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Kampf gegen den Pauperismus<br />
Armut und Ausgrenzung begleiten die<br />
Menschheit schon eine ganze Weile. In<br />
unterschiedlichen Epochen und Gesellschaftsformationen<br />
gab es unterschiedliche<br />
Hilfeformen. Mit der Industrialisierung<br />
entstanden völlig neue soziale Probleme<br />
so dass es auch ein neues Herangehen im<br />
Kampf gegen die Massenarmut ("Pauperismus")<br />
mit all ihren elenden Auswüchsen und<br />
Symptomen bedurfte. Ende des 19. Jahrhunderts<br />
verbreitete sich in den anglo-amerikanischen<br />
Ländern sehr rasch ein neues<br />
Denk- und Handlungsmodell. In Chicago ergriffen<br />
Jane Addams und andere Mitstreiterinnen<br />
die Initiative und setzten die so eben<br />
entstandene „Settlementbewegung“ vor Ort<br />
um. Hunderttausende Einwanderer lebten<br />
in ärmlichen Verhältnissen, insbesondere<br />
unter skandalösen hygienischen Bedingungen.<br />
Elend und Krankheiten prägten das<br />
Alltagsbild. Sie begannen unmittelbar im<br />
<strong>Stadtteil</strong>, dort wo die armen Leute wohnten,<br />
in unmittelbarer Nachbarschaft so genannte<br />
"Settlements" zu gründen. Heute würden wir<br />
vielleicht "<strong>Stadtteil</strong>- und Familienzentren"<br />
dazu sagen. Addams und ihre Kolleginnen<br />
begannen zunächst mit der unmittelbaren<br />
Hilfeleistung und Beratung. Das ging von<br />
der einfachen "Armenspeisung" über Kleiderkammern<br />
bis zu Näh- und Kochkursen.<br />
Aber sie "erkannten bald, daß ihre Aktivitäten<br />
erst dann eine dauernde Veränderung<br />
und Verbesserung des Lebens im Wohnge-<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER 2008<br />
biet bedeuten konnten, wenn sie sich in der<br />
kommunalen Politik fortsetzten. Die ‘settlement<br />
workers’ mischten sich ein, beteiligten<br />
sich an der lokalen Selbstverwaltung und ermunterten<br />
andere Bewohner zu politischem<br />
Handeln." (Wendt W.R., 1990: 151)<br />
Politische Verantwortung übernehmen<br />
Bekannt ist, dass sich Jane Addams anbot,<br />
persönlich auch politische Verantwortung<br />
zu übernehmen. Sie übernahm gewissermaßen<br />
das Amt einer "Bürgermeisterin für<br />
Hygiene, Gesundheit und Entsorgung" von<br />
Chicago. Denn schnell war klar geworden,<br />
dass es wenig nutzte, die Menschen belehren<br />
zu wollen, wie sie sich besser verhalten<br />
sollten, um ihre Gesundheit zu fördern,<br />
wenn weder sauberes Wasser noch eine<br />
vernünftiges Entsorgung der Abwässer und<br />
des Mülls gewährleistet waren. Genauso<br />
aber setzten diese frühen Gemeinwesenarbeiterinnen<br />
schon in ihrer Zeit das Prinzip<br />
der Aktivierung zur Selbstorganisation um.<br />
Sie stellten Räume und beraterische Unterstützung<br />
zur Verfügung, forderten die Menschen<br />
aber auf, für die eigenen Interessen<br />
und Bedürfnisse selber aktiv zu werden.<br />
(vgl. Staub-Bernasconi, 1995) Dieser Denkund<br />
Handlungsansatz, der von Addams et<br />
al. vor rund 120 Jahren mitentwickelt wurde,<br />
fi rmiert bei uns längst unter der Bezeichnung<br />
"Gemeinwesenarbeit".<br />
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