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Alles aus. Alles neu.

Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 02/2012

Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC
Ausgabe 02/2012

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Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC<br />

Ausgabe 02/2012<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>.<br />

<strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

1


<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>.<br />

<strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

Serendipität<br />

Serendipität (engl. serendipity)<br />

bezeichnet eine zufällige Beobachtung<br />

von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem,<br />

das sich als <strong>neu</strong>e und überraschende<br />

Entdeckung erweist. Nylonstrumpf und<br />

Röntgenstrahlen sind nur zwei von vielen<br />

nützlichen Zufallsentdeckungen.<br />

Serendipaceratops wird im Übrigen<br />

ein Dinosaurier genannt, von dessen<br />

Überresten bis heute nur eine<br />

Elle bekannt ist.<br />

Gemeinden in<br />

Österreich<br />

Eine Gemeinde ist die kleinste Form<br />

der territorialen Gliederung des Staatsgebietes.<br />

In ganz Österreich werden derzeit 2.357<br />

Gemeinden gezählt. Seit 1980 (2.300) hat ihre<br />

Zahl um 2,5% leicht zugenommen, seit 1965<br />

(3.931) ist sie jedoch um fast 40% geschrumpft.<br />

Das ist großteils auf Gemeindezusammenlegungen<br />

zurückzuführen. Es verschieben sich jedoch<br />

nicht nur die Gemeindegrenzen, auch die<br />

Bevölkerungszahlen ändern sich: In<br />

30% der Gemeinden (727) ist die<br />

Einwohnerzahl seit 1961<br />

zurückgegangen.<br />

(Quelle: Statistik<br />

Austria)<br />

Schrumpfung<br />

Schrumpfung, das Gegenteil von<br />

Wachstum, wird der Prozess des<br />

kleiner oder weniger Werdens genannt.<br />

Schrumpfen kann in der Natur beobachtet<br />

werden, wenn z. B. der Boden durch Entwässerung<br />

an Volumen abnimmt. Auch der Mensch<br />

schrumpft mit zunehmendem Alter, weil mit<br />

abnehmendem Flüssigkeitsgehalt im Körper auch<br />

das Volumen der Bandscheiben abnimmt. In der<br />

Raumplanung wird Schrumpfungsprozessen<br />

häufig mit Rückbaumaßnahmen von<br />

immer dünner besiedelten oder<br />

verlassenen Regionen<br />

begegnet.<br />

55 Menschen<br />

Betrachtet man die<br />

Gemeindegrößen, so fällt auf, dass<br />

90% der österreichischen Gemeinden<br />

weniger als 5.000 Einwohner zählen.<br />

Die kleinste Gemeinde ist Gramais im<br />

Tiroler Teil des Lechtals mit 55 Bewohnern.<br />

Neun Gemeinden – das sind 0,4% der<br />

Gesamtzahl – haben mehr als 50.000<br />

Einwohner. Der unangefochtene<br />

Spitzenreiter dieser Gruppe ist Wien<br />

mit 1,7 Millionen Menschen.<br />

(Quelle: Österreichischer<br />

Gemeindebund)<br />

Impressum und Offenlegung<br />

Medieninhaber und Her<strong>aus</strong>geber<br />

Österreichischer Automobil-, Motorrad- und Touring Club (ÖAMTC),<br />

Schubertring 1-3, 1010 Wien, Telefon: +43 (0)1 711 99 0<br />

www.oeamtc.at<br />

ZVR-Zahl: 730335108, UID-Nr.: ATU 36821301<br />

Vereinszweck ist insbesondere die Förderung der Mobilität unter<br />

Bedachtnahme auf die Wahrung der Interessen der Mitglieder.<br />

Rechtsgeschäftliche Vertretung<br />

DI Oliver Schmerold, Verbandsdirektor;<br />

Mag. Christoph Mondl, stellvertretender Verbandsdirektor.<br />

Konzept und Gesamtkoordination winnovation consulting gmbh<br />

Chefredaktion Mag. Gabriele Gerhardter (ÖAMTC),<br />

Dr. Gertraud Leimüller (winnovation consulting)<br />

Chefin vom Dienst Silvia Wasserbacher, BA<br />

Beamen<br />

Beamen zu können ist einer<br />

der großen Menschheitsträume.<br />

Beamen, auch Teleportation genannt,<br />

bezeichnet den Transport einer Person oder<br />

eines Gegenstandes von einem Ort zu<br />

einem anderen, ohne dass das Objekt dabei<br />

den dazwischen liegenden Raum durchquert.<br />

Wirklichkeit dürfte diese Art der Mobilität<br />

jedoch noch lange nicht werden. Weil nur<br />

Information, nicht aber Materie gebeamt<br />

werden kann, müssen wir uns<br />

weiterhin physisch<br />

fortbewegen.<br />

Weltuntergang<br />

Weltuntergangszenarien sind so alt<br />

wie die Menschheitsgeschichte. Schon<br />

die Assyrer glaubten um 1500 v. Chr.<br />

an apokalyptische Weissagungen.<br />

In unserer jüngeren Vergangenheit seit dem<br />

Jahr 2000 hätte die Erde bereits 25 Mal<br />

untergehen sollen, zuletzt mit der Inbetriebnahme<br />

des CERN-Teilchenbeschleunigers LHC im Jahr 2008.<br />

Nachdem die Erde von Genf <strong>aus</strong> doch nicht in den<br />

Abgrund gerissen wurde, darf man gespannt auf<br />

den 21.12.2012 warten, das Ende des<br />

Maja-Kalenders, für den auch das<br />

Ende der Welt prognostiziert wird.<br />

Wird es wieder nichts, könnte<br />

es laut Sir Isaac Newton<br />

2060 wieder so<br />

weit sein.<br />

Quantenphysik<br />

Der geistige Vater der Quantenphysik,<br />

Erwin Schrödinger,<br />

sprach von der Quantenmechanik,<br />

Albert Einstein von der Quantentheorie.<br />

Die Begriffe<br />

Quantenphysik, Quantentheorie<br />

und Quantenmechanik werden<br />

heute als Synonym<br />

füreinander<br />

verwendet.<br />

Mitarbeiter dieser Ausgabe Dipl-Bw. Maren Baaz, Mag. Eva Hübner,<br />

Margit Hurich, Mag. (FH) Christian Huter, Mag. Claudia Kesche, Anita Kattinger, Bakk.phil.,<br />

Mag. Konstantin Kouloukakos, Mag. Uwe Mauch, Dr. Daniela Müller, Martin Strubreiter,<br />

Dr. Ruth Reitmeier, Katrin Stehrer, BSc, DI Anna Várdai<br />

Fotos Christoph Wisser<br />

Grafik Design, Illustrationen Drahtzieher Design & Kommunikation, MA Barbara Wais<br />

Korrektorat Christina Preiner, vice-verba<br />

Covermodels Ines Mostböck, Lukas Aigner, Emil Gamauf<br />

Druck Hartpress<br />

Blattlinie Querspur ist das zweimal jährlich erscheinende Zukunftsmagazin des ÖAMTC.<br />

Ausgabe 02/2012, erschienen im Oktober 2012<br />

Download www.querspur.at


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Heute<br />

Ein Kommen und Gehen.<br />

In den vergangenen 140 Jahren sind<br />

viele Verkehrsmittel verschwunden und<br />

einige gekommen. Von Katrin Stehrer<br />

Vier Menschen, vier Wege zu<br />

vier <strong>neu</strong>en Zielen. Wie persönliche<br />

Umbruchssituationen die Mobilität verändern.<br />

Von Uwe Mauch<br />

Große P<strong>aus</strong>e. Die Menschheit sucht<br />

in hohem Tempo das Neue. Vielleicht<br />

ist Innehalten die bessere Strategie.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

Land in Sicht. Über die (Un)Möglichkeit,<br />

schrumpfende Regionen zu<br />

<strong>neu</strong>em Leben zu erwecken.<br />

Von Daniela Müller<br />

Von allem mehr. Ob öffentlicher<br />

Verkehr, Auto oder Rad, der Mensch<br />

nutzt immer mehr Verkehrsmittel<br />

gleichzeitig.<br />

Morgen<br />

Autoindustrie im Umbruch.<br />

Die Autoindustrie durchläuft den<br />

größten Wandel ihrer Geschichte.<br />

Von Martin Strubreiter<br />

Über und unter der Erde.<br />

New York – Peking in zwei Stunden.<br />

Revolutionen im Reisen.<br />

Von Anita Kattinger<br />

Die Stadt nach Plan. Der deutsche<br />

Architekt Meinhard von Gerkan hat<br />

sich eine ganz <strong>neu</strong>e Stadt in China<br />

<strong>aus</strong>gedacht, die jetzt auch gebaut wird.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

Beamen bleibt vorerst Utopie.<br />

Die Quantenphysik wird unser<br />

bisheriges Denken ablösen, sagt der<br />

Quantenphysiker Markus Aspelmeyer.<br />

Von Daniela Müller<br />

Start-ups. Spannende Ideen und<br />

internationale Konzepte.<br />

Von Katrin Stehrer<br />

Von sprechenden Ampeln und<br />

Autos, die überflüssig werden.<br />

Utopien für 2050. Von Martin Strubreiter<br />

Foto: © Hashi Future Parking Equipmen Foto: © Marcus Bredt<br />

Foto: © Christoph Wisser Foto: © Uwe Mauch<br />

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<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

3


Umweltfreundliches Karosseriedesign<br />

Flexible Farb<strong>aus</strong>wahl<br />

Parkplatzsparende Länge<br />

Intelligentes<br />

Einparksystem<br />

und<br />

Straßenkontrolle<br />

Kommunikationszentrum<br />

Terminplaner<br />

Müdigkeitswarner<br />

Relaxzone<br />

Motoren, Getriebe und<br />

Plattformen werden von<br />

konkurrierenden<br />

Herstellern gemeinsam<br />

entwickelt<br />

Elektro- oder<br />

Hybridantrieb<br />

Rollt per<br />

Knopfdruck<br />

<strong>aus</strong> der Garage<br />

Roboter als Chauffeur<br />

Fahrassistenz<br />

Start- und Stoppautomatik<br />

Spurassistent<br />

Abstands- und<br />

Geschwindigkeitskontrolle<br />

Routenplanung<br />

Foto: Christoph Wisser, Illustration: Barbara Wais<br />

4


Autoindustrie<br />

im Umbruch<br />

Neue Märkte in Asien, Fokus auf Nachhaltigkeit, verstopfte Städte<br />

und ein Wirtschaftsleben, das alten Strukturen kaum noch<br />

Chancen lässt: Auf die Autoindustrie wartet der gröSSte Wandel<br />

ihrer Geschichte.<br />

Von Martin Strubreiter<br />

Das kleine, gallische Dorf der Autoindustrie<br />

steht in Malvern Link, Großbritannien.<br />

Bei der Firma Morgan<br />

werden Roadster nach alter Sitte gebaut,<br />

also von Hand. Die Hände sind<br />

oft seit Jahrzehnten dieselben, noch<br />

treuer als Belegschaft und Fans sind<br />

lediglich die Eigentümer: Morgan<br />

ist seit 1909 im Familienbesitz, seine<br />

auffälligste Innovation ist das vierte<br />

Rad – die ersten Morgans waren<br />

Threewheeler.<br />

Die Automobilindustrie aber wird in<br />

einigen Jahren grundlegend anders<br />

<strong>aus</strong>sehen. Eine der markantesten Veränderungen<br />

der nächsten Jahrzehnte:<br />

Europa und die USA werden langsam<br />

zur Fußnote der Autoindustrie, die<br />

Kernmärkte verschieben sich nach<br />

Asien. Schon 2010 lag China mit<br />

18,1 Millionen <strong>neu</strong> zugelassenen<br />

Kraftfahrzeugen deutlich vor den USA<br />

(11,8 Millionen), Japan (5 Millionen),<br />

Brasilien (3,5 Millionen) und<br />

Deutschland (3,2 Millionen). In den<br />

BRICS-Staaten (Brasilien, Russland,<br />

Indien, China, Südafrika) werden<br />

2020 fast sechsmal so viele Neuwagenkäufe<br />

erwartet wie im Jahr 2010.<br />

Und selbst dann werden die Märkte<br />

noch lange nicht so gesättigt sein wie<br />

heute in Europa, Japan und den USA.<br />

In 20 Jahren<br />

werden asiatische<br />

Bedürfnisse den<br />

Auto-Weltmarkt<br />

bestimmen<br />

Dann wird auch die Produktion und<br />

Entwicklung in den <strong>neu</strong>en Märkten<br />

erfolgen. Michael Ebner, Pressesprecher<br />

von BMW Öster reich:<br />

„Wir handeln nach dem Grund satz:<br />

Der Produktionsstandort folgt dem<br />

Markt. Das haben wir mit unseren<br />

Werken in den USA sowie in Indien<br />

und China gezeigt.“ Schon 2020 wird<br />

mehr Forschung und Entwicklung in<br />

den Schwellenländern stattfinden als<br />

in den etablierten Märkten, prognostiziert<br />

die Unternehmensberatung<br />

A.T. Kearney.<br />

Noch werden in China eher Modelle<br />

produziert, die in Europa schon <strong>aus</strong>gelaufen<br />

sind (z.B. eine Langversion<br />

des 5er BMW). Aber der Trend wird<br />

sich zumindest teilweise umkehren:<br />

Ende 2013 bringt Citroën sein <strong>neu</strong>es<br />

Topmodell, den DS9, exklusiv in<br />

China auf den Markt, zugeschnitten<br />

auf chinesische Bedürfnisse – gerade<br />

groß genug, um die Grundbedürfnisse<br />

der Mobilität abzudecken. Diese<br />

Modelle werden dann, um Entwicklungskosten<br />

zu sparen, gewiss auch<br />

nach Europa kommen.<br />

Zugespitzt formuliert: In 15 bis 20<br />

Jahren werden chinesische, indische<br />

oder russische Bedürfnisse das Auto<br />

für Europa oder die USA entscheidend<br />

beeinflussen. Damit werden einerseits<br />

kleine Autos, andererseits noble Marken<br />

den Markt dominieren. Diese<br />

Trends sind heute schon in den aufstrebenden<br />

Märkten ablesbar: Der winzige<br />

Tata Nano um umgerechnet 2.200 Euro<br />

ersetzt bereits mehr als 200.000 Indern<br />

das Moped. Anderer seits gibt es durch<strong>aus</strong><br />

chinesische Käufer, die direkt vom<br />

Fahrrad auf einen BMW X1 umsteigen.<br />

Wer also die Kompetenz zum Bau<br />

von Kleinstwagen mitbringt oder zu<br />

den Premiummarken zählt, hat gute<br />

Zukunftschancen. Für Marken mit<br />

durchschnittlichem Image könnte es<br />

hingegen eng werden.<br />

Will ein Hersteller von Europa <strong>aus</strong><br />

konkurrenzfähig bleiben, muss er<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

