„Ein echter Wertewandel“ Mehr Züge Neuss–Wien - Verkehr
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<strong>Verkehr</strong> | 11. März 2011 | Nr. 10 7A<br />
JUNGFRAUBAHN<br />
Mit der Bahn in den Himmel<br />
Der Countdown läuft: 2012 wird die legendäre Jungfraubahn in der Schweiz 100 Jahre<br />
alt. Die Fahrt mit der Himmelsbahn ist ein einzigartiges Erlebnis.<br />
VON JOSEF MÜLLER, INTERLAKEN<br />
Es begann 1886 mit einem Aprilscherz<br />
in der „Zürcher Zeitung“.<br />
Ein Redakteur namens Emil Frey<br />
nahm die Leser der Zeitung mit<br />
einem Bericht auf den Arm. Er<br />
berichtete, dass in London eine<br />
„International Mountain-Way-<br />
Company“ gegründet worden<br />
sei, die eine elektrische Bahn<br />
vom Tal bis zur Rottalhütte bauen<br />
wolle und am Endpunkt ein<br />
Hotel mit 40 Betten eröffnen<br />
werde. Die Eröffnung sei für den<br />
Sommer 1888 geplant. Diesem<br />
Scherz folgten bald ernsthafte<br />
Absichten. Die Idee, mit der<br />
Bahn von Interlaken auf die<br />
Jungfrau im Berner Oberland zu<br />
fahren, kam dem Schweizer Industriellen<br />
Adolf Guyer-Zeller<br />
1893 während einer Wanderung<br />
in der Jungfrauregion. Überwäl-<br />
Service ist alles: Eisenbahn-Enthusiasten<br />
bekommen reservierte Plätze<br />
tigt vom Anblick des mächtigen<br />
Dreigestirns Eiger, Mönch, Jungfrau<br />
machte er Notizen und entwarf<br />
Pläne, die sehr viel von den<br />
späteren Planungs- und Kons -<br />
truktionsarbeiten für die Jungfraubahn<br />
vorweggenommen haben.<br />
Guyer-Zeller träumte den<br />
Traum von einer „Himmelsbahn“.<br />
Dem Traum folgten in<br />
der Realität bald konkrete Taten.<br />
Im Jahr 1896 wurde mit dem<br />
Bau der Jungfraubahn, der heute<br />
höchstgelegenen Zahnradbahn<br />
Europas, begonnen. Die Bahn<br />
führt von der Kleinen Scheidegg<br />
hinauf zum Jungfraujoch auf eine<br />
Höhe von 3.454 Metern über<br />
dem Meer. Die Bahn endet im<br />
höchstgelegenen Bahnhof<br />
Europas und zieht jährlich<br />
500.000 Besucher aus aller Welt<br />
an.<br />
Guyer-Zeller wollte die Menschen<br />
schnell auf die Berge bringen.<br />
Das 19. Jahrhundert war<br />
das große Jahrhundert des Alpinismus.<br />
In seinem Baugesuch<br />
zeigte sich der Industrielle spendierfreudig<br />
und stellte 100.000<br />
Franken als Zuschuss aus der<br />
Privatschatulle in Aussicht. Die<br />
Bauarbeiten dauerten deutlich<br />
länger als geplant, nämlich 16<br />
statt sieben Jahre. Am Ende<br />
schlugen die Baukosten mit<br />
15 Mio. Franken zu Buche, fünf<br />
Mio. Franken mehr, als ursprünglich<br />
veranschlagt waren;<br />
am 1. August 1912 wurde die<br />
Bahn eröffnet. Auch wenn man<br />
sich anfänglich beim Zeit- und<br />
Kostenaufwand gewaltig geirrt<br />
hatte, der Erfolg dieser einmaligen<br />
Bahn in Richtung Himmel<br />
blieb nicht aus. Schon im ersten<br />
Betriebsjahr schrieb die Jungfraubahn<br />
schwarze Zahlen. Und das<br />
bis heute. Nur ein einziges Mal<br />
in der bisher 99-jährigen Geschichte<br />
gab es einen Verlust. Darauf<br />
ist man heute sehr stolz.<br />
Nicht nur bei der Jungfraubahn<br />
Holding AG selbst, sondern in<br />
der ganzen Schweiz.<br />
Kein einziger Heizkörper<br />
Die Bahn legt die 12 Kilometer<br />
lange Strecke zu einem großen<br />
Teil durch einen aus dem Fels gehauenen<br />
Tunnel zurück. Nur im<br />
unteren Teil, zwischen der Kleinen<br />
Scheidegg und dem Eigergletscher,<br />
