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Max Dauthendey Himalajafinsternis und andere asiatische Novellen

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<strong>und</strong> Leibeskraft <strong>und</strong> auf die Auferstehung seiner feurigsten<br />

Liebeserinnerungen.<br />

Es war heute einer der letzten Frühlingstage, <strong>und</strong> Ozuma<br />

hatte sein Haus wie immer weit offen. Der alte Teewirt <strong>und</strong><br />

dessen Frau drüben bemerkten, als sie an diesem Morgen ihre<br />

papiernen Hauswände aufschoben, daß der alte Mann plötzlich<br />

über Nacht schwarze Haare bekommen hatte, schwarze<br />

Augenbrauen <strong>und</strong> rote, sehr rote Wangen <strong>und</strong> rote, sehr rote<br />

Lippen. Der Wirt <strong>und</strong> die Wirtin kicherten wie Mäuse, die<br />

über ein Stück Speck hüpfen, <strong>und</strong> sie stießen sich gegenseitig<br />

mit den Ellenbogen an. Aber sie sagten nichts zueinander, sie<br />

wechselten nur einen Blick.<br />

Die Wirtsfrau bürstete die roten Wolldecken, worauf die<br />

Fremden am Nachmittag sitzen sollten, der Wirt kauerte sich<br />

hinter seine Rechenmaschine, schob die bunten Holzperlen<br />

hin <strong>und</strong> her <strong>und</strong> lachte in sich hinein. Als es Nachmittag<br />

wurde, hatten der Wirt <strong>und</strong> die Wirtin schon ganz vergessen,<br />

daß Ozuma sich künstlich jung gefärbt hatte; sie fanden<br />

seine Farbe schon natürlich <strong>und</strong> waren selbst wie um sechzig<br />

Jahre verjüngt bei Ozumas Anblick. Der Wirt holte ganz in<br />

Gedanken seine Okarina hervor <strong>und</strong> pfiff ein Lied, das er seit<br />

sechzig Jahren nicht mehr gepfiffen hatte. Die Wirtin steckte<br />

sich eine rote Nelke aus ihrem Nelkentopf ins Haar <strong>und</strong> lachte<br />

jeden Augenblick zu Ozuma hinüber, wie vor sechzig Jahren.<br />

Damals war sie Tänzerin in Nagasaki gewesen <strong>und</strong> hatte<br />

manche Nacht vor dem reichen Ozuma in den Teehäusern des<br />

Freudenviertels von Nagasaki getanzt. Ozuma aber saß drüben<br />

vor seinem bronzenen Aschentopf in seinem offenen Haus<br />

auf der gelben Strohmatte <strong>und</strong> lachte wie immer mit tausend<br />

Falten, trotzdem er wie immer traurig war. Hinter ihm strahlte<br />

der Kirschblütengarten im grauen Regentag wie in rosa<br />

bengalischer Beleuchtung. Der Luftzug des Abends trieb

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