Bielefelder Philharmoniker Spielzeit 2015/16
Bielefelder Philharmoniker Spielzeitheft 2015/16
Bielefelder Philharmoniker Spielzeitheft 2015/16
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Gedankenwelt<br />
Gedankenwelt<br />
der Poesie, Malerei, Philosophie<br />
unterscheidet –<br />
dieses Direkte, was über<br />
den Hörsinn in die Seele<br />
eindringt –, dann hat<br />
sie nichts an Realität und<br />
Wichtigkeit verloren.<br />
DW Eines Deiner Ziele<br />
ist, das Publikum zu er -<br />
weitern, aus dem bürger<br />
lich-konservativen Lager<br />
auszubrechen. Die<br />
ästhetischen Bequemlich<br />
keiten müssen im<br />
21. Jahrhundert par tiell<br />
durchbrochen werden.<br />
Das bedingt sich gegenseitig:<br />
Wer kommt hin<br />
und wem kann ich was<br />
geben? Und wie verhelfen<br />
wir modernen Komponisten<br />
zu einer gewis-<br />
HE Das ist die Krise der<br />
Musik. Dass es eine Krise der Musik gibt, ist natürlich<br />
kein Wunder, ein Wunder wäre es, wenn die<br />
Musik nicht in der Krise wäre. Unsere Gesellschaftsordnung<br />
produziert die Musik zweifellos<br />
als Luxus. Steigt das Elend in so riesigem Maße<br />
wie eben jetzt, so bekommt der Luxus geradezu<br />
den Charakter einer Provokation.<br />
DW Ist das Konzert also heutzutage zu elitär?<br />
AK Ich sehe das weniger aus einem<br />
soziologischen Standpunkt:<br />
Die Bestseller-Listen der seriösen<br />
Blätter offenbaren ausschließlich<br />
Gegenwartskunst, die moderne<br />
bildende Kunst geht zu<br />
absoluten Höchstpreisen in einen<br />
breiten Markt. Durch alle<br />
Kunstformen hinweg wird die<br />
Moderne akzeptiert, nur bei der Musik nicht.<br />
HE Nun, die Musik ist am entferntesten von allen<br />
Künsten von der Welt der praktischen Dinge.<br />
AK Aber: Die Musik wird in ihrer Atonalität oder<br />
Komplexität akzep tiert, wenn sie einer Bühnenhandlung<br />
unterworfen wird, z. B. Le sacre du printemps<br />
von Strawinsky, oder im Film zu einer begreifbaren<br />
Von links oben nach rechts unten:<br />
Hanns Eisler, Martin Beyer, Daniel<br />
Westen, Alexander Kalajdzic<br />
»Unsere Gesellschaftsordnung<br />
produziert die<br />
Musik zweifellos<br />
als Luxus.«<br />
Emotion wird. Im Konzertsaal<br />
hat es die Moderne<br />
ungleich schwerer, weil<br />
der Mensch sich heutzutage<br />
so sehr auf den visuellen<br />
Reiz konzentriert …<br />
HE Eben das ist es!<br />
Das Agonieröcheln eines<br />
Ster benden langweilt die<br />
pflichtgemäß um das<br />
Sterbebett Versammelten<br />
so, dass sie einschla -<br />
fen. Aber ihr Schnarchen<br />
klingt ebenfalls wie Agonieröcheln,<br />
und so kann<br />
man nur schwer unterscheiden,<br />
wer eigentlich<br />
im Sterben liegt. Das ist<br />
das Verhältnis der bürgerlichen<br />
Gesellschaft<br />
zur modernen Musik.<br />
Wenn man aber fragt,<br />
Musikfest zur<br />
6<br />
sen Popu larität?<br />
wer eigentlich im Ster-<br />
Haltung, Werkkenntnis etc.<br />
7<br />
ben liegt, so gibt es nur<br />
eine Antwort: alle beide.<br />
MB Ja und nein. Die zeitgenössische Musik ist unglaublich<br />
komplex. Will ich sie verstehen, muss ich<br />
einen anderen Zugang finden als bei der Betrachtung<br />
der Werke von Paul Jackson Pollock oder ähnlichen<br />
Künstlern. Seit Mendelssohn den alten Bach<br />
ausgegraben hat, gibt es diesen Blick nach hinten.<br />
Das Gewesene wird also repro du ziert, die neuen<br />
Klangwelten jedoch fordern<br />
andere Hörgewohnheiten – das<br />
erfordert Arbeit, diese über<br />
Jahrzehnte verwöhnten Ohren<br />
neu zu formen. Hinzu kommt,<br />
dass nach 30 Minuten moderner<br />
Musik nur ein Eindruck entsteht,<br />
aber kein Erfassen der kompositorischen<br />
Komplexität.<br />
DW Nun ja, die bildenden Künstler sagen auch,<br />
dass man mindestens eine halbe Stunde das Bild<br />
betrachten muss, um es zu verstehen. Aber es<br />
geht um die Wahrnehmung. Heißt es, einfach ein<br />
