04.06.2015 Aufrufe

Ornamente der Fassade

ISBN 978-3-86859-233-7

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84 Vom 19. Jahrhun<strong>der</strong>t zur Postmo<strong>der</strong>ne 85<br />

wegen seiner Dreiecksform an abstrahierte Koniferen erinnert. Darüber hinaus<br />

gewinnt das Wohnhaus durch ein warmes Farbschema auf <strong>der</strong> Grundlage von<br />

Rot-, Gelb- und Blautönen eine orientalische Anmutung. Die Villa Fallet ist in<br />

eine von Curtis als »Nationalromantik« bezeichnete architektonische Richtung<br />

einzuordnen, die zwischen 1890 und 1910, teils bis in die 1920er Jahre, oft<br />

abstrahierte Anspielungen auf nationale Themen, lokale Vegetation und Geologie<br />

in den Mittelpunkt stellte und teilweise mit exotischen Motiven kombinierte.<br />

401 Sicherlich auch aufgrund seiner Ausbildung bei Charles L’Eplattenier,<br />

<strong>der</strong> seine Schüler auch im Ornamentzeichnen unterrichtete 402 , war Le Corbusier<br />

von <strong>der</strong> zusammenführenden und sinngeladenen Wirkung von <strong>Ornamente</strong>n<br />

überzeugt, wie er 1960 in seiner autobiographischen Schrift Creation Is a<br />

Patient Search betonte: »Decoration is a debatable topic, but ›ornament‹ pure<br />

and simple is a thing of significance; it is a synthesis, the result of a process of<br />

putting together.« 403 In vielen seiner Bauten ließ er sich von den außereuropäischen<br />

Kulturen, insbeson<strong>der</strong>e von <strong>der</strong> islamischen Kultur, anregen, wobei sich<br />

die Formanleihen, mit Ausnahme seines Erstlingswerkes, <strong>der</strong> Villa Fallet, eher<br />

auf die architektonische Gesamtform als auf ornamentale Details beziehen. So<br />

lässt sich ein formalästhetischer Bogen schlagen vom plastisch geformten, weiß<br />

verputzten Baukörper <strong>der</strong> Wallfahrtskirche von Ronchamp (1950-1955) zu <strong>der</strong><br />

Sidi Ibrahim-Moschee bei El Ateuf in Algerien. 404 Das weitgehend verschlossene<br />

Äußere <strong>der</strong> Kirche mit den unregelmäßig verteilten Lichtschlitzen erinnert<br />

auch an die nordafrikanische Kasbah-Architektur, die Le Corbusier sehr schätzte.<br />

Referenzen zur islamischen Architektur und <strong>der</strong>en urbanen Formen finden<br />

sich bereits ab 1915 in seinen Schriften und Bauten. Sie können unter an<strong>der</strong>em<br />

zurückgeführt werden auf seine Orient-Reise im Jahr 1911, die sich von Osteuropa<br />

kommend auf Istanbul und das westliche Kleinasien beschränkte. 405 Als<br />

junger Architekt hatte Le Corbusier nicht nur ausgiebig Europa und Kleinasien<br />

bereist, son<strong>der</strong>n in den 1920er Jahren auch eine Vortragsreise durch Lateinamerika<br />

unternommen, wobei er sich länger in Rio de Janeiro, Buenos Aires und<br />

Montevideo aufhielt. Der ab den 1930er Jahren zu beobachtende Wandel seines<br />

Formenvokabulars hängt mit dieser Reise zusammen, auf <strong>der</strong> er organische Formen<br />

und einfache Materialien entdeckte. 406 Trotz <strong>der</strong> eigenen Anschauung vor<br />

Ort war Le Corbusiers Einstellung zur autochthonen, außereuropäischen Architektur<br />

weiterhin vom schwärmerischen Orientalismus des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts und<br />

den Macht- und Aneignungsgesten <strong>der</strong> Kolonialzeit beeinflusst. 407<br />