5


Foto: cepolina.com<br />

Die Nachfrage nach Autos in den Schwellenländern steigt<br />

rapide (im Bild: der Verkehrsalltag der indischen Millionenstadt<br />

Hyderabad). Die Autohersteller werden deshalb immer mehr<br />

Entwicklungskompetenz dorthin verlagern. In der Folge werden<br />

die Innovationen im Automobilsektor künftig auch in Europa<br />

stark von den Bedürfnissen Asiens und Südamerikas inspiriert<br />

sein. Das Design eines Autos muss eine Lösung für die Platznot<br />

der <strong>neu</strong>en Konsumenten bieten, Kosten und Kraftstoffverbrauch<br />

müssen gesenkt werden.<br />

den technologischen Vorsprung<br />

wahren und weiter <strong>aus</strong>bauen. Marc<br />

Lang, TTTech-Verkaufsleiter, einem<br />

österreichischen Vorreiter bei elektronischen<br />

Kontrollsystemen im Auto:<br />

„Den europäischen und japanischen<br />

Vorsprung holt China frühestens in 15<br />

bis 20 Jahren auf, weil bei uns die Entwicklung<br />

ja auch nicht still steht. Und<br />

so einfach lassen sich komplexe elektronische<br />

Systeme nicht nachbauen.<br />

Unser Wachstum ist jedenfalls enorm,<br />

wir suchen derzeit rund 30 Techniker<br />

und Entwickler.“<br />

Open Innovation wird<br />

das tägliche Brot<br />

der Entwickler<br />

Um die immer höheren Entwicklungskosten<br />

abzufedern, die mit der<br />

steigenden Technologisierung einhergehen,<br />

werden Motoren, Getriebe und<br />

Plattformen künftig in allen Märkten<br />

der Welt genutzt, oft auch von konkurrierenden<br />

Herstellern, die gemeinsam<br />

entwickeln. Das war in früheren<br />

Jahren undenkbar. Zusätzlich werden<br />

Autohersteller den Entwicklungsprozess<br />

öffnen und Input von außen,<br />

zum Beispiel von Konkurrenten, Universitäten<br />

und Autokäufern gezielt<br />

hereinholen, was einem Paradigmenwechsel<br />

gleichkommt: Mittels Open<br />

Innovation kann die Entwicklungszeit<br />

dramatisch verkürzt werden, sie ermöglicht<br />

deutlich mehr Klarsicht über<br />

ein künftiges Produkt, das Risiko von<br />

Fehlentwicklungen sinkt. Und die<br />

Zukunft wird deutlich mehr Innovationen<br />

hervorbringen müssen als die<br />

Gegenwart: CO 2-Problematik und<br />

andere Umweltfragen verlangen<br />

verbrauchsgünstigere Autos, die Technologien<br />

dafür (wie etwa Elektro- oder<br />

Hybrid antrieb, Start/Stopp-Auto matik,<br />

Energierückgewinnung beim Brem sen,<br />

Leichtlauföle und -reifen, bedarfs -<br />

ge steuerte Lichtmaschinen und Ölpumpen)<br />

lassen heute nur wenige<br />

Hersteller in die Serie einfließen,<br />

künftig werden es alle sein. Erste<br />

Ansätze für Open Innovation sind<br />

übrigens bereits heute flügge: VW<br />

sammelt über www.mythinkblue.de<br />

Input zur nachhaltigen Entwicklung<br />

und eröffnet sich damit ein weites<br />

Feld für Ideen. Die kreativsten Ideenspender<br />

gewinnen einen potenten<br />

Konzern zur Umsetzung.<br />

Die Autoindustrie wird mit anderen<br />

Sparten enger zusammenarbeiten,<br />

besonders mit der IT-Branche.<br />

Künftig kann ein<br />

Auto wie ein Smartphone<br />

kommunizieren<br />

Denn was Smartphones heute können,<br />

wird künftig auch vom Auto erwartet –<br />

und noch mehr: Anbindung ans Internet,<br />

Kommunikation der Autos<br />

untereinander im Dienste flüssigeren<br />

Verkehrs (Autos, die im Stau stecken,<br />

warnen zum Beispiel die Nachkommenden),<br />

Fahrassistenzsysteme wie<br />

Müdigkeitswarner oder Spurassistent<br />

bis hin zu allen Vernetzungen, die<br />

selbstfahrende Autos benötigen, die<br />

man per Knopfdruck <strong>aus</strong> der Garage<br />

holt und die einen lesend oder dösend<br />

an den Zielort bringen. Diese sind<br />

bereits heute oder in naher Zukunft<br />

möglich. Das Problem: Auto und IT-<br />

Industrie ticken unterschiedlich. Ein<br />

Auto rollt vier bis acht Jahre lang vom<br />

Band, die Elektronikindustrie wechselt<br />

Produkte in Sechs-Monats-Zyklen.<br />

Das heißt natürlich nicht, dass ein<br />

Auto künftig jedes halbe Jahr <strong>neu</strong><br />

entworfen werden muss, um auf dem<br />

<strong>neu</strong>esten Stand zu sein, sondern dass<br />

die Software aktualisiert wird.<br />

Klar ist: Viele der künftigen Innovationen<br />

kommen nicht von den Autoherstellern,<br />

sondern von Zulieferern.<br />

Ein heutiger Pkw stammt zu rund 50<br />

Prozent vom Autohersteller, ein Elektroauto<br />

nur noch zu 10 Prozent. Der<br />

Rest wird zugeliefert. Mit anderen<br />

Worten: Der Autoindustrie droht das<br />

Kerngeschäft abhanden zu kommen.<br />

Die <strong>neu</strong>en Entwicklungen bergen<br />

aber auch riesige Chancen, nicht nur<br />

Kraftfahrzeuge zu verkaufen, sondern<br />

Mobilität in allen Facetten. Michael<br />

Ebner, BMW: „Wir werden künftig<br />

Mobilität im Paket anbieten, beispielsweise<br />

über Carsharing mit Elektroautos,<br />

die unsere E-Fahrräder im<br />

Kofferraum haben, dazu Telematik-<br />

Dienstleistungen wie Navigation für<br />

alle Verkehrsmittel.“<br />

Nur wenige<br />

Autohersteller<br />

und zulieferer<br />

werden überleben<br />

Dennoch wird die Zahl der Zulieferer<br />

und Autohersteller abnehmen.<br />

Frank Gehr vom Fraunhofer Institut<br />

für Produktionstechnik und Automatisierung<br />

schätzt, dass in wenigen<br />

Jahren die Zahl der großen, unabhängigen<br />

Hersteller je nach Zählweise<br />

von derzeit rund 40 auf die zehn erfolgreichsten<br />

gesunken sein wird.<br />

Nur Morgan wird wohl weiterhin<br />

Roadster mit Eschenholz-Karosserierahmen<br />

fertigen – wie 1909. •<br />

6


Ein Kommen und Gehen<br />

In den vergangenen 140 Jahren sind viele Verkehrsmittel<br />

verschwundeN und einige auch wieder zurückgekommen.<br />

Von Katrin Stehrer<br />

daten & fakten<br />

Im Dezember 1872 wurde die längste<br />

Pferdeeisen bahnstrecke Europas,<br />

die 128 km lange Strecke Budweis – Linz –<br />

Gmunden, eingestellt und durch eine<br />

dampfbetriebene Eisenbahn ersetzt.<br />

Noch heute fährt eine Pferdeeisenbahn in<br />

der süd<strong>aus</strong>tralische Stadt Victor Harbor.<br />

Sie hat die 630 Meter lange Strecke zur<br />

Touristenattraktion gemacht und die<br />

ursprünglich 1896 errichtete Bahn durch<br />

Restaurierungsarbeiten im Jahr 1986 zu<br />

Bis 1923 wurden in Großbritannien<br />

mit Koks betriebene, äußerlich an Kutschen<br />

erinnernde Dampfomnibusse eingesetzt,<br />

die hauptsächlich zwischen London und<br />

seinen Vororten fuhren. In den Glanzzeiten<br />

konnten 700 Fahrten am Tag gezählt<br />

werden. Aufgrund häufiger Unfälle wurde<br />

die Maximalgeschwindigkeit auf 3 km/h<br />

beschränkt, weshalb die Dampfomnibusse<br />

zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der<br />

elektrisch angetriebenen U-Bahn abgelöst<br />

wurden.<br />

Die weltweit letzte Fahrt eines von<br />

Pferden gezogenen Omnibusses fand<br />

1923 in Berlin statt. Einst die einzigen<br />

innerstädtischen Verkehrsmittel der Stadt,<br />

wurden die Pferdeomnibusse von der 1865<br />

eingeführten, auf Schienen fahrenden Pferdestraßenbahn<br />

schließlich ganz verdrängt.<br />

Im Jahr 1900 stieg der erste Zeppelin<br />

in Friedrichshafen auf, 30 Jahre später waren<br />

Linienflüge für zivile Passagiere von Europa<br />

nach Nord- und Südamerika eingerichtet.<br />

Mit dem Unglück von Lakehurst (New Jersey,<br />

USA) im Jahr 1937, bei dem der LZ 129 bei<br />

der Landung in Flammen aufging, wurde das<br />

Ende der Zeppelin-Luftfahrt eingeleitet –<br />

vorerst. Denn seit 2001 fliegt die LT Zeppelin<br />

Luftschifftechnik GmbH & Co KG mit dem<br />

Zeppelin NT wieder kommerzielle Rundflüge,<br />

bisher aber nur über dem Bodensee. 2<br />

<strong>neu</strong>em Leben erweckt. 1 1 www.tourismvictorharbor.com.au/attractions.html<br />

Bis 1957 wurde in Simbabwe<br />

eine mit menschlicher Muskelkraft<br />

betriebene Straßenbahn eingesetzt.<br />

Weltweit gab es mehr als 100, davon ein<br />

Teil in Afrika, über 80 in Asien (darunter<br />

Japan mit der längsten Trasse von 26 km)<br />

und eine 4 km lange Strecke in<br />

Österreich. Sie befand sich im<br />

Lainzer Geriatriezentrum und wurde<br />

zum Gütertransport von Anfang des<br />

20. Jahrhunderts bis 1925 betrieben.<br />

2 www.zeppelinflug.de<br />

Interessant ist auch die Geschichte des<br />

Elektroautos. Ende des 19. Jahrhunderts<br />

vor allem in den USA sehr beliebt und mit<br />

einem Marktanteil von 38 % durch<strong>aus</strong> begehrt,<br />

wurde es ab 1940 nicht mehr für<br />

den Personenverkehr hergestellt.<br />

Der Siegeszug des Benzinautos war<br />

aufgrund des bequemeren Startens mittels<br />

Anlassers anstelle des Ankurbelns und<br />

des billigen Benzins nicht mehr aufzuhalten.<br />

Seit den 1990er-Jahren gibt es jedoch<br />

wieder kommerzielle Neuentwicklungen.<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

7


USERSTORY<br />

4MENSCHEN,<br />

WEGE ZU<br />

NEUEN ZIELEN<br />

Die Fremdenführerin, die nach ihrem Jobwechsel<br />

mit ihrem Fahrrad eine <strong>neu</strong>e Her<strong>aus</strong>forderung sucht.<br />

Der Rollstuhlfahrer, der sich dafür einsetzt, dass<br />

auch Behinderte ohne Barrieren Bahn fahren können.<br />

Die Mutter von drei Kindern, die sich über Nacht<br />

als Alleinerzieherin in Wien wiederfindet.<br />

Der Buchhändler, der plötzlich mit der S-Bahn<br />

VON EINEM ENDE VON WIEN ZUM ANDEREN MUSS.<br />

Von Uwe Mauch<br />

Foto: Drahtzieher<br />

8


Eigentlich erstaunlich: Über ihr <strong>neu</strong>es Smartphone, ihren<br />

<strong>neu</strong>en Hund, ihre <strong>neu</strong>en Tapeten, ihre <strong>neu</strong>e Frisur, ihren <strong>neu</strong>en<br />

Chef – über vieles machen sich die Menschen heute Gedanken.<br />

Doch selten denken sie darüber nach, wie sie sich<br />

fortbewegen. Mobilitätsverhalten scheint so fix zu sein wie<br />

die Uhrzeit oder das Brauchtum.<br />

In Vorarlberg weiß man das. Deshalb erhalten Mitarbeiter, die<br />

zu einem der innovativen Unternehmen wechseln, schon vor<br />

ihrem ersten Arbeitstag einen Brief. Darin werden sie höflich<br />

gefragt, ob sie nicht auf die Öffis umsteigen möchten. Wenn<br />

ja, wird ihnen das Ticket bezahlt. Der Jobwechsel eine Zäsur –<br />

und eine Chance für Neues. Kaum jemand hat sein Umsteigen<br />

bis dato bereut. Die Vorarlberger Erfahrungen werden nun<br />

auch von einer repräsentativen Befragung in sechs europäischen<br />

Ländern gestützt. Im Rahmen des EU-Projekts „USEmobility“<br />

1 wurde festgestellt, dass die Menschen am ehesten<br />

dann auf ein anderes Verkehrmittel umsteigen, wenn sie sich<br />

beruflich verändern, wenn sie mehr Sport betreiben möchten<br />

oder ihren Wohnort wechseln. Öffentliche Verkehrsmittel kommen<br />

zum Zug, wenn die Haltestellen gut erreichbar sind, die<br />

Intervalle kurz sind und die Fahrziele möglichst direkt erreicht<br />

werden können. Manchmal sind es auch andere Zäsuren im<br />

Leben. Auch unerfreuliche. Im ersten Moment scheint alles<br />

<strong>aus</strong>, alles anders, alles vorbei zu sein. Doch das Leben geht<br />

weiter. Und wie es weiter geht! Manchmal gibt es auch <strong>neu</strong>e,<br />

erfreuliche Erfahrungen. Genau davon erzählen die vier Menschen,<br />

die auf diesen Seiten zu Wort kommen.<br />

Foto:s: uwe Mauch<br />

REGINA MACHO, staatlich geprüfte Fremdenführerin.<br />

Fährt seit vielen Jahren täglich mit dem Rad von<br />

ihrem H<strong>aus</strong> im Grünen, in Kloster<strong>neu</strong>burg, zur Arbeit<br />

nach Wien. Vor wenigen Wochen hat sie einen verantwortungsvollen<br />

Job in der Hofburg gekündigt, um sich<br />

<strong>neu</strong>en Aufgaben zu widmen. Ihre Entscheidung ist ihr<br />

nicht leicht gefallen, doch vor dem Neuen fürchtet sie<br />

sich nicht.<br />

„Die Fahrt mit dem Auto zur Arbeit kommt für mich schon alleine<br />

deshalb nicht in Frage, weil ich keines besitze. Als Radfahrerin<br />

kann ich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.<br />

Das Rad hält mich fit, bringt mich in der Früh in Schwung.<br />

Außerdem verbindet es mich mit der Natur. Denn ich fahre ja<br />

von draußen, vom Land rein in die Stadt, ein Stück auch<br />

durch die Donauauen. Ich bin früher immer mit dem Auto zur<br />

Arbeit gefahren, nur damals habe ich die Natur nicht so unvermittelt<br />

und intensiv erleben können. Einkaufen? Ist gar<br />

kein Problem. Ich habe Packtaschen fürs Rad. Da passt alles<br />

rein. <strong>Alles</strong> nur eine Frage der Organisation. Ich habe einen<br />

guten Job aufgegeben, um einen sehr guten zu finden. Dabei<br />

geht es mir auch um ein Mehr an Lebensqualität. Zum<br />

Beispiel strebe ich im Moment keinen Fulltime-Job an, weil<br />

ich mir auch noch ein bisschen Raum für die Fremdenführerei<br />

schaffen möchte. Interessant ist, dass ich bereits verschiedene<br />

Jobangebote bekommen habe, ohne dass ich<br />

noch selbst aktiv war. Das tut nicht nur der Seele gut, das<br />

bestätigt mich auch in meiner Entscheidung.“<br />

REINHARD RODLAUER hat einen Gendefekt, der<br />

sich im Alter von elf Monaten bemerkbar machte. Spinale<br />

Muskelatrophie, sagen die Mediziner. Und meinen<br />

damit den Muskelschwund. Der Bewegungsap parat<br />

kann den Anweisungen des Gehirns nicht Folge<br />

leisten. Seine Kindheit und Jugend im niederösterreichischen<br />

Lunz am See war geprägt von Barrieren und<br />

Entbehrungen, auch von vier deprimierenden Jahren<br />

auf Arbeitssuche. <strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>? Nein, alles <strong>neu</strong>! Der Rollstuhlfahrer<br />

hat eine schöne berufliche Karriere hingelegt.<br />

Schon als Trafikant ist er in seiner Freizeit als anonymer<br />

Testfahrer durchs Land gefahren. So wurde man<br />

bei den Österreichischen Bundesbahnen auf ihn aufmerksam.<br />

Seit sechs Jahren ist Rodlauer deren Konzernkoordinator<br />

für Barrierefreiheit.<br />

„Es ist ein unglaublich erhebendes Gefühl, wenn man mich<br />

heute mit der Klapprampe in einen Zug oder Bus hebt. Als<br />

Kind konnte ich dem Postbus leider nur beim Davonfahren zuschauen.<br />

Meine Aufgabe bei den ÖBB ist es, Barrierefreiheit<br />

konzernübergreifend zu verwirklichen. Wir sind da auf einem<br />

guten Weg: 75 Prozent unserer Busse sind bereits barrierefrei,<br />

alle <strong>neu</strong>en Nahververkehrszüge sind mit Klapprampen <strong>aus</strong>gestattet,<br />

auch im Railjet gibt es fahrzeuggebundene Hebe lifte.<br />

Und im Jahr 2015 sollen die 140 meist frequentierten Bahnhöfe<br />

in Österreich barrierefrei sein. Warum ich am liebsten mit<br />

der Bahn verreise? Weil für mich die Bahn komfortabler ist als<br />

Flugzeug oder Auto. Im Flugzeug komme ich mit dem Rollstuhl<br />

nicht ins Klo, und eine Autofahrt ist mir zu anstrengend.“<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

