Ornamente der Fassade
ISBN 978-3-86859-233-7
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200 Zeitgenössische <strong>Ornamente</strong> 201<br />
Tätigkeit von Seiten <strong>der</strong> Betrachter an. Dank technomedialer Neuerungen,<br />
vor allem im Bereich <strong>der</strong> Medienfassaden, kann dieses Potenzial von Schrift-<br />
<strong>Ornamente</strong>n in Richtung Interaktivität und Partizipation signifikant ausgebaut<br />
werden. 750 Dadurch, dass die Schrift-<strong>Ornamente</strong> oftmals nicht auf einen Blick<br />
und von einem Standort aus zu erfassen sind, sind sie mehr als ein beliebig austauschbares<br />
Attribut; sie werden zu einem emblematischen Text-Bild. Kirsten<br />
Win<strong>der</strong>lich betont mit ihrer Wortneuschöpfung »Sprachwerke« diesen weiten<br />
Überschneidungsspielraum von Schrift, Kunst und Bild. Die »Sprachwerke«<br />
könnten, so Win<strong>der</strong>lich, »sowohl als Text gelesen als auch als Bild« betrachtet<br />
werden und zeichnen sich »durch ihre vielfältigen Wechselwirkungen in Bezug<br />
auf den Raum« aus. 751<br />
Bil<strong>der</strong> – De- und Neukontextualisierung<br />
Die in <strong>der</strong> Architektur enthaltenen o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Architektur ausgelösten Bil<strong>der</strong><br />
sind oft innere Bil<strong>der</strong>, Bil<strong>der</strong> mit einem breiten Assoziationsspielraum, die in<br />
ständigem Austausch mit den im Alltag und <strong>der</strong> Kunst zirkulierenden Bil<strong>der</strong>n,<br />
Bildmotiven, bildnerischen Strategien und Materialien stehen. Antoine Picon<br />
geht daher von einem »fluiden Zustand des architektonischen Bildes« aus, das<br />
nur funktioniere, wenn es »sozusagen in Richtung an<strong>der</strong>er Bil<strong>der</strong>« fließe. 752 Architektur<br />
»als kulturelle Praktik« 753 befasse sich, so Picon, nicht mit einer »rein<br />
künstlerischen Imagination«, son<strong>der</strong>n eher »mit einer sozial regulierten Form<br />
von Imagination«, einer »sozialen Imagination«, die aus den »allen gemeinsamen<br />
Bil<strong>der</strong>n« heraus entstehe, sich somit gleichermaßen aus Bil<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Alltagsund<br />
Medienwelt wie <strong>der</strong> bildenden Künste speise. 754<br />
Durch die neue Offenheit für ornamentale <strong>Fassade</strong>n- und auch Innenraumgestaltungen<br />
755 intensivierte sich die Verbindung von Architektur und Kunst<br />
in den letzten Jahren dahingehend, dass immer häufiger Kooperationen zwischen<br />
bildenden Künstlern o<strong>der</strong> Medienkünstlern und Architekten realisiert<br />
werden: Nieto Sobejano Arquitectos arbeiteten bei <strong>der</strong> <strong>Fassade</strong>ngestaltung des<br />
Kongresszentrums in Mérida mit <strong>der</strong> Madri<strong>der</strong> Bildhauerin Esther Pizarro zusammen;<br />
Neutelings Riedijk kooperierten bei <strong>der</strong> Hilversumer Bil<strong>der</strong>fassade<br />
mit dem Graphiker Jaap Drupsteen und Herzog & de Meuron zogen bei <strong>der</strong><br />
<strong>Fassade</strong>ngestaltung <strong>der</strong> FH-Bibliothek in Eberswalde den Photo-Künstler Thomas<br />
Ruff heran. 756 Auch wenn im Ornament die künstlerische Qualität eines<br />
architektonischen Entwurfsprozesses zum Ausdruck kommt, sind die Inspirationen<br />
aus künstlerischen Strategien oft nicht klar von an<strong>der</strong>en, architektonischen<br />
Entscheidungen zu trennen. Sie werden von den Architekten auch nicht<br />
immer benannt, so dass im Hinblick auf Herkunft und Art <strong>der</strong> künstlerischen<br />
Anteile oftmals viel Raum für Spekulationen bleibt.<br />
