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Persönlichkeiten in Meschedes Umfeld

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<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Inhalt:<br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Josefa Berens-Totenohl ..................................................2<br />

Norbert Fischer ............................................................6<br />

Friedrich Wilhelm Grimme ..........................................11<br />

Jodocus Hennecke ......................................................14<br />

P. Dr. W<strong>in</strong>fried Kämpfer OSB ......................................15<br />

He<strong>in</strong>rich Kniffka .........................................................18<br />

Franz Lohage ............................................................21<br />

Mart<strong>in</strong> Pautsch ...........................................................23<br />

Dr. August Pieper .......................................................27<br />

Dr. Lorenz Pieper .......................................................29<br />

V<strong>in</strong>zenz Pieper ..........................................................30<br />

Hannes Tuch ..............................................................34<br />

Joseph Wittig ............................................................38<br />

Georg Z<strong>in</strong>ngräbe .......................................................42<br />

1


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Josefa Berens-Totenohl<br />

Grevenste<strong>in</strong><br />

30.3.1891 <strong>in</strong> Grevenste<strong>in</strong> - 6.6.1969 <strong>in</strong> Meschede<br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

„Me<strong>in</strong>e Geburtsheimat ist das kle<strong>in</strong>e Bergnest<br />

Grevenste<strong>in</strong>, me<strong>in</strong>e Wahlheimat das Totenohl, e<strong>in</strong> verschwiegener<br />

W<strong>in</strong>kel an der oberen Lenne. Zwischen diesen beiden Orten liegt<br />

me<strong>in</strong> im Jahre 1891 begonnener Weg.“<br />

Der Name der Frau, die diese E<strong>in</strong>gebundenheit <strong>in</strong> die sauerländische<br />

Landschaft als charakteristisch für ihren Weg bezeichnete: Josefa Berens-Totenohl.<br />

Josefa Berens-Totenohl wurde am 30. März 1891 <strong>in</strong> Grevenste<strong>in</strong>,<br />

heute zur Stadt Meschede gehörend, geboren. Sie wuchs als drittes<br />

von zehn K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>es Schmieds <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ärmlichen Familie auf.<br />

Sie lebte fast zwei Jahrzehnte lang im elterlichen handwerklichbäuerlichen<br />

Betrieb. Nach e<strong>in</strong>er von Leid und Tod überschatteten<br />

Jugend (sie hat ihre Mutter nie gekannt), aber auch vom Glück e<strong>in</strong>es<br />

Hirtenlebens <strong>in</strong> der heimatlichen Landschaft, zwischen Wald, Wiese<br />

und Wasser, verließ sie ihre Heimat.<br />

Hannes Tuch bewertete diese Jahre:<br />

2


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

„Bis zum 18. Lebensjahr war ihr Tagwerk, schon während der<br />

Schulzeit, ausgefüllt mit Arbeiten im Stall auf Äckern und Wiesen.<br />

Es gab ke<strong>in</strong>e Ferien. Sie hat <strong>in</strong> ihrem Leben nie vergessen, wo ihre<br />

Wurzeln waren. Sie hatte Ackerboden unter den Füßen, Erde an den<br />

Händen, Erfahrungen gesammelt mit allen Muskeln ihres Körpers und<br />

ihre Augen waren sehend geworden. Sie wuchs aus dem alten Jahrhundert<br />

<strong>in</strong>s neue und lernte <strong>in</strong> diesen Zeiten brodelnder Umbrüche <strong>in</strong><br />

allen Bereichen des Lebens , nie zu vergessen, woraus sie gewachsen<br />

war. Dass das Neue nur mit dem Alten harmonisch verknüpft, zur<br />

glücklichen E<strong>in</strong>heit werden konnte, war ihr tiefes Wissen.“<br />

Nach e<strong>in</strong>er Ausbildung zur Lehrer<strong>in</strong> an der „Lehrerpräparandie“ <strong>in</strong><br />

Arnsberg, der Tätigkeit als Rotkreuzschwester (1914), als Lehrer<strong>in</strong> an<br />

mehreren Volksschulen des Sauerlandes (Stemel bei Sundern, Oel<strong>in</strong>ghausen,<br />

Warste<strong>in</strong>), Lehrer<strong>in</strong> <strong>in</strong> Düsseldorf (1918) bei gleichzeitigem Studium<br />

der Malerei an e<strong>in</strong>er Malschule, Zeiten bitterer Not <strong>in</strong> den Jahren<br />

der Ruhrbesetzung verzog sie 1923 nach Höxter. Dort versuchte sie,<br />

nach Aufgabe des Lehrerberufs als Maler<strong>in</strong> zu leben. Sie kehrte 1925<br />

<strong>in</strong>s heimische Bergland zurück. Inzwischen mit der Dichter<strong>in</strong> Christ<strong>in</strong>e<br />

Koch befreundet, fand sie durch deren Vermittlung e<strong>in</strong>e Wohnung im<br />

Fischerhaus <strong>in</strong> Gleierbrück.<br />

Die Erzählkunst der Großeltern, der sie als K<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>gebungsvoll gelauscht<br />

hatte, bewegte ihre Phantasie im wachsenden Maße, um dann<br />

selbst Früchte zu br<strong>in</strong>gen. Aus dem Dunkel der Vergangenheit hob sie<br />

Bild für Bild und errichtet dichterische Werke: die Bilder schuldbeladener<br />

Bauerngeschlechter, schicksalsbedrängter Frauen, die von „der<br />

Kraft des Blutes getrieben“ aus dem Boden der heimatlichen Landschaft<br />

emporwuchsen.<br />

Die Dichtung von Josefa Berens-Totenohl gibt vor dem H<strong>in</strong>tergrund<br />

e<strong>in</strong>er herben Landschaft und ihrer stolzen Menschen e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gliches<br />

Beispiel für die Macht des Schicksals und se<strong>in</strong>e Gesetze. Die Verfl ochtenheit<br />

von Landschaft und Menschen, Sprache und Seele der Heimat<br />

s<strong>in</strong>d typisch für das dichterische Werk Josefa Berens-Totenohls.<br />

3


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

In ihrer Malerei hatte sich Josefa Berens-Totenohl schnell aus den<br />

anfänglich plakathaften Akademiearbeiten gelöst. Ihre Bilder wurden<br />

zu verschlüsselten Darstellungen von schwermütigen Menschen <strong>in</strong> der<br />

Landschaft. Auf ihren Wanderungen durch Südfrankreich, Spanien und<br />

Nordafrika (1931) erhielten ihre Bilder leuchtende Farben.<br />

Schon früh hatte Josefa Berens-Totenohl zu schreiben begonnen;<br />

zum Ende der 20er Jahre gewann die Schreibfeder über den Malerp<strong>in</strong>sel.<br />

Sie war bereits 43 Jahre alt, als ihr erster Roman „Der Femhof“<br />

erschien, der sie schnell berühmt machte und dessen hohe Aufl agen<br />

ihr Wohlstand und Anerkennung brachte. Bald erschien „Frau Magdalene“,<br />

die Fortsetzung des ersten Romans, der ebenfalls höchste<br />

Aufl agen erreichte.<br />

Die bekannten Romane „Der Femhof“ und „Frau Magdalene“ entstanden<br />

vor dem H<strong>in</strong>tergrund der Geschichte und der heimatlichen<br />

Landschaft. Ihr Name wurde bekannt, und als erste Dichter<strong>in</strong> erhielt<br />

sie den neugestifteten westfälische Literaturpreis <strong>in</strong> Höhe von 10.000<br />

Mark.<br />

Von den E<strong>in</strong>nahmen der Bücher baute sich die Dichter<strong>in</strong> hoch über<br />

dem Tal der Gleier den berühmten „Femhof“. Danach verfasste sie<br />

noch weitere Schriften, die aber den Erfolg der beiden ersten Romane<br />

nicht erreichten.<br />

Da ihre Bücher um - besonders <strong>in</strong> den dreißiger Jahren populäre<br />

- Themen wie Volk, Bauerntum, Schicksal, Erbschuld und Blutsbande<br />

kreisten, wurden ihre Werke bald <strong>in</strong> die Kulturarbeit der NSDAP e<strong>in</strong>gegliedert.<br />

E<strong>in</strong>drucksvoll ergänzt werden die malerischen und dichterischen Arbeiten<br />

durch die Gestaltung großer Wandteppiche, die sie <strong>in</strong> jahrelanger<br />

Tätigkeit schuf. Das s<strong>in</strong>d kostbare Filigranarbeiten wie sie <strong>in</strong> Seide auf<br />

Wolle vor Jahrhunderten <strong>in</strong> norddeutschen Nonnenklöstern gemacht<br />

wurden. Bekannt s<strong>in</strong>d diese z. T. unter der Bezeichnung „Hungertücher“.<br />

Die Arbeit am „Madonnenteppich“ beschäftigte sie acht Jahre lang, am<br />

4


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

„Königsk<strong>in</strong>derteppich“ arbeitete sie vier Jahre.<br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Nach 1945 traf Josefa Berens-Totenohl für ihre Nähe zum Nationalsozialismus<br />

das Schicksal der Isolierung und Vere<strong>in</strong>samung mit ganzer<br />

Härte. Sie wurde totgeschwiegen und vergessen, lebte <strong>in</strong> Armut und<br />

fi nanzieller Not. Innerlich gebrochen trug sie ihr Los <strong>in</strong> der Abgeschiedenheit<br />

des Femhofes, im letzten Jahrzehnt ihres Lebens von Depressionen<br />

und schwerer Erkrankung gezeichnet.<br />

Sie starb nach langer Krankheit am 6. Juni 1969 <strong>in</strong> Meschede. Sie<br />

ist <strong>in</strong> Lennestadt-Saalhausen begraben, wo <strong>in</strong> der Nähe über dem<br />

Gleiertal ihr „Femhof“ auf e<strong>in</strong>em Felsen steht.<br />

„Über ihren Tod h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d uns „Der Femhof“ und „Frau Magdalene“<br />

geblieben, ihre schweren und erschütternden Bauernromane. Sie<br />

waren und s<strong>in</strong>d großartige epische Dichtung, die der großen Erzähler<strong>in</strong><br />

des Sauerlandes für immer e<strong>in</strong>en Platz <strong>in</strong> der westfälischen, <strong>in</strong> der deutschen<br />

Literaturgeschichte e<strong>in</strong>räumen. Auch ihre nationalsozialistische<br />

Verstrickung ändert nichts daran...Sicher wird e<strong>in</strong>e spätere Zeit das<br />

Werk der heute Totgeschwiegenen eher, weil unvore<strong>in</strong>genommener,<br />

würdigen können“.<br />

5


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Fischer, Norbert<br />

9.7.1824 - 19.5.1900<br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Vikar / Kaplan <strong>in</strong> Meschede von 1852 bis 1900, <strong>in</strong> den Zeiten des<br />

Kulturkampfes<br />

Norbert Fischer wurde 1824 <strong>in</strong> Balve geboren und auf den Namen<br />

Agilolph Norbert getauft.<br />

Den ersten Schulunterricht erhielt er bei se<strong>in</strong>em Vater, e<strong>in</strong>em Lehrer.<br />

1844 legte er <strong>in</strong> Arnsberg das Abitur ab. Entschlossen, Priester<br />

zu werden, schrieb er sich bei der Universität Münster e<strong>in</strong>. Im Herbst<br />

1846 wechselte er nach Paderborn, um am dortigen Priestersem<strong>in</strong>ar<br />

se<strong>in</strong>e Studien zum Abschluss zu br<strong>in</strong>gen. 1848 wurde er von Bischof<br />

Franz Drepper zum Priester geweiht.<br />

Se<strong>in</strong>e erste Anstellung erhielt er <strong>in</strong> Boele bei Hagen.<br />

Anfang des Jahres 1852 wurde <strong>in</strong> Meschede die Stelle e<strong>in</strong>es Schulvikars<br />

frei, welche Kaplan Fischer übertragen wurde. Nach acht Jahren,<br />

1859, wurde er von dem ihm lästigen Schulamt befreit und erhielt<br />

die zweite Kaplaneistelle <strong>in</strong> Meschede. Nun konnte er sich ganz der<br />

6


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Seelsorge widmen. Von ke<strong>in</strong>em anderen Geistlichen <strong>in</strong> der Geschichte<br />

<strong>Meschedes</strong> ist e<strong>in</strong>e so enge Verbundenheit mit der Bevölkerung der<br />

kle<strong>in</strong>en Kreisstadt bezeugt. Die Wurzeln dafür s<strong>in</strong>d sicherlich <strong>in</strong> Fischers<br />

couragiertem Verhalten während des Kulturkampfes zu suchen.<br />

Nach dem Gewohnheitsrecht <strong>in</strong> der Diözese Paderborn, das zudem<br />

auch noch von dem Bischof Konrad Mart<strong>in</strong> förmlich anerkannt war, fi el<br />

nach dem Tod von Pfarrer Johann Peters am 18. März 1874 nunmehr<br />

- als dem dienstältesten Kaplan - Norbert Fischer die Aufgabe zu, die<br />

pfarramtlichen Funktionen, Taufen, Trauungen und Beerdigungen <strong>in</strong><br />

Meschede zu übernehmen, was dieser auch tat, obwohl er wusste, dass<br />

er gegen die Maigesetze verstieß und sich der Gefahr der Ausweisung<br />

aussetzte. Selbstverständlich versagte die Regierung dem Pfarrverweser<br />

Fischer ihre Anerkennung. Pfarrer Peters war noch nicht beerdigt,<br />

als Landrat von Devivere <strong>in</strong> vorauseilendem Gehorsam berichtete, wie<br />

sich die Situation <strong>in</strong> Meschede darstellte und um Anweisungen bzw.<br />

Bestätigung se<strong>in</strong>er Ansichten bat.<br />

Da Fischer ke<strong>in</strong> Mann war, der sich e<strong>in</strong>schüchtern ließ, verlas er auch<br />

den Hirtenbrief se<strong>in</strong>es Bischofs, <strong>in</strong> dem dieser se<strong>in</strong>e Diözesanen zur<br />

