />
anmeldung@faz-institut
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Editorial<br />
Technikfreundlich, innovationsbegeistert, konstruktiv<br />
Wohl jeder Bürger bekennt sich heute<br />
spontan zu Nachhaltigkeit und verantwortungsvollem<br />
Handeln. Wohl jeder würde im<br />
Rahmen seiner Möglichkeiten gern noch<br />
mehr für Gesellschaft und Umwelt tun.<br />
Doch welche Ziele sind erstrebenswert,<br />
welcher Weg ist der richtige<br />
Die einen wollen „den grundlegenden<br />
Wandel“ – sofort und radikal. Klimawandel,<br />
Hunger oder Finanzsysteme machen sie<br />
ängstlich, wütend oder betroffen. Wachstum,<br />
Globalisierung und Leistungsdruck sind<br />
für sie negative Auswüchse der modernen<br />
Leistungsgesellschaft. Manche bekämpfen<br />
neue Straßen, Bahnhöfe, Windparks, demonstrieren<br />
gegen Flughäfen oder zerstören<br />
Maisfelder. Große Infrastrukturprojekte wie<br />
neue Stromtrassen sind manchen suspekt,<br />
selbst wenn sie für die von ihnen geforderte<br />
Energiewende zwingend erforderlich sind.<br />
Allein – viele dieser Menschen stehen nicht<br />
in der <strong>Verantwortung</strong>, schon gar nicht an der<br />
Spitze eines Unternehmens. Und da lässt es<br />
sich leichter reden.<br />
Andere wiederum begrüßen den kontrollierten<br />
Wandel. Konstruktiv und engagiert<br />
stellen sie sich den Herausforderungen und<br />
wollen die <strong>Zukunft</strong> aktiv gestalten. Viele dieser<br />
Menschen sehen in technischen Innovationen<br />
die Lösung für Probleme. Sie nehmen<br />
den Wettbewerb an und sehen in seiner<br />
kreativen Kraft den Schlüssel zum Wohlstand<br />
für alle.<br />
„<strong>Verantwortung</strong> <strong>Zukunft</strong>“ versucht mit<br />
diesem Heft erneut, konkrete Ansätze für<br />
praktikable und zielführende Lösungen vorzustellen:<br />
technikfreundlich, innovationsbegeistert,<br />
konstruktiv. Auf unserer Konferenz<br />
„Mit Green Technology auf der Überholspur“<br />
haben wir kürzlich in Unternehmen hineingehört<br />
und erfahren, wie sie ihrer <strong>Verantwortung</strong><br />
im produktiven, unternehmerischen<br />
Sinne gerecht werden. Vertreter großer und<br />
mittlerer Firmen haben in Hannover gezeigt,<br />
wie sie die Herausforderungen als Chance<br />
und nicht als Bedrohung verstehen. Ihr<br />
Ansinnen ist es, ihr Unternehmen fit für die<br />
<strong>Zukunft</strong> zu machen und den langfristigen<br />
Geschäftserfolg zu sichern.<br />
Profitieren auch Sie davon:<br />
auf www.verantwortungzukunft.com.<br />
Und auch in diesem Magazin präsentieren<br />
wir Ihnen einige interessante Lösungsansätze.<br />
Ein wunderbares Beispiel ist der Werkstoff<br />
Carbon, mit dem BMW eine Revolution im<br />
umweltfreundlichen Automobilbau plant.<br />
Schaffen es die Münchner, die industrielle<br />
Produktion kostenvertretbar umzusetzen,<br />
könnten sie mit ihren neuen Fahrzeugkonzepten<br />
den Markt verändern.<br />
In unserem Schwerpunkt Ernährung werden<br />
Fakten und Lösungen zum Thema Hunger in<br />
der Welt vorgestellt. Dazu drucken wir ein<br />
Plädoyer für die grüne Gentechnik. Aus Sicht<br />
unseres Autors wird sie in Europa zu Unrecht<br />
verteufelt – und damit eine große Chance vergeben,<br />
nämlich den Armen der Welt zu helfen.<br />
Gabriele Kalt, Verantwortliche Redakteurin<br />
// Internationale Fachkonferenz „Mit Green Technology auf der Überholspur“
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Inhalt<br />
6 8<br />
IM GESPRÄCH<br />
6 Jochen Zeitz<br />
„Unternehmen müssen vorangehen“<br />
22 Georg Fahrenschon<br />
„Die Energiewende muss sich rechnen“<br />
40 Dr. Reiner Korthauer<br />
„Deutschland zum Leitmarkt für<br />
Elektromobilität entwickeln“<br />
48 Ulrich Kranz<br />
„Nachhaltigkeit über die gesamte<br />
Wertschöpfungskette“<br />
MEGATRENDS<br />
8 Hightech gegen den Hunger<br />
Grüne Gentechnik wird zu Unrecht<br />
bekämpft<br />
12 Überfluss war gestern<br />
Das globale Ernährungssystem ist an<br />
einem Wendepunkt angekommen<br />
16 Rio und die Enkel<br />
<strong>Verantwortung</strong> für die <strong>Zukunft</strong><br />
institutionell verankern<br />
MEGATRENDS<br />
20 Hunger – ein lösbares Problem<br />
21 Nachhaltig wachsen<br />
und Armut verringern<br />
26 Fachkräfte sichern<br />
Wie der Mittelstand dem demographischen<br />
Wandel begegnet
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Inhalt<br />
16<br />
26 44<br />
AUS DER PRAXIS<br />
30 „Ungewöhnlicher Sprung“<br />
Puma legt die erste Ökobilanz der Welt<br />
vor und übernimmt die Vorreiterrolle<br />
32 Der Informationsanspruch steigt<br />
Der deutsche Nachhaltigkeitskodex<br />
im Kontext von EU-Entscheidungen<br />
und Compliance-Richtlinien<br />
AUS DER FORSCHUNG<br />
36 Alles heiße Luft<br />
<strong>Zukunft</strong>smarkt erneuerbare Energien<br />
44 Das Auto der <strong>Zukunft</strong> entsteht<br />
am Webstuhl<br />
Carbon macht Autos leichter und<br />
reduziert den Energieverbrauch<br />
50 Gut zu wissen<br />
52 Facts & Figures<br />
54 Impressum
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Im Gespräch<br />
„Die Unternehmen müssen vorangehen“<br />
Interview mit Jochen Zeitz, langjähriger Vorstandsvorsitzender der Puma AG<br />
und Verwaltungsratsmitglied des französischen Luxuskonzerns PPR<br />
Fotoquelle: © PUMA AG<br />
Was hat Sie ermutigt, für Puma als erstes Unternehmen<br />
eine Ökobilanz zu veröffentlichen<br />
Vor einigen Jahren wurde mir klar, dass wir<br />
als Unternehmen für die Umweltkosten, die<br />
die Nutzung von natürlichen Ressourcen<br />
wie Wasser, saubere Luft und fruchtbares<br />
Land innerhalb von PUMAs Produktions- und<br />
Vertriebsprozess verursacht, keine Rechnung<br />
tragen. Das wollte ich ändern, denn ohne<br />
diese Ressourcen kann kein Unternehmen<br />
existieren, und trotzdem wurden sie bislang<br />
weder bewertet noch in die Rechnungslegung<br />
von Unternehmen integriert. Diese Betrachtung<br />
muss natürlich auch die Umweltschäden<br />
mit berücksichtigen und zwar in Euro und<br />
Cent, denn das ist viel aussagekräftiger und<br />
verdeutlicht den signifikanten Wert dieser<br />
Ressourcen im Vergleich zu Angaben in Kubikmeter<br />
und Hektar. Und zum Dritten war es mir<br />
ein Anliegen, einer potentiellen Besteuerung<br />
von CO 2 -Emissionen zuvorzukommen. Denn<br />
ich bin der Meinung, dass eine entsprechende<br />
Gesetzgebung in naher <strong>Zukunft</strong> auf Unternehmen<br />
zukommen sollte.<br />
Immerhin bescheinigt Puma sich selbst, die<br />
Umwelt zu schädigen. War das Risiko für die<br />
Reputation nicht zu groß<br />
Die Aussage, dass sich unsere Umweltschäden<br />
für das Jahr 2010 auf 145 Millionen<br />
Euro belaufen, hört sich in der Tat zunächst<br />
negativ an. Aber hier geht es nicht um<br />
Schönrednerei. Mit der PUMA-Gewinn-und-<br />
Verlust-Rechnung wollen wir das Bewusstsein<br />
für den immensen Wert der natürlichen<br />
Ressourcen schaffen und deutlich machen,<br />
dass jedes Unternehmen diesen Wert für sein<br />
operatives Geschäft erfassen und integrieren<br />
sollte, um dann Lösungsansätze zu finden,<br />
wie man den Einfluss auf die Natur signifikant<br />
reduzieren kann. Meiner Auffassung<br />
nach können wir breit angelegte Lösungen<br />
nur dann finden, wenn wir transparent mit<br />
dem Thema umgehen.<br />
Lassen sich die „soft facts“ überhaupt angemessen<br />
quantifizieren, sprich: Wie kann<br />
Natur als betrieblicher „Produktionsfaktor“<br />
berechnet werden<br />
Seite 6 //
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Im Gespräch<br />
Unserer Gewinn-und-Verlust-Rechnung liegen<br />
verschiedene Bewertungsmodelle für Treibhausgasemissionen,<br />
Wasser, Landnutzung,<br />
Luftverschmutzung und Abfall zugrunde, die<br />
von uns in Zusammenarbeit mit PricewaterhouseCoopers<br />
und Trucost entwickelt wurden.<br />
Dabei haben wir anerkannte ökologische und<br />
ökonomische Verfahren verwendet und auf<br />
zahlreiche Arbeiten in den Bereichen Umweltund<br />
Ressourcenökonomie zurückgegriffen.<br />
Natürlich ist die Bewertung externer Umwelteffekte<br />
ungenau, weshalb wir unsere Methodik<br />
im Laufe der Zeit weiter verbessern müssen.<br />
Aber ist denn eine Gewinn-und-Verlust-<br />
Rechnung nicht auch eine Vereinfachung, und<br />
ist nicht ein Unternehmenswert von viel mehr<br />
Dingen als einer Statusbetrachtung abhängig<br />
Die ökologische PUMA-Gewinn-und-Verlust-<br />
Rechnung gibt Erkenntnisse darüber, welche<br />
Auswirkungen unsere Geschäftsentscheidungen<br />
auf die Umwelt haben. Heutzutage sind<br />
große und kleine Unternehmen gleichermaßen<br />
abhängig von internationalen Beschaffungsketten.<br />
Häufig ist ihnen daher nicht bewusst,<br />
wie groß ihr ökologischer Fußabdruck tatsächlich<br />
ist. Ich hätte auch nicht damit gerechnet,<br />
dass 94 Prozent der gesamten Umweltauswirkungen<br />
der Beschaffungskette von PUMA<br />
zuzurechnen sind und allein 57 Prozent bei<br />
der Produktion von Rohstoffen anfallen. Aber<br />
dadurch, dass wir den monetären Gegenwert<br />
dieser Umweltauswirkungen ermittelt haben,<br />
haben wir Daten erhalten, mit denen wir<br />
auch Fragen hinsichtlich Beschaffungsrisiken,<br />
Einsparmöglichkeiten oder Effizienzsteigerungen<br />
beantworten können. Denn es gilt die<br />
vereinfachte Regel: Nur was in Unternehmen<br />
gemessen werden kann, wird auch gemanagt.<br />
Sie sind Mitglied im Rat für Nachhaltige<br />
Entwicklung, der die Bundesregierung berät.<br />
Hier haben Sie einen Ideenwettbewerb<br />
ausgerufen. Was ist das Ziel<br />
Ziel des Ideenwettbewerbs ist es, eine breite<br />
Allianz für nachhaltige Unternehmensführung<br />
zu schmieden. Unternehmensführung<br />
kann nur dann nachhaltig sein, wenn man<br />
die ökologischen und sozialen Auswirkungen<br />
der Unternehmenstätigkeit kennt und<br />
ganzheitlich versteht. Wo ist sie mit gesamtgesellschaftlichen<br />
Gewinnen verbunden, zum<br />
Beispiel durch Arbeitsplatzsicherung und<br />
konkrete Lösungen für die Herausforderungen<br />
der <strong>Zukunft</strong> Wo entstehen Schäden,<br />
zum Beispiel durch CO 2 -Emissionen, Wasser-<br />
oder Landverbrauch bei der Rohstoffgewinnung<br />
Wo fängt unternehmerische<br />
<strong>Verantwortung</strong> überhaupt an Das sind<br />
Fragen, die wir mit dem Ideenwettbewerb an<br />
Wissenschaftler und Unternehmen gestellt<br />
haben. Wir hoffen, damit Impulse für die<br />
Umsetzung zu bekommen – gleichzeitig aber<br />
auch Forschungsbedarf aufzuzeigen.<br />
Das Projekt „<strong>Verantwortung</strong> <strong>Zukunft</strong>“ möchte<br />
Manager ermutigen, ihre gesellschaftliche<br />
und ökologische <strong>Verantwortung</strong> noch stärker<br />
wahrzunehmen. Wo sehen Sie noch Entwicklungspotential<br />
bei deutschen Unternehmen<br />
Viele Unternehmen kennen ihre Stoffströme<br />
und veröffentlichen fleißig Nachhaltigkeitsberichte.<br />
Einige Unternehmen optimieren<br />
beispielsweise ihren Energieverbrauch oder<br />
ganze Managementprozesse. Wir brauchen<br />
aber mehr Unternehmen, die die Wirkung<br />
ihrer Geschäftstätigkeit entlang der gesamten<br />
Lieferkette kennen und diese Analyse in<br />
den Gesamtkontext der Unternehmensführung<br />
einordnen. Erst dann wird klar, welche<br />
Rolle die Nachhaltigkeit bei der strategischen<br />
Ausrichtung des Kerngeschäfts spielt und<br />
wie wir dadurch nicht nur effizienter werden,<br />
sondern auch effektiver, indem wir ganz<br />
neue Ansätze finden. Erst dann können wir<br />
damit rechnen, dass nachhaltige Produktionsweisen<br />
auch zur Unternehmenspraxis<br />
werden. Diese Forderung gilt allerdings nicht<br />
nur für deutsche Unternehmen, sondern<br />
weltweit.<br />
Sind uns andere Länder in puncto Nachhaltigkeit<br />
voraus<br />
Es kommt natürlich immer auf den Blickwinkel<br />
des Betrachters und den entsprechenden<br />
Bereich an. Aus deutscher Sicht<br />
ist es begrüßenswert, dass in Frankreich<br />
jetzt erstmals auch nichtbörsennotierte<br />
Unternehmen dazu verpflichtet sind, einen<br />
eigenen Nachhaltigkeitsbericht zu veröffentlichen.<br />
Global betrachtet liegt der Ball<br />
aber nicht allein bei der Politik, sondern<br />
insgesamt auch bei der Wirtschaft selbst.<br />
Die Unternehmen müssen jetzt vorangehen<br />
und das Tempo machen.<br />
Im Juni findet in Rio die dritte Nachfolgekonferenz<br />
der Vereinten Nationen statt.<br />
Welche Bedeutung messen Sie der Konferenz<br />
bei, und welche Ergebnisse erwarten Sie<br />
Ich versuche, Optimist zu sein und mit<br />
Lösungsansätzen meinen Beitrag zu leisten.<br />
Deswegen setze ich mich für Nachhaltigkeit<br />
ein und bin überzeugt, dass die Rio+20-<br />
Konferenz etwas Positives bewirken kann.<br />
Mit meiner Teilnahme will ich vor allem der<br />
Wirtschaft eine Stimme geben in der Debatte<br />
um den Klimawandel, die über viele Jahre<br />
ohne sie geführt wurde. Dabei sind es doch<br />
in erster Linie die Unternehmen, die einerseits<br />
in erheblichem Maße für die fortschreitende<br />
globale Verknappung der natürlichen<br />
Ressourcen verantwortlich sind, andererseits<br />
aber einen immer größeren Einfluss auf<br />
Regierungen und ihre Umweltgesetzgebung<br />
haben. Deshalb müssen wir uns alle gemeinsam<br />
an einen Tisch setzen und im Schulterschluss<br />
zwischen Unternehmen, Regierungen<br />
und der Gesellschaft Antworten auf die<br />
drängenden Fragen zum Schutz unserer<br />
Ökosysteme finden.<br />
Die Fragen stellte Gabriele Kalt<br />
// Seite 7
HIGHTECH<br />
GEGEN DEN HUNGER
Fotoquelle: © table/Photocase.de<br />
Die grüne Gentechnik wird<br />
zu Unrecht bekämpft //<br />
Bessere Ernten<br />
Von Winand von Petersdorff<br />
Nachhaltig sein bedeutet auch, mit<br />
der <strong>Zukunft</strong> zu rechnen: Es wird mehr<br />
Menschen geben, die mehr und besser<br />
(Fleisch) essen wollen. Wenn für ihre<br />
Ernährung weder die letzten Wälder und<br />
Naturreservate geopfert werden sollen<br />
noch die Vielfalt der Fauna, zwingt die<br />
Arithmetik zu der schlichten Erkenntnis:<br />
Die Welt muss bessere Ernten von<br />
vorhandenen Ackerflächen einfahren,<br />
ohne die Umwelt zu stark zu belasten<br />
mit Pestiziden und Dünger.<br />
Die Zeit drängt jetzt schon: Während im<br />
Laufe des 20. Jahrhunderts die Weltmarktpreise<br />
für Nahrungsmittel deutlich<br />
gesunken sind, hat sich der Trend in den<br />
vergangenen zehn Jahren umgekehrt, berichtet<br />
der Göttinger Agrarwissenschaftler<br />
Matin Qaim. Die hohen Preise signalisieren<br />
nicht in erster Linie Spekulation,<br />
sondern Knappheit. Essen wird teurer.<br />
Was ist Europas Antwort auf diese<br />
Entwicklung Man konzentriert sich auf<br />
die Beschimpfung der Spekulanten in<br />
Agrargütern. Dabei hätte Europa mehr zu<br />
bieten. Zum Beispiel im globalen Vergleich<br />
extrem fruchtbare Böden, Know-how und<br />
Kapital. Der konventionelle Landbau mit<br />
klassischer Pflanzenzüchtung, Agrartechnik,<br />
Kunstdünger, Herbiziden und Pestiziden<br />
hat in den vergangenen 50 Jahren<br />
wahre Wunder bewirkt und die Nahrungsmittelproduktion<br />
verdreifacht. Doch jetzt<br />
kommt er an seine Grenzen. Mehr Einsatz<br />
bringt hier kaum noch mehr Ertrag.<br />
Eine Hoffnung für bessere Ernten birgt<br />
die grüne Gentechnik. Doch in Deutschland<br />
wird die grüne Gentechnik gehasst.<br />
Rund hundert Versuchsfelder sind von<br />
militanten Gegnern der Gentechnik in<br />
den vergangenen 15 Jahren zerstört<br />
wurden. Die Folgen sind spürbar: Europa<br />
hat die grüne Gentechnik erfolgreich<br />
verbannt. Als letztes Land leistet sich<br />
Spanien noch den Anbau von Genmais<br />
in flächendeckendem Stil. Schuld an der<br />
Vertreibung der manipulierten Pflanzen
ist ein Potpourri europäischer Ängste:<br />
Angst um die Gesundheit, um die Natur,<br />
vor multinationalen Konzernen und vor<br />
dem zornigen Schöpfer.<br />
Zudem hat ein neues Denken die Elitezirkel<br />
Europas erobert. Die Lebensmittelproduktion<br />
soll nachhaltig sein. „Das<br />
heißt übersetzt: lokal, ökologisch, fair,<br />
gesund, langsam und klein“, spottet der<br />
Harvard-Politologe Robert Paarlberg. In<br />
gewisser Weise soll alles so sein wie früher.<br />
Gut 200 Jahre nachdem Justus von<br />
Liebig den Kunstdünger erfunden hat,<br />
soll eines in der Landwirtschaft keine<br />
Rolle mehr spielen: die Größe der Ernten,<br />
die schiere Quantität.<br />
Das einflussreichste Argument der<br />
Gentechnikgegner lautet: Wir kennen<br />
die Risiken dieser Technik nicht. Dieses<br />
Argument ist so wirkungsvoll, weil es<br />
stimmt. Aber so ist das eben mit neuer<br />
Technik. Die gesellschaftspolitische Frage<br />
an technologischen Schwellen kann<br />
deshalb nur lauten, ob die Gesellschaft<br />
bereit ist, gewisse Risiken zu tragen. Sie<br />
ist es immer weniger. Der alte Optimismus,<br />
technischer Fortschritt könne breite<br />
Schichten der Bevölkerung reicher machen<br />
und ihr Leben verbessern, ist einer<br />
allgemeinen Verkniffenheit gewichen.<br />
Restrisiko, Nachhaltigkeit und Technikfolgenabschätzung<br />
sind die Wortblüten<br />
einer Denkart, die Risiken betont.<br />
So erleben wir die Romantisierung der<br />
präindustriellen Landwirtschaft, die<br />
konsequenterweise keinen Platz lässt für<br />
Methoden wie die grüne Gentechnik, die<br />
Ackerfrüchte auf Effizienz trimmen. Der<br />
Nutzen der neuen Methoden erschließt<br />
sich dem Verbraucher, der durch die<br />
Gemüsezone heimischer Supermärkte<br />
flaniert, einfach (noch) nicht. Hier sind ja<br />
schon alle satt. Umso langlebiger sind die<br />
Ängste der Käufer. Sie verdrängen das Mitleid<br />
mit denen, die dringend auf ertragreiche<br />
Landwirtschaft angewiesen sind.<br />
Und so feiert die bunte Liste der Gen-<br />
Widerständler aus Antikapitalisten,<br />
Naturschützern, Imkern und Kirchengruppen<br />
ihre Erfolge auf ganz unterschiedlichen<br />
Ebenen: Sie siegen auf<br />
dem Versuchsfeld, wenn die Pflanzen in<br />
nächtlichen Überfällen ausgerupft werden,<br />
oder auf der Kanzel, wenn wackere<br />
Pastoren die Pflanzenzüchtungsmethode<br />
verteufeln. Sie siegen auch vor Gericht,<br />
wo Richter mehr Herz für Imker zeigen<br />
als für Forscher, und sie siegen in Berlin<br />
oder Brüssel, wo Bürokraten administrative<br />
Hürden erhöhen.<br />
Dass BASF angesichts des Widerstandes<br />
resigniert und die Erforschung der<br />
grünen Gentechnik in die Vereinigten<br />
Staaten verlegt, ist konsequent. „Das ist<br />
ein Erfolg, der ohne die Verbraucher nicht<br />
möglich gewesen wäre“, jubelt Greenpeace.<br />
Die satten Verbraucher, muss man<br />
ergänzen. Sie können sich als Idealisten<br />
gebärden, solange sie die Folgen nicht<br />
spüren.<br />
Doch damit nicht genug: Europa exportiert<br />
seine Haltung in die Welt, beschreibt<br />
Harvard-Forscher Paarlberg. Gentechnikgegner<br />
nehmen Einfluss auf Anbauregeln<br />
armer Länder, vor allem in Afrika, und sie<br />
verhindern über Handelsbeschränkungen<br />
die Einfuhr gentechnisch veränderter<br />
Früchte. Auch die Angst wirkt ansteckend<br />
über Grenzen hinaus. Als in Deutschland<br />
der Anbau einer Maissorte des meistgehassten<br />
Unternehmens Monsanto verboten<br />
wurde, kommentierte eine Zeitung in<br />
Kenia, Afrika solle nicht zur Resterampe<br />
werden für landwirtschaftliche Methoden,<br />
die die Europäer verschmähen.<br />
Der Widerstand gegen die grüne Gentechnik<br />
ist in Europa erfolgreich, weil es<br />
den Wortführern gelingt, die Gefahren zu<br />
überzeichnen, die Erfolge der landwirtschaftlichen<br />
Anbaumethode zu bagatellisieren<br />
und den Megatrend zu ignorieren:<br />
mehr Menschen mit Hunger.<br />
Was hat Europa mit seinen im globalen<br />
Vergleich fruchtbaren Böden zu bieten<br />
Der in Europa gepriesene ökologische<br />
Landbau hat zwar viel mehr Potential, weil
er die Umwelt schont. Aber er hat auch<br />
noch dramatisch viel Forschungsarbeit<br />
vor sich, weil die Ernten zu schlecht sind.<br />
Der Rest der Welt bewahrt sich die gentechnische<br />
Option. Eines von mehreren<br />
Mitteln zur Verbesserung der Ernten ist<br />
nun einmal die grüne Gentechnik. Trotz<br />
des europäischen Boykotts sind seit Mitte<br />
der neunziger Jahre genetisch veränderte<br />
Pflanzen auf dem Markt. Inzwischen<br />
liefern sie knapp ein Zehntel der globalen<br />
Ernten. Ihr Einsatz konzentriert sich auf<br />
Mais, Soja, Reis und Baumwolle in den<br />
Regionen Nordamerika, Brasilien und<br />
