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OE 4 2007 van Dijk - Plansprachen.ch

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Ziko <strong>van</strong> <strong>Dijk</strong>•<br />

Weltspra<strong>ch</strong>e aus Wars<strong>ch</strong>au<br />

Ludwig Lazarus Zamenhof, das Esperanto und Osteuropa<br />

L.L. Zamenhof ist der Begründer des Esperantos. In Polen gilt er als ein<br />

großer Sohn des Landes. Dabei verstand er si<strong>ch</strong> als ein transnationaler<br />

Mens<strong>ch</strong>. Au<strong>ch</strong> seine Planspra<strong>ch</strong>e läßt si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t von Zamenhofs Erfahrung<br />

als Jude im slawis<strong>ch</strong>en Umfeld trennen. Zamenhof war einer der<br />

ersten Zionisten und ein Humanist mit politis<strong>ch</strong>en und seltsam „unpolitis<strong>ch</strong>en“<br />

Gedanken. Im Nationalsozialismus und Stalinismus wurden<br />

Esperantisten verfolgt, in den sozialistis<strong>ch</strong>en Regimen bewegten si<strong>ch</strong> die<br />

Esperanto-Verbände zwis<strong>ch</strong>en Gängelung und Ermutigung.<br />

Für die Esperanto-Spra<strong>ch</strong>gemeins<strong>ch</strong>aft ist der Wars<strong>ch</strong>auer Arzt Ludwig Lazarus Zamenhof<br />

(1859–1917) von herausragender Bedeutung. Sie feiert ihn als Gründungsfigur,<br />

man<strong>ch</strong>e Anhänger bezei<strong>ch</strong>nen ihn gar als „Fürsten ohne Krone“ und „Apostel des Friedens“.<br />

1 Die Esperanto-Akademie beruft si<strong>ch</strong> in Streitfällen teilweise auf seine S<strong>ch</strong>riften.<br />

Alljährli<strong>ch</strong> feiern die Esperantisten am 15. Dezember seinen Geburtstag. Si<strong>ch</strong>erli<strong>ch</strong> gibt<br />

es au<strong>ch</strong> Kritik an dieser Verehrung, und gerade jugendli<strong>ch</strong>e Spre<strong>ch</strong>er ma<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> über<br />

die Enthusiasten lustig. Die meisten Esperantisten halten den Spra<strong>ch</strong>gründer jedo<strong>ch</strong> in<br />

Ehren, au<strong>ch</strong> weil er in einer Ideenges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te der Gemeins<strong>ch</strong>aft ni<strong>ch</strong>t fehlen kann. Eine<br />

„sehr gut gema<strong>ch</strong>te Spra<strong>ch</strong>e“, urteilte Umberto Eco, do<strong>ch</strong> no<strong>ch</strong> mehr als von einer Esperanto-Grammatik<br />

sei er von der Biographie Zamenhofs gefesselt gewesen. 2<br />

Seine Herkunft läßt den mehrspra<strong>ch</strong>igen Juden aus Ostmitteleuropa als Idol einer<br />

weltweiten Bewegung besonders geeignet ers<strong>ch</strong>einen. Die Familie Zamenhof kam aus<br />

Süddeuts<strong>ch</strong>land und ließ si<strong>ch</strong> Anfang des 19. Jahrhunderts im Westen des Russis<strong>ch</strong>en<br />

Rei<strong>ch</strong>s nieder. Der Vater Markus (Morde<strong>ch</strong>ai) Zamenhof war ein armer Privatlehrer<br />

für Deuts<strong>ch</strong> und Französis<strong>ch</strong>, der später S<strong>ch</strong>ulinspektor und Zensor in Wars<strong>ch</strong>au wurde.<br />

Während der Vater die Assimilation anstrebte und Russis<strong>ch</strong> als Familienspra<strong>ch</strong>e<br />

bevorzugte (aber au<strong>ch</strong> die Synagoge besu<strong>ch</strong>te), war die Mutter Rosa religiös und<br />

spra<strong>ch</strong> Jiddis<strong>ch</strong>.<br />

Der älteste Sohn von insgesamt elf Kindern wurde 1859 in Białystok geboren. Die<br />

Zamenhofs nannten ihn Lejzer. Später legte er si<strong>ch</strong> für die ni<strong>ch</strong>tjüdis<strong>ch</strong>e Welt den<br />

Vornamen Ludwig/Ludwik zu und paßte seine Namen jeweils der Spra<strong>ch</strong>umgebung<br />

——————<br />

Ziko <strong>van</strong> <strong>Dijk</strong> (geb. Sikosek, 1973), Dr., freier Historiker, Varsseveld bei Arnheim<br />

In der Reihe „Profile Europas – Europa im Profil“ ist bisher ers<strong>ch</strong>ienen: Christian Hufen:<br />

Russe als Beruf. Anmerkungen zu Fedor Stepun, in: OSTEUROPA, 11/2004, S. 47–62.<br />

1 Heinri<strong>ch</strong> Arnhold: Ein Fürst ohne Krone. Rede anläßli<strong>ch</strong> der Gedä<strong>ch</strong>tnisfeier für Dr. L.L.<br />

Zamenhof. Dresden 1917. – Apostolo de la paco ist die Widmung in Gaston Waringhien:<br />

Lingvo kaj vivo. Rotterdam 2 1989, zuerst La Laguna 1959.<br />

2 Esperanto povos farigxi la Honkongo de la lingvoj, in: Esperanto, 2/1993, S. 21–24.<br />

OSTEUROPA, 57. Jg., 4/<strong>2007</strong>, S. 143–156


144 Ziko <strong>van</strong> <strong>Dijk</strong><br />

Leizer Ludwik Zamenhof (1859–1917). © ullstein bild


Weltspra<strong>ch</strong>e aus Wars<strong>ch</strong>au 145<br />

an. So findet man im Deuts<strong>ch</strong>en man<strong>ch</strong>mal die Form Ludwig Lazarus Samenhof, im<br />

Russis<strong>ch</strong>en Lazar’ Markovič Zamengof und im Esperanto Ludoviko Lazaro Zamenhof,<br />

im Polnis<strong>ch</strong>en heute Ludwik Zamenhof. Meist kürzte er die Vornamen ab. L.L.<br />

Zamenhof erlebte als Kind die Vielspra<strong>ch</strong>igkeit Rußlands. Seine Geburtsstadt Białystok<br />

war zu über zwei Dritteln von Juden bewohnt, die meist Jiddis<strong>ch</strong> spra<strong>ch</strong>en; do<strong>ch</strong><br />

dort lebten au<strong>ch</strong> Polen, Russen und Deuts<strong>ch</strong>e. Ebenso hatte Wars<strong>ch</strong>au, wo er mit seinen<br />

Eltern ab seinem vierzehnten Lebensjahr wohnte, eine große jüdis<strong>ch</strong>e Gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

und weitere Minderheiten. Für die Esperantisten ist „Białystok“ zum Symbol<br />

eines Spra<strong>ch</strong>en- und Völkerbabels geworden.<br />

Polnis<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>nappte Lejzer auf der Straße auf, mit Deuts<strong>ch</strong> und Französis<strong>ch</strong> wurde er<br />

wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong> s<strong>ch</strong>on dur<strong>ch</strong> den Vater vertraut gema<strong>ch</strong>t. In seiner S<strong>ch</strong>ulzeit lernte<br />

Lejzer Grie<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong> und Latein, deren Neutralität ihm zusagte, später Englis<strong>ch</strong>, dessen<br />

morphologis<strong>ch</strong>e Einfa<strong>ch</strong>heit ihn faszinierte. Er meinte einmal, er habe das Russis<strong>ch</strong>e<br />

innig geliebt und davon geträumt, ein großer russis<strong>ch</strong>er Di<strong>ch</strong>ter zu werden. Neben<br />

dem Russis<strong>ch</strong>en spre<strong>ch</strong>e er Deuts<strong>ch</strong> und Polnis<strong>ch</strong> fließend, Französis<strong>ch</strong> könne er frei<br />

lesen, aber s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t spre<strong>ch</strong>en, außerdem habe er si<strong>ch</strong> mit ungefähr a<strong>ch</strong>t weiteren Spra<strong>ch</strong>en<br />

theoretis<strong>ch</strong> bes<strong>ch</strong>äftigt. 3<br />

Zamenhof studierte von 1879 bis 1885 in Moskau und Wars<strong>ch</strong>au Medizin, promovierte<br />

und spezialisierte si<strong>ch</strong> auf die Augenheilkunde. Lange Zeit hatte er S<strong>ch</strong>wierigkeiten,<br />

von seiner Arbeit zu leben, weil seine armen jüdis<strong>ch</strong>en Patienten ni<strong>ch</strong>t viel zahlen<br />

konnten. Erst ab 1903 ging es ihm finanziell besser. 1905 ma<strong>ch</strong>te er seine erste Auslandsreise,<br />

als er den Esperanto-Weltkongreß in Frankrei<strong>ch</strong> besu<strong>ch</strong>te; außer den folgenden<br />

Weltkongressen su<strong>ch</strong>te er au<strong>ch</strong> deuts<strong>ch</strong>e Kurorte auf.<br />

Wäre er kein „Jude aus dem Ghetto“, wäre ihm die Idee von der Vereinigung der<br />