Treue gegen den Heiligen Vater und zur Wachsamkeit gegen die Altkatholiken<br />

ermahnt hatte und welcher, wegen angeblicher „Schmähungen<br />

gegen den Staat“, konfi sziert worden war. Den Priestern des Bistums<br />

aber war es bei Strafe untersagt, diesen Hirtenbrief zu verlesen. Am<br />

14. Juli musste sich Kaplan Fischer wegen Verlesung des Hirtenbriefes<br />

vor dem Landgericht <strong>in</strong> Arnsberg verantworten. Er wurde nebst 13<br />

anderen angeklagten Geistlichen freigesprochen. Das Verfahren wegen<br />

verbotener Amtshandlungen (Beerdigungen, Trauungen, Taufen) g<strong>in</strong>g<br />

weiter. Im August kam dann das Gerücht auf, dass die Geistlichen, die<br />

wegen verbotener Amtshandlungen angeklagt waren, bis zur Erledigung<br />

des Verfahrens ausgewiesen werden sollten. Schon am 10. August<br />

brachte das Mescheder Kreisblatt die Nachricht von der Ausweisung<br />

von sechs Pfarrern aus den Kreisen Brilon und Meschede, und vier Tage<br />

später erfuhr man, dass auch Kaplan Fischer e<strong>in</strong>en Ausweisungsbefehl<br />

erhalten hatte. Innerhalb von 8 Tagen musste er die Kreise Meschede,<br />

7


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Brilon und Arnsberg verlassen haben.<br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Am 15. August, Mariä Himmelfahrt, hielt Kaplan Fischer se<strong>in</strong>e Abschiedspredigt.<br />

Versah dann se<strong>in</strong>en üblichen Dienst und wartete auf<br />

die gewaltsame Abführung, denn freiwillig wollte er das Feld nicht<br />

räumen.<br />

Die Geme<strong>in</strong>de tat alles, um ihrem Seelsorger den Abschied zu erleichtern.<br />

Vor allem aber sammelte sie Geld; denn seit die Pfarrei jeglicher<br />

fi nanzieller Mittel beraubt war, musste man andere Wege fi nden, um<br />

ihm <strong>in</strong> der Verbannung den notwendigen Lebensunterhalt zu sichern.<br />

Sie brachten 255 Taler zusammen.<br />

So kam der 22. August. In der Wohnung Fischers (bei e<strong>in</strong>em Gerichtssekretär<br />

Mysche) fanden sich alsbald der Graf von Westphalen,<br />

Oberrentmeister Boese, Kreisrichter von Kle<strong>in</strong>sorgen und Apotheker<br />

Wrede e<strong>in</strong>. Vor dem Hause und auf der Ruhrstraße versammelte sich<br />

fast die ganze Geme<strong>in</strong>de. Am Kirchturm wehte e<strong>in</strong>e schwarze Fahne,<br />

und die meisten Häuser an der Ruhrstraße hatten Trauerfahnen aufgesteckt.<br />

Als Amtmann Esser mit dem Polizisten Rüde ankam und Kaplan<br />

Fischer nochmals aufforderte, den Bezirk zu verlassen, da sonst Gewalt<br />

angewandt werden müsse, gab Fischer - unter Protest - nach,<br />

um e<strong>in</strong>en Aufruhr unter den Meschedern zu verh<strong>in</strong>dern. Dann setzte<br />

sich aus den Mescheder Pfarrk<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>e Trauerprozession von<br />

überwältigender Wirkung <strong>in</strong> Bewegung. Am Bahnhof angekommen<br />

löste Amtmann Esser zwei Fahrkarten nach Schwerte. Als Fischer nun<br />

erklärte, er werde nur bis Wickede fahren und von dort nach Werl<br />

gehen, schlossen sich ihm sofort etwa 20 Bürger an. Oberrentmeister<br />

Boese, Landwirt Fredeböll<strong>in</strong>g-Enste und Apotheker Wrede begleiteten<br />

ihn bis Arnsberg, Graf von Westphalen bis Wickede, 15 weitere Bürger<br />

machten mit ihm von Wickede aus zu Fuß die Wallfahrt nach Werl. Es<br />

waren: Franz und Josef Gerstgarbe, Fritz Wälter, Schröer, Anton Wigge,<br />

Evers, Franz Zumbroich, Hohmann, Johann Grüne, Peter Wiese,<br />

Schnorbus, Johann Schmüll<strong>in</strong>g, Barthold Pöttgen, Josef Küchenhoff<br />

8


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

und Franz Jürgens vom Ensthof.<br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Kaplan Fischer kehrte bei den Franziskanern e<strong>in</strong> und fuhr später<br />

nach Paderborn, wo er die Zeit zu Exerzitien nutzte. Zwischenzeitlich<br />

wurde das Urteil wegen verboten vorgenommener Trauungen usw.<br />

gesprochen: 10 Taler Geldstrafe. Kaplan Fischer nahm das Urteil an und<br />

durfte nach dessen Rechtskraft am 1. Oktober 1874 nach Meschede<br />

zurückkehren. Aber nicht für lange Zeit. Kaum hatte Kaplan Fischer<br />

drei Menschen beerdigt, wurde er, ohne Anklage oder Gerichtsurteil,<br />

vom Oberpräsidenten ausgewiesen. Wegen des Allerheiligenfestes<br />

wurde die Ausweisung auf den 3. November verschoben. In aller Stille<br />

verließ Kaplan Fischer am 4. November 1871 um 11 ½ Uhr die Stadt<br />

Meschede. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>gabe an den Kaiser mit der Bitte um Aufhebung der<br />

Ausweisung wurde an den Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten<br />

verwiesen, den anzurufen den Geistlichen aber von ihren Bischöfen<br />

untersagt war.<br />

Kaplan Fischer musste den Lauf der D<strong>in</strong>ge also <strong>in</strong> Geduld abwarten.<br />

Se<strong>in</strong> Leben war nun e<strong>in</strong>e beständige Wanderschaft, auf welcher<br />

er <strong>in</strong>s Heilige Land reiste, aber ansonsten verwaiste Geme<strong>in</strong>den<br />

betreute. Fast zwei Jahre brachte er während se<strong>in</strong>er Verbannung<br />

<strong>in</strong> kürzeren oder längeren Abschnitten <strong>in</strong> aller Verborgenheit <strong>in</strong><br />

Meschede zu, behördlicherseits gesucht als „Priester im blauen Kittel“.<br />

Am 27. Februar 1880 kam Kaplan Fischer nach e<strong>in</strong>er Verbannung von<br />

5 Jahren und vier Monaten als Pfarrverweser nach Meschede zurück.<br />

A b e r a u c h d i e s e r z ä h l t e m a n von Ka p l a n F i s c h e r :<br />

Am neuen Südfl ügel der Ernest<strong>in</strong>ischen Stiftung war die Anbr<strong>in</strong>gung<br />

e<strong>in</strong>es Balkons geplant. Damals wurde e<strong>in</strong> Balkon noch als e<strong>in</strong>e Luxuse<strong>in</strong>richtung<br />

angesehen. Aus diesem Grunde wandte sich Kaplan Norbert<br />

Fischer, der sich im übrigen für das Krankenhaus sehr e<strong>in</strong>gesetzt hatte,<br />

gegen e<strong>in</strong>e solche Vorrichtung. An dieser Seite wollte er schon damals<br />

e<strong>in</strong>e Krankenhauskapelle e<strong>in</strong>gerichtet wissen; se<strong>in</strong>e Entwürfe wurden<br />

aber abgewiesen. Das Gerücht g<strong>in</strong>g um, Kaplan Fischer habe deshalb,<br />

9


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

als die Eisenträger für den Balkon gelegt worden waren, zur Eigenhilfe<br />

gegriffen. Mit e<strong>in</strong>em befreundeten Schlosser soll er zur Nachtzeit die<br />

Eisenträger am Mauerwerk abgesägt haben. Ob das stimmt, ist nicht<br />

verbürgt. Jedenfalls waren, solange die Ernest<strong>in</strong>ische Stiftung stand,<br />

die Ansätze für den Balkonanbau an der Südseite (von der Mühlengasse<br />

her gesehen) deutlich zu sehen.<br />

Der <strong>in</strong> Meschede unvergessene Kaplan Norbert Fischer war auch<br />

Initiator der Kreuzweg-Erneuerung am Klausenberg. Er fand damals<br />

den Weg zur Klause <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em guten Zustand vor. Die „sieben Fußfälle“<br />

waren entweder nicht mehr vorhanden oder sehr baufällig gewesen.<br />

Aus Aufzeichnungen des Geistlichen Ferd<strong>in</strong>and Wagner geht hervor,<br />

wie Fischer den neuen Kreuzweg verwirklichte.<br />

Am 27. November jährte sich für Kaplan Fischer zum fünfzigsten<br />

Mal der Jahrestag der Priesterweihe, se<strong>in</strong> goldenes Priesterjubiläum.<br />

Danach machte er sich mit dem Gedanken an den Tod immer vertrauter<br />

und verschenkte nach und nach se<strong>in</strong>en Besitz an die Armen.<br />

Der Tod kam früher, als man erwartet hatte. Mitte März 1900 zog er<br />

sich e<strong>in</strong>e hartnäckige Erkältung zu, der am 19. Mai e<strong>in</strong>e Herzschwäche<br />

folgte, die dem Kranken das Bewusstse<strong>in</strong> raubte. Schon wenige<br />

M<strong>in</strong>uten später starb er.<br />

Die unerwartete Nachricht vom Tod des hochverehrten Kaplans<br />

traf die Geme<strong>in</strong>de am 19. Mai 1900 wie e<strong>in</strong> Schlag aus heiterem Himmel<br />

und versetzte sie <strong>in</strong> tiefe Trauer: Der Kreis e<strong>in</strong>es Priesterlebens,<br />

e<strong>in</strong>es wohlwollenden Freundes, hatte sich geschlossen. Eifernd und<br />

leidend für die Ehre Gottes und die anvertraute Geme<strong>in</strong>de, so blieb<br />

der verstorbene Kaplan <strong>in</strong> der Er<strong>in</strong>nerung der Überlebenden. Hatte<br />

er sich doch dem Bismarckschen Staatsterror gegen die katholische<br />

Kirche / Christen mutig widersetzt, <strong>in</strong>dem er trotz Verbots den katholischen<br />

Christen zur Seite stand und die Sakramente spendete.<br />

Am Dienstag, dem 22. Mai, wurden se<strong>in</strong>e sterblichen Überreste unter<br />

gewaltiger Beteiligung der Bevölkerung zur letzten Ruhe getragen.<br />

Nun ruht er auf dem Mescheder Südfriedhof neben se<strong>in</strong>en ihm im Tode<br />

10


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

vorausgegangenen und gefolgten Mitbrüdern.<br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Zuerst als Schulvikar, später als Kaplan wirkte Kaplan Norbert<br />

Fischer 48 Jahre lang segensreich <strong>in</strong> Meschede als Seelsorger.<br />

Im ehrenden Gedenken, verbunden mit dem Wunsch, Namen und<br />

Leistung Fischers <strong>in</strong> Meschede lebendig zu erhalten, benannte 1955<br />

die Stadt Meschede auf Antrag der Kolp<strong>in</strong>gfamilie e<strong>in</strong>e Straße <strong>in</strong> der<br />

Kolp<strong>in</strong>gsiedlung (Seitenstraße des Ittmecker Weges) mit dem Namen<br />

Norbert Fischer.<br />

Grimme, Friedrich Wilhelm<br />

25.12.1827 - 3.4.1887<br />

Mit dem Namen Friedrich Wilhelm Grimme ist untrennbar für das 19.<br />

Jahrhundert, aber nachwirkend bis <strong>in</strong> unsere Zeit, der Höhepunkt der<br />

plattdeutschen Dichtung im Sauerland verbunden.<br />

Während des weihnachtlichen Gottesdienstes 1827 wurde er als<br />

siebter Sohn des Lehrers, Küsters und Organisten Josef Grimme geboren,<br />

gerade, so erzählt er <strong>in</strong> den Memoiren e<strong>in</strong>es Dorfjungen, als<br />

der Pfarrer das Gloria sang. Schüler <strong>in</strong> Arnsberg, Student <strong>in</strong> Münster,<br />

Lehrer an den Gymnasien <strong>in</strong> Brilon, Arnsberg, Münster, Paderborn und<br />

Heiligenstadt, das s<strong>in</strong>d die Stationen se<strong>in</strong>es Lebens, das nach nur sechs<br />

Jahrzehnten <strong>in</strong> Münster endete, wo die Universität ihn zum Ehrendoktor<br />

ernannte und wo er se<strong>in</strong>e letzte Ruhestätte fand. Er blieb aber dem<br />

11


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Sauerland und se<strong>in</strong>en Menschen immer treu. Noch immer führt er als<br />

Nummer e<strong>in</strong>s die Reihe der sauerländischen Dichter an. Ke<strong>in</strong>er hat so<br />

umfassend wie er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Schriften das Wesen des Sauerlandes und<br />

se<strong>in</strong>er Bewohner erfasst und dargestellt.<br />

Grimme, der „Strunzerdäler aus Ass<strong>in</strong>ghausen“ wie er sich selbst<br />

nannte, ist als Künder sauerländischer Wesensart und der plattdeutschen<br />

Mundart des Sauerlandes <strong>in</strong> die Heimatgeschichte e<strong>in</strong>gegangen;<br />

er hat sich dadurch selbst e<strong>in</strong> bleibendes Denkmal geschaffen.<br />

Zahlreiche Publikationen von Magdalene Padberg, Theodor Tochtrop<br />

und Gisela Grimme-Welsch haben Qualität, Quantität und Niveau se<strong>in</strong>er<br />

Werke <strong>in</strong>s rechte Licht gerückt. Nie zuvor hat wohl e<strong>in</strong> Sauerländer<br />

soviel dazu beigetragen, das Bild vom sauerländischen Menschen<br />

sympathisch zu zeichnen.<br />

Die Preußen sahen im Sauerland 1816 noch das westfälische Sibirien.<br />

Annette von Droste-Hülshoff differenzierte da schon mehr. Friedrich<br />

Wilhelm Grimme hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Klassiker „Das Sauerland und se<strong>in</strong>e<br />

Bewohner“ das Wesentliche über Land und Leute festgehalten.<br />

In se<strong>in</strong>en Dichtungen spürt er allen Regungen der sauerländischen<br />

Volksseele nach; aus se<strong>in</strong>en Liedern, Gedichten und Prosawerken<br />

spricht und kl<strong>in</strong>ge Freude und Leid, Sitte und Brauchtum, aber über<br />

allem - das Lob des Sauerlandes. Heimische Menschen s<strong>in</strong>d es, die im<br />

Mittelpunkt se<strong>in</strong>er Werke stehen; um sie kreist se<strong>in</strong> Denken, Handeln<br />

und S<strong>in</strong>gen.<br />

Treffend hat Uhlmann-Bixterheide das Wesen des dichterischen<br />

Schaffens von Friedrich Wilhelm Grimme charakterisiert, wenn er<br />

schreibt, „Sauerländische Erde, sauerländische Menschen, sauerländisches<br />

Empfi nden strömen und aus se<strong>in</strong>en hoch- und plattdeutschen<br />

Dichtungen <strong>in</strong> schlichter, re<strong>in</strong>er Schönheit entgegen“.<br />

E<strong>in</strong> Wesenszug Grimmes war se<strong>in</strong> kerniger, aber nie verletzender<br />

Humor, der dann und wann <strong>in</strong>s Schalkhafte abgleitet. Se<strong>in</strong>en Erzäh-<br />