Argentinien, in China und in Indien –<br />
überall dort, wo Europa nicht (mehr)<br />
prägend ist.<br />
Forschung über die Folgen liegt vor. Sie<br />
sieht Qaim zufolge etwa so aus: Die<br />
Ernten werden besser, oder die Kosten für<br />
die Feldbestellung schrumpfen. Für manche<br />
genmodifizierten Saaten allerdings<br />
verlangen die privaten Unternehmen wie<br />
Monsanto eine Technologie-Gebühr, die<br />
in reichen Ländern hoch und in armen<br />
niedrig oder gar nicht durchsetzbar ist.<br />
Bauern in Argentinien schneiden besser<br />
ab als ihre amerikanischen Kollegen. Der<br />
Nettoeffekt bleibt zumeist positiv, in<br />
Ländern wie Indien sogar dramatisch.<br />
„Wenn die institutionellen Rahmenbedingungen<br />
stimmen, dann helfen<br />
genetisch modifizierte Nutzpflanzen bei<br />
der Reduktion der Armut“, ergänzt Matin<br />
Qaim. Die genveränderten Pflanzen<br />
helfen Großen wie Kleinen: Landwirte,<br />
die schon kapitalintensiv wirtschaften,<br />
profitieren von herbizidtoleranten<br />
Pflanzen. Sie verzichten aufs Pflügen und<br />
spritzen mehr Unkrautvernichter auf den<br />
Acker. Für Kleinbauern, die oft von Hand<br />
jäten und Unkraut hacken, kommen diese<br />
Nutzpflanzen nicht in Frage. Ganz anders<br />
ist das Bild bei Genpflanzen, die gegen<br />
bestimmte Insekten resistent sind. Sie<br />
eignen sich gut für Kleinbauern, die in<br />
Südafrika, Indien oder China genetisch<br />
veränderte Baumwolle anbauen und laut<br />
Qaim ihr Einkommen deutlich verbessern.<br />
Die grüne Gentechnik zeigt sogar<br />
Gesundheits- und Umwelteffekte: Die<br />
oft ungebildeten Kleinbauern kommen<br />
weniger mit toxischen Insektenvertilgern<br />
in Berührung. Insgesamt landet weniger<br />
Chemie auf dem Acker oder immerhin<br />
weniger giftige Chemie. Mittelfristig<br />
kann sich der Trend freilich drehen:<br />
Andere Insekten kommen zum Zuge<br />
und vergrößern ihre Populationen. Dann<br />
braucht der Bauer wieder mehr Chemie.<br />
Dazu kommt die Gefahr der Resistenzbildungen:<br />
Insekten widerstehen den<br />
Nutzpflanzen und fressen die Ernte.<br />
Andererseits erleichtert die Methode<br />
auch die Züchtung regional angepasster<br />
Pflanzen und beendet so die global<br />
befürchtete Monokultur.<br />
Und was ist mit den Multis Werden<br />
sie über Patente die Landwirtschaft in<br />
neue Abhängigkeiten zwingen In vielen<br />
Ländern sind die Patentrechte schwer<br />
durchsetzbar, so dass die Macht der<br />
Multis fragil bleibt und auf der Mitwirkung<br />
des Bauern basiert. Außerdem<br />
hilft gegen Monopole die Diversifizierung<br />
der Forschung, etwa an besser<br />
ausgestatteten Universitäten. Doch ihre<br />
Versuchsfelder werden in Deutschland<br />
zerstört.<br />
Insgesamt stellen sich Bauern und ihre<br />
Arbeiter also etwas besser, wenn sie genmodifizierte<br />
Nutzpflanzen anbauen, sagt<br />
die Fachwelt. Sie leben etwas gesünder,<br />
die Versorgungslage verbessert sich, und<br />
die Umwelt profitiert.<br />
Europa will das noch nicht wissen. Die<br />
Fachwelt rechnet damit, dass Europa die<br />
grüne Gentechnik erst wieder eingemeindet,<br />
wenn Genpflanzen der neuen<br />
Generation ihren Bürgern spürbaren<br />
Nutzen stiften: gesündere Nahrung oder<br />
pharmazeutische Substanzen. Vielleicht<br />
zwingt aber auch der Preis des Getreides<br />
den Kontinent noch zum Umdenken.<br />
Winand von Petersdorff, stellvertretender<br />
Ressortleiter Wirtschaft sowie „Geld & Mehr“<br />
der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Megatrends<br />
Rohstoffkrise – Überfluss war gestern<br />
Das globale Ernährungssystem ist an einem Wendepunkt angekommen // Für die Unternehmen der Branche ist<br />
„Business as usual“ keine Option mehr<br />
Von Andreas Knoch<br />
Die Märkte für Agrarrohstoffe haben sich in<br />
den vergangenen beiden Dekaden dramatisch<br />
verändert. Im Rückblick gelten insbesondere<br />
die Jahre 2007/08 als markanter<br />
Wendepunkt: Nach Jahrzehnten unbegrenzt<br />
und billigst verfügbarer Nahrungsmittel mit<br />
sehr stabilen Strukturen entstand plötzlich –<br />
und eigentlich nicht ganz unerwartet – eine<br />
gefährliche Verknappung. Damit einher ging<br />
eine dramatische und in diesem Ausmaß<br />
bei vielen Agrarrohstoffen nicht gekannte<br />
Verteuerung. Selbst multinationalen Brauern<br />
gingen damals Hopfen und Malz aus, und<br />
die Beschaffung von vermeintlichen Standardprodukten<br />
wie Butter oder Mehl wurde<br />
plötzlich zu einer ernsthaften Herausforderung.<br />
Nur ein Jahr später war dieser Preisschub<br />
komplett ausradiert.<br />
Inzwischen blicken wir bereits auf den zweiten<br />
Preisschock binnen fünf Jahren zurück.<br />
Die Gründe dafür liegen in fundamentalen<br />
Verschiebungen in der Angebots- und Nachfragestruktur<br />
auf den Märkten für Agrarrohstoffe.<br />
Einer stetig anziehenden Nachfrage<br />
steht eine unflexible Angebotsseite gegenüber.<br />
Die über Jahrhunderte zu beobachtenden<br />
Ausgleichsmechanismen bei Nachfrageüberhöhungen<br />
sind außer Kraft. Die Fähigkeit<br />
des Systems, die Produktion anzupassen,<br />
um einer wachsenden Nachfrage gerecht zu<br />
werden, ist nicht mehr gegeben. Das globale<br />
Ernährungssystem ist an einem Wendepunkt<br />
angekommen. Eine Ära des Überflusses wird<br />
von einer Ära der Knappheit abgelöst.<br />
Neue Herausforderungen<br />
Die Auswirkungen sind für Unternehmen,<br />
Politik und Verbraucher dramatisch. Die<br />
beiden Preisschocks der vergangenen Jahre<br />
haben heftige Turbulenzen ausgelöst – angefangen<br />
bei Störungen in den Lieferketten der<br />
globalen Nahrungsmittelindustrie bis hin zu<br />
politischen Unruhen in zahlreichen Ländern.<br />
Die Ereignisse sind ein Vorgeschmack auf<br />
das, was kommt: Agrarrohstoffe – und darüber<br />
herrscht inzwischen Konsens – werden<br />
teurer und die Preisbewegungen immer<br />
volatiler. Neben den veränderten Fundamentaldaten<br />
sorgt dafür auch der Zufluss spekulativer<br />
Gelder in die relativ engen Märkte für<br />
Agrarrohstoffe. Aufgrund des überwiegend<br />
kurzfristigen Anlagehorizonts verstärken<br />
Investoren Trends und Volatilität, so dass sich<br />
die Preise zumindest kurzfristig von ihren<br />
Fundamentaldaten abkoppeln können. Die<br />
Wahrscheinlichkeit ernsthafter Krisen ist<br />
deutlich gestiegen. „Früher oder später erlebt<br />
die Agrarbranche ihr Lehman“, prophezeit<br />
Stefan Riphaus, Senior Risk Manager<br />
Ernährung und Konsum bei der UniCredit in<br />
München.<br />
Vor dem Hintergrund der neuen Rahmenbedingungen<br />
in der Agrar- und Nahrungsmittelbranche<br />
wird die Unsicherheit über<br />
die mittelfristige Entwicklung künftig eher<br />
Normalität als Ausnahme. Worauf sich<br />
die Unternehmen einstellen müssen, sind<br />
schnelle Wechsel von heftigen Einbrüchen<br />
und steilen Wachstumsraten. Das stellt neue<br />
Herausforderungen an die Unternehmen<br />
aus der Agrar- und Nahrungsgüterbranche.<br />
Künftig geht es vor allem darum, eine qualitativ<br />
und quantitativ ausreichende Versorgung<br />
zu garantieren, Preisrisiken effizient<br />
zu managen und den finanziellen Spielraum<br />
sicherzustellen.<br />
Nach den Erfahrungen der vergangenen<br />
Jahre sind inzwischen immer mehr Unternehmen<br />
bereit, für Qualitäts- und Liefersicherheit<br />
strategische Prämien zu zahlen.<br />
„Wir arbeiten ausschließlich mit Vertragsbauern<br />
zusammen, mit denen wir eine<br />
bestimmte Anbaufläche über Saisonkontrakte<br />
vereinbaren. In der vergangenen Dekade<br />
haben wir zwar nur in zwei Jahren unter<br />
Marktpreis gezahlt, hatten aber Versorgungssicherheit.<br />
Unsere Wettbewerber waren nicht<br />
bereit, diese strategische Prämie zu zahlen“,<br />
sagt der Finanzchef eines großen Kartoffelchipproduzenten.<br />
Andere, wie der Duft- und Aromenhersteller<br />
Symrise, gehen in Sachen Versorgungssicherheit<br />
noch weiter und integrieren vorgelagerte<br />
Stufen der Wertschöpfungskette.<br />
Diese „Rückwärtsintegration“ praktiziert<br />
Seite 12 //
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Megatrends<br />
das Holzmindener Unternehmen beispielsweise<br />
auf Madagaskar, dem bedeutendsten<br />
Anbaugebiet der begehrten Bourbonvanille.<br />
„Wir sind die Ersten und die Einzigen, die<br />
das Geschäft mit natürlicher Vanille nicht<br />
über Zwischenhändler oder Broker betreiben,<br />
sondern vor Ort eine Produktion aufgebaut<br />
haben“, sagt Symrise-CFO Bernd Hirsch.<br />
Die Geschäftszahlen scheinen ihm recht zu<br />
geben: Während der Wettbewerb mit hohen<br />
Rohstoffpreisen hadert und deutliche Rückgänge<br />
bei der operativen Marge hinnehmen<br />
musste, hat Symrise weniger Profitabilität<br />
verloren.<br />
Und beim Süßwarenhersteller Griesson – de<br />
Beukelaer stellt man sich den neuen Realitäten<br />
mit einer radikal veränderten Einkaufspolitik:<br />
In der Vergangenheit mit stabilen,<br />
tendenziell sinkenden Preisen war es durchaus<br />
möglich, spekulativ am Spotmarkt zu<br />
agieren. Das Unternehmen konnte abwarten,<br />
ob der Preis nicht noch weiter sinkt.<br />
Ware war immer genug am Markt;<br />
die Gefahr einer Unterversorgung bestand<br />
nicht. Das geht inzwischen nicht mehr.<br />
Jetzt wickelt Griesson – de Beukelaer ein<br />
Drittel des Einkaufsvolumens über langfristige<br />
Lieferverträge ab. Für alle kritischen Rohstoffe<br />
werden privilegierte Partnerschaften<br />
mit den Lieferanten angestrebt. Die Strategie<br />
weg vom Spotmarkt hin zur Partnerschaft<br />
bedeutet auch, dass die Lieferzuverlässigkeit<br />
und die Qualität der Ware höher gewichtet<br />
werden als der früher maßgebliche Preis.<br />
„Es ist zu beobachten, dass sich multinationale<br />
kapitalstarke Unternehmen die<br />
jederzeitige Verfügbarkeit von Ressourcen,<br />
wie Rohstoffe oder Liquidität, sichern und<br />
dabei Opportunitätskosten in signifikantem<br />
Ausmaß oder Anpassungen des Geschäftsmodells<br />
nicht scheuen. Doch ausgerechnet<br />
mittelgroße und weniger kapitalstarke<br />
Unternehmen, wie sie für Deutschland typisch<br />
sind, hinken hier mehr oder weniger<br />
weit abgeschlagen hinterher“, berichtet<br />
Riphaus, der ein Kreditportfolio<br />
von Unternehmen der Agrarund<br />
Nahrungsmittelbranche<br />
im Volumen<br />
von 13 Milliarden Euro<br />
verantwortet. Vor allem<br />
für Veredelungsbetriebe<br />
ist die Situation prekär. Sie<br />
sind in einer Sandwichposition<br />
zwischen Landwirtschaft<br />
und Einzelhandel<br />
gefangen und leiden<br />
unter teils kräftigem<br />
Margendruck.<br />
Fotoquelle: © iStockphoto
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Megatrends<br />
HSH Corporate Finance schätzt, dass jeder<br />
vierte Lebensmittelhersteller den Preiskampf<br />
nicht überleben wird.<br />
Kampf um Kapital<br />
Kapital und Liquidität machen einigermaßen<br />
unverwundbar. Doch genau hier liegt<br />
vielerorts das Problem: Nur wer die Herausforderungen<br />
steigender Preis-, Qualitäts- und<br />
Verfügbarkeitsrisiken meistert, wird künftig<br />
im Wettbewerb um Kapital bestehen. Dieser<br />
Wettbewerb wird massiv an Bedeutung<br />
gewinnen, denn das Kreditangebot wird<br />
knapper, tendenziell teurer und trifft wegen<br />
steigender Agrarrohstoffpreise und des<br />
volatileren operativen Geschäfts noch dazu<br />
auf eine höhere Nachfrage. Heute müssen<br />
Kreditnehmer aus der Agrar- und Nahrungsmittelbranche<br />
mehr denn je Fragen über die<br />
Risikotragfähigkeit und die Nachhaltigkeit<br />
ihres Geschäftsmodells beantworten. Das<br />
zunehmend volatile operative Geschäft bringt<br />
es mit sich, dass die Unternehmen auch mehr<br />
Eigenkapital zur Verlustabsorption vorhalten<br />
müssen. „Nicht wenige Unternehmen mussten<br />
in den vergangenen Jahren ihr Geschäftsvolumen<br />
sogar reduzieren, da sich das Risikoprofil<br />
schneller verschlechterte, als sich Eigenkapital<br />
thesaurieren ließ“, erzählt Riphaus.<br />
Beim Agrarhändler Agravis beispielsweise ist<br />
mit den anziehenden Weltmarktpreisen für<br />
Weizen zwischen 2006 bis 2008 der Liquiditätsbedarf<br />
explodiert. Damals hatten sich die<br />
Terminmarktnotierungen am Chicago Board<br />
of Trade in der Spitze fast verfünffacht. „Phasenweise<br />
war unsere Kreditlinie mit knapp<br />
500 Millionen Euro fast komplett ausgelastet.<br />
Das war grenzwertig“, sagt Ralf Gebler,<br />
Bereichsleiter Finanzen bei Agravis. Bei der<br />
Neuverhandlung des Konsortialkredits im<br />
Jahr 2011 wurde das Volumen der Betriebsmittellinie<br />
wegen der volatilen Preisentwicklungen<br />
und eines Puffers von mindestens<br />
10 Prozent für mögliche „Rekordernten“ deshalb<br />
auf 600 Millionen Euro hochgefahren.<br />
Deutlich mehr Kapital verschlingt mittlerweile<br />
auch die Absicherung von Marktpreisrisiken<br />
an Warenterminbörsen. Ein Beispiel:<br />
Für Kaffee werden aktuell Einschusspflichten<br />
– sogenannte Initial Margins – von 5.400 US-<br />
Dollar pro Kontrakt verlangt. Vor eineinhalb<br />
Jahren lag dieser Betrag noch bei rund 1.000<br />
US-Dollar. Einem Unternehmen, das seine<br />
Preisrisiken absichern will, erwächst dadurch<br />
temporär ein immenser Liquiditätsbedarf,<br />
der entweder durch Eigenkapital oder durch<br />
höhere Kreditlinien gedeckt werden muss.<br />
Die Einschüsse werden zwar wieder ausgezahlt,<br />
doch liegen die Zinskosten für die<br />
Absicherung heute um ein Vielfaches höher.<br />
Weit gehender Konsens herrscht in der<br />
Branche, dass „Business as usual“ keine<br />
Option mehr ist, um den neuen Herausforderungen<br />
zu begegnen. Ohne ausreichende<br />
Vorbereitung, vor allem agrarnaher Veredelungsbetriebe,<br />
scheint es kaum möglich, die<br />
zukünftigen Entwicklungen zu steuern oder<br />
zumindest angemessen auf sie zu reagieren.<br />
Vor dem Hintergrund der Erfahrungen der<br />
vergangenen Jahre haben sich einige Marktteilnehmer<br />
neu aufgestellt. Andere scheinen<br />
noch immer unzureichend vorbereitet. Bei<br />
einer weiteren Häufung von „Ausnahmesituationen“<br />
– möglicherweise sogar in bisher<br />
ungekanntem Ausmaß – sind heute aber<br />
tatsächlich nur die wenigsten ausreichend<br />
gerüstet. Viele Unternehmen, ja die Branche<br />
als Ganzes, stehen vor erheblichen Investitionen<br />
und Veränderungen.<br />
Andreas Knoch, Redakteur, Financial Gates GmbH<br />
Paradigmenwechsel in der<br />
Agrarwirtschaft<br />
Die strategischen<br />
Herausforderungen für<br />
Unternehmen in der<br />
Foodbranche hat<br />
FINANCE gemeinsam<br />
mit der UniCredit<br />
untersucht.<br />
Unter www.finance-research.de können Sie<br />
die Studie beziehen.<br />
Seite 14 //
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<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Megatrends<br />
Rio und die Enkel<br />
<strong>Verantwortung</strong> für die <strong>Zukunft</strong> von Mensch und Umwelt organisa torisch und institutionell verankern // Das deutsche Beispiel<br />
als Option für die Green Economy<br />
Von Dr. Günther Bachmann<br />
Wie geht eigentlich <strong>Zukunft</strong> Früher hieß es:<br />
Unsere Enkel fechten‘s besser aus. Da war die<br />
Welt noch überschaubar. Interessengegensätze<br />
und Probleme schienen immer gleich zu<br />
bleiben, so dass ihre Lösung nur eine Frage<br />
der Zeit war. Heute gilt das nicht mehr. Heute<br />
ist die Zeit selbst ein Teil der hochkomplexen<br />
Probleme. Kaum etwas lässt sich hoffnungsfroh<br />
oder berechnend einfach auf zukünftige<br />
Generationen abschieben. Über das, was<br />
kommt, wenn nichts geschieht, haben die<br />
Menschen heute mehr Daten, Informationen,<br />
Wissenschaftsprojekte als je zuvor. Und die<br />
sind nicht sonderlich beruhigend: Mehr Menschen<br />
denn je zuvor werden auf diesem einen<br />
Planeten Fleisch essen, auf vielen Quadratmetern<br />
Fläche wohnen, große Autos fahren,<br />
Gesundheit und sozialen Zusammenhang<br />
durch krankmachenden und individualisierten<br />
Konsum ersetzen – und das, was sie als Wohlstand<br />
empfinden, verteidigen wollen. In einer<br />
Welt mit bald neun (heute sieben) Milliarden<br />
Menschen haben immer mehr Menschen das<br />
demokratische Recht und zunehmend auch<br />
die wirtschaftlichen Mittel, diese Art von<br />
Wohlstand zu schaffen. Rechnerisch wären<br />
dafür zwei oder drei Planeten nötig.<br />
Welche Schlussfolgerungen ziehen wir<br />
Wofür sind wir verantwortlich und nicht<br />
irgendjemand anders, nicht erst irgendwann<br />
„Nachhaltigkeit“, das wird an dieser<br />
Frage deutlich, meint in aller erster Linie die<br />
Haltung, sich diesem Problem zu stellen.<br />
Nachhaltigkeit ist nicht durch eine bestimmte<br />
Technik oder durch ein ambitioniertes Ziel<br />
zur Energieversorgung definiert. Es ist eine<br />
Frage der Haltung, mit der wir uns der <strong>Verantwortung</strong><br />
stellen und wie die eigene und<br />
die fremde <strong>Verantwortung</strong> interpretiert wird.<br />
Endliche Rohstoffe<br />
Die Welt, wie wir sie kennen, wird sehr<br />
grundlegend anders funktionieren, wenn<br />
endliche Rohstoffe ausgehen respektive<br />
sehr teuer werden. Im Englischen drückt<br />
die Formulierung „carbon constraint“ die<br />
Herausforderung aus, Gesellschaften ohne<br />
Klimagase lebensfähig zu halten. Geopolitisch<br />
ändert sie sich schon jetzt rasend<br />
schnell, indem die wesentlichen und wirkungsvollsten<br />
wirtschaftlichen und – wenig<br />
später auch – politischen Entscheidungen<br />
irgendwann auch dort getroffen werden, wo<br />
die meisten Menschen sind. All diese Veränderungen<br />
sollte man antizipieren, denn sie<br />
sind nicht weit entfernt. Sie beschreiben die<br />
Welt, in der unsere Kinder Familien gründen,<br />
berufstätig sind und <strong>Verantwortung</strong> für die<br />
Fotoquelle: © thinkstock
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Megatrends<br />
Gemeinschaft übernehmen. Politisch ist das<br />
ein klares „Jetzt“.<br />
Teufelskreis durchbrechen<br />
Und jetzt sehen wir einer Nachhaltigkeits-<br />
Konferenz der Vereinten Nationen entgegen,<br />
die Mitte Juni im brasilianischen Rio<br />
de Janeiro stattfinden wird. Sie ist eine<br />
Wiederholung. 1992 fand dort bereits die<br />
erste, legendäre Nachhaltigkeitskonferenz<br />
aller Staaten der Welt statt. Ihre politische<br />
Strahlkraft war groß. Sie war die Geburtsstunde<br />
der ersten Regelwerke zum globalen<br />
Umweltschutz. Ein neues Kapitel der<br />
internationalen Politik wurde aufgeschlagen.<br />
Viele Aktionen gingen vom Erdgipfel in „Rio“<br />
aus. Aber nach zwanzig Jahren ist die Bilanz<br />
nicht positiv. Zu vieles ist im Interessengestrüpp<br />
des politischen Nordens und Südens,<br />
zwischen Vorreiterstaaten und Bremsern<br />
liegengeblieben. Zu wenig haben die Industriestaaten<br />
ihre Versprechung eingelöst, die<br />
Armut in der Welt zu bekämpfen. Zu wenig<br />
hat sich der Gedanke Bahn gebrochen, dass<br />
Umweltschutz und Armutsbekämpfung in<br />
vielen Ländern Hand in Hand gehen. Stattdessen<br />
hat die wirtschaftliche Globalisierung<br />
mit ihrem Diktat des Immerschneller und<br />
Immermehr ihre eigenen Regeln aufgestellt.<br />
Letztlich verleiteten sie zu einem gigantischen<br />
Schuldenmachen. Diese Schulden sind<br />
ökonomisch-fiskalischer und ökologischer<br />
Art. Letztere werden oft fahrlässig vernachlässigt<br />
– sie werden erst gar nicht bilanziert.<br />
Seit dem Ausbruch der Wirtschafts- und<br />
Finanzkrise 2008 macht das Stichwort „Green<br />
Economy“ Karriere. Es steht für das Anliegen,<br />
den Teufelskreis der multiplen Wirtschaftkrisen<br />
durch eine andere Art des Wirtschaftens<br />
zu durchbrechen. Dafür ist die systematische<br />
Integration von Einzelaspekten nötig, mit<br />
anderen Worten: eine an Nachhaltigkeit<br />
orientierte Wirtschaft, die von der Politik<br />
durch Schaffung der geeigneten Rahmenbedingungen<br />
in einer sozialen Marktwirtschaft<br />
begleitet wird. Green Economy weltweit – sie<br />
fragt nach einer klimaverträglichen und<br />
ressourcenerhaltenden Wirtschaftsweise,<br />
die nicht einfach nur Masse und Tonnage,<br />
sondern die qualitative Befriedigung von<br />
Bedürfnissen der Menschen im Blick hält und<br />
sich <strong>Zukunft</strong>soptionen belässt und erweitert.<br />
Eine Wiederholung ist also sicher nicht das,<br />
was in Rio 2012 stattfindet. Es geht nicht<br />
um eine Jubiläumsfeier. Es geht um die neue,<br />
erweiterte und hochbrisante Agenda einer<br />
