Ansichtssache Frauenhandel - An.schläge
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mir in der Fachliteratur immer wieder<br />
partikuläre Beschreibungen über die<br />
Entstehungsgeschichte von queer. Was<br />
mir fehlte, war eine systematische <strong>An</strong>alyse<br />
der Entstehungskontexte und eine<br />
Zusammenführung ihrer wechselseitigen<br />
Interdependenz. Letztlich lässt sich<br />
jedoch, und das ist ein kleines Fazit meiner<br />
Arbeit, der spezifische Bedeutungsgehalt<br />
von queer, sowohl in theoretischer<br />
als auch in politischer Hinsicht,<br />
nicht in seinem vollen Umfang erfassen,<br />
ohne seinen spezifischen Entstehungszusammenhang<br />
zu kennen. Gerade<br />
weil die Verwendung des queer-Begriffs<br />
im deutschsprachigen Kontext<br />
durchaus problematisch ist bzw. der Begriff<br />
queer hierzulande oft rezipiert<br />
wird, ohne Kenntnis von seiner besonderen<br />
theoretischen und politischen<br />
Einbettung in den US-amerikanischen<br />
Diskurs zu haben, erschien es mir wichtig<br />
vorerst diesen Fragen systematisch<br />
nachzugehen.<br />
Begiffs-Geschichte. Ein ausführlicher<br />
Überblick über den politischen und<br />
bewegungsgeschichtlichen Entstehungskontext<br />
von queer und seine<br />
spezifische zeitgeschichtliche Einbettung<br />
in die Entwicklung der US-amerikanischen<br />
Lesben- und Schwulenbewegung<br />
steht deshalb am Beginn<br />
meiner Arbeit. Dabei machte ich mich<br />
auch auf die Suche nach signifikanten<br />
politischen und sozialen Ereignissen<br />
und Bedingungen und zeichnete den<br />
Prozess der Verschiebung von gay zu<br />
queer nach.<br />
Im <strong>An</strong>schluss daran tauchte ich in<br />
die eigentliche Materie, den spezifischen<br />
Theoriehorizont der Queer Theory,<br />
ein. Dazu wählte ich (post)strukturalistische<br />
und dekonstruktivistische Begrifflichkeiten<br />
und stellte die bereits<br />
etablierte sex-gender Trennung in der<br />
feministischen Theorie und auch<br />
schwul/lesbische <strong>An</strong>sätze dar, um zu<br />
zeigen, dass queere <strong>An</strong>sätze in einer<br />
ideengeschichtlichen Tradition stehen.<br />
Sie haben eine theoretische Entwicklungsgeschichte<br />
und einen spezifischen<br />
Entstehungshorizont. Sie sind nicht, wie<br />
oft fälschlicherweise suggeriert wird,<br />
plötzlich als „das Neue“ aus dem Nichts<br />
entstanden.<br />
Spannungen. Die Kontextualisierung von<br />
queer bedeutet deshalb, auf eine kritische<br />
Art und Weise mit Inhalten umzugehen,<br />
die in einer Wissenstradition<br />
stehen, auf deren Hintergrund sich<br />
queere Kritik entfalten kann, zu bedenken.<br />
In meine <strong>An</strong>alyse floss aber nicht<br />
nur die wechselseitige Beeinflussung<br />
von Entstehungs- und Theoriekontext<br />
mit ein. Sie stellt vielmehr auch die<br />
queeren Perspektiven auf Identitäten,<br />
Geschlechtlichkeit und Sexualität dar<br />
– der queeren politischen agencies<br />
in Form von Genderparodien und in<br />
sprachlich-symbolischen Resignifizierungen.<br />
Schließlich sollte deutlich<br />
werden, dass queer in einem Spannungsfeld<br />
von Sexualpolitiken und<br />
Geschlechterpolitiken im Kontext der<br />
Identitätsproblematik sozialer Bewegungen<br />
entstanden ist. Deshalb können<br />
und sollen sich queere auch mit<br />
lesbisch/schwulen und transgender<br />
Forderungen und <strong>An</strong>alysen, wie auch<br />
mit feministischen verknüpfen und<br />
überschneiden.<br />
