18.11.2012 Aufrufe

Ansichtssache Frauenhandel - An.schläge

Ansichtssache Frauenhandel - An.schläge

Ansichtssache Frauenhandel - An.schläge

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

mir in der Fachliteratur immer wieder<br />

partikuläre Beschreibungen über die<br />

Entstehungsgeschichte von queer. Was<br />

mir fehlte, war eine systematische <strong>An</strong>alyse<br />

der Entstehungskontexte und eine<br />

Zusammenführung ihrer wechselseitigen<br />

Interdependenz. Letztlich lässt sich<br />

jedoch, und das ist ein kleines Fazit meiner<br />

Arbeit, der spezifische Bedeutungsgehalt<br />

von queer, sowohl in theoretischer<br />

als auch in politischer Hinsicht,<br />

nicht in seinem vollen Umfang erfassen,<br />

ohne seinen spezifischen Entstehungszusammenhang<br />

zu kennen. Gerade<br />

weil die Verwendung des queer-Begriffs<br />

im deutschsprachigen Kontext<br />

durchaus problematisch ist bzw. der Begriff<br />

queer hierzulande oft rezipiert<br />

wird, ohne Kenntnis von seiner besonderen<br />

theoretischen und politischen<br />

Einbettung in den US-amerikanischen<br />

Diskurs zu haben, erschien es mir wichtig<br />

vorerst diesen Fragen systematisch<br />

nachzugehen.<br />

Begiffs-Geschichte. Ein ausführlicher<br />

Überblick über den politischen und<br />

bewegungsgeschichtlichen Entstehungskontext<br />

von queer und seine<br />

spezifische zeitgeschichtliche Einbettung<br />

in die Entwicklung der US-amerikanischen<br />

Lesben- und Schwulenbewegung<br />

steht deshalb am Beginn<br />

meiner Arbeit. Dabei machte ich mich<br />

auch auf die Suche nach signifikanten<br />

politischen und sozialen Ereignissen<br />

und Bedingungen und zeichnete den<br />

Prozess der Verschiebung von gay zu<br />

queer nach.<br />

Im <strong>An</strong>schluss daran tauchte ich in<br />

die eigentliche Materie, den spezifischen<br />

Theoriehorizont der Queer Theory,<br />

ein. Dazu wählte ich (post)strukturalistische<br />

und dekonstruktivistische Begrifflichkeiten<br />

und stellte die bereits<br />

etablierte sex-gender Trennung in der<br />

feministischen Theorie und auch<br />

schwul/lesbische <strong>An</strong>sätze dar, um zu<br />

zeigen, dass queere <strong>An</strong>sätze in einer<br />

ideengeschichtlichen Tradition stehen.<br />

Sie haben eine theoretische Entwicklungsgeschichte<br />

und einen spezifischen<br />

Entstehungshorizont. Sie sind nicht, wie<br />

oft fälschlicherweise suggeriert wird,<br />

plötzlich als „das Neue“ aus dem Nichts<br />

entstanden.<br />

Spannungen. Die Kontextualisierung von<br />

queer bedeutet deshalb, auf eine kritische<br />

Art und Weise mit Inhalten umzugehen,<br />

die in einer Wissenstradition<br />

stehen, auf deren Hintergrund sich<br />

queere Kritik entfalten kann, zu bedenken.<br />

In meine <strong>An</strong>alyse floss aber nicht<br />

nur die wechselseitige Beeinflussung<br />

von Entstehungs- und Theoriekontext<br />

mit ein. Sie stellt vielmehr auch die<br />

queeren Perspektiven auf Identitäten,<br />

Geschlechtlichkeit und Sexualität dar<br />

– der queeren politischen agencies<br />

in Form von Genderparodien und in<br />

sprachlich-symbolischen Resignifizierungen.<br />

Schließlich sollte deutlich<br />

werden, dass queer in einem Spannungsfeld<br />

von Sexualpolitiken und<br />

Geschlechterpolitiken im Kontext der<br />

Identitätsproblematik sozialer Bewegungen<br />

entstanden ist. Deshalb können<br />

und sollen sich queere auch mit<br />

lesbisch/schwulen und transgender<br />

Forderungen und <strong>An</strong>alysen, wie auch<br />

mit feministischen verknüpfen und<br />