„Green Economy“ sowie um die lange schon<br />
ausstehende Reform der UN-Institutionen,<br />
die sich um Umwelt und Entwicklung sowie<br />
die Nachhaltigkeit kümmern sollen. Sie arbeiten<br />
ineffektiv und weitgehend ohne durchschlagenden<br />
Erfolg. Zu Recht erwartet man<br />
von Rio 2012, dass hier mehr <strong>Verantwortung</strong><br />
für die <strong>Zukunft</strong> von Mensch und Umwelt<br />
organisatorisch und institutionell verankert<br />
werden kann.<br />
Wettbewerbsvorteil für Deutschland<br />
Für Deutschland steht viel auf dem Spiel. Es<br />
wird nach einer <strong>Zukunft</strong>svision des „Made in<br />
Germany“ gefragt und dabei kommt natürlich<br />
zuallererst die Energiewende ins Visier. Die<br />
Entscheidung zur Energiewende Deutschlands<br />
wird international sehr interessiert verfolgt.<br />
Wird es Deutschland als Hochindustrieland<br />
gelingen, die Energieversorgung so radikal<br />
und schnell umzubauen, ohne die industrielle<br />
Leistungsfähigkeit zu beeinträchtigen Im<br />
Ausland herrscht Skepsis vor. Aber oft wird<br />
diese von der Befürchtung begleitet, dass ein<br />
potentiell mögliches Gelingen der Energiewende<br />
Deutschland einen großen Wettbewerbsvorteil<br />
bescheren würde. Ausschließen<br />
mag das niemand. Eine Sustainability „made<br />
in Germany“ ist zuallererst eine Frage von
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Megatrends<br />
wissensbasierten Innovationen und des systemischen<br />
Integrierens von Einzellösungen.<br />
Praktisch gesagt: Photovoltaikanlagen auf<br />
Dächern installieren können weltweit viele.<br />
Aber die Integration der Systeme des Bauens,<br />
der Gebäudetechnik, der Energienetze, des<br />
Endkonsums und der Industriestrombedarfe,<br />
von installierter Leistung und tatsächlich<br />
genutzten Kilowattstunden ist eine andere,<br />
neue, größere Herausforderung.<br />
Alternativen gefragt<br />
„Grünes Wachstum“ versieht das immer gleiche<br />
Wirtschaftswachstum nicht einfach mit<br />
einem modisch-farbigen Vorzeichen. Es fragt<br />
nach Alternativen zu einem auf Verbrauch,<br />
Verdrängen und Wegwerfen ausgerichteten<br />
Wachstum.<br />
Ein Beispiel: In Deutschland gibt es Silber<br />
und Gold, Indium und Gallium, wertvolle<br />
Mineralien und lebenswichtige Nährstoffe<br />
in Hülle und Fülle – nur dass wir sie nicht<br />
als Rohstoffe ansehen. Sie landen im Müll<br />
oder verbleiben in Schubladen. Zwar ist die<br />
industriepolitische Bedeutung der seltenen<br />
Erden als sogenannte strategische Rohstoffe<br />
unbestritten; und heftig wird über die<br />
Geopolitik der Rohstoffsicherung nachgedacht.<br />
Aber eben nicht strategisch. Das wäre<br />
es erst, wenn eine Recyclingwirtschaft dieser<br />
Ressourcen aufgebaut würde. Aber einstweilen<br />
navigieren wir fahrlässig an diesen<br />
Schatzkästen vorbei. Nicht anders sieht es<br />
im Feld der Ernährungssicherheit aus. Frisch,<br />
makellos und formvollendet soll die Ware<br />
sein. Aber mehr als 11 Millionen Tonnen<br />
Lebensmittel werden jährlich zu Abfall.<br />
Kein Unternehmen und keine Institution,<br />
ob öffentlich oder privat, ist von dem<br />
schrittweisen Wandel hin zu einer auf den<br />
Prinzipien und Prozessen der Nachhaltigkeit<br />
gründenden Marktwirtschaft ausgenommen.<br />
International wird diskutiert, wie die<br />
<strong>Verantwortung</strong> von Unternehmen gestärkt<br />
und verstärkt werden kann. Neben Finanzkennzahlen<br />
brauchen öffentliche wie private<br />
Finanzinstitutionen verlässliche Angaben,<br />
um die Nachhaltigkeit von Produktion und<br />
Produkten, von <strong>Zukunft</strong>sstrategien von<br />
Unternehmen und der Unternehmensführung<br />
ermessen und bewerten zu können.<br />
Auf nationaler Ebene in Deutschland zeigt<br />
die zweijährige Erarbeitung des Deutschen<br />
Nachhaltigkeitskodex, dass eine erfolgreiche<br />
Zusammenarbeit mit so unterschiedlichen<br />
Partnern wie Investoren, Analysten, Unternehmensvertretern<br />
und zivilgesellschaftlichen<br />
Akteuren möglich ist. Erste Entsprechenserklärungen<br />
der Unternehmen zum<br />
Nachhaltigkeitskodex liegen jetzt vor. Der<br />
Nachhaltigkeitskodex macht den Unterschied<br />
zu gesetzlichen Regeln deutlich. Seine<br />
Anwendung ist freiwillig, sein qualitatives<br />
Niveau ist hoch, er wird regelmäßig evaluiert,<br />
und seine Implementierung funktioniert über<br />
den Markt. International und europäisch wird<br />
nach Modellen gesucht, die Unternehmensverantwortung<br />
stärker an Regeln zu binden.<br />
Das deutsche Beispiel ist eine gute Option für<br />
die Green Economy.<br />
Veränderung vor Ort<br />
Woran man sieht: Die Geschichte der Nachhaltigkeit<br />
ist nicht nur eine Geschichte von<br />
Konferenzen und Papieren. Konferenzen wie<br />
die kommende in Rio haben ihre Bedeutung.<br />
Die Welt wird aber vor Ort verändert, konkret<br />
und mit der Kompetenz des verantwortlichen<br />
Handelns. Und wir müssen damit nicht auf<br />
die Enkel warten.<br />
Dr. Günther Bachmann, Generalsekretär des Rates für<br />
Nachhaltige Entwicklung
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Megatrends<br />
Rat für Nachhaltige Entwicklung<br />
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) ist<br />
ein Beratungsgremium mit Mandat der Bundesregierung.<br />
Dem Rat gehören 15 Persönlichkeiten<br />
des öffentlichen Lebens an. Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel hat die aktuellen<br />
Ratsmitglieder im Juni 2010 für drei Jahre be-<br />
berufen. Erstmals berufen wurde der der Rat Rat im im Ap-<br />
April 2001 2001 vom vom damaligen Bundeskanzler Ger-<br />
Gerhard Schröder.<br />
Die Aufgaben des Rates sind die Entwicklung<br />
von Beiträgen für die Umsetzung der nationalen<br />
Nachhaltigkeitsstrategie, die Benennung<br />
von konkreten Handlungsfeldern und Projekten<br />
sowie Nachhaltigkeit zu einem wichtigen<br />
öffentlichen Anliegen zu machen. Vorsitzende<br />
des Rates ist seit dem 29. Februar 2012 Marlehn<br />
Thieme, Mitglied des Rates der Evangelischen<br />
Kirche in Deutschland und Direktorin<br />
im Bereich CSR der Deutschen Bank AG. Sie<br />
folgt auf Hans-Peter Repnik, der dieses Amt<br />
kürzlich aus gesundheitlichen Gründen niederlegen<br />
musste. Olaf Tschimpke, Präsident<br />
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU),<br />
ist stellvertretender Vorsitzender des Nachhal-<br />
Nachhaltigkeitsrates.
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012<br />
Hunger – ein lösbares Problem<br />
Hunger ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit: Jeder siebte Mensch, das sind<br />
knapp 1 Milliarde Menschen, auf der Welt hungert. Neben den unmittelbaren Folgen beeinträchtigt<br />
Hunger auch den Fortschritt – sei es im Bereich der Gesundheit oder der Bildung.<br />
Laut World Food Programme (WFP) würde<br />
es knapp 2,65 Milliarden Euro kosten, um<br />
alle hungernden Schulkinder der Welt<br />
zu unterstützen. Das Wissen, die Mittel<br />
und die Strategien, die wir heute haben,<br />
würden zusammen mit politischem Willen<br />
ausreichen, das Problem zu lösen.<br />
Die Fortschritte, die Brasilien in den vergangenen<br />
Jahren gemacht hat, sind ein<br />
Beweis dafür. Im vergangenen Jahrzehnt<br />
konnte das Land den Anteil der hungernden<br />
Menschen um ein Drittel verringern<br />
und Mangelernährung um 25 Prozent<br />
reduzieren. 24 Millionen Menschen sind<br />
aus der extremen Armut befreit worden.<br />
Sechs Methoden, die sich für das WFP<br />
nach mehr als 50 Jahren Erfahrung als<br />
die effektivsten erwiesen haben:<br />
1. Ernährungshilfe in Notfällen<br />
Nothilferationen können nach einer<br />
Naturkatastrophe oder von Menschen<br />
verursachten Desastern Tausende<br />
Leben retten. Sie sichern zudem die<br />
physische und geistige Entwicklung<br />
von Kindern, indem Mangelernährung<br />
vorgebeugt wird.<br />
2. Ernährung für unter 2-Jährige<br />
Die Versorgung von schwangeren und<br />
stillenden Müttern mit nährstoffreichen<br />
Nahrungsmitteln sichert eine<br />
gesunde physische und geistige Entwicklung<br />
von unter 2-Jährigen.<br />
3. Schulspeisungen für Kinder<br />
Schulmahlzeiten bedeuten für Kinder,<br />
dass sie genug Nahrung erhalten, um<br />
sich auf den Unterricht konzentrieren<br />
zu können. Außerdem ermöglicht es<br />
vielen Kindern, Armut und Hunger zu<br />
entkommen.<br />
4. Unterstützung von Kleinbauern<br />
Indem man Kleinbauern zum Beispiel<br />
durch Trainings unterstützt, erhalten<br />
sie Zugang zu den Märkten und helfen<br />
Gemeinden dabei, ihre Nahrungsmittelproduktion<br />
so zu stärken, dass sie<br />
gegen Krisen gewappnet sind.<br />
5. Nahrungsmittel für Trainings<br />
Indem das WFP armen Frauen Nahrungsmittelrationen<br />
für die Teilnahme<br />
an Trainingsprogrammen wie Gartenanbau<br />
oder Bienenhaltung gibt,<br />
bekommen sie die Möglichkeit, für sich<br />
und ihren Familien eine langfristige<br />
Lebensgrundlage zu schaffen.<br />
6. Nahrungsmittelgutscheine<br />
Wenn es Nahrungsmittel auf den<br />
Märkten gibt, die Menschen sich<br />
diese jedoch nicht leisten können,<br />
dann sind Gutscheine ein besonders<br />
wirkungs volles Mittel, damit Hungernde<br />
sich selbst mit der Nahrung<br />
versorgen können, die sie benötigen.<br />
Nebenbei wird die lokale Wirtschaft<br />
unterstützt.<br />
Quelle: Vereinte Nationen, World Food Programme, 20. März 2012/Copyright: WFP/Alejandro Chicheri<br />
Seite 20 //
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012<br />
Nachhaltig wachsen und Armut verringern<br />
Am 21. Januar 2012 trafen sich Agrarminister aus 65 Ländern zum 4. Berliner Agrarministergipfel „Ernährungssicherung<br />
durch nachhaltiges Wachstum. Landwirtschaftliche Nutz ung knapper Ressourcen“. Zum Abschluss formulierten sie ein Papier<br />
zur Vorbereitung der Rio+20-Konferenz der Vereinten Nationen im Juni 2012. Darin heißt es unter anderem:<br />
Knappe Ressourcen, die zunehmenden Auswirkungen<br />
des Klimawandels und die wachsende<br />
Nachfrage nach Nahrungsmitteln<br />
und Agrarrohstoffen machen es unbedingt<br />
erforderlich, den Prozess des Schutzes der<br />
biologischen Vielfalt und der effizienteren<br />
und nachhaltigeren Bewirtschaftung der<br />
landwirtschaftlichen Nutzflächen und<br />
Böden zu beschleunigen.<br />
Für die <strong>Zukunft</strong> der Menschheit wird<br />
es entscheidend darauf ankommen, die<br />
Wasserwirtschaft in gefährdeten Regionen<br />
nachhaltig zu gestalten, Wasser zu recyceln<br />
und effizient zu verwenden.<br />
Der sichere Zugang von Kleinbauern, marginalisierten<br />
Gruppen und jungen Menschen<br />
zu Land und Wasser zur landwirtschaftlichen<br />
Nutzung ist eine wesentliche Voraussetzung<br />
für deren Ernährungssicherung.<br />
Die Agrarproduktion muss nachhaltig gesteigert<br />
werden, um Ernährungssicherheit<br />
zu gewährleisten und die Einkommen der<br />
Landwirte zu steigern.<br />
Zur Lösung des Problems der Ernährungssicherung<br />
müssen standörtlich angepasste,<br />
nachhaltige landwirtschaftliche Produktionssysteme<br />
entwickelt und umgesetzt werden.<br />
Es müssen ausreichend öffentliche und<br />
private Investitionen in die Agrarforschung<br />
getätigt werden, insbesondere in die Pflanzen-<br />
und Nutztierforschung, in Beratungsdienstleistungen<br />
in ländlichen Gebieten, die<br />
den Schwerpunkt auf die Ausbildung junger<br />
Menschen legen.<br />
Die Nutzung traditionellen Wissens, insbesondere<br />
indigenen Wissens, ist gemeinsam<br />
mit neuen Forschungserkenntnissen und<br />
innovativen Produkten und Verfahren in<br />
Erzeugung, Verarbeitung, Vermarktung und<br />
Infrastruktur entscheidend für die Linderung<br />
der Armut und die Verbesserung der<br />
weltweiten Ernährungssicherung.<br />
Die Kapitalausstattung des Agrarsektors<br />
muss verbessert und Investitionen in ländliche<br />
Räume gesteigert werden.<br />
Investitionen in nachhaltige landwirtschaftliche<br />
Produktionssysteme, Infrastruktur,<br />
Forschung sowie Ausbildung und Beratung<br />
sind erforderlich, um nachhaltiges Wachstum<br />
anzukurbeln und zu erhalten.<br />
Ländliche und urbane Räume müssen durch<br />
eine effiziente Infrastruktur stärker vernetzt<br />
werden, um die Lebensbedingungen und<br />
den Zugang zu Märkten (lokal, regional und<br />
global) zu verbessern.<br />
Der Ausbau von Partnerschaften zwischen<br />
dem öffentlichen und dem privaten Sektor<br />
muss vorangetrieben werden.<br />
Ein beträchtlicher Teil der weltweit erzeugten<br />
Nahrungsmittel geht auf dem Weg<br />
von der Erzeugung bis zum Verbraucher<br />
verloren; es bedarf angepasster Technologien<br />
und Maßnahmen zur Verminderung<br />
dieser Verluste.<br />
Der verantwortungsbewusste und sorgsame<br />
Umgang mit Nahrungsmitteln<br />
muss vorangetrieben werden, um insbesondere<br />
Verschwendung zu reduzieren<br />
und so den Einsatz knapper Ressourcen<br />
auf allen Stufen der Lebensmittelkette<br />
zu vermindern.<br />
Nachhaltige Verfahren müssen auch in<br />
der Erzeugung nachwachsender Rohstoffe<br />
eingesetzt werden, um schädliche Auswirkungen<br />
auf die biologische Vielfalt und den<br />
Naturhaushalt zu vermeiden.<br />
Die Kriterien fü r den nachhaltigen<br />
Anbau und die Nutzung nachwachsender<br />
Rohstoffe aus der Landwirtschaft<br />
müssen beachtet und deren Einhaltung<br />
muss durch Infrastruktur, Technologie<br />
und politische Konzepte gefördert<br />
werden.<br />
Fotoquelle: © thinkstock<br />
Quelle: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Berlin 2012<br />
// Seite 21
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Im Gespräch<br />
„Die Energiewende muss sich auch für die Investoren rechnen“<br />
Förderprogramme sollten mehr genutzt werden // Energieeffizienz als Kriterium für die Kreditwürdigkeit<br />
Interview mit Georg Fahrenschon, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV)<br />
Die Bundesregierung setzt auf<br />
eine Senkung des Energieverbrauchs<br />
und eine drastische<br />
Erhöhung des Anteils erneuerbarer<br />
Energien. Welchen Beitrag<br />
können die Sparkassen<br />
zum Prozess der Energiewende<br />
leisten<br />
Für die Energiewende wird<br />
die Finanzierungsfrage ein<br />
entscheidender Erfolgsfaktor<br />
sein. Die Sparkassen verstehen<br />
sich als der Finanzierungspartner<br />
für Privat- und<br />
Firmenkunden ebenso wie für<br />
die Kommunen, wenn es um<br />
Investitionen in Energieeffizienz<br />
und erneuerbare Energien geht.<br />
Dafür werden eigene Kreditmittel<br />
vergeben, aber auch<br />
Förderkredite der KfW.<br />
Hier haben unsere Institute<br />
einen Anteil von<br />
gut 40 Prozent<br />
bei der Vergabe - über alle Förderkredite<br />
hinweg von 2009 bis 2011 über 22 Milliarden<br />
Euro.<br />
Wie muss die staatliche Förderung gestaltet<br />
werden, um Energieeinsparung zu<br />
forcieren<br />
Die Energiewende ist ein gesamtgesellschaftliches<br />
Anliegen. Sie muss sich aber<br />
auch für die Investoren rechnen. Bei<br />
Maßnahmen zur Energieeffizienz ist es<br />
sehr häufig möglich, durch die Einsparungen<br />
die Investitionen zu refinanzieren. In<br />
vielen Fällen sind aber Förderprogramme<br />
ein notwendiger Anreiz. Hier gibt es sehr<br />
gute Programme, die aber stärker bekanntgemacht<br />
und genutzt werden sollten. Wir<br />
sehen einen großen Bedarf bei der energetischen<br />
Sanierung von Gebäuden. Denn<br />
Energie, die gar nicht erst verbraucht wird,<br />
muss weder produziert noch über größere<br />
Strecken transportiert werden. Leider wird<br />
derzeit jährlich nur rund 1 Prozent des<br />
Gebäudebestands energetisch saniert. Das<br />
ist viel zu wenig, wenn der Primärenergieverbrauch<br />
bis 2020 um 20 Prozent gesenkt<br />
werden soll.<br />
Welche Bedeutung wird der Energieeffizienz<br />
eines Unternehmens bei der Beurteilung<br />
der Kreditwürdigkeit beigemessen<br />
Allein die elektrischen Antriebe in Industrie<br />
und Gewerbe verbrauchen fast zwei Fünftel<br />
des gesamten Stroms in Deutschland. Energieeffizienz<br />
ist dort künftig ein Schlüsselfaktor.<br />
Zum einen werden die Energiekosten<br />
in den nächsten Jahren deutlich steigen.<br />
Sich darauf durch gezielte Maßnahmen<br />
rechtzeitig vorzubereiten ist eine wesentliche<br />
Frage für die Wirtschaftlichkeit von<br />
Unternehmen. Zum anderen zeigen solche<br />
Unternehmen ihre Innovationskraft und<br />
verbessern ihre Reputation im Markt. All<br />
das spielt künftig für die Beurteilung der<br />
Kreditwürdigkeit eine große Rolle.<br />
Ihre Kunden sind zumeist lokale Unternehmen<br />
und Handwerksbetriebe. Welche Rolle<br />
Fotoquelle: © Peter Himsel<br />
Seite 22 //
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Im Gespräch<br />
kommt dem Mittelstand bei der Lösung der<br />
Probleme zu<br />
Drei Viertel aller deutschen Unternehmen<br />
sind unsere Kunden. Darunter sind sehr<br />
viele mittelständische und familiengeführte<br />
Unternehmen, durchaus nicht nur lokal<br />
tätige, sondern in vielen Fällen Weltmarktführer<br />
in ihrem Bereich. Diese Unternehmen<br />
und ihre Eigentümer sind es gewohnt,<br />
langfristig zu denken und zu handeln. Sie<br />
sind deshalb sehr gut für Maßnahmen der<br />
ökologischen Nachhaltigkeit zu gewinnen.<br />
Und ohne Handwerksbetriebe sind weder<br />
energetische Sanierungen noch Energieeffizienzmaßnahmen<br />
praktisch umsetzbar. Für<br />
sie ist das auch ein großes Geschäftsfeld.<br />
Mittelständische Unternehmen sind deshalb<br />
natürliche Verbündete für eine rasche und<br />
wirtschaftlich vernünftige Umsetzung der<br />
Energiewende.<br />
Welche Vorteile bietet die dezentrale<br />
Struktur Ihrer Institute für die Energiewende<br />
Die Energiewende wird nur gelingen, wenn<br />
sie durch die Bürgerinnen und Bürger sowie<br />
die Unternehmen breit getragen wird. Es<br />
muss uns gelingen, für diese Herkulesaufgabe<br />
privates Kapital und Engagement vor Ort<br />
zu mobilisieren. Sparkassen arbeiten nach<br />
dem Prinzip „Geld aus der Region für die Region“.<br />
Damit können Sparkassen lokale Aktionen<br />
für mehr Energieeffizienz starten, häufig<br />
zusammen mit Handwerksunternehmen. Sie<br />
beteiligen sich in vielen Fällen an regionalen<br />
Initiativen, deren Zielsetzungen die Umsteuerung<br />
in regenerative Energien, Klimaneutralität<br />
oder bessere regionale Wertschöpfung<br />
sind. Und vor allem können sie helfen, finanzielle<br />
Beteiligungen von Bürgerinnen und<br />
Bürgern bei Anlagen mit regenerativer Energie<br />
oder der Übernahme lokaler Energienetze<br />
zu organisieren. Möglich ist dies etwa durch<br />
Geldanlagen in Umwelt- und Klimasparbriefe,<br />
deren Aufkommen in solche Maßnahmen<br />
investiert werden. Die Menschen spüren,<br />
dass sie damit etwas für die eigene Region<br />
tun. Das schafft Vertrauen und erhöht die<br />
Akzeptanz der Energiewende.<br />
Welches Potential sehen Sie in der Umstellung<br />
der Energieversorgung von zentral auf<br />
dezentral Großprojekte wie Windparks<br />
oder oberirdische Trassen stoßen in der<br />
Bevölkerung zunehmend auf Widerstand.<br />
Einige Stadtwerke engagieren sich beispielsweise<br />
wieder in der Energieproduktion.<br />
Sehen Sie für die Sparkassen in dieser<br />
Tendenz Wachstumschancen<br />
Die Energiewende mit ihren ambitionierten<br />
energiepolitischen Zielen wird sicher nicht<br />
ohne Großanlagen gelingen. Offshore-<br />
Windanlagen sind dabei ein Element, um<br />
diese Ziele zu erreichen. Diese Technologie<br />
hat aber das Problem, dass bei ihr der Strom<br />
über weite Strecken transportiert werden<br />
muss. Gegen die dafür geplanten oberirdischen<br />
Höchstspannungsleitungen regt sich<br />
schon jetzt Bürgerprotest. Es sollte deshalb<br />
möglichst viel Energie dort produziert<br />
werden, wo sie verbraucht wird – also vor<br />
Ort in den Kommunen. Allerdings sehen<br />
wir auch, dass es dort vielfach noch an<br />
den intelligenten Netzinfrastrukturen fehlt,<br />
die eine dezentrale Einspeisung und den<br />
bedarfsgerechten Abruf von Strom ermöglichen.<br />
Das ist neben der Speicherung von<br />
Energie die größte Herausforderung, die ich<br />
sehe.<br />
Die Energiewende bedarf erheblicher<br />
Investitionen. Wie hoch schätzen Sie den<br />
Finanzierungsbedarf ein<br />
Nach Schätzungen des DSGV müssen für<br />
die Realisierung von Einsparpotentialen,<br />
die Erschließung alternativer und vor allem<br />
erneuerbarer Energien und den Aufbau neuer<br />
