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Hannes_09 - jsr-hersbruck.de

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„ … “Es ist echt beschissen, wenn du jahrelangge<strong>de</strong>mütigt und gepiesackt wirst. Wenn dudas Klassenzimmer betrittst und gleich <strong>de</strong>nersten Spruch <strong>de</strong>s Tages hörst. „He dakommt die fette Kuh angerollert!" Nawun<strong>de</strong>rbar. Seufzend gehst du zu <strong>de</strong>inemPlatz. Du packst <strong>de</strong>ine Sachen aus, stellst<strong>de</strong>ine Trinkflasche auf <strong>de</strong>n Tisch, ahnstnichts Böses, dann WUSCH! Schon liegendie Sachen am Bo<strong>de</strong>n. Die Minen <strong>de</strong>r BleiundBuntstifte sind zerbrochen, die feinsäuberlich geordneten Arbeitsblätterdurcheinan<strong>de</strong>r. Du bückst dich, um dasChaos rechtzeitig vor Stun<strong>de</strong>nbeginn zubeseitigen, fühlst dich unwohl, weil alle dichbeobachten und über dich lachen. Du hörstsie überall tuscheln. Wortfetzen dringen an<strong>de</strong>in Ohr.„Die platz gleich aus allen Nähten..." „Wiehält die Hose das bloß aus?" „Man ist ihrHintern fett..."Du versuchst sie zu ignorieren, so zu tun,als ob diese Sprüche an <strong>de</strong>r Oberflächeabprallen. Aber in Wahrheit treffen sie dichmitten ins Herz. Den Tränen nahe, setzt dudich auf <strong>de</strong>n Stuhl. Der Lehrer kommt hereinund gibt die Ex zurück. Eine Fünf. KeineVieren, keine Dreien. Nur Einsen undZweien. Alle lachen dich aus, weil Mathenunmal nicht <strong>de</strong>ine Stärke ist. Zu allemÜberfluss wirst du auch noch aufgerufen,eine quadratische Gleichung <strong>de</strong>r Klasse"super-extra-schwer,-für-schüler-unlösbar,-sogar-die-mathe-lehrerin-hat-zwei-stun<strong>de</strong>nfür-die-aufgabe-gebraucht".Du gehst vor an die Tafel, keuchst, weil duSchnupfen hast und keine Luft durch dieNase bekommst. Alle lachen und kichern.Sie glauben, die paar Meter zu Tafel bringendich ins Schwitzen. Nervosität macht sich indir breit. Dann bist du da. Black out. Duweißt nichts mehr, stehst da und alle lachen,weil die Aufgabe ja so einfach zu lösen ist.Nach vollen dreißig Minuten schickt dich dieLehrerin wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>inen Platz mit <strong>de</strong>mSatz: „Sechs, setzen." Ge<strong>de</strong>mütigt, aufsGrausamste blamiert setzt du dich wie<strong>de</strong>r.Alle lachen, lassen dumme Sprüche ab. Von9wegen „Die Aufgabe hätte ja sogar einGrundschüler lösen können." Du erwi<strong>de</strong>rstnichts, lässt es einfach über dich ergehen,während du versuchst, die Tränen, die in<strong>de</strong>inen Augenwinkeln brennen, zubekämpfen. Du schaffst es nicht ganz. Eineeinzige Träne kullert dir über die Wange.Schnell wischst du sie weg. Du siehst aufdie Uhr. Nur noch fünf Stun<strong>de</strong>n. Nur nochfünf Stun<strong>de</strong>n. Das ist <strong>de</strong>r einzige Gedanke,<strong>de</strong>n du hast. Die Zeit scheint nicht zuvergehen.Dann ist Pause. Du gehst <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren aus<strong>de</strong>m Weg. O<strong>de</strong>r versuchst es zumin<strong>de</strong>st.Aber es geht nicht. Sie verfolgen dich undwerfen massenhaft verbale Bomben aufdich ab. Du versuchst sie zu ignorieren. Duversuchst über ihnen zu stehen. Du sagstdir: Sie haben nicht Recht. Glaubst es aberselbst nicht. Irgendwann ergibst du dich,und saugst ihre Worte auf, hältst sie fürwahr. Du bist am Bo<strong>de</strong>n zerstört. Dierestlichen Stun<strong>de</strong>n verstreichen dann sehrschnell. Du bist geflüchtet. In <strong>de</strong>ine kleine,heile Traumwelt, in <strong>de</strong>r alles in Ordnung ist.Wo je<strong>de</strong>r akzeptiert wird, wie er ist. Wo eskeine Mo<strong>de</strong>ls gibt, die einem vorschreiben,wie man aussehen muss, um als schön zugelten. Wo die Menschen nicht nach ihremÄußeren bewertet wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn nachihren inneren Werten und Fähigkeiten. DerLehrer re<strong>de</strong>t, aber du hörst nicht zu. Dustarrst verträumt aus <strong>de</strong>m Fenster o<strong>de</strong>r auf<strong>de</strong>n halbfertigen Hefteintrag. Plötzlich wird<strong>de</strong>in Name scharf gerufen. Du schrecksthoch, verlässt ruckartig <strong>de</strong>ine schöne, kleineTraumwelt und kehrst zurück in die kalte,harte, brutale Realität. Wie<strong>de</strong>r lachen alle.Du schaust auf die Uhr. Gott sei dank, nurnoch eine Stun<strong>de</strong>. Gnädigerweise ist <strong>de</strong>inBanknachbar so freundlich, dir die richtigeTextstelle zu zeigen. Peinlich berührt liestdu <strong>de</strong>n französischen Text. DeineAussprache ist zufrie<strong>de</strong>n stellend, aber nichtperfekt. Wie<strong>de</strong>r kichern einige. Am liebstenwür<strong>de</strong>st du ihnen ins Gesicht schreien, wieasozial sie waren, und wärst weinend aus<strong>de</strong>m Klassenzimmer gestürzt. Aber diesen

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