verläuft die Strecke im<br />
Freien. Auf der restlichen Strecke<br />
gibt der Fels der Bahn den notwendigen<br />
Schutz vor den Unbillen<br />
der Natur. An zwei Stellen<br />
gibt es Tunnelfenster, und zwar<br />
in der Station Eigerwand und<br />
Eismeer.<br />
Hier hält der Zug für kurze Zeit<br />
und sehen die Reisenden das,<br />
was sie sich erwarten: eine wunderbare<br />
alpine Bergwelt aus Eis,<br />
Firn, Sonne mit herrlichem Ausblick<br />
auf Thunersee und Brienzersee,<br />
auf Interlaken und nach<br />
Grindelwald. Auf dem Jungfraujoch<br />
hat man einen atemberaubenden<br />
Blick auf den Aletschgletscher,<br />
der mit 22 Kilometern<br />
Länge der längste Gletscher der<br />
Alpen ist. 2001 wurde dieses Ge-<br />
Viel Bahnhof in dünner Luft: Bahnhof<br />
auf der Kleinen Scheidegg<br />
biet als erste Region der Alpen<br />
ins UNESCO-Weltkulturerbe<br />
aufgenommen. Hier geht das Leben<br />
ruhig von sich. Schilder im<br />
Bahnhofsbereich weisen darauf<br />
hin, dass man sich Zeit nehmen<br />
und langsam gehen soll. Sollte<br />
jemandem dennoch die Luft ausgehen<br />
und er schwindlig werden<br />
von der frischen Luft und dem<br />
Blick auf Eigner, Mönch und<br />
Jungfrau, haben die Eidgenossen<br />
für diesen Fall vorgesorgt. Es<br />
gibt eine Sanitätsstation, in der<br />
die Geschwächten wieder aufgerichtet<br />
werden.<br />
In technischer Hinsicht ist der<br />
tägliche Betrieb der Bahn auch<br />
heute noch eine große Herausforderung.<br />
Auf 3.500 Metern einen<br />
Bauplatz zu betreiben, ist<br />
ungewöhnlich und stellt an<br />
Mensch und Technik Anforde-<br />
rungen. Ständig ist mit Lawinen,<br />
Gewittern, Blitzschlag und<br />
Sturm mit Geschwindigkeiten bis<br />
zu 250 km/h zu rechnen. Nach<br />
einer Sturmnacht können am<br />
nächsten Tag schon einmal<br />
Schneeverwehungen in einer Höhe<br />
von sechs Metern sichtbar<br />
werden. Kein Hindernis für den<br />
Bahnbetrieb, denn dafür stehen<br />
alle erforderlichen Räumgeräte<br />
zur Verfügung.<br />
Nicht minder kompliziert ist die<br />
Energieversorgung. Die intensive<br />
Sonneneinstrahlung auf dieser<br />
Höhe hat ihren Vorteil. Das<br />
Energiepotenzial wird auf innovative<br />
Weise erschlossen: Die<br />
tagsüber einfallende Wärme<br />
wird in der Nacht gespeichert.<br />
Aber auch die zahlreichen sonst<br />
kaum beachteten Wärmequellen<br />
von Glühlampen, Elektrogeräten<br />
bis zur Körpertemperatur der<br />
Gäste werden bei der Berechnung<br />
des Energiebedarfs berücksichtigt.<br />
Im gesamten Berghaus<br />
„Top of Europe“ gibt es keinen<br />
einzigen Heizkörper. Selbst wenn<br />
die Sonne nicht scheint und die<br />
Außentemperatur bei minus<br />
30 Grad liegt, ist tagsüber keine<br />
Heizung notwendig.<br />
Nur nachts wird über die Lüftungsanlage<br />
mit elektrischer<br />
Energie aus dem Jungfraubrun-<br />
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Scheidegg mit dem Jungfrau-Massiv im Hintergrund<br />
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MÜLLER (3)<br />
nen-Kraftwerk Wärme zugeführt,<br />
sodass mindestens 18 Grad<br />
Raumtemperatur erhalten bleiben.<br />
Das Trinkwasser kommt<br />
von der Kleinen Scheidegg auf<br />
das Jungfraujoch. Das Nutzwasser<br />
wird aus dem Schnee gewonnen<br />
und aufbereitet. Und sämtliche<br />
Abwässer fließen über eine<br />
9,4 Kilometer lange Abwasserleitung<br />
ins Tal nach Grindelwald,<br />
wo die Entsorgung erfolgt.