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Ornamente der Fassade

ISBN 978-3-86859-233-7

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268 Zeitgenössische <strong>Ornamente</strong> 269<br />

<strong>Ornamente</strong> stellen eine ebenso traditions- wie variationsreiche Möglichkeit dar,<br />

<strong>Fassade</strong>n – in den eingangs zitierten Worten des antiken Architekten Eupalinos<br />

nach Paul Valéry – »sprechen« o<strong>der</strong> »singen« zu lassen. Beim »Sprechen« findet<br />

auf sachliche o<strong>der</strong> narrative Weise die Vermittlung konkreter Inhalte statt o<strong>der</strong><br />

es werden künstlerisch-abstrakte Assoziationen transportiert. Dabei kann zum<br />

Beispiel auf die Gebäudefunktion o<strong>der</strong> die ortsspezifische Geschichte verwiesen<br />

werden. Beim »Singen« wird über den sinnlich-emotionalen Ausdruck eine Faszination<br />

<strong>der</strong> Wahrnehmung geschaffen. Beides kann fließend ineinan<strong>der</strong> übergehen<br />

und einen von Fall zu Fall unterschiedlich großen Interpretationsspielraum<br />

eröffnen. Formalästhetisch korrespondieren »sprechen« und »singen« mit<br />

<strong>der</strong> etymologisch herleitbaren doppelten Funktion des Architekturornaments,<br />

zu »ordnen« (lat. ordinare) und zu »schmücken« (lat. ornare), zu strukturieren<br />

und zu rhythmisieren.<br />

Der Rhythmus verbindet die Architektur allgemein und ihre Ornamentik im<br />

Beson<strong>der</strong>en 1019 mit Musik und Poesie. So parallelisierte <strong>der</strong> Schriftsteller, Zeichner<br />

und Maler Robert Gernhardt (1937-2006) in seinen posthum publizierten<br />

Privat-Notizen 2005 das Ornament in <strong>der</strong> Architektur mit dem Reim in <strong>der</strong><br />

Lyrik. Beiden »Künsten« sei »um die Jahrhun<strong>der</strong>twende mit moralischen Maßstäben<br />

zu Leibe gerückt« worden, in Folge <strong>der</strong>er sie durch sachlich-puristische<br />

Ausdrucksweisen ersetzt wurden. Gernhardts For<strong>der</strong>ung an die Poesie, sie solle<br />

dem menschlichen »Bedürfnis nach Reiz, Glanz und Bedeutung [<strong>der</strong> Wörter]«<br />

nachkommen, lässt sich auch auf die Architektur, auf Gebäude und <strong>Fassade</strong>n,<br />

übertragen. »Das Bedürfnis nach Krach und Wonne, sprich Reiz und Suggestion«<br />

hat dabei, Gernhardt zufolge, seit dem Beginn des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts »nicht<br />

ab-, son<strong>der</strong>n mit Sicherheit zugenommen«. 1020 Der »Reiz« aktueller Architektur-<strong>Ornamente</strong><br />

liegt in einer erhöhten visuellen Attraktion im Zuge materialund<br />

fertigungstechnischer Neuerungen. Ihr »Glanz« verstärkt die sinnlichatmosphärische<br />

Wirkung von Architektur, entspricht aber auch dem für die<br />

heutige Zeit charakteristischen, oftmals kommerziell motivierten Streben nach<br />

Ereignis (»Event«): Ein Gebäude »glänzt« mit <strong>Ornamente</strong>n, die es aus seiner<br />

Umgebung hervortreten lassen und so dem branding von Institution, Nutzer<br />

und Architekt dienen. Quasi-theatrale Inszenierungen von Architektur erfüllen<br />

– insbeson<strong>der</strong>e im Rahmen eines Event-Tourismus – das Bedürfnis nach<br />

Emotion, Atmosphäre und Ereignis, wobei die <strong>Fassade</strong> als Hauptbühne des<br />

Ornaments dient. Die »Bedeutung« von Architektur-<strong>Ornamente</strong>n liegt schließlich<br />

in ihren kommunikativen Eigenschaften und ihrem Potenzial, kulturelle<br />

Bezüge herzustellen und zu Identitätsbildung beizutragen. Beson<strong>der</strong>s den beiden<br />

von Gernhardt angeführten Aspekten »Reiz« und »Glanz« stehen die Bedie<br />

sich effektvoll im nahen Fluss spiegeln (Abb. 129). Dabei stellen die einzelnen<br />

Waben die Pixel eines digital erzeugten Graustufen-Bildes dar, das sich<br />

mit einer Geschwindigkeit von 20 Lichtwechseln pro Sekunde verän<strong>der</strong>n kann<br />

und je nach Bereich unterschiedlich stark aufgelöst wird. 1018 Bei <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Bespielung sollen insbeson<strong>der</strong>e vor Ort arbeitende Künstler einbezogen werden.<br />

Struktur und Inhalt <strong>der</strong> Medienoberfläche korrelieren – wie auch bei <strong>der</strong> BIX-<br />

<strong>Fassade</strong> – mit <strong>der</strong> Architektur und beziehen sich auf das räumliche Gesamtkonzept<br />

und die Funktion des Gebäudes. Indem die Formensprache auf die lokale<br />

Ornamenttradition verweist und zugleich mo<strong>der</strong>ne, digitale Darstellungs- und<br />

Wahrnehmungsweisen vorführt, ermöglicht die Architektur auch eine Reflexion<br />

über die Entstehung, Festigung und Verän<strong>der</strong>ung kultureller Identitätsvorstellungen.<br />

Zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Tradition und Innovation<br />

vermittelnd, ist das Medienkunstzentrum in Córdoba somit in mehrfacher<br />

Hinsicht wegweisend für eine technisch wie inhaltlich komplexe Fortentwicklung<br />

des architektonischen Ornaments im 21. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />

Schlussbetrachtung

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