Ansichtssache Frauenhandel - An.schläge
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kurz nach Beginn der Demo ist Schluss<br />
mit lustig: Ein kleiner, energischer Moderator<br />
versucht die Wissenschafterin<br />
Claudia Werlhof wegen Überlänge ihrer<br />
Rede mit unmoderaten Mitteln von der<br />
Bühne zu kriegen. Nachdem er ihre Zettel<br />
nicht erwischen kann, packt er die<br />
um einen Kopf größere Frau am Arm,<br />
während eine ÖGB-Frau (die noch am<br />
Vormittag von ihrem feministischen<br />
Grundstudium geschwärmt hatte) sich<br />
mit dem Moderator solidarisierend in<br />
das Mikrofon predigt:„Wir sind so friedlich,<br />
eine friedliche Bewegung...“. Buhrufe<br />
folgen, am Abend eine halbherzige<br />
Entschuldigung.<br />
Feindbilder. Nicht nur das Feministische<br />
Forum des ASF ist entsetzt. Denn bereits<br />
am Abend zuvor hatte eine andere<br />
feministische Wissenschafterin – die<br />
durch ihre Bücher zur Erinnerungsarbeit<br />
bekannte Soziologin Frigga Haug –<br />
Probleme, eine Diskussion über den<br />
gesellschaftlichen Umgang mit den sogenannten<br />
Kopftuchfrauen zu führen.<br />
Haug sollte von jungen LinksaktivistInnen<br />
gezielt aus ihrer analysierenden<br />
Metaebene herab zu einem klaren „Ja“<br />
oder „Nein“ zum Kopftuch gebracht<br />
werden, erzählen anschließend äußerst<br />
niedergedrückte Teilnehmerinnen.<br />
Feindbilder aller Art sind sehr beliebt<br />
zur politischen Motivation (Juhu, eine<br />
Feministin!) und auch wenn u.a. eine<br />
bosnisch-muslimische Autorin in dieser<br />
Veranstaltung mitdiskutiert, wird<br />
von einigen leichtfertig StellvertreterInnenpolitik<br />
gemacht. Wer spricht im<br />
Namen von wem? Frauen von MAIZ<br />
brachten dann auch folgerichtig in die<br />
Erklärung des Feministischen Forums<br />
des ASF in Linz ein, dass „für die Migrantinnen<br />
die Grenzen der Alten Welt<br />
möglich waren, spürbar und verdeutlicht<br />
durch die Strukturen des Forums,<br />
das behauptet, dass eine andere Welt<br />
möglich ist“. Und:„Wir sprechen uns<br />
für das Prinzip der Selbstvertretung<br />
von marginalisierten Gruppen innerhalb<br />
der Sozialforenbewegung und gegen<br />
die Stellvertretungspolitik aus. Keine<br />
Auseinandersetzung ohne die Positionen<br />
der Beteiligten.“<br />
Patriarchatsanalysen. Das ASF ist laut Programm<br />
eine „offene Begegnungsstätte<br />
zum Austausch von Erfahrungen und<br />
Meinungen und trägt zur Vertiefung der<br />
Reflexion zwischen den verschiedenen<br />
Bewegungen bei“. Es wertet und zensuriert<br />
nicht, und stellt auch die Machtfrage<br />
bewusst nur theoretisch. Doch hier<br />
werden Begriffe wie Neoliberalismus,<br />
Kapitalismus, Rassismus oder Sexismus<br />
noch im wirklichen Leben verwendet.<br />
Und nicht allein der ältere Herr mit langem<br />
Haar und Bart, dessen Handy dauernd<br />
läutet, oder die junge Punkerin mit<br />
Nasenring, deren Dialekt so schwer verständlich<br />
ist, glauben an die Revolution.<br />
Patriarchatsanalysen sind hingegen<br />
nicht so beliebt. Drei Innsbruckerinnen<br />
erarbeiteten in einer Nacht im Auftrag<br />
des Feministischen Forums eine <strong>An</strong>alyse:„Die<br />
Intention des ASF, eine andere<br />
Welt zu schaffen, kann nur auf der Basis<br />
einer umfassenden Wahrnehmung und<br />
Bekämpfung der patriarchalen Machtverhältnisse<br />
und Herrschaftsstrukturen<br />
beruhen. Dies setzt ein Bekenntnis zur<br />
Unabdingbarkeit einer feministischen<br />
Perspektive auf dem ASF voraus, ohne<br />
die keine politische und ökonomische<br />
Veränderung möglich ist.“<br />
Kein Taschengeld. „Ich bin von den Wilden<br />
Weibern und interessiere mich für die<br />