überschneiden.<br />

Critical Queer. Während des Schreibens<br />

war mir besonders wichtig, die Queer<br />

Theory und andere Theorien nicht unhinterfragt<br />

wiederzugeben, sondern<br />

mit meinem eigenen feministischen<br />

und sozialwissenschaftlichen bzw. politikwissenschaftlichen<br />

Hintergrund<br />

kritisch zu hinterfragen. Das Prinzip<br />

von queer ernst zu nehmen, bedeutete<br />

für mich deshalb auch, zu analysieren,<br />

wie queer in die hegemoniale und<br />

dominante Macht- und Herrschaftsdiskurse<br />

eingebetet ist und danach zu<br />

fragen, wie der Gewinn an Freiheiten,<br />

den Queer Theory anstrebt, im Kontext<br />

von kapitalistischen Vergesellschaftungsprozessen<br />

erreicht werden<br />

kann bzw. in welchem Zusammenhang<br />

queer zur Warenförmigkeit von<br />

Sexualität und zu neoliberalen <strong>An</strong>forderungen<br />

wie der Flexibilisierung<br />

(post)moderner Lebensweisen steht.<br />

Queer-Konzepte und die Queer Theory<br />

werden weder als eindeutig progressiv<br />

und gut dargestellt, noch als<br />

Ganzes verworfen. Stattdessen wird<br />

eine reflektierte und durchaus auch<br />

kritische Perspektive auf queer geboten,<br />

die sowohl Chancen für eine<br />

fruchtbare Nutzung in einem sozialwissenschaftlichen<br />

und feministischen<br />

Kontext deutlich macht, als<br />

auch die Schwächen und Lücken von<br />

queer aufzeigt.<br />

Queer in Österreich. Welche Probleme<br />

und Möglichkeiten entstehen aber,<br />

wenn meine Überlegungen zu Queer<br />

Theory und Queer Politics auf den<br />

deutschsprachigen Diskurs und da<br />

konkret auf Österreich bezogen werden?<br />

Deshalb stellte ich im zweiten<br />

Teil meiner Arbeit die Frage nach der<br />

hiesigen Rezeption queerer Theorien<br />

und <strong>An</strong>sätze: Auf welche politischrechtlichen,<br />

gesellschaftlichen und<br />

bewegungsgeschichtlichen Rahmenbedingungen<br />

trifft queer in Österreich?<br />

Welche Unterschiede bestehen<br />

zwischen der US-amerikanischen und<br />

österreichischen Entwicklung der<br />

Lesben- und Schwulenbewegung?<br />

Findet die Queer Theory in Österreich<br />

Eingang in den akademischen<br />

Diskurs? Gibt es unterschiedliche<br />

Wissenschaftstraditionen, die diese<br />

Rezeption beeinflussen?<br />

Dabei zeigte sich, dass sich queere<br />

<strong>An</strong>alysen und Politiken nicht so leicht<br />

auf den deutschsprachigen – insbesondere<br />

den österreichischen – Kontext<br />

übertragen lassen, da sich der bewegungsgeschichtliche<br />

und wissenschaftlich-theoretische<br />

Hintergrund<br />

in vielen Punkten von jenem in den<br />

USA unterscheidet. Mit der späteren<br />

Formierung der Lesben- und Schwulenbewegung<br />

in Österreich und folglich<br />

anderen politischen Diskursen<br />

und Praxen, einer differenten Wirkung<br />

von AIDS auf die Bewegung, aber auch<br />

wegen einer anderen Ausrichtung der<br />

Frauen- und Geschlechterforschung<br />

und der Marginalisierung und Nicht-<br />

Institutionalisierung von „Lesbian and<br />

Gay Studies“ unterscheiden sich die<br />

Rahmenbedingungen für die Aufnahmen<br />

queerer <strong>An</strong>sätze in Österreich<br />

wesentlich von jenen in den USA. Das<br />

wirkt sich nicht nur auf die Rezeption<br />

von Queer Theory und Queer Politics<br />

in der akademischen Lehre, sondern<br />

auch in der österreichischen Schwulen-,<br />

Lesben- und Transgenderbewegung<br />

aus. ❚<br />

forumwissenschaft<br />

juli august 2004an.<strong>schläge</strong> 23

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!