12


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

lungen und Schwänken hat er damit oft e<strong>in</strong>e heitere, aufl ockernde<br />

Note gegeben. E<strong>in</strong>es se<strong>in</strong>er bestgelungenen Werke ist der Band „Die<br />

Memoiren es Dorfjungen“, das von Kennern der Grimmeschen Werke als<br />

e<strong>in</strong> Meisterstück fe<strong>in</strong>ster humoristischer Kle<strong>in</strong>kunst geschätzt wird.<br />

1858 schrieb er an se<strong>in</strong>en Freund Joseph Pape:<br />

„Ich schreibe zuweilen an e<strong>in</strong>er Art Roman, dessen Inhalt Du ungefähr<br />

aus dem vorläufi g gewählten Titel „Memoiren e<strong>in</strong>es Dorfjungen“ erraten<br />

kannst. Der Dorfjunge ist im Grunde ke<strong>in</strong> anderer als me<strong>in</strong>e eigene<br />

liebenswerte Persönlichkeit <strong>in</strong> ihren Blagenjahren.“<br />

Ausgangspunkt des Bändchens ist e<strong>in</strong>e gesellige We<strong>in</strong>runde, wo e<strong>in</strong><br />

halbes Dutzend Freunde konstatiert: „Man sollte es doch aufschreiben,<br />

all dies liebe Zeug aus den seligen Zeiten....“<br />

E<strong>in</strong> Zeitgenosse Grimmes schreibt dazu:<br />

„Diese Memoiren s<strong>in</strong>d Prachtstücke echtesten Humors. Mit reizender<br />

Naivität und liebenswürdiger Selbstironie erzählt Grimme hier die kle<strong>in</strong>en<br />

Freuden e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en Weltbürgers vom Lande, und zwischendurch<br />

knattert und prasselt das Feuerwerk blendenden Witzes.“<br />

Werke<br />

• 1855 erschien die erste Ausgabe se<strong>in</strong>er Gedichte, 1859 se<strong>in</strong><br />

Buch der Balladen und Romanzen, beides später als Buch<br />

„Deutsche Weisen“ zusammengefasst.<br />

Von Grimmes plattdeutschen Werken, die das sauerländische Platt<br />

zum erstenmal salonfähig gemacht haben, seien hier genannt:<br />

• Schwänke und Gedichte (enthält die „Sprickeln un Spöne“)<br />

• Gra<strong>in</strong> Tuig;<br />

• Galanteryi-Waar;<br />

• Lank un twiärs düart Land;<br />

• Bat uns de Strunzerdäler h<strong>in</strong>nerläit (aus dem Nachlass zusam-<br />

13


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

mengestellt)<br />

• und fünf Lustspiele.<br />

Se<strong>in</strong>e letzte Ruhestätte fand F. W. Grimme auf dem Zentralfriedhof<br />

<strong>in</strong> Münster.<br />

Hennecke, Jodokus (Jost)<br />

19.1.1873 - 22.4.1940<br />

Jost Hennecke wurde am 19.1.1873 <strong>in</strong> Rembl<strong>in</strong>ghausen<br />

als Sohn der Eheleute Bergmann Jodokus Hennecke und<br />

Florent<strong>in</strong>e, geborene Stappert, geboren.<br />

Er wird von denen, die ihn kannten, als e<strong>in</strong> schlichter, bescheidener<br />

Mann geschildert, der Tag für Tag mit e<strong>in</strong>fältiger Zufriedenheit schwerer<br />

Fabrikarbeit nachg<strong>in</strong>g und mit schöpferischer Kraft <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Erzählungen<br />

über den Alltag h<strong>in</strong>auswuchs.<br />

Hennekes Lebensweg verlief ohne Umwege und Sensationen: Er<br />

besuchte die Volksschule <strong>in</strong> Rembl<strong>in</strong>ghausen und erhielt wegen auffallender<br />

Begabung im letzten Schuljahr noch Gratisstunden <strong>in</strong> Klavier-<br />

und Orgelspiel. Die Erfüllung se<strong>in</strong>es Liebl<strong>in</strong>gswunsches, e<strong>in</strong> Studium,<br />

blieb ihm versagt, denn der Vater starb und ließ außer dem kle<strong>in</strong>en<br />

Jost noch vier weitere K<strong>in</strong>der zurück.<br />

14


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

So wurde Jost Hennecke Kuhjunge. Mit 16 Jahren trat er bei se<strong>in</strong>em<br />

Onkel Stappert im nahen Enkhausen e<strong>in</strong>e Schuhmacherlehre an. Nach<br />

acht Gesellenjahren arbeitete er zunächst als selbständiger Meister,<br />

musste dann aber aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Er wurde<br />

Heizer und Wärter <strong>in</strong> der Knappschaftskl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong> Ber<strong>in</strong>ghausen. Kurz<br />

vor dem Ersten Weltkrieg wurde er bei der Schuhleistenfabrik Lex<br />

e<strong>in</strong>gestellt. 1916 und 1917 war er Soldat und später wurde er wieder<br />

Fabrikarbeiter <strong>in</strong> der Leistenfabrik Lex <strong>in</strong> Meschede, diesmal war er als<br />

Sägenschärfer tätig. Trotz langer Arbeitszeit und weitem Fußweg fand<br />

er Zeit zum Dichten und Fabulieren.<br />

Dr. Ferd<strong>in</strong>and Wagener blickte mit großer Verehrung zu se<strong>in</strong>em<br />

Freund Jost auf und gab dessen vier Werke „Arbeiter und Dichter“,<br />

„Mescheder W<strong>in</strong>d“, „Galläpfel“ und „Wille Diuwen“ im Heimatverlag<br />

1942 heraus. Diese mehrbändige Ausgabe erlebte Henneke nicht mehr.<br />

Mitten im Schaffen starb er am 22. April 1940 <strong>in</strong> Rembl<strong>in</strong>ghausen, wo<br />

sich auch se<strong>in</strong> Grab befi ndet.<br />

Se<strong>in</strong>e Volksstücke und mundartlichen Balladen haben Jost Hennecke<br />

über die Grenzen des Sauerlandes h<strong>in</strong>aus bekannt gemacht.<br />

Kämpfer, Pater Dr. W<strong>in</strong>fried OSB<br />

23.2. 1920 - 16.1.1989<br />

Franz-Josef Kämpfer wurde <strong>in</strong> Witten/Ruhr<br />

geboren. Dass die Eltern mit ihren vier K<strong>in</strong>dern kurz darauf nach<br />

Meschede, <strong>in</strong> die Heimat des Vaters, übersiedelten, bestimmte den<br />

15


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

weiteren Lebensweg ihres jüngsten Sohnes <strong>in</strong> grundlegender Weise.<br />

Nach den Volksschuljahren wurde Franz-Josef Kämpfer 1930 Schüler<br />

der Rektoratschule des neugegründeten Benedikt<strong>in</strong>erpriorats Königsmünster.<br />

Nach dem Abitur am Gymnasium Paul<strong>in</strong>um <strong>in</strong> Münster und dem<br />

Reichsarbeitsdienst trat er im November 1938 als Novize <strong>in</strong> das Kloster<br />

Königsmünster e<strong>in</strong>. Das nach der zeitlichen Profess <strong>in</strong> Paderborn<br />

begonnene Theologiestudium musste er Ende 1940 unterbrechen, weil<br />

auch er als Soldat zur Wehrmacht e<strong>in</strong>gezogen wurde. Nach den E<strong>in</strong>sätzen<br />

<strong>in</strong> Frankreich, Rußland, Polen und der Tschechoslowakei geriet<br />

er <strong>in</strong> russische Kriegsgefangenschaft. Todkrank kehrte er 1945 nach<br />

Meschede zurück. Er selbst hat die überraschende Genesung immer<br />

als Geschenk Gottes gedeutet, dem er durch den ganzen E<strong>in</strong>satz der<br />

wiedererlangten Kräfte zu entsprechen suchte.<br />

1946 nahm er se<strong>in</strong>e durch den Krieg unterbrochenen Studien <strong>in</strong><br />

Theologie und Philosophie <strong>in</strong> Würzburg wieder auf. Die feierliche Profess<br />

am 6.4.1948 und die Priesterweihe am 12. März 1949 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Heimatpfarrkirche St. Walburga waren die geistlichen Höhepunkte im<br />

Leben des jungen Benedikt<strong>in</strong>ers.<br />

Die darauf begonnene Ausbildung zum Gymnasiallehrer <strong>in</strong> den Fächern<br />

Deutsch, kath. Religion und Philosophie <strong>in</strong> Münster schloss er<br />

1953 mit der Promotion <strong>in</strong> Germanistik zum Dr. phil. ab. Die zweijährige<br />

Referendarzeit war Vorbereitung auf den Dienst an der Schule, den<br />

er am 1.4.1954 am Gymnasium der Benedikt<strong>in</strong>er begann und der das<br />

Leben P. W<strong>in</strong>frieds von nun an bestimmte. Als Nachfolger des zum Abt<br />

gewählten P. Hardu<strong>in</strong> Bießle übernahm P. W<strong>in</strong>fried im Januar 1957 die<br />

Leitung des Gymnasiums der Benedikt<strong>in</strong>er.<br />

Neben dem äußeren Aufbau des Gebäudekomplexes der Schule auf<br />

dem Klosterberg galt se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satz vor allem der pädagogischen und<br />

menschlichen Gestaltung des Schullebens aus dem Geist des Evangeliums<br />

und der Regel des hl. Benedikt. E<strong>in</strong>en bewegenden E<strong>in</strong>druck<br />

von der Zuneigung zwischen P. W<strong>in</strong>fried, se<strong>in</strong>en Schülern und se<strong>in</strong>em<br />

16


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Kollegium vermittelte die Feier se<strong>in</strong>er Verabschiedung aus dem Direktorenamt<br />

am 5.7.1988. „Dilatato corde“ - „Mit weitem Herzen“ heißt<br />

e<strong>in</strong>e Festschrift, die das Lehrerkollegium als Dankesgabe an Pater<br />

W<strong>in</strong>fried herausgegeben hat.<br />

Seit dieser Zeit war P. W<strong>in</strong>fried unermüdlich und engagiert für die<br />

gymnasiale Bildung auf christlich-humanistischer Basis, für die Idee der<br />

Freien Katholischen Schule und für das Fortbestehen des Gymnasiums<br />

zur Zeit der Bildungsreform e<strong>in</strong>getreten. Zahlreiche Aufsätze <strong>in</strong> pädagogischen<br />

Fachzeitschriften sowie Vorträge vor Eltern- und Schulgremien<br />

geben davon e<strong>in</strong> beredtes Zeugnis.<br />

Zusammen mit se<strong>in</strong>em Kollegium machte er das Gymnasium der<br />

Benedikt<strong>in</strong>er zu e<strong>in</strong>er gern gewählten Angebotsschule <strong>in</strong> Meschede.<br />

Angestoßen durch die Sorge um den Bestand und die Weiterentwicklung<br />

der eigenen Schule übernahm P. W<strong>in</strong>fried auch öffentliche<br />

und politische Verantwortung. Se<strong>in</strong>e Mitarbeit <strong>in</strong> zahlreichen Gremien<br />

war überaus geschätzt. Von 1974 bis 1987 war er Vorsitzender der<br />

ODIV, des Zusammenschlusses der Ordensschulen <strong>in</strong> der Bundesrepublik<br />

Deutschland. Am 12.9.1988 würdigte der Bundespräsident diesen<br />

öffentlichen Aspekt der Arbeit P. W<strong>in</strong>frieds durch die Verleihung des<br />

Bundesverdienstkreuzes am Bande durch Landrat Füllgräbe.<br />

Bei all diesen Tätigkeiten war die Abtei mit ihrem Alltag das Zuhause<br />

von P. W<strong>in</strong>fried.<br />

Se<strong>in</strong> Tod am 16. Januar 1989 kam plötzlich. Seit Anfang Dezember<br />

hatte er sich gesundheitlich angegriffen gefühlt. Deshalb unterzog er<br />

sich <strong>in</strong> den Tagen vor und nach Weihnachten im Mescheder Krankenhaus<br />

e<strong>in</strong>er gründlichen Untersuchung. In der zweiten Januarwoche<br />

setzte überraschend e<strong>in</strong> völliger Kräfteverfall e<strong>in</strong>. Es wurde offensichtlich,<br />

dass die <strong>in</strong>zwischen diagnostizierte Krebserkrankung sehr schnell<br />

zu se<strong>in</strong>em Tod führen würde.<br />

Noch <strong>in</strong> der persönlichen Bedrängnis des unmittelbar bevorstehen-<br />

17


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

den Todes, legte P. W<strong>in</strong>fried im Sterben e<strong>in</strong> letztes Mal Zeugnis ab von<br />

se<strong>in</strong>em lebendigen Glauben. Als er das Sakrament der Krankensalbung<br />

empfi ng, sagte er: „Ich b<strong>in</strong> voller Dank gegenüber Gott, dass ich ihm<br />

und den Menschen dienen durfte. Er hat me<strong>in</strong> Leben immer spürbar<br />

gelenkt“.<br />

Kniffka, He<strong>in</strong>rich<br />

(20.3.1907 - 11.3.1969)<br />

Maler, geboren <strong>in</strong> Wanne-Eickel, <strong>in</strong> der Nähe von Hamm aufgewachsen,<br />

nach dem zweiten Weltkrieg <strong>in</strong> Calle niedergelassen.<br />

He<strong>in</strong>rich Kniffka war ke<strong>in</strong> gebürtiger Sauerländer, doch wurde ihm<br />

das Sauerland - genauer Calle - nach dem Zweiten Weltkrieg zur neuen<br />

Heimat. Hier verbrachte er als freischaffender Künstler se<strong>in</strong>e längste,<br />

ununterbrochene Schaffenszeit. Der <strong>in</strong> Wanne-Eickel geborene und<br />

<strong>in</strong> der Nähe von Hamm aufgewachsene He<strong>in</strong>rich Kniffka konnte se<strong>in</strong>e<br />

Begabungen schon früh an den Werkstätten für kirchliche Kunst <strong>in</strong><br />

Wiedenbrück und an der Kunstakademie <strong>in</strong> Kassel während se<strong>in</strong>er<br />

Studienzeit entdecken und üben.<br />

Von Ostern 1956 an war er Kunsterzieher am Gymnasium der Benedikt<strong>in</strong>er.<br />

„Als künstlerische Persönlichkeit von Rang wusste He<strong>in</strong>rich<br />

Kniffka das Musische im jungen Menschen anzusprechen. Es war ihm<br />

e<strong>in</strong> Anliegen, die Schüler <strong>in</strong> die Vielfalt künstlerischer Probleme e<strong>in</strong>zu-<br />