Filmchen dazu und dann funktioniert’s? Ist es die<br />
Blödheit, nichts mehr selbstständig an Fantasie<br />
entwickeln zu können?<br />
HE Ich nenne das den Kampf gegen den Musik-<br />
Analphabetismus, der mit der Bekämpfung der<br />
Dekadenz verbunden werden muss.<br />
DW Braucht der Mensch eine vorgegebene<br />
Fantasie, eine dekadente<br />
Vielfalt für die Sinne?<br />
AK Er braucht etwas, in das er einsteigen<br />
kann. Bei der Musik hat das<br />
mit Erfahrung zu tun, aber auch mit<br />
Bereitschaft und Erwartung. Die Vergleichsmöglichkeiten<br />
sind bspw. bei<br />
Beethoven immens, bei Gubaidulina<br />
schon weniger. Wenn Du in ein richtig<br />
gutes Restaurant gehst, musst Du<br />
die Wartezeit einfach hinnehmen. Bei der Musik ist<br />
es ähnlich; es geht nicht um Vorbildung, sondern<br />
um die Bereitschaft sich einzulassen.<br />
DW Da gibt es viele Faktoren außerhalb des Saales,<br />
die da hineinspielen.<br />
AK Ja, aber die Neugierde muss da sein. Sie ist<br />
unerlässlich. Stichwort: Welchen Weg muss ich<br />
vorher gehen, wie muss ich vorbereitet sein?<br />
DW Das Ziel ist doch das Öffnen von Dingen.<br />
MB Ja, und eine Lustabschöpfung.<br />
AK Die Vorahnung muss gedrückt werden, die<br />
können wir nicht gebrauchen.<br />
DW Das Erreichen des Einzelnen ist Sinn der Musik,<br />
das Durchdringen des Individuums. Gelingt<br />
dies, erreichst Du über den gemeinschaftlichen<br />
Austausch nach dem Konzert den Mehrwert – wie<br />
war die Wahrnehmung, was hat man gefühlt oder<br />
banaler: gut oder schlecht. Der Zustand nach<br />
dem Konzert ist ein anderer als zuvor. Musik war<br />
aus ihrer Historie immer gemeinschaftlich gedacht,<br />
sowohl im Musizieren als auch im Erleben.<br />
HE Jawohl, eine Kunst, die ihre Gemeinschaft<br />
verliert, verliert sich selbst!<br />
AK Ich bin auch für kritische Töne: Es muss auch<br />
Fragestellungen und nicht nur Rezepte für die<br />
Kultur geben – und die Musikgestaltung.<br />
DW Kultur und Kunst implizieren immer ein potenzielles<br />
Scheitern.<br />
AK Die Leute aus der Wirtschaftsecke kennen das<br />
nicht. Man ist da, wo man ist, weil man Fehler<br />
gemacht hat – das macht die Genese eines Künstlers<br />
aus, auch meine.<br />
MB Das macht Kunst aus: Die Akzeptanz des<br />
»Ist es<br />
die Blödheit,<br />
nichts mehr<br />
selbstständig<br />
an Fantasie<br />
entwickeln<br />
zu können?«<br />
Scheiterns muss wieder mehr gefördert werden,<br />
um Neues, um Besseres zu erreichen. Kunst und<br />
Musik sind ein perfektes Probierfeld dafür.<br />
DW Für mich heißt dies: Das Publikum<br />
als bestes Probierfeld fürs<br />
Scheitern, sehr schön.<br />
HE Die Krise der Musik kann<br />
nur insoweit überwunden werden,<br />
als sich die Musik an der Liquidierung<br />
der großen gesellschaftlichen<br />
Weltkrise beteiligt.*<br />
AK Zumindest kann Musik eine<br />
Rettungskraft sein und die Utopie einer<br />
möglicherweise besseren oder<br />
anderen Gesellschaft generieren.<br />
* siehe Seite 86<br />
<strong>Spielzeit</strong><br />
Eröffnung<br />
Samstag<br />
19. September<br />
<strong>2015</strong><br />
ab 15 Uhr<br />
Rudolf-Oetker-Halle<br />
Freuen Sie sich auf ein Fest für Leib und Seele:<br />
Ab 15 Uhr eröffnen wir die neue <strong>Spielzeit</strong> gemeinsam<br />
mit den Jungen Sinfonikern. Erleben Sie einen<br />
Spätsommertag voller Musik – ein Fest für Jung<br />
und Alt, bei welchem auch das leibliche Wohl nicht<br />
zu kurz kommt. Verpassen Sie auch nicht das<br />
Abschlusskonzert um 19 Uhr.<br />
George Gershwin Rhapsody in Blue<br />
George Gershwin An American in Paris<br />
Kurt Weill Die sieben Todsünden<br />
Maurice Ravel Bolero<br />
Gesang Melanie Kreuter<br />
Leitung Alexander Kalajdzic<br />
In Zusammenarbeit mit den Jungen Sinfonikern<br />
Kammermusik mit Ensembles der <strong>Bielefelder</strong> <strong>Philharmoniker</strong>