LEHRPLAN EVANGELISCHE RELIGION - Kirchliches Schulamt Mainz
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15), das allen Menschen zu Eigen sei. Hintergrund seiner Ausführungen ist, dass für ihn das Tun<br />
des Guten nicht vom Besitz der Moses-Tora abhängig ist. In der christlichen Tradition wurde diese<br />
Stelle allerdings als Begründung der Stimme Gottes im Menschen bis hin zu einer natürlichen<br />
Theologie uminterpretiert. In Abgrenzung zur Lehre vom Gewissen als Stimme Gottes im Menschen<br />
heben Theologen wie z.B. K. Barth und D. Bonhoeffer hervor, dass hier keine Fremdsteuerung<br />
stattfindet, sondern dass das Gewissen etwas zutiefst Menschliches ist. Dabei entscheidet der<br />
Mensch in der Situation und in Verantwortung vor Gott. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass ein<br />
ethisches Empfinden im christlichen Horizont von einer Situations- und Verantwortungsethik geprägt<br />
ist. Gewissensentscheidungen sind daher nicht normativ vorgegeben, sondern von der Situation<br />
und der Verantwortung vor Gottes Wort abhängig.<br />
Die Instanz des Gewissens findet sich heute darüber hinaus in einer Vielfalt von Deutungsmöglichkeiten.<br />
So unterscheidet man Typisierungen des Gewissens, die als Grundlage unterschiedliche<br />
theologische, philosophische und psychologische Deutungsmuster zeigen. Nach G. Neumüller<br />
(a.a.O., S. 82) kann Gewissen folgendermaßen verstanden werden:<br />
• im moralischen Sinn als ein innerer Regulator mit mahnender Funktion;<br />
• im idealistischen Sinn als das angeborene Bewusstsein vom idealen Ich (z.B. Platon);<br />
• im naturalistischen Sinn als evolutionär herausgebildetes oder erworbenes sittliches Wertgefühl<br />
(z.B. Darwin);<br />
• im psychoanalytischen Sinn als Summe der richterlichen Funktionen des Über-Ich (z.B. Freud);<br />
• im existenzphilosophischen Sinn als der unbedingte Ruf zur Eigentlichkeit der Existenz (z.B.<br />
Heidegger);<br />
• im behavioristischen Sinn als Resultat bestimmter Verhaltenskonditionierungen (Skinner).<br />
Bei allen unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten von Gewissen ist zu beachten, dass es in seiner<br />
Struktur den Menschen in seiner Ganzheit, in all seinen Persönlichkeitsebenen betrifft:<br />
• die affektive Ebene, die zur Liebes- und Bindungsfähigkeit leiten soll und gefühls- und gemütsbetonende<br />
Aspekte birgt;<br />
• die voluntative Ebene, die den Bezug zum Verhalten und Handeln herstellt und die Willensbildung<br />
regelt;<br />
• die kognitive Ebene, die wahrnehmend, erkennend, beurteilend und reflektierend die komplexen<br />
Erscheinungsformen des Gewissens ins Bewusstsein setzt (vgl. Zulliger).<br />
Die in der Bibel begründete Freiheit des Handelns spiegelt sich auch im Grundrecht des Menschen<br />
auf Gewissensfreiheit wider. Diese jedoch erhält im göttlichen Willen eine Richtschnur, an der<br />
menschliches Verhalten gemessen wird (Röm 14, 12: „So wird nun jeder von sich selbst Gott Rechenschaft<br />
geben“). Gott eröffnet Menschen Freiheit, fordert aber auch die Einhaltung gewisser<br />
Regeln, wie dies besonders im Dekalog zu erkennen ist (Ex 20, 2-17; Dtn 5, 6-21).<br />
Der Dekalog ist eingebunden in die Geschichte des Exodus. Die Freiheitsgeschichte Israels, die<br />
auch in der Präambel des Dekalogs aufgegriffen wird, zeigt die Perspektive, unter der die „Gebote“<br />
zu verstehen sind: Sie schützen die Freiheit Gottes und der Menschen. Gleichzeitig geben sie auch<br />
Orientierung, wie ein gottgewolltes Miteinander aussehen kann. Gewissenhaftes Handeln schließt<br />
eine sensible Wahrnehmung von und eine angemessene Reaktion auf Situationen ein, in denen<br />
durch Gott garantierte Freiheiten eingeengt werden.<br />
Hierbei muss auch der Zusammenhang von Schuld - Strafe - Vergebung bedacht werden. Wer frei<br />
ist, hat auch die Freiheit zum Missbrauch von Freiheit kann auch vor Gott und seinem Nächsten<br />
schuldig werden.<br />
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