Mens<strong>ch</strong>heit gar ni<strong>ch</strong>t in den Sinn gekommen, s<strong>ch</strong>rieb Zamenhof in einem Brief 1905<br />

an den französis<strong>ch</strong>en Anwalt und Esperantisten Alfred Mi<strong>ch</strong>aux. Niemand sonst könne<br />

das Unglück der Spaltung der Mens<strong>ch</strong>heit und den Bedarf an einer „nationslosen,<br />

mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>-neutralen Spra<strong>ch</strong>e“ so sehr empfinden. Ein Jude nämli<strong>ch</strong> bete zu seinem<br />

Gott in einer toten Spra<strong>ch</strong>e, erhalte Unterri<strong>ch</strong>t in der Spra<strong>ch</strong>e eines Volkes, das ihn<br />

ablehnt, und habe Leidensgenossen in der ganzen Welt, mit denen er si<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t verständigen<br />

könne. 4<br />

Eine andere Version erzählte er in einem Interview mit einer französis<strong>ch</strong>en Zeitung:<br />

Seine S<strong>ch</strong>ulkameraden hätten si<strong>ch</strong> oft gestritten, also Deuts<strong>ch</strong>e, Russen, Polen und<br />

Juden. Dreiviertel der Streitigkeiten rührten daher, so Zamenhof, daß sie si<strong>ch</strong> nur mit<br />

Fäusten hätten ausdrücken können, daher habe er einen kleinen Worts<strong>ch</strong>atz erarbeitet,<br />

damit die vers<strong>ch</strong>iedenspra<strong>ch</strong>igen S<strong>ch</strong>üler si<strong>ch</strong> verständigen konnten. Vom Erfolg angespornt<br />

habe er si<strong>ch</strong> in seiner Studentenzeit mit der S<strong>ch</strong>affung einer internationalen<br />

Spra<strong>ch</strong>e bes<strong>ch</strong>äftigt. 5 Aus diesen Erfahrungen drängten si<strong>ch</strong> Zamenhof zweimal zwei<br />

Leidens<strong>ch</strong>aften auf, eine idealistis<strong>ch</strong>e und eine spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e, zum einen jüdis<strong>ch</strong>national,<br />

zum anderen global orientiert.<br />

Zamenhof fühlte eine starke Verbundenheit mit den jiddis<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>igen Juden und versu<strong>ch</strong>te<br />

si<strong>ch</strong> sogar an einer jiddis<strong>ch</strong>en Grammatik; na<strong>ch</strong> den s<strong>ch</strong>weren Pogromen<br />

——————<br />

3 Gaston Waringhien: Leteroj de L.-L. Zamenhof, 2 Bde. Paris 1948, hier Bd. 1, S. 111.<br />

4 Ebd., S. 107: Brief vom 21.2.1905.<br />

5 Doktoro Esperanto, in: Journal de Débets, 16.8.1905; zit. na<strong>ch</strong>: Ludovikito (Ps. von Itô<br />

Kanzi): La franca periodo de esperanto. Kyoto 1988, S. 162–168.


146 Ziko <strong>van</strong> <strong>Dijk</strong><br />

1881/82 s<strong>ch</strong>loß si<strong>ch</strong> der Medizinstudent der jüdis<strong>ch</strong>en Auswandererbewegung an. In<br />

Wars<strong>ch</strong>au gründete er eine zionistis<strong>ch</strong>e Gruppe. 6 Aber bereits Ende 1883 äußerte er<br />

seine Enttäus<strong>ch</strong>ung, daß nur Geld gesammelt und Lobbyarbeit in Konstantinopel betrieben<br />

werde, ohne mit der Kolonisierung Palästinas zu beginnen. 7 Andererseits störte er<br />

si<strong>ch</strong> an den jungen jüdis<strong>ch</strong>en Leuten in Wars<strong>ch</strong>au, besonders aus den gebildeten Familien,<br />

die dem Elend der Juden glei<strong>ch</strong>gültig gegenüberstünden. 8 Gegen 1885 wandte er<br />

si<strong>ch</strong> vom Zionismus ab, weil er ni<strong>ch</strong>t mehr daran glaubte, daß ein jüdis<strong>ch</strong>er Staat zu<br />

realisieren sei. 1901 nannte er als Gründe gegen den Zionismus: Das Hebräis<strong>ch</strong>e sei<br />

eine tote Spra<strong>ch</strong>e; die Juden hätten nur eine gemeinsame Religion, aber kein gemeinsames<br />

Nationalgefühl; und Palästina sei zu klein, um alle Juden der Welt aufzunehmen. 9<br />

Um 1896/97 wurde die eigentli<strong>ch</strong>e zionistis<strong>ch</strong>e Bewegung gegründet, aber Zamenhof<br />

nahm an ihr ni<strong>ch</strong>t mehr teil. Teilweise mußte er gar von Zionisten den Vorwurf hören,<br />

er verleugne sein Judentum. 10 Das entspra<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t der Wahrheit, aber 1914 wollte er<br />

einer jüdis<strong>ch</strong>en Esperanto-Vereinigung deshalb ni<strong>ch</strong>t beitreten, weil jeder Nationalismus<br />

der Mens<strong>ch</strong>heit nur Unglück bringe. Zwar sei der Nationalismus unterdrückter<br />

Völker – als Reaktion, als Selbstverteidigung – sehr viel ents<strong>ch</strong>uldbarer als der unterdrückender<br />

Völker. Do<strong>ch</strong> während der Nationalismus der Starken unedel sei, sei der<br />

Nationalismus der S<strong>ch</strong>wa<strong>ch</strong>en unklug. Statt dessen sollten alle Mens<strong>ch</strong>en die Harmonie<br />

der Mens<strong>ch</strong>heit anstreben. 11<br />

Zamenhof zog es vor, seine zionistis<strong>ch</strong>e Zeit der Öffentli<strong>ch</strong>keit zu vers<strong>ch</strong>weigen. In<br />

einer Darstellung um 1895, wie Esperanto entstanden sei, präsentierte er si<strong>ch</strong> als einsamer<br />

Student, der nur an seine neue Spra<strong>ch</strong>e geda<strong>ch</strong>t habe. 12 Der jüdis<strong>ch</strong>e Franzose<br />

Emile Javal, mit dem Zamenhof am ehesten jüdis<strong>ch</strong>e Fragen bespra<strong>ch</strong>, s<strong>ch</strong>rieb ihm<br />

1905: Na<strong>ch</strong> dem ersten Esperanto-Weltkongreß seien siebenhundert Zeitungsartikel<br />

über Esperanto ers<strong>ch</strong>ienen – nur einer habe Zamenhofs Judentum erwähnt. Das hätten<br />

die Esperantisten nur mit einer bewundernswerten Disziplin errei<strong>ch</strong>en können. Alle<br />

Esperanto-Freunde seien si<strong>ch</strong> in diesem Punkte einig, man müsse es so lange verbergen,<br />

wie der große Kampf no<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t gewonnen sei. 13 Meist wurde Zamenhof als Pole<br />

oder Russe vorgestellt, was er akzeptierte. 14<br />

Spra<strong>ch</strong>gründer<br />

Zamenhof war beileibe ni<strong>ch</strong>t der erste Mens<strong>ch</strong>, der von einer neuen Spra<strong>ch</strong>e träumte.<br />

Die Interlinguistik, die si<strong>ch</strong> mit diesen sogenannten „<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>“ bes<strong>ch</strong>äftigt, zählt<br />

über tausend <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> oder vielmehr <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>projekte, denn die meisten<br />

——————<br />

6 Ludovikito: Hebreo el la getto 1976. Kyoto 1976, S. 96.<br />

7 Ludovikito: Unua etapo de Esperanto. Kyoto 1989, S. 72.<br />

8 Adolf Holzhaus: Zamenhof leteroj. Helsinki 1975, S. 9, Brief von Zamenhof an Jehalel,<br />

21.11.1882 (Datum alten Stils).<br />

9 Naftali Cvi Maimon: La kaŝita vivo de L.L. Zamenhof. Tokyo 1978, S. 102, 105/106.<br />

10 Boris Kolker u.a.: Nekonata artikolo de L.L. Zamenhof, in: Israela Esperantisto, Juli/2004,<br />

S. 5–6, hier: Skandalo ĉe Esperantista kongreso, in: Togblat (Lemberg), 16.8.1912.<br />

11 Zit. na<strong>ch</strong> Johannes Dietterle (Hg.): L.L. Zamenhof. Originala Verkaro. Leipzig 1929,<br />

S. 344/345.<br />

12 Marcus Sikosek: Esperanto sen mitoj. Antwerpen 2 2003, S. 306.<br />

13 Ludovikito: Postrikolto de ludovikaĵoj. Kyoto 1985, S. 197/198, aus dem Esperanto.<br />

14 Sikosek, Esperanto [Fn. 12], S. 302, 308.


Weltspra<strong>ch</strong>e aus Wars<strong>ch</strong>au 147<br />

dieser Projekte sind nie praktis<strong>ch</strong> verwendet worden. Beri<strong>ch</strong>ten über <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> aus<br />

der Antike oder dem Mittelalter muß man mit größter Skepsis begegnen, ans<strong>ch</strong>einend<br />

bes<strong>ch</strong>ränkt si<strong>ch</strong> das Phänomen auf die europäis<strong>ch</strong>e Neuzeit. 15 Selbst während der<br />

Aufklärung setzte man si<strong>ch</strong> nur vereinzelt mit der Frage einer neuen Weltspra<strong>ch</strong>e auseinander<br />

– und das oftmals nur theoretis<strong>ch</strong>. Descartes, Comenius und Leibniz unternahmen<br />

den Versu<strong>ch</strong>, eine logis<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e zu s<strong>ch</strong>affen, die glei<strong>ch</strong>zeitig den rationalen<br />

