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Schana Tova - Abraham Geiger Kolleg

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wir davon aus, dass es sich mehr oder weniger<br />

so zugetragen hat. Wie reagierte der Mann? Er<br />

machte sich hierüber keine Sorgen und wollte<br />

nichts davon wissen. Da dieser Versuch der<br />

Frau erfolglos war, würde man ihr raten, ehe<br />

sie ihre Klage öffentlich bekannt machte, zu R.<br />

Me’ir zu gehen und ihm den Fall vorzutragen.<br />

Das Argument scheint überzeugend und<br />

angenommen sie geht diesen Weg und erzählt<br />

R. Me’ir ihre traurige Geschichte. Um ihr aber<br />

zu helfen, wozu er ja offenbar bereit ist, muss<br />

er den Namen des Mannes erfahren. Erst dann<br />

kann er ihm ins Gewissen reden und ihn zur<br />

Heirat oder zur Scheidung bewegen. Sie gibt<br />

den Namen des Mannes jedoch nicht preis. Sie<br />

will ihn nicht bloßstellen. Das ist wohl erwiesen,<br />

denn wäre dem nicht so, hätte sie seinen<br />

Namen auch im Lehrhaus bekannt gegeben.<br />

Der neuzeitliche Talmudkommentator Steinsalz<br />

meint, dass die Frau den Namen des Mannes gar<br />

nicht kannte. Er legt die Worte der Frau „Einer<br />

aus eurer Mitte hat mich durch Beiwohnung<br />

geehelicht“ folgendermaßen aus: „Das bedeutet:<br />

einer schlief mit mir und sagte mir, dass er<br />

dies zum Zwecke der Eheschließung tut, und<br />

ich weiß nicht, wer es war, und sie will dass er<br />

sie entweder heiratet oder sich scheiden lässt.“<br />

Diese Auslegung ist etwas weit hergeholt. Man<br />

wird bei einer üblichen Beweisführung kaum<br />

jemanden davon überzeugen können, dass<br />

eine Frau, die mit einem Mann geschlafen hat,<br />

nachdem er sie von seinen ehrlichen Absichten<br />

überzeugt hatte und sie in den Bund mittels<br />

eines Beischlafs einwilligte, nicht wissen soll,<br />

wer der Mann ist; darüber hinaus weiß sie, wo<br />

er zu finden ist, nämlich im Lehrhaus des R.<br />

Me’ir. Man kann also davon ausgehen, dass die<br />

Frau sehr wohl über die Identität des Mannes<br />

Bescheid wusste, sie diese aber weder R. Me’ir<br />

(sofern es ein privates Vorgespräch mit ihm gab)<br />

noch den Anwesenden im Lehrhaus gegenüber<br />

preiszugeben bereit war. Warum wohl?<br />

Die naheliegende Erklärung, um nicht zu sagen<br />

die sichere, da man bei der Auslegung solcher<br />

Sachverhalte immer nur nach der Wahrscheinlichkeit<br />

verfahren kann, ist die folgende: Die<br />

Frau hat sich dem Mann in ehrlicher Absicht<br />

hingegeben, um von ihm geehelicht zu werden.<br />

Sie ist bereit und willig, mit ihm eine Ehe zu<br />

führen, aber wenn er nicht dazu bereit ist, so<br />

will sie von ihm geschieden werden. Sie ist<br />

jedoch nicht bereit, seinen Namen bekannt<br />

zu geben. Sie respektiert trotz allem seine<br />

Privatsphäre, will ihm keine Schande bereiten<br />

und ihn nicht in der Öffentlichkeit unmöglich<br />

Vorschau auf Veranstaltungen des Orpheus Trust<br />

27. Oktober, 19.00 Uhr<br />

Festsaal der Österreichischen Nationalbank,<br />

Otto Wagner-Platz 3, 1090 Wien: Festakt 40<br />