Netzinfrastrukturen bis 2020 rund 370<br />
Milliarden Euro investiert werden. Allein das<br />
Volumen der Investitionen in die regionalen<br />
Verteilernetze dürfte bei über 22 Milliarden<br />
Euro liegen, eine gewaltige Summe, die vor<br />
allem von Kommunen und Stadtwerken<br />
gestemmt werden muss.<br />
Für Deutschland als exportorientiertes<br />
Industrieland wird es eine große Herausforderung,<br />
die Energiewende zu realisieren,<br />
// Seite 23
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Im Gespräch<br />
ohne die Energieversorgung zu teuer und in<br />
Bezug auf die Versorgungssicherheit unkalkulierbar<br />
zu machen.<br />
Die staatlichen Förderprogramme reichen<br />
dafür nicht aus. Wie wollen Sie noch mehr<br />
Kapital mobilisieren<br />
Angesichts der enormen Investitionen, die<br />
für die Energiewende benötigt werden, reichen<br />
staatliche Förderungen in der Tat nicht<br />
aus. Es muss deutlich mehr privates Kapital<br />
mobilisiert werden. Höchstspannungsnetze<br />
oder Großanlagen im Gas- oder Solarsektor<br />
werden wohl nur durch institutionelle<br />
Anleger bewältigt werden können. Darauf<br />
konzentriert sich derzeit die Aufmerksamkeit.<br />
Die ambitionierten Ziele zur Energieeinsparung<br />
und Umsteuerung auf regenerative<br />
Energien werden aber nur zu erreichen sein,<br />
wenn jeder in seinem Umfeld das Mögliche<br />
tut. Wir müssen deshalb Bürgern und Unternehmen<br />
helfen, die richtigen Investitionen<br />
bei sich selbst durchzuführen. Und wir müssen<br />
dafür sorgen, dass auch privates Kapital<br />
in kleinen Volumina vor Ort in Bürgerbeteiligungsmodellen<br />
investiert wird. Das mobilisiert<br />
das notwendige Kapital, macht das<br />
Thema Energiewende aber auch zu einem<br />
Anliegen der Bürger selbst. Ich sehe darin<br />
auch eine große Chance für bürgerschaftliches<br />
Engagement und damit eine Belebung<br />
der kommunalen Selbstverwaltung.<br />
Können Sie uns ein Beispiel für eine<br />
gelungene Finanzierung geben<br />
Im vergangenen Jahr hat die Sparkasse<br />
Mainz zusammen mit einem Solarmodulhersteller<br />
sowie den Mainzer Stadtwerken den<br />
Bürgern erstmals die Möglichkeit gegeben, in<br />
Solarenergie zu investieren – auch wenn sie<br />
nicht über ein eigenes Hausdach verfügen.<br />
Um Mainzer Solarbürger zu werden, genügte<br />
eine Mindesteinlage von 1.000 Euro in den<br />
„Bürger-Solarsparbrief“. Über eine Laufzeit<br />
von fünf Jahren werden attraktive Zinsen<br />
gewährt. Dabei ist der Zinsertrag nicht an<br />
den Ertrag der Photovoltaikanlage gebunden.<br />
Das limitierte Kontingent des Sparbriefs<br />
entspricht dem Investitionsvolumen der<br />
Photovoltaikanlagen und bietet damit eine<br />
wirklich nachhaltige Geldanlage.<br />
Wie sollte Ihrer Ansicht nach die Energiepolitik<br />
der <strong>Zukunft</strong> aussehen<br />
Die Energiepolitik sollte nach meiner<br />
Einschätzung drei große Ziele verfolgen:<br />
Erstens müssen wir den Ehrgeiz entwickeln,<br />
Energie so sparsam wie möglich<br />
einzusetzen. Dabei geht es um die bessere<br />
Energieeffizienz. Zweitens müssen wir auf<br />
solche Energieträger umstellen, die umwelt-<br />
und klimapolitisch vertretbar sind. Wo<br />
immer möglich, sollten wir das Ziel einer<br />
Klimaneutralität verfolgen. Und drittens<br />
muss es darum gehen, die Energieabhängigkeit<br />
Deutschlands zu verringern. Diese drei<br />
Zielsetzungen stehen in inneren Konflikten<br />
zueinander. Die Kunst wird sein, möglichst<br />
viel von allen drei Zielen zu erreichen.<br />
Welche Ziele wollen Sie in der Zeit Ihrer<br />
Präsidentschaft erreichen<br />
Die Sparkassen verstehen sich seit über<br />
200 Jahren als Mitgestalter grundlegender<br />
Umbruchprozesse. Sie sind in der Zeit der<br />
Industrialisierung gegründet worden. Damals<br />
ging es darum, industrielle und soziale<br />
Verwerfungen abzufedern und zu gestalten.<br />
Nach zwei Weltkriegen und der Deutschen<br />
Einheit haben die Sparkassen wesentliche<br />
Leistungen für den Wiederaufbau und<br />
wirtschaftlichen Wohlstand erbracht. Ich<br />
sehe in der Energiewende eine der ganz<br />
großen wirtschaftlichen, ökologischen und<br />
sozialen Herausforderungen unserer Zeit.<br />
Wir müssen dieses Vorhaben so gestalten,<br />
dass wir den Anforderungen an ökologische<br />
Nachhaltigkeit entsprechen, ohne<br />
Unternehmen und Bürger wirtschaftlich zu<br />
überfordern. Bezahlbare Energie ist nicht<br />
zuletzt auch eine soziale Frage. Die Aufgabe<br />
ist so bedeutsam, dass die Sparkassen ihr<br />
wirtschaftliches Know-how und ihre lokale<br />
Verankerung unbedingt einbringen müssen.<br />
Die Fragen stellte Gabriele Kalt<br />
Seite 24 //
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Mit Expertenbeiträgen aus der Wissenschaft und von namhaften Unternehmen.<br />
2012
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Megatrends<br />
Fachkräfte sichern<br />
Wie Mittelständler in Deutschland mit dem demographischen Wandel umgehen<br />
Von Karl-Heinz Schulz<br />
Eigentlich erstaunlich: Immer noch gibt es<br />
Stimmen, die bezweifeln, dass es in unserem<br />
Land einen Fachkräftemangel gibt; Stimmen,<br />
die argwöhnen, hier handele es sich um<br />
Arbeitgeberpropaganda mit dem Ziel, durch<br />
Zuwanderung ein komfortables Überangebot<br />
auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. Solche<br />
Zweifler müssten nur einmal in ein x-beliebiges<br />
mittelständisches Unternehmen gehen;<br />
zum Beispiel zur ixetic GmbH in Bad Homburg.<br />
Der Automobilzulieferer ist mit seinen 1.400<br />
Beschäftigten, davon 95 Prozent Fachkräfte,<br />
ein heimlicher Weltmarktführer für Hydraulik–<br />
und Vakuumpumpen. Schon heute weiß<br />
er, dass der Anteil der Mitarbeiter im Alter<br />
50+ bis 2020 auf weit mehr als die Hälfte der<br />
Beschäftigten anwächst. Die Anteile der jüngeren<br />
Altersgruppen dagegen nehmen zum<br />
Teil dramatisch ab – wenn man nichts tut.<br />
Dabei sind die älteren Beschäftigten an sich<br />
nicht das Problem. Im Gegenteil: Mit ihrer<br />
Erfahrung, ihrer Weitsicht und ihrer Sozialkompetenz<br />
leisten sie einen hochgeschätzten<br />
Beitrag zum Unternehmenserfolg.<br />
Doch um eine gesunde Personalstruktur zu<br />
erhalten, braucht es auch die Jüngeren. Und<br />
an der Stelle, sagt der Personalleiter Stefan<br />
Urbach, sind kleinere, weniger bekannte<br />
Unternehmen nicht nur mit den schrumpfenden<br />
Jahrgängen konfrontiert, die von<br />
den Schulen und Hochschulen kommen. Sie<br />
haben obendrein ein spezifisch mittelständisches<br />
Problem: Viele der begehrten Fachkräfte,<br />
so Urbachs Erfahrung, entscheiden sich<br />
gezielt für die großen Namen innerhalb ihrer<br />
jeweiligen Branche. Diese höhere Arbeitgeberattraktivität<br />
hat eine Reihe von Gründen.<br />
Sei es die Strahlkraft der Marke, sei es, dass<br />
man dort dem demographischen Wandel mit<br />
großangelegten Projekten begegnen kann<br />
wie etwa BMW in seinem Werk Dingolfing<br />
(<strong>Verantwortung</strong> <strong>Zukunft</strong>, <strong>Ausgabe</strong> 1-2011).<br />
Wie überall gilt auch hier: Mittelständler<br />
müssen beweglich sein und neue Wege<br />
gehen. Das Zauberwort heißt Vernetzung.<br />
Für ixetic etwa sind das Kooperationen mit<br />
anderen Arbeitgebern am Ort. Und für immer<br />
mehr KMU in Deutschland sind es gleich<br />
ganze Demographienetzwerke, in denen<br />
man voneinander lernt – und zwar auf allen<br />
vier Feldern der Fachkräftesicherung, die da<br />
lauten: Mitarbeiter gewinnen, binden, bilden<br />
und gesund erhalten.<br />
„Azubi-Botschafter“<br />
So hat etwa Provadis im Industriepark<br />
Höchst unlängst auf dem Jahreskongress des<br />
Demographienetzwerks FrankfurtRheinMain<br />
einen Ansatz vorgestellt, der Schule machen<br />
kann – im wörtlichen Sinne. Seit 2010 schickt<br />
das Unternehmen eigene Auszubildende auf<br />
freiwilliger Basis in Klassen, wo sie von ihrem<br />
Berufseinstieg berichten – und so für das<br />
Ausbildungsplatzangebot werben. Auch das<br />
MINT-Projekt des Hessischen Wirtschaftsministeriums,<br />
das Schülerinnen und Schüler<br />
für die naturwissenschaftlich-technischen<br />
Disziplinen begeistern soll, setzt auf solche<br />
„Azubi-Botschafter“.<br />
Beispielhaft in Hessen ist außerdem das<br />
Demographienetzwerk in der Metropolregion<br />
FrankfurtRheinMain. Auch das Handwerk ist<br />
mit von der Partie – und zeigt den anderen<br />
Partnern, wie man heute junge Leute<br />
erreicht: mit einer erfolgreichen Nachwuchskampagne<br />
auf Facebook. Und dass auch<br />
ältere Bewerber wieder Chancen auf dem<br />
Arbeitsmarkt haben, beweisen die wachsenden<br />
Vermittlungszahlen in ganz Deutschland.<br />
So machte die ING-DiBa schon vor Jahren<br />
mit ihrem Programm „Azubi 50plus“ Schlagzeilen:<br />
eine Bankausbildung für Wiedereinsteiger<br />
in das Arbeitsleben, durchgeführt<br />
zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit<br />
und der IHK.<br />
Lebensphasenorientierung<br />
Inzwischen weiß man: Wenige Themen sind<br />
für die Zufriedenheit von Mitarbeitern und<br />
damit ihre Bindung an das Unternehmen so<br />
neuralgisch wie die viel bemühte Vereinbarkeit<br />
von Beruf und Familie. Man weiß ferner:<br />
Elternzeit ist nicht nur etwas für Mütter,<br />
sondern auch für Väter. Was noch nicht<br />
Allgemeingut ist: Dass in einer alternden<br />
Seite 26 //
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Megatrends<br />
Gesellschaft immer mehr Beschäftigte im<br />
Alter von fünfzig aufwärts plötzlich Zeit<br />
brauchen, um ihre Eltern zu pflegen. Auch<br />
hier haben zuerst große Unternehmen Standards<br />
gesetzt: mit einer sogenannten lebensphasen-<br />
oder gar lebensereignisorientierten<br />
Personalpolitik. Gestützt auf ein ausgefeiltes<br />
Instrumentarium rund um Zeitwertkonten<br />
ermöglicht sie Beschäftigten, solchen strapaziösen<br />
Anforderungen aus dem Privatleben<br />
gerecht zu werden. Mittlerweile sind auch<br />
Mittelständler gut aufgestellt. So bietet die<br />
Taunus Sparkasse nicht nur eine Krippe für<br />
Mitarbeiterkinder unter drei und Ferienangebote<br />
für Schulkinder, sondern auch Vertrauensarbeitszeit<br />
und die Freistellung für die<br />
Pflege von Angehörigen.<br />
Freilich, zum Nulltarif geht so etwas nicht.<br />
Immerhin rechnet man bei Betriebskindergärten<br />
zum Beispiel mit Kosten von 15.000<br />
Euro pro Kind und Jahr – und ein Kindergarten<br />
trägt sich erst ab etwa 60 Plätzen. Diese<br />
Zahlen waren 2008 für ixetic der Grund, zu<br />
einem runden Tisch einzuladen – und neun<br />
Fotoquelle: © Henderson/Getty Images<br />
// Seite 27
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Megatrends<br />
weitere Firmen kamen. 2010 hatten die zehn,<br />
unterstützt von der Stadt, alle Probleme gelöst<br />
– vom geeigneten Betreiberkonzept über<br />
pädagogische Aspekte bis hin zur passenden<br />
Immobilie. Im Oktober öffnete das Kinderhaus<br />
„Krabbelkäfer“ für Kinder im Alter von<br />
sechs Monaten bis drei Jahren. Der Erfolg ist<br />
nachhaltig: Zurzeit werden 60 Kinder betreut<br />
– und die Plätze sind heiß begehrt.<br />
Betriebliche Bildungsferne<br />
Vorsicht: Trauerspiel. So musste man über<br />
viele Jahre den Zustand der betrieblichen<br />
Weiterbildung für ältere Mitarbeiter und<br />
Mitarbeiterinnen bezeichnen. Wer investierte<br />
schon in über 45-Jährige In ein paar Jahren<br />
gingen die doch ohnehin in Frühpension. So<br />
das verbreitete Kalkül in Personalabteilungen.<br />
Doch es war nicht der einzige Grund für diese<br />
altersbezogene betriebliche Bildungsferne.<br />
Ein ebenso wichtiges Hemmnis, schildern<br />
viele Praktiker, lag in den Probanden selbst:<br />
Lernentwöhnung führte häufig zu regelrechten<br />
Weiterbildungsphobien.<br />
Zum Glück hat das Umdenken längst begonnen.<br />
Viele Unternehmen haben begriffen,<br />
dass gerade die Älteren nicht abgehängt<br />
werden dürfen. Zum einen werden sie<br />
als produktive Ressource immer wichtiger.<br />
Und angesichts des Tempos, in dem auch<br />
Wissen veraltet, bleiben sie nur beschäftigungsfähig,<br />
wenn sie tatsächlich lebenslang<br />
lernen. Zum anderen ist die damit verbundene<br />
geistige Aktivität einer der besten<br />
Treiber auch für körperliche Gesundheit.<br />
Wie es geht, darüber tauschen sich in dem<br />
Netzwerk „Community of Training Practice<br />
(CoTP)“ Bildungsverantwortliche aus 72 Unternehmen<br />
aus. Immer mehr tritt dabei ein<br />
Paradigmenwechsel zutage, sagt Charlotte<br />
Venema, Leiterin betriebliche Personalpolitik<br />
beim Arbeitgeberverband Hessen Metall,<br />
der die CoTP ins Leben gerufen hat: weg<br />
vom Seminarraum hin zum Arbeitsplatz.<br />
„Dank E-Learning“, so Venema, „gelingt es,<br />
das Wissen unmittelbar dorthin zu bringen,<br />
wo ein akuter Bedarf besteht – an die<br />
CNC-Maschine oder die Fertigungsstraße,<br />
die gerade stillsteht.“ Das stiftet nicht nur<br />
einen direkten Nutzen für alle Beteiligten,<br />
also den Mann oder die Frau vor Ort, die<br />
Firma und den Kunden. Der schnelle Erfolg<br />
motiviert überdies zu weiteren Lernanstrengungen<br />
– und das mit neuen Techniken<br />
und Medien, die im Beruf ohnehin immer<br />
wichtiger werden.<br />
Wenn Arbeit gesund macht<br />
Gesundheit wird in Deutschland gern<br />
in Fehltagen gemessen. Das betriebliche<br />
Gesundheitsmanagement dagegen, das sich<br />
zu einer neuen Disziplin der Personalarbeit<br />
entwickelt hat, fußt häufig auf einer anderen<br />
Philosophie: dem Ansatz der Salutogenese,<br />
also wörtlich: der Gesunderhaltung. Auch<br />
hier schließen sich kluge Mittelständler<br />
immer öfter zusammen, um die Selbstverantwortung<br />
ihrer Beschäftigten zu stärken. So in<br />
der Bad Homburger Initiative „mir geht’s gut“.<br />
Sie bietet Mitarbeitern unternehmensübergreifend<br />
Massagen am Arbeitsplatz an, Yoga,<br />
Nordic Walking oder auch einen monatlichen<br />
Gesundheitstipp.<br />
Und was ist mit dem sprichwörtlich gewordenen<br />
Dachdecker, der mit 65 Jahren nicht<br />
mehr über den Dachfirst laufen kann Der<br />
Gerüstbauer Jörg Westermann in Kassel hat<br />
dafür eine Lösung gefunden. Seine älteren<br />
Mitarbeiter beraten inzwischen Kunden bei<br />
der Gerüstabnahme. Häufig verändern nämlich<br />
andere Gewerke die Originalaufbauten,<br />
was bei Unfällen zur Haftung der Bauherrn<br />
führen kann. Die wissen deshalb den neuen<br />
Service zu schätzen und zahlen gern für<br />
die Expertise der erfahrenen Gerüstbauer.<br />
Eines von mehreren Beispielen, wie Westermann<br />
aus der Not eine Tugend, sprich neue<br />
Angebote und Geschäftsfelder zu machen<br />
verstand. Er steht damit prototypisch für<br />
ein Muster, das deutsche Unternehmen von<br />
jeher auszeichnete: Herausforderungen als<br />
Chancen zu betrachten. Der demographische<br />
Wandel, so neu wie er ist und historisch ohne<br />
Vorbild, macht da keine Ausnahme.<br />
Karl-Heinz Schulz, Inhaber Mandelkern Management<br />
und Kommunikation e.K.<br />
Regionale Plattform<br />
Das Demographienetzwerk FrankfurtRhein-<br />
Main wurde initiiert von: der Bundesagentur<br />
für Arbeit, Hessenmetall, der IHK Frankfurt am<br />
Main, der Handwerkskammer Frankfurt-<br />
Rhein-Main, dem IHK-Forum Rhein-Main,<br />
dem Regionalverband FrankfurtRheinMain,<br />
dem Demographie Netzwerk (ddn), der Fachhochschule<br />
Frankfurt am Main, der Stadt<br />
Eschborn, der Stadt Frankfurt am Main, der<br />
Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände<br />
und dem Verein zur Förderung der<br />
Standortentwicklung. In verschiedenen Arbeitskreisen<br />
arbeiten zahlreiche, vorwiegend<br />
mittelständische Unternehmen mit.<br />
Seite 28 //
Die Initiatoren<br />
Wie führende Unternehmen verantwortungsvoll<br />
mit globalen Herausforderungen und Megatrends umgehen<br />
In Kooperation mit<br />
Mit Green Technology auf der Überholspur<br />
Wir danken allen Referenten und Teilnehmern, die am 26. April in Hannover<br />
mit interessanten Vorträgen und Impulsen zu spannenden Diskussionen<br />
beigetragen haben.<br />
Die Strategischen Partner<br />
BMW Group<br />
Die Medienpartner<br />
Die Vortragsunterlagen und Podcasts zur Fachkonferenz finden Sie<br />
unter www.verantwortungzukunft.com
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Aus der Praxis<br />
Fotoquelle: © thinkstock<br />
„Ungewöhnlicher<br />
Sprung“<br />
Puma legte die erste<br />
Ökobilanz der Welt vor<br />
und wird zum Vorreiter<br />
für eine „ökologischere<br />
Marktwirtschaft“<br />
Ohne Ressourcennutzung geht es nicht.<br />
Ohne den Einsatz von Rohstoffen und den<br />
Verbrauch von Energie, Land oder Luft kann<br />
kein Unternehmen Produkte herstellen und bis<br />
zum Endkunden vertreiben. Doch wie genau<br />
sieht eigentlich der Fußabdruck aus, den die<br />
Unternehmen dabei hinterlassen Wie hoch<br />
sind die „ökologischen Schäden“ Bis vor<br />
kurzem traute sich kein Unternehmen, die<br />
verursachten „Schäden“ zu veröffentlichen.<br />
Die meisten dürften sie nicht einmal erfassen.<br />
Umso mutiger war es, als der deutsche<br />
Sportartikelhersteller Puma im Winter die<br />
erste Ökobilanz weltweit vorstellte und damit<br />
offenlegte, welche Umweltauswirkungen die<br />
Herzogenauracher im operativen Geschäft<br />
sowie in der gesamten Beschaffungskette<br />
verursachen.<br />
145 Millionen Euro Schaden<br />
Anhand zentraler Umweltindikatoren wie<br />
Treibhausemissionen, Wasserverbrauch,<br />
Landnutzung, Luftverschmutzung und Abfall<br />
hat Puma herausgefunden, dass seine Umwelteffekte<br />
für das Jahr 2010 insgesamt 145<br />
Millionen Euro betrugen. 32 Prozent entfielen<br />
auf den Verbrauch von Wasser, 33 Prozent auf<br />
Treibhausgasemissionen, 26 Prozent auf Landnutzung<br />
und der Rest auf Luftverschmutzung<br />
und Abfälle.<br />
Der Schluss: Etwa 8 Millionen Euro waren dem<br />
Kerngeschäft von Puma direkt zuzurechnen,<br />
entfielen also auf Büros, Lager, Läden und<br />
Logistik. Die übrigen 137 Millionen Euro oder<br />
auch 94 Prozent entfielen auf die Beschaffungskette<br />
beziehungsweise fielen bei externen<br />
Partnern an, auf die das Unternehmen<br />
nun einwirken möchte. Selbst Viehzüchter und<br />
Bauern werden mithelfen müssen. Denn rund<br />
83 Millionen Euro entfielen in der Produktion<br />
von Rohstoffen wie Leder, Baumwolle oder<br />
Kautschuk an. Und auch eine regionale Verteilung<br />
wird sichtbar: 67 Prozent der Kosten<br />
entfielen in Asien an. Puma: Die Aufstellung<br />
Seite 30 //
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Aus der Praxis<br />
– von den Beratungsfirmen PwC und Trucost<br />
mitentwickelt – habe wichtige Hinweise<br />
geliefert, die dem Management nun helfen,<br />
den richtigen Ansatz zur Reduzierung zu<br />
wählen.<br />
Bessere Ressourcennutzung<br />
senkt Kosten<br />
Die Erhebungsmethoden mögen im Einzelnen<br />
noch nicht ganz ausgereift sein. Doch<br />
Vorstandschef Franz Koch möchte bis 2015<br />
deutliche Verbesserungen erreichen und<br />
besitzt nun einen konkreten Ausgangswert.<br />
Davon wird auch das Unternehmen profitieren,<br />
weil durch eine bessere Nutzung der<br />
Ressourcen Geld zu sparen ist. Nach Kochs<br />
Ansicht ein spannender Ansatz auch für<br />
andere Branchen wie Automobilhersteller,<br />
Chemiefirmen oder Konsumgüterhersteller.<br />
Warum ist Puma überhaupt den Schritt<br />
in die Öffentlichkeit gegangen Kommunikationschef<br />
Ulf Santjer: „Was zunächst<br />
nach negativer Berichterstattung aussah,<br />
entpuppte sich auf den zweiten Blick als<br />
völlig neuer Weg in der Nachhaltigkeitsberichterstattung.<br />
Unser Ziel war es, die gesamten<br />
Auswirkungen, die die Entwicklung,<br />
Beschaffung, Produktion und Vermarktung<br />
von PUMA-Produkten auf die Umwelt hat,<br />
zu erfassen und monetär zu bewerten. Bislang<br />
hatten wir uns mit der Datenerhebung<br />
lediglich auf unser Kerngeschäft und die<br />
direkten Lieferanten konzentriert, doch mit<br />
unserer ökologischen Gewinn-und-Verlust-<br />
Rechnung haben wir nun die Auswirkungen<br />
innerhalb der gesamten Beschaffungskette<br />
– inklusive der Rohmaterialherstellung<br />
– analysiert. Dadurch verfügen wir nun<br />
über ein Instrument, mit dem wir einerseits<br />
Veränderungen gezielt herbeiführen können<br />
– andererseits können Journalisten unsere<br />
Initiativen viel besser nachvollziehen.“ Das<br />
steigere die Glaubwürdigkeit und helfe bei<br />