18


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

führen und ihnen zu helfen, ihre eigenen - oft unbewussten - Anliegen zu<br />

erkennen und zu entfalten“, wie Pater Dr. W<strong>in</strong>fried Kämpfer im Nachruf<br />

auf den ehemaligen Kollegen hervorhob.<br />

Naturgemäß forderten He<strong>in</strong>rich Kniffka viele heimische Motive sowie<br />

die Portraits der Menschen zur künstlerischen Gestaltung heraus.<br />

Doch wäre es verfehlt, ihn unter die sauerländischen Landschaftsmaler<br />

e<strong>in</strong>zuordnen. Er malte <strong>in</strong> Öl, Wasserfarben und überzeugte durch<br />

Kohlestiftzeichnungen und Graphiken.<br />

Viele Jahre zählte der heimische Maler He<strong>in</strong>rich Kniffka zu den<br />

Künstlern des „Soester Kunstr<strong>in</strong>ges“, e<strong>in</strong>er Vere<strong>in</strong>igung von Malern<br />

und Bildhauern der alten Bördestadt. Auch als Kniffka <strong>in</strong> Calle ansässig<br />

wurde, war er e<strong>in</strong> gern begrüßter Gast der Soester Kunstausstellungen<br />

geblieben.<br />

Die Weihnachtsausstellung des Jahres 1949 galt dem Thema „Das<br />

K<strong>in</strong>d“ und zeigte <strong>in</strong> vier Sälen des Soester Rathauses 90 Kunstwerke,<br />

die K<strong>in</strong>derportraits, Stilleben mit K<strong>in</strong>derspielzeug und ähnliches aus<br />

der Welt des K<strong>in</strong>des darstellten. E<strong>in</strong>en bevorzugten Platz nahm unter<br />

den 25 Künstlern He<strong>in</strong>rich Kniffka e<strong>in</strong>. Besondere Beachtung fand se<strong>in</strong><br />

Ölgemälde „Jürgen und Hans“ <strong>in</strong> frischen, blühenden Farben gemalt<br />

und von e<strong>in</strong>er satten Dr<strong>in</strong>glichkeit <strong>in</strong> der Komposition. Bislang war man<br />

Kniffka vor allem als sensiblem Aquarellisten begegnet, der auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />

Gemälden se<strong>in</strong>e Herkunft von diesen Techniken nicht verleugnete,<br />

die e<strong>in</strong> besonderes Maß an fl utender Farbigkeit erfordert.<br />

In se<strong>in</strong>en späten Ölbildern fi nden wir e<strong>in</strong>en veränderten Kniffka, der<br />

den besonderen organischen Erfordernissen e<strong>in</strong>es Bildaufbaus durch die<br />

substanzverhafteten Ölfarben gerecht wird. Dabei ist die Lebendigkeit<br />

nicht verlorengegangen.<br />

Außerdem stellte er e<strong>in</strong>e Kohlezeichnung „Rosemarie“ und zwei<br />

Studienblätter aus, von denen se<strong>in</strong> „Krankes K<strong>in</strong>d“ hervorgehoben zu<br />

werden verdient.<br />

19


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Als Jahresgabe für die Mitglieder des Soester Kunstr<strong>in</strong>ges schickte<br />

Kniffka die Lithographie „Lesender Mann“.<br />

Anlässlich e<strong>in</strong>er der zahlreichen Ausstellungen Kniffkas - <strong>in</strong> diesem<br />

Fall <strong>in</strong> der Volksbank Meschede im Dezember 1974 - g<strong>in</strong>g Michael<br />

Schaefer, Vorsitzender im Kuratorium des August-Macke-Preises, der<br />

Frage nach: „Was hat dieser Mann <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Bildern h<strong>in</strong>terlassen?“<br />

„Die Bilder bieten gewiss nicht nur das vage Vernügen an schönen<br />

D<strong>in</strong>gen, sondern sie setzen ihre Substanz e<strong>in</strong>, jedes Bild zugleich e<strong>in</strong><br />

Beitrag zu der Möglichkeit, auf Eigenart und Qualität e<strong>in</strong>es künstlerischen<br />

Lebenswerkes zu schließen. Die Schlussfolgerung ist nicht leicht. Im Abstand<br />

der Entstehungsjahre tauchen manche Gegensätze auf, die fast<br />

unüberbrückbar ersche<strong>in</strong>en. Ke<strong>in</strong> Zweifel auch, dass es gegene<strong>in</strong>ander<br />

abgrenzbare Stadien und Gruppierungen gibt, die an thematischen Bevorzugungen<br />

oder bevorzugten Formen ablesbar s<strong>in</strong>d! Gleichwohl lässt<br />

sich der Versuch machen, auch etwas über das Gesamte zu sagen.<br />

Es drängt sich die Frage auf: Welchen Ausdruck hat die Welt <strong>in</strong> den<br />

Bildern dieses Malers gefunden? Welches Lebens- und Weltgefühl hat<br />

diesen Mann dazu gebracht, auf Expressionen, Abstraktionen, Surrealismus<br />

fast völlig zu verzichten und se<strong>in</strong>e Leidenschaft an elementare<br />

Naturersche<strong>in</strong>ungen zu hängen?<br />

Der H<strong>in</strong>weis darauf, dass die Landschaftsmalerei nun e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e<br />

grandiose und bisher niemals unterbrochene Tradition habe, erklärt die<br />

Leidenschaft e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zelnen Künstlers noch nicht. Die Vermutung, Kniffka<br />

habe aus den Bedrängnissen der Gegenwartserfahrung die Flucht <strong>in</strong><br />

die Natur angetreten, ist bei genauerer Betrachtung zu widerlegen. In<br />

se<strong>in</strong>en Bildern ist nicht e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Naturromanze zu fi nden. Es ist nicht<br />

der leiseste Anfl ug von Sentimentalität zu entdecken. Die Bilder haben<br />

im übrigen auch gar ke<strong>in</strong>en Fluchtcharakter. Eher stammen sie aus der<br />

meditativen Geduld e<strong>in</strong>es Mannes, dessen sensible Reizempfänglichkeit<br />

durch e<strong>in</strong>e beruhigte Erwartungshaltung <strong>in</strong> Waage gehalten worden<br />

ist....<br />

20


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Wir fi nden <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Bildern kaum Aktionen. Kulm<strong>in</strong>ationspunkte von<br />

Handlungen oder Ereignissen - millionenfach Thema auch der bildenden<br />

Künste - spielen hier ke<strong>in</strong>e Rolle. Nicht e<strong>in</strong>mal Polaritäten spielen e<strong>in</strong>e<br />

Rolle. Statuarisches herrscht vor.<br />

In der Parallele zur Literatur wird man He<strong>in</strong>rich Kniffka weder e<strong>in</strong>en<br />

Epiker noch e<strong>in</strong>en Dramatiker nennen dürfen. Eher ist an e<strong>in</strong>en Lyriker zu<br />

denken, freilich nur <strong>in</strong> bestimmter Nuancierung: nicht an e<strong>in</strong>en verklärten<br />

Naturanbeter, auch nicht an e<strong>in</strong>en zärtlichen M<strong>in</strong>iaturisten, eher schon<br />

an e<strong>in</strong>en Autor ruhiger Refl ektionen se<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nlichen Erfahrungen. Se<strong>in</strong>e<br />

Grundstimmung ist ernst und trägt eher e<strong>in</strong>en Anfl ug von Melancholie<br />

als die Spuren von Heiterkeit. Selbst se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>derbilder zeigen sehr<br />

ernste Wesen.<br />

In der Parallele zu Phänomenen der Musik fällt an den Bildern auf, dass<br />

sie e<strong>in</strong>em Metrum der Ruhe unterliegen. Im ruhigen Zeitmaß der Bewegungen<br />

s<strong>in</strong>d rhythmische Akzente nur schwach. Um <strong>in</strong> der übertragenen<br />

Sprache zu bleiben: man befi ndet sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Klangraum, <strong>in</strong> dem Stille<br />

so groß ist, wie Weiträumigkeit“.<br />

Wenige Tage vor Vollendung se<strong>in</strong>es 62ten Lebensjahres starb<br />

He<strong>in</strong>rich Kniffka am 11. März 1969 nach schwerer Krankheit.<br />

Lohage, Franz Anton<br />

1815 - 1872<br />

In Grevenste<strong>in</strong> fi ndet man e<strong>in</strong>e Gedächtnistafel mit folgender Inschrift:<br />

„In diesem Hause wurde geboren Franz Anton Lohage, der<br />

Erfi nder des Puddelstahls, am 3. März 1815“.<br />

Er war das fünfte K<strong>in</strong>d des Schneiders Kaspar Lohage und Maria<br />

Christ<strong>in</strong>a, geborene Mertens. Der junge Franz Anton besuchte die<br />

Volksschule bis zu se<strong>in</strong>em 12. Lebensjahr und sollte dann <strong>in</strong> der väter-<br />

21


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

lichen Werkstatt zum Schneider ausgebildet werden. Nadel und Zwirn<br />

lagen ihm aber nicht, so war er nach se<strong>in</strong>er Schulentlassung e<strong>in</strong>ige<br />

Jahre als Knecht bei e<strong>in</strong>em Bauern <strong>in</strong> Balve tätig. Der junge Lohage<br />

löste aber bald se<strong>in</strong> Dienstverhältnis zu se<strong>in</strong>em landwirtschaftlichen<br />

Arbeitgeber und trat als e<strong>in</strong>facher Arbeiter <strong>in</strong> die chemische Fabrik<br />

Wocklum e<strong>in</strong>. Verbesserungsvorschläge beantwortete die Direktion<br />

mit se<strong>in</strong>er Entlassung.<br />

Ke<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gerer als der Oberpräsident V<strong>in</strong>cke, dem er <strong>in</strong> Arnsberg<br />

vorgestellt wurde, erkannte, was <strong>in</strong> dem Jungen steckte und ermöglichte<br />

ihm 1837 mit e<strong>in</strong>er Freistelle den Besuch der Königlichen Gewerbeschule<br />

<strong>in</strong> Hagen. Der 22-jährige fand <strong>in</strong> dem Direktor der Schule e<strong>in</strong>en<br />

Förderer. Er erreichte auch, dass Lohage nach erfolgreicher Beendigung<br />

der Schule zur weiteren Ausbildung das Königliche Gewerbe<strong>in</strong>stitut <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> besuchen konnte.<br />

Danach ließ sich Lohage <strong>in</strong> Dortmund nieder, wo er die Stear<strong>in</strong>fabrik<br />

„Oberbeck und Lohage“ aufbaute. 1848 siedelte er nach Unna über,<br />

wo er die Leitung e<strong>in</strong>er chemischen Fabrik übernahm. In Studienreisen<br />

auf Staatskosten nach England und Schottland studierte er die dortige<br />

Industrie. Nach se<strong>in</strong>er Rückkehr beschäftigte sich Lohage mit Verfahren<br />

und Versuchen, die Herstellung des Stahls durch e<strong>in</strong>e Änderung des<br />

Puddelverfahrens zu verbilligen, was ihn schließlich berühmt machte.<br />

Bisher war man nur <strong>in</strong> der Lage, durch Entfernen des Kohlenstoffs<br />

aus dem Eisenerz Schmiedeeisen zu gew<strong>in</strong>nen. Lohages neues Verfahren<br />

schuf e<strong>in</strong> hochwertiges Zwischenprodukt, den Schweiß-Stahl. Das<br />

neue Verfahren wurde von größeren Werken übernommen. Lohage<br />

nahm auf se<strong>in</strong>e Erfi ndung Patente und gründete zur Ausnutzung se<strong>in</strong>er<br />

Erfi ndung e<strong>in</strong>e Stahlgesellschaft. Für diese bereiste er <strong>in</strong> den Jahren<br />

1851/53 Frankreich, Belgien, England, Schweden und Rußland, um<br />

dort die Puddelstahlfabrikation e<strong>in</strong>zuführen.<br />

In den Jahren 1854/56 arbeitete er an der Verbesserung se<strong>in</strong>er Erfi ndung,<br />

1857 wurde er nach Oberhausen berufen, wo er Hochöfen wieder<br />

<strong>in</strong> Gang brachte; die Bochumer Gußstahlfabrik nahm se<strong>in</strong>e Beratung <strong>in</strong><br />

22


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Anspruch, und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er engeren Heimat wirkte er <strong>in</strong> Warste<strong>in</strong>, wo er<br />

1860 die unter Kaltbrüchigkeit des Eisens leidende Wilhelm<strong>in</strong>enhütte<br />

wieder rentabel machte.<br />

Lohage starb am 22. April 1872 im Alter von 57 Jahren.<br />

Er teilte mit vielen genialen Erfi ndern das Schicksal, dass der wirtschaftliche<br />

Erfolg ausblieb, ja sogar von anderen e<strong>in</strong>gefahren wurde.<br />

Pautsch, Mart<strong>in</strong><br />

(21.10.1905 - 27.2.1964)<br />

Mart<strong>in</strong> Pautsch wurde am 21. Oktober 1905 <strong>in</strong> Leobschütz <strong>in</strong><br />

Oberschlesien geboren, legte 1924 <strong>in</strong> Schweidnitz das Abitur ab, dann<br />

führte ihn das Studium an die Universität München, nach Breslau zu<br />

Otto Müller und Alexander Kanoldt und nach Königsberg zu Fritz Burmann.<br />

Er unternahm e<strong>in</strong>e Studienreise nach Paris und Südfrankreich,<br />

bestand 1928 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> das Referendarexamen für das künstlerische<br />

Lehramt und 1930 das zweite Staatsexamen <strong>in</strong> Breslau. Im gleichen<br />

Jahr noch nahm der frischgebackene Studienassesor se<strong>in</strong>e Lehrtätigkeit<br />

<strong>in</strong> Neiße, dann <strong>in</strong> Ziegenhals auf, von wo er 1931 nach Gleiwitz,<br />

1935 nach H<strong>in</strong>denburg und 1937 wieder nach Gleiwitz versetzt wurde.<br />

Um diese Zeit traten allerd<strong>in</strong>gs diese äußeren Lebensdaten<br />

längst schon h<strong>in</strong>ter se<strong>in</strong> künstlerisches Werk zurück. Insbesondere<br />

23


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

se<strong>in</strong> Kreuzweg mit 14 Passionsbildern für die Pfarrkirche <strong>in</strong> Greifswald<br />

fand lebhafte Zustimmung, hatte Berichte <strong>in</strong> Presse und Rundfunk zur<br />

Folge. Mit dieser Arbeit war Pautsch mit e<strong>in</strong>em Schlag <strong>in</strong> die kle<strong>in</strong>e<br />

Schar der beachteten Maler aufgerückt.<br />

1935 heiratete Pautsch und se<strong>in</strong>e beiden Töchter regten ihn<br />

bald zu K<strong>in</strong>derbildnissen an. Jahre h<strong>in</strong>durch beschäftigte ihn dieses<br />