Jahre Österreichisch-IsraelischeGesellschaft.<br />

Musikpro-gramm: Orpheus Trust in Kooperation<br />

mit dem Herbert von Karajan-Centrum<br />

machen. Offensichtlich hegt sie keinen<br />

Groll gegen ihn und hasst ihn auch nicht für<br />

das, was er ihr angetan hat, jedenfalls nicht<br />

dermaßen, dass sie ihn bloßstellen will. Wir<br />

haben es wahrscheinlich mit einer feinfühligen<br />

und altruistischen Frau zu tun, die großherzig<br />

genug ist, feindselige Gefühle (die eigentlich in<br />

diesem Zusammenhang zu erwarten wären) zu<br />

unterdrückten und einfach menschlich zu sein.<br />

Die Berichterstatter oder Autoren der Gemara<br />

gehen selbstverständlich davon aus, dass<br />

diese Geschichte ein nachahmenswertes altruistisches<br />

Verhalten des R. Me’ir dokumentiert<br />

und ordnen sie in eine Reihe von anderen Ereignissen<br />

ein, in denen es darum geht, seinen<br />

Nächsten vor der Beschämung, Beleidigung,<br />

Peinlichkeit und Erniedrigung zu bewahren, ihn<br />

möglichst vor solchen Situationen zu schützen.<br />

In der Tat ist dies eine Tugend, die in der<br />

Gemara an mehreren Stellen hervorgehoben<br />

wird. In diesem besonderen Fall scheint es<br />

doch eher so zu sein, dass die betrogene Frau<br />

diejenige war, die beispielhaft gehandelt hat.<br />

Von R. Me’ir kann man allenfalls sagen, dass er<br />

nicht anders handeln konnte. Mit dem Erscheinen<br />

der Frau im Lehrhaus und ihrer Aussage<br />

zufolge musste R. Me’ir klar geworden sein,<br />

dass die Frau den Namen des betreffenden<br />

Mannes nicht preisgeben würde (sonst hätte<br />

sie ihn gleich genannt). Also handelte R. Me’ir<br />

sehr klug und erreichte für die Frau, worauf sie<br />

Anspruch hatte. Als ein besonderes Verdienst<br />

kann sein Handeln nicht gelten. Oder aber<br />

– und diese Frage ist die entscheidende für die<br />

Einstellung der Gelehrten zur Frau – übersieht<br />

die Gemara absichtlich die Verdienste der<br />

Frauen und übergeht ihrer Belobigung? Auch<br />

wenn diese krasse Formulierung etwas zu<br />

weit zu gehen scheint und die Verteidiger der<br />

Gelehrten mit Leichtigkeit viele Zitate vorlegen<br />

könnten, in denen die Rolle der Frau und ihre<br />

Tugenden herausgestrichen werden, so lässt<br />

sich doch mindestens das eine feststellen:<br />

Die Gemara wurde von Männern geschrieben,<br />

und es war nicht ihre Sache, sich in die Frauen<br />

hineinzudenken und nach ihren Motiven zu forschen.<br />

Und wenn dadurch die Frau an Ansehen<br />

verliert und der Mann stattdessen an Ansehen<br />

gewinnt, so hätten sich die Männer deshalb<br />

auch keine grauen Haare wachsen lassen.<br />

Dr. Gabriel Miller ist als Notar in Frankfurt<br />

und Tel Aviv tätig. Er lehrt Jüdisches Recht<br />

an der Frankfurter Johann Wolfgang-Goethe-<br />

Universität. Mehr Talmudisches:<br />

www.juedisches-recht.de<br />

21.–22. November<br />

VHS Hietzing, Hofwiesengasse 48, 1140<br />

Wien: ‚Adorno hören - Symposion zum 100.<br />

Geburtstag‘, Koordination: Robert Streibel,<br />

Markus Vorzellner. Referenten: Konrad Paul<br />

Liessmann, Wendelin Schmid-Dengler, Gerhard<br />

