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Max Dauthendey Himalajafinsternis und andere asiatische Novellen

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wollte lesen, um nicht einzuschlafen. Aber mehrmals mußte<br />

ich aufhorchen. Es war mir, als hörte ich Schritte auf dem Balkon,<br />

auf welchen das zerbrochene Fenster führte.<br />

Ich sah vom Lesen nicht auf. Ich sagte mir, es wird einer der<br />

Diener sein, der sich überzeugen will, ob mein Kaminfeuer<br />

noch brennt, <strong>und</strong> der mich nicht zu stören wagt <strong>und</strong> deshalb<br />

auf dein Balkon herumschleicht <strong>und</strong> hereinsieht.<br />

Nach einer St<strong>und</strong>e war mir, als verbreite sich ein durchdringender<br />

Blumengeruch im Zimmer. Ich schloß die Augen,<br />

lehnte meinen Kopf im Ledersessel zurück <strong>und</strong> überlegte, ob<br />

die Nachtnebel, die aus den Himalajateegärten <strong>und</strong> aus der<br />

indischen Tiefebene heraufsteigen, solch einen betäubenden<br />

Blütengeruch mit sich führen könnten. Durch das zerbrochene<br />

Fenster schien der Geruch mit dem Nebelrauch hereinzuziehen,<br />

denn ich sah einen feinen bläulichen Dampf, der vom<br />

zerbrochenen Fenster her das Zimmer erfüllte. Ich wollte aufstehen,<br />

ein Handtuch oder einen Reiseschal nehmen <strong>und</strong> die<br />

zerbrochene Scheibenecke zustopfen, um den betäubenden<br />

Nebel abzuwehren.<br />

Aber es blieb bei dem in meinem Gehirn sich immer wiederholenden<br />

Wunsch, aufzustehen. Meine Augen fielen zu. Einige<br />

Zeit hielt ich das Buch noch in der einen Hand fest. Aber das<br />

Buch schien immer größer <strong>und</strong> schwerer zu werden. Das Buch<br />

wuchs <strong>und</strong> stand vor mir wie die Wind so groß. Und immer,<br />

wenn ich mich aufrichten wollte, stand vor mir das aufgerichtete<br />

wandgroße Buch. Es war mir, als wohne ich nicht mehr<br />

in meinem Zimmer. Ich wohnte in einem Buch. Und ich hatte<br />

das Gefühl, dieses Riesenbuch könnte zuklappen <strong>und</strong> mich<br />

zwischen seinen Seiten erdrücken. Das Buch roch so süß wie<br />

die Süße aus einem alten Schrank, in welchem getrocknete<br />

Blumen <strong>und</strong> Lavendel lagen. Mit diesem gemischten Gefühl<br />

von Süße <strong>und</strong> drückender Bangigkeit verbrachte ich, wie es

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