9


TINA BACHMANN, die Frau des österreichischen<br />

Wirtschaftsdelegierten in Tripolis (Libyen) und Mutter<br />

von drei schulpflichtigen Kindern. Im Februar 2011 hat<br />

sich ihr Leben von einem Tag auf den anderen dramatisch<br />

verändert. Nach dem Bürgerkrieg in Libyen lebt<br />

die Familie getrennt: Sie mit den Kindern in Wien, ihr<br />

Mann in Tripolis. Nur mehr alle vier bis sechs Wochen<br />

kann er für wenige Stunden nach Wien kommen.<br />

„Ich muss vor<strong>aus</strong>schicken: Wir haben uns mit der <strong>neu</strong>en<br />

Situa tion so gut als möglich angefreundet. Das liegt auch daran,<br />

dass wir uns gegenseitig Halt geben. Natürlich habe ich<br />

Angst um meinen Mann. In Libyen fallen noch immer Schüsse.<br />

Aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass dem David<br />

nichts passieren wird, weil er seine Arbeit und seine Familie<br />

liebt. Wir haben zuvor in Stockholm, in Lissabon, in Mexiko<br />

City, in Wien und in Tripolis gelebt. Seit gut einem Jahr bin<br />

ich mit den Kindern wieder in Wien. Und sie genießen Wien,<br />

wirklich. Weil sie hier zum Beispiel mit der Straßenbahn fahren<br />

und sich frei bewegen können. In Tripolis haben sie in einem<br />

Goldenen Käfig gelebt – in unserem H<strong>aus</strong> gut bewacht,<br />

aber wie in einem Gefängnis eingesperrt. In die Schule und<br />

auch zum Sport wurden sie mit dem Auto gebracht. Ich weiß<br />

nicht, ob das andere Wiener Kinder so stark empfinden – dieses<br />

Gefühl der Freiheit in öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch<br />

ich muss nicht mehr täglich ins Auto steigen. Ein Mal pro Woche<br />

für einen Großeinkauf, und am Wochenende, wenn wir<br />

WALTER KETTNER, gelernter Buchhändler. Verbringt<br />

seit seinem Umzug täglich zwei mal vierzig Minuten<br />

in der S-Bahn, um zwischen seiner Wohnung im<br />

Süden und seiner Buchhandlung im Norden von Wien<br />

hin und her zu pendeln. Der Inhaber der gut sortierten<br />

Buchhandlung „Bücher am Spitz“ im Floridsdorfer<br />

Amtsh<strong>aus</strong> nützt die Zeit, um im Auftrag seiner Kunden<br />

<strong>neu</strong>e Bücher vorab zu lesen.<br />

„Vor vier Jahren bin ich mit meiner Frau und meiner Tochter<br />

von Wien-Währing nach Brunn am Gebirge gezogen. Wir<br />

wollten unbedingt r<strong>aus</strong> <strong>aus</strong> der Stadt. Naturgemäß hat sich<br />

dadurch mein Weg zur Arbeit deutlich verlängert. Jetzt verbringe<br />

ich täglich relativ viel Zeit in der Schnellbahn. Eine<br />

Belastung ist das für mich nicht, ganz im Gegenteil. Von<br />

Brunn am Gebirge bis zum Bahnhof Floridsdorf benötigt die<br />

Bahn exakt 39 Minuten – das würde ich mit dem Wagen nur<br />

selten schaffen. Außerdem kann ich mich in der Bahn gemütlich<br />

zurücklehnen und entspannt lesen. Ich würde sagen,<br />

dass ich an einem Tag so um die 50 Buchseiten im Zug<br />

schaffe. Ich zähle das eigentlich nicht, aber in der Woche<br />

lese ich sicherlich ein ganzes Buch. Ab und zu treffe ich im<br />

Zug auch Kunden, und man hat Zeit, ein wenig zu plaudern.<br />

Und da ist es mir nicht erst einmal passiert, dass ich in der<br />

Schnellbahn eine Bestellung aufgenommen habe.“ •<br />

die Schwiegereltern außerhalb von Wien besuchen.“ 1 http://usemobility.eu/de/project<br />

10


Über und unter der erde<br />

Kein Tag ohne Stau. Den Ballungsräumen Asiens, Amerikas und Europas<br />

scheint der Platz für die Autos ihrer Bewohner <strong>aus</strong>zugehen.<br />

Wie werden wir uns bewegen, wenn die StraSSen endgültig<br />

verstopft sind? Querspur hat sich ober- und unterirdische<br />

Alternativen angesehen. Von Anita Kattinger<br />

////// FLIEGENDE AUTOS ////////////////////////////////////<br />

Sieht unsere Zukunft wie im Film „Das fünfte Element“ <strong>aus</strong>? Wir sitzen in einem fliegenden<br />

Taxi und steigen gleich im passenden Stockwerk <strong>aus</strong>? Dank fliegender Autos bräuchten<br />

wir keine <strong>neu</strong>en Straßen und würden nie wieder im Stau stehen. Utopie? Keineswegs.<br />

Das amerikanische Unternehmen Terrafugia setzt auf einen Auto-ähnlichen Rumpf mit<br />

vier Rädern und einklappbaren Tragflächen. Angetrieben wird das Flugauto von einem<br />

104 PS starken Rotax-Motor, der eine maximale Fluggeschwindigkeit von 185 km/h und eine<br />

Höchstgeschwindigkeit auf der Straße von 105 km/h ermöglicht. Kosten: 210.000 Euro.<br />

Noch hält es sich aber nur acht Minuten in der Luft.<br />

Das EU-Forschungsprojekt „myCopter“ unter Federführung des Max-Planck-Instituts für<br />

biologische Kybernetik in Tübingen forscht indes an einem individualisierten 3D-Luftverkehr<br />

mit Personal Aerial Vehicles (PAVs). Teil der Forschungsarbeit sind die Erwartungen des<br />

Endverbrauchers: Wollen wir selbst fliegen oder vertrauen wir einer computergestützten<br />

Steuerung? Trotz großem Forschungsinteresse der EU-Kommission dauert es wohl noch,<br />

bis wir statt des Führerscheins den Flugschein machen werden. http://mycopter.eu<br />

komplexes einfach erklärt<br />

////// UNTERIRDISCHE HOCHGESCHWINDIGKEIT //////<br />

Für Jules Verne war eine Reise um die Welt in 80 Tagen 1873 schon sehr ambitioniert. In naher<br />

Zukunft brauchen vielleicht Reisende nur noch zwei Stunden von New York nach Peking.<br />

Die Technologie „Evacuated Tube Transport“ (ETT) verbindet die Vorteile einer Magnetschwebebahn<br />

und eines Vakuumtunnels. Diese Vakuum-Züge fahren durch Röhren, <strong>aus</strong><br />

denen die Luft her<strong>aus</strong>gepumpt wurde, um Reibung zu minimieren. Ohne Luftwiderstand und<br />

ohne Reibungsverluste durch Schienen ermöglicht dieses Reisen theoretische Spitzen geschwindigkeiten<br />

von rund 6.400 Stundenkilometern. Weitere Vorteile: geringer Energieverbrauch,<br />

keine Lärmbelästi gung, Entlastung des bestehenden Schienen netzes. Städteplaner<br />

könnten beim Einsatz von ETT selbst entscheiden, ob die Tunnel ober irdisch auf<br />

Stelzen oder unterirdisch gebaut werden sollen. Das Unternehmen „ET3“ <strong>aus</strong> Colorado,<br />

USA, hat bereits zahlreiche Lizenzen für seine „Vactrains“ nach China verkauft.<br />

www.et3.com<br />

Bilder: www.mycopter.eu; www.et3.com; www.cargocap.de<br />

////// VOLLAUTOMATISCHE KAPSELN ////////////////////<br />

Den rasant wachsenden Gütertransport unter die Erde zu verlegen, würde oberirdisch mehr<br />

Platz für den Personenverkehr schaffen. In zahlreichen Städten wird bereits an Konzepten<br />

für unterirdische Rohrleitungen gegen das städtische Verkehrschaos gearbeitet. „CargoCap“,<br />

ein Projekt der Ruhr-Universität Bochum, setzt auf vollautomatische Kapseln auf<br />

Schienen, die in Tunneln unter der Stadt fahren. Der Antrieb erfolgt elektrisch über die<br />

Räder via Drehstrommotoren. Wie im U-Bahnsystem können die Kapseln mittels Weichen<br />

„abbiegen“ und bei einem Schacht stehen bleiben, um die Fracht abzuladen. Jede „Cap“<br />

hat die Größe von zwei Europaletten CCG1 (0,8 × 1,2 × 1,05 m) und bringt die Fracht unabhängig<br />

von der Verkehrslage zu Supermärkten, Warenhäusern und Firmen. Durch eine<br />

spezielle Tunnelbauweise mit Rohren von einem Durchmesser von zwei Metern werden<br />

weder oberirdische Häuser noch das Grundwasser gefährdet, da die Rohre unter oder<br />

über vorhandenen Kanälen verlegt werden können. www.cargocap.de<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

11


Große<br />

P<strong>aus</strong>e<br />

Foto: Christoph Wisser<br />

12


Vielleicht liegt das Neue nicht in der Turbo-Beschleunigung,<br />

sondern auf einer ganz anderen Strecke? Um das her<strong>aus</strong>zufinden,<br />

ist Innehalten eine probate Strategie.<br />

Von Ruth Reitmeier<br />

Frisch, aktuell, aufregend, jung, origi<br />

nell, modern. Dies sind nur einige<br />

Synonyme für <strong>neu</strong>. Wie man es auch<br />

nennen mag, das Neue ist in unserer<br />

Kultur positiv besetzt, Innovation<br />

gleich bedeutend mit Optimierung.<br />

Das war nicht immer so. Der Paradigmenwechsel<br />

kam mit der Industriellen<br />

Revolution, die eine nie dagewesene<br />

Dynamik und eine im Vergleich mit<br />

den Jahrhunderten davor rasend<br />

beschleunigte Entwicklung von Technik,<br />

Produktivität und Wissenschaft<br />

freisetzte. In zwei Jahrhunderten<br />

wandelte sich unsere Wahrnehmung<br />

der Welt von einer des Seins in eine<br />

des Werdens.<br />

Der Mensch ist zudem ein übermütiges<br />

Wesen, seine Neugierde Ressource<br />

und Antrieb. Er gibt sich mit dem Status<br />

quo nicht zufrieden, probiert und<br />

probiert, auch durch<strong>aus</strong> riskant und<br />

mit ungewissem Ausgang. In der Bibel<br />

greift die Vertreibung <strong>aus</strong> dem Paradies<br />

dieses Thema gleich in den ersten<br />

Kapiteln der Genesis auf und warnt<br />

den Menschen vor seiner Neugierde.<br />

Der Mensch muss<br />

die Kontrolle<br />

über intelligente<br />

Technologien<br />

behalten<br />

Neben dem Spannungsfeld zwischen<br />

Ethik und Wissenschaft liegt heute<br />

die Her<strong>aus</strong>forderung darin, dass sich<br />

die Neugierde nicht verselbständigt.<br />

Globale intelligente Systeme sind<br />

bereits Realität: In Zukunft wird<br />

etwa die gesamte Energieversorgung<br />

von so genannten „smart grids“ gesteuert<br />

werden. Das sind hochkomplexe,<br />

intelligente Netze. Laut Kl<strong>aus</strong><br />

Mainzer, deutscher Philosoph und<br />

Wissenschaftstheoretiker, ist dies<br />

die Art von Intelligenz, von der wir<br />

abhängig werden. Die Bankenkrise<br />

hat dies eindrucksvoll und beunruhigend<br />

vor Augen geführt. Geld- und<br />

Informations ströme sind so komplex<br />

geworden, dass sie Einzelne nicht<br />

mehr durchschauen können. Die<br />

Her<strong>aus</strong>forderung wird darin liegen,<br />

Wege zu finden, diese Systeme in ihrer<br />

Komplexität zu erfassen und die Kontrolle<br />

zu behalten.<br />

In der Philosophie spielen die für das<br />

Neue gewählten Begriffe eine Schlüsselrolle.<br />

Das ist deshalb wichtig, weil<br />

wie wir Dinge nennen, unsere Vorstellung<br />

über sie prägt. Neues wird dabei<br />

üblicherweise mit bereits vorhandenen<br />

Begrifflichkeiten beschrieben. Herbert<br />

Hrachovec, Philosoph an der Universität<br />

Wien, erklärt dies am Beispiel der<br />

E-Mail, der elektronischen Post. Man<br />

hätte sie wohl gen<strong>aus</strong>o elektronische<br />

Kopie nennen können. Denn eine E-<br />

Mail hat ja mit der klassischen Post<br />

wenig gemein. Schließlich ist sie viel<br />

schneller unterwegs und kann gleichzeitig<br />

an beliebig viele Empfänger versandt<br />

werden. Umgekehrt passt heute<br />

die gute, alte Post nicht mehr so richtig<br />

in diese <strong>neu</strong>e Begriffswelt und wird<br />

humorvoll als „Snail-Mail“, als Schneckenpost,<br />

bezeichnet.<br />

Im Anfang schuf Gott Himmel und<br />

Erde, so lautet der erste Satz der Genesis.<br />

In der biblischen Schöpfungsgeschichte<br />

finden sich zwei Begriffe des<br />

Neuen: die Schöpfung <strong>aus</strong> dem Nichts<br />

– ex nihilo – und die Kreation <strong>aus</strong> bereits<br />

vorhandener Materie. So ist die<br />

Schöpfung des Menschen nach dieser<br />

Vorstellung radikal <strong>neu</strong>, Eva hingegen<br />

schafft Gott <strong>aus</strong> einer Rippe Adams.<br />

Das Neue ist immer<br />

ein Kind seiner Zeit<br />

In der Wissenschaft ist es ganz ähnlich.<br />

Der Großteil wissenschaftlicher Forschung<br />

ist eine Weiterentwicklung bereits<br />

vorhandenen Wissens. Viel seltener<br />

und entsprechend spektakulär ist der<br />

Paradigmenwechsel, der das bisherige<br />

Bezugssystem über den Haufen wirft<br />

und einer Revolution des Faches gleichkommt.<br />

„Dass etwas <strong>neu</strong> ist, merkt man,<br />

wenn man auf scharfen Widerspruch<br />

stößt“, sagte Albert Einstein.<br />

Philosophen weisen darauf hin, dass<br />

das Neue nicht zuletzt dann eine<br />

Chance bekommt, wenn die Zeit<br />

dafür reif ist. In der Antike wäre<br />

Galileo Galilei mit ziemlicher Sicherheit<br />

zum Tode verurteilt worden.<br />

Als die Ber li ner Mauer fiel, war der<br />

Kommunis mus bereits am Ende. Der<br />

Arabische Frühling wäre laut Kennern<br />

der Region auch ohne Smartphones<br />

und Twitter gekommen, zumal die<br />

autoritär herr schenden Regime sowie<br />

die politischen und sozialen Strukturen<br />

in diesen Ländern die Grenze zur<br />

Unerträglichkeit überschritten hatten.<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