Scheit, Hermann Schlösser, Michael Ley,<br />

Richard Steurer u.a.<br />

15<br />

9. Jahrgang | Ausgabe 1<br />

Ein Abend mit Edith Kraus<br />

Die Pianistin erzählt aus ihrem Leben<br />

Moderation: Evelyn Adunka<br />

Freitag, 24.Oktober 2003,<br />

nach dem Erew Schabbat-<br />

Gottesdienst (ca. 20.15<br />

Uhr), Haidgasse 1, 1020<br />

Wien. Eine Veranstaltung<br />

von Or Chadasch in<br />

Kooperation mit dem<br />

Orpheus Trust.<br />

Edith Kraus wurde 1913 in Wien geboren und<br />

übersiedelte 1919 nach Karlsbad. Sie war ein<br />

„Wunderkind“ und absolvierte mit elf Jahren<br />

ihr Konzertdebüt mit Mozarts c-moll-Konzert.<br />

Auf Empfehlung Alma Mahler-Werfels begann<br />

sie mit dreizehn Jahren das Studium an der<br />

Berliner Hochschule für Musik, ein Jahr später<br />

war sie jüngste Studentin in Arthur Schnabels<br />

Meisterklasse. Nach dem Studium übersiedelte<br />

sie nach Prag, wo sie eine rege Konzert- und<br />

Rundfunktätigkeit entfaltete . 1933 heiratete<br />

sie Karl Steiner.<br />

1942 wurde sie mit ihren Mann nach Theresienstadt<br />

deportiert. Dort arbeitete sie im Rahmen<br />

der jüdischen Selbstverwaltung als Pianistin<br />

eng mit dem Komponisten Viktor Ullmann zusammen.<br />

Ihre Familie überlebte nicht. Nach der<br />

Befreiung kehrte sie nach Prag zurück, 1946<br />

heiratete sie Arpad Bloedy (siehe dazu Torberg:<br />

Tante Jolesch).<br />

1949 emigrierte sie nach Israel. Sie unterrichtete<br />

an der Rubin Music Academy in Tel Aviv und<br />

beschäftigte sich intensiv mit den Werken der<br />

Theresienstädter Komponisten. Edith Kraus lebt<br />

heute in Jerusalem. Gefragt, ob die Künstlerin<br />

sich selbst als eine der letzten Vertreterinnen<br />

der sogenannten deutschen Schule des Klavierspiels<br />

einschätzt, widerspricht sie vehement.<br />

Denn sie glaubt, Vertreter dieser Schule seien<br />

Pianisten gewesen, die mehr Wert auf echte<br />

Musikalität und Werktreue und weniger auf<br />

Virtuosität legten: „Ich glaube nicht, dass das<br />

ausstirbt. Denken Sie an den Briten Solomon oder<br />

an Murry Perahia.“ Nach einem Schlaganfall<br />

musste Kraus 1994 mit dem aktiven Klavierspiel<br />

aufhören, unterrichtet aber weiterhin.<br />

Edith Kraus kehrt auf Einladung des Orpheus<br />

Trust zum ersten Mal in ihre Geburtsstadt<br />

Wien zurück und wird im Rahmen der Ullmann-<br />

Masterclass an der Universität für Musik und<br />

Darstellende Kunst die Klaviersonaten von<br />

Victor Ullmann mit Studenten erarbeiten.<br />

Der von Primavera Gruber geleitete Verein<br />

Orpheus Trust wurde im Mai 1996 gegründet<br />

und ist die einzige Institution Österreichs, die<br />

sich zum Ziel setzt, durch Veranstaltungen,<br />

durch Erforschung und Dokumentation sowie<br />

durch Beratung und Informationsvermittlung<br />

an die aus Österreich vertriebenen oder im<br />

KZ ermordeten Musiker, Komponisten, Musikverleger,<br />

-wissenschaftler und -publizisten<br />

zu erinnern. Sie hat dabei seit Beginn ihrer<br />

Tätigkeit mit schweren finanziellen Problemen<br />

zu kämpfen.

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