04.06.2015 Aufrufe

Ornamente der Fassade

ISBN 978-3-86859-233-7

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Gegenwärtiger Diskurs<br />

»Man hat sich nur dessen zu erinnern, dass das Schmückende, das Dekorative,<br />

seinem ursprünglichen Sinne nach das Schöne schlechthin ist.« 17<br />

Begriff des Ornaments<br />

Hans-Georg Gadamer: Hermeneutik I. Wahrheit und Methode.<br />

Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (1960)<br />

Definition und Abgrenzung – Ornament, Dekor, Muster<br />

Ornament und Ornamentik, Dekor und Dekoration, Verzierung, Zierrat,<br />

Muster, Musterung, Schmuck und Ausschmückung – diese Wortreihe bildet<br />

zwar ein- und dasselbe Bedeutungsfeld und die einzelnen Begriffe werden<br />

austauschbar verwendet, dennoch sind sie im Zusammenhang mit Architektur<br />

jeweils unterschiedlich konnotiert. Das dem Ornament spätestens seit<br />

dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t inhärente begriffliche Verwirrungspotenzial erschwert<br />

eine mo<strong>der</strong>ne, »kritische Theorie des Ornaments«, wie sie 1993 Gérard Raulet<br />

und Burghart Schmidt in dem gleichlautenden Aufsatzband for<strong>der</strong>ten. Dem<br />

Ornament-Begriff haftet eine beträchtliche Unschärfe an, so dass im gegenwärtigen<br />

Diskurs <strong>der</strong> Versuch einer Ornament-Definition wie<strong>der</strong>holt für<br />

überflüssig erklärt wird, da sich das Ornament einer starren Kategorisierung<br />

und Fassbarkeit entziehe. Kent Bloomer begründet zu Beginn seines Buches<br />

Nature of Ornament. Rhythm and Metamorphosis in Architecture 2000 seine<br />

Zurückhaltung im Hinblick auf eine Definition des Ornaments mit dessen<br />

Nähe zur ebenso schwer definierbaren Kunst: »I do not try to define ornament,<br />

because a ›definition‹ would be too limiting for a term that alludes to<br />

an art form.« 18 In Nachfolge von Owen Jones und Alois Riegl begreift Bloomer<br />

das Ornament als eine »Kunstform«, die we<strong>der</strong> den bildenden Künsten<br />

zuzuordnen noch »simply a decorative art« sei, auch wenn es letzterer unfraglich<br />

sehr nahe stehe; es sei, so Bloomer, eine »category of art onto itself, a<br />

legacy with its own vocabulary and typology«. 19 Der Londoner Kulturkritiker<br />

und Architekturhistoriker Mark Cousins bezeichnet das Ornament als »ein<br />

›Etwas‹ «, »das sich nicht anbinden o<strong>der</strong> definieren« lässt. 20 Ingeborg Flagge,<br />

Architekturkritikerin und ehemalige Direktorin des Deutschen Architekturmuseums<br />

in Frankfurt am Main, vertritt ein sehr ausgeweitetes Ornament-<br />

Verständnis, wonach das Ornament nicht nur »gewohnte Schmuckformen<br />

und Dekor« umfasst, son<strong>der</strong>n vielmehr den »Reichtum in <strong>der</strong> Architektur,<br />

alles, was sie interessant« macht. 21<br />

Im Rückblick auf die Ornamentproblematik in <strong>der</strong> Architekturgeschichte,<br />

die bis zu Vitruvs ornamentum-Begriff 22 zurückverfolgt werden kann, lassen<br />

sich jenseits definitorischer Fragen im Wesentlichen zwei parallel existierende<br />

Haltungen zum Ornament unterscheiden: Einerseits wird es als integraler<br />

Bestandteil <strong>der</strong> Architektur verstanden, dem Bedeutung und künstlerische<br />

Eigenständigkeit zuerkannt werden. An<strong>der</strong>erseits gilt das Ornament als nachträglich<br />

hinzugefügt und rein schmückend, somit von Gesamtform und Konstruktion<br />

unabhängig, »als die Akzidenz zur Substanz« 23 . Bei dieser Position,<br />

die sich seit <strong>der</strong> Renaissance abzeichnete 24 und seit dem 18. Jahrhun<strong>der</strong>t bis<br />

in die 1950er Jahre im abendländischen Kulturraum dominierte, schwingt<br />

meist eine latent diffamierende Wertung mit, da impliziert wird, das Ornament<br />

sei funktional nicht notwendig. Raulet und Schmidt zufolge begann die<br />

Ablehnung des Ornaments mit <strong>der</strong> Aufklärung und »<strong>der</strong> Geburt <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

philosophischen Ästhetik« 25 im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t. Die Anbindung an das<br />

Bauwerk, das heißt an dessen Konstruktion, Gesamtkonzept und Material,<br />

hat sich mit dem moralisch-ideologisch aufgeladenen Ornamentdiskurs <strong>der</strong><br />

Mo<strong>der</strong>ne als Qualitätsmerkmal des Architektur-Ornaments etabliert und<br />

rechtfertigt seinen Gebrauch. »Richtig ist das Ornament, wenn es einen Bezug<br />

zum Objekt hat. Falsch ist es, wenn es überflüssig ist. Abzulehnen ist es,<br />

wenn es materialwidrig ist.« 26 So unterscheiden auch Koepf und Binding in<br />

ihrem Standardwerk, dem Bildwörterbuch <strong>der</strong> Architektur ( 3 1999), in einer rein<br />

historisch ausgerichteten Definition des »Bauornaments« – worunter »allgemein<br />

jedes Schmuck- o<strong>der</strong> Zierglied (Ornament) an Werken <strong>der</strong> Baukunst« zu<br />

verstehen sei – zwei Gruppen »nach ihrer Herkunft«: Diejenigen <strong>Ornamente</strong>,<br />

die »ausschließlich o<strong>der</strong> überwiegend am Bau vorkommen, weil sie struktiven<br />

Bauglie<strong>der</strong>n nachgebildet o<strong>der</strong> aus ihnen entwickelt, o<strong>der</strong> überhaupt am Bau<br />

entstanden sind« (wie das gotische Maßwerk) und jene, »die auch in an<strong>der</strong>en<br />

Kunstgattungen (zum Beispiel <strong>der</strong> Buchmalerei, Töpferei, dem Möbelbau,<br />

<strong>der</strong> Goldschmiede- und Textilkunst) gebräuchlich sind« und von dort in die<br />

Architektur übertragen werden. 27 Das Bauornament weist »eine kanonische<br />

Anwendungstradition« 28 auf, die von den antiken Säulen über Gebälk- und<br />

Fensterschmuck bis hin zur flächigen, malerischen Anwendung reicht. In <strong>der</strong><br />

Barockzeit emanzipierte sich das Ornament von seinen Trägern und wurde als<br />

autonome Kunstform verstanden, wozu insbeson<strong>der</strong>e die Rokoko-Ornamentik<br />

mit <strong>der</strong> Rocaille als Hauptform beitrug. 29 Das Verständnis des Ornaments<br />

als eigenständige Kunstgattung wurde in <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

von Theoretikern wie Gottfried Semper und Alois Riegl forciert. 30 Der<br />

Architekt und Designer Wolfgang von Wersin bezeichnete in seinem Buch<br />

Das elementare Ornament und seine Gesetzlichkeit von 1940 das Ornament als<br />

einen »Zweig <strong>der</strong> Kunst«, wenn auch nicht als »freie Kunst«, da es stets »an

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