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Stars am Werk - wirtschaftsblatt.at

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ARCHITEKTUR<br />

zeigt das Beispiel des Berliner Architekten Wilhelm<br />

Böckmann, der rund 80 Jahre vor Speidel nach Japan<br />

reiste, um im Auftrag der dortigen Regierung mehrere<br />

Regierungsgebäude zu bauen. Ende des 19. Jahrhunderts<br />

herrschte in Japan die Überzeugung vor, nach<br />

jahrhundertelanger Isolierung zum Westen aufschließen<br />

zu müssen. Westliche Architektur wurde dafür als<br />

ein Mittel angesehen, um die Verbindung zur modernen<br />

Welt zu festigen – und um sich ihr gegenüber zu<br />

behaupten.<br />

„Zunächst frappierte es mich, dass das Land, wo ich es<br />

vom Schiffe aus betr<strong>at</strong>, weit europäischer aussah, als<br />

ich es nur irgend gedacht“, schreibt Böckmann in seinen<br />

Erinnerungen. Er war erstaunt, als er in Kobe, Yokoh<strong>am</strong>a<br />

und Tokio „ganz europäisch gebaute Städte mit<br />

schmucken, theils recht st<strong>at</strong>tlichen massiven Häusern,<br />

D<strong>am</strong>pfschornsteine, die fast genauso schlank und hoch<br />

ausgeführt sind, wie man in Deutschland zu bauen<br />

pflegt, fand“.<br />

„Die große Liebe moderner<br />

japanischer Architekten galt<br />

dem Beton. Seit dem 21.<br />

Jahrhundert ist es Plastik“<br />

Aber über die japanischen Wohnhäuser h<strong>at</strong>te Böckmann<br />

nicht viel Gutes zu berichten. Sie seien ihm lächerlich<br />

leicht gebaut erschienen und würden weder<br />

Erdbeben noch Stürmen standhalten. Für den Berliner<br />

Architekten des Jahres 1886 waren das „bloße Holzbuden“<br />

– zwar mit schönen Merkmalen, aber ein „exotisches<br />

Objekt und für uns nicht von besonderem Interesse“.<br />

Dass japanische Architekten einen weltweiten<br />

Ruf als Experten für das Bauen erdbebensicherer Gebäude<br />

besitzen, dürfte Böckmann heute sehr überraschen.<br />

Aber auch schon im 19. Jahrhundert dürfte die<br />

japanische Leichtbauweise erdbebensicherer gewesen<br />

sein als etwa Bautechniken in Europa oder den Vereinigten<br />

Sta<strong>at</strong>en. Das Erdbeben in San Francisco im Jahr<br />

1906, das weite Teile der Stadt in Schutt und Asche legte,<br />

ist ein trauriger Gegenbeweis für Böckmanns Überzeugungen.<br />

Ein halbes Jahrhundert später schrieb der deutsche Architekt<br />

Bruno Taut, der zwischen 1925 und 1933 unter<br />

anderem die Berliner Hufeisensiedlung in Neukölln<br />

baute, schon anders über seine japanischen Eindrücke.<br />

Taut reiste 1933 nach Japan, weil er in Deutschland mit<br />

seinen Überzeugungen und Sozialbauten in Ungnade<br />

gefallen war. Als „Kulturbolschewist“ abgestempelt,<br />

verlor er dort seine Lehrerlaubnis.<br />

Taut entdeckte in der japanischen Architektur Einflüsse<br />

auf die moderne europäische Architektur in den<br />

20er-Jahren. Andererseits sei auch die japanische Architektur<br />

seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vom Westen<br />

beeinflusst worden. Das scheint übrigens auch heute<br />

noch so zu sein: Viele Architekten sehen den Ursprung<br />

für die japanische Vorliebe für schlichte, weiße<br />

Räume in Europa, denn früher seien die M<strong>at</strong>erialien in<br />

Japan dunkel gewesen.<br />

Ein Bau, der entstand, kurz bevor Böckmann das Land<br />