Ein regionaler o<strong>der</strong> interkultureller Bezug ist bei den Vertretern <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne<br />

eher formalästhetisch motiviert als inhaltlich rückgebunden, so vermutlich auch<br />

bei den vier Wohnhäusern, die Frank Llyod Wright zwischen 1920 und 1924 in<br />

Los Angeles und Pasadena nach dem von ihm entwickelten textile-block-system<br />

errichten ließ (Abb. 1). Mit <strong>der</strong> reliefartigen Oberflächenornamentierung <strong>der</strong><br />

vorfabrizierten Betonwerksteine knüpfte Wright an die präkolumbische Kunstund<br />

Architekturtradition an, insbeson<strong>der</strong>e an die in Stein gehauenen, in ihrer<br />

Serialität, Symmetrie und Symbolik ornamentalen Reliefs und Glyphen <strong>der</strong><br />

Maya (Abb. 2). 408 Die Vermutung liegt nahe, dass die Motivwahl mit <strong>der</strong> geographischen<br />

Nähe zu Mexiko zusammenhängt; ein spezifischer Bezug o<strong>der</strong> eine<br />

individuelle Vorliebe des Architekten bzw. seiner Auftraggeber ist jedoch nicht<br />

überliefert.<br />

Wie Gerd Zimmermann herausstellte, macht das Beispiel The International<br />

Style deutlich, dass <strong>der</strong> »vorgebliche Universalismus <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne« nur »ein<br />

verkappter Eurozentrismus« war, <strong>der</strong> »ziemlich klar längs <strong>der</strong> Machtstrukturen<br />

des europäischen Kolonialismus verlief« 409 , indem er die westliche Kultur zum<br />

Maßstab erhob. Die Mo<strong>der</strong>ne entpuppt sich – so Bernd Nicolai – nicht als »Stilbegriff«,<br />

son<strong>der</strong>n als eine »sozialhistorisch determinierte Epochenklassifikation«,<br />

hinter <strong>der</strong> sich ein »spezifisch westeuropäisches Gesellschaftsmodell« verbirgt,<br />

das heute in Anbetracht <strong>der</strong> Globalisierung mehr denn je »auf dem Prüfstand«<br />

stehen muss. 410 Dass sich mo<strong>der</strong>ne Architekten wie Le Corbusier o<strong>der</strong> Wright<br />

<strong>der</strong> eurozentrischen Grundausrichtung zum Trotz aus dem Formen-, Materialund<br />

Ornamentschatz außereuropäischer Kulturen inspirieren ließen, bestätigt<br />

die kulturenübergreifende Wirksamkeit und Relevanz von Architektur, die mit<br />

<strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne ab den späten 1970er Jahren auf theoretischer wie praktischer<br />

Ebene, hier insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> <strong>Fassade</strong>ngestaltung mit Hilfe von Bild, Schrift<br />

und Ornament, stärker ins Blickfeld rückte.<br />

Postmo<strong>der</strong>ne<br />

1960er und 1970er Jahre – Abkehr vom Funktionalismus<br />

Der deutsche Philosoph Ernst Bloch (1885-1977) setzte sich in seinem Hauptwerk<br />

Das Prinzip Hoffnung, geschrieben im amerikanischen Exil zwischen 1938<br />

und 1947, kritisch mit <strong>der</strong> funktionalistischen Architektur des ersten Jahrhun<strong>der</strong>tdrittels<br />

auseinan<strong>der</strong> und streifte dabei auch die Ornamentthematik: »Seit<br />

über einer Generation stehen [...] diese Stahlmöbel-, Betonkuben-, Flachdach-<br />

Wesen geschichtslos da, hochmo<strong>der</strong>n und langweilig, scheinbar kühn und echt<br />

trivial, voll Haß gegen die Floskel angeblich jedes Ornaments und doch mehr<br />

im Schema festgerannt als je eine Stilkopie im schlimmen 19. Jahrhun<strong>der</strong>t.« 411<br />

Aufgrund ihrer Vorliebe für formale Reduktion und Klarheit sei die mo<strong>der</strong>ne<br />

Architektur »ewig funktionelle« Oberfläche, wobei sie »auch in größter Durchsichtigkeit<br />

keinen Inhalt zeig[e], kein Ausschlagen und keine ornamentbildende<br />

Blüte eines Inhalts«. 412 Während in Deutschland das Ornament in <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Architektur als nationalpolitisches Symbol instrumentalisiert

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