Motiv und die Portraitmalerei im allgeme<strong>in</strong>en. Neben se<strong>in</strong>en zahlreichen<br />

Bildnissen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sbesondere die Glasmalereien für öffentliche<br />

Gebäude zu nennen, se<strong>in</strong>e Landschaften, Zeichnungen, Skizzen und<br />

Studien.<br />

Er war zu Hause <strong>in</strong> der großen Welt der Kunst der vergangenen<br />

Epochen, ohne sich als Schüler dieses Meisters oder Anhänger jener<br />

Richtung etikettieren zu lassen. Er suchte das Allgeme<strong>in</strong>gültige, das<br />

Zeitlose, das die vergänglichen Menschen Überragende. Er sche<strong>in</strong>t<br />

den Ratschlägen Leonardos an die Maler gefolgt zu se<strong>in</strong>, durch Meditation<br />

und Refl exion zum Wissenden zu werden.<br />

Mart<strong>in</strong> Pautsch war e<strong>in</strong> Mystiker. In diesem weiten und umfassenden<br />

S<strong>in</strong>n war er auch immer e<strong>in</strong> religiöser Maler; denn Kunst<br />

entsteht, so sagte er e<strong>in</strong>mal, „aus dem Angerührtse<strong>in</strong> vom metaphysischen<br />

Staunen“. Es ist e<strong>in</strong>e sehr ernste Kunst, die der schlesische<br />

Maler Mart<strong>in</strong> Pautsch schuf.<br />

Die Tragik des Lebensschicksals dieses Künstlers war die Folie<br />

se<strong>in</strong>er Bildschöpfungen. Dabei war er durch die Schule von Fritz Burmann<br />

gegangen, dessen schwerblütige Art dem schlesischen Temperament<br />

e<strong>in</strong>en gewissen E<strong>in</strong>schlag gegeben hat. Dennoch, bei allen Bildern<br />

von der Hand des Malers Pautsch, auch denen, die den ganzen<br />

Jammer der Menschheit lebendig werden lassen, leuchtet e<strong>in</strong> Licht<br />

aus dem Dunklen.<br />

Se<strong>in</strong>e Empfi ndungsart dokumentiert schon die Bevorzugung des<br />

Pastells. Gerade bei se<strong>in</strong>en Pastellbildern spürt man den diszipl<strong>in</strong>ierten,<br />

jeden Farbzug erwägenden Gestalter. Im Pastell hat Pautsch Themen<br />

gewählt, <strong>in</strong> denen er tiefste seelische Vorgänge sichtbar machte,<br />

wie „Das tägliche Brot“, „Leid über dem Land“, „Kälte“, „Vertriebene“,<br />

24


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

<strong>in</strong> denen doch die Hoffnung lebt, dass h<strong>in</strong>ter allem Leid e<strong>in</strong>e S<strong>in</strong>ndeutung<br />

liegt. Die Art, wie <strong>in</strong> dem Bild „Vertriebene“ aus der dunklen,<br />

schweren und dumpfen Elendsgestalt die Lichtgestalt e<strong>in</strong>es unbekümmerten<br />

K<strong>in</strong>des hervortritt, kennzeichnet die tiefe Symbolik die Bilder<br />

dieser Reihe.<br />

E<strong>in</strong>e Sondergruppe von Bildern, zu denen „Blick <strong>in</strong>s Helle“,<br />

„Ausblick“, „Der Mensch und se<strong>in</strong> Engel“ gehören, zeigt e<strong>in</strong>e andere<br />

starke Seite dieses Malers, die nicht beim Stimmungswert e<strong>in</strong>es<br />

Bildes stehen bleibt, sondern sich zur Mystik steigert. Sie zeigen <strong>in</strong><br />

ihrer allegorischen Darstellungsweise, dass Pautsch die Berufung zum<br />

religiösen Künstler <strong>in</strong> sich trug.<br />

Gerade <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en religiösen Themen hielt er strenges Maß im Formalen<br />

der Bildgestaltung, so bei se<strong>in</strong>em Kruzifi xkopf und noch stärker<br />

bei se<strong>in</strong>en Glasmosaiken der „Grablegung“ und „Auferstehung“, von<br />

denen man sagen kann, Pautsch hat erkannt, dass im sakralen Raum<br />

die Stärke <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em klaren Darstellungswert oder beim Fenster <strong>in</strong> der<br />

symbolischen Leuchtkraft des Mosaiks liegen muss.<br />

Beim Portrait respektiert Pautsch die Führung des Naturvorbildes,<br />

die Ähnlichkeit anstrebt, ohne aber e<strong>in</strong>e starke Betonung des<br />

Charakteristikums der Persönlichkeit abzuschwächen, oft unter Beifügung<br />

symbolischer Attribute. Hier galt es, Wesentliches zu fassen und<br />

Zufälliges wegzulassen.<br />

Pautsch war nicht nur e<strong>in</strong> musikalisch, philosophisch und literarisch<br />

vielgebildeter Mensch, er benutzte auch vielerlei Maltechniken:<br />

Öl, Tempera, Pastell, Aquarell, Rötel, Kohle, Feder, Bleistift, Tusche<br />

und Glasmalerei.<br />

Weil e<strong>in</strong> so hoher, vielfach weihevoller Ernst auf se<strong>in</strong>en Bildern<br />

liegt, empfi ndet man se<strong>in</strong>e zahlreichen K<strong>in</strong>derbildnisse als e<strong>in</strong>e gewisse<br />

Entspannung se<strong>in</strong>es Schaffens.<br />

Bei der Vertreibung aus Schlesien g<strong>in</strong>gen die meisten se<strong>in</strong>er<br />

Bilder verloren. So hieß es auch für ihn, neu anzufangen. Das herbe,<br />

verhalten schöne Land der tausend Berge hat mit dem Glatzer Berg-<br />

25


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

land und der Schweidnitzer Gegend am Fuße des Riesengebirges so<br />

viele geme<strong>in</strong>same Züge, dass Pautsch im Sauerland auch geistig e<strong>in</strong><br />

neues Zuhause fand.<br />

Im Westen fand die erste Ausstellung von mehreren bereits<br />

1946 <strong>in</strong> den Gesellschaftsräumen des Hotels Bracht <strong>in</strong> Freienohl statt.<br />

In Freienohl brach se<strong>in</strong>e zweite große Schaffensperiode an. Er schuf<br />

neben zahlreichen K<strong>in</strong>derbildnissen auch solche, <strong>in</strong> denen sich das<br />

Leid der Zeit wiederfi ndet.<br />

Als die Freienohler im Jahre 1948 die Rümmecke-Kapelle <strong>in</strong><br />

Freienohl zu e<strong>in</strong>em würdigen Trauerkapellchen ausgestaltet haben,<br />

erhielten die Fenster e<strong>in</strong>e neue Bleiverglasung nach dem Entwurf des<br />

Malers Mart<strong>in</strong> Pautsch, dem Flüchtl<strong>in</strong>g aus Schlesien, der <strong>in</strong> Freienohl,<br />

1960 dann <strong>in</strong> Neheim Hüsten, e<strong>in</strong>e neue Heimat gefunden hatte.<br />

ti.<br />

Die Fenster zeigen die Grablegung und die Auferstehung Chris-<br />

Mart<strong>in</strong> Pautsch hat sich nie von der selbstgestellten Aufgabe<br />

der Vergeistigung des materiellen Dase<strong>in</strong>s abgewandt oder abbr<strong>in</strong>gen<br />

lassen. Und er hat zeitlebens um die Farben und Formen gerungen<br />

- nicht als Experimentator, sondern als gewissenhafter Sucher nach<br />

dem gültigen Maß.<br />

26


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Wohl hielt se<strong>in</strong>e labile Gesundheit e<strong>in</strong>em <strong>in</strong> den 40er Jahren<br />

auftretenden Leiden noch 14 Jahre stand, aber se<strong>in</strong>e Werke lassen<br />

zunehmend den nahenden Tod ahnen. E<strong>in</strong> letztes Selbstbildnis, e<strong>in</strong>e<br />

mit zittriger Hand gefertigte Bleistiftzeichnung, entstand noch 1963.<br />

Am 27. Februar 1964 schloss der Tod <strong>in</strong> Neheim-Hüsten dem<br />

Künstler die Augen. Hier fand er auch se<strong>in</strong>e letzte Ruhe.<br />

Pieper, Dr. August<br />

1866 - 1942<br />

Der Name von Dr. August Pieper steht <strong>in</strong> der katholischen Soziallehre<br />

neben den großen Sozialreformern wie Kolp<strong>in</strong>g und Ketteler.<br />

August Pieper wurde am 14. März 1866 <strong>in</strong> Eversberg als das erste<br />

von dreizehn K<strong>in</strong>dern alte<strong>in</strong>gesessener Ackerbürger geboren. Nach<br />

dem <strong>in</strong> Rom mit (doppelter) Doktorprüfung <strong>in</strong> Theologie und Philosophie<br />

abgeschlossenen Studium sah er sich 1890 als junger Kaplan <strong>in</strong><br />

der Kohlenstadt Bochum zum erstenmal mit den speziellen Problemen<br />

konfrontiert, wie sie die Industriegesellschaft hervorgerufen hatte, die<br />

Aufgabe der Industrieseelsorge, und zwar im selben Jahr, <strong>in</strong> dem Franz<br />

Hitze zusammen mit dem rhe<strong>in</strong>ischen Wirtschaftsführer Franz Brandts<br />

den „Volksvere<strong>in</strong> für das katholische Deutschland“ gründete. 1890 war<br />

27


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

<strong>in</strong> Köln der Volksvere<strong>in</strong> für das katholische Deutschland gegründet<br />

worden, der zur ersten praktisch-sozialen Gesamtorganisation der<br />

deutschen Katholiken wurde. Dieser Verband berief 1892 Dr. August<br />

Pieper zum Generalsekretär.<br />

Dessen Idee zu verwirklichen, übernahm Pieper als se<strong>in</strong>e Lebensaufgabe,<br />

beraten von se<strong>in</strong>em Mitkaplan Caspar Kle<strong>in</strong>, dem späteren<br />

ersten Erzbischof von Paderborn.<br />

In Brandts Textilfabrik <strong>in</strong> Mönchengladbach und durch die hier verkehrenden<br />

<strong>Persönlichkeiten</strong> aus dem In- und Ausland gewann Pieper<br />

das sichere Augenmaß für die wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten<br />

und Möglichkeiten. Als Mann klarer Zielsetzungen und gestaltender<br />

Tat baute er mit bescheidensten Mitteln die vielen Sparten sozialer<br />

Kle<strong>in</strong>arbeit aus.<br />

Bereits <strong>in</strong> den ersten Jahren se<strong>in</strong>es Bestehens stieg die Mitgliederzahl<br />

des Volksvere<strong>in</strong>s <strong>in</strong> die Hunderttausende. Mehr und mehr wirkte<br />

der Volksvere<strong>in</strong> <strong>in</strong> die Standesverbände h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, besonders die Arbeitervere<strong>in</strong>e.<br />

Dr. Pieper war seit 1899 auch Vorsitzender der Diözese<br />

Köln, von 1904 bis 1917 auch Vorsitzender des Verbandes katholischer<br />

Arbeitervere<strong>in</strong>e Westdeutschlands. Von 1906 bis 1918 war er Mitglied<br />

des Preußischen Abgeordnetenhauses, von 1907 bis 1918 Mitglied des<br />

Deutschen Reichstags. In der <strong>in</strong>ternationalen Vere<strong>in</strong>igung für gesetzlichen<br />

Arbeiterschutz zu Basel war er deutscher Delegierter.<br />

Unter se<strong>in</strong>er Leitung entwickelte sich der Volksvere<strong>in</strong> bis 1914 mit<br />

805.000 Mitgliedern zum größten katholischen sozialen Vere<strong>in</strong> <strong>in</strong> der<br />

Welt.<br />

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges legte Dr. Pieper se<strong>in</strong>e Ämter<br />

nieder und widmete sich geme<strong>in</strong>sam mit Anton He<strong>in</strong>en, dem rhe<strong>in</strong>ischen<br />

Volkspädagogen, den er 1909 für den Volksvere<strong>in</strong> gewann, e<strong>in</strong>em<br />

neuen Aufgabengebiet, von der Zustände- zur Ges<strong>in</strong>nungsreform, die<br />

die religiös-sittlichen Geme<strong>in</strong>schaftskräfte als Tragpfeiler e<strong>in</strong>er neuen<br />

Ordnung erkannte, wie er sie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Büchern „Kapitalismus und Sozi-<br />

28


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

alismus als seelisches Problem (1926, 2. Aufl .), „Der Staatsgedanke der<br />

deutschen Nation“ (1928), „Organische und mechanische Auffassung<br />

des Geme<strong>in</strong>schaftslebens“ (1929) darlegte.<br />

An se<strong>in</strong>e Mitarbeiter, haupt- und ehrenamtliche Volkswirtschaftler<br />

und Sozialpolitiker aus dem geistlichen wie aus dem Laienstand, stellte<br />

Pieper höchste Forderungen. Für die Bildungsarbeitsgeme<strong>in</strong>schaften<br />

eröffnete Pieper 1900 <strong>in</strong> Mönchengladbach e<strong>in</strong>e Zentralstelle und<br />

1924 <strong>in</strong> Paderborn das „Franz-Hitze-Haus“, die erste Gelegenheit nach<br />

dem Kulturkampf auch zu e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>schaftsarbeit der christlichen<br />

Bekenntnisse.<br />

Mit Beg<strong>in</strong>n des Nationalsozialismus, als se<strong>in</strong> Lebenswerk zerschlagen<br />

wurde, wurde es still um Dr. August Pieper, 1933 wurde der Volksvere<strong>in</strong><br />

verboten.<br />

Pieper arbeitete im stillen an e<strong>in</strong>er Geschichte des sozialen Katholizismus,<br />

bis er am 25. September 1942 vere<strong>in</strong>samt starb.<br />

Aus den von ihm <strong>in</strong>s Leben gerufenen Kursen g<strong>in</strong>gen Führer der<br />

christlichen Arbeiterbewegung hervor, von denen e<strong>in</strong>ige wie Jakob Kaiser<br />

oder Karl Arnold nach 1945 von maßgebender Bedeutung wurden.<br />

Dr. August Pieper ist <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Heimatstadt Eversberg beerdigt. Der<br />

Platz, an dem se<strong>in</strong> Elternhaus stand, ist nach ihm benannt.<br />

Dr. Lorenz Pieper<br />

(1875 - 1951)<br />

war der Bruder von Dr. August Pieper<br />

Während August Pieper <strong>in</strong> vorderster L<strong>in</strong>ie für das Zentrum focht,<br />

setzte se<strong>in</strong> ungleicher Bruder auf die NSDAP. Dr. rer. pol. Lorenz Pieper<br />

