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EEs<br />
war an einem Freitag, dem Dreizehnten<br />
(im Oktober 2006), an dem das Leben des<br />
Roberto Saviano eine brutale Wendung<br />
nahm. Der italienische Journalist saß im<br />
Zug von Pordenone im Friaul nach Neapel,<br />
als sein Handy klingelte – die Polizei. Die<br />
Carabinieri hatten Nachrichten inhaftierter<br />
Mafiosi abgefangen: Die Camorra-Bosse<br />
verlangten Savianos Tod.<br />
Am Zielbahnhof erwartete ihn bereits<br />
ein Kommando der Sicherheitskräfte.<br />
Seither lebt der heute Fündunddreißigjährige<br />
mit zehn Leibwächtern, die sich<br />
bei seiner Bewachung abwechseln. Wie er<br />
mussten seine Eltern und sein Bruder ihre<br />
Wohnungen verlassen und untertauchen.<br />
Wie er leben auch sie seit acht Jahren<br />
unter Polizeischutz.<br />
Der Grund für all das? Saviano war der<br />
Mafia zu gefährlich geworden.<br />
2006 hatte er den Reportage-Roman<br />
„Gomorra“ veröffentlicht, eine Studie der<br />
Praktiken der neapolitanischen Camorra<br />
– so detailliert und intensiv recherchiert<br />
wie kein Mafia-Buch je zuvor.<br />
Zunächst fühlten sich die Mafiosi<br />
sogar geschmeichelt, verteilten Ausgaben<br />
untereinander. Doch das änderte sich,<br />
als „Gomorra“ in Italien rasend schnell<br />
eine Auflage von 100.000 Exemplaren<br />
erreichte, ausländische Übersetzungen in<br />
Planung waren („Gomorrha“, die deutsche<br />
Übersetzung, erschien 2007; Anm.) – zu<br />
viel Aufsehen für die Herren der „ehrenwerten<br />
Gesellschaft“, von denen einige<br />
Bosse auch namentlich genannt waren.<br />
Inzwischen ist das Buch in 43 Ländern<br />
erschienen. Die Kinoadaption „Gomorrha“<br />
wurde 2008 unter anderem in Cannes<br />
und mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet.<br />
Nun folgt eine gleichnamige<br />
TV-Serie, die die Machtkämpfe in einem<br />
neapolitanischen Clan nachzeichnet und<br />
als „europäische Antwort auf ‚<strong>The</strong> Wire‘“<br />
gefeiert wird. In Italien wurde sie zum<br />
Quotenhit, nun soll sie in rund fünfzig<br />
Ländern ausgestrahlt werden. In deutschsprachigen<br />
Territorien läuft sie seit<br />
10. Oktober auf Sky Atlantic HD.<br />
Der internationale Serienstart ist der<br />
Anlass, weshalb Saviano aus dem Untergrund<br />
auftaucht und für ein Interview<br />
zur Verfügung steht. Doch erst nach<br />
komplizierten Vorbereitungen. Zunächst<br />
wird ein Termin in Rom diskutiert, dann<br />
will der Autor die Fragen schriftlich<br />
beantworten, plötzlich, aus dem Blauen<br />
heraus, eine Mail der Sky-Presseabteilung:<br />
In zwei Tagen wird er in München sein.<br />
Ob man denn Zeit habe?<br />
Selbstverständlich. Doch was ist von so<br />
einem Termin zu erwarten? Als Saviano<br />
letztes Jahr bei einem Journalismus-<br />
Festival in Perugia auftrat, wurde jeder<br />
Besucher nach Waffen abgetastet, der<br />
Saal auf Bomben überprüft. Persönliche<br />
Details bleiben bei Saviano-Interviews<br />
seit Jahren ausgespart: Informationen<br />
zu seiner Familie müssen diffus bleiben,<br />
an manchen Stellen heißt es, dass nur<br />
seine Mutter und sein Bruder mit neuer<br />
Identität umziehen mussten, anderswo ist<br />
von einer Tante die <strong>Red</strong>e, der Vater findet<br />
keine Erwähnung. Von einer Partnerin –<br />
sollte er eine haben – hört man aber nie.<br />
Der erste journalistische Reflex wäre:<br />
nachzubohren. Aber ist das sinnvoll?<br />
Würde er darauf antworten? Und falls ja<br />
– sollte ein journalistischer Text Anhaltspunkte<br />
für potentielle Killer liefern?<br />
Auch das Ambiente unseres Gesprächs<br />
hat etwas Unwirkliches an sich. Münchens<br />
Innenstadt ist halb abgesperrt – ironischerweise<br />
für einen Volkslauf. Die Gänge von<br />
Savianos Hotel, dem Bayerischen Hof, sind<br />
menschenleer. Nur auf dem Flur der für<br />
das Interview vorgesehenen Suite stehen<br />
zwei Anzugträger mit dem unverkennbarem<br />
Körperbau von Bodyguards.<br />
Das Zielobjekt selbst wirkt dann gar<br />
nicht wie ein Mann, dessen Leben jede<br />
Sekunde zu Ende sein könnte: fokussierter<br />
Blick, auf dem Gesicht ein Ausdruck<br />
von sanfter Entspanntheit, bedächtige<br />
Bewegungen, ruhige Stimme.<br />
Doch das Bild trügt.<br />
„Ich fühle mich, als wäre ich innerlich<br />
in Stücke zerschlagen worden“, sagt<br />
Saviano gleich zu Beginn unseres Gesprächs,<br />
unverändert ruhige Miene. „Ich<br />
mache zwar viel Fitness. Das hilft. Aber<br />
ich vermisse meine vertraute Umgebung,<br />
meine Büchersammlung. Ständig wache