der Positionierung als nachhaltiges Unternehmen.<br />
Gemischte Reaktion der Medien<br />
Die Reaktion der Medien war in der Tat<br />
zunächst durchwachsen. Zwar gab es<br />
Überschriften wie „Puma gesteht Umweltverschmutzung<br />
ein“ (Frankfurter Rundschau)<br />
oder „Sportartikel belasten Umwelt“<br />
(Hannoversche Neue Presse). Doch die<br />
meisten Journalisten erkannten den Mut<br />
an und titelten bald: „Vorreiter Puma stellt<br />
Ökobilanz auf“ (Hamburger Abendblatt),<br />
„Puma will kein Umweltschädling mehr<br />
sein“ (Badische Zeitung), „Puma wagt einen<br />
ungewöhnlichen Sprung“ (Stuttgarter Zeitung)<br />
oder „Puma schlüpft ins grüne Trikot“<br />
(Frankfurter Rundschau).<br />
In einem großen Interview mit der Wirtschaftswoche<br />
erhielt der CEO Franz Koch die<br />
Gelegenheit, sein Engagement für Nachhaltigkeit<br />
ausführlich vorzustellen. Und ihm gelang<br />
der Einstieg in eine überzeugende Neupositionierung<br />
der Marke: „Der Verbraucher<br />
ist durchaus bereit, für nachhaltige Produkte<br />
einen höheren Preis zu zahlen. Voraussetzung<br />
dafür ist, dass wir kein Greenwashing<br />
betreiben und der Kunde unser ernsthaftes<br />
Bemühen in diesem Bereich erkennt und<br />
auch wertschätzt.“<br />
Koch wagte einen mutigen Blick in die<br />
<strong>Zukunft</strong>: „Aus alten Schuhen kann ich neue<br />
machen oder etwas ganz anderes wie etwa<br />
Autoreifen. Beim biologischen Kreislauf<br />
stelle ich Schuhe und Shirts her, die kompostierbar<br />
sind. Die kann ich schreddern<br />
und im Garten verbuddeln. Wir arbeiten an<br />
Produkten, die diese Kriterien erfüllen.“ Die<br />
Ökorechnung sei nun der Leitfaden für das<br />
Ziel, bis 2015 die Hälfte der internationalen<br />
Kollektionen aus nachhaltigen und damit<br />
umweltschonenden Materialien herzustellen.<br />
Nachdem sich auch der Mutterkonzern, der<br />
französische Luxuskonzern PPR, zu einer<br />
ähnlichen Erhebung bis 2015 entschloss,<br />
mutierte Puma zum konzerninternen<br />
Vorbild: „PPR-Luxus-Marken auf den Öko-<br />
Spuren von Puma“ schrieben Wirtschaftswoche<br />
und Handelsblatt online. Und die<br />
F.A.Z. titelte: „PPR eifert mit seiner Ökobilanz<br />
Puma nach“. Die F.A.Z. bescheinigte dem<br />
langjährigen Puma-Chef Jochen Zeitz, der<br />
seit Sommer 2011 als PPR-Vorstand zuständig<br />
für Nachhaltigkeit ist, er habe „den<br />
Ritterschlag“ von PPR-Chef Francois-Henri<br />
Pinault für sein Engagement erhalten.<br />
Dass Puma nicht nur intern Pluspunkte<br />
sammeln konnte, zeigt auch das rege<br />
Interesse aus Politik und Wirtschaft. Santjer:<br />
„Seit der Veröffentlichung der Ergebnisse<br />
zeigen viele Unternehmen, internationale<br />
Organisationen, Regierungen, Wissenschaftler<br />
und Medien großes Interesse an unserer<br />
Bewertungsmethodik.“<br />
Mitglied im Rat<br />
Und Jochen Zeitz, der auch durch viele<br />
Umweltprojekte profilierte Nachhaltigkeitsmanager,<br />
wurde inzwischen in den von<br />
der Bundesregierung berufenen Rat für<br />
Nachhaltige Entwicklung aufgenommen.<br />
Sein Credo, mit dem ihn die Berliner Zeitung<br />
bei einem Besuch in Afrika zitierte: „Die<br />
Übersetzung der Umwelt auf Werte soll in<br />
keinster Weise die echte Werthaltigkeit der<br />
Natur vermonetarisieren, sondern visualisieren,<br />
welche Auswirkungen Wirtschaften<br />
auf die Umwelt hat und welche enormen<br />
Leistungen unsere Natur uns täglich gibt.“<br />
Zeitz forderte die Entscheidungsträger in<br />
der Wirtschaft auf, Themen wie Umwelt und<br />
Natur „nicht länger zu negieren, sondern<br />
automatisch in unserem Kalkül zu berücksichtigen“.<br />
gk<br />
// Seite 31
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Aus der Praxis<br />
Der Informationsanspruch steigt<br />
Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex im Kontext früherer Soft-Law-Ansätze und<br />
aktueller Bestrebungen auf EU-Ebene // Wichtige Rolle der Compliance<br />
Von Carsten Beisheim<br />
Der 2001 von der damaligen Bundesregierung<br />
eingesetzte Rat für Nachhaltige Entwicklung<br />
hat am 13. Oktober 2011 die vierte<br />
und endgültige Fassung des Deutschen<br />
Nachhaltigkeitskodex (DNK) verabschiedet.<br />
Der Rat empfiehlt der Bundesregierung, den<br />
DNK auf europäischer und globaler Ebene<br />
bekanntzumachen und den Kodex in die<br />
aktuelle EU-Diskussion um die Berichterstattung<br />
zu nichtfinanziellen Leistungsindikatoren<br />
von Unternehmen einzubringen.<br />
Worauf haben sich die Unternehmen<br />
einzustellen, und welche Rolle kann den<br />
Compliance-Einheiten in diesem Zusammenhang<br />
zukommen<br />
Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK)<br />
beschreibt aus Sicht des Rates für Nachhaltige<br />
Entwicklung die Kernanforderungen an<br />
das Nachhaltigkeitsmanagement und soll<br />
angesichts der Vielzahl der einschlägigen<br />
Normenwerke Orientierung geben. Der Rat<br />
versteht unter Nachhaltigkeit die gleichrangige<br />
Berücksichtigung von ökologischen,<br />
sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten<br />
mit dem Ziel, die Umwelt sowie<br />
den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu<br />
erhalten und die wirtschaftliche Entwicklung<br />
voranzubringen.<br />
Darüber hinaus soll der DNK den Beitrag<br />
der Nachhaltigkeit für die Wertschöpfung<br />
sichtbar machen. Er richtet sich erklärtermaßen<br />
an „große und kleine Unternehmen,<br />
kapitalmarktorientierte Unternehmen und<br />
solche, die andere Anspruchsgruppen über<br />
ihre unternehmerischen Nachhaltigkeitsleistungen<br />
informieren wollen“.<br />
Gültig für Unternehmen aller Größen<br />
In der Vorstellung des Rates soll er indes<br />
generell von Unternehmen und Organisationen<br />
gleich welcher Art und Größe genutzt<br />
werden. Der Kodex ist in seiner Anwendung<br />
freiwillig. Relativiert wird diese Freiwilligkeit<br />
indes durch die jährlich vorgesehene Abgabe<br />
einer Entsprechenserklärung („comply or<br />
explain“) in Form eines standardisierten<br />
Templates auf der Unternehmenshomepage<br />
sowie durch eine Einstellung der Erklärung<br />
im Internet und die damit verbundene<br />
Öffentlichkeitsrelevanz. Adressaten der<br />
Informationen sollen primär Finanzanalysten<br />
und Investoren sein; letztlich kommen aber<br />
auch andere Stakeholder in Betracht, z.B. die<br />
Kunden oder die Mitarbeiter.<br />
Jährlich ist eine Überprüfung des Kodex<br />
und seiner Wirksamkeit vorgesehen. Der<br />
DNK orientiert sich inhaltlich wesentlich an<br />
den Soft-Law-Ansätzen (siehe Kasten), das<br />
Berichtsinstrumentarium knüpft an die<br />
GRI- und EFFAS-Standards an.<br />
Der Kodex sieht 20 Nachhaltigkeitskriterien<br />
vor, wobei diese teilweise mit Leistungsindikatoren<br />
unterlegt sind. Die Kriterien sind<br />
vier Kategorien zugeordnet: I. Strategie, II.<br />
Prozessmanagement, III. Umwelt und IV.<br />
Gesellschaft. Inhaltlich geht es beispielhaft<br />
darum darzulegen, wie die Verantwortlichkeit<br />
für die Nachhaltigkeit im Unternehmen<br />
geregelt ist, wie die Nachhaltigkeitsstrategie<br />
durch Regeln und Prozesse implementiert<br />
wird, wie Anreizsysteme für Mitarbeiter und<br />
die Führungsebenen gestaltet werden, wie<br />
sich der Umgang mit Arbeitnehmer- und<br />
Menschenrechten, Diversity-Anforderungen<br />
oder aber Aspekten des Gemeinwesens, des<br />
Stakeholdereinbezugs oder politischer Einflussnahmen<br />
darstellt. Offenzulegen ist darüber<br />
hinaus, welche Systeme und Prozesse zur<br />
Vermeidung von rechtswidrigem Verhalten<br />
und insbesondere von Korruption existieren<br />
sowie – unter beispielhaftem Hinweis auf<br />
den neuen IDW PS 980 –, wie diese Systeme<br />
geprüft werden.<br />
Der Druck auf EU-Ebene nimmt zu<br />
Die EU-Kommission hatte bis Anfang<br />
2011 eine Konsultation zur Offenlegung<br />
von Informationen nichtfinanzieller Art<br />
durchgeführt. Ziel war die Verbesserung<br />
der Transparenz und Vergleichbarkeit von<br />
Unternehmen hinsichtlich von Leistungsindikatoren<br />
in Bezug auf Umweltbelange,<br />
soziale Aspekte und Governance-Themen.<br />
Obgleich es im Juni 2011 ein klares Votum<br />
Seite 32 //
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Aus der Praxis<br />
des EU-Parlaments gegen eine EU-Richtlinie<br />
zur Regulierung von CSR gab, beabsichtigt<br />
die EU-Kommission unter Federführung<br />
von Michel Barnier weiterhin, alsbald einen<br />
Vorschlag für einen diesbezüglichen Rechtsakt<br />
vorzulegen und sodann einen Prozess<br />
einzuleiten, um einen Verhaltenskodex<br />
für Selbst- und Koregulierungsprojekte zu<br />
erarbeiten. Auch eine integrierte Berichterstattung<br />
ist mittel- oder langfristig ein<br />
erklärtes Ziel.<br />
Untermauert wird dieses Vorhaben durch<br />
die Mitteilung der EU-Kommission vom 25.<br />
Oktober 2011 (KOM [2011] 681) über „Eine<br />
neue EU-Strategie (2011–2014) für die soziale<br />
<strong>Verantwortung</strong> der Unternehmen (CSR)“,<br />
der zufolge „Regulierungsmaßnahmen“ die<br />
Unternehmen dazu bringen sollen, „freiwillig“<br />
ihrer sozialen <strong>Verantwortung</strong> nachzukommen.<br />
So geht die weitere Planung etwa<br />
dahin, „für eine Reihe relevanter Wirtschaftszweige“<br />
Plattformen einzurichten, damit<br />
CSR-Verpflichtungen bekanntgemacht und<br />
überwacht werden können.<br />
Selbstverpflichtung überprüfen<br />
Große Unternehmen – solche mit mehr<br />
als 1.000 Mitarbeitern – sollen aufgefordert<br />
werden, sich bis 2014 zu verpflichten,<br />
zumindest die OECD-Leitsätze, den Global<br />
Compact oder die ISO-Norm 26000 bei der<br />
Entwicklung ihres CSR-Konzepts zu berücksichtigen.<br />
Multinationale Unternehmen<br />
sollen darüber hinaus zur verpflichtenden<br />
Beachtung der ILO-Grundsatzerklärung aufgefordert<br />
werden. Die Einhaltung derartiger,<br />
freiwillig eingegangener Verpflichtungen<br />
soll in der Folge überprüft werden. Während<br />
die vorgenannten Beispiele sich tendenziell<br />
an Unternehmen aller Branchen richten<br />
werden, bestehen darüber hinaus spezifische<br />
Planungen der EU-Kommission für alle<br />
Investmentfonds und Finanzinstitute, eine<br />
„Auflage in Erwägung zu ziehen“, all ihre<br />
Kunden über die von ihnen angewendeten<br />
Kriterien für eine ethische und verantwortungsvolle<br />
Investitionstätigkeit oder über die<br />
von ihnen befolgten Normen und Kodizes zu<br />
informieren.<br />
Ausweislich der zuletzt vom Institut für<br />
Ökologische Wirtschaftsforschung und der<br />
Organisation future e.V. durchgeführten<br />
Erhebung zur „Praxis der Nachhaltigkeitsberichterstattung<br />
in deutschen Großunternehmen“<br />
oblag die <strong>Verantwortung</strong> für die<br />
Berichte 2011 zu etwa einem Drittel der<br />
Unternehmenskommunikation sowie zu<br />
einem weiteren Drittel spezifischen Nachhaltigkeitsabteilungen.<br />
Im Übrigen wurden<br />
vielfach Querschnittsteams tätig oder auch<br />
Abteilungen wie die Revision oder Investor<br />
Relations.<br />
Die Rolle der Compliance-Funktion<br />
Viele der im Rahmen der Nachhaltigkeitsthemen<br />
relevanten Aspekte weisen indes<br />
eine große Nähe zu den Aufgaben der<br />
Compliance-Funktion auf. Bisweilen bestehen<br />
gar inhaltliche Überschneidungen. Nur<br />
beispielhaft sei verwiesen auf das Individual-<br />
und Kollektivarbeitsrecht, auf Fragen<br />
von Antidiskriminierung, Diversity und<br />
Vergütungsgestaltung, auf den Daten- und<br />
Verbraucherschutz, die Umweltschutzvorgaben,<br />
das Beschwerdemanagement, auf den<br />
Bereich der Produktgestaltung und -information,<br />
auf die Gebiete der Fraud-Prevention<br />
und -Detection, auf das Rechtsmonitoring<br />
(„Systeme und Prozesse zur Vermeidung von<br />
rechtswidrigem Verhalten“) oder ganz generell<br />
auf Governance-Themen.<br />
Darüber hinaus finden sich in den Verhaltenskodizes<br />
der Unternehmen, die richtigerweise<br />
im Compliance-Bereich anzufertigen<br />
sind und deren Einhaltung dort auch zu<br />
überwachen ist, schon lange stets auch<br />
wertebezogene, ethische Grundsätze – es<br />
geht also auch hier um das Management<br />
gesellschaftlicher Erwartungen. Compliance<br />
ist ein integraler Bestandteil nachhaltiger<br />
Unternehmensführung und als klassische<br />
Querschnittsfunktion für eine – gerade<br />
auch kritische – Auseinandersetzung mit<br />
den hier behandelten Themen besonders<br />
geeignet. Das in den Compliance-Bereichen<br />
vorgehaltene juristische, aber eben auch<br />
wirtschaftliche und prozessorganisatorische<br />
// Seite 33
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Aus der Praxis<br />
Know-how bietet eine gute Grundlage für<br />
eine erfolgreiche Bearbeitung der Nachhaltigkeitsthemen.<br />
Fazit und Ausblick<br />
Vor dem Hintergrund des sich verändernden<br />
gesellschaftlichen Umfelds sind stetig steigende<br />
Informationsbedürfnisse der Stakeholder<br />
nach Umwelt-, Sozial- und Governance-<br />
Themen spürbar. Erste branchenspezifische<br />
Selbstregulierungen, wie der Nachhaltigkeitskodex<br />
der Immobilienwirtschaft, tragen<br />
dem Rechnung. Über die in diesem Artikel<br />
dargestellten Entwicklungen hinaus gibt es<br />
vielerlei Anstrengungen, das Umfeld für die<br />
Übernahme gesellschaftlicher <strong>Verantwortung</strong><br />
durch die Wirtschaft im Sinne des aktuellen<br />
Verständnisses der EU-Kommission weiter zu<br />
verbessern.<br />
Diese strebt einen regulatorischen Rahmen<br />
an, der Nachhaltigkeitsmaßnahmen (noch)<br />
nicht formal vorschreibt, aber faktisch<br />
erzwingt. Ersten Anzeichen zufolge könnte<br />
zudem die Konferenz der Vereinten Nationen<br />
über nachhaltige Entwicklung im Juni<br />
2012 in Rio de Janeiro mit einer Forderung<br />
nach einer verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichterstattung<br />
für alle börsennotierten<br />
und großen, nichtbörsennotierten Unternehmen<br />
enden. Die Unternehmen werden<br />
sich all diesen Anforderungen stellen<br />
müssen. Der Compliance-Funktion kann<br />
hierbei eine maßgebliche und – mit Blick<br />
etwa auf Aspekte der Wettbewerbsfähigkeit<br />
und der Reputation – wertschöpfende Rolle<br />
zukommen.<br />
Carsten Beisheim, Leiter Konzern Recht und<br />
Compliance, Wüstenrot & Württembergische AG<br />
Nicht verbindlich<br />
Der Begriff des Soft Law wird in verschiedener Hinsicht<br />
als Gestaltungsinstrument jenseits des Rechts<br />
verwendet und bezieht sich im Grundsatz auf Regelwerke,<br />
die nicht von Parlamenten erlassen werden.<br />
Die Regeln, oftmals Formulierungen bestimmter<br />
Erwartungshaltungen, werden vielmehr vom<br />
Rechtssubjekt mit geschaffen oder im Sinne einer<br />
Selbstbindung unterstützt. Soft Law entfaltet keine<br />
unmittelbar rechtlich verbindlichen Wirkungen,<br />
weist gleichwohl eine gewisse Rechtsnähe auf und<br />
vermag unter bestimmten Voraussetzungen, etwa<br />
einer Selbstbindungserklärung, Rechtswirkungen<br />
zu erzeugen. Häufig stellen Soft-Law-Ansätze ein Übergangsstadium<br />
zur klassischen Normsetzung dar.<br />
Vielfach von Unternehmen als pragmatischer Ansatz<br />
betrachtet werden die zehn Nachhaltigkeitsprinzipien<br />
des „UN Global Compact“ (www.unglobalcompact.org).<br />
Weitere, auf eine Selbstregulierung abzielende Soft-<br />
Law-Ansätze, bestehen darüber hinaus etwa in den<br />
OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen<br />
(www.oecd.org), in der Grundsatzerklärung für multinationale<br />
Unternehmen und Sozialpolitik der Internationalen<br />
Arbeitsorganisation (ILO), im Leitfaden ISO 26.000<br />
zur gesellschaftlichen <strong>Verantwortung</strong> von Organisationen<br />
oder in den Berichterstattungsstandards der Global<br />
Reporting Initiative (GRI) sowie des Europäischen<br />
Analystenverbands EFFAS.<br />
Mit unterschiedlichen Schwerpunkten geht es bei diesen<br />
Standards beispielsweise um die Gewährleistung<br />
der Menschenrechte, der Arbeitsnormen, des Umweltschutzes,<br />
der Verbraucherinteressen, des Wettbewerbs<br />
und generell um ein Mehr an Transparenz und an „anständigen<br />
Verhaltensweisen“ sowie um die Verhinderung<br />
von Korruption und vergleichbarer Kriminalität.<br />
Weiterführende Links<br />
www.iso.org<br />
www.ilo.org<br />
www.globalreporting.org<br />
www.effas.net<br />
Seite 34 //
„ Wir brauchen Journalisten, die Hintergründe<br />
transparent machen und zugleich für jeden<br />
verständlich formulieren können.<br />
Die Zielsetzung des Journalistenpreises,<br />
den die ING-DiBa einmal im Jahr vergibt,<br />
entspricht meiner Vorstellung von einem<br />
Wirtschaftsjournalismus, der dem Bürger<br />
Urteilskraft über ökonomische Themen<br />
verschafft.“<br />
Helmut Schmidt, Bundeskanzler a. D.<br />
der helmut schmidt-journalistenpreis 2012<br />
Der Helmut Schmidt-Journalistenpreis wurde erstmals 1996 ausgeschrieben<br />
und wird seitdem jedes Jahr für besondere Leistungen auf dem Gebiet der verbraucherorientierten<br />
Berichterstattung über Wirtschafts- und Finanzthemen<br />
verliehen. Der<br />
Preis ist insgesamt mit 30.000 Euro dotiert.<br />
Einsendeschluss ist der 30. Juni 2012.<br />
Nähere Informationen zum Preis und zur Anmeldung fi nden Sie unter<br />
www.helmutschmidtjournalistenpreis.de.<br />
gestiftet von der
Alles heiße Luft<br />
<strong>Zukunft</strong>smarkt erneuerbare Energien // Nutzung<br />
selbst generierter Energie als attraktive und<br />
prestigeträchtige Alternative für Unternehmen<br />
Von Dr. Julia Kühn und Katja Fleschütz<br />
Fotoquelle: © thinkstock
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Aus der Forschung<br />
Kaum ein Markt steht derzeit derart im Fokus<br />
der Öffentlichkeit wie die erneuerbaren<br />
Energien.<br />
Nicht nur dass ein gerade einmal seit drei<br />
Monaten wirksames Gesetz wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz<br />
EEG 2012 (Gesetz<br />
zur Neuregelung des Rechtsrahmens für<br />
die Förderung der Stromerzeugung aus<br />
erneuerbaren Energien) bereits zum 1. April<br />
2012 rückwirkend umfangreiche Änderungen<br />
mit immenser wirtschaftlicher Tragweite<br />
für Investoren erfahren hat, deren<br />
endgültige Fassung zum jetzigen Zeitpunkt<br />
noch nicht einmal feststeht. Nein, auch die<br />
explosionsartig steigenden Energiekosten<br />
sowie der immer stärker werdende Blick der<br />
Konsumenten auf energiebewusstes Handeln<br />
bei der Produktion von Waren zwingen<br />
Unternehmen zur kritischen Überprüfung<br />
ihrer hausinternen Energiepolitik. Neben<br />
Kostenmodellen wird der Umgang mit Energie<br />
zunehmend auch zum markenbildenden<br />
Marketinginstrument.<br />
Ökologie in der Ökonomie<br />
In diesen Tagen ist vorgelebtes Energiebewusstsein<br />
ein wertvolles Mittel zur Imagepflege<br />
für jedes Unternehmen. Solange<br />
Verbraucher nach umweltverträglichen und<br />
ressourcenschonenden Alternativen fragen,<br />
ist der positive Einfluss auf das Unternehmensimage<br />
unmittelbar, wenn damit geworben<br />
werden kann, dass die vom Unternehmen<br />
benötigte Energie aus erneuerbaren<br />
Mitteln gewonnen wird. So kann mit der<br />
eigenen, auf den Hallendächern installierten<br />
Photovoltaikanlage oder der Wärmegewinnung<br />
bei der Müllverbrennung neben der<br />
Senkung der eigenen Energiekosten auch<br />
ein Schritt in Richtung Unabhängigkeit<br />
von den Energieversorgungsunternehmen<br />
gegangen und zudem dokumentiert werden,<br />
dass die eigenen Produkte „sauber“ sind und<br />
sich gegenüber ihren Konkurrenten positiv<br />
abheben.<br />
Ein weiterer Anreiz zum Überdenken des<br />
eigenen Energiemanagements ist die<br />
Bedeutung einer umweltfreundlichen<br />
Unternehmensstrategie für die Vergabe<br />
öffentlicher Aufträge. So können öffentliche<br />
Auftraggeber bei der Vergabe von<br />
Aufträgen Umweltaspekte berücksichtigen,<br />
so z.B. durch die Richtlinie 2009/28/EG<br />
zur Förderung der Nutzung von Energie<br />
aus erneuerbaren Quellen und Richtlinie<br />
2006/32/EG zur Endenergieeffizienz und<br />
Energiedienstleistungen. In Zeiten, in denen<br />
der Atomausstieg nicht nur in Deutschland<br />
von der Politik diskutiert wird, rücken bei<br />
der Vergabe öffentlicher Aufträge Umweltbelange<br />
immer mehr in den Fokus.<br />
Zu berücksichtigen ist schließlich, dass das<br />
durch die Umsetzung der Energiewende<br />
gewonnene Know-how künftig international<br />
gefragt sein wird und daher die Vergabe<br />
internationaler Aufträge erwarten lässt. Das<br />