Der Integration von Bil<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> bildkünstlerischen Materialien und Verfahrensweisen<br />
in <strong>Fassade</strong>n geht von Architektenseite oft eine generelle Affinität<br />
zum Bild bzw. zu den bildenden Künsten voraus, so bei Herzog & de Meuron,<br />
<strong>der</strong>en Vorstellung von Architektur sich nach eigener Aussage in erster Linie aus<br />
Bil<strong>der</strong>n, insbeson<strong>der</strong>e aus Filmbil<strong>der</strong>n, formierte. 757 Viele ihrer <strong>Fassade</strong>n beruhen<br />
auf dem Streben, einem »bekannten Baustoff eine bildhafte Schicht hinzuzufügen«<br />
758 . Von Beginn ihres gemeinsamen Bauschaffens 1978 an absorbierten<br />
Jacques Herzog und Pierre de Meuron Ideen und Strategien aus <strong>der</strong> Kunst<br />
und transformierten diese für den architektonischen Kontext. 759 Seit Ende <strong>der</strong><br />
1980er Jahre kooperieren sie bei vielen ihrer Bauprojekte in <strong>der</strong> <strong>Fassade</strong>ngestaltung,<br />
<strong>der</strong> Farbkonzeption o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gestaltung des Inneren mit meist befreundeten<br />
bildenden Künstlern, wobei die ornamentale Komponente dabei unterschiedlich<br />
stark ausgeprägt war. 760 Seit 1989 arbeiteten sie mit Rémy Zaugg<br />
zusammen, so bei dem Roche-Pharma-Forschungsgebäude in Basel (2000)<br />
und bei dem Innenstadtprojekt Fünf Höfe mit Restaurants, Läden und Büros<br />
in München (2003). Ende <strong>der</strong> 1990er Jahre zogen sie bei dem Neubau von<br />
Ricola in Laufen für die Innenraumgestaltung Rosemarie Trockel und Adrian<br />
Schiess heran und entwarfen die Bil<strong>der</strong>-<strong>Fassade</strong> <strong>der</strong> FH-Bibliothek in Eberswalde<br />
gemeinsam mit Thomas Ruff, das Farbkonzept für das Laban Dance Centre<br />
in London erarbeiteten sie mit Michael Craig-Martin (1997-2003). 761 Herzog<br />
& de Meurons architektonische Arbeitsweise ist, auch was das Bedürfnis nach<br />
Systematisierung und Dokumentation <strong>der</strong> eigenen Schaffensprozesse anbelangt,<br />
stark künstlerisch ausgerichtet. Wie viele Künstler, etwa Gerhard Richter<br />
762 , ihre Kunstwerke nummerieren, so erhalten alle Entwürfe und Bauten<br />
sowie alle Ausstellungen von Herzog & de Meuron eine Projektnummer. Sie<br />
nutzen Ausstellungen seit den späten 1980er Jahren neben einem Einblick in<br />
ihre Arbeitsweise und einer Werkschau auch – womit sie in <strong>der</strong> Architekturbranche<br />
Vorreiter sind – als Experimentalraum für die Fortentwicklung von<br />
Entwurfs- und baupraktischen Strategien. Ihre erste Ausstellung Architektur<br />
Denkform im Schweizerischen Architekturmuseum in Basel 1988 kam so einem<br />
Testlauf gleich für die Möglichkeiten <strong>der</strong> bildlichen Darstellung auf <strong>der</strong><br />
<strong>Fassade</strong>, denn die Architekten applizierten Photographien ihrer Gebäude per<br />
Siebdruck raumhoch auf die Glasscheiben <strong>der</strong> Museumsfassade – eine Technik,<br />
die in den Folgejahren unter Verwendung an<strong>der</strong>er Motive und in abgewandelter<br />
Form bei mehreren ihrer Bauten zur Anwendung kommen sollte. 763 Nichtsdestodestoweniger<br />
plädieren Herzog & de Meuron nach wie vor, im Konsens<br />
mit den Künstlern, mit denen sie zusammenarbeiten, etwa Rémy Zaugg, Thomas<br />
Ruff und Jeff Wall, für die Unabhängigkeit <strong>der</strong> Gattungen. 764 Architektur<br />
gilt zwar als eine Kunstform, doch sind <strong>der</strong> künstlerischen Freiheit des Architekten<br />
gegenüber dem Künstler dadurch engere Grenzen gesetzt, dass er eine