Critical Queer. Während des Schreibens<br />
war mir besonders wichtig, die Queer<br />
Theory und andere Theorien nicht unhinterfragt<br />
wiederzugeben, sondern<br />
mit meinem eigenen feministischen<br />
und sozialwissenschaftlichen bzw. politikwissenschaftlichen<br />
Hintergrund<br />
kritisch zu hinterfragen. Das Prinzip<br />
von queer ernst zu nehmen, bedeutete<br />
für mich deshalb auch, zu analysieren,<br />
wie queer in die hegemoniale und<br />
dominante Macht- und Herrschaftsdiskurse<br />
eingebetet ist und danach zu<br />
fragen, wie der Gewinn an Freiheiten,<br />
den Queer Theory anstrebt, im Kontext<br />
von kapitalistischen Vergesellschaftungsprozessen<br />
erreicht werden<br />
kann bzw. in welchem Zusammenhang<br />
queer zur Warenförmigkeit von<br />
Sexualität und zu neoliberalen <strong>An</strong>forderungen<br />
wie der Flexibilisierung<br />
(post)moderner Lebensweisen steht.<br />
Queer-Konzepte und die Queer Theory<br />
werden weder als eindeutig progressiv<br />
und gut dargestellt, noch als<br />
Ganzes verworfen. Stattdessen wird<br />
eine reflektierte und durchaus auch<br />
kritische Perspektive auf queer geboten,<br />
die sowohl Chancen für eine<br />
fruchtbare Nutzung in einem sozialwissenschaftlichen<br />
und feministischen<br />
Kontext deutlich macht, als<br />
auch die Schwächen und Lücken von<br />
queer aufzeigt.<br />
Queer in Österreich. Welche Probleme<br />
und Möglichkeiten entstehen aber,<br />
wenn meine Überlegungen zu Queer<br />
Theory und Queer Politics auf den<br />
deutschsprachigen Diskurs und da<br />
konkret auf Österreich bezogen werden?<br />
Deshalb stellte ich im zweiten<br />
Teil meiner Arbeit die Frage nach der<br />
hiesigen Rezeption queerer Theorien<br />
und <strong>An</strong>sätze: Auf welche politischrechtlichen,<br />
gesellschaftlichen und<br />
bewegungsgeschichtlichen Rahmenbedingungen<br />
trifft queer in Österreich?<br />
Welche Unterschiede bestehen<br />
zwischen der US-amerikanischen und<br />
österreichischen Entwicklung der<br />
Lesben- und Schwulenbewegung?<br />
Findet die Queer Theory in Österreich<br />
Eingang in den akademischen<br />
Diskurs? Gibt es unterschiedliche<br />
Wissenschaftstraditionen, die diese<br />
Rezeption beeinflussen?<br />
Dabei zeigte sich, dass sich queere<br />
<strong>An</strong>alysen und Politiken nicht so leicht<br />
auf den deutschsprachigen – insbesondere<br />
den österreichischen – Kontext<br />
übertragen lassen, da sich der bewegungsgeschichtliche<br />
und wissenschaftlich-theoretische<br />
Hintergrund<br />
in vielen Punkten von jenem in den<br />
USA unterscheidet. Mit der späteren<br />
Formierung der Lesben- und Schwulenbewegung<br />
in Österreich und folglich<br />
anderen politischen Diskursen<br />
und Praxen, einer differenten Wirkung<br />
von AIDS auf die Bewegung, aber auch<br />
wegen einer anderen Ausrichtung der<br />
Frauen- und Geschlechterforschung<br />
und der Marginalisierung und Nicht-<br />
Institutionalisierung von „Lesbian and<br />
Gay Studies“ unterscheiden sich die<br />
Rahmenbedingungen für die Aufnahmen<br />
queerer <strong>An</strong>sätze in Österreich<br />
wesentlich von jenen in den USA. Das<br />
wirkt sich nicht nur auf die Rezeption<br />
von Queer Theory und Queer Politics<br />
in der akademischen Lehre, sondern<br />
auch in der österreichischen Schwulen-,<br />
Lesben- und Transgenderbewegung<br />
aus. ❚<br />
forumwissenschaft<br />
juli august 2004an.<strong>schläge</strong> 23