13


Management-Berater Peter Drucker<br />

sagte bereits in den 1980er-Jahren, dass<br />

unser Innovationsstreben künftig sozialen<br />

Innovationen gelten müsse. Technologische<br />

Entwicklungen alleine können die Bedürfnisse<br />

einer Weltbevölkerung von <strong>neu</strong>n<br />

Milliarden Menschen nicht befriedigen.<br />

Nobelpreisträger Albert Einstein<br />

erkannte, dass jeder, der etwas Neues<br />

in die Welt bringt, auf Widerstand gefasst<br />

sein muss. Doch weniger das Neue an sich,<br />

sondern eher die Komplexität und die Beschleunigung,<br />

mit der es komme, würden Ablehnung<br />

hervorrufen, sagte Einstein.<br />

Anthropologin Gisela Grupe bezeichnet<br />

den Menschen als Opportunisten. Sein Erfolgsrezept<br />

sei das Neue. Aufgrund veränderter<br />

und wechselnder Lebensbedingungen<br />

sei er gezwungen, Innovationen hervorzubringen.<br />

Nur so könne er sein Überleben<br />

sichern.<br />

Der Mensch der Moderne ist auf das<br />

Neue stets gefasst, es gehört zu seinem<br />

Leben untrennbar dazu. Wobei im<br />

21. Jahrhundert die Beschleunigung<br />

durch das Internet eine <strong>neu</strong>e Dimension<br />

erreicht hat. Der Fortschrittsglaube,<br />

die Überzeugung, dass der<br />

Fortschritt das Leben automatisch<br />

besser macht, ermüdet indessen. „Es<br />

heißt immer, es geht uns heute so gut.<br />

Aber geht es uns denn wirklich so<br />

gut?“, fragt Philosoph Eugen-Maria<br />

Schulak, Gründer des Instituts für<br />

Wertewirtschaft in Wien. Karl Marx’<br />

Vision von einer Welt, in der Maschinen<br />

fast alles erledigen und der vom<br />

Die Suche nach dem<br />

Neuen treibt den<br />

Menschen an seine<br />

Leistungsgrenze<br />

Joch der Arbeit befreite Mensch seine<br />

<strong>neu</strong> gewonnene Freizeit genießt, ist jedenfalls<br />

nicht eingetroffen. Statt „heute<br />

dies, morgen jenes zu tun“, lebt der<br />

Mensch in der modernen Leistungsgesellschaft<br />

gehetzt von vermeintlich<br />

immer weiter steigerbaren Produktivitätszielen.<br />

Könnte Aristoteles eine<br />

Zeitreise in unsere Welt unternehmen,<br />

käme er wohl zu dem Schluss, dass es<br />

sich um eine Form der Sklavenhaltergesellschaft<br />

handle, meint Schulak.<br />

All die Anforderungen und insbesondere<br />

das Affentempo, in dem sie<br />

erledigt werden sollen, machen immer<br />

mehr Menschen ernsthaft zu schaffen,<br />

führen zu Überlastung und Ängsten.<br />

„Burnout ist die Krankheit unserer<br />

Zeit“, betont Schulak. Der Output des<br />

Menschen scheint an die Grenzen des<br />

Machbaren, des Erträglichen gestoßen<br />

zu sein. Verfolge man die menschliche<br />

Produktivität historisch zurück, so<br />

zeigt sich Erstaunliches: Im Mittelalter<br />

haben Menschen höchstens 100 Tage<br />

pro Jahr gearbeitet, die restliche Zeit<br />

verbrachten sie mit der Familie zuh<strong>aus</strong>e.<br />

Eine Menge arbeitsfreie Zeit<br />

beanspruchten nicht zuletzt die 140<br />

kirchlichen Feiertage pro Jahr.<br />

Bewusstes Nichtstun<br />

kann einen<br />

Kreativitätsschub<br />

bringen<br />

Es ist offenbar weniger das Neue an<br />

sich, sondern die Komplexität und die<br />

Beschleunigung mit der es kommt, die<br />

den Menschen fordern. „Man muss<br />

die Welt nicht verstehen, man muss<br />

sich nur darin zurechtfinden“, sagte<br />

Einstein. Wie können also Strategien<br />

gefunden werden, was gibt Halt, wie<br />

bleibt der Mensch handlungsaktiv?<br />

Nichtstun. Werden Fragen zu komplex,<br />

erscheinen Probleme unlösbar,<br />

ist Innehalten wirksamer als hektischer<br />

Aktionismus, langsamer werden<br />

das einzige Mittel gegen die Beschleunigung.<br />

In der Psychologie beschreibt<br />

die Resilienz-Forschung diese<br />

Strategie. Resilienz ist die seelische<br />

Widerstandskraft. Robuste Menschen<br />

bewältigen Lebenskrisen, ohne dass<br />

tiefe seelische Narben zurückbleiben.<br />

In Krisen nehmen sie sich zunächst<br />

einmal Zeit, lassen sich nicht von den<br />

Ereignissen unter Druck setzen. Sie<br />

gehen davon <strong>aus</strong>, dass der Zeitpunkt<br />

kommen wird, wo sie wissen werden,<br />

was zu tun ist.<br />

Taktik ändern. Robuste Menschen<br />

machen nicht immer wieder die gleichen<br />

Fehler, sondern ändern ihre Taktik<br />

und bleiben dadurch im Spiel. Ein<br />

Beispiel <strong>aus</strong> der Kinder- und Jugendpsychiatrie:<br />

Experten berichten von<br />

jungen Patienten, die am Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitässyndrom<br />

leiden –<br />

einer Entwicklungsstörung, die im<br />

Kindesalter beginnt und sich unter<br />

anderem durch Probleme mit der<br />

Aufmerksamkeit <strong>aus</strong>zeichnet –, und<br />

die deshalb permanent im Schul- und<br />

Notenstress sind. Ihr Problem: Sie bewältigen<br />

den Schulstoff nicht, zumindest<br />

nicht so, wie vom Lehrplan vorgesehen.<br />

14


Auf konventionellem Wege, also<br />

durch mehr Arbeit, durch noch mehr<br />

Lernen unterm Schuljahr ist das für<br />

diese Burschen und Mädchen nicht<br />

zu schaffen, sie sind bereits am Limit.<br />

Einige haben deshalb ihre Strategie<br />

geändert: Sie teilen die schulischen<br />

Anforderungen in mehrere „B<strong>aus</strong>tellen“<br />

auf. <strong>Alles</strong>, was ihnen leichter fällt,<br />

schließen sie positiv ab. Mit einer Entscheidungsprüfung<br />

am Jahresende in<br />

einem Problemfach und einer Wiederholungsprüfung<br />

im Herbst in einem<br />

anderen, gewinnen sie Zeit, verteilen<br />

den Lernstoff übers gesamte Jahr und<br />

können ihn so bewältigen.<br />

Angst und<br />

Verzicht treiben<br />

die PERSÖN LICHE<br />

Weiterentwicklung<br />

voran<br />

Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise<br />

fühlt sich die Zukunft für viele noch<br />

ungewisser an. Der Umbruch lauert,<br />

so scheint es. Und selbst wenn der<br />

Crash <strong>aus</strong>bleibt, so kommt er leise und<br />

unterschwellig. In den Industrieländern,<br />

den reifen Märkten, ist die<br />

Epoche des Schrumpfens eingeläutet.<br />

Prioritäten definieren. Menschen<br />

schützen sich vor der Ungewissheit,<br />

indem sie Vorsorge treffen. Gegen<br />

die Angst hilft, so heißt es, ihr ins<br />

Auge zu sehen: Wovor habe ich denn<br />

überhaupt Angst? Was ist mir wirklich<br />

wichtig, und wo liegt meine<br />

Schmerzgrenze? Wer einmal zum<br />

Kern dieser Fragen vorgedrungen ist,<br />

wird möglicherweise feststellen, dass<br />

viele Ängste unbegründet sind. Das<br />

allein kann befreiend wirken. Natürlich<br />

will niemand seinen Job oder sein<br />

Unternehmen verlieren, Ersparnisse<br />

in einer Währungskrise verpuffen<br />

sehen. Doch den meisten Menschen<br />

sind andere Dinge wichtiger, zumeist<br />

sind es Beziehungen zu Familie und<br />

Freunden. In unsicheren Zeiten ist das<br />

Investieren in persönliche Beziehungen<br />

deshalb wichtiger denn je.<br />

Selbsttest. Nach der theoretischen<br />

Abklärung der persönlichen Schmerzgrenze<br />

kann die Askese wertvolle<br />

Erkenntnisse über sich selbst liefern<br />

und Verlustängste minimieren. Im<br />

Selbstversuch kann getestet werden,<br />

wie wichtig einem Dinge und Gewohnheiten<br />

wirklich sind. Der Städter,<br />

der eine Zeitlang freiwillig aufs Auto<br />

verzichtet, wird merken, dass es auch<br />

anders gehen kann. Es soll ein Leben<br />

ohne Fernseher geben. Wer meint,<br />

ohne Kaffee nicht funktionsfähig zu<br />

sein, kann sich genau dieser Her<strong>aus</strong>forderung<br />

stellen.<br />

Plan B. Vorbereitet sein ist alles. Vielen<br />

Menschen hilft es, einen Plan B<br />

zu haben. Damit spielen sie sich gedanklich<br />

frei und Ängste vor einer<br />

ungewissen Zukunft schrumpfen. Ein<br />

Wiener Stadtfrisör hat etwa in ein exklusives<br />

Messer- und Scherenset <strong>aus</strong><br />

Japan investiert. Das ist seine Versicherung<br />

für den Tag X, wenn die Bankomaten<br />

kein Geld mehr <strong>aus</strong>geben.<br />

Dann will er mit seinem Handwerk<br />

und seinem erstklassigen Werkzeug<br />

von Tür zu Türe gehen und notfalls<br />

im T<strong>aus</strong>chhandel gegen Lebensmittel<br />

Haare schneiden.<br />

Europa ist<br />

fortschrittsfeindlicher<br />

als Asien<br />

Es gibt natürlich auch gute Gegenargumente<br />

gegen Krisenidyllen und<br />

Parallelwelten, gegen eine solcherart<br />

konsumverweigernde und wachstumsmüde<br />

Kultur. Der deutsche Verleger<br />

Wolfram Weimer argumentierte,<br />

dass sich Europa heute, insbesondere<br />

im Vergleich mit Asien, auf einem<br />

fortschrittsfeindlichen Kurs befinde.<br />

„Wir wollen nicht mehr weiter werden“,<br />

beschreibt er den Zeitgeist im Nachrichtenmagazin<br />

profil 1 .<br />

Vielleicht liegen die Dinge auch ganz<br />

anders, und es verbirgt sich hinter<br />

dieser vermeintlichen Passivität die<br />

Avantgarde. Innehalten ist nicht<br />

gleichbedeutend mit Stillstand. Vielleicht<br />

sind Konkurrenzdenken und<br />

klassisch-technisches Fortschrittsstreben<br />

passé, die Zeit aber reif für<br />

das etwas wirklich Neues. Es spricht<br />

vieles dafür, dass unser Innovationsstreben<br />

künftig sozialer Innovation<br />

gelten muss. Wenn nun in Europa eine<br />

Bereitschaft zur Verhaltensänderung<br />

entsteht – ja, in der wirtschaftlichen<br />

Dauerflaute durch die Macht des Faktischen<br />

entstehen muss –, mag darin ein<br />

enormer (Wettbewerbs-)Vorteil liegen.<br />

Experten für nachhaltige Energie sind<br />

sich weitgehend einig, dass technische<br />

Innovationen allein die Energiewende<br />

nicht herbeiführen werden, dafür<br />

ist eine Veränderung unserer Konsumgewohnheiten<br />

nötig. Windräder<br />

und Solarpaneele allein werden nicht<br />

<strong>aus</strong>reichen, um <strong>neu</strong>n Milliarden Menschen<br />

– dies ist die UN-Bevölkerungsprognose<br />

für 2050 – ein erträgliches<br />

Leben auf der Erde zu ermöglichen.<br />

Alternativen zur fossilen Energie<br />

müssen also von sozialer Innovation<br />

begleitet sein.<br />

In Zukunft werden<br />

vor allem soziale<br />

Innovationen unsere<br />

Nöte befriedigen<br />

Soziale Innovationen, so schreibt<br />

Managementguru Peter F. Drucker in<br />

seinem Buch Innovation and Entrepre<strong>neu</strong>rship,<br />

seien auch in der Vergangenheit<br />

weitreichender als technische<br />

gewesen. So hätten Spitäler, die in ihrer<br />

modernen Form im Zuge der Aufklärung<br />

entstanden, viel größere Auswirkungen<br />

auf das Gesundheitswesen<br />

gehabt als die meisten Medikamente.<br />

Das Fundament der führenden Rolle<br />

Deutschlands als Industrienation<br />

seien nicht primär seine Erfindungen<br />

und technischen Errungenschaften,<br />

sondern die Art der Organisation der<br />

Produktion und Lehrlings<strong>aus</strong>bildung.<br />

Aus dem Blickwinkel der Anthropologie<br />

jedenfalls steht dem Menschen<br />

stets ein Spektrum an Möglichkeiten<br />

offen. Er ist Generalist. Und er ist<br />

laut Anthropologin Gisela Grupe „ein<br />

ewiger Opportunist“, der sich an <strong>neu</strong>e<br />

und wechselnde Lebensbedingungen<br />

rasch anpassen kann. Dieser Zugang<br />

zum und Umgang mit dem Neuen war<br />

und ist sein Erfolgsrezept. •<br />

1 www.profil.at/articles/1225/560/<br />

331996/retro-industrie-so<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

15


16<br />

Foto: Christoph Wisser


Land<br />

in Sicht<br />

Schrumpfende Regionen müssen sich <strong>neu</strong> erfinden,<br />

um überleben zu können. Manchmal hilft aber nur mehr<br />

die Abrissbirne. Oft nicht die schlechteste Lösung.<br />

Von Daniela Müller<br />

Wenn in einer Metropole nicht mehr Autos<br />

das Straßenbild bestimmen, sondern Gemüsegärten,<br />

ist einiges im Wandel. Detroit ist so<br />

eine Stadt. Einst Hochburg der Autoindustrie,<br />

ist Detroit nach dem Wegfall t<strong>aus</strong>ender<br />

Arbeits plätze heute aufgeteilt in eine „chocolate<br />

city“, eine Innenstadt mit 90 Prozent vielfach<br />

armer und beschäftigungsloser Afroamerikaner<br />

und in „vanilla suburbs“, einem fetten Speckgürtel,<br />

in dem fast <strong>aus</strong>schließlich wohlhabende<br />

Weiße wohnen. Detroit ist eine Stadt, in der<br />

die Einwohnerzahl von einst zwei Millionen<br />

auf 700.000 geschrumpft ist, in der 4.000 verlassene<br />

Bauten stehen und in die Touristen nur<br />

kommen, um Bauruinen zu fotografieren. Eine<br />

Stadt, die lange Zeit vergessen hat, zu handeln.<br />

Detroit ist das stark ramponierte Gesicht der<br />

postindustriellen Zeit.<br />

Dennoch haben sich Bürger, Organisationen<br />

und die Stadtverwaltung zum Handeln entschlossen.<br />

In den letzten Jahren ist eine „Stadtlandschaft“<br />

entstanden. In brach liegenden<br />

Arealen oder dort, wo Häuser abgerissen wurden,<br />

hat man mit Urban Gardening-Projekten<br />

die Landwirtschaft in den urbanen Raum geholt.<br />

Und weil die Stadt pleite ist, erledigen die<br />

Bürger die Reinigung und Beleuchtung ganzer<br />

Straßen, die Müllabfuhr und die Aufgaben der<br />

Polizei selbst. Diese <strong>neu</strong>e Mischung <strong>aus</strong> Kunst,<br />