Zusammenhang der Welt erklärt. 16 An eine spre<strong>ch</strong>bare Spra<strong>ch</strong>e da<strong>ch</strong>ten sie weniger.<br />

Allenfalls hinterließen diese Projekte indirekt Spuren in der Wissens<strong>ch</strong>aftsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te,<br />

etwa bei naturwissens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>en Klassifizierungen wie dem System von<br />

Linné oder der Formelspra<strong>ch</strong>e der Chemie.<br />

Erst im 19. Jahrhundert stellten einzelne Autoren eine Vielzahl von <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> vor,<br />

was sowohl praktis<strong>ch</strong>e als au<strong>ch</strong> geistige Gründe haben kann. Telegraphie und Eisenbahn<br />

revolutionierten Kommunikation und Transportwesen. Glei<strong>ch</strong>zeitig wurden die<br />

Bibel und damit der S<strong>ch</strong>öpfungsberi<strong>ch</strong>t, die Sintflut und der Turmbau von Babel vom<br />

Sockel der hö<strong>ch</strong>sten Autorität gestürzt. Die historis<strong>ch</strong>-verglei<strong>ch</strong>ende Spra<strong>ch</strong>wissens<strong>ch</strong>aft<br />

zeigte, daß au<strong>ch</strong> Spra<strong>ch</strong>en ihre Entstehungsges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te haben und si<strong>ch</strong> mit der<br />

Zeit verändern. 17<br />

Diese Projekte konstruierten allerdings keine „logis<strong>ch</strong>en“ Spra<strong>ch</strong>en mehr, sondern<br />

Spra<strong>ch</strong>en, die si<strong>ch</strong> an den bereits bestehenden orientierten. Vor allem die romanis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>en dienten als Vorbild, viele Projekte sehen aus wie To<strong>ch</strong>terspra<strong>ch</strong>en des Lateins.<br />

Zum ersten Projekt, das tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> verwendet wurde, entwickelte si<strong>ch</strong> das Volapük<br />

des badis<strong>ch</strong>en Geistli<strong>ch</strong>en Johann Martin S<strong>ch</strong>leyer. Die 1879 vorgestellte Spra<strong>ch</strong>e<br />

zei<strong>ch</strong>nete si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> eine starke Verfremdung des ursprüngli<strong>ch</strong>en Wortmaterials<br />

aus: Der Spra<strong>ch</strong>enname Volapük selbst ist zusammengesetzt aus vol und pük (englis<strong>ch</strong><br />

world und to speak) und bedeutet Weltspra<strong>ch</strong>e. An Streitigkeiten um die Vorherrs<strong>ch</strong>aft<br />

in der Volapük-Gemeins<strong>ch</strong>aft sowie über der Frage, wie vermeintli<strong>ch</strong>e oder<br />

tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>e Mängel zu überwinden seien, ging Volapük kurz na<strong>ch</strong> seinem<br />

Zenit von 1887 zugrunde. Seine Tradition wird heute nur no<strong>ch</strong> von sehr wenigen Volapükafleds<br />

– Weltspra<strong>ch</strong>efreunden – bewahrt. Esperanto trat in die Lücke, die Volapük<br />

hinterlassen hatte, und hat seine Vorrangstellung gegen spätere Projekten dauerhaft<br />

verteidigt.<br />

Zamenhof bemühte si<strong>ch</strong> um eine Spra<strong>ch</strong>e, die mögli<strong>ch</strong>st einfa<strong>ch</strong> zu erlernen sein sollte.<br />

Daher sollte sein Esperanto erstens Wortstämme verwenden, die viele Mens<strong>ch</strong>en<br />

bereits kennen, zweitens regelmäßig sein und drittens dur<strong>ch</strong> logis<strong>ch</strong>e Konstruktionen<br />

Lernmaterial einsparen. Ein Beispielsatz zeigt diese Elemente bereits:<br />

Mi petas ĉiujn partoprenantojn de la seminario, veni tuj al la seminariejo.<br />

I<strong>ch</strong> bitte alle Teilnehmer des Seminars, sofort zum Ort des Seminars zu<br />

kommen.<br />

——————<br />

15 Detlev Blanke: Interlinguistis<strong>ch</strong>e Beiträge. Zum Wesen und zur Funktion internationaler<br />

<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> Hg. von Sabine Fiedler. Frankfurt/Main 2006, hier S. 31–33. Zur Kritik an Beri<strong>ch</strong>ten<br />

über frühe Projekte siehe Sikosek, Esperanto [Fn. 12], S. 157/158.<br />

16 Ulri<strong>ch</strong> Lins: Die gefährli<strong>ch</strong>e Spra<strong>ch</strong>e. Die Verfolgung der Esperantisten unter Hitler und<br />

Salin, Gerlingen 1988, S. 186.<br />

17 Marcus Sikosek: Die neutrale Spra<strong>ch</strong>e. Eine politis<strong>ch</strong>e Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te des Esperanto-Weltbundes.<br />

Bydgoszcz 2006, S. 20. – Zu den Motiven, <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> zu entwickeln: Blanke, Beiträge<br />

[Fn. 15], S. 54–59.


148 Ziko <strong>van</strong> <strong>Dijk</strong><br />

Der erste Eindruck ist der einer romanis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>e, Wörter wie seminario sind<br />

sofort wiedererkennbar. Das -o am Ende eines Wortes signalisiert im Esperanto, daß<br />

es si<strong>ch</strong> um ein Substantiv handelt, -j ist das Anhängsel für den Plural. Das letzte Wort,<br />

seminariejo, enthält das Suffix -ej, das einen Ort bezei<strong>ch</strong>net, also: Seminarort.<br />

Es fällt der „Da<strong>ch</strong>bu<strong>ch</strong>stabe“ ĉ auf, der wie ts<strong>ch</strong> ausgespro<strong>ch</strong>en wird. Zamenhof hat<br />

einige diakritis<strong>ch</strong>e Zei<strong>ch</strong>en eingeführt, damit bestimmte Laute ni<strong>ch</strong>t mit mehreren<br />

Bu<strong>ch</strong>staben ausgedrückt werden müssen, Vorbild waren vor allem die slawis<strong>ch</strong>en<br />

Spra<strong>ch</strong>en mit Lateinalphabet.<br />

Vergli<strong>ch</strong>en mit den meisten anderen <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong> ist für das Esperanto außergewöhnli<strong>ch</strong>,<br />

daß es au<strong>ch</strong> germanis<strong>ch</strong>e und slawis<strong>ch</strong>e Elemente verwendet. Das Wort partoprenanto<br />

im Beispielssatz heißt ganz wörtli<strong>ch</strong> „Teil-nehmer“, Zamenhof verwendete<br />

also wie im Deuts<strong>ch</strong>en eine Zusammensetzung von gängigeren Wörtern, um Neologismen<br />

wie etwa participanto einzusparen. Ferner gibt es au<strong>ch</strong> Lexeme, die aus germanis<strong>ch</strong>en<br />

und slawis<strong>ch</strong>en Spra<strong>ch</strong>en entnommen wurden, beispielsweise jaro (Jahr)<br />

und nur (nur) aus dem Deuts<strong>ch</strong>en, suno (Sonne) aus dem Englis<strong>ch</strong>en, kolbaso (Wurst)<br />

aus dem Polnis<strong>ch</strong>en und vosto (S<strong>ch</strong>wanz) aus dem Russis<strong>ch</strong>en. Au<strong>ch</strong> aus dem Litauis<strong>ch</strong>en<br />

gibt es ein Esperanto-Wort – das Wört<strong>ch</strong>en tuj aus dem obigen Beispielsatz.<br />

Strittig ist ein jiddis<strong>ch</strong>er Einfluß. 18 Je na<strong>ch</strong> Korpus und Zählweise wird der Anteil sol<strong>ch</strong>er<br />

ni<strong>ch</strong>tromanis<strong>ch</strong>er Wörter am Esperanto auf bis zu ein Viertel ges<strong>ch</strong>ätzt. 19<br />

Die erste Wörterliste Zamenhofs von 1887 enthielt ungefähr neunhundert Lexeme,<br />

au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e, die man ni<strong>ch</strong>t unbedingt im Grundworts<strong>ch</strong>atz einer Weltspra<strong>ch</strong>e vermuten<br />

würde. Sie geben einen Hinweis auf Zamenhofs Umwelt, wie cimo (Zecke) und<br />

pliko, der berü<strong>ch</strong>tigte Wei<strong>ch</strong>selzopf (plica polonica), eine Hautkrankheit, die angebli<strong>ch</strong><br />

besonders unter den armen Juden Polens vorkam. Bald na<strong>ch</strong> Ers<strong>ch</strong>einen der Spra<strong>ch</strong>e<br />

setzte jedo<strong>ch</strong> eine eigenständige Entwicklung ein, in der alte Wörter ausges<strong>ch</strong>ieden<br />

und neue aufgenommen wurden, wie dies au<strong>ch</strong> bei anderen Spra<strong>ch</strong>en der Fall ist.<br />

Maßgebli<strong>ch</strong> ist der Spra<strong>ch</strong>gebrau<strong>ch</strong>, der von den Esperanto-Wörterbü<strong>ch</strong>ern na<strong>ch</strong>vollzogen<br />

wird.<br />

Eine neue Spra<strong>ch</strong>gemeins<strong>ch</strong>aft<br />

Na<strong>ch</strong> zwei früheren Projekten veröffentli<strong>ch</strong>te Zamenhof 1887 die „Internationale<br />