(1875 - 1951) trat schon 1922 <strong>in</strong> die Partei e<strong>in</strong> (Mitglieds-Nummer:<br />

15 406) und wurde mit dem goldenen Ehrenzeichen der NSDAP<br />

ausgezeichnet. Pieper trug e<strong>in</strong>en Priesterrock und war e<strong>in</strong> glühender<br />

Anhänger des Nationalsozialismus. Von der Propaganda wurde er zu<br />

29


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

e<strong>in</strong>em Helden der Bewegung hochstilisiert.<br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Nach vorheriger seelsorgerischer und journalistischer Tätigkeit<br />

zog Lorenz Pieper 1923 nach München und arbeitete mit Hitler <strong>in</strong> der<br />

NSDAP. Mit dem Führer stand er noch später <strong>in</strong> Briefkontakt. Danach<br />

bekleidete er e<strong>in</strong>e Pfarrvikarstelle <strong>in</strong> Hal<strong>in</strong>gen / Ruhr, von der ihn der<br />

Erzbischof mit Schreiben vom 30.12.1932 enthob.<br />

In e<strong>in</strong>em Papier des Generalvikariats heißt es:<br />

„Se<strong>in</strong>e Personalakten füllen zwei starke Bände. Die Eigenart von<br />

Vikar Pieper ist gekennzeichnet durch Eigens<strong>in</strong>n, unbelehrbare Starrköpfi<br />

gkeit und Hochmut, der ihn immer zu neuen Konfl ikten führte und<br />

selbst zu Frechheiten gegenüber se<strong>in</strong>er Behörde, etwa 127 Mal. Aus<br />

ke<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Seelsorgestellen ist er <strong>in</strong> Frieden geschieden. E<strong>in</strong>e neue<br />

Seelsorgestelle wird ihm nicht übertragen. Jede öffentliche politische<br />

Tätigkeit wird untersagt. Über se<strong>in</strong>e Pension wird e<strong>in</strong>e besondere<br />

Verordnung erlassen.“<br />

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar<br />

1933 wurde Pieper rehabilitiert und Geistlicher <strong>in</strong> Warste<strong>in</strong> (Anstalten).<br />

1934 gründete er mit Lehrer Peter Wiese das Eversberger Heimatmuseum.<br />

1945, nach dem Bekanntwerden der Judenvergasungen, sagte<br />

sich Pieper vom Nationalsozialismus los. E<strong>in</strong> Zeitzeuge, der ihn näher<br />

kannte, „Er war sehr <strong>in</strong>telligent und trotz se<strong>in</strong>er politischen Ansichten<br />

e<strong>in</strong> aufrechter Kerl“.<br />

Pieper, V<strong>in</strong>zenz<br />

16.7.1903 - 13.1.1983<br />

Zu den bedeutenden <strong>Persönlichkeiten</strong>, die e<strong>in</strong>en wichtigen Abschnitt ihres<br />

Lebens <strong>in</strong> Meschede verbrachten, gehört der <strong>in</strong> Münster geborene und<br />

30


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

dort auch verstorbene Maler und Kunsterzieher V<strong>in</strong>zenz Pieper. Se<strong>in</strong>e<br />

künstlerisch hoch geschätzten Kirchenfensterbilder legen e<strong>in</strong> deutliches<br />

Zeugnis von se<strong>in</strong>em Kunstschaffen ab.<br />

V<strong>in</strong>zenz Pieper, Sohn e<strong>in</strong>er k<strong>in</strong>derreichen Familie mit neun Geschwistern,<br />

lebte etwa 17 Jahre von 1913 bis 1930 <strong>in</strong> Meschede, bis se<strong>in</strong><br />

Vater als Landesversicherungsbeamter nach Münster versetzt wurde.<br />

Er besuchte die hiesige Rektoratschule und wechselte anschließend<br />

zum Gymnasium Laurentianum nach Arnsberg. Erste Erfahrungen mit<br />

dem Malerhandwerk sammelte er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dreijährigen Lehrzeit mit<br />

dem Malermeister Jost Pöttgen <strong>in</strong> Freienohl.<br />

E<strong>in</strong>es se<strong>in</strong>er ersten Werke schuf er Anfang der 20er Jahre als Rückwandgestaltung<br />

der Krippe <strong>in</strong> der Pfarrkirche St. Walburga <strong>in</strong> Meschede,<br />

und zwar e<strong>in</strong>e aus dem Dunkelblau <strong>in</strong>s heller werdende Licht gestaltete<br />

Engelsfi gur - damals e<strong>in</strong> für Meschede ungewöhnliches, neues Kunstereignis.<br />

Auch betätigte er sich für den Katholischen Gesellenvere<strong>in</strong><br />

(heute: Kolp<strong>in</strong>g) als Kulissenmaler für die Schauspielbühne. Se<strong>in</strong> bester<br />

Freund war der Mescheder Karl Schmidtmann, mit dem er bis zu se<strong>in</strong>em<br />

Tode engen Kontakt pfl egte.<br />

Ansonsten s<strong>in</strong>d die überlieferten Zeugnisse spärlich. Um so mehr<br />

aber verrät se<strong>in</strong> weiterer künstlerischer Werdegang bis h<strong>in</strong> zur Professur<br />

und freiberufl ichen Tätigkeit sowie <strong>in</strong>sbesondere se<strong>in</strong> Lebenswerk aus<br />

den verschiedenen Schaffensperioden se<strong>in</strong>es Könnens.<br />

Nach dem Abitur studierte er zunächst von 1923 bis 1925 Malerei<br />

an der Knirrschule und der Kunstgewerbeschule unter Riemerschmid <strong>in</strong><br />

München, arbeitete anschließend freikünstlerisch - unterbrochen durch<br />

Studienaufenthalte <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und Paris -, bis er von 1929 bis 1933 die<br />

Kunstschule <strong>in</strong> Maria Laach unter Bruder Notker, die sogenannte Beuroner<br />

Schule, besuchte. Das erste Jahr des Dritten Reiches verbrachte<br />

er mit Studien <strong>in</strong> Italien, wurde dann bis Anfang 1935 Privatschüler<br />

von Professor Troendle <strong>in</strong> München, um danach freiberufl ich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Geburtsstadt Münster tätig zu se<strong>in</strong>.<br />

31


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Durch den Kriegsdienst vom Juli 1941 bis Februar 1943 wurde er<br />

von se<strong>in</strong>er jetzt schon professionellen künstlerischen Tätigkeit ferngehalten.<br />

V<strong>in</strong>zenz Pieper verlor durch den Bombenangriff auf Münster<br />

am 1. Oktober 1943 se<strong>in</strong> gesamtes Jugendwerk, und se<strong>in</strong> Atelier <strong>in</strong><br />

der Mart<strong>in</strong>istraße wurde total zerstört.<br />

Unverzagt arbeitete er an neuen Werken <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Heimatstadt weiter,<br />

bis ihm am 1. Oktober 1947 an der Werkkunstschule <strong>in</strong> Münster<br />

der Lehrauftrag und die Leitung der Abteilung für ornamentale und<br />

fi gürliche Gestaltung übertragen wurde. Speziell bezog sich der Auftrag<br />

auf die fi gürliche und ornamentale Gestaltung der Fläche <strong>in</strong> bezug auf<br />

die verschiedenen Arten und Techniken der Wandmalerei, Glasmalerei<br />

und des Mosaiks. Auch wurden Tapeten- und Textilentwürfe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Klasse bearbeitet.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus leitete V<strong>in</strong>zenz Pieper e<strong>in</strong>en Grundkurs für die Erstsemester<br />

als E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Probleme der farblichen und fi gürlichen<br />

Gestaltung der Fläche. Wie vielfältig und hoch se<strong>in</strong> Können <strong>in</strong> Fachkreisen<br />

e<strong>in</strong>geschätzt wurde, beweist die Berufung an die Technische<br />

Universität Berl<strong>in</strong> am 1. März 1955. Als Ord<strong>in</strong>arius betreute er den<br />

Lehrstuhl „Freies Zeichnen und Malen“ an der Fakultät für Architektur.<br />

Hier verstand es V<strong>in</strong>zenz Pieper bis zu se<strong>in</strong>er Emeritierung am 1. Oktober<br />

1969, se<strong>in</strong>e Studenten der Architektur mit den Problemen von<br />

Form und Farbe <strong>in</strong> bezug auf die Architektur vertraut zu machen, und<br />

zwar vornehmlich durch praktische Übungen, unterbaut von theoretischer<br />

Unterweisung. Se<strong>in</strong>e letzten Lebensjahre, bis zu se<strong>in</strong>em Tod<br />

1983, war V<strong>in</strong>zenz Pieper freischaffend <strong>in</strong> Münster - vorwiegend als<br />

Glasmaler tätig.<br />

Ausgeführte und gestaltete Fenster <strong>in</strong> Kirchen und anderen Gebäuden<br />

1964 Beckum - Mosaik im E<strong>in</strong>gang des Krankenhauses St. Elisabeth<br />

1962 Berl<strong>in</strong> - Mosaik im Vorraum des Auditorium Maximum der<br />

Technischen Universität<br />

1966 Bocholt Lowick - Fenster <strong>in</strong> der St. Bernhard Kirche<br />

32


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

1955 Bottrop - Kirche St. Elisabeth, Fenster<br />

1970 Bottrop - St. Pius-Kirche, Fenster<br />

1968 Clarholz - Pfarrkirche, Kirchenfenster<br />

1978 Coesfeld - Kirche St. Maria Frieden, Kreuzweg <strong>in</strong> Mosaik<br />

1977 Duisburg - Kapelle des Konvents der Karmeliter<strong>in</strong>nen der Mutter<br />

vom guten Rat, Kirchenfenster<br />

1974 Emsdetten - St. Josefs-Kirche, Kirchenfenster <strong>in</strong> Dickglas<br />

1965 Gescher - Kapelle Pfl egehaus „Haus Hall“, Chorfenster<br />

1963 Halle / West. - Evangelische Pfarrkirche, Fenstergestaltung<br />

1964 Hamm Nord - Kirche Maria König<strong>in</strong>, Gestaltung der Fenster<br />

1965 Hardehausen - Bischöfl iches Bildungswerk (Paderborn),<br />

Dickglasfenster <strong>in</strong> der Kirche<br />

1977 Hiltrup - Kapelle der Herz Jesu Missionare, Fenstergestaltung<br />

1951 Köln - Wettbewerb Kölner Dom, Nordfenster, 1. Preis<br />

- nicht ausgeführt<br />

1964 Köln - Dom, Westfenster - ausgeführt<br />

1966 Köln - St. Andreas-Kirche, Chorfenster<br />

1979 Köln-Niehl - St. Kathar<strong>in</strong>enkirche, Fenstergestaltung<br />

1953 Meschede - Kirche Mariä Himmelfahrt, alle Fenster<br />

1955 / 1957 M<strong>in</strong>den - Dom Chorfenster, Fenster im Querhaus,<br />

mehrere Fenster im Hauptschiff<br />

1977 Mönchen-Gladbach Rheydt - Kirche St. Marien, Fenstergestaltung<br />

1952 Münster - Rhe<strong>in</strong>ischer Hof, Fenster<br />

1953 Münster - Handwerkskammer, Fenstergestaltung, Treppenhaus<br />

1954 Münster - Borromäum, Fenster Tagesraum und Direktorenzimmer<br />

1958 Münster Angelmodde - Kirche St. Agatha, Schiff-Fenster<br />

1964 Münster - Marianum, Kapellen-Fenster<br />

1966 Münster - Marienschule, Fenster der Aula<br />

1966 Münster - Zahnkl<strong>in</strong>ik, Mosaik <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>gangshalle<br />

1968 Münster - St. Theresien-Kirche, alle Fenster<br />

1968 Münster - Servati-Kirche, Schiff-Fenster<br />

1971 Münster - St. Marien-Kirche, Schiff-Fenster<br />

33


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

1972 Münster - Ludgeri-Kirche, Gestaltung der Fenster<br />

? Münster Schlaungymnasium, Fenster Aula<br />

1969 Oerl<strong>in</strong>ghausen - Pfarrkirche St. Michael, alle Fenster<br />

1955 Paderborn - Dom, Fenster im Kapellenkranz,<br />

Engelfenster, Fenster über dem Fürstenberg Epitaph,<br />

Fenster im Kreuzgang<br />

1964 Paderborn - Bussdorf, Kirche, Chor und<br />

Schiff-Fenster<br />

? Schmallenberg, Fenster <strong>in</strong> der katholischen Kirche<br />

1959 Soest - Evangelische Petrikirche, Chorfenster,<br />

teilweise Schiff-Fenster<br />

1973 Wehrstapel (Sauerland) - Katholische Pfarrkirche,<br />

Fenstergestaltung<br />

1969 Wesel, Willibrodi-Dom, Westfenster<br />

Tuch, Johannes (genannt: Hannes)<br />

2.11.1905 - 12.9.1986<br />

Als im Jahre 1952 Dr. Bernard Rang, bekannter Germanist und Bibliotheksdirektor<br />

<strong>in</strong> Bonn, über Hannes Tuch im „Westfalenspiegel“<br />

schrieb:<br />

„Ich möchte ihn [Hannes Tuch] neben Harry Torauswalden stellen,<br />

34


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

dem amerikanischen Waldläufer und Walddichter von Gottes Gnaden.<br />

Füllen wir uns Herz und Brust tief an mit der re<strong>in</strong>en erquickenden<br />

Waldluft dieser Bücher von Hannes Tuch und sagen wir ihm Dank,<br />

diesem westfälischen Walddichter“,<br />

waren die heute längst vergriffenen Bücher von Hannes Tuch wie „Gespräche<br />

mit den Bäumen“ und das „Jagdhüttenbuch“ erschienen. Alles<br />

zu e<strong>in</strong>er Zeit, als der sauerländische Dichter, der <strong>in</strong> Meschede geboren,<br />

E<strong>in</strong>ladungen aus den USA und der UdSSR und sogar aus Vietnam<br />

erhielt.<br />

Im Kürschner-Lexikon und <strong>in</strong> andren Nachschlagewerken kann man über<br />

die Bücher, Dichtungen und Zeichnungen von Hannes Tuch nachlesen.<br />

„Ja, die Bäume s<strong>in</strong>d so viel älter auf der Erde, dass ihre Zeit für uns<br />

schon e<strong>in</strong>e Ewigkeit bedeutet. Die Ewigkeit ist wie e<strong>in</strong> großer Teppich,<br />

<strong>in</strong> welchen Gottes Hände bunte Bilder wirken, de<strong>in</strong>es und me<strong>in</strong>es und<br />

der Brüder Bäume“, sagt der Mensch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>er Bücher.<br />

E<strong>in</strong> volkstümlicher Mensch, e<strong>in</strong> Archäologe, Sammler, Heimatforscher,<br />

