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The Red Bulletin November 2014 - DE

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EEs<br />

war an einem Freitag, dem Dreizehnten<br />

(im Oktober 2006), an dem das Leben des<br />

Roberto Saviano eine brutale Wendung<br />

nahm. Der italienische Journalist saß im<br />

Zug von Pordenone im Friaul nach Neapel,<br />

als sein Handy klingelte – die Polizei. Die<br />

Carabinieri hatten Nachrichten inhaftierter<br />

Mafiosi abgefangen: Die Camorra-Bosse<br />

verlangten Savianos Tod.<br />

Am Zielbahnhof erwartete ihn bereits<br />

ein Kommando der Sicherheitskräfte.<br />

Seither lebt der heute Fündunddreißigjährige<br />

mit zehn Leibwächtern, die sich<br />

bei seiner Bewachung abwechseln. Wie er<br />

mussten seine Eltern und sein Bruder ihre<br />

Wohnungen verlassen und untertauchen.<br />

Wie er leben auch sie seit acht Jahren<br />

unter Polizeischutz.<br />

Der Grund für all das? Saviano war der<br />

Mafia zu gefährlich geworden.<br />

2006 hatte er den Reportage-Roman<br />

„Gomorra“ veröffentlicht, eine Studie der<br />

Praktiken der neapolitanischen Camorra<br />

– so detailliert und intensiv recherchiert<br />

wie kein Mafia-Buch je zuvor.<br />

Zunächst fühlten sich die Mafiosi<br />

sogar geschmeichelt, verteilten Ausgaben<br />

untereinander. Doch das änderte sich,<br />

als „Gomorra“ in Italien rasend schnell<br />

eine Auflage von 100.000 Exemplaren<br />

erreichte, ausländische Übersetzungen in<br />

Planung waren („Gomorrha“, die deutsche<br />

Übersetzung, erschien 2007; Anm.) – zu<br />

viel Aufsehen für die Herren der „ehrenwerten<br />

Gesellschaft“, von denen einige<br />

Bosse auch namentlich genannt waren.<br />

Inzwischen ist das Buch in 43 Ländern<br />

erschienen. Die Kinoadaption „Gomorrha“<br />

wurde 2008 unter anderem in Cannes<br />

und mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet.<br />

Nun folgt eine gleichnamige<br />

TV-Serie, die die Machtkämpfe in einem<br />

neapolitanischen Clan nachzeichnet und<br />

als „europäische Antwort auf ‚<strong>The</strong> Wire‘“<br />

gefeiert wird. In Italien wurde sie zum<br />

Quotenhit, nun soll sie in rund fünfzig<br />

Ländern ausgestrahlt werden. In deutschsprachigen<br />

Territorien läuft sie seit<br />

10. Oktober auf Sky Atlantic HD.<br />

Der internationale Serienstart ist der<br />

Anlass, weshalb Saviano aus dem Untergrund<br />

auftaucht und für ein Interview<br />

zur Verfügung steht. Doch erst nach<br />

komplizierten Vorbereitungen. Zunächst<br />

wird ein Termin in Rom diskutiert, dann<br />

will der Autor die Fragen schriftlich<br />

beantworten, plötzlich, aus dem Blauen<br />

heraus, eine Mail der Sky-Presseabteilung:<br />

In zwei Tagen wird er in München sein.<br />

Ob man denn Zeit habe?<br />

Selbstverständlich. Doch was ist von so<br />

einem Termin zu erwarten? Als Saviano<br />

letztes Jahr bei einem Journalismus-<br />

Festival in Perugia auftrat, wurde jeder<br />

Besucher nach Waffen abgetastet, der<br />

Saal auf Bomben überprüft. Persönliche<br />

Details bleiben bei Saviano-Interviews<br />

seit Jahren ausgespart: Informationen<br />

zu seiner Familie müssen diffus bleiben,<br />

an manchen Stellen heißt es, dass nur<br />

seine Mutter und sein Bruder mit neuer<br />

Identität umziehen mussten, anderswo ist<br />

von einer Tante die <strong>Red</strong>e, der Vater findet<br />

keine Erwähnung. Von einer Partnerin –<br />

sollte er eine haben – hört man aber nie.<br />

Der erste journalistische Reflex wäre:<br />

nachzubohren. Aber ist das sinnvoll?<br />

Würde er darauf antworten? Und falls ja<br />

– sollte ein journalistischer Text Anhaltspunkte<br />

für potentielle Killer liefern?<br />

Auch das Ambiente unseres Gesprächs<br />

hat etwas Unwirkliches an sich. Münchens<br />

Innenstadt ist halb abgesperrt – ironischerweise<br />

für einen Volkslauf. Die Gänge von<br />

Savianos Hotel, dem Bayerischen Hof, sind<br />

menschenleer. Nur auf dem Flur der für<br />

das Interview vorgesehenen Suite stehen<br />

zwei Anzugträger mit dem unverkennbarem<br />

Körperbau von Bodyguards.<br />

Das Zielobjekt selbst wirkt dann gar<br />

nicht wie ein Mann, dessen Leben jede<br />

Sekunde zu Ende sein könnte: fokussierter<br />

Blick, auf dem Gesicht ein Ausdruck<br />

von sanfter Entspanntheit, bedächtige<br />

Bewegungen, ruhige Stimme.<br />

Doch das Bild trügt.<br />

„Ich fühle mich, als wäre ich innerlich<br />

in Stücke zerschlagen worden“, sagt<br />

Saviano gleich zu Beginn unseres Gesprächs,<br />

unverändert ruhige Miene. „Ich<br />

mache zwar viel Fitness. Das hilft. Aber<br />

ich vermisse meine vertraute Umgebung,<br />

meine Büchersammlung. Ständig wache

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