Spra<strong>ch</strong>e“, die später den Namen Esperanto erhielt. Da er um seinen Ruf als junger<br />

Augenarzt für<strong>ch</strong>tete, verwendete er für si<strong>ch</strong> das Pseudonym „Esperanto“, was in dieser<br />

Spra<strong>ch</strong>e „ein Hoffender“ bedeutet. Bald bürgerte si<strong>ch</strong> das Wort, über „Spra<strong>ch</strong>e des<br />

Dr. Esperanto“ und „Esperanto-Spra<strong>ch</strong>e“, als Name für die Spra<strong>ch</strong>e selbst ein.<br />

Der fris<strong>ch</strong> verheiratete Augenarzt hatte vom wohlhabenden S<strong>ch</strong>wiegervater eine<br />

großzügige Mitgift erhalten, so daß er si<strong>ch</strong> ganz der Verbreitung des Esperanto widmen<br />

konnte. Do<strong>ch</strong> das Geld war na<strong>ch</strong> bereits zwei Jahren aufgebrau<strong>ch</strong>t, und zwei<br />

Kinder mußten ernährt werden. Zamenhof ma<strong>ch</strong>te wie alle anderen <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>autoren<br />

die Erfahrung, wie mühselig es ist, eine neue Spra<strong>ch</strong>e an den Mann zu bringen.<br />

——————<br />

18 Christer Kiselman: Kial ni hejtas la hejmon sed ŝajnas fajfi pri la fajlado? In: Literatura<br />

Foiro, 138/1992, S. 213–216. – Ebbe Vilborg: Etimologia Vortaro de Esperanto, 4 Bde.<br />

Malmö 1989–2001, siehe unter den Lemmata hejm/o, hejt/i und edz/o.<br />

19 Detlev Blanke: Internationale <strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>. Eine Einführung. Berlin 1985, hier S. 252–253.


Weltspra<strong>ch</strong>e aus Wars<strong>ch</strong>au 149<br />

Man kann für diese Zeit allenfalls von einem gewissen Erfolg des Esperanto spre<strong>ch</strong>en.<br />

Glei<strong>ch</strong>wohl hatte Zamenhof s<strong>ch</strong>on 1888 einen wi<strong>ch</strong>tigen Mitstreiter gewonnen: den<br />

ehemaligen Volapük-Klub in Nürnberg. Im Russis<strong>ch</strong>en Rei<strong>ch</strong>, in dem die allermeisten<br />

Esperantisten lebten, hatte die Zensur es Zamenhof ni<strong>ch</strong>t gestattet, eine Esperanto-<br />

Zeits<strong>ch</strong>rift herauszugeben, aber in Deuts<strong>ch</strong>land stellte dies kein Problem dar. So ers<strong>ch</strong>ien<br />

unter den Nürnbergern als Herausgebern und Zamenhof als Redakteur ab dem<br />

1. September 1889 La Esperantisto. Für mehrere Jahre war diese dünne Monatss<strong>ch</strong>rift<br />

fast das einzige Bindeglied der jungen Spra<strong>ch</strong>gemeinde.<br />

Do<strong>ch</strong> die Hilfe der Nürnberger hatte au<strong>ch</strong> ihre S<strong>ch</strong>attenseiten. Warum sollte ausgere<strong>ch</strong>net<br />

Zamenhofs Spra<strong>ch</strong>e die ideale, künftige Weltspra<strong>ch</strong>e werden? Gab es ni<strong>ch</strong>t<br />

no<strong>ch</strong> etwas zu verbessern? Die Nürnberger führten daher alsbald eine Rubrik ein, in<br />

der über Reformen an der Spra<strong>ch</strong>e diskutiert wurde. 1890 kam es sogar zu einer Art<br />

„Puts<strong>ch</strong>versu<strong>ch</strong>“: Zamenhof hatte einen Internationalen Bund der Esperantisten vorges<strong>ch</strong>lagen,<br />

um si<strong>ch</strong> von der Rolle eines inoffiziellen Führers zu entlasten. Do<strong>ch</strong> die<br />

Nürnberger nutzten die Gelegenheit, änderten Zamenhofs Satzungsentwurf eigenmä<strong>ch</strong>tig<br />

und setzten si<strong>ch</strong> selbst an die Spitze des neuen Bundes. Zamenhof erklärte<br />

daraufhin die ganze Gründung eilig für ni<strong>ch</strong>tig, da sie auf Mißverständnissen beruht<br />

habe.<br />

Der Streit hatte dur<strong>ch</strong>aus einen ernsthaften politis<strong>ch</strong>en Hintergrund: Zamenhof neigte<br />

dazu, die Organisation über die Zeits<strong>ch</strong>rift La Esperantisto laufen zu lassen, da es im<br />

autokratis<strong>ch</strong>en Rußland viel lei<strong>ch</strong>ter war, Abonnent einer Zeits<strong>ch</strong>rift als Mitglied einer<br />

Vereinigung zu sein. Die Nürnberger, die im liberaleren Deuts<strong>ch</strong>land lebten, hätten dies<br />

ni<strong>ch</strong>t verstanden, gesteht ihnen der japanis<strong>ch</strong>e Zamenhof-Biograph Ludovikito zu. 20<br />

In eine s<strong>ch</strong>were Krise geriet die junge Spra<strong>ch</strong>gemeins<strong>ch</strong>aft, als 1895 die Einfuhr des<br />

Esperantisto na<strong>ch</strong> Rußland verboten wurde. Auslöser war ein antiautoritärer und traditionsfeindli<strong>ch</strong>er<br />

Beitrag Lev Tolstojs. 21 Zwar konnte das Verbot bald rückgängig<br />

gema<strong>ch</strong>t werden, do<strong>ch</strong> kamen finanzielle Probleme hinzu, so daß die Zeits<strong>ch</strong>rift eingestellt<br />

werden mußte. Aber s<strong>ch</strong>on Ende 1895 trat eine neue Zeits<strong>ch</strong>rift an ihre Stelle,<br />

die in Uppsala von Studenten herausgegebene Lingvo Internacia. Für Zamenhof, der<br />

als Augenarzt weiter kaum Fuß fassen konnte, bedeutete dies eine große Erlei<strong>ch</strong>terung,<br />

da die jungen S<strong>ch</strong>weden weniger eigenmä<strong>ch</strong>tig waren als die Nürnberger.<br />

Eine neue Epo<strong>ch</strong>e in der Esperanto-Ges<strong>ch</strong>i<strong>ch</strong>te läutete der Franzose Louis de Beaufront<br />

ein. 1898 gründete der Privatlehrer eine Esperanto-Gesells<strong>ch</strong>aft sowie die Zeits<strong>ch</strong>rift<br />

L’Espérantiste, die si<strong>ch</strong> vor allem an frankophone Leser ri<strong>ch</strong>tete. Er hatte organisatoris<strong>ch</strong>es<br />

Ges<strong>ch</strong>ick, und es gelang ihm, viele Intellektuelle für Esperanto zu<br />

interessieren. 1903 gründete si<strong>ch</strong> in der S<strong>ch</strong>weiz ein Landesverband, bis etwa 1910<br />

entstanden in den meisten anderen europäis<strong>ch</strong>en Ländern, in Japan und den USA weitere<br />

Verbände. In dieser „Gründerzeit des Esperanto“ wurde das heute no<strong>ch</strong> bestehende<br />

Verbandswesen ges<strong>ch</strong>affen. 1905 trafen si<strong>ch</strong> die Esperantisten dann zu ihrem ersten<br />

Weltkongreß in Boulogne-sur-Mer, wo viele der 688 Teilnehmer die Spra<strong>ch</strong>e<br />

zum ersten Mal mündli<strong>ch</strong> verwendeten.<br />

Zamenhof besu<strong>ch</strong>te dana<strong>ch</strong> alle Esperanto-Kongresse, au<strong>ch</strong> den 1910 in Washington,<br />

und reiste au<strong>ch</strong> 1914 zum Pariser Kongreß, der am 1. August beginnen sollte. An jenem<br />

Tag bra<strong>ch</strong> der Erste Weltkrieg aus. Zamenhof mußte auf dem Kölner Haupt-<br />

——————<br />

20 Ludovikito: Senlegenda biografio de l.l. zamenhof. Kyoto 1982, S. 44.<br />

21 Lins, Spra<strong>ch</strong>e [Fn. 16], S. 22.


150 Ziko <strong>van</strong> <strong>Dijk</strong><br />

bahnhof erfahren, daß er mittlerweile ein feindli<strong>ch</strong>er Ausländer war. In zwei mühsamen<br />

Wo<strong>ch</strong>en gelang es ihm, über das neutrale Skandinavien wieder na<strong>ch</strong> Hause zu<br />

kommen. Bestürzt über die Barbarei des Krieges, die für ihn persönli<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> ein<br />

S<strong>ch</strong>eitern seines Friedensprojekts bedeutete, zog er si<strong>ch</strong> zurück und widmete si<strong>ch</strong> der<br />

Übersetzung des Alten Testaments ins Esperanto. 1915 ers<strong>ch</strong>ien sein letzter größerer<br />

„politis<strong>ch</strong>er“ Text, ein Aufruf an die Diplomaten, na<strong>ch</strong> dem Kriege an die Re<strong>ch</strong>te der<br />

nationalen Minderheiten zu denken, und glei<strong>ch</strong>zeitig ein Plädoyer für die Vereinigten<br />

Staaten von Europa. 22 Am 14. April 1917 verstarb Zamenhof, der <strong>ch</strong>ronis<strong>ch</strong>e Herz-<br />

und Atembes<strong>ch</strong>werden hatte, 56jährig an einem Herzinfarkt. 23<br />