Schriftsteller und Erzähler zugleich. Und e<strong>in</strong> Poet. Auf Seumes<br />

Spuren suchte er e<strong>in</strong>st den Weg nach Syrakus.<br />

Der gebürtige Mescheder Hannes Tuch wurde <strong>in</strong> Laer groß und<br />

erhielt dort se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheits- und Jugende<strong>in</strong>drücke, denn se<strong>in</strong> Vater<br />

war Koch beim Grafen von Westphalen <strong>in</strong> Laer. Nicht weit entfernt<br />

stand se<strong>in</strong> Elternhaus. Ehe er sich als Förster/Forst<strong>in</strong>genieur am Rand<br />

der Warburger Börde niederließ, bereiste er die Welt: Europa bis zum<br />

Nordkap, auf den Spuren Seumes nach Syrakus, nach Afrika, zu den<br />

irischen Inseln.<br />

Heimgekehrt lebte er mit se<strong>in</strong>er Frau und drei K<strong>in</strong>dern lange Jahre<br />

im Forsthaus Schwedenbusch. Hier forschte er den Spuren menschlicher<br />

Kultur <strong>in</strong> vergangenen Zeiten nach. Die Vor- und Frühgeschichte<br />

ließ ihn nicht los; se<strong>in</strong> Forscher- und Sammlerdrang ließ ihn archäologische<br />

Entdeckungen machen. Schon im Forsthaus Schwedenbusch<br />

35


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

fi ng Hannes Tuch an zu schreiben, trat jedoch erst später mit se<strong>in</strong>en<br />

Büchern an die Öffentlichkeit.<br />

1948 erschien als erstes se<strong>in</strong> „Jagdhüttenbuch“. In den nächsten 20<br />

Jahren erschienen regelmäßig neue Bücher, die heute alle vergriffen<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Im Jahre 1969 ließ Hannes Tuch sich pensionieren und kehrte <strong>in</strong>s<br />

Sauerland zurück. Er erwarb von Josefa Berens-Totenohl <strong>in</strong> Lennestadt-<br />

Gleierbrück den Femhof, den sich die Dichter<strong>in</strong> im Jahre 1938 hatte<br />

erbauen lassen.<br />

Se<strong>in</strong> Buch „Der Forst der großen Vögel“ wurde 1955 vom Bundespräsidenten<br />

Heuss als „bestes Tierbuch des Jahres“ ausgezeichnet und<br />

von der UNESCO besonders gewürdigt. Se<strong>in</strong>e Zeichnungen bereichern<br />

die Bücher und se<strong>in</strong>e Gedichtssammlungen.<br />

Hannes Tuchs Gedicht „Bitte des Waldes“ wurde erstmalig 1927 <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er fränkischen Zeitung gedruckt. Von da gelangte es ohne Wissen<br />

se<strong>in</strong>es Verfassers über Ma<strong>in</strong>z <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e französische Zeitung und wurde<br />

weiter <strong>in</strong>s Englische übersetzt. Nach vielen Jahren erhielt Hannes Tuch<br />

e<strong>in</strong> Schreiben der Universität Saigon, unterzeichnet von Professor Dr.<br />

Le Van Ky, der ihm mitteilte, dass se<strong>in</strong> Gedicht „Bitte des Waldes“ auf<br />

zahlreichen Tafeln gemalt an den Rändern vieler Wälder <strong>in</strong> Vietnam<br />

aufgestellt sei. Ebenso schmückt die „Bitte des Waldes“ e<strong>in</strong>e Wand der<br />

Universität <strong>in</strong> Dehra Dun <strong>in</strong> Indien.<br />

In diesem Gedicht mahnt Tuch die Menschen, behutsamer mit dem<br />

„Wächter des Wassers“ und dem e<strong>in</strong>zelnen Baum umzugehen. Das Gedicht<br />

endet mit dem Appell „Erhör‘ me<strong>in</strong>e Bitte, zerstöre mich nicht!“<br />

Als Vertrauensmann für die Bodenaltertümer Westfalens machte<br />

er e<strong>in</strong>malige Funde. Er entdeckte unbekannte Grabhügel aus der<br />

Bronzezeit, er kartierte e<strong>in</strong> ganzes Gebiet vor- und frühgeschichtlicher<br />

Hoch- und Terrassenäcker, er fand vorgeschichtliche Siedlungsplätze<br />

und Ste<strong>in</strong>werkzeuge und -Waffen und er entdeckte alte Römerstra-<br />

36


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

ßen und Befestigungen, karol<strong>in</strong>gische Wallburgen, frühmittelalterliche<br />

Wüstungen und Brunnen und Hausru<strong>in</strong>en.<br />

Er gab vielen Flurnamen ihren alten, nur aus der niederdeutschen<br />

Sprache verständlichen S<strong>in</strong>n wieder. Er suchte und fand alte Flussübergänge,<br />

Pilgerpfade und vieles andere mehr.<br />

Tuchs Lesungen am Lagerfeuer lockten e<strong>in</strong>st Hunderte von Zuhörern.<br />

Erwähnenswert s<strong>in</strong>d selbstverständlich auch Tuchs Bildhauerarbeiten.<br />

Se<strong>in</strong>e Bücher und Naturphilosophie s<strong>in</strong>d heute <strong>in</strong> der Zeit des<br />

Wiedererwachens e<strong>in</strong>es Naturbewusstse<strong>in</strong>s und <strong>in</strong> der Erkenntnis des<br />

Menschen, dass er letzten Endes trotz aller Technik völlig von den<br />

Naturkräften, die ihn umgeben, abhängig ist, durchaus zeitgemäß.<br />

Noch <strong>in</strong> den letzten Jahren se<strong>in</strong>es Lebens hat Hannes Tuch gearbeitet,<br />

so an den Memoiren der Dichter<strong>in</strong> Josefa Berens-Totenohl und<br />

historisches über se<strong>in</strong>e Heimatstadt Meschede. Mehr als 20 Bücher hat<br />

er geschrieben. Se<strong>in</strong>e Bücher der Naturphilosophie s<strong>in</strong>d heute <strong>in</strong> der Zeit<br />

des Wiedererwachens des Naturbewusstse<strong>in</strong>s durchaus zeitgemäß.<br />

In se<strong>in</strong>en letzten Lebensjahren war er nicht nur durch schwere<br />

Gicht an Haus und Lehnstuhl gefesselt, sondern auch als Schriftsteller<br />

<strong>in</strong> Vergessenheit geraten. Dann, 1986 wollte se<strong>in</strong> Herz nicht<br />

mehr. Hannes Tuch starb kurz vor se<strong>in</strong>em 80. Geburtstag.<br />

37


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Hannes Tuch ist <strong>in</strong> Meschede auf dem Südfriedhof begraben, denn<br />

es war se<strong>in</strong> letzter Wunsch <strong>in</strong> Mescheder Heimaterde beigesetzt zu<br />

werden.<br />

Joseph Wittig<br />

22.1.1879 - 22.8.1949<br />

Geboren <strong>in</strong> Neu-Sorge/Kr. Glatz, gestorben 1949 <strong>in</strong> der Lüneburger<br />

Heide, beigesetzt <strong>in</strong> Meschede. Kirchengeschichtler und schlesischer<br />

Heimatdichter<br />

Nach dem Abitur 1899 studierte Wittig Theologie und promovierte<br />

1902 mit e<strong>in</strong>er Arbeit über Papst Damasus I.. 1903 wurde er <strong>in</strong> Breslau<br />

zum Priester geweiht, kam als Kaplan nach Lauban, war zwei Jahre <strong>in</strong><br />

38


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Rom und Nordafrika und dann wieder Kaplan <strong>in</strong> Breslau. 1911 wurde<br />

er Professor und Ord<strong>in</strong>arius für Alte Kirchengeschichte, Patrologie<br />

und kirchliche Kunst. 1915 erhielt er die Berufung an die Universität<br />

Breslau.<br />

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Wittig schon viele kirchengeschichtliche<br />

Arbeiten veröffentlicht, die se<strong>in</strong>en Namen begründet hatten.<br />

1920 erschien bei Herder „Herrgottswissen von Wegra<strong>in</strong> und Straße“<br />

und später „Die Kirche im Waldw<strong>in</strong>kel“. Se<strong>in</strong>e ersten Bücher brachten<br />

ihm Anerkennung und Dank von privater und kirchlicher Seite.<br />

1922 löste se<strong>in</strong> Aufsatz „Die Erlösten“ <strong>in</strong> der katholisch-progressiven<br />

Zeitschrift „Hochland“ neben unzähligen Stimmen der Freude<br />

und Ergriffenheit starken Widerspruch von kirchlicher Seite aus, der<br />

sich so stark verdichtete, dass diese Veröffentlichung trotz se<strong>in</strong>er<br />

Rechtfertigung und das folgende Buch „Das Leben Jesu <strong>in</strong> Paläst<strong>in</strong>a,<br />

Schlesien und anderswo“ von der Kirche <strong>in</strong>diziert werden. In se<strong>in</strong>er<br />

charakteristischen Mischung von humorvoller Erzählung und ernsthaft<br />

theologischer Betrachtung versuchte er se<strong>in</strong>e Leser von der tiefsitzenden<br />

Beichtfurcht und Sündenangst zu befreien. Der schlesische Oberhirt<br />

Fürstbischof Kard<strong>in</strong>al Bertram reagierte unversöhnlich. Da Wittig sich<br />

weigerte, se<strong>in</strong>e Schriften zurückzunehmen, wenn man ihm se<strong>in</strong>e „Irrtümer“<br />

nicht im e<strong>in</strong>zelnen erläutere, verfi el er wegen „Ungehorsams“<br />

am 14. Mai 1926 der Exkommunikation und verlor 1926 auch se<strong>in</strong> Amt<br />

als Hochschullehrer. Berufl ich stand er vor dem Nichts. Trotzdem hat<br />

er sich nie von se<strong>in</strong>er Kirche getrennt.<br />

„Ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Apostat. Was äußerlich wie e<strong>in</strong>e Trennung wirkt, ist<br />

nicht von mir, sondern von der Kirche aus geschehen, <strong>in</strong>dem sie mich<br />

vor 18 Jahren wegen e<strong>in</strong>es Ungehorsams ausschloss, der <strong>in</strong> Wahrheit<br />

e<strong>in</strong> Gehorsam gegen me<strong>in</strong> vielleicht irrendes, aber doch verpfl ichtendes<br />

Gewissen war“<br />

(Aus e<strong>in</strong>em Brief vom 13.7.1944 Joseph Wittigs an Kard<strong>in</strong>al Bertram).<br />

39


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

E<strong>in</strong> Übertritt zur evangelischen Konfession und e<strong>in</strong>e Professur an<br />

e<strong>in</strong>er sogenannten Freien Akademie lehnte er ab, obwohl es gerade<br />

die evangelischen Christen waren, die sich se<strong>in</strong>er annahmen - darunter<br />

der Breslauer Theologe Prof. D. Bornhausen und der Jurist Eugen<br />

Rosenstock-Huessy, dem es gelang, ihm als Universitätsprofessor e<strong>in</strong>e<br />

bescheidene staatliche Pension zu erwirken.<br />

Wittig lebt fortan als freier Schriftsteller.<br />

Er kehrte <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Heimatdorf zurück. Dort heiratete er 1927 Bianca<br />

Geisler. Erika Richter schrieb <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Lebensbeschreibung Bianca Wittigs<br />

dazu: Das schreibt sich leicht, aber es war der tiefste E<strong>in</strong>schnitt <strong>in</strong> ihrem<br />

Leben. Heirat mit e<strong>in</strong>em exkommunizierten Priester, das bedeutete nicht<br />

nur Bruch mit dem Vaterhaus, sondern auch die Ablehnung durch große<br />

Teile der kirchentreuen Katholiken... Se<strong>in</strong>e Ehe blieb das eigentliche<br />

Ärgernis im Fall Wittig. Schlimmstes Beispiel der Verfemung: als bei<br />

der Geburt des ersten K<strong>in</strong>des ärztliche Hilfe nötig war, verweigerte der<br />

nächstwohnende Arzt den Besuch bei e<strong>in</strong>em Exkommunizierten. Das<br />

Bübchen starb.<br />

Buch auf Buch von Wittig erschien. 1935 übernahm er die Aufgabe,<br />

die Chronik der Stadt Neurode zu schreiben, für die er jedes Honorar<br />

ablehnte. Bis 1943 schrieb er dann noch die Chronik se<strong>in</strong>es Heimatdorfes<br />

Schlegel. Die Zeit nach 1933 war für Joseph Wittig und se<strong>in</strong>e<br />

Familie e<strong>in</strong>e Zeit des Wartens und der wachsenden Sorge.<br />

Als Kranker erduldete er am Ende des Zweiten Weltkrieges die<br />

Drangsale von marodierenden Russen und Polen. Durch furchtbare<br />

Misshandlungen schwer verletzt, machten ihn der furchtbare Krieg und<br />

die Vertreibung am 1. April 1946 heimatlos.<br />

Im März 1946, also e<strong>in</strong>en Monat vor der Vertreibung, kam für Joseph<br />

Wittig e<strong>in</strong>e unerwartete und tief beglückende Nachricht: Die katholische<br />

Kirche nahm ihn wieder <strong>in</strong> ihre Reihen auf - ohne Bed<strong>in</strong>gungen und ohne<br />

irgende<strong>in</strong>e Aufforderung, dieses oder jenes Gesagte oder Geschriebene<br />

doch noch zu widerrufen. E<strong>in</strong> stillschweigendes, aber unmissverständ-<br />

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<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

liches E<strong>in</strong>geständnis der Rechtfertigung se<strong>in</strong>er Schriften.<br />

Im Auftrag Papst Pius XII. schrieb se<strong>in</strong> Substitut Johannes Baptist<br />

Mont<strong>in</strong>i (der spätere Papst Paul VI.) am 26. Oktober 1946:<br />

„Der Heilige Vater .... wünscht Ihnen ruhige Tage, die erfüllt se<strong>in</strong><br />

mögen von gelassener Freude. Und zum Beweis se<strong>in</strong>es außerordentlichen<br />

Wohlwollens erteilt er Ihnen <strong>in</strong> Liebe den apostolischen Segen“.<br />

Für den Ausgestoßenen eröffnete sich der Gnadenquell der Sakramente<br />

wieder - und die Heimat <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>schaft der Gläubigen.<br />

Krank und elend g<strong>in</strong>g auf der Flucht aus der Heimat se<strong>in</strong> Weg über<br />

Altena, wo er sich e<strong>in</strong>er Operation unterziehen musste, <strong>in</strong> das Forsthaus<br />

der befreundeten Familie von Unruh <strong>in</strong> der Göhrde bei Lüneburg.<br />

