Schlesischer Gottesfreund - Herzlich Willkommen!
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Zentrum des Denkens, sondern die Orientierung am<br />
„Sein”. Wer sich an seinem Sein ausrichtet, lebt anders als<br />
der, der am Haben orientiert ist. „Tätigsein heißt, seinen<br />
Anlagen, seinen Talenten, dem Reichtum menschlicher<br />
Gaben Ausdruck zu verleihen, mit denen jeder – wenn auch<br />
in verschiedenem Maß – ausgestattet ist. Es bedeutet, sich<br />
selbst zu erneuern, zu wachsen, sich zu verströmen, zu lieben,<br />
das Gefängnis des eigenen isolierten Ichs zu transzendieren,<br />
sich zu interessieren, zu lauschen, zu geben.” (S.89)<br />
„Hast Du schon einmal darüber nachgedacht, was wir<br />
alles verloren haben, daß jedes kleine Bild, jede Decke,<br />
jedes Buch, Kissen und alles alles weg ist” – reduziert auf<br />
das Minimalste, auf das, was kaum noch zum Überleben<br />
reicht, merken wir, was wir eigentlich zum Leben benötigen:<br />
„Schon der Gedanke zusammen zu sein mit allen seinen<br />
großen und kleinen Sorgen”. Nicht das Haben, sondern<br />
die Besinnung auf unser Sein brauchen wir für die Wanderschaft<br />
durch das Leben. Dieses kleine, oft unscheinbare,<br />
oft so brüchige, sich immer wieder neu definierende,<br />
manchmal aufrechte, dann plötzlich wieder erschrockene<br />
und zweifelnde Sein. Dieses Sein, das ängstlich fragt: wie<br />
wird es morgen werden? Trägt der Boden, auf dem ich<br />
gehe? „Wir stehen auf dünner Erdenhaut”, hat Arnim Juhre<br />
seine Sammlung von Gedichten und Psalmnachdichtungen<br />
genannt. Dieser Titel weist auch auf die Geschichte. Auf<br />
unsere persönliche und auf die Welthistorie, die unsere persönliche<br />
Geschichte umfängt. Wir stehen auf dünner Erdenhaut<br />
– über dem Abgrund, auf schwankendem Boden.<br />
Da sind so viele, die auf schwankendem Boden nicht mehr<br />
weiterzugehen wagen; die unsicher geworden sind und<br />
ängstlich, vielleicht schon resigniert und hoffnungslos zu<br />
Boden blicken, aber nicht mehr nach vorn und nicht mehr<br />
nach oben sehen.<br />
Ja, Menschen warten auf eine Botschaft der Hoffnung.<br />
Da sind so viele, die sich schuldhafter Verstrickung, in unserer<br />
von Haß, Gewalt und Tod bedrohten Welt nicht mehr<br />
zurechtfinden. Was wird morgen sein? Trägt der Boden, auf<br />
dem ich gehe? Der Lyriker Albrecht Goes lernte als Lazarettgeistlicher<br />
in der Ukraine einen verwundeten Pianisten<br />
kennen. Seine einzige Welt war die Musik und das<br />
Klavier, … aber die schlimme Schußwunde an seinem<br />
Ellbogen beschäftigte ihn sonderbarerweise kaum. Der<br />
Arzt und die Schwestern im Lazarett machten sich darüber<br />
viel mehr Sorgen als er. Albrecht Goes schenkt dem verwundeten<br />
Pianisten ein Porträt Mozarts, das er sich über<br />
seinem Bett aufhängt. Als nach fünf Tagen das Wundfieber<br />
immer weiter ansteigt entscheidet man sich zur Amputation<br />
des Armes. Für die erste Nacht hat man den Frischoperierten<br />
in ein kleines, ruhiges Zimmer gelegt, aber gleich am<br />
nächsten morgen ist er dann auf eigenen Wunsch wieder<br />
zurück in den großen Saal gebracht worden. Als Goes ihn<br />
besucht, unsicher, nach Worten suchend, unterbricht ihn<br />
der Pianist: „Ich komponiere schon.” „Bei uns hat er sich<br />
Notenpapier bestellt”, riefen zwei vom Tisch herüber. Man<br />
sah sie mit Bleistift und Lineal hantieren. „Mann”, sagte<br />
der eine und kam eilig auf einem Bein ans Bett gehüpft,<br />
einen Stoß Blätter in der Hand, „Mann, da kannste ja ne<br />