Die „Mens<strong>ch</strong>heitslehre“<br />

Zamenhof s<strong>ch</strong>loß si<strong>ch</strong> nie einer politis<strong>ch</strong>en Partei an, denno<strong>ch</strong> da<strong>ch</strong>te er dur<strong>ch</strong>aus<br />

politis<strong>ch</strong>. Aufs<strong>ch</strong>lußrei<strong>ch</strong> ist das Memorandum „Völker und Internationale Spra<strong>ch</strong>e“,<br />

das er für den First Universal Races Congress in London 1911 verfaßte 24 und in dem<br />

er na<strong>ch</strong> der hauptsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en oder gar einzigen Ursa<strong>ch</strong>e des Hasses zwis<strong>ch</strong>en den Völkern<br />

su<strong>ch</strong>t.<br />

An eine politis<strong>ch</strong>e Ursa<strong>ch</strong>e, genauer einen Wettlauf zwis<strong>ch</strong>en den Staaten, glaubte er<br />

ni<strong>ch</strong>t, denn die Deuts<strong>ch</strong>en in vers<strong>ch</strong>iedenen Rei<strong>ch</strong>en hätten Sympathie füreinander,<br />

während beispielsweise Deuts<strong>ch</strong>e und Slawen in ein und demselben Rei<strong>ch</strong> einander<br />

do<strong>ch</strong> als Fremde betra<strong>ch</strong>teten. Au<strong>ch</strong> die Wirts<strong>ch</strong>aft s<strong>ch</strong>loß er aus, da dann au<strong>ch</strong> die<br />

Provinzen eines Staates einander hassen müßten. Bei den körperli<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ieden<br />

kommt er auf die Rassenfrage zu spre<strong>ch</strong>en. Ginge es tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> um körperli<strong>ch</strong>e Unters<strong>ch</strong>iede,<br />

dann müßten, so Zamenhof, do<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> große oder kleine Mens<strong>ch</strong>en diskriminiert<br />

werden. Allein gegen die s<strong>ch</strong>warze Rasse gebe es eine s<strong>ch</strong>einbar natürli<strong>ch</strong>e<br />

Abneigung. Aber die Antipathie habe ni<strong>ch</strong>ts mit körperli<strong>ch</strong>en Unters<strong>ch</strong>ieden zu tun.<br />

Vielmehr seien die S<strong>ch</strong>warzen vor kurzem no<strong>ch</strong> Wilde und später Sklaven gewesen<br />

und wiesen entspre<strong>ch</strong>ende Züge no<strong>ch</strong> immer auf. Das stoße „uns, freie und seit langem<br />

zivilisierte Mens<strong>ch</strong>en instinktiv ab“; das aber werde in Zukunft vers<strong>ch</strong>winden,<br />

und wenn die S<strong>ch</strong>warzen erst einmal kultiviert seien, kämen aus ihrer Mitte viele hervorragende<br />

Mens<strong>ch</strong>en. 25<br />

An anderer Stelle nennt Zamenhof au<strong>ch</strong> die Abstammung als mögli<strong>ch</strong>en Grund für<br />

den Völkerhaß. Dieser Grund leu<strong>ch</strong>te zunä<strong>ch</strong>st ein, denn man liebe „sein Blut“. Do<strong>ch</strong><br />

wegen der langen Vermis<strong>ch</strong>ung der Völker wisse man gar ni<strong>ch</strong>t genau, wel<strong>ch</strong>e Vorfahren<br />

man hat; eine Ausnahme bildeten seiner Meinung na<strong>ch</strong> viellei<strong>ch</strong>t indis<strong>ch</strong>e Kasten<br />

oder man<strong>ch</strong>e Hebräer wie die Leviten und Kohanim. Alles Gerede über Abstammung<br />

und Bluterbe sei jedo<strong>ch</strong> nur ein Vorwand, Völkerhaß werde ni<strong>ch</strong>t empfunden<br />

wegen vermuteter Vorfahren, sondern aufgrund der Fremdheit dur<strong>ch</strong> Spra<strong>ch</strong>e und<br />

Religion. 26<br />

——————<br />

22 L.L. Zamenhof: Post la Granda Milito, in: The British Esperantist, 3/1915, S. 51–55.<br />

23 Zur Biographie: Marjorie Boulton: Zamenhof. Creator of Esperanto. London 1960.<br />

24 Zitiert na<strong>ch</strong> Dietterle, Zamenhof [Fn. 11], S. 345–353.<br />

25 Dietterle, Zamenhof [Fn. 11], S. 346–348.<br />

26 Ebd., S. 348–349.


Weltspra<strong>ch</strong>e aus Wars<strong>ch</strong>au 151<br />

Wenn alle Ungarn plötzli<strong>ch</strong> deuts<strong>ch</strong> zu spre<strong>ch</strong>en begännen, fragt Zamenhof, gäbe es<br />

dann in vierzig, fünfzig Jahren no<strong>ch</strong> einen Unters<strong>ch</strong>ied und Völkerhaß zwis<strong>ch</strong>en<br />

Deuts<strong>ch</strong>en und Ungarn? Würden alle Juden ihre Religion ablegen und die des sie umgebenden<br />

Volkes annehmen, gäbe es dann in dreißig, vierzig Jahren no<strong>ch</strong> Antisemitismus<br />

und Philosemitismus, ein „Judenproblem“? Die wirkli<strong>ch</strong>e Ursa<strong>ch</strong>e von Entzweitheit<br />

und Haß der Völker seien die Spra<strong>ch</strong>en und die Religionen. 27 Zamenhof geht<br />

also von einem tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> vorhandenen Völkerhaß aus, der rational faßbare und damit<br />

au<strong>ch</strong> überwindbare Ursa<strong>ch</strong>en hat. Würden si<strong>ch</strong> die S<strong>ch</strong>warzen erst einmal der<br />

weißen Kultur annähern, wäre das Problem gelöst, ebenso wie eine Assimilation der<br />

Juden die „Judenfrage“ obsolet ma<strong>ch</strong>en würde. Zamenhof verwendet so zwar das<br />

Wort Rasse, jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t in einem biologis<strong>ch</strong>-deterministis<strong>ch</strong>en, sondern in einem<br />

kulturellen Sinn. Eine explizite Definition der Nation liefert er ni<strong>ch</strong>t, aber es ist davon<br />

auszugehen, daß er vor allem die Spra<strong>ch</strong>e als Abgrenzungskriterium sah.<br />

Zamenhofs Hauptaussage lautet, daß die Mens<strong>ch</strong>en si<strong>ch</strong> auf einem neutralen Fundament<br />

begegnen sollen. Keine Religion solle privilegiert sein, dann könne jeder seine<br />

angestammte Religion ablegen, ohne gegenüber seinen leidenden Volksgenossen Verrat<br />

zu üben. Do<strong>ch</strong> müsse es eine Religion geben, deren Dogmen jeder Mens<strong>ch</strong> ohne<br />

Unehrli<strong>ch</strong>keit gegenüber seinem Gewissen akzeptieren könne. In spra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>er Hinsi<strong>ch</strong>t<br />

verweist Zamenhof darauf, daß es bereits eine neutrale Spra<strong>ch</strong>e gibt, die für jeden<br />

lei<strong>ch</strong>t zu erlangen sei, die keinen erniedrige, jedem glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigt gehöre, und<br />

die man in allen Beziehungen zwis<strong>ch</strong>en den Völkern verwenden solle. 28<br />

Ein häufiger Einwand gegen das Esperanto ist, daß es die nationalen Spra<strong>ch</strong>en beseitigen<br />

wolle. Das verneinen die meisten Esperantisten. In einem Essay von 1900 versu<strong>ch</strong>te<br />

Zamenhof den Vorwurf mit der Bemerkung zu entkräften, das internationale<br />

Postwesen bedrohe au<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t die mündli<strong>ch</strong>e Kommunikation. Der Polyglott wird<br />

aber ganz deutli<strong>ch</strong> darin, daß er es für ihn kein Unglück wäre, wenn es eines s<strong>ch</strong>önen<br />

Tages keine Nationen und Nationalspra<strong>ch</strong>en mehr gäbe, sondern nur eine Familie<br />

aller Mens<strong>ch</strong>en mit einer Spra<strong>ch</strong>e. 29<br />

Gebündelt hat Zamenhof seine Ansi<strong>ch</strong>ten in seinen S<strong>ch</strong>riften von der sogenannten<br />

„Mens<strong>ch</strong>heitslehre“. In einer Bros<strong>ch</strong>üre von 1901 spra<strong>ch</strong> er no<strong>ch</strong> vom „Hillelismus“,<br />

in Anlehnung an den pharisäis<strong>ch</strong>en Gesetzeslehrer Hillel den Älteren, der in der Zeit<br />

von Jesus von Nazareth lebte und Toleranz und Gewaltlosigkeit predigte. 30 Eine ebenfalls<br />

anonyme S<strong>ch</strong>rift Zamenhofs von 1906 erhielt dann den Titel Homaranismo. Dieser<br />

Begriff besteht aus dem Esperanto-Wort homaro (Mens<strong>ch</strong>heit) und den Wortbildungssilben<br />