Kultur und aktivem Bürgertum scheint auch in<br />

der Bevölkerung gut angekommen zu sein:<br />

Die Abwanderung konnte reduziert werden.<br />

Der Niedergang von Wirtschaftszweigen mit<br />

Fabrikschließungen, der Rückgang bäuerlicher<br />

Strukturen, Zersiedlung, Flucht in die Städte<br />

und der demografische Wandel zwingen weltweit<br />

schrumpfende Regionen zum Umdenken.<br />

Schrumpfungsprozesse<br />

sind globale Phänomene,<br />

die auch Österreich<br />

erfasst haben<br />

In Ostdeutschland will man beispielsweise mit<br />

dem „Stadtumbau Ost“ 1 die Bürger zum Umzug<br />

in Innenstädte bewegen und reißt radikal<br />

leerstehende Wohnbauten ab. In Österreich sei<br />

Rückbau noch kein Thema, sagt Elisabeth Stix<br />

von der Österreichischen Raumordnungskonferenz<br />

(ÖROK) 2 . Doch was nicht ist, kann noch<br />

werden: Massiv von Abwanderung bedroht<br />

sind die Obersteiermark, manche Bezirke im<br />

Burgenland und Kärnten sowie das nördliche<br />

Waldviertel. Laut ÖROK werden in Bezug<br />

auf die Bevölkerung die Stadtregionen weiter<br />

wachsen und entlegene Regio nen das Nachsehen<br />

haben. „Man kann sich globalen Trends,<br />

die für Schrumpfungsprozesse verantwortlich<br />

sind, nicht widersetzen“, meint Stix. Hier gilt<br />

es, Alternativen zu finden und Potenziale zu<br />

heben. „Das geht nur, wenn Verwaltung,<br />

Politik, Bevölkerung und Experten gut zusammenarbeiten.<br />

Lösungen brauchen Zeit und<br />

Ressourcen.“<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

17


Foto: www.stadt-geschichte.tugraz.at<br />

© Marion Schneider & Christoph Aistleitner, Mediocrity<br />

Foto: www.stadt-geschichte.tugraz.at © Oliver Jungwirth<br />

Durch den Rückgang des Bergb<strong>aus</strong> ist in der Region<br />

Eisenerz die Bevölkerung seit den 1960er-Jahren bis heute<br />

um fast zwei Drittel geschrumpft. Das Projekt redesign Eisenerz<br />

setzt sich mit der Problematik <strong>aus</strong>einander.<br />

Eine Lektion, die man in Eisenerz gelernt hat, ist, dass<br />

die Bevölkerung aktiv in den Rückplanungsprozess einbezogen<br />

werden muss. Selbst dann, wenn das in weiterer Folge eine<br />

Umsiedlung von hunderten Bürgern bedeutet.<br />

Während man in Detroit eine weniger dicht<br />

besiedelte Stadt als Chance sieht und dort erfolgreich<br />

<strong>neu</strong>e Konzepte erprobt, steht die postindustrielle<br />

Region Eisenerz erst am Anfang<br />

einer solchen Entwicklung. Dort schrumpfte<br />

nach dem Wegfall t<strong>aus</strong>ender Arbeitsplätze die<br />

Zahl der Einwohner von 13.000 in den 1960er-<br />

Jahren auf aktuell 5.000. 3<br />

In Eisenerz standen<br />

zuletzt zwei Drittel<br />

der Wohnungen leer<br />

Nach vielen Versuchen ab den 1980er-Jahren,<br />

die Region zu beleben, um Wachstum zu erreichen,<br />

kam man Anfang des Jahrt<strong>aus</strong>ends zum<br />

Schluss, dass man sich mit der Schrumpfung<br />

abfinden müsse. Immerhin standen rund zwei<br />

Drittel der Wohnungen leer und die Vereinsamung,<br />

die Alterung und das Geschäftesterben<br />

waren nicht zu übersehen. Die Verkehrsinfrastruktur<br />

wurde schlechter, weil immer weniger<br />

Menschen unterwegs waren. Mit dem Projekt<br />

redesign Eisenerz 4 begann man, die gesamte<br />

Gemeindestruktur und alle Beteiligten – vom<br />

einzelnen Bürger über die Stadtverwaltung bis<br />

zum Land Steiermark – in die Lösung einzubeziehen.<br />

„Umwandlungsprozesse in Regionen<br />

stehen und fallen mit den dort ansässigen<br />

und betroffenen Menschen“, sagt Norbert<br />

Weixlbaumer vom Institut für Geographie<br />

und Regionalforschung an der Universität<br />

Wien. Transformationsprozesse seien stets ein<br />

Mix <strong>aus</strong> Top-down und Bottom-up. Einerseits<br />

müsse die Bevölkerung die Gelegenheit bekommen,<br />

sich einbringen zu können. Andererseits<br />

müssten im Hintergrund vernünftige Rahmen-<br />

bedingungen vorgegeben werden. Vor allem<br />

müsse es lokale Akteure geben, die gewillt<br />

seien, <strong>neu</strong>e Strukturen aufzubauen.<br />

Vielfach komplett <strong>neu</strong> gedacht werden muss dabei<br />

die Verkehrsinfrastruktur. Thomas Klinger<br />

von der Arbeitsgruppe Mobilitätsforschung an<br />

der Goethe-Universität Frankfurt sagt:<br />

„Im Zuge der industriellen Entwicklung wurde<br />

vor allem auf Straßenbau gesetzt und so eine<br />

entfernungsintensive Lebensweise geschaffen.“<br />

Nun zwinge uns die demografische Entwicklung<br />

<strong>neu</strong>e Lösungen zu finden. Denn schließlich hat<br />

jeder Bürger ein Bedürfnis nach individueller<br />

Mobilität.<br />

In Nordeuropa war man schon länger gefordert,<br />

trotz knapper Ressourcen eine bestmögliche<br />

Versorgung zu gestalten: Auf der dänischen<br />

Insel Bornholm ist der Paketdienst der Post<br />

zugleich Nahverkehrsbus und der Rettungsdienst<br />

ist in den öffentlichen Personenverkehr<br />

eingebunden 5 .<br />

Nach nordischem Vorbild wird nun in der<br />

Uckermark in Ostdeutschland versucht, den<br />

Güterverkehr mit dem Personenverkehr zu<br />

bündeln. Und in der dünn besiedelten Region<br />

Odenwald bei Frankfurt will man künftig die<br />

Verbindung zwischen Gemeinden, Gemeindeteilen<br />

und dem Unter- bzw. Mittelzentrum auf<br />

multimodaler Basis – unter Kombination von<br />

Bahn-, Buslinien, Lieferverkehr, Post und Individualverkehr<br />

in nur 30 Minuten garantieren.<br />

In vielen Regionen müssen Verkehrslösungen<br />

komplett <strong>neu</strong> gedacht werden, die Autostadt<br />

Detroit etwa hat nicht einmal einen Bahnhof.<br />

Doch fast überall sind die Kassen knapp. Tobias<br />

18


Foto: www.shrinkingcities.com<br />

Foto: Urban farming, Detroit<br />

Detroit ist eine Stadt, in der die Einwohnerzahl von einst zwei<br />

Millionen auf 700.000 geschrumpft ist, in der 4.000 verlassene<br />

Bauten stehen und in die Touristen nur kommen, um Bauruinen<br />

zu fotografieren.<br />

Bürger, Organisationen und die Stadtverwaltung haben in<br />

den letzten Jahren die Landwirtschaft in den urbanen Raum geholt.<br />

In brach liegenden Arealen oder dort, wo Häuser abgerissen wurden,<br />

werden Urban Gardening-Projekte betrieben.<br />

Schlüter von der Abteilung Hypertransformation<br />

an der Hochschule Zittau-Görlitz schlägt<br />

deshalb ein Genossenschaftsmodell mit Anreizsystem<br />

vor, bei dem Bund und Länder wie<br />

gewohnt Zuschüsse an Mobilitätsanbieter<br />

leisten. Wer es schafft, die Nutzerzahlen zu<br />

steigern, kann sich die so erworbenen Gelder<br />

behalten.<br />

die britische Stadt<br />

Manchester gilt<br />

international als vorbild<br />

Tourismus ist auch ein Stichwort für Transformationsprozesse<br />

in vornehmlich alpinen<br />

Regionen. Dort könnten große Naturschutzgebiete<br />

<strong>neu</strong>e Impulse bringen, glaubt Norbert<br />

Weixlbaumer von der Universität Wien. In den<br />

westfranzösischen Alpen kurbeln diese schon<br />

jetzt den sanften Tourismus an. „Dadurch gewinnt<br />

der Lebensraum an Qualität und wird<br />

für Betriebsansiedlungen attraktiver“, sagt<br />

Weixlbaumer.<br />

Wie Kultur eine Region beleben kann, zeigt das<br />

britische Beispiel Manchester, das neben Detroit<br />

als Good-Practice-Beispiel für erfolgreichen<br />

Stadtumbau gilt. Dort gelang nach dem Verlust<br />

der klassischen Industriezweige durch den Bau<br />

eines großen Shoppingcenters, durch mehrere<br />

Kulturinitiativen sowie die Ansiedlung von<br />

<strong>neu</strong>en Berufsfeldern der Turnover. Mittlerweile<br />

verzeichnet Manchester sogar einen leichten Bevölkerungszuwachs.<br />

Die Stadtverwaltung kam<br />

der Bevölkerung dabei entgegen: Wer konstruktiv<br />

zum Umbau der Stadt beitragen wollte, dem<br />

wurden ohne Verrechnung von Betriebskosten<br />

Gebäude zur Verfügung gestellt.<br />

Die Bereitschaft zum Umbau und der Mut zum<br />

Rückbau müssen in Eisenerz erst vollständig<br />

ankommen. Das 2006 gestartete und noch bis<br />

2021 laufende Projekt redesign Eisenerz beäugte<br />

die Bevölkerung lange Zeit skeptisch. Als das<br />

erste Gebäude abgerissen wurde, seien die Emotionen<br />

hochgegangen, berichtet Elisa Rosegger-<br />

Purkrabek von redesign Eisenerz. Ähnlich dem<br />

Schrumpfen ist<br />

schmerzhaft.<br />

Kultur und Bildung<br />

als Gegenstrategie<br />

deutschen Modell „Stadtumbau Ost“ setzt man<br />

gezielt auf Schrumpfung, indem vornehmlich<br />

peripher gelegene und vielfach leer stehende<br />

Wohnsiedlungen abgerissen und die verbliebenen<br />

Bewohner dazu bewegt werden sollen, in<br />

den Innenstadtbereich zu ziehen. Sieben Wohnhäuser<br />

fielen der Abrissbirne schon zum Opfer,<br />

über 120 H<strong>aus</strong>halte sind umgesiedelt. Weitere<br />

Projektziele von redesign Eisenerz sind, die Region<br />

touristisch als Ganzjahresdestination zu<br />

etablieren, die Betriebe in der Region zu stärken,<br />

mit entsprechendem Schulangebot stärker<br />

auf Bildung zu setzen und kulturelle Angebote<br />

zu etablieren. Bis 2030 soll sich die Einwohnerzahl<br />

von derzeit 5.000 auf 3.500 einpendeln.<br />

Wie vor dem Boom der Industrialisierung. •<br />

1 www.stadtumbau-ost.info<br />

2 www.www.moz.de/galerie/uebersicht/<br />

g3/908/155780<br />

3 www.oerok-atlas.at<br />

4 www.eisenerz.at/redesign<br />

5 http://elpub.bib.uni-wuppertal.de/servlets/<br />

DerivateServlet/Derivate-684/d110401.pdf<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

19


die welt in 20 jahren<br />

Die Stadt<br />

nach Plan<br />

Der deutsche Architekt Meinhard von Gerkan hat sich eine<br />

ganz <strong>neu</strong>e stadt in china <strong>aus</strong>gedacht, die jetzt auch gebaut wird.<br />

EIN GESPRÄCH zu seinen ÜberlegungeN, Beobachtungen<br />

sowie schlussFolgerungen zur Städteplanung, und wie all<br />

dies dazu führte, dass im Herzen von Lingang nichts<br />

als Wasser ist.<br />

Das Gespräch führte Ruth Reitmeier<br />

Stadtmensch oder Landmensch?<br />

Eindeutig Stadtmensch. Das Leben<br />

in der Stadt ist für mich spannender,<br />

vielseitiger, ansprechender.<br />

Sie planen eine Stadt der Zukunft<br />

für 1,3 Millionen Menschen in China:<br />

Lingang New City.<br />

Dort hatte ich Gelegenheit, das gesamte<br />

Konzept zu entwickeln und nun zu realisieren<br />

und dabei meine theoretischen<br />

und logischen Folgerungen, die ich <strong>aus</strong><br />

anderen Städten entwickelt habe, verbessert<br />

umzusetzen.<br />

Welche Überlegungen standen bei<br />

Lingang am Anfang?<br />

Ganz am Anfang stand die Wahrnehmung<br />

der nicht mehr zu bewältigenden<br />

Verkehrsprobleme in China, die in großen<br />

Städten noch viel drängender sind<br />

als etwa in Europa, und die unglaublich<br />

vielen Fehler, die man dort gemacht<br />

hat und heute noch macht.<br />

Welche?<br />

Es ist ein Irrtum zu glauben, dass der<br />

Verkehr fließt, je mehr Straßen gebaut<br />

werden. Mit jedem Kilometer mehr<br />

Straße wird entsprechend mehr<br />

gefahren. In Shanghai gibt es Hochschnellstraßen.<br />

Die haben nicht nur<br />

einen enorm großen Flächenbedarf,<br />

als Schnellverbindungen bieten sie<br />

nur gelegentliche Anschlusspunkte<br />

zum Stadtorganismus selbst. All das<br />

hat zur Folge, dass die Verkehrsdichte<br />

zunimmt, mehr Energie verbraucht<br />

wird, die Umweltbelastung steigt und<br />

der Stadtorganismus durch Verkehrsschneisen<br />

zerschnitten wird.<br />

Individualverkehr<br />

erzeugt enorme<br />

Probleme in der<br />

Stadt<br />

Hat der motorisierte Individualverkehr<br />

in großen Städten <strong>aus</strong>gedient?<br />

Der Individualverkehr hat zweifellos<br />

Vorzüge, zugleich erzeugt er enorme<br />

Probleme in der Verdichtung des Verkehrs<br />

und des Flächenbedarfs, allein<br />

wegen der Größe der Fahrzeuge. Der<br />

Sättigungsgrad an Autos ist in vielen<br />

Städten erreicht.<br />

Muss auf das Autofahren in der Stadt<br />

künftig verzichtet werden?<br />

Nicht unbedingt, denn es haben sich<br />

zugleich Dinge entwickelt, die vor zehn,<br />

fünfzehn Jahren bestenfalls gedacht<br />

wurden. Ich spreche vom Car-Sharing.<br />

Man muss also gar kein Auto mehr besitzen,<br />

sondern kann es bei Bedarf für<br />

eine gewisse Zeit nutzen. Durch Mehrfachnutzung<br />

wird der fließende Verkehr<br />

durch eine viel geringere Zahl an<br />

Autos möglich.<br />

Was muss sich in alten Städten ändern?<br />

Am wichtigsten ist die Änderung des<br />

Bewusstseins. Dass das Auto nicht das<br />

wichtigste Statussymbol sein muss und<br />

man es viel effizienter, gemeinsam mit<br />

anderen nutzen kann. Gibt es erst genug<br />

Sammelstellen, könnte die Anzahl<br />

der Autos enorm reduziert und Fläche<br />

wieder freigegeben werden. Denn ein<br />

Auto braucht fünfmal soviel Fläche wie<br />

ein Mensch. Das ist ein unglaubliches<br />

Problem, insbesondere in alten Städten.<br />

Als ein Vorbild für Lingang diente eine<br />

sehr alte Stadt, eine berühmte Stadt<br />

der Antike: Alexandria.<br />

Diese Frage führt uns zur Struktur innerhalb<br />

der Stadt, das Zusammengehen<br />

von Verkehrstrassen, von Bewegungsräumen<br />

und Parks. All das setzt eine<br />

20


Foto: © Wilfried Dechau<br />

Meinhard von Gerkan leitet mit Volkwin<br />

Marg das renommierte Architekturbüro gmp<br />

in Hamburg.<br />

Das Unternehmen wurde 1965 gegründet,<br />

betreibt heute weltweit 10 Büros und baut<br />

Kultur- und Infrastrukturbauten, Stadien<br />

und derzeit eine ganze Stadt in China: Rund<br />

60 Kilometer südöstlich von Shanghai entsteht<br />

Lingang New City. Die Bauzeit erstreckt<br />

sich über rund 18 Jahre bis 2020.<br />

Von Gerkan stammt <strong>aus</strong> einer deutschbaltischen<br />

Familie. Als Kriegsvollwaise und<br />

Flüchtling wuchs er als Pflegekind in Hamburg<br />

auf.<br />

Sein Weg zur Architektur sei nicht vorgezeichnet<br />

gewesen, wie er betont: „Ich habe<br />

zwölf verschiedene Schulen besuchen müssen,<br />

wurde hin-und-hergerissen von allen<br />

möglichen Beeinflussungen. Ich wusste also<br />

nicht, was ich werden wollte“.<br />

Seine Wahl fiel schließlich auf das Architekturstudium,<br />

zumal er Freude am Arbeiten<br />

auf Papier, Zeichentalent sowie Interesse<br />

an der Konstruktion hatte. „Und das hat mir<br />

vom ersten Semester an Spaß gemacht.“<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

