144 Ziko <strong>van</strong> <strong>Dijk</strong> Leizer Ludwik Zamenhof (1859–1917). © ullstein bild
Weltspra<strong>ch</strong>e aus Wars<strong>ch</strong>au 145 an. So findet man im Deuts<strong>ch</strong>en man<strong>ch</strong>mal die Form Ludwig Lazarus Samenhof, im Russis<strong>ch</strong>en Lazar’ Markovič Zamengof und im Esperanto Ludoviko Lazaro Zamenhof, im Polnis<strong>ch</strong>en heute Ludwik Zamenhof. Meist kürzte er die Vornamen ab. L.L. Zamenhof erlebte als Kind die Vielspra<strong>ch</strong>igkeit Rußlands. Seine Geburtsstadt Białystok war zu über zwei Dritteln von Juden bewohnt, die meist Jiddis<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>en; do<strong>ch</strong> dort lebten au<strong>ch</strong> Polen, Russen und Deuts<strong>ch</strong>e. Ebenso hatte Wars<strong>ch</strong>au, wo er mit seinen Eltern ab seinem vierzehnten Lebensjahr wohnte, eine große jüdis<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft und weitere Minderheiten. Für die Esperantisten ist „Białystok“ zum Symbol eines Spra<strong>ch</strong>en- und Völkerbabels geworden. Polnis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>nappte Lejzer auf der Straße auf, mit Deuts<strong>ch</strong> und Französis<strong>ch</strong> wurde er wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on dur<strong>ch</strong> den Vater vertraut gema<strong>ch</strong>t. In seiner S<strong>ch</strong>ulzeit lernte Lejzer Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> und Latein, deren Neutralität ihm zusagte, später Englis<strong>ch</strong>, dessen morphologis<strong>ch</strong>e Einfa<strong>ch</strong>heit ihn faszinierte. Er meinte einmal, er habe das Russis<strong>ch</strong>e innig geliebt und davon geträumt, ein großer russis<strong>ch</strong>er Di<strong>ch</strong>ter zu werden. Neben dem Russis<strong>ch</strong>en spre<strong>ch</strong>e er Deuts<strong>ch</strong> und Polnis<strong>ch</strong> fließend, Französis<strong>ch</strong> könne er frei lesen, aber s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t spre<strong>ch</strong>en, außerdem habe er si<strong>ch</strong> mit ungefähr a<strong>ch</strong>t weiteren Spra<strong>ch</strong>en theoretis<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>äftigt. 3 Zamenhof studierte von 1879 bis 1885 in Moskau und Wars<strong>ch</strong>au Medizin, promovierte und spezialisierte si<strong>ch</strong> auf die Augenheilkunde. Lange Zeit hatte er S<strong>ch</strong>wierigkeiten, von seiner Arbeit zu leben, weil seine armen jüdis<strong>ch</strong>en Patienten ni<strong>ch</strong>t viel zahlen konnten. Erst ab 1903 ging es ihm finanziell besser. 1905 ma<strong>ch</strong>te er seine erste Auslandsreise, als er den Esperanto-Weltkongreß in Frankrei<strong>ch</strong> besu<strong>ch</strong>te; außer den folgenden Weltkongressen su<strong>ch</strong>te er au<strong>ch</strong> deuts<strong>ch</strong>e Kurorte auf. Wäre er kein „Jude aus dem Ghetto“, wäre ihm die Idee von der Vereinigung der Mens<strong>ch</strong>heit gar ni<strong>ch</strong>t in den Sinn gekommen, s<strong>ch</strong>rieb Zamenhof in einem Brief 1905 an den französis<strong>ch</strong>en Anwalt und Esperantisten Alfred Mi<strong>ch</strong>aux. Niemand sonst könne das Unglück der Spaltung der Mens<strong>ch</strong>heit und den Bedarf an einer „nationslosen, mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>-neutralen Spra<strong>ch</strong>e“ so sehr empfinden. Ein Jude nämli<strong>ch</strong> bete zu seinem Gott in einer toten Spra<strong>ch</strong>e, erhalte Unterri<strong>ch</strong>t in der Spra<strong>ch</strong>e eines Volkes, das ihn ablehnt, und habe Leidensgenossen in der ganzen Welt, mit denen er si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verständigen könne. 4 Eine andere Version erzählte er in einem Interview mit einer französis<strong>ch</strong>en Zeitung: Seine S<strong>ch</strong>ulkameraden hätten si<strong>ch</strong> oft gestritten, also Deuts<strong>ch</strong>e, Russen, Polen und Juden. Dreiviertel der Streitigkeiten rührten daher, so Zamenhof, daß sie si<strong>ch</strong> nur mit Fäusten hätten ausdrücken können, daher habe er einen kleinen Worts<strong>ch</strong>atz erarbeitet, damit die vers<strong>ch</strong>iedenspra<strong>ch</strong>igen S<strong>ch</strong>üler si<strong>ch</strong> verständigen konnten. Vom Erfolg angespornt habe er si<strong>ch</strong> in seiner Studentenzeit mit der S<strong>ch</strong>affung einer internationalen Spra<strong>ch</strong>e bes<strong>ch</strong>äftigt. 5 Aus diesen Erfahrungen drängten si<strong>ch</strong> Zamenhof zweimal zwei Leidens<strong>ch</strong>aften auf, eine idealistis<strong>ch</strong>e und eine spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e, zum einen jüdis<strong>ch</strong>national, zum anderen global orientiert. Zamenhof fühlte eine starke Verbundenheit mit den jiddis<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>igen Juden und versu<strong>ch</strong>te si<strong>ch</strong> sogar an einer jiddis<strong>ch</strong>en Grammatik; na<strong>ch</strong> den s<strong>ch</strong>weren Pogromen —————— 3 Gaston Waringhien: Leteroj de L.-L. Zamenhof, 2 Bde. Paris 1948, hier Bd. 1, S. 111. 4 Ebd., S. 107: Brief vom 21.2.1905. 5 Doktoro Esperanto, in: Journal de Débets, 16.8.1905; zit. na<strong>ch</strong>: Ludovikito (Ps. von Itô Kanzi): La franca periodo de esperanto. Kyoto 1988, S. 162–168.