-an (Anhänger) und -ism (Lehre, -ismus). Homaranismus ist also die Lehre<br />

davon, Angehöriger der Mens<strong>ch</strong>heit zu sein.<br />

Zamenhof definierte Gott als hö<strong>ch</strong>ste, unbegreifli<strong>ch</strong>e Ma<strong>ch</strong>t, deren Wesen jeder na<strong>ch</strong><br />

eigenem Wuns<strong>ch</strong> erklären möge. Gehe mit anderen um, wie du mö<strong>ch</strong>test, daß andere<br />

mit dir umgehen. Ansonsten gelten die religiösen Bräu<strong>ch</strong>e, deren Einhaltung freiwillig<br />

sei. 31 Ab 1913 spra<strong>ch</strong> er vom „Freidenkertum“, womit er ni<strong>ch</strong>t Atheismus meinte,<br />

——————<br />

27 Ebd., S. 350.<br />

28 Ebd., S. 352.<br />

29 L.L. Zamenhof: Esenco kaj estonteco de la ideo de lingvo internacia, in: William Auld (Hg.):<br />

Nova Esperanta Krestomatio. Rotterdam 1991, S. 336–365, hier S. 340.<br />

30 Siehe die deuts<strong>ch</strong>e Zusammenfassung mit Kommentar in Wojcie<strong>ch</strong> Usakiewicz: Esperantistis<strong>ch</strong>e<br />

Weltbilder. Berlin 1995.<br />

31 Ebd., S. 6f.


152 Ziko <strong>van</strong> <strong>Dijk</strong><br />

sondern die Ablehnung einer Offenbarungsreligion wie des Christentums, Judentums<br />

oder des Islam. 32<br />

Zamenhof plädiert für eine weitrei<strong>ch</strong>ende territoriale Entnationalisierung: Es sei unzulässig,<br />

das Interesse eines Landes mit den Interessen einer bestimmten nationalen und<br />

religiösen Gruppe zu identifizieren, etwa mit historis<strong>ch</strong>en Argumenten. 33 Nationen<br />

und Nationalitäten hätten nur Übergangs<strong>ch</strong>arakter, ihr Vers<strong>ch</strong>winden solle sogar gefördert<br />

werden. Zwar gesteht Zamenhof jedem das unbedingte Re<strong>ch</strong>t zu, im Privatleben<br />

eine beliebige Spra<strong>ch</strong>e zu gebrau<strong>ch</strong>en, aber bei Kontakten mit fremden Mens<strong>ch</strong>en<br />

und in öffentli<strong>ch</strong>en Institutionen solle eine mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>-neutrale Spra<strong>ch</strong>e verwendet<br />

werden. Neben nationalspra<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>en Bildungseinri<strong>ch</strong>tungen solle es au<strong>ch</strong> sol<strong>ch</strong>e in<br />

der mens<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong>-neutralen Spra<strong>ch</strong>e geben. Ein Land, definiert als geographis<strong>ch</strong> oder<br />

kulturell besonderer Teil eines Staates, gehöre allen seinen Einwohnern ohne Rücksi<strong>ch</strong>t<br />

auf Spra<strong>ch</strong>e und Religion. Die Namen für geographis<strong>ch</strong>e Einheiten sollten neutral<br />

sein, Länder und Provinzen seien am besten na<strong>ch</strong> der Hauptstadt zu benennen:<br />

Petersburger Rei<strong>ch</strong> anstelle von Rußland, Wars<strong>ch</strong>auer Land anstelle von Polen. 34<br />

Zamenhofs Mens<strong>ch</strong>heitslehre mag vielen, ni<strong>ch</strong>t nur heutigen Lesern re<strong>ch</strong>t idealistis<strong>ch</strong>,<br />

stellenweise gar kits<strong>ch</strong>ig vorkommen. Grundsätze wie der der Nä<strong>ch</strong>stenliebe sind sehr<br />

allgemein und unbestimmt, und viele Probleme der multikulturellen Gesells<strong>ch</strong>aft<br />

werden ni<strong>ch</strong>t oder nur indirekt angespro<strong>ch</strong>en, zum Beispiel, ob und unter wel<strong>ch</strong>en<br />

Umständen au<strong>ch</strong> Einwanderer zu den glei<strong>ch</strong>bere<strong>ch</strong>tigten Einwohnern eines Landes<br />

zählen sollen. Ferner thematisiert er weder soziale Fragen no<strong>ch</strong> das politis<strong>ch</strong>e System,<br />

obwohl beides vielfa<strong>ch</strong> mit nationalen Fragen verbunden ist. Der überaus vorsi<strong>ch</strong>tige<br />

Zamenhof wollte niemandem vor den Kopf stoßen und vermied strittige Themen. In<br />

seinen Briefen, Reden und S<strong>ch</strong>riften hat er ans<strong>ch</strong>einend kein einziges Mal die Wörter<br />

Sozialismus oder Marxismus verwendet, und bei den orthodoxen Marxisten hätte er<br />

au<strong>ch</strong> kaum Anknüpfungspunkte gefunden, da sie die Klassenfrage über alles stellten<br />

und die nationale Frage ihr unterordneten.<br />

Die Mens<strong>ch</strong>heitslehre stand vor dem Problem, daß die meisten Mens<strong>ch</strong>en entweder in<br />

der Praxis bereits so liberal mit ihrer Religion umgingen, wie Zamenhof es si<strong>ch</strong><br />

wüns<strong>ch</strong>te, oder aber si<strong>ch</strong> so mit ihrer Religion verbunden fühlten, daß sie für die Lehre<br />

ni<strong>ch</strong>t anspre<strong>ch</strong>bar waren. Ni<strong>ch</strong>t einmal unter den Esperantisten fanden si<strong>ch</strong> viele<br />

Anhänger. Zamenhofs französis<strong>ch</strong>er Brieffreund Emile Javal gab dem Hillelismus<br />

keine großen Chancen: Es sei wohl wüns<strong>ch</strong>enswert, daß diese Ideen die Welt eroberten,<br />

aber Frankrei<strong>ch</strong> tauge dafür ni<strong>ch</strong>t. Dort lebten nur blindgläubige Katholiken und<br />

Atheisten. Die sozial höher stehenden Klassen ließen si<strong>ch</strong> den Katholizismus ni<strong>ch</strong>t<br />

dur<strong>ch</strong> einen Juden modifizieren, und über die sozialistis<strong>ch</strong>en Massen solle Zamenhof<br />

si<strong>ch</strong> keine Illusionen ma<strong>ch</strong>en, die wollten mit Gott ni<strong>ch</strong>ts zu tun haben. Allenfalls<br />

könnten einige Protestanten oder Juden für den Hillelismus geworben werden. 35 Gerade<br />

westeuropäis<strong>ch</strong>e Esperantisten für<strong>ch</strong>teten, Zamenhofs Lehre würde der Weltspra<strong>ch</strong>e<br />

Esperanto s<strong>ch</strong>aden, da es dem pragmatis<strong>ch</strong>en Projekt eine idealistis<strong>ch</strong>e, utopistis<strong>ch</strong>e<br />

Wendung gebe.<br />

——————<br />

32 Ebd., S. 7f.<br />

33 Ebd., S. 8.<br />

34 Ebd., S. 3–6.<br />

35 Waringhien, Leteroj [Fn. 3], Bd. 1, S. 209, Brief von Javal an Zamenhof, 15.10.1905.


Na<strong>ch</strong>wirkungen<br />

Weltspra<strong>ch</strong>e aus Wars<strong>ch</strong>au 153<br />

Die meisten Spra<strong>ch</strong>projekte überlebten ihre Gründer ni<strong>ch</strong>t. Au<strong>ch</strong> um das Esperanto<br />

s<strong>ch</strong>ien es 1917 s<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>t bestellt zu sein, als Zamenhof starb. Der Krieg hatte selbst in<br />

neutralen Ländern die Aktivitäten vieler Esperanto-Organisationen zum Erliegen gebra<strong>ch</strong>t<br />

oder zumindest stark bes<strong>ch</strong>ränkt. Na<strong>ch</strong> und na<strong>ch</strong> wurde die Korrespondenz auf<br />

Esperanto ers<strong>ch</strong>wert bzw. de facto verboten. Aber der Erste Weltkrieg – ähnli<strong>ch</strong> wie<br />

der Zweite – bestärkte die Esperantisten au<strong>ch</strong> in ihrer Ansi<strong>ch</strong>t, daß die Verständigung<br />

zwis<strong>ch</strong>en den Völkern um so wi<strong>ch</strong>tiger geworden sei. Und s<strong>ch</strong>on lange vor 1914 war<br />

das Kind Esperanto so groß, daß es au<strong>ch</strong> ohne seinen Vater laufen konnte.<br />

1927 s<strong>ch</strong>ätzte der deuts<strong>ch</strong>e Gymnasialprofessor Johannes Dietterle die Esperanto-<br />

Bewegung auf rund 127 000 Anhänger. 36 Je na<strong>ch</strong>dem, wie streng man die Spra<strong>ch</strong>kenntnisse<br />

eines Esperanto-Spre<strong>ch</strong>ers bewertet, bewegt si<strong>ch</strong> die Zahl der Esperantisten<br />

au<strong>ch</strong> heute no<strong>ch</strong> in dieser Größenordnung, was sowohl von Stabilität als au<strong>ch</strong><br />

von einer Begrenztheit zeugt. Einer der größten Erfolge der Bewegung war, daß der<br />

Völkerbund 1922 die Leistungen der Esperanto-Bewegung für die Völkerverständigung<br />

anerkannte, was die UNESCO 1954 und 1985 wiederholte. 37<br />

Der 1908 gegründete Esperanto-Weltbund hat Mitglieder in über hundert Ländern.<br />