ganze Sinfonie komponieren!”.<br />
BEITRÄGE<br />
Der Pianist wird ins Heimatlazarett verlegt, für Albrecht<br />
Goes verliert sich die Spur. Aber, so resümiert er: Ich habe<br />
gelernt, was es heißt, sich nicht von der Sorge ums Morgen<br />
bestimmen zu lassen. An dem Pianisten, dem von einem<br />
Tag auf den anderen der Lebensinhalt genommen worden<br />
war, läßt sich lernen, was das bedeutet: Vertrauen in das<br />
Sein zu haben. In das Sein, nicht das Haben, nicht das<br />
Können. In die Einsicht nämlich, daß die Klaviatur des<br />
Lebens nicht nur eine Oktave umspannt. Und wenn eine<br />
Tür zugeht, kann man darauf achten, ob nicht eine andere<br />
sich gerade öffnet. Und sich auf den Weg machen, zögernd<br />
vielleicht, mit tastendem Schritt. Sich nur auf das Sein,<br />
nicht auf das Haben verlassen. Auf das Sein. Auf das von<br />
Gott geliebte Sein. Wir sind von Gott angesehene Menschen,<br />
die auf dünner Erdenhaut einen tragfähigen Grund<br />
gefunden haben, auf dem sie ihr Leben aufbauen können.<br />
Natürlich bleibt das immer eine Herausforderung. Natürlich<br />
bleibt das Leben auf dünner Erdenhaut eine Aufgabe.<br />
Jeder sehe zu, wie er auf diesem Fundament, das mit Christus<br />
gelegt ist, sein Leben aufbaut, sagt Paulus. Manches<br />
wird gelingen und unser Leben reich machen. Anderes wird<br />
mißlingen – in den Augen der Mitmenschen, vielleicht<br />
auch in unserem eigenen Urteil. Wir werden hin und her<br />
schwanken zwischen Haben und Sein. Zwischen Sehnsucht<br />
und Erfüllung. Zwischen Gehen und tastendem Suchen.<br />
Der Mensch ist vor Gott mehr als die Summe des von ihm<br />
Geleisteten. Er sieht unser Sein. Von der Heimat, von der<br />
Lebensarbeit mag manches verloren gehen, der Mensch als<br />
Kind Gottes aber nicht. Niemand wird von Gott als wertlos<br />
abgetan, weil Christus für alle da war, weil dieses Fundament<br />
sich zu jeder Zeit und für alle als tragfähig erweist<br />
– mag die Erdenhaut auch noch so dünn werden. Es ist<br />
unsere Aufgabe, diese Erfahrung weiter zu geben. Du da, in<br />
Schuhen gehend auf dünner Erdenhaut. Mit deinem Munde<br />
gibt du Hoffnung weiter, mit deiner Stimme weckst du<br />
neuen Mut. Mit deinen Taten weist du Christi Weg. So<br />
bauen wir alle gemeinsam an einem großen Bau mit, dem<br />
Bau seiner Gemeinde, seiner Kirche. Sie will Heimat für<br />
alle sein, die sich mit dem eigenen Leben abmühen, die<br />
sich sorgen und ängstlich nach dem Morgen fragen.<br />
Hängt das alles von uns und von unserem Einsatz ab?<br />
„Sorgt euch nicht um den morgigen Tag, denn der morgige<br />
Tag wird für sich selbst sorgen.” Die Aufgaben sind vielfältig,<br />
und niemand muß für alles verantwortlich sein. Da<br />
kann man schon für sich selbst und für die eigene Mitarbeit<br />
an Gottes großem Bau der Kirche Prioritäten setzen. Da<br />
dürfen die einen durchaus neue Aufgabenfelder aus Überzeugung<br />
bejahen, während andere sich kritisch zurückhalten<br />
und lieber mithelfen, Bewährtes weiter zu bewahren.<br />
Entscheidend bleibt die gemeinsame Konzentration auf das<br />
Fundament, das schon gelegt ist. Letzten Endes hat sich alles<br />
Engagement an dem zu messen, was Christus gebracht,<br />
gelebt und gewirkt hat. Einen anderen Grund kann niemand<br />
legen als den, der gelegt ist, Christus. „Siehe ich mache<br />
alles neu” heißt es in der Offenbarung des Johannes. Der<br />
große Traum, daß alles gut wird, er ist im abgelaufenen<br />
Jahrhundert oft geträumt worden. Und diese Hoffnung auf<br />
Erneuerung hat mehr mit Gott als mit uns zu tun.