besuchte, war das „Chojukan-Badehaus“ als Teil einer<br />

Anlage, die als Unterkunft für ausländische Gäste diente.<br />

Es steht als frühes Beispiel einer Baug<strong>at</strong>tung, die mit<br />

der Öffnung des Landes entstanden ist, schreiben<br />

K<strong>at</strong>hy Arlyn Sokol und Alex Kerr in ihrem Bildband<br />

„Living in Japan“, der im Frühjahr erschienen ist. Die<br />

hohen Decken und die Bogenfenster dieses Gebäudes<br />

wurden zum architektonischen Vorbild für das ganze<br />

Land.<br />

In der europäischen Vorstellung gehören Steingärten<br />

ins Japanbild. In so einem übersichtlich ausgest<strong>at</strong>teten<br />

Areal eröffnet sich dem Betrachter die Faszin<strong>at</strong>ion, die<br />

n<strong>at</strong>urbelassene Steine ausströmen können. Im „Stone<br />

House“ h<strong>at</strong> Steinmetz Mas<strong>at</strong>oshi Izumi eine eindrucksvolle<br />

Komposition aus n<strong>at</strong>urbelassenen und sanft bearbeiteten<br />

Steinen in jeder Größe geschaffen. Die Seele<br />

des Steins verleihe dem Gebäude die Atmosphäre eines<br />

heiligen Shinto-Schreins, schreiben die Autoren.<br />

Und wenn – wie Speidel sagt – die japanische Architektur<br />

der europäischen 300 Jahre voraush<strong>at</strong>, dann lässt<br />

die moderne Architektur in dem Land womöglich auch<br />

Rückschlüsse auf die weitere Entwicklung in Europa<br />

zu. „Die große Liebe moderner japanischer Architekten<br />

seit den 1960er-Jahren galt dem Beton. Doch zu Beginn<br />

des 21. Jahrhunderts warfen sie sich in die Arme<br />

einer neuen Geliebten – des Plastiks“, so Sokol und<br />

Kerr. Beide Autoren leben und arbeiten in Japan. Der<br />

neue Baustoff sei leicht, dünn, durchsichtig und verformbar.<br />

Plastik sei das genaue Gegenteil von Beton<br />

und somit ein ideales Arbeitsm<strong>at</strong>erial für extrem kleine<br />

Räume.<br />

„Und in Tokio müssen selbst äußerst wohlhabende<br />

Leute ihre Häuser auf sehr kleinen Grundstücken errichten“,<br />

so die Autoren. In ihrem Buch präsentieren<br />

sie das „Plastic House“ des Architekten Kengo Kuma<br />

aus dem Jahr 2002 – aber einen beengten oder gar billigen<br />

Eindruck macht das Gebäude wirklich nicht. Gefertigt<br />

ist es aus fiberglasverstärktem Polymer (FRP).<br />

Wände, Türen und Treppen bestehen aus dem leichten<br />

Baustoff. Tagsüber lassen sie das Licht herein. Der Architekt<br />

kopierte d<strong>am</strong>it die Lichteffekte, wie sie die papiernen<br />

Schiebetüren ermöglichten.<br />

Auch mit seinem Haus „Forest Floor“ besann sich<br />

Kuma auf eine moderne Interpret<strong>at</strong>ion der traditionellen<br />

Bauweise seines Landes. Die alten Häuser stehen<br />

auf Holzpfählen – Kuma stellte seinen Pavillon auf<br />

schlanke Stahlröhren. Mit seinem Haus lehne er an<br />

eine Tradition an, die ganz durch Lichtdurchlässigkeit,<br />

Zerbrechlichkeit und Offenheit geprägt sei, schreiben<br />

Sokol und Kerr. Ein großer, offener Raum biete einen<br />

herrlichen Blick in die Wälder – man fühle sich in dem<br />

filigranen Bau wie in einem Baumhaus. „In diesem<br />

Haus ist alles, was von Menschenhand geschaffen wurde,<br />

dünn, zerbrechlich, weiß, flach und durchsichtig,<br />

ein zartes Kunsthandwerk, das in einem Meer von<br />

Fotos: Beigestellt<br />

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