wirtschaftliche Potential, das in der nun<br />
notwendig gewordenen Forschung nach<br />
möglichst wirtschaftlichen technischen<br />
Lösungen bei der Gewinnung der erneuerbaren<br />
Energien liegt, ist unbestritten,<br />
genießt es doch im Verhältnis zu sonstiger<br />
Forschung den Vorteil, dass sich die finanzierenden<br />
Unternehmen darauf verlassen<br />
dürfen, dass sich die entsprechenden<br />
Märkte allein aufgrund der globalen ökologischen<br />
Veränderungen unweigerlich bilden<br />
werden. Auch vor diesem Hintergrund<br />
hagelte es jüngst gegen die geplanten<br />
Änderungen des EEG 2012 derart massive<br />
Kritik aus der Wirtschaft.<br />
Erneuerbare im Aufwind<br />
Ungeachtet der Debatte um das EEG 2012<br />
sollen bis 2020 mehr als 30 Prozent des<br />
Stromverbrauchs mit regenerativen Energien<br />
– nämlich Sonne, Wind, Wasser, Biomasse<br />
und Geothermie – gedeckt werden.<br />
Gerade bei Offshore-Windparks sollten in<br />
den kommenden vier Jahren an der deutschen<br />
Nord- und Ostsee mehr als<br />
1.500 Megawatt (MW) als Windenergieanlagen<br />
installiert werden. 30 Offshore-Projekte<br />
im Wert von mehr als 1 Milliarde Euro sind<br />
bereits genehmigt.<br />
Offshore-Windparks sind Großprojekte auf<br />
hoher See, die den Beteiligten nicht nur<br />
in technischer und logistischer Hinsicht<br />
Meisterleistungen abverlangen, sondern<br />
auch im rechtlichen Bereich einer äußerst<br />
detaillierten Vorbereitung bedürfen. Wie das<br />
Genehmigungsverfahren durchzuführen ist,<br />
ergibt sich aus der anzuwendenden Seeanlagenverordnung<br />
nur ansatzweise. Aus dem<br />
zudem maßgeblichen Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz<br />
hat sich in der Praxis<br />
ein Genehmigungsraster herausgebildet.<br />
Die Verfahren dauern im Regelfall mehrere<br />
Jahre, da im Rahmen der Umweltverträglichkeitsstudie<br />
bereits eine über zwei Jahre<br />
zu führende „Basisuntersuchung“ erforderlich<br />
ist.<br />
Es bleibt abzuwarten, ob die Verfahren<br />
in Anbetracht des nunmehr durch den<br />
Atomausstieg entstandenen Zeitdrucks<br />
vereinfacht und beschleunigt werden. Anders<br />
als bei der Photovoltaik halten sich die<br />
Änderungen durch die EEG-Novelle vom<br />
1. April 2012 bei der Windenergie in Grenzen,<br />
so dass hier weiterhin mit verlässlichen<br />
Renditen zu rechnen ist.<br />
// Seite 37
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Aus der Forschung<br />
Aber nicht nur Offshore-Windparks bieten<br />
eine Chance für den Standort Deutschland,<br />
sondern auch die sogenannten Onshore-Parks.<br />
Vor der Realisierung eines Windenergieprojektes<br />
ist im Rahmen eines umfassenden<br />
schnittstellensensiblen Projektmanagements<br />
eine Vielzahl von rechtlichen Gesichtspunkten<br />
zu berücksichtigen und in die Gestaltung<br />
der entsprechenden Verträge wie Liefer- und<br />
Errichtungsverträge, Projekt- und Generalunternehmerverträge<br />
einzuarbeiten.<br />
Eine besondere Herausforderung stellen hier<br />
z.B. Wartungs- und Instandhaltungsverträge<br />
für Offshore-Anlagen im Zusammenspiel mit<br />
der notwendigen Logistik zwecks Erreichbarkeit<br />
des Windparks auf hoher See dar. Spezialschiffe,<br />
die im Rahmen der Instandhaltung<br />
benötigte große Turbinen und Rotorblätter<br />
transportieren können, stehen bisher nur in<br />
begrenztem Umfang zur Verfügung. Damit<br />
kommt der genauen Leistungsbeschreibung<br />
und den Wartungsterminen ebenso große<br />
Bedeutung zu wie dezidierten Regelungen<br />
zur Gewährleistung und Haftung. Jede<br />
Nachlässigkeit kann hier für den Anlagenerrichter<br />
ebenso das „Projektaus“ bedeuten wie<br />
Versäumnisse bezüglich der Anforderungen<br />
der Projektfinanzierung.<br />
Energieparks sind hochkomplexe technische<br />
Anlagen, deren Bau im Regelfall bereits<br />
einer qualifizierten Überwachung bedarf.<br />
Seit 2006 gilt für überwachungsbedürftige<br />
Anlagen und seit 2008 für wiederkehrende<br />
Prüfungen dieser Anlagen nicht mehr das<br />
TÜV-Monopol, so dass bereits eine Vielzahl<br />
von Unternehmen in diesem äußerst lukrativen<br />
und rasch wachsenden Bereich ihre<br />
Dienste anbietet.<br />
Das finanzielle Potential des Energiegeschäfts<br />
haben zwischenzeitlich auch US-<br />
Investoren wie Blackstone erkannt. Das Unternehmen<br />
beteiligt sich aktuell mit ca. 2,5<br />
Milliarden Euro an zwei Windkraftprojekten<br />
in der Nordsee. Aber auch in den Gemeinden<br />
ist die Windenergie im „Aufwind“. Neben<br />
zahlreichen Bürgerparks setzen die Kommunen<br />
auf eigene Energieversorgung, z.B.<br />
durch die Errichtung von selbstbetriebenen<br />
Windparkanlagen oder Solarmodulen auf<br />
größeren Dachflächen, durch Biogasanlagen<br />
oder eben Geothermie, um ihre Unabhängigkeit<br />
vom immer unberechenbarer werdenden<br />
Energiesektor zu sichern. So steigern die<br />
Kommunen ihre Attraktivität für die dort<br />
ansässigen Menschen und Unternehmen.<br />
Zudem generieren Gemeinden aus Energieparks,<br />
die in ihrem Einzugsgebiet installiert<br />
werden, weitere Gewerbesteuereinnahmen.<br />
Die Bundesregierung hat eigens mit dem<br />
Jahressteuergesetz 2009 für Windenergieanlagen<br />
geregelt, dass die sogenannten<br />
Standortgemeinden bis zu 70 Prozent der<br />
Gewerbesteuer selbst einnehmen können.<br />
In einer am 26. Juli 2011 veröffentlichten<br />
Leitsatzentscheidung hat der Bundesgerichtshof<br />
mit erheblicher Signalwirkung das<br />
Recht von Windenergieanlagenbetreibern<br />
zum Kauf von Ackerflächen trotz bestehender<br />
sogenannter siedlungsrechtlicher<br />
Vorkaufsrechte gestärkt. Nach Ansicht<br />
des zuständigen Senats kann der Erwerb<br />
eines landwirtschaftlichen Grundstücks zur<br />
Errichtung einer Windkraftanlage nach § 9<br />
Abs. 6 GrdstVG genehmigt werden, weil die<br />
Sicherung und der Ausbau einer die Umwelt<br />
schonenden Energieversorgung zu den zu<br />
berücksichtigenden allgemeinen volkswirtschaftlichen<br />
Belangen gehört (BGH; Beschluss<br />
vom 15. April 2011, Az. BLw 12/10).<br />
Nachwuchs fehlt<br />
Es ist davon auszugehen, dass die im Jahre<br />
2011 in Deutschland installierte Gesamtleistung<br />
an Windenergie mit 29.060 MW.<br />
(Quelle: DEWI/BWE, www.wind-energie.<br />
de/infocenter/statistiken) im Jahre 2012<br />
nochmals erheblich zunehmen wird. Laut<br />
Bundesumweltministerium arbeiten heute<br />
mehr als 300.000 Menschen im Bereich der<br />
erneuerbaren Energien. Sowohl in der Solarals<br />
auch in der Windkraftbranche fehlt es<br />
aktuell schon an qualifiziertem Personal<br />
und Nachwuchs. Gleiches wird für Biogas<br />
und Geothermie vermeldet. Neben den zu<br />
bewältigenden Herausforderungen beim<br />
Umbau des Energiemarktes bestehen auch<br />
Potentiale, daher dürften sich kurzzeitige<br />
Marktnachteile langfristig kompensieren.<br />
Zumal mit entsprechender Förderung – auch<br />
im internationalen Umfeld – zu rechnen ist.<br />
Neben nach wie vor lukrativen Investments<br />
gewinnen die Erneuerbaren zunehmend auch<br />
unter dem Aspekt des Eigenstromverbrauchs<br />
an Bedeutung. Mit der Weiterentwicklung<br />
von Speichermedien wird für immer mehr<br />
Unternehmen die Nutzung selbst generierter<br />
Energie eine attraktive und prestigeträchtige<br />
Alternative.<br />
Neuerdings macht sich dieser Trend auch in<br />
etwas größerem Rahmen auf kommunaler<br />
Ebene bemerkbar, wenn unter dem Stichwort<br />
„Rekommunalisierung“ immer mehr Gemeinden<br />
bei der Ausweisung von Gewerbeflächen<br />
auch ein modernes Energiekonzept fordern,<br />
das Strom möglichst dort gewinnt, wo er<br />
auch verbraucht wird. Vor diesem Hintergrund<br />
kann man ruhig von heißer Luft sprechen<br />
– im Rahmen der Wärmegewinnung.<br />
Dr. Julia Kühn und Katja Fleschütz,<br />
Rechtsanwältinnen bei BTUSIMON in München<br />
Seite 38 //
Handbuch Länderrisiken 2012<br />
Herausgegeben von Coface Deutschland<br />
in Zusammenarbeit mit dem F.A.Z.-Institut.<br />
April 2012, 448 Seiten, Paperback, 198,00<br />
ISBN 978-3-89981-631-0<br />
Auslandsmärkte auf einen Blick<br />
Die Emerging Markets gewinnen weiter an Gewicht.<br />
Mit China und den anderen großen Schwellenländern stehen Nachfragemotoren<br />
der Weltwirtschaft vor einem Wechsel von einem exportgetriebenen<br />
zu einem binnenwirtschaftlichen Wachstum. Sie investieren verstärkt<br />
auch in Nachhaltigkeitstechnologien sowie Bildung und Infrastruktur.<br />
Welche Märkte geben 2012 Wachstumsimpulse Wo lauern Forderungsausfälle<br />
von Unternehmen oder Zahlungsschwierigkeiten ganzer Staaten<br />
Wie entwickeln sich einzelne Branchen in -ausgewählten Ländern<br />
Das „Handbuch Länderrisiken 2012: Auslandsmärkte auf einen Blick“ liefert<br />
wertvolle Orientierungshilfen. Es bietet einen kompakten Überblick über<br />
die wirtschaftliche und politische Lage in fünf Regionen und 157 Ländern.<br />
Hiermit bestelle ich:<br />
____ Exemplar/e des Handbuches Länderrisiken 2012 à 1 98,00<br />
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<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Im Gespräch<br />
„Wir wollen Deutschland zum Leitmarkt für die<br />
Elektromobilität entwickeln“<br />
Interview mit Dr. Reiner Korthauer, Geschäftsführer Fachverband Transformatoren und<br />
Stromversorgungen im Zentralverband Elektrotechnik- und Elektroindustrie e.V.<br />
Welche Positionen vertritt der ZVEI beim<br />
Thema Elektromobilität, und was tun sie<br />
konkret<br />
Der ZVEI befürwortet mit Blick auf den<br />
anstehenden Klimawandel und die endliche<br />
Verfügbarkeit des Rohstoffes Öl den Einstieg<br />
in die Elektromobilität. Er unterstützt<br />
das von der Bundesregierung vorgegebene,<br />
ehrgeizige Ziel, bis zum Jahr 2020 eine<br />
Million Elektrofahrzeuge auf die Straßen<br />
Deutschlands zu bringen. Wichtig ist, dass<br />
jetzt die politischen Rahmenbedingungen<br />
geschaffen werden, damit Elektromobilität<br />
„made in Germany“ ein Erfolg werden kann.<br />
Die Elektroindustrie befindet sich dabei<br />
in einer Schlüsselstellung.<br />
Da bereits aktuell ein Drittel der Wertschöpfung<br />
jedes Pkw auf elektrotechnische und<br />
elektronische Produkte zurückzuführen ist,<br />
wird sich dieser Anteil mit dem Einstieg in<br />
die Elektromobilität zukünftig weiter stark<br />
erhöhen. Die Elektroindustrie bietet schon<br />
heute eine Vielzahl von Produkten an, die für<br />
die Elektromobilität von morgen notwendig<br />
sind: Hier sind nicht nur elektrische Antriebe,<br />
Leistungselektronik und Elektrotankstellen zu<br />
nennen, auch die Herstellung von Batterien<br />
auf Zellebene hat sich die deutsche Industrie<br />
auf ihre Fahnen geschrieben.<br />
Sind Elektromobile wirklich eine Alternative<br />
zu konventionellen Fahrzeugen<br />
Der Blick zurück nach Amerika ins Jahr<br />
1912 zeigt, dass 20 Hersteller rund 34.000<br />
Elektrofahrzeuge ausgeliefert hatten.<br />
Elektromobilität war also schon zu Anfang<br />
des 20. Jahrhunderts eine Alternative, die<br />
durch die rasante Weiterentwicklung der<br />
Verbrennungskraftmaschine allerdings sehr<br />
schnell in den Hintergrund gedrängt wurde.<br />
Heute aber sind die Technologien verfügbar,<br />
die der Elektromobilität zum Erfolg verhelfen<br />
können. Allein die Batterietechnologie bedarf<br />
noch enormer Anstrengungen, um Leistungsund<br />
Energiedichte im Vergleich zu den heute<br />
verfügbaren Batteriesystemen deutlich zu<br />
erhöhen.<br />
Nach einem großen Hype hört man zunehmend<br />
Kritik an Elektroautos, vor allem<br />
wegen der Sicherheit und Entsorgung der<br />
Batterien. Teilen Sie diese Skepsis<br />
Jedes energiereiche Antriebsmittel eines<br />
Kraftfahrzeugs ist inhärent gefährlich, da die<br />
gezielte, kontrollierte Energiefreisetzung im<br />
Falle eines Unfalls jederzeit in eine unkontrollierte<br />
umschlagen kann. Dies gilt sowohl<br />
für flüssige Antriebsstoffe wie Benzin/Diesel,<br />
gasförmige Antriebsstoffe oder auch die<br />
Batterie. Es gilt, die Gefahren im Falle eines<br />
Unfalles zu beherrschen. Dies gelingt bei der<br />
Batterie durch die aufwendigen technischen<br />
Spezifikationen und den sorgfältigen Herstellungsprozess.<br />
Fotoquelle: © Korthauer<br />
Seite 40 //
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Im Gespräch<br />
Selbstverständlich wird jede Batterie, die das<br />
Ende ihres Lebenszyklus erreicht hat, zukünftig<br />
recycelt werden. Letztendlich enthält sie<br />
in Abhängigkeit von der eingesetzten Technologie<br />
wertvolle Inhaltsstoffe, die einem<br />
erneuten Einsatz zugeführt werden können.<br />
Viele Journalisten bezweifeln, dass die<br />
Reichweiten ausreichend sind für einen größeren<br />
Markt. Sehen Sie hier Fortschritte<br />
Die Reichweite der aktuell geplanten Elektrofahrzeuge<br />
ist seit Anbeginn des Hypes in<br />
der Elektromobilität ein Diskussionsthema,<br />
an dem sich die Geister scheiden. Elekttromobilität<br />
in Form des allein mit einer<br />
Batterie betriebenen Elektrofahrzeugs wird<br />
sicherlich nicht auf kurze und mittlere Sicht<br />
für den Langstreckeneinsatz geeignet sein.<br />
Schaut man aber auf die durchschnittlichen<br />
Fahrstrecken, die die Mehrzahl der Pendler<br />
zwischen Wohnung und Arbeitsplatz<br />
zurücklegt, so ist das Elektrofahrzeug eine<br />
echte Alternative zu allen anderen Antriebsarten.<br />
Auch wird sich die Einstellung potentieller<br />
Käufer im Zuge der weiteren Entwicklung<br />
und des Markteintritts von Elektrofahrzeugen<br />
sicherlich verändern. Dies ist bei allen neu<br />
eingeführten Technologien bisher so gewesen.<br />
Als die LED erstmals in der Lichttechnik<br />
eingesetzt wurde, stand man ihr auch noch<br />
sehr skeptisch gegenüber. Heute sind selbst<br />
Autoscheinwerfer – in der Mittel- und<br />
Oberklasse – mit LED-Lampen ausgestattet.<br />
Außerdem spielt der Umweltschutzgedanke<br />
heute eine große Rolle. Elektrofahrzeuge, die<br />
mit Strom aus erneuerbarer Energie geladen<br />
werden, sind emissionsfrei. Es gibt eine<br />
Vielzahl von Menschen, die bereit sind, für<br />
solche Fahrzeuge mehr Geld auszugeben. Das<br />
Umdenken hat also bereits begonnen, und<br />
nicht allein die Reichweite wird das zukünftige<br />
Kriterium für die Kaufentscheidung sein.<br />
Was antworten die Energieversorger, wenn<br />
man ihnen vorwirft, dass die Bilanz der<br />
E-Autos so lange schlecht ist, solange der<br />
Strom nicht umweltfreundlich produziert<br />
wird<br />
Diese Frage sollten die Energieversorger<br />
selbst beantworten, denn Deutschland ist<br />
nach dem begonnenen Ausstieg aus der<br />
Kernenergie auf dem Weg zu neuen Energieformen.<br />
In diesem Umfeld kann und wird<br />
die Elektromobilität eine entsprechende Rolle<br />
spielen. Der Energiekonsument von heute<br />
ist der Energieproduzent von morgen – oder<br />
neudeutsch ein „Prosumer“.<br />
Wer wird die erforderliche Infrastruktur<br />
bereitstellen, und wann wird diese flächendeckend<br />
sein<br />
Die erforderliche Infrastruktur im öffentlichen<br />
Raum wird momentan von den Kommunen,<br />
den Stadtwerken, den Netzbetreibern oder<br />
auch den Energieversorgungsunternehmen<br />
(EVU) errichtet. Aber auch Unternehmen, die<br />
öffentlich Parkplätze zur Verfügung stellen,<br />
wie Flughafenbetreiber oder Supermärkte,<br />
bieten inzwischen Parkplätze für Elektrofahrzeuge<br />
an. Flächendeckend muss die<br />
Infrastruktur erst dann sein, wenn auch ein<br />
entsprechender Anteil an Elektrofahrzeugen<br />
auf den Straßen zu finden ist. Abgesehen<br />
davon wird der Schwerpunkt der Lade- und<br />
Infrastruktur am privaten Wohnort und am<br />
täglich aufgesuchten Dienstort liegen, da<br />
die Mehrzahl der Fahrten von Pendlern zur<br />
Arbeitsstätte und zurück durchgeführt wird.<br />
Wie bewerten Sie die Aktivitäten der Automobilhersteller<br />
und der Stromkonzerne.<br />
Gehen sie die Herausforderungen mit angemessenen<br />
Investitionen überzeugend an<br />
Alle deutschen Markenproduzenten haben<br />
inzwischen im Portfolio ihres Typspektrums<br />
Hybridfahrzeuge. Elektromobile sind für die<br />
nächsten Monate angekündigt oder bereits<br />
verfügbar. Den zukünftigen Markt hier<br />
richtig einzuschätzen ist auch für die großen<br />
deutschen, erfahrenen Autohersteller keine<br />
einfache Sache. Insofern sind die bisherigen<br />
Aktivitäten, die bereits einen hohen Investitionsaufwand<br />
beinhalten, zu Unrecht kritisiert<br />
worden. Die Automobilhersteller und die EVU<br />
werden ihren Anteil für einen erfolgreichen<br />
Weg in die Elektromobilität zu leisten wissen.<br />
// Seite 41
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Im Gespräch<br />
Wo sehen Sie Deutschland im internationalen<br />
Wettbewerb um das Elektroauto<br />
Die deutsche Elektroindustrie ist eine der<br />
stärksten der Welt. Der Anteil Deutschlands<br />
am Weltelektrohandel liegt bei 7 Prozent, der<br />
deutsche Markt ist mit 110 Milliarden Euro<br />
der viertgrößte Einzelmarkt weltweit. Für die<br />
deutsche Automobilindustrie gilt Ähnliches.<br />
Autos aus deutschen Landen sind führend in<br />
der Welt. Mit 12,7 Millionen Fahrzeugen im<br />
Jahr 2010 trägt jedes sechste Auto weltweit<br />
ein deutsches Konzernlogo. Insofern<br />
ist Deutschland auch für die <strong>Zukunft</strong> in der<br />
Elektromobilität sicherlich gut aufgestellt,<br />
auch wenn Automobilhersteller in einzelnen<br />
Ländern bereits weiter vorgeprescht sind.<br />
Welche Länder sind unsere schärfsten<br />
Wettbewerber<br />
Schauen wir uns in Europa um, dann fällt<br />
sofort Frankreich ins Auge. So hat die französische<br />
Regierung gleich zwei Programme<br />
mit der Entwicklung von Elektrofahrzeugen<br />
als Schwerpunkt aufgelegt: den „Pacte<br />
automobile“ und den „Plan national pour les<br />
véhicules électriques“. Es ist in Frankreich offensichtlich<br />
deutlich einfacher, in eine neue<br />
Technologie einzusteigen, als in Deutschland.<br />
Das gilt sowohl für die öffentlichen Ladestellen<br />
als auch für das Beschaffungswesen<br />
staatlicher Organisationen.<br />
Aber auch Asien schläft natürlich nicht. Japan<br />
verfügt im Vergleich zu den meisten anderen<br />
Ländern über reichhaltige Erfahrung bei Hybrid-<br />
und Elektrofahrzeugen. Dort sind bereits<br />
über 1 Million Hybridfahrzeuge zugelassen.<br />
In Korea gelten seit 2009 Steuervergünstigungen<br />
für Hybridfahrzeuge, dennoch kommt<br />
dort der Markt noch nicht so recht in Fahrt.<br />
Was konkret muss die Politik tun, um diese<br />
Form der Mobilität voranzubringen<br />
Die Politik hat schon positive Zeichen gesetzt.<br />
So hat die Etablierung der Nationalen<br />
Plattform Elektromobilität eine branchenübergreifende<br />
Zusammenarbeit aller Stakeholder<br />
in Gang gebracht. Es geht nicht nur<br />
um die Entwicklung eines neuen Produktes,<br />
sondern um den Einstieg in ein völlig neues<br />
Mobilitätssystem. Dieses können einzelne<br />
Unternehmen nicht stemmen, hier ist die<br />
Zusammenarbeit aller gefragt.<br />
Wir wollen – dies sollte noch einmal betont<br />
werden – Deutschland zum Leitmarkt für die<br />
Elektromobilität entwickeln und die deutsche<br />
Industrie zum Leitanbieter. Die Voraussetzungen<br />
hierfür sind gegeben. Wichtig ist,<br />
dass die Technologien für diese neue Form<br />
der Elektromobilität vorangetrieben werden.<br />
Also müssen Mittel in Forschung und<br />
Entwicklung gesteckt werden, ein Beispiel<br />
ist die Einrichtung von Lehrstühlen der<br />
Elektrochemie, um die Batterietechnologie<br />
weiterzuentwickeln.<br />
Wann wird Elektromobilität ein<br />
Massenmarkt sein<br />
Die Elektromobilität wird sich in den nächsten<br />
Jahren evolutionär weiterentwickeln.<br />
Wir werden eine steigende Hybridisierung<br />
von Fahrzeugen bei allen großen Autoherstellern<br />
sehen. Diese Hybridisierung wird<br />
zu deutlichen Verbrauchsminderungen<br />
führen. Gleichzeitig wird man sich auch<br />
dem Nutzfahrzeugsektor verstärkt widmen<br />
müssen. Gerade die großen Lastkraftwagen<br />
werden durch die Hybridisierung zu hohen<br />
Verbrauchsreduktionen kommen können.<br />
Kommunale Fahrzeuge werden hiervon<br />
deutlich profitieren. Bei den Pkw wird der<br />
vom Pendler genutzte Kleinwagen, der<br />
zwischen Wohn- und Arbeitsstätte genutzt<br />
wird, sicherlich zuerst zu größeren Anteilen<br />
kommen.<br />
Ein Massenmarkt an Elektrofahrzeugen<br />
wird sich sicherlich nicht vor dem nächsten<br />
Jahrzehnt entwickeln.<br />