21


Abbildung: © Heiner Leiska<br />

Die strahlenförmig<br />

angelegten Straßen Lingangs<br />

führen zum Stadtmittelpunkt –<br />

ein künstlicher See.<br />

Vorbild dafür ist das<br />

ägyptische Alexandria.<br />

Abbildung: google maps; Barbara Wais<br />

Shanghai<br />

Die Planstadt Lingang befindet sich 60 km südöstlich von Shanghai und<br />

soll 2020 fertig sein.<br />

bestimmte logische Erkenntnis vor<strong>aus</strong>.<br />

Dazu muss man wissen, dass die Mitte<br />

chinesischer Großstädte dicht mit<br />

Hochhäusern bebaut ist. Die Mieten<br />

sind dort am höchsten. Deshalb siedeln<br />

sich jene dort an, die es sich leisten können,<br />

und das sind allen voran Banken<br />

und Versicherungen, die allerdings für<br />

das Stadtleben tote Masse sind.<br />

Allein die Tatsache, eine dicht bebaute<br />

Stadtmitte zu schaffen, hat zur Konsequenz,<br />

dass sie wochentags verkehrsmäßig<br />

überfrachtet, am Wochenende aber<br />

menschenleer ist. Und jetzt spanne ich<br />

den Bogen zwischen Alexandria und<br />

Lingang. Wenn man mitten in der<br />

Stadt eine große Wasserfläche hat –<br />

in Alexandria ist das eine Bucht, in<br />

Lingang ein von mir erdachter künstlicher<br />

See mit drei Kilometern Durchmesser<br />

–, kann das nicht passieren.<br />

Pudong<br />

International<br />

Airport<br />

Lingang New City<br />

Yangshan<br />

Container-<br />

Tiefseehafen<br />

Denn der See hat den Vorteil, dass keine<br />

Häuser darauf stehen. Zugleich ist er ein<br />

Ort der Freizeit, des Vergnügens, der<br />

Begegnung.<br />

Die Stadtmitte<br />

bleibt absichtlich<br />

verkehrsfrei<br />

Das Zentrum Lingangs ist also der<br />

See sowie die rundherum verlaufende<br />

Strandpromenade?<br />

Richtig. Dort kann man sich mit Freunden<br />

treffen, eine Runde joggen oder mit<br />

dem Rad fahren. So funktioniert im<br />

Übrigen der gesamte öffentliche Verkehr<br />

der Stadt: Der fährt im Kreis. Die<br />

Struktur ist eine Kreisfigur mit einem<br />

Mittelpunkt, peripheren Kreisen und<br />

strahlenförmig angelegten Straßen.<br />

<strong>Alles</strong> ist so angeordnet, dass sich die<br />

Wege stark verkürzen. Hier hat also<br />

ein ratio nales Moment eine Ordnungsstruktur<br />

geschaffen. Das findet man<br />

auch in anderen Städten, doch so konsequent<br />

umgesetzt wie in Lingang gibt<br />

es das bisher auf der ganzen Welt noch<br />

nicht.<br />

Lingang ist zwar keine autofreie Stadt,<br />

doch Sie haben alles daran gesetzt, die<br />

Autos nicht ins Zentrum zu lassen.<br />

In der Mitte ist der große See und da<br />

gibt es nur Wasser – also keine Autos.<br />

Dann kommt ein Strand, der ist relativ<br />

breit, eine Grün- und Freizeitzone. Ich<br />

habe auch ganz bewusst in die Gestaltungsordnung<br />

hineingeschrieben, dass<br />

man im inneren Ring die Autos nicht<br />

an der Straße abstellen darf, es darf<br />

dort keine freien Parkplätze geben. Die<br />

Autos müssen unter die Erde oder weg.<br />

Man muss andere<br />

Städte durchlaufen,<br />

um <strong>neu</strong>e STädte<br />

planen zu können<br />

Wie entwickelt sich die Idee<br />

einer Stadt der Zukunft?<br />

Es ist zuallererst ein Prozess des Durchlebens.<br />

Man muss einfach andere Städte<br />

erleben, am besten durchlaufen. Nur<br />

dann nimmt man sie wirklich wahr.<br />

Um ein Beispiel zu nennen: Brasilia<br />

war als eine moderne, autogerechte<br />

Stadt konzipiert.<br />

... und genau das war das Problem.<br />

Man war zunächst unheimlich stolz<br />

darauf. Nur, was ist passiert? Als Autofahrer<br />

muss man heute in eingezäunten<br />

Straßen von A nach B fahren. Völlig<br />

unterprivilegiert sind alle nicht motorisierten<br />

Verkehrsteilnehmer. In Wohn-<br />

22


Das Zentrum chinesischer Städte<br />

ist normalerweise von Banken und<br />

Versicherungen besiedelt, die für<br />

das Stadtleben tote Masse sind:<br />

wochentags verkehrsüberlastet,<br />

am Wochenende menschenleer.<br />

In Lingang soll der See eine<br />

solche Entwicklung verhindern.<br />

vierteln kommt man ohne Auto nicht<br />

von der einen Seite auf die andere.<br />

Die autogerechte Stadt war, wie sich<br />

her<strong>aus</strong> stellt, eine unsägliche Erfindung,<br />

denn zugleich wurde damit eine<br />

menschen ungerechte Stadt geschaffen.<br />

Wird Lingang so funktionieren,<br />

wie Sie sich das vorstellen?<br />

Ich kann dazu nur sagen, ich wünsche<br />

mir, dass die Stadt zu 80 Prozent so<br />

funktioniert, wie erdacht. Zu 100<br />

Prozent kann es gar nicht klappen,<br />

weil eine Stadt permanenten Veränderungen<br />

unterliegt, die nicht antizipierbar<br />

sind. Aber natürlich fürchte ich,<br />

dass ich vielleicht zu falschen Schlüssen<br />

gekommen bin. Das wird man erst beurteilen<br />

können, wenn die Stadt voll<br />

belebt ist.<br />

Eine ganze Stadt<br />

zu planen ist<br />

eine enorme<br />

Her<strong>aus</strong>forderung<br />

Welche Vorteile hat die <strong>neu</strong> geplante<br />

Stadt gegenüber der gewachsenen?<br />

Die <strong>neu</strong> geplante Stadt hat den einen<br />

Vorteil, dass sie etwa auf Bedingungen,<br />

die im Mittelalter geherrscht haben,<br />

keine Rücksicht nehmen muss. Dass es<br />

eben keine engen Gassen gibt und dass<br />

viel bessere Verknüpfungen innerhalb<br />

der Stadt hergestellt werden können.<br />

Ist es der Traum jedes Architekten eine<br />

ganze Stadt zu planen?<br />

Es ist eine der größten Her<strong>aus</strong>forderungen,<br />

es ist ein Geschenk, es tun<br />

zu dürfen und es verpflichtet einen,<br />

das Beste dar<strong>aus</strong> zu machen. Es ist<br />

zugleich aber – und das habe ich<br />

lernen müssen – eine nicht aufhören<br />

Foto: © Julia Ackermann / gmp Foto: © wikipedia, Ricky Qi<br />

Lingang ist eine Stadt, die dem menschlichen Bedürfnis nach Begegnung<br />

Rechnung tragen soll.<br />

wollende Dauerbelastung, weil man<br />

ständig aufpassen muss, dass nichts<br />

schief geht.<br />

Freiräume für<br />

die spätere<br />

Stadtentwicklung<br />

zulassen<br />

Muss eine <strong>neu</strong>e Stadt um ein Mobilitätskonzept<br />

herum geplant werden?<br />

Mobilität ist zweifellos ein Grundbedürfnis<br />

der Menschheit, doch es geht<br />

dabei nicht nur um Fortbewegung,<br />

sondern um die Begegnung mit anderen<br />

Menschen. Man meint immer, hat<br />

man erst eine Straßenstruktur geschaffen,<br />

wurde ein Netz über die Fläche<br />

<strong>aus</strong>gebreitet, dann entstehe eine<br />

Grundstruktur und man brauche<br />

nur noch die Häuschen reinzuflicken.<br />

Doch die Netzstruktur, die man vorher<br />

unveränderlich festlegt hat, hat den<br />

Nachteil, dass alles, was mehr Bedeutung<br />

hat, durch solche Raster gefesselt<br />

ist und es keinen Spielraum gibt.<br />

Was hat denn mehr Bedeutung?<br />

Was in der Stadt womit und mit wem<br />

wie verbunden ist, wo ein Schwerpunkt<br />

liegt, wo eine Kulturachse entstehen<br />

kann. Ein Plan muss der Freiheit der<br />

Stadtentwicklung und den menschlichen<br />

Bedürfnissen so gut wie möglich<br />

Rechnung tragen.<br />

Ist Lingang die ideale Stadt?<br />

Lingang ist für mich eine einmalige<br />

Chance, weil hier die Qualität des<br />

urbanen Lebens im Mittelpunkt steht. •<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

23


Beamen bleibt<br />

vorerst Utopie<br />

Man kann das Rad nicht <strong>neu</strong> erfinden, lautet ein sprichwort.<br />

Die Quantenphysik versucht Es trotzdem. Was genau dar<strong>aus</strong> wird,<br />

weiSS niemand. Es könnte aber alles <strong>neu</strong> werden.<br />

Das Gespräch führte Daniela Müller<br />

Schrödingers Katze<br />

Der Begründer der Quantenmechanik, Erwin Schrödinger, suchte zur<br />

Veranschaulichung des Faches eine originelle Analogie in Form eines<br />

fiktiven Experimentes. Dazu sollte eine Katze mit einem in absehbarer<br />

Zeit radioaktiv zerfallenden Atom in einen nicht einsehbaren Kasten<br />

gesperrt werden. Laut Versuchsanordnung wird die Katze in dem<br />

Moment getötet, in dem das Atom zerfällt und der Geigerzähler<br />

<strong>aus</strong>schlägt. Der nicht einsehbare Kasten ist dabei ein Synonym für<br />

quantenphysikalische Vorgänge: Wenn man prinzipiell nicht wissen<br />

kann, welches der beiden möglichen Ereignisse (Atom ist zerfallen<br />

bzw. nicht zerfallen) eingetreten ist, liegen beide Zustände „gleichzeitig“<br />

vor, die Katze ist tot und lebendig. Sobald der Mensch als<br />

Beobachter eintritt, verändert er die experimentelle Situation:<br />

Durch das Nachsehen, hier durch das Öffnen des Kastens, wird<br />

ein bestimmter Zustand des Atoms und somit der Katze festgelegt.<br />

Die Quantenphysik geht davon <strong>aus</strong>, dass die Welt noch viele<br />

