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Bielefelder Philharmoniker Spielzeit 2015/16

Bielefelder Philharmoniker Spielzeitheft 2015/16

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Gedankenwelt<br />

Gedankenwelt<br />

Wie fantastisch<br />

ist die Schönheit<br />

der Vergänglichkeit<br />

von Musik!<br />

Angesichts der im Vergleich zu anderen Musikformen<br />

absoluten oder auch abstrakten Wiedergabe,<br />

welche die Töne in ihrer Reinheit, ihrer Natur<br />

an sich dem Publikum entgegendonnern, verwundert<br />

es nicht, dass Fantasie freigesetzt wird, erzwungen<br />

aus der Konfrontation von Klang und Ich;<br />

beide stehen sich in ihrer nackten Existenz gegenüber<br />

– das eine endlicher als das andere. Jetzt fragen<br />

Sie sich, warum nicht einfach eine Platte hören,<br />

warum den weiten Weg in das Konzerthaus<br />

wagen? Zwei Punkte sollen Ihre Frage beantworten.<br />

Zum einen verlangt Musik – so individuell sie<br />

sich in den Hirnwindungen, Herzkammern und<br />

Seelentiefen ihrer Hörer auch verschränken mag –<br />

in ihrer Wirkung seit jeher nach einer Gemeinschaft.<br />

Bereits die alten Griechen konnotierten den<br />

Rausch der Musik mit der individuellen Hingabe<br />

zum Göttlichen; in den Urformen dionysischer Kulte<br />

und Satyrthiasoi, die sowohl soziales Gemeinschaftsverständnis<br />

als auch temporäre, individuelle<br />

Entlebung zelebrierten, hörten und tanzten sich die<br />

Gläubigen in regelrechte Ekstase, verloren ihr Ich<br />

in der Impulsivität und Verzückung des Momentes,<br />

nur um in eine transzendente Identifikation mit ihrem<br />

Götze zu gelangen. Musik berauscht die Gruppe,<br />

löst die Fesseln des Irdischen, forciert Fantasie, um<br />

(bestenfalls) über das individuelle Erleben zum gemeinschaftlichen<br />

Miteinander zu finden.<br />

14 15<br />

Tanzt zur Musik<br />

auf den Stühlen!<br />

Die Kraft des Momentes, die Einmaligkeit des Klanges<br />

sowie der Austausch des Erlebten und der Fantasien<br />

erheben das Konzert also zum sozialen, intellektuellen,<br />

aber auch emotionalen Refugium.<br />

Und hier findet sich dann der zweite Grund: die<br />

Einmaligkeit. Angesichts der Momente flüchtigen<br />

Genusses in der Gemeinschaft wirken diese im direkten<br />

Erleben unmittelbarer. Keine CD, keine archaisch<br />

anmutende Platte und kein Internetdownload<br />

können in ihrer beliebigen Reproduzierbarkeit<br />

»Denn gerade<br />

diese Sphäre, der innere<br />

Sinn, das abstrakte<br />

Sichselbstvernehmen<br />

ist es, was die Musik<br />

erfasst und dadurch<br />

auch den Sitz der inneren<br />

Veränderungen, das Herz<br />

und Gemüt, als diesen<br />

einfachen konzentrierten<br />

Mittelpunkt des<br />

ganzen Menschen,<br />

in Bewegung bringt.«<br />

G. W. F. HEGEL<br />

dem Moment des echten Tones das Wasser reichen;<br />

jede Schwingung eines Instrumentes, jeder<br />

Widerhall eines wahren Klanges und jeder flüchtige<br />

wie nie wiederkehrende Ton eines Konzertes<br />

findet sein Echo in Körper, Geist und Seele des<br />

Hörers, begleitet ihn für jene vergänglichen Augenblicke<br />

und bleibt so fantastisch wie unwirklich<br />

in der Erinnerung zurück.<br />

Vergnügen, Kurzweil und sittliche Bildung – wie<br />

bereits Aristoteles formulierte – folgen dem gemeinschaftlichen<br />

musikalischen Genuss, in besonderer<br />

Form die Verschränkung von der Erregung<br />

sinnlicher Lust und der Ergötzung des denkenden<br />

Geistes. Genau dieses Ineinandergreifen von lógos<br />

und h don ruft die Fantasie hervor, provoziert<br />

regelrecht die von Tönen umwobenen, utopischen<br />

Gestimmtheiten im Geist der Hörerschaft. Musikalisch<br />

generierte Fantasie erweckt Lust im Herzen,<br />

stimmt gelegentlich priapistisch anmutende Seelenüberschläge<br />

an und ist an sich essenziell, gleich<br />

der Musik – dieses Zusammenspiel befriedigt und<br />

befriedet wenigstens für Momente das Ich, da es<br />

aus unserem Innersten wirkt und kommt. Schopenhauer<br />

sprach diesbezüglich einst vom Widerhall<br />

des Willens selbst. Daher kann es nur heißen:<br />

Flieht aus der Realität! Ändert euren Zustand!<br />

Träumt! Folgt den fantastischen Klangwelten der<br />

Musik! Und noch einmal: Tanzt zur Musik<br />

auf den Stühlen!

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