Die Fragen stellte Gabriele Kalt<br />
Seite 42 //
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<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Aus der Forschung<br />
Das Auto der <strong>Zukunft</strong> entsteht am Webstuhl<br />
Carbon macht Autos leichter und reduziert den Energieverbrauch // 2013 bringt BMW seine neue, umweltfreundliche<br />
Fahrzeuggeneration BMW i auf den Markt<br />
Leichte Autos sind schnell, dynamisch und<br />
verbrauchen weniger Energie. Diese Erkenntnis<br />
ist Allgemeingut. Daher wundert es nicht,<br />
dass alle Automobilhersteller ständig daran<br />
arbeiten, das Gewicht ihrer Fahrzeuge zu<br />
reduzieren.<br />
Dennoch war die Verwunderung groß, als<br />
sich BMW im Jahr 2011 entschloss, seine<br />
neue Fahrzeuggeneration unter der Marke<br />
BMW i mit einer Karosserie aus Carbon<br />
auszustatten. Das Material ist zwar extrem<br />
belastbar, ultraleicht und besonders temperaturbeständig;<br />
weder Hitze noch Feuchtigkeit<br />
machen ihm etwas aus, und es ist besonders<br />
zug- und biegfest. Aber: Die Kosten sind<br />
hoch, die Verarbeitung schwierig, und eine<br />
industrielle Massenproduktion wäre Neuland.<br />
Doch BMW-Chef Norbert Reithofer ist<br />
zuversichtlich und begründet die Entscheidung<br />
für Carbon mit seiner konsequenten<br />
Nachhaltigkeitsstrategie: „Ich bin überzeugt,<br />
dass Unternehmen nur durch nachhaltiges<br />
Handeln langfristig Erfolg haben werden.<br />
Seite 44 //
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Aus der Forschung<br />
Nachhaltigkeit ist deshalb in sozialer, ökologischer<br />
und ökonomischer Hinsicht fest in<br />
unserer Unternehmensstrategie verankert.“<br />
Es könnte also sein, dass die Revolution im<br />
Automobilbau am Webstuhl und im Backofen<br />
stattfindet: Denn Carbon wird nicht im<br />
Stahlwerk gewalzt, sondern von Textilfachleuten<br />
aus kleinen Fasern zu dicken Fäden<br />
versponnen und im Ofen gebacken. Einige<br />
Fakten zu ihrem Material haben die Münchner<br />
kürzlich bekanntgegeben:<br />
Das Material ist also keine grundsätzlich<br />
neue Erfindung. Es ist punktuell im Rennsport<br />
und im Flugzeugbau bereits seit<br />
Anfang der achtziger Jahre im Einsatz.<br />
Doch die Massenfertigung als vollständige<br />
Karosserie im Automobil schien bislang<br />
als zu aufwendig und teuer. Kaum jemand<br />
traute es dem Münchner Premiumhersteller<br />
daher zu, diese Probleme in den Griff zu bekommen.<br />
Aber: Gemeinsam mit SGL Carbon<br />
ist BMW die Großfertigung angegangen<br />
und hat erste Erfolg erzielt.<br />
Im bayerischen Wackersdorf werden die<br />
Fäden dann zu dickeren Strängen versponnen<br />
und zu breiteren Gelegen verwirkt. „Im<br />
letzten Schritt der Vorproduktion“, so ein<br />
BMW-Sprecher, „werden die Carbonfasergelege<br />
wie Stoffe zugeschnitten. Aus zweidimensionalen<br />
Lagen können so dreidimensionale<br />
Bauteile entstehen – bevor sie in<br />
dickflüssigem Harz getränkt werden. Zuletzt<br />
werden die fertigen Carbonteile dann noch<br />
einmal im Ofen gebacken. BMW gelang es<br />
nun, diesen bislang manuellen Prozess im<br />
Werk in Landshut zu automatisieren.“ Die<br />
Endmontage erfolgt dann im Werk in Leipzig,<br />
wo täglich 150 i-Modelle gebaut werden<br />
sollen, also rund 45.000 im Jahr.<br />
BMW wird zunächst seine beiden neuen<br />
Modelle i3 und i8 damit ausstatten. Das<br />
Megacity-Vehikel i3 kommt mit Fahrgastzelle<br />
aus Carbon und Elektroantrieb bereits<br />
2013 auf den Markt. Der Sportwagen i8 folgt<br />
ein Jahr später mit einem Hybridantrieb,<br />
also mit Elektro- plus Verbrennungsmotor.<br />
➤➤<br />
Das Gewicht der Carbonfasern liegt bei nur<br />
1,8 Gramm pro Kubikmeter, während Aluminium<br />
2,7 Gramm und Stahl 7,8 Gramm<br />
wiegt. Fertig in Harz getränkte Carbonteile<br />
sind immer noch um ein Drittel leichter<br />
als Aluminium und halb so schwer wie<br />
Stahlteile.<br />
➤➤<br />
Bis zu 500.000 Fasern werden auf wenigen<br />
Quadratzentimetern miteinander verwirkt.<br />
➤➤<br />
Formel-1-Rennwagen mit aus Carbonfaser<br />
verstärktem Kunststoff überstehen selbst<br />
Crashs mit mehr als 300 Stundenkilometern.<br />
➤➤<br />
60 Meter lange Flügel von modernen Windanlagen<br />
halten Windgeschwindigkeiten<br />
von bis zu 300 Kilometern pro Stunde aus,<br />
wobei ihre Spitzen extrem biegsam sind.<br />
➤➤<br />
Produktverschnitt ist bei der Carbonfaser<br />
niemals Abfall. Der Verschnitt wird zu 100<br />
Prozent aufbereitet und an anderen Stellen<br />
verwendet.<br />
Carbonfasern entstehen durch starke Erhitzung.<br />
BMW und SGL Group produzieren<br />
diese seit dem Sommer 2011 in riesigen<br />
Öfen in Moses Lake im Nordwesten der<br />
USA. Hier werden weiße Acrylfäden in<br />
mehreren Schritten mit Temperaturen<br />
zwischen 250 und 1.300 Grad gebacken,<br />
um am Ende reine, schwarze Kohlefasern<br />
zu erhalten. Die beiden Gesellschaften<br />
investierten hier insgesamt rund 100<br />
Millionen US-Dollar. Weil dieser Prozess<br />
sehr energieaufwendig ist, das Ziel der<br />
CO 2 -Neutralität aber nicht gefährdet werden<br />
soll, arbeitet das Werk in Moses Lake<br />
ausschließlich mit regenerativ erzeugtem<br />
Strom aus einem Wasserwerk am Columbia<br />
River. BMW betonte zur Eröffnung<br />
des Werkes im Sommer 2011, entlang der<br />
gesamten Wertschöpfungskette würden<br />
ökologische, soziale und wirtschaftliche<br />
Aspekte miteinander in Einklang gebracht.<br />
// Seite 45
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Aus der Forschung<br />
Norbert Reithofer über den i8: „Er verbindet<br />
die Leistung eines Sportwagens mit dem<br />
Verbrauch eines Kleinwagens. Er bietet eine<br />
Beschleunigung von 0 auf 100 von unter<br />
5 Sekunden mit einem Verbrauch von 2,7<br />
Litern beziehungsweise einem CO 2 -Wert von<br />
66 Gramm je Kilometer. Diese Werte bietet<br />
bislang kein anderes Fahrzeug auf diesem<br />
Leistungsniveau.“ Reithofer weiter: „Die<br />
beiden Fahrzeuge sind von Anfang an für<br />
den elektrischen Antrieb entwickelt worden.<br />
Mit ihrem speziellen Design werden die<br />
Fahrzeuge neue Standards für die umweltfreundliche,<br />
individuelle Mobilität der<br />
<strong>Zukunft</strong> setzen.“<br />
Bei aller Bewunderung, die Automobil-Experten<br />
der BMW Group für ihren Mut und ihren<br />
innovativen Geist zollen, kommen aber auch<br />
skeptische Töne auf. So schrieb die „Welt“<br />
unter der Überschrift „Keine leichte Sache für<br />
BMW“: „Der Konzern pumpt Milliarden in die<br />
Produktion von Karbon-Autos – ein großes<br />
Risiko für den Autobauer.“<br />
Immerhin respektieren die Journalisten die<br />
konsequente Strategie: „Um den Erfolgskurs<br />
dauerhaft halten zu können, muss sich<br />
BMW neu erfinden. Denn die Münchner<br />
stecken in einer Zwickmühle. Ein Einstieg<br />
ins Massengeschäft komme nicht in Frage.<br />
„Premium ist und bleibt unser Geschäftsmodell“,<br />
sagt BMW-Chef Reithofer. Er will<br />
dort bleiben, wo man richtig Geld verdienen<br />
kann. Also müssen noch effizientere Verbrennungsmotoren<br />
her, weitere technische<br />
Lösungen wie die Start-Stop-Automatik<br />
oder Hybridmodelle – und vor allem völlig<br />
saubere Autos, Elektrofahrzeuge.<br />
Nur: Damit ein Stromer das typische BMW-<br />
Gefühl beim Fahren erzeugen kann, braucht<br />
er eine starke Batterie. Die aber sind wahre<br />
Schwergewichte. Und so räumt Ulrich<br />
Kranz, Projektleiter von project i ein, dass<br />
genau hier der Vorteil von Carbon liegt:<br />
„Elektroautos haben durch die schweren<br />
Batterien einen Gewichtsnachteil. Diesen<br />
wollen wir kompensieren.“<br />
Dass ein grundlegender Wandel im Automobilbau<br />
erforderlich ist, daran lässt auch<br />
die Politik keinen Zweifel mehr. Gerade<br />
werden in der EU neue Grenzwerte für den<br />
CO 2 -Ausstoß diskutiert, und BMW geht<br />
davon aus, dass er 2020 bei 95 Gramm<br />
pro Kilometer liegen wird. Derzeit liegt der<br />
durchschnittliche Ausstoß der BMW-Flotte<br />
bei 148 Gramm.<br />
Neben den produktionstechnischen Problemen<br />
müssen BMW und SGL jetzt noch<br />
das Kostenproblem lösen, das viele andere<br />
Hersteller bislang davon abgehalten hat,<br />
mit Carbon zu planen. Im Auto verarbeiteter<br />
Stahl kostet derzeit bis zu 5 Euro pro Kilo,<br />
bei einem Kilo Aluminium kalkuliert man<br />
mit 20 Euro. Carbon liegt bei 80 Euro. In den<br />
Werken in Wackersdorf und Landshut macht<br />
BMW derweil große Fortschritte und ist sich<br />
sicher, deutliche Kostenreduzierungen zu<br />
erreichen. Man werde sich noch wundern,<br />
zu welchen Preisen man die neuen Modelle<br />
anbieten könne.<br />
Wie ernst es BMW mit der Carbonproduktion<br />
nimmt, zeigt sich auch in der<br />
Investitionspolitik. Die BMW AG hat sich<br />
im November 15,1 Prozent der Anteile an<br />
der SGL Carbon SE gesichert. Bereits im<br />
Frühjahr 2011 hatte die BMW-Großaktionärin<br />
Susanne Klatten ihren Anteil an dem<br />
Kohlefaserspezialisten auf 26,98 Prozent<br />
ausgebaut und sich damit eine Sperrminorität<br />
im Unternehmen gesichert. „Das Thema<br />
Leichtbau spielt in der Automobilindustrie<br />
zukünftig eine immer größere Rolle“, sagte<br />
Finanzvorstand Friedrich Eichiner im Herbst.<br />
„Die Beteiligung an der SGL Group ist ein<br />
konsequenter Schritt.“ gk<br />
Fotoquelle (Seiten 44 – 46): © BMW Group<br />
Seite 46 //
Perspektiven des Automobilstandortes Deutschland<br />
Interviewreihe mit führenden Persönlichkeiten der deutschen Automobilbranche<br />
Dr. Jürgen M. Geißinger<br />
Vorstandsvorsitzender,<br />
Schaeffler AG<br />
Rupert Stadler<br />
Vorstandsvorsitzender,<br />
AUDI AG<br />
Prof. Dr. Burkhard Göschel<br />
Chief Technology Officer,<br />
Magna International Inc.<br />
Prof. Dr. Thomas Weber<br />
Forschungs- und Entwicklungsvorstand,<br />
Daimler AG<br />
Hans-Georg Härter<br />
Vorstandvorsitzender,<br />
ZF Friedrichshafen AG<br />
Ruth Werhahn<br />
Leiterin Konzerninitiative<br />
Elektromobilität, E.ON AG<br />
Prof. Dr. Henning Kagermann<br />
Nationale<br />
Plattform Elektromobilität<br />
Matthias Wissmann<br />
Präsident des Verbands der<br />
Automobilindustrie e.V. (VDA)<br />
Luz G. Mauch<br />
Senior Vice President<br />
Global Automotive,<br />
T-Systems International GmbH<br />
Dr. Stefan Wolf<br />
Vorstandsvorsitzender,<br />
ElringKlinger AG<br />
Die Automobilbranche zählt zu den maßgeblichen<br />
Industrien, wenn es in Deutschland um die Standortfrage<br />
geht. Doch die erfolgsverwöhnte Branche steht<br />
vor einem Umbruch: Nicht zuletzt aufgrund der politischen<br />
Forderung nach markt- und massentauglichen<br />
Elektrofahrzeugen stellen sich ganz neue Herausforderungen.<br />
Die Herausgeber Ernst & Young und F.A.Z.-Institut<br />
haben in einer Interviewreihe mit den Protagonisten<br />
der deutschen Automobilindustrie gesprochen und sie<br />
nach ihrer <strong>Zukunft</strong>s einschätzung befragt. Dabei wurden<br />
bemerkenswerte Einblicke gewährt und richtungsweisende<br />
Ideen vorgestellt, die der Automobilbranche<br />
am Standort Deutschland trotz – vielleicht auch<br />
gerade wegen – der Herausforderungen eine hervor -<br />
ragende Perspektive bescheinigen.<br />
Herausgegeben von Ernst & Young<br />
und dem F.A.Z.-Institut.<br />
Dezember 2011, 80 Seiten,<br />
DIN A4 broschiert.<br />
1 48,00 inkl. Versand und MwSt.<br />
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Mainzer Landstr. 199, 60326 Frankfurt, genügt.<br />
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eingetragen beim Handelsregister Frankfurt am Main, HRB-Nr. 28290, Mainzer Landstr. 199, 60326 Frankfurt, genügt.<br />
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Automobilstandortes Deutschland<br />
Eine Interviewreihe mit führenden Persönlichkeiten<br />
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<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Im Gespräch<br />
„Nachhaltigkeit über die gesamte Wertschöpfungskette“<br />
Interview mit Ulrich Kranz, Leiter project i der BMW AG<br />
Herr Kranz, Sie verantworten das Projekt<br />
BMW i. Was ist das Ziel<br />
Das Ziel ist es, nach dem Start des project i<br />
im Jahr 2007 und den daraus resultierenden<br />
Modellen MINI E und Active E 2013 mit dem<br />
BMW i3 ein serienreifes Elektromobil für das<br />
urbane Umfeld auf den Markt zu bringen.<br />
Kurze Zeit später folgt dann bereits der BMW<br />
i8, ein Plug-in-Hybrid-Sportwagen, mit den<br />
Leistungswerten eines Supersportcars und<br />
dem Verbrauch eines Kleinwagens.<br />
Was hat BMW i mit nachhaltiger und<br />
verantwortungsbewusster Unternehmensführung<br />
zu tun<br />
Bei BMW i stehen nachhaltige Technologien<br />
für ein verantwortungsvolles Handeln im<br />
Vordergrund. Die Fahrzeuge und Dienstleistungen<br />
von BMW i verfolgen einen revolutionären<br />
Ansatz, denn sie sind maßgeschneidert<br />
für nachhaltige Mobilität, gepaart mit<br />
dem BMW-typischen Premiumanspruch. Der<br />
Anspruch von BMW i ist die Gestaltung von<br />
Nachhaltigkeit über die gesamte Wertschöpfungskette,<br />
das bedeutet, BMW i geht über<br />
das Auto hinaus, und die BMW Group stärkt<br />
so ihre Position als innovativster und nachhaltigster<br />
Automobilhersteller.<br />
Welchen Stellenwert nimmt die Elektromobilität<br />
bei der BMW Group ein<br />
Die Elektromobilität ist eine der vier Säulen<br />
unserer Produktstrategie. Dabei beschreiten<br />
wir einen konsequenten Weg, indem wir die<br />
BMW-i-Fahrzeuge mit einer auf den Elektroantrieb<br />
ausgerichteten Architektur (Purpose-<br />
Build-Architecture) auf den Markt bringen.<br />
Die weitere Optimierung der Verbrennungsmotoren<br />
zur Senkung des CO 2 -Ausstoßes im<br />
Rahmen unseres EfficientDynamics-Angebots<br />
ist eine weitere zentrale Säule in unserer<br />
Antriebsstrategie. Darüber hinaus haben wir<br />
auch unser Angebot an Hybridantrieben sukzessive<br />
erweitert und werden das auch künftig<br />
tun. Mittel- bis langfristig ist Wasserstoff<br />
als alternativer Energieträger die vierte Säule<br />
im Rahmen der BMW-Antriebsstrategie.<br />
Wo sehen Sie noch die größten Herausforderungen<br />
für einen „Massenmarkt Elektroauto“<br />
Eine der größten Herausforderungen bei<br />
einem Elektrofahrzeug besteht in der Entwicklung<br />
von Leichtbaukonzepten. Leichtbau<br />
hilft, den Einsatz vor allem schwerer<br />
Komponenten (z.B. Batterie) zu reduzieren.<br />
Darüber hinaus ist es sehr wichtig, parallel<br />
die Infrastruktur weiter voranzutreiben. Der<br />
Kunde erwartet hier zukünftig Lösungen aus<br />
einer Hand – insofern besteht auch bei BMW<br />
ein klares Selbstverständnis zur Befähigung<br />
in diesem Bereich. Dies betrifft nicht nur<br />
die technische Entwicklung von Ladesäulen,<br />
sondern erstreckt sich auf die komplette<br />
Wertschöpfungskette bis hin zum Vertrieb.<br />
Hier tritt BMW mit neuen Partnern z.B. aus<br />
der Energiewirtschaft in Kontakt.<br />
Sie setzen sehr stark auf Carbon als Werkstoff.<br />
Welche Vorteile bietet dieses Material<br />
Ein großer Vorteil von CFK ist das geringe<br />
Gewicht. Es ist 30 Prozent leichter als Aluminium,<br />
im Vergleich zu Stahl sind es sogar<br />
50 Prozent. Dazu kommt die extreme Steifigkeit,<br />
die eine hervorragende Energieabsorption<br />
bei einem Crash ermöglicht. CFK zeigt<br />
außerdem keine Ermüdungserscheinungen<br />
im Vergleich zu herkömmlichen Werkstoffen<br />
und ist dazu noch resistent gegen Korrosion.<br />
BMW hat das Ziel, Carbon auch in großem<br />
Maßstab industriell zu verarbeiten. Ist das<br />
unter Kostengesichtspunkten überhaupt<br />
darstellbar<br />
Absolut, das haben wir ja bereits mit dem<br />
Einsatz von Carbon-Dächern im BMW M3<br />
und M6 bewiesen. Durch die Kombination<br />
aus einer weiterentwickelten CFK-Faser, die<br />
SGL beisteuert, sowie dem einzigartigen<br />
BMW-Know-how zur Fertigung von CFK-<br />
Komponenten in großem Volumen können<br />
wir im Rahmen der Industrialisierung<br />
erstmals CFK-Komponenten zu wettbewerbsfähigen<br />
Kosten im Vergleich zu alternativen<br />
Werkstoffen herstellen. Beim neuen BMW i3<br />
sprechen wir über eine Großserienproduk-<br />
Seite 48 //
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Im Gespräch<br />
tion, und gehen Sie davon aus, dass dieser<br />
Werkstoff zukünftig auch in weiteren BMW-<br />
Fahrzeugen verstärkt zum Einsatz kommen<br />
wird. Das sind alles wichtige Faktoren, die<br />
dazu führen werden, CFK deutlich kostengünstiger<br />
zu produzieren.<br />
Wo liegen zurzeit noch die schwierigsten<br />
technischen Herausforderungen beim<br />
Werkstoff Carbon<br />
Wenn man sich mit dem Einsatz von Carbon<br />
in dieser Größenordnung beschäftigt, muss<br />
man sich bestimmten Herausforderungen<br />
stellen: Eine qualitativ hochwertige Großserienfertigung,<br />
günstigste Fertigungskosten und<br />
die Bildung von geschlossenen Wertstoffkreisläufen<br />
im Sinne einer nachhaltigen Carbonherstellung<br />
– für all diese Herausforderungen<br />
haben wir die richtigen Antworten gefunden.<br />
Wir sind in diesem Ranking zum siebten Mal<br />
in Folge zum nachhaltigsten Unternehmen<br />
gewählt worden. Dieser Index zeigt also,<br />
dass wir innerhalb der BMW Group immer<br />
den gesamthaften Ansatz im Blick haben<br />
und nicht nur allein an der Reduzierung der<br />
CO 2 -Emissionen unserer Fahrzeuge arbeiten.<br />
Kurz gesagt: wir nehmen das Thema Nachhaltigkeit<br />
sehr ernst, und Glaubwürdigkeit<br />
wird sicher auch von den Kunden honoriert<br />
werden.<br />
Die Fragen stellte Gabriele Kalt<br />
Ist der Faktor „Nachhaltigkeit“ nur ein erfreuliches<br />
Kommunikationsthema, oder ist<br />
Ihr Top-Ranking im Dow Jones Sustainability<br />
Index auch gut fürs Geschäft<br />
// Seite 49<br />
Fotoquelle: © BMW Group
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Gut zu wissen<br />
GUT<br />
ZU<br />
WISSEN<br />
Erneuerbare Energien auf dem Vormarsch. Das<br />
Bundesumweltministerium hat detaillierte Zahlen<br />
zum Ausbau der erneuerbaren Energien im vergangenen<br />
Jahr vorgelegt. Bei der Stromerzeugung<br />
konnten die erneuerbaren Energien zulegen und<br />
kommen 2011 auf einen Anteil von 20,1 Prozent<br />
(2010: 17,1 Prozent). Dazu haben vor allem die<br />
stärkere Nutzung von Windenergie und Biogas sowie<br />
der gestiegene Solarstromanteil beigetragen.<br />
Die erneuerbaren Energien haben im Jahr 2011<br />
rund 129 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen<br />
vermieden, davon allein rund 70 Millionen<br />
Tonnen durch EEG-vergütete Stromerzeugung.<br />
Seite 50 //<br />
Ressourceneffizienzprogramm beschlossen. Das Bundeskabinett<br />
hat das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm (ProgRess) beschlossen.<br />
Ziel des Programms ist es, die Rohstoffproduktivität der<br />
deutschen Wirtschaft, das heißt die immer stärkere Entkopplung<br />
des Wachstums vom Ressourcenverbrauch, zu steigern. Bereits<br />
2002 hat die Bundesregierung in ihrer Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie<br />
das Ziel verankert, die Rohstoffproduktivität bis 2020 gegenüber<br />
1994 zu verdoppeln. Mit diesem Ziel ist Deutschland international<br />
Vorreiter. ProgRess gibt einen Überblick über zahlreiche<br />
Aktivitäten und identifiziert den Handlungsbedarf. Beispiele hierfür<br />
sind: Ausbau der Effizienzberatung für kleine und mittlere Unternehmen,<br />
Unterstützung von Umweltmanagementsystemen sowie<br />
Verstärkung von Technologie- und Wissenstransfer in Entwicklungs-<br />
und Schwellenländern. Auch nachhaltiges Planen, Bauen und<br />
Nutzen von Gebäuden sowie eine effiziente Nutzung von <strong>Zukunft</strong>stechniken<br />
wie Elektromobilität und Photovoltaik gehören dazu.<br />
Energiekosten bieten Potential. Energiekosten sind<br />
für Unternehmen in Deutschland deutlich gestiegen.<br />
Deshalb planen immer mehr Betriebe, in energiesparende<br />
Maßnahmen zu investieren. Das ist das Ergebnis<br />
einer Umfrage im Auftrag der Initiative Energie-<br />
Effizienz der Deutschen Energie-Agentur GmbH<br />
(dena). „Der Bedarf an Energiespardienstleistungen<br />
nimmt zu. Damit eröffnet sich ein großes Geschäftsfeld<br />
für deutsche Anbieter. Wer sich jetzt in diesem<br />
Segment engagiert, sichert sich Wettbewerbsvorteile<br />
auf einem <strong>Zukunft</strong>smarkt, der sich auch international<br />
dynamisch entwickelt“, erklärt Stephan Kohler, Vorsitzender<br />
der dena-Geschäftsführung.