Dabei war Osteuropa, die Region, aus der die Spra<strong>ch</strong>e kommt, immer ein wi<strong>ch</strong>tiger<br />

Bestandteil der Spra<strong>ch</strong>gemeins<strong>ch</strong>aft. Vor dem Ersten Weltkrieg waren bedeutende<br />

Esperanto-S<strong>ch</strong>riftsteller und -übersetzer zum Beispiel die Polen Kazimierz Bein und<br />

Antoni Grabowski, vor dem Zweiten Weltkrieg die Estin Hilda Dresen und die Budapester<br />

S<strong>ch</strong>ule um den S<strong>ch</strong>auspieler Julio (Gyual) Baghy. Ebenfalls in Budapest wurde<br />

die Zeits<strong>ch</strong>rift Literatura Mondo herausgegeben, dort ers<strong>ch</strong>ien 1934 au<strong>ch</strong> die Enciklopedio<br />

de Esperanto.<br />

In der Sowjetunion hatte es zunä<strong>ch</strong>st einen glei<strong>ch</strong>ges<strong>ch</strong>alteten Esperanto-Verband<br />

gegeben. Im Großen Terror 1936/37 wurden seine Führer umgebra<strong>ch</strong>t. Wie Briefmarkensammlern<br />

und Amateurfunkern wurde den Esperantisten zum Verhängnis, daß sie<br />

Kontakte mit dem Ausland hatten. 38 Hinzu kommt ein antisemitis<strong>ch</strong>er Zug des Stalinismus,<br />

der au<strong>ch</strong> im Vorwurf des „Kosmopolitimus“ eine Rolle spielte. In diesen Sog<br />

geriet au<strong>ch</strong> die Esperanto-Bewegung in Osteuropa na<strong>ch</strong> dem Krieg: Der Bulgare<br />

Assen Grigorov warnte 1949 die Esperantisten vor der damals neuen Esperanto-<br />

Sektion der Weltföderalisten, „die den US-Imperialisten (den Erben Hitlers und<br />

Goebbels)“ in die Hände spielten. Tatsä<strong>ch</strong>li<strong>ch</strong> ri<strong>ch</strong>tete si<strong>ch</strong> der Vorwurf eher gegen<br />

den Esperanto-Arbeiter-Bund SAT, der 1930 mit dem Kommunismus in der Sowjetunion<br />

gebro<strong>ch</strong>en hatte. 39<br />

Vor allem im nationalsozialistis<strong>ch</strong>en Deuts<strong>ch</strong>land war die Tatsa<strong>ch</strong>e, daß der Spra<strong>ch</strong>gründer<br />

Jude war, ein Motiv, die Esperanto-Bewegung zu zerstören. Ein Papier aus<br />

dem Rei<strong>ch</strong>ssi<strong>ch</strong>erheitshauptamt unter Reinhard Heydri<strong>ch</strong> vom Juni 1940 verdeutli<strong>ch</strong>t,<br />

——————<br />

36 Johannes Dietterle: Tutmonda statistiko esperantista, in: Esperanto, 7–8/1928, S. 134–156.<br />

37 Ulri<strong>ch</strong> Lins: The work of the Universal Esperanto Association for a more peaceful world.<br />

Rotterdam 2000.<br />

38 Nicolas Werth: Ein Staat gegen sein Volk. Gewalt, Unterdrückung und Terror in der Sowjetunion,<br />

in: Stéphane Courtois u.a.: Das S<strong>ch</strong>warzbu<strong>ch</strong> des Kommunismus. Unterdrückung,<br />

Verbre<strong>ch</strong>en und Terror. Mün<strong>ch</strong>en, Züri<strong>ch</strong> 4 2000, S. 45–295, hier S. 210.<br />

39 Sikosek, Spra<strong>ch</strong>e [Fn. 17], S. 237.


154 Ziko <strong>van</strong> <strong>Dijk</strong><br />

wie s<strong>ch</strong>arf die Esperantisten als Feind des Nationalsozialismus gesehen wurden.<br />

Na<strong>ch</strong>dem s<strong>ch</strong>on Hitler in „Mein Kampf“ das Esperanto als Instrument des herrs<strong>ch</strong>sü<strong>ch</strong>tigen<br />

Judentums identifiziert hatte, wurde dem „polnis<strong>ch</strong>en Juden“ und Zionisten<br />

Zamenhof vorgeworfen, ein Friedensrei<strong>ch</strong> unter jüdis<strong>ch</strong>er Führung na<strong>ch</strong> Jesaja 2, 2–4<br />

angestrebt zu haben. Dur<strong>ch</strong> glei<strong>ch</strong>e Lektüre für alle Völker und internationale Freizügigkeit<br />

habe ein allgemeiner Völkerbrei entstehen sollen. Die Leitung fast aller Esperanto-Organisationen<br />

habe in den Händen von Juden und Freimaurern gelegen. 40<br />

Die Verbände der Arbeiter-Esperantisten waren s<strong>ch</strong>on 1933 verboten worden, und<br />

na<strong>ch</strong> S<strong>ch</strong>ikanen wurde der Deuts<strong>ch</strong>e Esperanto-Bund 1936 aufgelöst, obwohl dieser<br />

si<strong>ch</strong> um Anpassung bemüht und sogar den „Arierparagraphen“ eingeführt hatte. 41 Eine<br />

gezielt gegen Esperantisten geri<strong>ch</strong>tete Verhaftungswelle gab es jedo<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t. Wie in<br />

der Sowjetunion war die Esperanto-Aktivität hö<strong>ch</strong>stens ein zusätzli<strong>ch</strong>er Faktor, der<br />

zur Verfolgung führte.<br />

Na<strong>ch</strong> 1945 erwa<strong>ch</strong>te die Esperanto-Bewegung na<strong>ch</strong> der nationalsozialistis<strong>ch</strong>en Besatzung.<br />

In Ostmitteleuropa dauerte der Frühling nur kurz: Trotz Anpassung an die<br />

kommunistis<strong>ch</strong>en Regime wurden die Esperanto-Verbände in Polen, Ungarn, Bulgarien<br />

und in der Ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>oslowakei bereits seit 1949 unterdrückt. In dieser Zeit des<br />

„Großen S<strong>ch</strong>weigens“ war das <strong>ch</strong>inesis<strong>ch</strong>e Propagandaorgan El Popola Ĉinio kurzfristig<br />

die einzige Esperanto-Zeits<strong>ch</strong>rift, die in Osteuropa bezogen werden konnte. 42<br />

Erst na<strong>ch</strong> Stalins Tod 1953 änderte si<strong>ch</strong> die Situation. In den einzelnen Ländern dauerte<br />

es no<strong>ch</strong> lange, ehe die Verbände ihre alte Position und Stärke wiedererlangten.<br />

Am liberalsten zeigte si<strong>ch</strong> die Volksrepublik Polen, in der 1959 der erste Esperanto-<br />

Weltkongreß in einem sozialistis<strong>ch</strong>en Land stattfand. In der Sowjetunion dauerte es<br />

bis 1979, ehe ein Verband gegründet wurde.<br />

Es ist mitunter s<strong>ch</strong>wierig, Wiederzulassungen und S<strong>ch</strong>ikanen an die große Politik zu<br />

koppeln. In der ČSSR wurden 1969 ein ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>er und ein slowakis<strong>ch</strong>er Verband<br />

wiedergegründet. Der Zusammenhang mit dem Prager Frühling könnte allenfalls darin<br />

gesehen werden, daß das Regime si<strong>ch</strong> um ein positives E<strong>ch</strong>o im In- und Ausland<br />

bemühte. In der Sowjetunion bedurfte es der Glasnost’ unter Gorbačev, ehe die sowjetis<strong>ch</strong>en<br />

Esperantisten 1989 die Erlaubnis erhielten, dem Weltbund beizutreten.<br />

Allerdings war bereits 1984, also no<strong>ch</strong> vor Gorbačev, der Beitritt geplant gewesen.<br />

Der entspre<strong>ch</strong>ende Aufpasser im Verband der Sowjetis<strong>ch</strong>en Esperantisten nahm eine<br />

Rezension in der Weltbund-Zeits<strong>ch</strong>rift zum Vorwand, den Beitritt zu verhindern; Ulri<strong>ch</strong><br />

Lins hatte darin die Erinnerungen des kroatis<strong>ch</strong>en Kommunisten und Gulag-<br />

Häftlings Karlo Štajner positiv bespro<strong>ch</strong>en. Der litauis<strong>ch</strong>e Esperantist Povilas Jegorovas<br />

vermutet, den sowjetis<strong>ch</strong>en Esperantisten habe ein Fürspre<strong>ch</strong>er in der Parteispitze<br />

gefehlt, Stereotypen aus der Stalinzeit hätten na<strong>ch</strong>gewirkt. Überhaupt sei eine „von<br />

unten“ entstandene Bewegung an si<strong>ch</strong> verdä<strong>ch</strong>tig gewesen. 43<br />

Bulgarien, Ungarn, Polen und mit Abstand die Ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>oslowakei galten in der Folge<br />

als die klassis<strong>ch</strong>en Esperanto-Länder Ostmitteleuropas, deren Esperanto-Verbände<br />

staatli<strong>ch</strong> besoldete Angestellte hatten und die beeindruckende Mitgliederzahlen vor-<br />

——————<br />

40 Lins, Spra<strong>ch</strong>e [Fn. 16], S. 114–116.<br />

41 Sikosek, Spra<strong>ch</strong>e [Fn. 17], S. 204–206.<br />

42 Lins, Spra<strong>ch</strong>e [Fn. 16], S. 239.<br />

43 Do<strong>ch</strong> all dies müßte dur<strong>ch</strong> Ar<strong>ch</strong>ivstudien vor Ort verifiziert werden; Sikosek, Spra<strong>ch</strong>e<br />

[Fn. 17], S. 369–371.