Überraschungen birgt – es im Fall der Katze noch andere Zustände<br />

als „Katze lebt“ oder „Katze ist tot“ geben kann. Welche das sein<br />

könnten, ist wenig definiert.<br />

Markus Aspelmeyer geht an der<br />

Fakultät für Physik der Universität<br />

Wien den Geheimnissen der Quantenphysik<br />

auf den Grund, die möglicherweise<br />

unser Denken radikal verändern<br />

werden.<br />

Wie könnte im quantenmechanischen<br />

Sinne Mobilität <strong>neu</strong> gedacht werden?<br />

Es gibt das Gebiet der Quanteninformation.<br />

Dort wird Information mit<br />

Hilfe der Quantenphysik verarbeitet,<br />

was ungeahnte Möglichkeiten für<br />

Kommunikations- und Rechenanwendungen<br />

eröffnet – sozusagen <strong>neu</strong>e<br />

Wege der „Datenmobilität“. Die Quantenkryptographie<br />

ist nur ein Beispiel.<br />

Dort wird abhörsichere Kommunikation<br />

auf Basis der Quantenphysik<br />

erzielt. In der herkömmlichen Kryptogra<br />

phie ist das schwierig. Jeder L<strong>aus</strong>changriff<br />

wird aufgrund der Gesetze der<br />

Quantenphysik sofort entdeckt. Die<br />

Quantenkryptographie wird auch<br />

schon kommerziell eingesetzt.<br />

Es gibt auch andere Entwicklungen,<br />

beispielsweise Ideen, wie man mit<br />

Hilfe der Quantenphysik die Effizienz<br />

von Solarzellen verbessern könnte.<br />

Sollte das jemals erfolgreich sein,<br />

könnte das durch<strong>aus</strong> die Mobilität beeinflussen,<br />

je nachdem was Solarzellen<br />

eben alles antreiben.<br />

24


Also keine Aussicht auf eine völlig<br />

<strong>neu</strong>e Art, um von A nach B zu kommen?<br />

Das beste Konzept, das ich dazu kenne,<br />

ist der Infinite Improbability Drive<br />

<strong>aus</strong> dem Buch „Hitchhiker’s Guide to<br />

the Galaxy“. Die Idee ist, dass ein Objekt<br />

mittels der quantenmechanischen<br />

Wellenfunktion so weit im Raum verteilt<br />

ist, dass es im Prinzip überall sein<br />

kann. Das Problem ist nur, dass man<br />

vor Antritt der Reise nicht weiß, wo<br />

im Universum man landen wird…<br />

Markus Aspelmeyer ist Professor für Physik an der<br />

Universität Wien. Zuvor war er unter anderem am Institut<br />

für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI)<br />

der Österreichischen Akademie der Wissenschaften<br />

in Wien tätig. Er ist Gründungsmitglied und derzeitiger<br />

Sprecher des Vienna Center for Quantum Science and<br />

Technology (VCQ). Aspelmeyer wurde national und international<br />

mehrfach für seine Forschungen im Bereich<br />

der Quantenphysik <strong>aus</strong>gezeichnet.<br />

http://aspelmeyer.quantum.at<br />

Hat es Potenzial, umgesetzt zu werden?<br />

Leider nein.<br />

Wie sieht’s mit Beamen <strong>aus</strong>?<br />

Ebenfalls hoffnungslos. Beamen ist<br />

nichts anderes als Informationsübertragung,<br />

allerdings ohne dass das Teilchen,<br />

das die Information ursprünglich<br />

trägt, transportiert wird. Die<br />

Informa tion wird auf ein entferntes<br />

Teilchen übertragen, und am Ausgangsort<br />

unwiderruflich gelöscht. Die<br />

Teleporta tion, die ihren Namen <strong>aus</strong><br />

dem Film Star Trek erhielt, wurde im<br />

Labor erstmals in Österreich mit einzelnen<br />

Lichtteilchen und auch Atomen<br />

erprobt. Dabei wurden schon Distanzen<br />

bis zu 140 Kilometer erreicht. Die<br />

Schwierigkeit liegt darin, mehr Information<br />

als einige wenige Bits zu teleportieren.<br />

Bei einem größeren System,<br />

und sei es auch nur ein Radiergummi,<br />

wird’s prinzipiell unmöglich.<br />

DAS Gedankenexperiment der Quantenphysik,<br />

Schrödingers Katze, zeigt das<br />

Dilemma, dass die uns bekannte Welt<br />

und die der Quantenphysik unvereinbar<br />

sind. Wie kann das Beispiel übersetzt<br />

werden auf gesellschaftliche Prozesse?<br />

Schrödinger wollte damit sagen, dass<br />

die Quantenphysik Zustände von Objekten<br />

zulässt, die sich unserem Alltagsverständnis<br />

völlig entziehen.<br />

(Aspelmeyer entschuldigt sich, um seiner<br />

echten Katze die Türe zu öffnen.)<br />

Wir können heute Experimente durchführen,<br />

deren Ergebnisse im direkten<br />

Widerspruch stehen mit unserer Vorstellung,<br />

dass <strong>aus</strong>schließlich der eine<br />

oder der andere Zustand eines Objekts<br />

vorliegt, zum Beispiel dass ein Objekt<br />

„hier“ oder „dort“ ist. Bei Atomen oder<br />

Lichtteilchen mag einen das wenig stören,<br />

weil man von diesen kleinen Objekten<br />

keine rechte Vorstellung hat,<br />

weil sie ja so klein sind. Aber bei einer<br />

Katze steht das im direkten und ganz<br />

krassen Widerspruch zu dem, was wir<br />

<strong>aus</strong> dem Alltag kennen, nämlich entweder<br />

tot oder lebendig.<br />

Was heißt das alles für unser Denken?<br />

Im Moment ist die größte Her<strong>aus</strong>forderung,<br />

diese Erkenntnis einmal zu<br />

verdauen und klarzumachen, dass<br />

Quantenphysik unser Weltbild radikal<br />

infrage stellt. Da sind <strong>neu</strong>e Denkansätze<br />

gefragt.<br />

Was zeigt uns die Quantenphysik, das wir<br />

bisher nicht vollständig gedacht haben?<br />

Wir wissen mittlerweile, wo wir falsch<br />

liegen. Nämlich zu denken, dass man<br />

einem Objekt Eigenschaften unabhängig<br />

von der Messung der Eigenschaften<br />

zuschreiben kann. Platt formuliert<br />

könnte man sagen: Wir gehen fälschlicherweise<br />

davon <strong>aus</strong>, dass jemand<br />

Schuhe trägt, auch wenn wir nicht hinschauen.<br />

Diese sogenannte Realismusannahme<br />

ist falsch, zusammen mit der<br />

Annahme, dass meine Beobachtung an<br />

meinem Ort keinen Einfluss auf Ihre<br />

Beobachtungen an Ihrem weit entfernten<br />

Ort hat. Das ist ein extrem harter<br />

Brocken, weil diese beiden Annahmen<br />

nahezu intuitiv in unserer Weltanschauung<br />

verankert sind. Was wir<br />

noch nicht wissen, ist, wie man stattdessen<br />

darüber nachdenken sollte.<br />

Kann Quantenphysik ein Umbruch<br />

in unserem naturwissenschaftlichen<br />

Denken sein? Löst es Bisheriges ab oder<br />

ist es eine alternative Denkweise?<br />

Aus unseren Experimenten haben wir<br />

bereits unabänderbare Fakten, die wir<br />

nicht mit den einfachen Annahmen,<br />

auf denen unser Weltbild fußt, erklären<br />

können – unabhängig von der physikalischen<br />

Theorie. Wir wissen also,<br />

dass wir unsere Anschauungen gewaltig<br />

ändern müssen. Wir arbeiten auch<br />

mit Philosophen zusammen, um konsistente<br />

Denkweisen zu finden. Um auf<br />

die Frage zu antworten: Es wird bisheriges<br />

Denken ablösen.<br />

Wie kommen wir her<strong>aus</strong> <strong>aus</strong> unserem<br />

Denkschema: Wir sehen nur, was wir<br />

kennen? Oder um Einstein zu zitieren:<br />

„Der gesunde Menschenverstand ist<br />

nichts anderes, als die Summe der Vorurteile,<br />

die wir bis zum 18. Lebensjahr<br />

erworben haben.“<br />

Man muss die Leute so früh wie möglich<br />

mit der verrückten Welt der Quantenphysik<br />

konfrontieren und sie zum<br />

Denken anregen. Eigentlich dürfte man<br />

das Gymnasium nicht verlassen, ohne<br />

mit diesem Weltbild konfrontiert worden<br />

zu sein. Und vielleicht muss man<br />

ja noch früher ansetzen.<br />

Warum brauchen wir Bilder, um etwas<br />

zu glauben?<br />

Das scheint ein natürliches Bedürfnis<br />

zu sein. Dar<strong>aus</strong> entspringt die menschliche<br />

Neugier. Unsere Erklärungen<br />

beruhen nicht nur auf Hypothesen<br />

über die Welt, diese sollen auch nicht<br />

im Widerspruch mit der Gesamtheit<br />

unserer Beobachtungen stehen.<br />

Wir wollen ein konsistentes Weltbild.<br />

Die Quantenexperimente zwingen uns<br />

dazu, einige dieser Hypothesen, wie<br />

etwa den Realismus, aufzugeben.<br />

Und das ist letztlich gen<strong>aus</strong>o schwer,<br />

wie es sich anhört … •<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

25


innovatives online & offline<br />

StART-UPs<br />

Spannende Ideen <strong>aus</strong> aller Welt zum Thema <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

Von Katrin Stehrer<br />

////// Sag’s mir durch die Nummer ///////////////////<br />

Beim Autofahren sind umfassende Botschaften an andere Verkehrsteilnehmer meist<br />

unmöglich. Getadelt, gelobt und geflirtet wird daher mittels stark verkürzter Zeichensprache.<br />

Ein kostenloser Service zweier Deutscher verspricht das zu ändern:<br />

Auf www.flinyu.com kann man mit anderen Autofahrern in Kontakt treten, ohne deren<br />

Namen zu kennen. Es genügt das Autokennzeichen. Vor<strong>aus</strong>setzung ist, dass der<br />

Adressat auch auf www.flinyu.com registriert ist.<br />

////// Treibstoff gegen den Klimawandel ////////<br />

Den CO 2-Gehalt in der Atmosphäre reduzieren und damit flüssigen Treibstoff produzieren?<br />

Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Laut Climeworks, einem Spin-off der<br />

ETH Zürich, könnte der Traum bald Realität sein. Reines CO 2 kann schon heute mithilfe<br />

des patentierten CO 2-Luftfilter-Materials „Sorbent“ <strong>aus</strong> der Umgebungsluft gewonnen<br />

werden. Bis 2020 soll auch der zweite B<strong>aus</strong>tein für die Spritproduktion geschafft<br />

sein: die Umwandlung von reinem CO 2 in flüssigen Treibstoff.<br />

www.climeworks.com<br />

////// umstiegshilfe in die firma //////////////////////<br />

PocketTaxi und PleaseCycle sind zwei Start-ups mit unterschiedlichen Lösungen für<br />

eine Her<strong>aus</strong>forderung: die hohe Umweltbelastung durch den Berufsverkehr zu reduzieren.<br />

Die PocketTaxi-Software, die in Zusammenarbeit mit dem Karlsruher Institut<br />

für Technologie entwickelt wurde, ermöglichen mit wenigen Klicks spontanes Bilden<br />

von Fahrgemeinschaften für den Weg von und zur Arbeit. Voranmeldung à la Mitfahrzentrale<br />

ist nicht mehr nötig. Derzeit gibt es PocketTaxi nur für Unternehmen, geplant<br />

ist eine Erweiterung auf Privatpersonen.<br />

www.pockettaxi.de<br />

PleaseCycle ist ein Londoner Start-up, das den Mitarbeitern von Unternehmen den<br />

Umstieg auf das Fahrrad erleichtern will. Neben Umweltgründen führt PleaseCycle<br />

ein originelles Argument ins Treffen: Körperliche Ertüchtigung reduziere die Rate an<br />

Konzentrationsfehlern bei Mitarbeitern um 27 %. Das Angebot beinhaltet unter<br />

anderem Routen planung, ein BikeMile-Programm, das Fahrradkilometer mit Einkaufs<br />

gutschei nen belohnt, sowie einen Bike-Concierge, der sich um technische Angelegenheiten<br />

kümmert, von Parklösungen bis zum Firmenlogo auf dem Rad.<br />

www.pleasecycle.com<br />

26


Fahrschein gegen Muskelkraft /////////////<br />

Im Smart-City-Konzept „Hybrid2“ des Londoner Designers Chiyu Chen erzeugen<br />

Fahrgäste selbst die Energie, mit der Stadtbusse und andere öffentliche Verkehrsmittel<br />

betrieben werden: An Bus- und U-Bahnhaltestellen können mit Bremsrekuperation<br />

<strong>aus</strong>gestattete Fahrräder entlehnt werden. Sie speichern beim Bremsen Energie,<br />

welche nach Rückgabe an der Bikesharing-Stelle in das Verkehrsstromnetz<br />

eingespeist wird. Der Fahrgast erhält dafür Bonus-Punkte, mit denen er andere Verkehrsmittel<br />

kostenlos nutzen kann. Ein funktionierender Prototyp ist vorhanden. Was<br />

noch fehlt, ist eine Stadt, die das fortschrittliche Konzept testen und umsetzen will.<br />

www.chiyuchen.com<br />

////// Spielend unterwegs //////////////////////////////<br />

Seit 2010 sind die öffentlichen Verkehrmittel Londons ein gigantischer Reality-Spielplatz.<br />

Möglich macht das die Firma Dynamic50 mit ihrem Spiel Chromaroma. Wer<br />

eine Netzkarte besitzt, kann allein oder in Gruppen Punkte sammeln. Belohnt werden<br />

Missionen wie die Nutzung möglichst vieler verschiedener Verkehrsmittel oder<br />

die „Eroberung“ von Haltestellen durch besonders häufiges Aus- und Einsteigen.<br />

Das macht Bus- und U-Bahn-Fahren nicht nur kurzweilig, sondern erleichtert auch<br />

die Beobachtung des eigenen Fahrverhaltens. Derzeit ist das Spiel auf London beschränkt.<br />

Das Ziel ist ein globales Chromaroma.<br />

www.chromaroma.com<br />

Auch der schwedische Designer Jiang Qian versucht Unterhaltung in die U-Bahn zu<br />

bringen. Seine Game Straps sind von der Decke hängende Haltegriffe mit Monitoren,<br />

auf denen beispielsweise Tetris gespielt werden kann. Wer besonders ins Spiel vertieft<br />

ist, wird durch einen Vibrationsalarm sowie aktuellen Routeninformationen ans Aussteigen<br />

erinnert. Bis jetzt existieren die Game Straps nur als Idee. Umsetzungspioniere<br />

werden noch gesucht.<br />

www.coroflot.com/jq<br />

////// Den Stau überrollen //////////////////////////////<br />

Für den 3D Express Coach der chinesischen Firma Hashi Future Parking Equipment<br />

sind St<strong>aus</strong> kein Hindernis: Ein Tunnelbus fasst bis zu 1200 Personen und überspannt<br />

eine zweispurige Fahrbahn in zwei Metern Höhe. Er kann normale Fahrzeuge<br />

und St<strong>aus</strong> auf diese Weise überfahren. Die Kosten für den Bau des Busses und der<br />

Führungsbahn betragen nur 10 % einer entsprechenden U-Bahn-Trasse. Realität soll<br />

der 3D Express Coach auf 185 km Länge im Pekinger Mentougou District werden.<br />

http://abcnews.go.com/Travel/beijing-china-3d-express-coach-combat-trafficpollution/story?id=11407858#.UDPvqULzqlU<br />

////// Selbst den Verkehr regeln ////////////////////<br />

Die Feedback-Plattform TrafficCheck, die 2012 als Prototyp für den Raum Graz online<br />

ging, setzt auf die Zusammenarbeit zwischen Bürgern und Verkehrsplanern. Vor<br />

allem nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer sind eingeladen, via Smartphone die Infrastruktur<br />

zu bewerten: Wie lang muss man vor einer Ampel warten, wie viel Stau<br />

produziert sie, wie oft fällt sie <strong>aus</strong>? Über das direkte Feedback der Kunden soll der<br />

städtische Verkehr verbessert werden. TrafficCheck ist eine Kooperation zwischen<br />

verschiedenen Unternehmen, der TU Wien und der Grazer Stadtverwaltung.<br />

www.trafficcheck.at<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

27


Mobile Visionen<br />

der Vergangenheit<br />

Besonders eifrig bei Zukunftsvisionen war<br />

stets die Zeitschrift Hobby, in den 50er-Jahren<br />

Zentralorgan atomgetriebener Vollmobilität:<br />

Vom Energieverbrauch war nie die Rede, aber<br />

von mehrstöckigen Autobahnen in Städten,<br />

Privatflugzeugen, unendlich schnellem Schienenverkehr,<br />

und, nicht zu vergessen, die Mobilität in den Meeren,<br />

auf dem und unter Wasser. Die Autos sahen <strong>aus</strong> wie<br />

Raumschiffe, die momentan nicht fliegen, die Passagiere<br />

schwitzten niemals, selbst unter riesigen Glaskuppeln nicht,<br />

und die Autos fanden bereits selbst ans Ziel.<br />

So heftig das Pendel in den 50er-Jahren auch<br />

<strong>aus</strong>schlug, die Technikträume sind dann<br />

doch an der Praxis gescheitert: Irgendwann<br />

dürfte sich her<strong>aus</strong>gestellt haben, dass<br />

der Mensch doch nicht unablässig<br />

in der Stadt unterwegs sein,<br />

sondern auch dort<br />

wohnen will.<br />

Illustration: © Kl<strong>aus</strong> Bürgle: Das <strong>neu</strong>e Universum 76, 1959<br />