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Gut zu wissen<br />
UNEP-Bericht zur Nachhaltigkeit bei Konsum und Produktion.<br />
Weltweit entsteht eine Vielzahl von Initiativen zur Förderung der<br />
Nachhaltigkeit bei Verbrauch und Produktion, aber es sind weitere<br />
Anstrengungen erforderlich, um diese Verfahren in bestehende Rahmenregelungen<br />
einzubetten. Dies ist das Fazit des neuen Berichts über die<br />
welt weiten Perspektiven („Global Outlook Report“), den das UNEP in<br />
Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission herausgegeben hat.<br />
Ziel ist es, vielversprechende Beispiele für wirksame Maßnahmen zu<br />
erkennen und weiterzugeben sowie Vorschläge zu formulieren, die zur<br />
Weiterentwicklung der nachhaltigen Konsum- und Produktionsmuster<br />
beitragen. EU-Umweltkommissar Janez Potocnik sagte: „Die UN-Konferenz<br />
Rio+20 wird auf die Nachhaltigkeit bei Konsum und Verbrauch und<br />
auf die Grüne Wirtschaft als entscheidende Prioritäten für das weltweite<br />
nachhaltige Wachstum aufmerksam machen. Die Art und Weise, wie wir<br />
konsumieren und produzieren, wird darüber entscheiden, ob wir erfolgreich<br />
sind oder scheitern.“ Der vollständige Bericht steht unter folgendem<br />
Link zum Download bereit: www.unep.fr/scp/go/publications.htm<br />
Transparenz – Treiber für mehr Nachhaltigkeit.<br />
Hersteller von Konsumgütern, die nachhaltige<br />
Kaufentscheidungen fördern wollen, sollten ihre<br />
Kunden über die sozialen und ökologischen Auswirkungen<br />
ihrer Produkte informieren. Dies ist das<br />
Ergebnis der neuen Studie des Dienstleisters GS1<br />
Germany GmbH, Köln, für die Nachhaltigkeitsexperten<br />
befragt wurden. Zum einen stelle Produkttransparenz<br />
einen wesentlichen Baustein für faire<br />
Handelspartnerschaften und Kooperationen sowie<br />
die Förderung nachhaltiger Konsummuster dar.<br />
Zum anderen wirke mehr Transparenz als übergeordneter<br />
Hebel für die nachhaltige Ausrichtung<br />
von Produktionsketten und Lebensstilen.<br />
Fotoquelle: © itestro/fotolia.com<br />
Mehr Energieeffizienz. Die entscheidende<br />
Frage für den dauerhaften Erfolg von Energieeffizienzmaßnahmen:<br />
Rechnen sich die Investitionen<br />
in energieeffiziente Technologien betriebswirtschaftlich<br />
Diese Frage lässt sich nur<br />
dann korrekt beantworten, wenn Investitionsvorhaben<br />
anhand der Lebenszykluskosten beurteilt<br />
werden. Der ZVEI hat in Kooperation mit<br />
Deloitte ein herstellerneutrales, betriebswirtschaftliches<br />
Lebenszykluskosten-Berechnungstool<br />
(LCE Lifecycle Cost Evaluation) entwickelt.<br />
Nachhaltigkeitsbewertung von Staaten.<br />
Um die Nachhaltigkeit ist es in vielen reichen<br />
Industrieländern nicht gut bestellt, wie ein<br />
Nachhaltigkeitsrating von Staaten der Agentur<br />
Inrate, Zürich, zeigt. Die auf Nachhaltigkeitsbewertungen<br />
spezialisierte Ratingagentur hat<br />
190 Staaten bewertet, darunter 34 OECD-Länder.<br />
Von den OECD-Ländern erhielten 26 Prozent<br />
die Note A, je 15 Prozent die Noten B und<br />
C und 44 Prozent die Note D. Deutschland kam<br />
bei der Bewertung in die Spitzengruppe und<br />
verschafft sich damit einen Wettbewerbsvorteil<br />
bei Großinvestoren.<br />
// Seite 51
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Facts & Figures<br />
//<br />
Nachhaltige Unternehmensführung.<br />
Lage und aktuelle Entwicklungen im<br />
Mittelstand<br />
2012 Studie (Ernst & Young)<br />
Nachhaltigkeit wird heute zunehmend als<br />
Teil der Unternehmensführung und Bestandssicherung<br />
angesehen. Diese Aussage<br />
ist vor allem bei der Gruppe der familiengeführten<br />
Unternehmen stark ausgeprägt.<br />
Hinzu kommen Aktivitäten, die <strong>Verantwortung</strong><br />
für das Nachhaltigkeitsmanagement<br />
neben der Aufsicht durch die Unternehmensführung<br />
zusätzlich auf Arbeitsebene<br />
zu verankern und damit weiter zu institutionalisieren.<br />
Mitarbeiter sind neben Kunden die wichtigste<br />
Anspruchsgruppe, wenn es um nachhaltige<br />
Unternehmensführung geht. Um sie<br />
zu gewinnen und im Unternehmen zu halten,<br />
legen die befragten Unternehmen besonderen<br />
Wert auf die Qualität ihrer Unternehmensführung.<br />
Diese ist wichtiger als einzelne Personalmaßnahmen,<br />
was auf eine stärkere Bedeutung<br />
der Identifikations- bzw. Vorbildwirkung hinweist,<br />
die man guter Unternehmens- und<br />
Geschäftsführung beimisst.<br />
In der Beschaffung sind Kenntnis und Umsetzung<br />
von Nachhaltigkeit deutlich weniger<br />
ausgeprägt als in Absatz und Vertrieb. Die<br />
Gruppe der Zulieferer hat im Vergleich zu<br />
einer Vorgängerstudie aus dem Jahr 2007 an<br />
Bedeutung im Nachhaltigkeitskontext der<br />
Unternehmen verloren. Dies ist kritisch, da<br />
erfolgreiches Nachhaltigkeitsmanagement<br />
wesentlich von der Art der Beschaffung, vor<br />
allem von der systematischen Auswahl der<br />
Lieferanten, geprägt ist. Immer mehr Kunden<br />
erwarten von ihren Zulieferern nicht nur den<br />
Nachweis der Einhaltung von maßgeblichen<br />
Nachhaltigkeitsaspekten, sondern auch die<br />
Weitergabe dieser Nachhaltigkeitsverpflichtung<br />
an die eigenen Lieferanten. Je mehr<br />
sich der Blick auf ganze Produktlebenszyklen<br />
konzentriert, desto mehr wird auch die<br />
gesamte Wertschöpfungskette Gegenstand<br />
der Aufmerksamkeit.<br />
Ein systematisches Energie- und Umweltmanagement<br />
mit einem Bewusstsein für Kosten,<br />
Einsparpotentiale und Gewinnsteigerung<br />
ist bei den befragten Unternehmen noch nicht<br />
in großem Umfang erkennbar. Zwar sind Umweltrichtlinien<br />
in weiten Teilen verfügbar,<br />
doch verharrt die Konzentration – wie bei der<br />
Vorgängerstudie – auf Recycling als Spitzenreiter<br />
des betrieblichen Umweltschutzes.<br />
Besonders bemerkenswert ist die verhältnismäßig<br />
geringe Gewichtung, die der Reduktion<br />
von CO 2 -Emissionen beigemessen wird. Der<br />
Einsatz von erneuerbaren Energien nimmt den<br />
letzten Platz ein und ist damit keine relevante<br />
Größe.<br />
Die Studie basiert auf einer telefonischen<br />
Befragung von 500 mittelständischen Unternehmen<br />
in Deutschland, die per Zufallsstichprobe<br />
ausgewählt wurden. Auskunft gaben<br />
geschäftsführende Gesellschafter, Geschäftsführer,<br />
Unternehmenssprecher sowie Bereichsleiter<br />
(Personal, Controlling, Finanzen).<br />
30 Prozent der Interviewpartner kamen dabei<br />
aus der Bereichsleitung Personal.<br />
www.ey.com/Publication/vwLUAssets/Mittelstandsbarometer_-_Nachhaltige_<br />
Unternehmensfuehrung/$FILE/Nachhaltige%20Unternehmensfuehrung%20im%20<br />
Mittelstand%202012.pdf //<br />
//<br />
Rahmenbedingungen bedrohen<br />
Versorgungssicherheit<br />
2011 Studie (PricewaterhouseCoopers)<br />
Der weltweit steigende „Energiehunger“<br />
wird auch in den nächsten Jahren eine gewaltige<br />
Herausforderung für die Branche der<br />
Energieversorger darstellen. Denn es müssen<br />
sowohl bedrohliche Engpässe als auch Investitionshürden<br />
überwunden werden, damit dieser<br />
Hunger gestillt werden kann. Welche Ansätze<br />
die Branche sieht, zeigt der „PwC Annual<br />
Global Power & Utilities Survey“.<br />
Für die Studie hat PwC 72 Energieversorger<br />
aus 43 Ländern befragt. Dabei kam heraus:<br />
Will man die weltweite Stromversorgung<br />
trotz der rasant steigenden Nachfrage<br />
gewährleisten, dürften fossile Energieträger<br />
auch noch im Jahr 2030 die wichtigste<br />
Stromquelle sein.<br />
Die Wirtschaftskrise- und Finanzkrise<br />
hat insofern Einfluss auf dieses Szenario, als<br />
78 Prozent der Befragten sagten, dass der<br />
öko nomische Abschwung ihre Investitionen in<br />
Infrastrukturprojekte mittelmäßig bis stark<br />
beeinträchtigt. Dennoch plant die Mehrheit<br />
(68 Prozent) umfangreichere <strong>Ausgabe</strong>n für<br />
Modernisierungen oder gar Erneuerungen<br />
von Anlagen. 55 Prozent davon wollen ihre<br />
Erdgasanlagen erneuern, hingegen nur<br />
21 Prozent im Bereich Kohle oder Kernenergie<br />
modernisieren. 24 Prozent planen Mittel für<br />
Offshore-Windprojekte ein, 37 Prozent für<br />
Onshore.<br />
Weitere zentrale Erkenntnisse der Untersuchung:<br />
➤➤<br />
Ausfallsichere, bezahlbare und klimafreundliche<br />
Stromversorgung kann nur<br />
dann gelingen, wenn sich die finanziellen<br />
und gesetzlichen Rahmenbedingungen<br />
für Investitionen in Kraftwerke und Stromnetze<br />
schnell verbessern.<br />
➤➤<br />
Europaweit prognostizieren 53 Prozent<br />
der Branchenvertreter ein erhöhtes Risiko<br />
von Stromausfällen („Blackouts“) in der<br />
Zeit periode bis 2030.<br />
➤➤<br />
Mehr als 80 Prozent nehmen an, dass<br />
sowohl Onshore-Windkraft und Biomasse-<br />
Stromerzeugung als auch sämtliche Formen<br />
der Solarenergie im Jahr 2030 ohne Subventionen<br />
wettbewerbsfähig sein können.<br />
www.pwc.de/de/energiewirtschaft/energieversorger-rahmenbedingungen-bedrohenversorgungssicherheit.jhtml<br />
//<br />
Seite 52 //
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Facts & Figures<br />
//<br />
Zehn Megatrends hemmen<br />
Unternehmenserfolg / Massiver<br />
Anstieg umweltbedingter Kosten<br />
2012 Studie (KPMG)<br />
Zehn Megatrends werden das Unternehmenswachstum<br />
der nächsten 20 Jahre beeinflussen,<br />
das zeigt die aktuelle KPMG-Analyse<br />
„Expect the unexpected: Building Business<br />
Value in a changing World“ von KPMG International.<br />
Hierzu zählen Klimawandel, Schwankungen<br />
der Energie- und Kraftstoffpreise, Verfügbarkeit<br />
und Kosten der Ressource Wasser sowie<br />
Rohstoffverfügbarkeit. Die Analyse zeigt auf,<br />
dass externe umweltbedingte Kosten, die im<br />
Allgemeinen nicht in Geschäftsberichten aufgeführt<br />
werden, in elf untersuchten Schlüsselindustriesektoren<br />
von 2002 bis 2010 um<br />
50 Prozent von 566 Milliarden US-Dollar auf<br />
846 Milliarden US-Dollar angestiegen sind.<br />
Wenn Unternehmen die kompletten Umweltkosten<br />
ihrer Produktionen zahlen müssten,<br />
würden sie 41 US-Cent pro 1 US-Dollar Gewinn<br />
im Durchschnitt verlieren, so das Ergebnis.<br />
Die Konsequenzen, die sich aus dem Zusammenwirken<br />
der Megatrends ergeben, üben immer<br />
stärkeren Druck sowohl auf Unternehmen<br />
als auch die Gesellschaft als Ganzes aus. Die<br />
Herausforderungen erhöhen die Komplexität<br />
der Unternehmensumwelt deutlich, eröffnen<br />
jedoch auch Chancen.<br />
Professor Dr. Jochen R. Pampel, Head of<br />
Sustainability Services von KPMG in Deutschland:<br />
„Unternehmen, die die äußeren Einflüsse<br />
erkennen und ihnen aktiv begegnen, erzielen<br />
einen Wettbewerbsvorteil. Strategisches Sustainability-Management<br />
unter Berücksichtigung<br />
der analysierten Trends, die Messung<br />
von Nachhaltigkeitskriterien und eine adäquate<br />
Berichterstattung auf Basis valider Daten<br />
werden daher immer bedeutender.“<br />
www.kpmg.de/Presse/28860.htm //<br />
//<br />
Biodiversitätsmanagement: Ein<br />
Leitfaden für die betriebliche Praxis<br />
2010 Handbuch (Bundesministerium für<br />
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit)<br />
Mit dem zunehmenden Verlust an biologischer<br />
Vielfalt steigen neben den Risiken für<br />
die Gesellschaft auch jene für Unternehmen.<br />
Das Risikospektrum ist breit und reicht von<br />
höheren Beschaffungskosten über Einschränkungen<br />
durch staatliche Regulierungen bis<br />
zum Verlust von Kunden. Wer Biodiversität auf<br />
Risikofragen reduziert, übersieht jedoch die<br />
beachtlichen Chancen für Unternehmen: Das<br />
Thema biologische Vielfalt weckt Emotionen,<br />
es birgt große Innovationspotentiale und kann<br />
so die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen<br />
entscheidend stärken.<br />
Die Aufgabe der vom Bundesumweltministerium<br />
(BMU) ins Leben gerufenen Initiative<br />
„Biodiversity in Good Company“ ist es, Unternehmen<br />
für das Thema Biodiversität zu sensibilisieren<br />
und bei der Integration von Biodiversitätsaspekten<br />
in das unternehmerische<br />
Handeln zu unterstützen.<br />
Mit dem Handbuch möchte das BMU<br />
Gründe und mögliche Handlungsfelder für ein<br />
unternehmerisches Biodiversitätsmanagement<br />
aufzeigen. Dabei wird bewusst eine übergreifende<br />
Managementsichtweise eingenommen,<br />
die unterschiedlichen Branchen und Unternehmen<br />
verschiedener Größen konkrete<br />
Ansatzpunkte bietet. Best-Practice-Beispiele<br />
demonstrieren, wie bedeutend das Thema biologische<br />
Vielfalt bereits heute für die Aktivitäten<br />
von Unternehmen ist. Das Handbuch<br />
enthält zusätzlich eine CD mit digitalen<br />
Checklisten, die den Unternehmen helfen, die<br />
konkreten Vorschläge direkt umzusetzen.<br />
www.bmu.de/naturschutz_biologische_<br />
vielfalt/downloads/doc/46143.php //<br />
//<br />
Fortschritt im Nachhaltigkeitsmanagement<br />
2011 Studie (KPMG)<br />
Entscheidend ist heutzutage nicht mehr nur<br />
der finanzielle Erfolg, sondern auch die ökologische<br />
und soziale Performance, also der langfristige<br />
Unternehmenserfolg. Die Bedeutung<br />
eines Nachhaltigkeitsmanagements für die<br />
Unternehmensführung wird seit mehreren<br />
Jahren zunehmend wichtiger. So verwundert<br />
es nicht, dass Nachhaltigkeit an die Spitze der<br />
Agenda vieler Unternehmen gerückt ist. Das<br />
zeigt auch die Studie „Corporate Sustainability:<br />
A Progress Report“, die KPMG Global in Zusammenarbeit<br />
mit der Economist Intelligence<br />
Unit erstellte.<br />
Die Studie verdeutlicht, wie sich die Haltung<br />
von Unternehmen zum Nachhaltigkeitsmanagement<br />
in den vergangenen Jahren verändert<br />
hat. Hierzu wurden die Meinungen und<br />
Einstellungen von Führungskräften 378 großer<br />
und mittelständischer Unternehmen weltweit<br />
analysiert. Die Publikation untersucht<br />
nicht nur die Auswirkungen des Nachhaltigkeitsmanagements<br />
auf die Geschäftsprozesse<br />
und die Berichterstattung, sondern auch,<br />
welche Erwartungen Unternehmen an die<br />
Politik haben.<br />
Auch stieg die Zahl derer, die Nachhaltigkeitsberichte<br />
veröffentlichen, beziehungsweise<br />
dies für die <strong>Zukunft</strong> planen. Jedoch zieht eine<br />
beachtliche Minderheit von 38 Prozent noch<br />
nicht in Betracht, in nächster Zeit einen Nachhaltigkeitsbericht<br />
herauszugeben.<br />
Die Studie identifizierte die effiziente Kostenreduktion<br />
neben dem Reputations- und<br />
Risikomanagement als einen neuen wesentlichen<br />
Treiber des Nachhaltigkeitsmanagements.<br />
Das Hauptaugenmerk liegt auf Umweltaspekten,<br />
insbesondere im Hinblick auf<br />
Ressourcen- und Energieeffizienz. Case-<br />
Studys befragter Unternehmen zeigen, wie<br />
Unternehmen vom Nachhaltigkeitsmanagement<br />
profitieren.<br />
www.kpmg.de/Themen/25501.htm //<br />
// Seite 53
<strong>Ausgabe</strong> 2-2012 // Impressum<br />
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