Weltspra<strong>ch</strong>e aus Wars<strong>ch</strong>au 155<br />

wiesen. Letztere sind mit Skepsis zu nehmen. So beri<strong>ch</strong>tet der ungaris<strong>ch</strong>e Esperantist<br />

László Szilvási von seinem Landesverband, man sei für einen einmaligen Beitrag von<br />

fünfzig Forint Mitglied auf Lebenszeit geworden. 1965 gab der bulgaris<strong>ch</strong>e Verband<br />

eine Mitgliederzahl von a<strong>ch</strong>ttausend an, während aus Belgien (einem Land mit glei<strong>ch</strong><br />

vielen Einwohnern) nur fünfhundert gemeldet wurden. 44<br />

Die DDR blieb in der Entwicklung zurück. Hier konnte erst 1965 im Kulturbund ein<br />

Zentraler Esperanto-Arbeitskreis eingeri<strong>ch</strong>tet werden, der 1976 dem Weltbund beitreten<br />

durfte. Rumänien und Albanien waren fast weiße Flecken auf der Esperanto-<br />

Landkarte. Anders sah die Situation in Jugoslawien aus. Dort war Esperanto bis 1948<br />

eher nur geduldet worden, die Esperantisten wurden wie in anderen kommunistis<strong>ch</strong>en<br />

Ländern dazu aufgefordert, Russis<strong>ch</strong> zu lernen. Na<strong>ch</strong> dem Bru<strong>ch</strong> zwis<strong>ch</strong>en Stalin und<br />

Tito wurden die Esperantisten dann jedo<strong>ch</strong> geradezu hofiert. 1953 fand der Esperanto-<br />

Weltkongreß in Zagreb statt, und Tito behauptete auf einer Audienz, er habe Esperanto<br />

seinerzeit im Gefängnis gelernt. 45<br />

Theoretis<strong>ch</strong> könnte man die Unterstützung dur<strong>ch</strong> die kommunistis<strong>ch</strong>en Regime mit<br />

dem Internationalismus erklären, den der Kommunismus für si<strong>ch</strong> beanspru<strong>ch</strong>te; man<br />

könnte sogar einbringen, daß Zamenhof ein Osteuropäer war und daß seine Spra<strong>ch</strong>e<br />

slawis<strong>ch</strong>e Elemente hatte, im Gegensatz zu den meisten anderen, „westli<strong>ch</strong>eren“<br />

<strong>Planspra<strong>ch</strong>en</strong>. In Wirkli<strong>ch</strong>keit war das Interesse der Diktaturen an Esperanto weit<br />

profaner: Die angepaßten Esperanto-Verbände gehörten zu den Transmissionsriemen,<br />

mit denen die Ideologie den Werktätigen nahegebra<strong>ch</strong>t werden sollte. Vor allem<br />

konnte man über Esperanto Mens<strong>ch</strong>en im westli<strong>ch</strong>en Ausland errei<strong>ch</strong>en. Die neue<br />

Zeits<strong>ch</strong>rift der esperantist gab den DDR-Esperantisten 1966 „Ri<strong>ch</strong>tlinien für die Tätigkeit<br />

der Esperantofreunde der DDR im Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbund“ an die Hand, zweispra<strong>ch</strong>ig<br />

auf Deuts<strong>ch</strong> und auf Esperanto: Zu den Aufgaben gehörte es, den anderen<br />

Ländern die historis<strong>ch</strong>e Umwälzung in der DDR zu zeigen, Politikerreden zu übersetzen<br />

und die „re<strong>van</strong><strong>ch</strong>istis<strong>ch</strong>e Politik der BRD“ zu demaskieren. 46<br />

Ungefähr alle drei, vier Jahre kam der Esperanto-Weltkongreß in ein osteuropäis<strong>ch</strong>es<br />

Land, das si<strong>ch</strong> als normales und attraktives Urlaubsziel präsentieren konnte. Darüber<br />

hinaus bra<strong>ch</strong>ten die Westkontakte Devisen ein. Und es beeindruckte die westli<strong>ch</strong>en<br />

Esperantisten dur<strong>ch</strong>aus, was in Osteuropa errei<strong>ch</strong>t wurde. Der ungaris<strong>ch</strong>e Interlinguist<br />

István Szerdahelyi bekleidete an der ELTE-Universität den ersten Esperanto-<br />

Lehrstuhl weltweit, Radio Polonia strahlte (wie beispielsweise au<strong>ch</strong> Wien, Peking und<br />

der Vatikan) Esperanto-Sendungen aus, die Auflagen von Esperanto-Lehrbü<strong>ch</strong>ern<br />

waren oftmals erstaunli<strong>ch</strong> ho<strong>ch</strong>, und regelmäßige Veranstaltungen wie die Sommer-<br />

Ferienlager im Baltikum waren und sind etablierte Bestandteile der weltweiten<br />

Spra<strong>ch</strong>gemeins<strong>ch</strong>aft.<br />

Die Kehrseite bestand darin, daß die Verbände in Osteuropa politis<strong>ch</strong> ni<strong>ch</strong>t neutral sein<br />

konnten, obwohl der Esperanto-Weltbund dies von seinen Landesverbänden prinzipiell<br />

einforderte. 1980 verlangte die neue Weltbund-Satzung wenigstens no<strong>ch</strong>, die Neutralität<br />

des Weltbundes zu respektieren. Mehrmals kam es zu Konflikten, etwa wenn Zensoren<br />

——————<br />

44 Ebd., S. 296.<br />

45 Ebd., S. 273f.<br />

46 Ri<strong>ch</strong>tlinien für die Tätigkeit der Esperantofreunde der DDR im Deuts<strong>ch</strong>en Kulturbund.<br />

Direktivoj por la agado de la Esperanto-amikoj de la GDR en la Germana Kulturligo, in: der<br />

esperantist, 7–8/1966, S. 26–28.


156 Ziko <strong>van</strong> <strong>Dijk</strong><br />

oder kommunistis<strong>ch</strong>e Funktionäre mitbestimmen wollten, was in der Zeits<strong>ch</strong>rift des<br />

Weltbundes ers<strong>ch</strong>einen durfte und vor allem was ni<strong>ch</strong>t, oder wenn der Esperanto-<br />

Ableger der „Weltfriedensbewegung“ auf den Esperanto-Weltkongressen seine Sondersitzungen<br />

abhielt und dana<strong>ch</strong> in Resolutionen den Eindruck zu erwecken versu<strong>ch</strong>te, die<br />

Weltfriedens-Esperantisten sprä<strong>ch</strong>en im Namen des gesamten Kongresses. 47<br />

Generell aber, so der ehemalige Generalsekretär des Esperanto-Weltbundes, Werner<br />

Bormann, seien die Vorstandssitzungen entspannt gewesen: Die westli<strong>ch</strong>en sowie seit<br />

1959 die zwei östli<strong>ch</strong>en Vorstandsmitglieder kannten ihre Grenzen. Als 1984 die neue<br />

Satzung des ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>en Landesverbandes von der „führenden Rolle der Kommunistis<strong>ch</strong>en<br />

Partei“ spra<strong>ch</strong>, protestierte Bormann in der Prüfungskommission. Der ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>is<strong>ch</strong>e<br />

Vertreter entgegnete ihm, ob er die Ts<strong>ch</strong>e<strong>ch</strong>en „raushaben“ wolle. Da sei<br />

Bormann „umgefallen“ und habe si<strong>ch</strong> der Mehrheit unterworfen, um die von ihm stets<br />

befür<strong>ch</strong>tete Spaltung der Esperanto-Bewegung ni<strong>ch</strong>t zu riskieren. 48<br />

Osmo Buller, der finnis<strong>ch</strong>e Generaldirektor des Weltbundes, beri<strong>ch</strong>tet umgekehrt von<br />

einem Fall, in dem der Weltbund si<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong>setzen konnte. Als der Weltkongreß 1987<br />

in Wars<strong>ch</strong>au stattfinden sollte, s<strong>ch</strong>lug das polnis<strong>ch</strong>e Organisationskomitee den Partei<strong>ch</strong>ef<br />

Wojcie<strong>ch</strong> Jaruzelski als S<strong>ch</strong>irmherrn vor. Der Vorstand des Weltbundes lehnte<br />

den Verkünder des Kriegsre<strong>ch</strong>tes von 1981 jedo<strong>ch</strong> ab, so daß s<strong>ch</strong>ließli<strong>ch</strong> der Parlamentspräsident<br />

Roman Malinowski S<strong>ch</strong>irmherr wurde. 49<br />

Für die Esperantisten war es befremdli<strong>ch</strong>, als 2004 bei der EU-Aufnahme die ostmitteleuropäis<strong>ch</strong>en<br />

Länder als „neue Länder in Europa“ begrüßt wurden, denn viele Kontakte<br />

hatten sie bereits während des Ost-West-Konflikts über den Eisernen Vorhang<br />

hinweg gepflegt.<br />

——————<br />

47 Sikosek, Spra<strong>ch</strong>e [Fn. 17], S. 309–311.<br />

48 Gesprä<strong>ch</strong> des Verfassers mit Werner Bormann, 29.9.2005.<br />

49 Gesprä<strong>ch</strong> des Verfassers mit Osmo Buller, 9.9.2004.

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