EU-Verfassung, doch in diesem Themenbereich<br />
gibt es so viele junge Burschen,<br />
die groß reden, die brauchen<br />
mich eh nicht“, gibt sich eine ansonsten<br />
fröhliche Aktivistin eher frustriert. „Es<br />
ist schwierig, Frauen zu finden, die sich<br />
für gesellschaftspolitische Themen interessieren“,<br />
erzählt eine Betriebsseelsorgerin,„ich<br />
weiß nicht, ob das ein regionales<br />
Problem für Steyr ist. Im Kampf<br />
gegen den Neoliberalismus, der ein zutiefst<br />
patriarchales <strong>An</strong>tlitz hat, bin ich<br />
allein“. Im Workshop „Feministische Strategien<br />
gegen Neoliberalismus“, durchgeführt<br />
von Feminist Attac, tun sich<br />
Abgründe zwischen den 16 bis 60-jährigen<br />
auf. Die Vermittlung feministischer<br />
Inhalte von einer Generation auf die<br />
nächste und übernächste hat nicht<br />
funktioniert. Durch die Gender-Debatte<br />
und das Gender Mainstreaming (GM)<br />
gibt es eine Lücke von circa zehn Jahren,<br />
die geschlossen werden müsste, um<br />
selbstbewusstes Empowerment und<br />
die Solidarität unter Frauen und Mädchen<br />
weiter zu führen. Einige sind der<br />
Meinung, dass Gender Mainstreaming<br />
den Feminismen deutlich geschadet<br />
hat. Claudia Werlhof nennt GM eine<br />
neoliberale Strategie.<br />
„Der Feminismus ist für mich eine<br />
historische Bewegung“, sagt eine junge<br />
Frau zu einer alten, kampferprobten<br />
Feministin und schaut dabei so, als ob<br />
die ihr das Taschengeld streichen könnte.<br />
Junge Frauen der Aktion kritischer<br />
Schülerinnen zeigen stolz die Broschüre<br />
zu Sexualität „Mein Körper, meine Lust.<br />
Verhütung ist Frauensache, Orgasmus<br />
Männersache?“, die sie gestaltet haben.<br />
Eine ÖGB-Frau will einen Feminismus,<br />
der nicht nur für Intellektuelle da ist,<br />
um neoliberale Trends, die ständige <strong>An</strong>passung<br />
verlangen, unterlaufen zu können:„Was<br />
heißt Feminismus obabrochen<br />
auf die große Masse? Es hat mich<br />
abbeutelt, dass viele nichts von Widerstandsformen<br />
wissen.“<br />
So viele verschiedene Feminismen,<br />
mehrere „Ich bin eigentlich keine“-Feministinnen.<br />
In einem Interview von<br />
Katarina Ferro in den „volksstimmen“<br />
konstatierte Claudia Dietl vom Feministischen<br />
Forum eine Krise des Feminismus:<br />
„Ich glaube, dass das Feministische<br />
Forum den Teil der Bewegung ausmacht,<br />
der sich im Moment gerade<br />
zwischen Individualismus und Kollektiv<br />
sucht. Es geht vor allem darum, dieser<br />
neoliberalen Individualisierung<br />
bzw. den Konzeptionen der Vereinzelung<br />
einerseits und der unendlichen<br />
Diversifizierung andererseits, die entsolidarisierte<br />
Individuen hervorbringt,<br />
etwas entgegen zu setzen. Dies ist eine<br />
große Krise...“ Für beinahe jede einzelne<br />
Frau ist das finanzielle Überleben<br />
schwierig geworden, die Entsolidarisierung<br />
groß. Doch irgendwann<br />
kommt der Punkt, an dem diese ganze<br />
neoliberale Machtinszenierung kippen<br />
kann. Denn Frigga Haug wies darauf<br />
hin, dass jede Bewegung genau an den<br />
Punkten, an denen es Probleme und<br />
Diskussionen gibt, auch über die größten<br />
Möglichkeiten zur Gesellschaftsveränderung<br />
verfügt und an den Druckstellen<br />
der Gesellschaft enormer Gegendruck<br />
entstehen kann. In diesem<br />
Sinne: Streiten wir weiter! Mit dem<br />
Ziel, wie es Beatrice Achaleke von der<br />
Schwarze Frauen Community formulierte:<br />
nicht mehr ständig um das<br />
Überleben kämpfen zu müssen, sondern<br />
mal endlich in Ruhe und mit<br />
Genuss leben zu dürfen! ❚<br />
forumsozial<br />
juli august 2004an.<strong>schläge</strong> 09