Multidisziplinäre Ernährungsteams 6 Einblicke 1/2005
VEÖ-Tagung: Was den Bauch bewegt Was den Bauch bewegt – bewegt auch <strong>die</strong> Ernährungswissenschaft Ein Tagungsbericht Mag. Karin Lobner „Über Verdauung spricht man nicht – man hat sie“ waren <strong>die</strong> Eröffnungsworte <strong>der</strong> Verbadsvorsitzenden Mag. Eva Unterberger bei <strong>der</strong> 5. Wissenschaftlichen Tagung des VEÖ. Ganz im Gegensatz zu den Eröffnungsworten wurde am 17. und 18. Februar 2005 in <strong>der</strong> Wirtschaftskammer ausführlich und umfassend darüber diskutiert, was im Duden umgangssprachlich als „unangenehme Sache“ bezeichnet wird. Ernährungswissenschafter, Psychotherapeuten, Gastroenterologen, Pharmazeuten, Lebensmitteltechnologen und Mikrobiologen lieferten einen breiten theoretischen Hintergrund und gaben praktischen Einblick in <strong>die</strong> Thematik bis hin zur Schil<strong>der</strong>ung eigener Endoskopie-Erlebnisse. Der kluge Bauch Die optimale Magen-Darmfunktion begleitet uns ein Leben lang. Im Gegensatz zur Skelettmuskulatur, <strong>die</strong> in <strong>der</strong> mittleren Lebensphase ihr Optimum erreicht, muss <strong>die</strong> Resorptionsleistung schon beim Säugling voll funktionsfähig sein, um <strong>die</strong> ausreichende Versorgung des Organismus mit Nährstoffen gewährleisten zu können. Obwohl einige Verdauungsorgane ihre Leistung im Laufe <strong>der</strong> Lebenszeit reduzieren, bleibt <strong>die</strong> Reservekapazität <strong>der</strong> Verdauungs- und Resorptionsfunktion bis ins hohe Alter erhalten – damit ist eine ausreichende Nährstoffausnutzung lebenslänglich gewährleistet. Dass „etwas im Magen liegen“ o<strong>der</strong> „im Hals stecken bleiben“ kann, haben wohl alle schon einmal erlebt. Da<strong>für</strong> zuständig ist <strong>die</strong> „gut-brain-axis“ – <strong>die</strong> komplexe Beziehung zwischen Ernährung, Gastrointestinaltrakt und dem ZNS. Das „Bauchgefühl“ ist somit verbrieft und aus <strong>der</strong> Ecke <strong>der</strong> „Hausmedizin“ herauszuholen. Untersuchungen über <strong>die</strong> Auswirkung von Stress auf <strong>die</strong> Verdauung zeigen, dass Emotionen <strong>die</strong> Funktion des Verdauungstraktes beeinflussen. So ist z.B. <strong>die</strong> Transitzeit bei einer Angsterkrankung verkürzt und bei Depression verlangsamt. Umgekehrt kann eine Darmerkrankung, wie das Reizdarmsyndrom, <strong>die</strong> Lebensqualität <strong>der</strong> Betroffenen enorm vermin<strong>der</strong>n. Wie bei vielen medizinischen aber auch psychiatrischen Erkrankungen, ist auch bei den Darmerkrankungen das bio-psycho-soziale Modell <strong>der</strong> Krankheitsentstehung anzuwenden. Dies macht einen interdisziplinären Ansatz bei <strong>der</strong> Therapie erfor<strong>der</strong>lich. Der gesunde Bauch Wenn <strong>der</strong> Darm einen so offensichtlich großen Einfluss auf unser Wohlbefinden hat, ist es nur richtig, auch schon präventiv auf <strong>die</strong> Darmgesundheit zu achten. Das betrifft auch <strong>die</strong> Gesundheit von 400-600 verschiedenen Völkern unserer Einblicke 1/2005 Darmuntermieter. Welche Möglichkeit gibt es, den körpereigenen Mikroorganismen etwas Gutes zu tun? Die <strong>Lebensmittelindustrie</strong> interessiert sich seit einigen Jahren <strong>für</strong> unsere Darmflora und bietet uns Probiotika, Präbiotika und Symbiotika an, um <strong>die</strong> uns freundlich gesonnenen Stämme gesund und munter zu halten. Was ist nun von probiotischen Joghurts und präbiotischem Brot zu erwarten? Die Markenartikelhersteller stecken viel Energie in <strong>die</strong> Erforschung <strong>der</strong> Wirkung <strong>der</strong> von ihnen eingesetzten Stämme. Das Ergebnis: auch wenn noch weiterer Forschungsbedarf besteht, <strong>die</strong> Evidenzlage verbessert sich zunehmend. Aber: es lassen sich auch Kritikpunkte an den Stu<strong>die</strong>ndesigns finden. So wird z.B. häufig <strong>die</strong> Wirkung mit isolierten Stämmen untersucht, nicht aber mit dem schlussendlich angebotenen Produkt selbst. Wobei <strong>die</strong> Frage unbeantwortet bleibt, wie viel Joghurt o<strong>der</strong> wie viel Brot dann tatsächlich konsumiert werden muss, um <strong>die</strong> postulierte Wirkung zu erzielen. Auch <strong>die</strong> Auswahl des Placebos ist schwierig: was wird als Placebo verwendet? Wasser? Ein „normales“ Joghurt? Milch? Auch werden oft nur signifikante Wirkungen <strong>für</strong> ein bestimmtes Probandenkollektiv (z.B. Männer, Kranke) gefunden; <strong>die</strong> Werbebotschaft geht aber uneingeschränkt an <strong>die</strong> gesamte Bevölkerung. Das rege Interesse am Thema Darmgesundheit kam durch <strong>die</strong> aktive Beteilung <strong>der</strong> Teilnehmer an den Diskussionen deutlich zum Ausdruck. Grundsätzlich sollen Produkte ausgewählt werden, <strong>für</strong> <strong>die</strong> wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse vorliegen – gerade bei den probiotischen Milchprodukten gibt es bereits zahlreiche Trittbrettfahrer, <strong>die</strong> am Erfolg <strong>die</strong>ser Produktgruppe mitnaschen wollen. Die beschriebene Wirkung gilt immer nur <strong>für</strong> den jeweiligen Stamm. Probiotische Lebensmittel stellen also eine Möglichkeit <strong>der</strong> Prävention und Therapie von Darmerkrankungen dar. Dies bedeutet <strong>für</strong> <strong>die</strong> Praxis <strong>der</strong> Therapie, dass z.B. bei einer Antibiotikatherapie gleichzeitig <strong>die</strong> regelmäßige Aufnahme eines probiotischen Milchprodukts empfohlen werden kann – um <strong>die</strong> geschwächte Darmflora zu unterstützen. Daneben unterstützt eine obst- und gemüsereiche Ernährung <strong>die</strong> gesunde Enteralflora ausreichend mit fermentierbaren Substrate. Lesen Sie weiter auf Seite 9. 7