Se<strong>in</strong> 70. Geburtstag zeigte ihm die Verehrung se<strong>in</strong>er Lesergeme<strong>in</strong>de<br />

und Freunde, zu denen auch der 1938 emigrierte jüdische Religionsphilosoph<br />

Mart<strong>in</strong> Buber gehörte. Inzwischen waren wieder bzw. neu<br />

erschienen: „Novemberlicht“, „Das neue Antlitz“, „Karfunkel“, „Gold,<br />

Weihrauch und Myrrhe“, „Roman mit Gott“.<br />

Se<strong>in</strong>e Freunde hatten sich um e<strong>in</strong>e würdige Bleibe bemüht. Als die<br />

Familie durch Vermittlung des Kultusm<strong>in</strong>isteriums <strong>in</strong> Düsseldorf 1949<br />

e<strong>in</strong>e Wohnung <strong>in</strong> Meschede zugesprochen bekam, da setzt am Vorabend<br />

se<strong>in</strong>er Übersiedlung nach Meschede am 22. August 1949 e<strong>in</strong> Herz<strong>in</strong>farkt<br />

se<strong>in</strong>em irdischen Schaffen e<strong>in</strong> Ende. Er wurde <strong>in</strong> Meschede auf dem<br />

Südfriedhof zu se<strong>in</strong>er letzten Ruhe gebettet. Im ehrenden Gedenken<br />

benannte die Stadt Meschede e<strong>in</strong>e Straße im Siedlungsgebiet um das<br />

ökumenische Kirchenzentrum mit dem Namen Joseph Wittig.<br />

Wittigs Werke wollen ke<strong>in</strong>e Theologie oder gar Dogmatik se<strong>in</strong>. Sie<br />

s<strong>in</strong>d Dichtung im besten S<strong>in</strong>ne aber besonderer Art. Überall schaut er<br />

<strong>in</strong> die Tiefe der D<strong>in</strong>ge, erlauscht ihr Wesen, deutet ihren S<strong>in</strong>n.<br />

Selbst wenn er Chroniken schrieb, fühlte er sich im Dienste Gottes,<br />

dessen Fußspuren er <strong>in</strong> der Geschichte se<strong>in</strong>er Heimat nachg<strong>in</strong>g.<br />

Wittig war se<strong>in</strong>er Zeit <strong>in</strong> geistiger, religiöser und theologischer H<strong>in</strong>-<br />

41


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

sicht weit voraus - sozusagen e<strong>in</strong> „Vorläufer“ des zweiten Vatikanischen<br />

Konzils; was er damals lehrte schrieb und sagte ist heute e<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit,<br />

traf damals aber auf das Unverständnis se<strong>in</strong>er Vorgesetzten<br />

und schürte Berührungsängste mit dem Protestantismus.<br />

So bedeutend Joseph Wittig <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em wissenschaftlichen Werk<br />

als Theologe und Historiker se<strong>in</strong> mochte; <strong>in</strong> weiten Kreisen bekannt<br />

und geschätzt wurde er durch se<strong>in</strong> dichterisches Werk <strong>in</strong> Form von<br />

Aufsätzen und Büchern.<br />

Der als hochmodern geltende Schriftsteller br<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch<br />

„Me<strong>in</strong>e Erlösten“ unbewusste Erfahrungen befreiend zur Sprache. In<br />

erzählender, erlebnisgeprägter theologischer Ausdrucksweise, zieht<br />

Joseph Wittig den Leser <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Bann. Ihm geht es hauptsächlich<br />

um den frohen, seelisch gesunden und vertrauenden Glauben nach<br />

dem Zeugnis des Neuen Testaments. Gleichzeitig richtet er sich gegen<br />

die zermürbende ständige Sündenangst, gegen die Gebots- und Leistungsfrömmigkeit<br />

sowie gegen die Probleme unter den Tisch kehrende<br />

Pastoral.<br />

Se<strong>in</strong>e Bücher wollen dem gläubigen Menschen die Gewissheit<br />

br<strong>in</strong>gen, dass e<strong>in</strong>e gütige Vaterhand über jeglichem Erdengeschehen<br />

waltet<br />

Z<strong>in</strong>ngräbe, Georg<br />

19.10.1914 - 30.9.2003<br />

42


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande würdigte<br />

Landrat Rolf Füllgräbe 1986 Georg Z<strong>in</strong>ngräbe als e<strong>in</strong>en Mann, dessen<br />

musikalisches Schaffen weit über die Grenzen <strong>Meschedes</strong> <strong>in</strong>s ganze<br />

Sauerland h<strong>in</strong>ausreichten und dessen Name selbst denen e<strong>in</strong> Begriff<br />

ist, die mit Musik nur peripher zu tun haben.<br />

Mehr als drei Jahrzehnte (37 Jahre) hatte Georg Z<strong>in</strong>ngräbe als<br />

Pädagoge, als Chorleiter und als Musiker dem Musikleben der Stadt<br />

Meschede starke Akzente verliehen. Für das musikalische Leben der<br />

Stadt Meschede galt der Name Georg Z<strong>in</strong>ngräbe als Synonym.<br />

Am 19. Oktober 1914 wurde Georg Z<strong>in</strong>ngräbe <strong>in</strong> Eltmannshausen<br />

geboren. Als Schüler des Eschweger Gymnasiums entdeckte er sehr<br />

bald se<strong>in</strong>e Liebe zur Musik und erfuhr bereits als junger Gymnasiast<br />

erste E<strong>in</strong>drücke guter Musikerziehung. An der Hochschule für Musik<br />

konnte er nach zwischenzeitlich 11-jähriger Kriegsteilnahme und<br />

russischer Gefangenschaft se<strong>in</strong> Musikstudium abschließen. Seit 1950<br />

war er 31 Jahre lang als Musikerzieher am Gymnasium der Benedikt<strong>in</strong>er<br />

und zusätzlich sieben Jahre auch am Städtischen Gymnasium<br />

Meschede tätig. Bis zu se<strong>in</strong>er Pensionierung im Jahre 1981 stand<br />

se<strong>in</strong>e musikpädagogische Arbeit im Mittelpunkt se<strong>in</strong>es Wirkens.<br />

Er war auch e<strong>in</strong> Musikpädagoge, der nicht nur mit hohem Engagement<br />

am Gymnasium der Benedikt<strong>in</strong>er Unterricht gab, sondern auch Schulchöre<br />

und Schulorchester zu überregionalen Erfolgen führte.<br />

43


<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus widmete sich Georg Z<strong>in</strong>ngräbe e<strong>in</strong>er vielseitigen<br />

Tätigkeit als Chorleiter und das Portrait se<strong>in</strong>es segensreichen Wirkens<br />

vollständig zu zeichnen ist schier unmöglich. Jedoch e<strong>in</strong>iges verdient,<br />

festgehalten zu werden:<br />

So dirigierte er 10 Jahre lang den MGV Wennemen. Die Leitung des<br />

Evangelischen Kirchenchors übernahm er 1952. Von 1953 bis 1990<br />

führte er die damalige Sauerlandia, die spätere Chorgeme<strong>in</strong>schaft<br />

Meschede. Im Jahre 1958 wurde er mit der Aufgabe betraut, den<br />

Musikzug der Freiwilligen Feuerwehr neu aufzubauen, den er dann bis<br />

1970 auch selbst leitete. Durch die Mitgliedschaft im Musikausschuss<br />

des Deutschen Sängerbundes, Landesverband NRW konnte er auch<br />

dort seit 1959 se<strong>in</strong>e menschlichen und musikalischen Qualitäten e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen,<br />

wofür er 1981 durch den Bundeschorleiter Professor Rübben<br />

mit der Verdienstplakette <strong>in</strong> Gold ausgezeichnet wurde. 1984 wurde<br />

ihm durch den Sängerkreis Meschede e<strong>in</strong>e besondere Ehrung zuteil,<br />

der ihn zum Ehren-Kreischorleiter ernannte.<br />

E<strong>in</strong> weiteres wichtiges Anliegen <strong>in</strong> der Gestaltung des Musiklebens<br />

der Stadt Meschede sah Georg Z<strong>in</strong>ngräbe <strong>in</strong> der Förderung des Laienmusizierens.<br />

So gründete (1951) und leitete er das collegium musicum,<br />

das durch eigene Konzerte vielen offi ziellen Feiern den festlichen<br />

Rahmen gegeben hat.<br />

Schon bald hatte man <strong>in</strong> Meschede das musikalische Wissen und<br />

Können dieses Vollblutmusikers erkannt und berief ihn 1952 <strong>in</strong> den<br />

Vorstand des Kulturr<strong>in</strong>gs. Zeitweise war er auch Mitglied des Kulturausschusses<br />

der Stadt Meschede.<br />

Die Karnevalsabteilung der Kolp<strong>in</strong>gfamilie wählte ihn im Jahre 1975<br />

zum Senator „humoris causa“.<br />

1991 zeichnete Super<strong>in</strong>tendent Karl-He<strong>in</strong>z Budde für die Westfälische<br />

Landeskirche Georg Z<strong>in</strong>ngräbe mit dem Titel des Kantors aus.<br />

Diese Auszeichnung schließt e<strong>in</strong>en besonderen Verkündigungsauftrag<br />

um die Kirchenmusik e<strong>in</strong>.<br />

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<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

Schon <strong>in</strong> den 50er Jahren erkannte Georg Z<strong>in</strong>ngräbe, welches<br />

Potential an musikalischer und kultureller Kraft im Laienchor und Laienmusizieren<br />

steckt, der zum Teil geistigen Verarmung unserer Zeit<br />

zum Trotz.<br />

Nicht zuletzt ist die jahrelang von ihm nachdrücklich verfolgte und<br />

anfangs geleitete (1978 - 1980) Städtische Musikschule zu nennen und<br />

deren stürmische Aufwärtsentwicklung, überall hatte Georg Z<strong>in</strong>ngräbe<br />

den Taktstock im Spiel. E<strong>in</strong>e Vielzahl privater Musikschüler, die bei<br />

ihm e<strong>in</strong>e Instrumental- und theoretische Grundausbildung erhielten,<br />

konnten nun <strong>in</strong> die neue Musikschule übergeführt werden.<br />

Bei Kreistag und -verwaltung fand 1970 se<strong>in</strong>e Anregung e<strong>in</strong>e Kreismusikschule<br />

zu gründen ungeteilte Zustimmung, und es wurde gleich<br />

e<strong>in</strong> Musikschulausschuss gegründet. Da ihm e<strong>in</strong>e städtische Musikschule<br />

aus pädagogischen Überlegungen effektiver erschien, trug er<br />

se<strong>in</strong> Anliegen auch hier vor. E<strong>in</strong>e Umfrage <strong>in</strong> Meschede stieß auf e<strong>in</strong><br />

nicht geahntes Interesse. Aber die geplante kommunale Neuordnung<br />

bremste zunächst die Pläne sowohl für e<strong>in</strong>e städtische Musikschule<br />

als auch für die Kreismusikschule. Die Vorbereitungen bei der Stadt<br />

Meschede g<strong>in</strong>gen weiter mit mehr oder weniger großen Bedenken,<br />

besonders h<strong>in</strong>sichtlich der F<strong>in</strong>anzierung. Zu Beg<strong>in</strong>n des Schuljahres<br />

1978/1979 nahm die Schule mit ca. 400 Schülern und 20 Lehrern die<br />

Arbeit auf.<br />

Wie tief überzeugt und beseelt Georg Z<strong>in</strong>ngräbe von se<strong>in</strong>er Aufbauarbeit<br />

und wie stolz er auf se<strong>in</strong> mit Zähigkeit und Mühen entstandenes<br />

Werk war, verdeutlichten se<strong>in</strong>e Mahnworte <strong>in</strong> der Feierstunde<br />

des Abschieds als Leiter der Musikschule und der Übergabe an se<strong>in</strong>en<br />

Nachfolger Ulrich Hengesbach:<br />

„Ich b<strong>in</strong> rundherum froh, dass mir die Möglichkeit gegeben wurde,<br />

den Keim zu legen für e<strong>in</strong>e Blüte, die so prächtig ang<strong>in</strong>g, dass<br />

viele junge und ältere Mescheder sich daran erfreuen dürfen zu ihrer<br />

eigenen ganz persönlichen Entfaltung, zu ihrer Menschwerdung im<br />

S<strong>in</strong>ne der alten Erziehungsideale, für die e<strong>in</strong>e Erziehung ohne Be-<br />

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<strong>Persönlichkeiten</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Meschedes</strong> <strong>Umfeld</strong><br />

Stadtarchiv<br />

Meschede<br />

schäftigung mit Musik nicht denkbar war. ... Sich mitzuteilen, liegt<br />

im Lebenss<strong>in</strong>n des Menschen. Dazu schuf er sich die Sprache, die<br />

Mimik, die Gestik und nicht zuletzt die Musik. Aus dem Bedürfnis<br />

zu gestalten, Gefühle nach außen auszudrücken, schuf er sich se<strong>in</strong>e<br />

Umwelt, se<strong>in</strong>e Kultur....Kultur ist für mich die Pfl ege und Verbesserung<br />

der seelischen und geistigen Anlagen und Fähigkeiten des Menschen<br />

[Cicero]. Und da jeder Mensch mehr oder weniger Anlagen und<br />

Fähigkeiten hat, muss man ihm helfen, sie zu entdecken und auszubilden.<br />

E<strong>in</strong>e wunderbare Aufgabe auf dem Weg zur Menschwerdung,<br />

zum sozialen Verhalten des E<strong>in</strong>zelnen und zum Leben <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>schaft....Es<br />

gehörte [e<strong>in</strong>st] zum guten Ton, dass man musizierte. Bei<br />

uns ist heute der gute Ton nicht mehr der, der zum guten Ton gehört.<br />

Wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e hörende Gesellschaft geworden, wo das, was gehört<br />

wird, oft nicht allzu anspruchsvoll ist...Ohne Bildung aber wird die<br />

Freizeit zum Fluch.“<br />

Als Dirigent stand Georg Z<strong>in</strong>ngräbe zwar vor se<strong>in</strong>en Musiziergruppen,<br />

als Mensch und Freund jedoch mitten unter ihnen. Vital als Mensch,<br />

aufgeschlossen und unermüdlich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satz, am liebsten Violist,<br />

kreativ als Komponist, ebenso guter Theoretiker wie Praktiker, der Mescheder<br />

Kulturheimat eng verbunden, hat er e<strong>in</strong> weites musikalisches<br />

Feld bearbeitet.<br />

In den letzten Jahren se<strong>in</strong>es Lebens war es still um Georg Z<strong>in</strong>ngräbe<br />

geworden. Se<strong>in</strong>e angegriffene Gesundheit zwang ihn zunehmend<br />

zum Rückzug aus der Öffentlichkeit. Nach langer Krankheit starb er<br />

am 30.9.2003 <strong>in</strong> Meschede.<br />

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