28


Von sprechenden<br />

Ampeln und Autos, die<br />

überflüssig werden<br />

Halb so viele Autos wie heute und dennoch schneller am Ziel –<br />

2050 könnten wir uns an diesen Gedanken gewöhnt haben.<br />

Von Martin Strubreiter<br />

Die Verkehrsampeln der Zukunft sehen<br />

die Kolonnen kommen, vermessen deren<br />

Geschwindigkeit, kommunizieren<br />

in Echtzeit miteinander und regeln den<br />

Verkehr durch grüne Wellen deutlich<br />

flüssiger – nicht nur für Autos, sondern<br />

auch für Fußgänger und Radfahrer.<br />

So sieht einer der vielen Mosaiksteine<br />

<strong>aus</strong>, <strong>aus</strong> denen sich Mobilität künftig<br />

zusammensetzen wird. Autos wird es<br />

auch in Zukunft noch geben, aber sie<br />

werden in Europas Städten eine geringere<br />

Rolle spielen als heute. Davon geht<br />

Wolfgang Schade vom Fraunhofer-Institut<br />

für System- und Innovationsforschung<br />

in Berlin <strong>aus</strong>, Autor der Studie<br />

VIVER 1 (VIsion für nachhaltigen<br />

VERkehr in Deutschland): „Bis 2050<br />

wird der PKW-Bestand in Deutschland<br />

von 523 auf rund 250 pro 1000 Einwohner<br />

gesunken sein.“ Für Österreich<br />

(derzeit 537 Pkw je 1000 Einwohner) ist<br />

in Städten Ähnliches zu erwarten.<br />

Dass der bisherige Verkehr vor allem<br />

in den Städten an seine und die Grenzen<br />

der Bewohner stößt, ist schon<br />

heute fühlbar. Vor dem endgültigen<br />

Steckenbleiben wird aber ein Umdenken<br />

einsetzen, das schmerzlich sein<br />

kann, weil ein paar lieb gewonnene Bequemlichkeiten<br />

auf der Strecke bleiben<br />

werden, oder eine freudige Chance,<br />

weil dann doch alles schneller, günstiger<br />

und geschmeidiger gehen wird.<br />

Fest steht: Technik alleine wird St<strong>aus</strong>,<br />

Lärmproblem und CO 2-Emissionen<br />

nicht beseitigen können. Auch der<br />

Mensch wird einen <strong>neu</strong>en Zugang<br />

zur Mobilität entwickeln müssen, um<br />

rasch, umweltfreundlich und unproblematisch<br />

sein Ziel zu erreichen.<br />

Eine einzige<br />

Netzkarte für<br />

viele städte<br />

Die häufigste Frage wird also nicht<br />

mehr jene sein, welches Auto man<br />

fährt. Irene Feige, Leiterin des Münchner<br />

Instituts für Mobilitätsforschung<br />

(IFMO): „Künftig wird die Frage lauten:<br />

Wie komme ich optimal, also<br />

schnell und ressourcenschonend, in<br />

Stadt und Land von A nach B?“ Es geht<br />

also nicht nur um Verkehrswege und<br />

-mittel, sondern um individuelle Mobilität<br />

mit unterschiedlichen Motiven<br />

und Bedürfnissen.<br />

Dazu werden deutlich mehr unterschiedliche<br />

Verkehrsmittel bereit<br />

stehen als bisher. Und auch das Auto<br />

wird es noch immer geben: in verschiedenen<br />

Größen, elektrisch, mittels<br />

Wasserstoff oder als (wahlweise rein<br />

elektrisch oder mittels Verbrennungsmotor<br />

zu fahrender) Plug-in-Hybrid.<br />

Der Stadtbewohner der Zukunft wird<br />

multi modale Mobilität pflegen. Viele<br />

Experten gehen davon <strong>aus</strong>, dass sich<br />

die User der Zukunft wünschen, ohne<br />

jede Hemmschwelle zwischen den Verkehrsmitteln<br />

wechseln zu können. Alle<br />

sollten mit einer einzigen Mobilitätskarte<br />

zugänglich sein, überall in der<br />

Stadt bereit stehen, und die Planung<br />

einer Fahrt sollte einfach sein wie nie<br />

zuvor: Man gibt dem Smartphone oder<br />

einem anderen digitalen Assisten ten das<br />

Ziel an, und schon wird die schnellste,<br />

kostengünstigste und umweltschonendste<br />

Route angezeigt. Die benötigten<br />

Leihautos, -fahr- oder -motorräder<br />

können gleich reserviert werden, der<br />

Fahrplan öffentlicher Verkehrsmittel<br />

wird angezeigt, man wird zum Startpunkt<br />

gelotst, und nach der Fahrt wird<br />

p<strong>aus</strong>chal und automatisch abgerechnet.<br />

Teil dieser Vision ist, dass durch die<br />

perfekte Vernetzung der Anbieter eine<br />

Mobilitätskarte in vielen Städten einsetzbar<br />

ist. Mit anderen Worten: Man<br />

kombiniert einfach jene Verkehrsmittel,<br />

die am besten zur Fahrstrecke passen.<br />

Das private Auto wird dabei überflüssig.<br />

Sobald Carsharing sehr viele<br />

Nutzer hat, wird es auch deutlich flexibler<br />

sein als heute: Jede Autokategorie<br />

wird verfügbar sein, vom wendigen<br />

Elektro-Zweisitzer für die Stadt bis zum<br />

Van für Urlaubsreisen. Die Autos können<br />

überall stehengelassen werden,<br />

weil überall potenzielle User wohnen.<br />

Ein weiterer Clou: Man muss nicht<br />

mehr unbedingt selbst Autofahren.<br />

Das autonome, computergesteuerte<br />

Auto gibt es bereits und wird unseren<br />

Alltag in den nächsten 20 Jahren revolutionieren.<br />

Ein ebenso bekannter Stammgast früherer<br />

Zukunftszenarien ist das fliegende<br />

Auto. Mit dem EU-Projekt<br />

MyCopter (siehe auch Seite 11) wird<br />

aktuell an der praktischen Durchführung<br />

getüftelt. Vor allem die Gefahr<br />

der Kollision mit ober- und unterhalb<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.<br />

29


fliegenden Autos kann durch automatische<br />

Steuerung <strong>aus</strong>gebremst werden.<br />

Somit könnte das fliegende Auto besonders<br />

am Land einen Teil der Mobilität<br />

übernehmen. Dort werden öffentliche<br />

Verkehrsmittel in den nächsten<br />

Jahrzehnten vor<strong>aus</strong>sichtlich mangels<br />

Nachfrage reduziert.<br />

Radikale<br />

Trendbrüche AUF<br />

DEM Weg zur Mobilität<br />

der Zukunft<br />

Man kann von teils sehr radikalen<br />

Trendbrüchen sprechen, schließlich<br />

wird auch die Welt 2050 nicht mehr<br />

jene sein, die wir heute kennen. Fast<br />

drei Viertel der Menschen wird Mitte<br />

des Jahrhunderts in Städten wohnen.<br />

In Europa und den USA wird das<br />

Durchschnittsalter weiter zunehmen<br />

und damit die Zahl der Erwerbstätigen<br />

im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung<br />

sinken – ein steigender Bedarf an Produkten,<br />

die bequemes Fortkommen<br />

ermöglichen, wird die Folge sein.<br />

Wolfgang Schade: „Die Stadt der Zukunft<br />

wird sich enorm verändert haben<br />

und nicht mehr nach den Bedürfnissen<br />

des Autoverkehrs gestaltet sein.<br />

Es wird mehr Grün- und Lebensraum<br />

geben, weil die <strong>neu</strong>e Mobilität weniger<br />

Platz braucht, was dann zu mehr Lebensqualität<br />

führen wird. Beste Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />

also, um die Trendumkehr<br />

freudig zu zelebrieren.<br />

Stark verändern wird sich die Mobilität<br />

auch in jenen Ländern, die heute<br />

zu den Wachstumsmärkten der Autoindustrie<br />

zählen. Irene Feige vom Institut<br />

für Mobilitätsforschung: „In den<br />

Schwellenländern ist die Nachfrage<br />

nach Motorisierung derzeit höher als<br />

sie bei uns selbst in Wirtschaftswunder-<br />

Zeiten war. Dort wird die Dichte privater<br />

Pkw noch etwas länger zunehmen.“<br />

Ein positiver Denkansatz geht allerdings<br />

davon <strong>aus</strong>, dass Inder, Chinesen<br />

und andere künftige Autofahrer <strong>aus</strong><br />

den Fehlern der nördlichen Welt lernen<br />

und den Verkehrskollaps gleich<br />

überspringen: Vielleicht werden intelligente<br />

Verkehrsampeln 2050 nicht nur<br />

in Europa deutlich mehr Radfahrer<br />

und Fußgänger als Autofahrer zu erkennen<br />

haben, sondern weltweit. •<br />

1 www.isi.fraunhofer.de/isi-media/<br />

docs/service/de/presseinfos/VIVER.pdf?<br />

WSESSIONID=5230e64b8044d248e71<br />

31389e4ef54ea<br />

„Das Neue ist nur auf den ersten Blick langsamer“<br />

Wolfgang Schade 2 , Fraunhofer Institut<br />

für System- und Innovationsforschung<br />

in Berlin, über nachhaltige<br />

Mobilität im Jahr 2050 und warum<br />

große Veränderungen selbstverständlicher<br />

sein werden als angenommen.<br />

Ihre Studie zeichnet ein durchwegs positives<br />

Bild: Mobilität bleibt leistbar,<br />

die Überalterung bleibt im Rahmen,<br />

wir sind bereit für Entschleunigung<br />

und einen rationaleren, also weniger<br />

von Emotionen gesteuerten Umgang<br />

mit dem Auto. Wird das wirklich so<br />

leicht gehen?<br />

Die positive Grundstimmung ist<br />

bewusst gewählt, wir wollten ein<br />

nachhaltiges, angenehmes, aber<br />

realistisches Bild der Zukunft entwerfen.<br />

Gehen wir von negativen Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />

<strong>aus</strong>, dann kommen wir sehr<br />

schnell zu einem sehr negativen Gesamtbild.<br />

Es zeigt sich aber, dass Kampagnen<br />

wie „Kopf an, Motor <strong>aus</strong>. Für<br />

null CO 2 auf Kurzstrecken“ in vielen<br />

deutschen Städten schon heute zum<br />

Umdenken führen. Ich bin auch überzeugt,<br />

dass wir bereit sind für Entschleunigung.<br />

Auch Firmenchefs werden<br />

hoffentlich einsehen, dass es auf<br />

längere Sicht kontraproduktiv ist,<br />

wenn ein Mitarbeiter fünf Jahre lang<br />

über seine Verhältnisse arbeitet, dann<br />

aber für zwei Jahre wegen Burnout<br />

<strong>aus</strong>fällt. Dieses Umdenken wird uns<br />

auch bei der Mobilität bereit machen<br />

für Neues, das nur auf den ersten Blick<br />

langsamer <strong>aus</strong>sieht.<br />

Gibt es kritische Stimmen zu<br />

Ihrer Studie, beispielsweise von<br />

der Autoindustrie?<br />

Die Resonanz ist positiv, lediglich<br />

ältere Menschen reagieren etwas<br />

kritischer. Und die Autoindustrie<br />

war ein wenig irritiert darüber,<br />

dass der Autobestand so drastisch<br />

auf weniger als die Hälfte sinken soll.<br />

Aber die Hersteller haben den Trend<br />

ohnedies schon erkannt, sehen ihre<br />

künftige Rolle im Anbieten von<br />

Mobilität und engagieren sich daher<br />

bei <strong>neu</strong>en Geschäftsmodellen wie<br />

Carsharing. Sogar die Deutsche Bahn<br />

ergänzt ihr Angebot schon jetzt um<br />

E-Bikes.<br />

Da wird der große Durchbruch ja<br />

mit der Vernetzung kommen …<br />

Noch sind die Angebote etwas fragmentarisch,<br />

man muss sich bei jedem<br />

Anbieter extra anmelden und überall<br />

getrennt bezahlen. Künftig wird die<br />

Wegabfrage übers Smartphone laufen<br />

und man wird auf einen Blick erkennen<br />

können, welches Verkehrsmittel<br />

man am besten nimmt, wo es steht<br />

und was es kostet. Die technischen<br />

Möglichkeiten dazu sind sicher schneller<br />

entwickelt als die organisatorischen:<br />

Da werden alle Anbieter zusammenarbeiten<br />

müssen, und es werden<br />

Datenserviceanbieter wie Google dabei<br />

sein, an die man heute bei Mobilität<br />

noch nicht denkt. •<br />

2 www.isi.fraunhofer.de/isi-de/n/<br />

mitarbeiter/ws.php<br />

30


Von allem mehr<br />

Immer mehr Österreicher pendeln zwischen ihrem Wohnort und Arbeitsplatz. Die Anzahl der Jahreskarten<br />

für öffentliche Verkehrsmittel, der PKW sowie der Fahrräder, die in den H<strong>aus</strong>halten vorhanden sind,<br />

nimmt zu. Auch weil Mobilität immer vielseitiger wird, wie die Mobilitätsstudie des ÖAMTC 2011 beweist:<br />

57 % der Österreicher nutzen für ihre täglichen Wege mehr als ein Verkehrsmittel.<br />

Die Zahlen wurden von Silvia Wasserbacher zusammengestellt.<br />

daten & fakten<br />

Pendler sind Erwerbstätige, Schüler oder Studierende, die zwischen<br />

Wohnung und Arbeits- oder Ausbildungsstätte einen Weg zurücklegen und<br />

dabei das Grundstück, auf dem sie wohnen, verlassen. 1<br />

Immer mehr Erwerbstätige in Österreich pendeln 1<br />

~ 2,41 Mio.<br />

1971<br />

+ 12,9 %<br />

~ 2,72 Mio.<br />

1981<br />

+ 9,9 %<br />

~ 2,99 Mio.<br />

1991<br />

+ 11 %<br />

~ 3,33 Mio.<br />

2001<br />

+ 4,8 %<br />

~ 3,49 Mio.<br />

2009<br />

Gesamt von<br />

1971 – 2009:<br />

+ 45 %<br />

Die Anzahl der H<strong>aus</strong>halte steigt, in denen es mindestens eine Jahreskarte für öffentliche Verkehrsmittel<br />

gibt. 1 Im Jahr 1989 besitzen 19% der H<strong>aus</strong>halte Österreichs eine Jahreskarte. 20 Jahre später – 2009 – sind es 24 %.<br />

Keine Jahreskarte<br />

19 % 24 %<br />

Wien<br />

Vorarlberg<br />

Salzburg<br />

Oberösterreich<br />

Niederösterreich<br />

Steiermark<br />

Tirol<br />

Kärnten<br />

Burgenland<br />

40 %<br />

27 %<br />

21 %<br />

21 %<br />

21 %<br />

17 %<br />

16 %<br />

13 %<br />

9 %<br />

Jahreskartenbesitzer in absoluten Zahlen<br />

2006<br />

322.317 Salzbu rg 2006 4.696<br />

2007<br />

334.574 +4 %<br />

2007 4.756 +1 %<br />

2008<br />

341.030 +2 %<br />

2008 5.210 +9,5 %<br />

2009<br />

345.508 +1 %<br />

2009 6.740 +29 %<br />

2010<br />

355.838 +3 %<br />

2010 7.443 +10 %<br />

2011<br />

373.000 +5 %<br />

2011 8.854 +19 %<br />

Juli 2012<br />

447.000 +20 %<br />

Quelle: Salzburger Verkehrsverbund<br />

Quelle: Wiener Linien GmbH & Co KG<br />

1965 hatten 11 % der Geamtbevölkerung<br />

einen PKW, im Juni 2012 bereits 53 % . 1<br />

Wien<br />

Stuttg<br />

art<br />

2002 82.215<br />

2012<br />

108.428 +32 %<br />

Quelle: Verkehrs- & Tarifverbund<br />

Stuttgart GmbH (VVS)<br />

Die Zahl der Fahrradbesitzer hat in den vergangenen<br />

Jahren wieder zugenommen. 2010 gab es in<br />

76 % der H<strong>aus</strong>halte mindestens ein Fahrrad. 1<br />

Angaben in 1000<br />

68 %<br />

4.441<br />

4.513<br />

1 Quelle: Statistik Austria<br />

<strong>Alles</strong> <strong>aus</strong>. <strong>Alles</strong> <strong>neu</strong>.


Querspur Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC<br />

Navigation<br />

Kommunikation<br />

Aufbewahrung<br />

Schutz<br />

Energie<br />

Werkzeug<br />

Orientierung<br />

Glück<br />

Wenn alles<br />

<strong>aus</strong> ist!<br />

Was Sie brauchen,<br />

wenn alles <strong>aus</strong> ist,<br />

um etwas<br />

Neues beginnen<br />

zu können.<br />

32

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